Die Neue Erde

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Die Neue Erde
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Die Neue Erde

1  Titel Seite

2  Ende Teil 2

3  DANKE!

Titel Seite
Die Neue Erde
von: Klaus Jürgen Meyer

Umschlagbild: Michael Hesse

Liedtext: Christa Meyer

Für alle, die Verantwortung tragen:
Nehmt sie endlich ernst, und nutzt sie
nicht nur dafür, eure Konten zu füllen!
Für alle, die Verantwortung übernehmen wollen:
Fragt euch, ob ihr dieser auch gewachsen seid!
Schönredner, Dummschwätzer und
machtverliebte Diktatoren
haben wir schon genug auf der Erde!

„Guten Morgen, Tommy!“ Es war die Stimme des Computers, welche ihn weckte.

Er hatte darauf bestanden, dass es die gleiche Stimme war, welche ihn jeden Morgen an Bord der >PHYLL< begrüßt hatte.

Verschlafen blinzelte er in die Sonnenstrahlen, die jetzt durch die Scheiben in das Schlafzimmer einfielen. Langsam verschwand die Dunkelheit, die durch die tief-dunkle Tönung, welche die Fensterscheiben abends annahmen, im Zimmer herrschte, und machte Platz für die Strahlen der Sonne der Neuen Erde.

Im Nachbarzimmer bereiteten sich die Zwillinge auf die allmorgendliche Eroberung des elterlichen Bettes vor.

Er konnte ihre Stimmen unterscheiden und hatte auch gelernt, sie an körperlichen Merkmalen auseinander zu halten, seit sie zwei Jahre alt waren.

Jetzt waren sie drei Jahre alt, und seit einem Monat war es ihr morgendliches Ritual, unter Jubelgeschrei ins Schlafzimmer zu stürmen und den Platz zwischen ihren Eltern in Beschlag zu nehmen.

Hatten sie ihn erobert, kuschelten sie sich zusammen und waren wenige Augenblicke später tief und fest eingeschlafen. Gerade so, als hätten sie eine Art inneren Ein- und Ausschalter betätigt.

Dann hatten er und Tina noch eine gute Stunde Zeit, bevor der Schalter erneut umgelegt wurde und Sean und Tobias ihre Eltern mit einem fröhlichen: „Guten Morgen! Hunger!“ begrüßten.

Nach den ersten beiden Tagen hatte Tommy dafür gesorgt, dass das Bett, in welchem Tina und Tommy schliefen, verbreitert wurde.

So konnten die Kleinen zwischen ihren Eltern schlafen und es wurde nicht zu eng.

Gerade für Tina war das wichtig, denn bald würden sie zu Fünft sein!

Die Untersuchung hatte ergeben, dass es dieses Mal ein Mädchen werden würde.

Einen Namen hatten sie auch schon. Die Kleine würde Christa heißen, so wie Tinas Mutter.

Er drehte sich in Richtung der Tür, durch welche die beiden jetzt eigentlich hereingestürmt kommen mussten.

Lächelnd schloss er die Augen und tat so, als würde er schlafen.

Die Tür öffnete sich, doch statt des erwarteten Geheuls hörte er nur ein leises Kichern.

Die Tür schloss sich, und gleich darauf spürte er, wie seine Söhne über das Fußende ins Bett kletterten.

Immer noch kichernd und leise prustend kuschelten sie sich hin und dann waren sie auch schon eingeschlafen. Tina schien gar nichts davon mitbekommen zu haben.

Er war stolz auf die beiden, denn er hatte am Abend zuvor mit ihnen gesprochen und ihnen erklärt, wie wichtig der Schlaf für ihre Mama und ihre zukünftige kleine Schwester war.

Viel erhofft hatte er sich von dem Gespräch zwar nicht, denn sie waren ja erst drei Jahre alt, aber er hatte sie wohl unterschätzt.

Wenn er so zurück dachte, musste er sich ein wenig über sich selbst wundern, denn hatte nicht gerade er erlebt, wie sehr Kinder von Erwachsenen unterschätzt wurden?

Er dachte an Or, an Mykbar, an Kara.

Wie sehr hatte ihn damals die – nach seiner Meinung – Arroganz der Erwachsenen aufgeregt, und wie oft hatte er fast eine Art Befriedigung empfunden, wenn er sie alle mal wieder widerlegt hatte.

Es war zwar unfair ihnen gegenüber gewesen, denn ohne sie wäre er längst tot, aber trotzdem ärgerte er sich oft über die Kurzsichtigkeit, welche die Erwachsenen damals an den Tag gelegt hatten.

Und wenn er jetzt nicht aufpasste, würde er bei seinen Kindern denselben Fehler machen!

Die Zwei hatten ihm, dem Präsidenten der Neuen Erde, mit ihren drei Jahren eine wichtige Lehre erteilt.

Liebevoll sah er in die Gesichter seiner Familie.

Vor rund dreizehn Jahren hätte er nie geglaubt, dass er jemals noch so einen Morgen erleben würde.

Und heute war er seit genau zehn Jahren auf der Neuen Erde.

Am 08. August 03 nach der Zeitrechnung der Neuen Erde oder am 08. August 2178 nach der Zeitrechnung eines Planeten, den es nicht mehr gab, weil die Menschheit die Reste, die von ihm übrig waren, auch noch in die Luft sprengen musste.

Und mit ihm fast das gesamte Sternensystem, in welchem sich der Blaue Planet befunden hatte.

Doch er musste an das Heute denken und an die Zukunft!

Er und Tina und alle anderen 58, die damals von der Erde ihren Fuß auf die Neue Erde gesetzt hatten, hatten nur diesen Planeten!

Er war ihre Heimat, und auf ihn mussten sich ihre Gedanken richten.

Und gerade er war dazu verpflichtet!

Heute würde zwar seine zweite Amtszeit als Präsident der Neuen Erde enden, aber er war sich sicher, dass es für ihn auch noch eine dritte und damit letzte Amtszeit geben würde.

Es hatte sich schlicht und ergreifend kein Gegenkandidat gemeldet!

Auch wenn er es für sich einfach nicht wahr haben wollte: Jeder auf diesem Planeten zeigte ihm dadurch, dass sie ihm und Tina ihre Heimat verdankten.

Hätten er und Tina sie nicht ausgewählt, wären sie tot! So einfach war das für sie!

Jede Amtszeit betrug nach ihrer Verfassung fünf Jahre. Also wäre seine zweite schon im vorletzten Jahr zu Ende gewesen.

Doch die Kinder hatten damals bereits am ersten Tag nach ihrer Landung einstimmig beschlossen, dass er erst ab diesem Tag ihr Präsident wurde.

Davor war er ihr Kommandant, und das war etwas anderes.

Seine Stimme zählte damals nicht, und er war zugegebenermaßen auch emotional nicht in der Lage gewesen, sie zum Einsatz zu bringen.

Und was für ihn galt, galt damals auch für Jok.

Und es würde auch heute wieder für ihn gelten!

Die ehemaligen Kinder von Elmers würden genauso geschlossen hinter ihm stehen wie auch die ehemaligen Kinder der Erde.

Er gönnte es Jok von Herzen.

Aus seinem Wahlbruder war ein prächtiger Mann geworden, dessen Fantasien maßgeblich dazu beigetragen hatten, wie sich die Hauptstadt der Neuen Erde, >Hoffnung<, bisher entwickelt hatte.

Und mit Korin hatte er seit vier Jahren eine starke Frau an seiner Seite.

Auch Korin war schwanger, und es würde auch bei ihr ein Mädchen werden. Die beiden hatten beschlossen, sie Keni zu nennen, nach Joks Mutter.

Aus den einhundert zweiundzwanzig Kindern, die vor zehn Jahren auf der Neuen Erde gelandet waren, waren inzwischen einhundert dreißig geworden.

Acht kleine Bewohner eines Planeten, auf dem sie hoffentlich glücklich und in Frieden aufwachsen konnten, waren in den letzten drei Jahren geboren worden.

Eine kleine rote Lampe blinkte neben dem Fenster auf. Tommy hatte dafür gesorgt, dass der Computer, wenn er feststellte, dass Tommy wach war, sich auf diese Weise bemerkbar machte, solange Tina oder die Kleinen schliefen. Er stand auf und ging ins Bad, wo bereits eine volle Wanne auf ihn wartete. Mit seinem obligatorischen Glas Erdbeersaft nahm er darin Platz.

„Computer, was gibt es?“

„Telin hat sich gemeldet! Sie hat Nachricht von der >PHYLL<. Soll ich dich verbinden?“

„Gern, aber ohne Bild!“

Keine Minute später hörte er Telin.

„Guten Morgen Tommy! Ist der Monitor kaputt?“

„Guten Morgen, Telin! Ich liege gerade in der Wanne, und den Anblick wollte ich dir ersparen!“

Telin lachte ihr sympathisches Lachen: „Keine Angst, ich bin von Ator Kummer gewöhnt! Aber nun mal im Ernst: Vor wenigen Minuten hat sich die >PHYLL< gemeldet. Sie wird in etwa zwei Stunden hier sein. Und gerade kommt eine Nachricht von der >SCHRE<. Das ist wohl ein Kreuzer der Krl. Auch sie braucht noch etwa eine Stunde bis zur Ankunft! Ich weiß nicht genau, wer außer Kri noch dabei ist, aber er ist auf jeden Fall an Bord!“

„Danke, Telin! Das heißt, ich muss meine Morgenzeremonie um einiges abkürzen.Verzichte ich auf das Brötchen oder den Anzug, was meinst du?“

Wieder erklang Telins Lachen. „Wenn ich dich jemals in einem Anzug sehe, wähle ich sofort einen anderen Präsidenten! Also: Iss dein Brötchen und verzichte darauf, einen Anzug zu replizieren!“

„Danke, Telin, du bist die Größte, denn du denkst nicht nur an mein leibliches, sondern auch an mein seelisches Wohl!“

Beide lachten, und Tommy trennte die Verbindung.

Er blieb noch rund zehn Minuten in dem warmen Wasser liegen, bevor er seufzend aus der Wanne stieg.

Heute kamen viele Gäste, und mit ihnen auch Verpflichtungen, denen er nachkommen musste. Als Präsident hatte er normalerweise kaum etwas zu tun, und konnte so oft auf der Farm helfen.

Das hatte er sich ausgesucht, weil er der Meinung war, dass er an dieser Arbeit am meisten Spaß hatte.

Auch Jok arbeitete. Er war in der Bäckerei und ging voll in diesem Job auf.

 

Natürlich hätten sich die Bewohner der Neuen Erde ihre Lebensmittel auch replizieren können, aber sie waren schnell dahinter gekommen, dass frisch Gekochtes oder Gebackenes um Längen besser schmeckte.

Heute hatte Jok allerdings frei, denn auch er musste seinen Verpflichtungen nachkommen.

Jetzt hatte er allerdings noch häusliche Verpflichtungen.

Leise betrat er das Schlafzimmer und weckte seine Söhne.

Eigentlich war das das Zeichen für die beiden, nun so richtig aktiv zu werden, doch nachdem sie gesehen hatten, dass ihre Mama immer noch schlief, standen sie leise auf und flitzten ins Bad, wo Tommy ihnen half.

Er war gerade soweit, dass er den Tisch decken wollte, als auch Tina erschien.

„Guten Morgen, schöne Frau! Guten Morgen, kleine Maus!“

„Guten Morgen, starker Mann! Guten Morgen Vati!“

Die beiden küssten sich.

„Danke, dass du schon soweit bist!“

„Dafür bin ich doch da! Telin hat sich gemeldet. Die >PHYLL< und die >SCHRE<, ein Kreuzer der Krl, treffen bald ein. Ich freue mich schon riesig auf ein Wiedersehen mit allen!“

„Ich mich auch! Allerdings werde ich wohl viel sitzen müssen, denn Christa ist bereits ganz schön aktiv.“

„Dann stellen wir dir und Korin zwei bequeme Sessel auf, und ihr könnt von dort aus Audienzen geben!“

Die beiden lachten, und ihre Söhne stimmten mit ein. Sie verstanden zwar noch nicht, worum es ging, aber wenn Tina und Tommy lachten, lachten sie einfach mit. Ich bin auch auf Tommy gespannt! In vier Tagen wird er zehn Jahre alt! Ob er schon so groß ist wie ich?“

„Hoffentlich nicht! Einen Neunjährigen in deiner Größe kann ich mir nur schwer vorstellen. Aber ich freue mich auf ihn! Und ich kann mir vorstellen, wie sehr sich Jok auf seinen kleinen Bruder freuen wird!“

„Stimmt! Die beiden haben sich noch nie gesehen.

Wie es jetzt wohl auf Elmers und Url sein wird? Als wir vor vier Jahren das letzte Mal etwas gehört hatten, war ja so ziemlich alles im Umbruch!“

„Hoffentlich ist alles gut! Es muss aber auch ziemlich heftig gewesen sein, was da an Neuem auf diese Menschen zukam. Zum Glück ist alles friedlich geblieben!“

„Onkel Thomas!“ Überrascht hob Tommy seinen Kopf. Noch überraschter war er allerdings von der Tatsache, dass auch die Zwillinge wie auf Kommando verstummten und sich verwundert umsahen.

„Tommy?“

Der Einzige, der ihn Onkel nennen konnte, war Thomas, der Sohn von Yso und Mykbar. Also rief er ihn mit seinen Gedanken.

„Richtig geraten! Wir landen in zwei Stunden, und ich freue mich schon darauf, euch alle kennenzulernen! Ach so: Ich soll euch auch noch von allen anderen grüßen!“

„Dann grüße alle zurück, und wir freuen uns auch schon sehr auf euch!“

Er fühlte, wie Thomas sich zurückzog und konnte sich nun endlich auf seine Söhne konzentrieren, die ihn mit großen Augen ansahen.

„Wer war das?“

Sean war derjenige der beiden, der am besten sprach, und so war er es auch, der fragte.

„Das war Onkel Thomas! Ihr kennt ihn noch nicht, aber in zwei Stunden ist er hier.“

„Wo ist er?“

„Noch ist er unterwegs in einem Raumschiff!“

„Aber ich habe ihn gehört, und Tobias auch!“

„Ja, das stimmt! Aber ihr habt ihn nur in eurem Kopf gehört, genau wie ich.“

„Warum?“

„O je! Wie kann ich euch das erklären?“

Tina schaltete sich ein: „Was war denn los?“

„Tommy hat sich gemeldet. Durch Telepathie! Und unsere Söhne haben ihn ebenfalls gehört!“

Tina sah erst ihn und dann ihre Söhne erstaunt an. „Ihr habt ihn auch gehört?“

Die beiden nickten eifrig.

„Dann solltest du es ihnen so erklären, wie du es Ator und Kotan erklärt hast! Alles andere macht keinen Sinn, und ich kann da sowieso nicht helfen!“

„Das schaffe ich aber jetzt nicht mehr! Die Krl werden in wenigen Minuten landen und ich muss sie in Empfang nehmen. Du weißt ja: Präsident und so!“

Beide lachten.

„Gut, dann aber spätestens heute Abend! Ich halte sie solange hin!“

„Danke, Tina! Wenn ich dich nicht hätte!“

„Dann müsstest du allein klar kommen! Und nun sieh zu, dass du fertig wirst!“

Wieder lachten beide und Tommy stand auf, um sich noch ein paar offiziellere Sachen anzuziehen.

Knapp zwanzig Minuten später stand er zusammen mit Jok und vielen anderen am Landeplatz und sahen der Landung des Gleiters von den Krl zu.

Als sich der Einstieg öffnete, sahen sie zu ihrer Freude nicht nur Kri, sondern viele von denen wieder, die damals bei ihrer Ankunft auf der Neuen Erde mit dabei waren und die schlussendlich diese Siedlung für die Kinder gebaut hatten.

Tommy trat vor.

„Ich heiße euch im Namen der Bewohner der Neuen Erde herzlich willkommen! Wir freuen uns, dass ihr heute hier bei uns sein wollt, wenn wir nachher unseren zehnjährigen Jahrestag feiern, und hoffen, dass ihr einige Zeit hier bleiben könnt, um die Schönheit dieses Planeten genießen zu können!“

„Danke, Herr Präsident! Auch wir freuen uns, wieder hier zu sein, und wir würden gern einen Monat hier mit euch verbringen, wenn ihr es erlaubt!“

Tommy war froh, dass er das Rotwerden wirklich überwunden hatte, denn jetzt wäre er es bestimmt geworden.

Es war das erste Mal, dass er mit „Herr Präsident“ angesprochen wurde, und erst jetzt, in diesem Moment, wurde ihm klar, was dieses Amt bedeutete.

Telin hatte dem Gleiter die Landeerlaubnis auf der Neuen Erde erteilt. Aber wenn er jetzt sagen würde, dass die Krl nicht bleiben durften, würden sie wieder abfliegen.

Das würde allerdings nicht passieren, denn er freute sich genau wie die anderen darüber, dass sie hier waren, und würde jeden Tag, ja sogar jede Stunde mit ihnen genießen.

„Natürlich erlauben wir euch, solange ihr wollt, hier zu bleiben! Wir freuen uns über jeden Tag, den ihr hier seid! Aber bitte hört auf, mich Herr Präsident zu nennen! Bleibt wie früher bei Tommy! Diese Bitte gilt für euch alle! Auch für die Kinder!“

Kri lächelte. „Ich hatte gehofft, dass du das sagst, Tommy, denn es zeigt mir, dass du noch derjenige bist, den ich vor zehn Jahren kennen und schätzen gelernt habe. Deiner Bitte werden wir mit Freude nachkommen! Und danke dafür, dass du, oder besser gesagt, ihr, es auch dem Rest der Mannschaft erlaubt, die Zeit hier auf eurem Planeten zu verbringen! Vor allem die Kinder können es kaum noch erwarten, euch kennenzulernen, denn sie haben schon viel von euch durch ihre Eltern gehört. Und natürlich spielt es sich hier auch besser als in der Begrenztheit eines Raumschiffes.

Aber sagt mir: Wo sind Tina und Korin?“

„Die beiden sind schwanger, und der Weg hierher ist doch relativ lang, wenn man nicht allein ist. Und Tina kümmert sich außerdem um unsere Söhne! Du wirst sie nachher kennen lernen!“

Ein Schnurren war die Antwort, von dem die Kinder bereits vor zehn Jahren gelernt hatten, dass es ein Zeichen der Krl war, wenn diese etwas als besonders positiv empfanden.

„Ich freue mich bereits darauf!“

Nun begann die allgemeine Begrüßung, die ganz eindeutig länger als normal ausfiel, denn die Kinder der Krl von damals waren ebenfalls in dem Alter, in dem die Bewohner der Neuen Erde jetzt waren, und es gab natürlich viel zu erzählen.

Die Zeit verging so schnell, dass alle überrascht waren, als Telin die bevorstehende Landung der Gleiter von Yso, Mykbar und Tommy, sowie von Or und einigen Offizieren bekannt gab.

Zehn Minuten später war es soweit, und Tommy stand seinem Patenkind gegenüber. Dieser war tatsächlich noch nicht so groß wie Tommy, sondern reichte ihm „nur“ bis zur Nase.

Vollkommen frei von Scheu fiel er Tommy an den Hals.

„Hallo, Onkel Thomas! Schön, dass du mich gehört hast! Wo sind Tante Tina, Korin und Mir, und Onkel Jok und Tip?“

„Hallo Tommy! Ich freue mich riesig, dass ich dich endlich wieder sehe! Groß bist du geworden! Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du gerade drei Jahre alt genau wie meine Söhne jetzt!

Tante Mir und Onkel Jok und Tip sind dort drüben, und Tante Tina und Korin siehst du nachher!“

„Ich komme gleich wieder!“ Tommy Junior rannte zu den Genannten, um sie zu begrüßen, und somit hatte Tommy endlich Zeit, auch die anderen Gelandeten zu begrüßen.

Er nahm jeden von ihnen in den Arm und kämpfte innerlich mit den Tränen der Rührung.

Zu viel hatte er mit jedem von ihnen erlebt und zu viel verdankte er, und mit ihm die anderen, jedem von ihnen.

Aus den Augenwinkeln sah er, wie Jok seinen Vater in die Arme nahm, und auch, dass beide Tränen in den Augen hatten.

Er sah die Freude des Wiedersehens in jeder einzelnen Begrüßung, welche nicht selten mit einer Umarmung verbunden war.

Selbst Mir und Tip, welche keinerlei Verwandten hier hatten, wurden mit der gleichen Freude und Herzlichkeit begrüßt, als wären die Angekommenen ihre Eltern.

Und die beiden erwiderten diese Begrüßung unter Tränen.

„Nun wir es aber Zeit, auch die an Bord Wartenden landen zu lassen!“

Tommy hatte dies gesagt, und Kri und Or gaben ihm Recht.

Die nötigen Funksprüche waren schnell getätigt, und kurze Zeit später herrschte auf dem Landeplatz Hochbetrieb.

* * *

„... Und deshalb können wir jetzt hier zwischen unseren Eltern und Freunden stehen und ihr könnt mir zuhören! Und deshalb musste ich jetzt diese Rede halten, obwohl ich kein Freund vom Reden halten bin! Aber am wichtigsten ist, dass wir nur deshalb unsere Kinder in den Arm nehmen können und wissen, dass sie, wenn wir aufpassen, nie erleben müssen, was wir erlebt haben! Allein dafür war alles, was wir zusammen geleistet haben, die Anstrengung wert!“

Tommy stand ein wenig erhöht vor den versammelten Menschen.

Seine Rede hatte rund eine halbe Stunde gedauert, und trotzdem hatte jemand das Gefühl gehabt, sie sei zu lang gewesen.

An manchen Stellen mussten Einige lachen, an anderen mit den Tränen kämpfen. Ein Kampf, den die Meisten verloren.

Im Hintergrund von Tommy saßen sieben junge Frauen, die schwanger waren. Unter ihnen Tina, Korin und Til.

Und über ihren Köpfen wehte die Fahne der Neuen Erde.

Mir und Tip traten vor und begannen das Lied zu singen, welches sie an ihrem ersten Abend am Lagerfeuer gesungen hatten. Dieses Lied war offiziell die Hymne der Neuen Erde geworden, und ihre Bewohner legten ihre rechte Hand auf ihr Herz und stimmten aus tiefstem Herzen mit ein.

Sogar Sean und Tobias sangen mit, denn Kotan hatte ihnen im Kindergarten das Lied beigebracht.

Nachdem der letzte Ton verklungen war, übernahm Jok das Wort: „So, und nun will ich auch mal was sagen: Nachdem wir deine Rede angehört und halbwegs zumutbar gesungen haben, würde ich vorschlagen, dass wir uns in einer halben Stunde zum Essen versammeln. Ich weiß, dass unsere Frauen das Beste gegeben haben, und ich weiß, dass wir sie deshalb nicht zu lange warten lassen sollten! Außerdem habe ich Hunger! Ich hoffe, es wird euch schmecken!

Das war´s, was ich sagen wollte!“

Herzliches Gelächter und einige Bravorufe waren die Antwort.

Bereits am Abend zuvor waren Tischreihen aufgebaut worden, so dass alle Platz finden würden. Die Frauen der Neuen Erde, aber auch viele der Männer, hatten wirklich ihr Bestes gegeben, um die mehr als vierhundert Menschen zu versorgen.

Die Tische, auf denen das Buffet aufgebaut war, brachen fast zusammen unter der Last, und jede Speise sah genau so lecker aus wie die andere.

Bald war nur noch das Geräusch von Geschirr und Besteck zu hören.

Tommy wandte sich leise an Tina: „Kannst du dich noch an unser erstes gemeinsames Essen mit René und den anderen Sieben erinnern?“

„Ja, und zwar, als ob es erst gestern gewesen wäre!“

„Das hier erinnert mich an damals! Und ich freue mich, dass ich es denen zurück geben kann, denen wir es damals zu verdanken hatten.“

„Geht mir genau so! Sieh mal dort: Jok und sein kleiner Bruder Phil. Es ist fast so, als wären sie immer zusammen gewesen und hätten sich nicht erst heute kennen gelernt. Wie stolz Jok auf ihn ist! So habe ich ihn nur selten erlebt!“

„Ich freue mich für ihn! Aber auch für Or und Keni! Für sie muss es schwer gewesen sein, von hier wegzufliegen und ihr einziges Kind zurück zu lassen.“

 

Tina sah ihre Söhne an und nickte. Die Vorstellung, auch nur einen Tag ohne sie zu sein, raubte ihr die Sprache.

„Unsere Häuser sind eigentlich groß genug!“

„Na ja, ein wenig müsste man schon umräumen, aber es geht!“

„Und genügend leere Häuser gibt es auch, so dass die Idee gar nicht so schlecht ist!“

Tommy lachte. „Ist ja schon gut, ihr habt mich überzeugt! Aber wie kommt ihr auf die Idee?“

„Tommy hatte sie! Er kam vorhin zu uns und fragte, ob nicht wenigstens die Kinder mal wieder auf einem Planeten schlafen könnten. Und da eigentlich genug Platz da ist, haben wir uns überlegt, das auch den Erwachsenen anzubieten. Zumindest abwechselnd für eine Woche oder so!“

„Gut, ihr beiden, aber die Organisation übernehmt ihr! Sprecht am besten mit Kir, Mykbar und Or!“

„Einverstanden!“ Mir und Tip machten sich auf den Weg, um die drei zu suchen.

„Da ist er ja!“, erklang Kenis Stimme.

Tommy drehte sich freudig erregt zu ihr um und lag in ihren Armen, bevor er etwas sagen konnte.

„An dich heranzukommen, ist schwieriger, als Sternenstaub zu fangen!“, begrüßte ihn Keni lachend und gleichzeitig weinend.

Auch Tommy konnte seine Tränen nicht zurück halten.

Wie oft hatten diese Arme ihm Trost gegeben! Und wie oft hatte er der Versuchung widerstehen müssen, nicht doch noch Ja zu dem Angebot von Or zu sagen und so Keni als Mutter zu bekommen.

Nachdem sie sich voneinander gelöst hatten, ging Tommy auf die Knie und nahm seine Söhne auf den Arm, welche dem Geschehen mit großen verwunderten Augen zugesehen hatten.

„Sean, Tobias, das ist Tante Keni, die Mutti von Onkel Jok! Sie ist eine ganz liebe und tolle Frau und ich bin mir sicher, dass ihr sie bald genau so lieb haben werdet, wie ich sie habe! Sagt Hallo!“

Bevor die beiden Hallo sagen konnten, hatte Keni schon jeden von ihnen umarmt und einen Kuss auf die Wange gegeben.

Allein damit hatte sie die Herzen der beiden Kleinen im Sturm erobert, und ab sofort wetteiferten sie darum, Keni am nächsten zu sein.

„Da hast du dir was aufgehalst!“

„Tina! Endlich!“

„Meine Güte, du bist tatsächlich eine Frau geworden! Wo ist die Zeit geblieben?“

„Bei mir!“, meldete sich die Stimme eines Jungen zu Wort.

„Stimmt, mein Junge, bei dir!“, und an Tommy und Tina gewandt: „Darf ich vorstellen: Das ist Phil, Joks kleiner Bruder!“

„Gratuliere, Keni! Und du, wie alt bist du?“

„Neun Jahre! Seid ihr die Tina und der Tommy, von denen Mutti und Vati immer erzählen?“

Bevor einer der beiden antworten konnte, gab Keni die Antwort: „Ja, mein Junge, das sind die beiden!“

„Wow! Dann seid ihr richtig berühmt, und ich muss auch noch Danke sagen bei euch!“

Tina und Tommy sahen ihn verwundert und fragend an: „Wieso musst du dich denn bei uns bedanken?“

„Na ganz einfach: Wegen euch darf ich jetzt spielen, was ich will! Auch Fantasie!“

„Und was spielst du in Fantasie?“, fragte Tommy, nachdem er geschluckt hatte.

„Manchmal bin ich du! Oder Jok! Und dann erkunde ich viele Planeten oder streite mich mit den Priestern! Aber die gibt es ja jetzt nicht mehr! Vati hat gesagt, als Jok so alt war wie ich, hätte er so was nie spielen können! Jedenfalls nicht mit anderen! Sonst wäre er in ein Heim gekommen! Das kann ich mir gar nicht vorstellen, weil Fantasie so toll ist! Ich will immer welche haben!

Also: Vielen, vielen Dank, Tina, und vielen, vielen Dank, Tommy!“

Dieser konnte nicht anders, als den kleinen Kerl an sich zu ziehen und sein Haar zu strubbeln, was Phil mit einem fröhlichen Quietschen quittierte.

Nun kam Tina an die Reihe, und wieder quietschte er.

„Und warum sind wir berühmt?“, wollte Tina nun wissen?

„Na, wir lernen doch alles über euch in der Schule! Über die Erde und wie sie zerstört wurde, und wie ihr vorher geholt wurdet und dann dafür gesorgt habt, dass noch mehr geholt wurden, und so weiter. Das ist viel spannender als alles andere! Und auf der >PHYLL< hängen Fotos von euch, und der Raum, in dem ihr eure Verfassung gemacht habt, und du Präsident und mein Bruder dein Stellvertreter geworden seid, ist in einem Museum auf Elmers nachgebaut worden. Mit eurer Fahne und so! Und wenn wir in der Schule über euch lernen, dann gibt es auch immer einen Film darüber zu sehen. Unsere Lehrer sagen, ihr seid Vorbilder!“

„Und was sagt ihr Kinder?“

„Ich kenne keins, das nicht so sein will wie ihr!“

„Und da gehst du mit leuchtendem Beispiel voran, mein lieber Sohn! Ganz ehrlich: Manchmal erinnerst du mich an deinen Bruder und manchmal an Tommy. Und ich finde es gut so! Aber du müsstest vielleicht mal eine Zeitlang hier leben, damit du weißt, was die beiden wirklich geleistet haben! Und nicht nur sie, sondern alle, die bei dieser Mission dabei waren!“

„Oh ja, Mutti, darf ich? Bitte! Stell dir mal vor, ich könnte mit Jok losziehen! Oder mit Tommy! Oder mit beiden! Weißt du, wie viel ich da lernen könnte? Bitte, bitte, Mutti, sag Ja!“

„Oh je, da habe ich was angerichtet! Phil, ich glaube nicht, dass das geht!“

„Warum denn nicht? Ihr wollt doch sowieso später hier wohnen. Da kann ich doch jetzt schon hier bleiben, und in sechs Jahren kommt ihr einfach nach!“

Tina, Tommy und Jok hatten mit wachsender Aufmerksamkeit zugehört. Nun schaltete sich Jok ein: „Wie meint er das, Mutti?“

Keni war sichtlich verlegen. „Eigentlich wollten Vati und ich das mit dir später besprechen, wenn wir unter uns sind. Aber jetzt ist es dazu wohl zu spät, deinem kleinen Bruder mit seinen viel zu großen Ohren sei Dank! Erinnert ihr euch noch, wie wir damals gesagt hatten, dass wir uns vielleicht auf unsre alten Tage hier bei euch niederlassen würden?“

Die drei nickten.

„Und ihr habt damals gesagt, dass wir willkommen wären. Dein Vater hat lange darüber nachgedacht und wir beide haben viel miteinander gesprochen.

Er hatte es nie leicht gehabt auf Elmers, aber jetzt, nach dem ganzen Umbruch, hat er es noch schwerer. Natürlich wagt es keiner, sich offen mit ihm anzulegen, aber seine Feinde arbeiten im Untergrund. Und sie sind immer noch mächtig genug, um ihm das Leben schwer zu machen.

Und nicht nur ihm! Auch Kara, Tolar und ganz besonders Tol und Sila haben es nicht gerade einfach! Die beiden Letztgenannten, weil durch sie ein uraltes Standesdenken über den Haufen geworfen wurde, welches durch die Priester festgeschrieben war. Kara, weil sie eine klare Position bezieht, und Tolar und dessen Frau, weil Korin ihre Tochter ist und deine Frau wurde.

Versteht mich nicht falsch: Der Umbruch ist geschafft auf Elmers! Aber die alten Beziehungen bestehen noch. Gerade unter der älteren Generation, zu welcher wir ja nun einmal zählen.

Und Or ist es leid zu kämpfen! Er will endlich seine Ruhe haben!

Deswegen haben wir überlegt, ob wir euch fragen, ob euer Angebot von damals noch Gültigkeit hat.“

Tommy schluckte. „Und die Anderen?“

„Es geht ihnen nicht viel besser als uns. Erinnert ihr euch noch, dass Kels Eltern gesagt hatten, ihr Vater sei Oberster Priester in dem Dorf, aus welchem sie stammten, und dass er bei ihnen wohnen würde?“

Wieder nickten die drei.

„Nun, als sie in das Dorf zurück kamen, war das Haus bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Ihr Vater hatte es mit allem, was darin war, angezündet, und niemand im Dorf hat versucht, es zu löschen. Dafür haben sie ihm ein neues Haus gebaut, in dem die beiden nicht mehr willkommen waren. Wenn sie jetzt nach Elmers kommen, werden sie in einer Stadt einen Neustart versuchen. Aber leicht wird es nicht für sie, denn ihr Vater hat immer noch viele Freunde.

Was mich so wütend macht ist die Tatsache, dass selbst diejenigen, die damals gar nichts mit allem zu tun hatten, sondern nur Mannschaftsmitglieder waren, darunter zu leiden haben, und sogar deren Kinder!

Und trotzdem ist die gesamte Mannschaft vollständig an Bord gekommen, als Or sie rief! Und auch die Kinder von damals sind alle dabei!“ Ihr versagte die Stimme und Tränen liefen über ihr Gesicht. Jok nahm sie in den Arm. Zu Tommy aber sagte er: „Ich weiß, was du sagen willst! Aber ich muss mich raus halten! Es ist die Neue Erde! Ihr Kinder der Erde habt diesen Planeten bekommen, und wir von Elmers sind hier, weil ihr es wolltet. Alles, was jetzt kommt, kann nur von euch kommen, und wir haben uns da vollkommen raus zu halten! Egal, wie schwer es ist! Und wir haben eure Entscheidung zu akzeptieren, egal wie sie ausfällt!“