Seewölfe - Piraten der Weltmeere 98

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 98
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Impressum

© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-422-7

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Dumpf rollte Kanonendonner über das Wasser.

Stimmen schrien durcheinander. Schwere Eisenkugeln klatschten in die Klippen, rissen Felsbrocken los und ließen einen Steinschlag auf den schmalen Sandstreifen prasseln. Brüllend ging ein Spanier zu Boden. Immer noch peitschte in Abständen eine Muskete auf, doch der Schütze mußte den Verstand verloren haben, er konnte gar nicht treffen.

Weit draußen vor der Insel, die die Spanier „Sala-y-Gomez“ nannten, lagen drei Galeonen wie schwarze, unheilvolle Schatten.

Fahl leuchteten die Segel, blähten sich im Ostwind und trugen die drei Schiffe näher. Jetzt war es die mittlere Galeone, an deren Bordwand eine Reihe strahlender Feuerblumen aufzublühen schien. Wieder rollte der Kanonendonner, wieder krachten die Einschläge, und die Luft schien zu erzittern vom Dröhnen der Breitseite und den Schreien der Spanier.

Einer der Männer wurde voll von einer Kugel getroffen und gegen die Felsen geschmettert.

Fünf, sechs andere warfen sich verzweifelt zu Boden, sprangen Sekunden später wieder auf und hasteten blindlings am Strand entlang. Eine sich überschlagende Stimme kreischte Befehle. Schon im nächsten Augenblick wurde sie von neuerlichem Krachen verschlungen.

„Ach, du meine Fresse!“ flüsterte Edwin Carberry, der Profos der „Isabella“.

Philip Hasard Killigrew, Seewolf genannt, kniff die Augen zusammen. Gemeinsam mit dem Großteil seiner Männer kauerte er oberhalb des Steilhangs, den die drei spanischen Galeonen beschossen – in sicherer Deckung, wie sich von selbst verstand.

Unter ihnen am Strand war die Hölle los. Für die spanischen Meuterer kam diese Wendung der Dinge genauso überraschend wie für die Seewölfe: ein Verband von Kriegsgaleonen, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war! Er war an der Ostseite der Insel entlanggesegelt, bis er die Männer dort gesichtet hatte. Jetzt war er drauf und dran, Sala-y-Gomez kurz und klein zu schießen.

„Dan?“ rief der Seewolf leise.

„Aye, aye, Sir“, ertönte die aufgeregte Stimme des jungen O’Flynn aus dem Halbdunkel.

„Bist du sicher, daß die Waschzuber da drüben Spanier sind?“

„Ganz sicher, Sir“, sagte Dan. Und wenn der Junge mit den Luchsaugen „ganz sicher“ sagte, konnte man sich im allgemeinen darauf verlassen.

Hasard zog die Unterlippe zwischen die Zähne. Ben Brighton schob sich neben ihn, einer der fünf Männer, die in die Hände der Meuterer gefallen und zusammen mit Luana, der polynesischen Häuptlingstochter, für eine Weile auf der Insel gefangengehalten worden waren, bis Hasard und der Rest der Crew sie herausgehauen hatten.

Nicht viel länger als eine halbe Stunde war das jetzt her. Als die Spanier die Flucht ihrer Gefangenen bemerkten, hatten sich die Seewölfe bereits in eine Höhle zurückgezogen, in die die Meuterer ihnen nicht zu folgen wagten. Dort nämlich spukte – angeblich – der Geist des toten Kapitäns, der nach der Meuterei mit zwei anderen Offizieren ohne Wasser und Proviant in einem winzigen Boot ausgesetzt worden war. Tatsächlich war dieser Kapitän zwar wahnsinnig, aber höchst lebendig gewesen. Jedenfalls bis zu dem Augenblick, in dem er sich selbst und den Großteil der Höhle mit Schwarzpulver in die Luft sprengte und die Seewölfe zur Umkehr zwang.

Zu diesem Zeitpunkt war bei den Spaniern die Panik abgeklungen.

Sie hatten sich wieder gesammelt und waren aufgebrochen, um die Boote zu finden und zu zerstören, mit denen die verhaßten Engländer an Land gekommen waren. Vermutlich hätten sie es sogar geschafft, da den Seewölfen der Weg durch das unterirdische Labyrinth versperrt war. Hasard und die Seinen hatten sich bereits darauf vorbereitet, die Meuterer ins Meer zu jagen und sich in den Besitz ihres Schiffes zu setzen, der „Maria Mercedes“, doch dann hatte sich alles ganz anders entwikkelt.

Ben Brighton wartete, bis der rollende Nachhall der nächsten Breitseite verebbt war.

„Ich glaube, ich weiß, wer das ist, Hasard“, sagte er leise. „Während wir an den verdammten Felsblock gekettet waren, hatten wir ziemlich oft Gelegenheit, die Gespräche der Spanier mitzuhören. Sie waren erregt und am Ende ihrer Nerven …“

„Weiter, zum Teufel!“

In Hasards Stimme vibrierte Ungeduld wie sooft, wenn Ben Brighton in seiner ruhigen, zuweilen etwas bedächtigen Art an die Dinge heranging.

Der Bootsmann lächelte.

„Sie fürchteten sich nicht nur vor dem vermeintlichen Geist“, fuhr er ungerührt fort. „Sie fürchteten sich auch vor der Rache ihrer Landsleute. Je mehr sie darüber nachgrübelten, desto wahrscheinlicher erschien es ihnen, daß vielleicht doch einer der ausgesetzten Männer am Leben geblieben sei. Carlos Ingarra tat das alles als Unsinn ab. Aber die anderen stritten sich oft über die Frage herum, ob man wohl schon nach ihnen suchte und sie eines Tages alle am Galgen enden würden.“

„Und du glaubst, die drei Galeonen da drüben haben den Auftrag, Ingarras Meuterer-Bande aufzuspüren?“

Ben zuckte mit den Schultern. „Hast du eine andere Erklärung?“

Nein, Hasard hatte keine andere Erklärung für die unerwarteten Ereignisse. Niemand konnte wissen, daß er und seine Männer auf der Nachbarinsel, der „Insel der Steinernen Riesen“, bei den Polynesiern zu Gast waren. Genauso wenig, wie jemand wissen konnte, daß es auch den schwarzen Segler mit Siri-Tong und Thorfin Njal bei einem endlosen, knüppelharten Sturm weit nach Westen in diese abgelegene Gegend verschlagen hatte.

Jedenfalls nahm Hasard an, daß sich die Rote Korsarin und der Wikinger irgendwo in der Nähe aufhielten. Nicht zuletzt deshalb waren sie auf der „Insel der Steinernen Riesen“ geblieben. Auch noch, nachdem sie den Schatz bereits gefunden hatten, der dort vor zehn Jahren von Bills Vater vergraben worden war.

Hasard lächelte unwillkürlich, als sein Blick zu dem fünfzehnjährigen Schiffsjungen hinüberwanderte.

Für den Jungen waren die letzten Tage aufregend gewesen. Sie hatten wohl auch Erinnerungen aufgerührt und alte Wunden wieder aufgerissen. Bills Vater war auf Jamaica gestorben, in der Karibik, auf der anderen Seite des riesigen südamerikanischen Kontinents. Er hatte Philip Hasard Killigrew seinen Sohn anvertraut, und er hatte ihm die Schatzkarte gegeben, die die geheimnisvolle „Insel der Steinernen Riesen“ zeigte. Ernsthaft rechnete damals wohl keiner der Seewölfe damit, diese Insel jemals zu finden. Und als sie dann nach dem Sturm vor ihnen auftauchte, erschien sie ihnen zuerst wie eine trügerische Vision.

Sie war keine Vision.

Sie war durchaus real gewesen, und sie hatte ein gerütteltes Maß an Abenteuern und heißen Kämpfen bereitgehalten. Kämpfen, die noch längst nicht vorbei waren, wie sich Hasard klarmachte. Die drei spanischen Galeonen fielen jetzt ab, segelten vor dem Wind auf die Insel zu, und für die Meuterer unten in der Bucht wurde die Lage kritisch.

„Zurück!“ peitschte Carlos Ingarras Stimme. „Wir gehen an Bord, wir müssen auslaufen!“

Seine Leute tauchten aus ihren Deckungen auf und setzten sich hastig in Bewegung. Der mörderische Beschuß hatte aufgehört, aber die Meuterer wußten, daß das nur eine Galgenfrist war und ihre Gegner jetzt zur Sache kommen würden. Die Galeonen dort draußen hatten die Festung sturmreif geschossen, der Sturm würde nicht auf sich warten lassen.

Für Carlos Ingarra und seine Kerle bestand die einzige Chance darin, die „Maria Mercedes“ zu erreichen und auf und davon zu segeln. Aber sie mußten sich beeilen und sich etwas einfallen lassen, um einem Seegefecht mit dem überlegenen Gegner zu entgehen.

Hasard hielt das ganze Fluchtunternehmen für sinnlos. Er richtete sich vorsichtig auf und zog sich ein Stück vom Klippenrand zurück.

Luana lächelte ihm zu. Sie lehnte an einem Felsen, in eine viel zu große Männerjacke gewickelt. Auch sie hatte die Explosion in der Höhle nicht ohne Schrammen überstanden, aber sie war schön wie eh und je.

Flüchtig dachte Hasard daran, wie er ihr zum erstenmal begegnet war, bei ihrer Flucht von Sala-y-Gomez, wo sie Carlos Ingarras jüngeren Bruder erstochen hatte, als er sie vergewaltigen wollte. Damals war Luanas Boot von einem riesigen Menschenhai angegriffen worden. Der Seewolf hatte sie gerettet.

Und später, bei dem Fest, das die Polynesier auf der „Insel der Steinernen Riesen“ gaben, war er nach allen Regeln der Kunst verführt worden. Der Engländer Jack Henry, der seit zehn Jahren bei den Polynesiern lebte, hatte ihm gerade noch zuflüstern können, daß es eine tödliche Beleidigung und eine unentschuldbare Verletzung des Gastrechts sein würde, die schöne Häuptlingstochter zurückzuweisen.

 

Es wäre ohnehin sehr schwer gewesen, ihr zu widerstehen. Hasard lächelte in der Erinnerung an jene Nacht. Aber nur für einen Augenblick, dann konzentrierte sich seine Aufmerksamkeit wieder voll auf die reichlich verworrene Lage.

Er atmete tief durch.

„Schauen wir uns mal an, was die Burschen treiben“, sagte er. „Ben, Ed, Dan, Ferris, ihr kommt mit! Die anderen warten hier. Bleibt mit den Köpfen unten! Die Kerle auf den Galeonen brauchen uns nicht unbedingt zu entdecken.“

„Aye, aye“, klang es zurück.

Ben Brighton, Ed Carberry und Dan O’Flynn setzten sich bereits in Bewegung: sie hatten am meisten unter Carlos Ingarras Brutalität gelitten und genossen es, daß die Meuterer jetzt Zunder kriegten. Hasard und Ferris Tukker folgten ihnen. Im Schutz der Felsen schlichen sie quer über die vorgeschobene Landzunge. Ein paar Minuten später konnten sie die Bucht auf der Nordseite der Insel überblicken.

Das Lager der Spanier lag geschützt hinter einer Felsenbarriere.

Ein Weg führte zum Strand hinunter, die „Maria Mercedes“ schwoite friedlich um die Ankerkette. Ein paar Steine polterten in der Nähe. Schritte näherten sich, eilige, überhastete Schritte. Als sich Hasard ein Stück vorwärtsschob, sah er die ersten Spanier hinter einer vorspringenden Felsennase auftauchen.

Sie liefen zu den Booten, die hoch auf dem Strand lagen.

Oder vielmehr: sie wollten es.

„Da!“ zischte Dan O’Flynn.

Als Hasard den Kopf drehte, sah er das Flaggschiff des spanischen Verbandes wie eine Geistererscheinung aus dem Halbdunkel tauchen.

Fahl schimmerten die Segel im Mondlicht.

Die zweite Galeone tauchte auf, dann die dritte. Sie waren raumschots an der Insel entlanggesegelt, jetzt gingen sie mit dem Heck durch den Wind und rauschten über Steuerbordbug auf die Bucht zu wie zornige Schwäne.

Unmittelbar vor der Einfahrt fiel die erste Galeone ab und zeigte der „Maria Mercedes“ die Backbordseite.

Wie hungrige Mäuler klafften die Stückpforten auf. Aus den Mündungen der schwarzen Rohre leckten Feuerzungen. Pulverdampf wölkte auf, das Rollen des Kanonendonners ließ die Luft zittern. In das Prasseln der Treffer mischte sich ein vielstimmiger Aufschrei.

Die „Maria Mercedes“ wurde wie von einer Gigantenfaust durchgerüttelt.

Der Besanmast knickte weg, die Großrah krachte an Deck, zerrissene Wanten und Pardunen verwirrten sich zu Knäueln. Unter der Wucht der Einschläge krängte das Schiff nach Backbord über. Nur langsam richtete es sich wieder auf, doch da war schon die zweite Galeone abgefallen, um an der Einfahrt der Bucht vorbeizulaufen.

Die Backbordkanonen des Schiffes brüllten auf.

Der „Maria Mercedes“ wurde das Ruder weggeschossen, Teile des Schanzkleides zersplitterten, Bugspriet und Blindenrah wirbelten ins Wasser. Ein paar von den Kugeln hatten die Bordwand zerschlagen, und eine davon mußte unter Deck die Verbände des Fockmastes getroffen haben. Der Mast neigte sich, als wolle er sich verbeugen, bevor er auf das Backbordschanzkleid krachte, halb ins Wasser tauchte und das Schiff schwer überholen ließ.

Wilde Flüche erklangen. Die spanischen Meuterer hatten sich am Strand versammelt. Hilflos mußten sie zusehen, wie ihr Schiff vor ihren Augen in Fetzen geschossen wurde.

Die nächste Breitseite erwischte die „Maria Mercedes“ voll unter der Wasserlinie.

Die Bordwand splitterte, die Kugeln rissen riesige Lecks, durch die das Wasser in hellen Strömen in den Bauch der Galeone eindrang. Die „Maria

Mercedes“ sackte weg und neigte sich nach Backbord, vom Gewicht des immer noch festhängenden Fockmasts gezogen. Nur Sekunden später kenterte das Schiff, der Großmast klatschte ins Wasser, und nach vier, fünf weiteren Sekunden ließ der gewaltige Sog die Wellen über dem sinkenden Schiff zusammenschlagen.

Nur das Zischen und Brodeln des Wassers war noch zu hören.

Pulverdampf schwebte über der Bucht gleich Nebelfetzen. Die Spanier am Strand standen starr, schweigend, wie versteinert. Die „Maria Mercedes“ war ihre letzte Hoffnung gewesen. Jetzt gab es keine Chance mehr für sie, von der Insel zu entkommen. Daß ihre Gegner es damit nicht genug sein lassen würden, zeigten die nächsten Minuten.

Die erste Galeone des spanischen Verbandes hatte gehalst und lief hart am Wind über Backbordbug auf die Bucht zu.

Die beiden anderen staffelten sich hinter ihr und drehten in derselben Sekunde bei, in der auf dem Flaggschiff die Rahen gegengebraßt und Segel weggenommen wurden. Das Kommando „Fallen Anker“ schallte laut und deutlich über die Bucht. Wenig später wurden auf allen drei Galeonen die ersten Boote außenbords geschwenkt und abgefiert.

Männer enterten an den Jakobsleitern ab – bis an die Zähne bewaffnete Männer.

Die vorderste Galeone schwenkte leicht herum. Die Spanier am Strand konnten sehen, wie die achteren Drehbassen bemannt wurden.

Carlos Ingarra stieß einen ellenlangen spanischen Fluch aus.

Wut, Haß und aufkeimende Verzweiflung zitterten in seiner Stimme. Er schrie irgend etwas von „kämpfen“, „verschanzen“ und „zusammenschießen“. Aber angesichts von schußbereiten Drehbassen und der Übermacht der Gegner in den Booten dachten die Meuterer nicht mehr daran, den Befehlen ihres Anführers zu folgen.

In panischem Entsetzen wandten sie sich zur Flucht.

Ingarra schrie sich die Kehle heiser – vergeblich. Es dauerte nur Minuten, bis der selbsternannte Capitan allein am Strand stand, während seine Leute in alle Richtungen auseinanderliefen.

Dann, als der erste Musketenschuß peitschte und die Kugel dicht vor Ingarras Zehen den Sand aufspritzen ließ, warf auch er sich herum und floh.

„Hoffentlich erwischen sie diesen Affenarsch und ziehen ihm die Haut ab“, brummte Ed Carberry oben zwischen den Klippen grimmig.

„Ich glaube eher, daß sie ihm den Hals langziehen werden“, sagte Hasard trocken.

Sein Blick hing an dem Mann im Bug des vordersten Bootes: einem großen, hageren Mann mit einem schmalen Raubvogelgesicht, in dem die dunklen Augen fanatisch glühten. Der Bursche sah ganz so aus, als werde er eine regelrechte Treibjagd auf seine Landsleute veranstalten. Wenn Carlos Ingarra diesem Kerl in die Hände fiel, hatte er nichts mehr zu lachen.

„Und was tun wir inzwischen?“ fragte Dan O’Flynn begierig. „Zuschauen oder mitspielen?“

„Mitspielen?“ fragte Carberry. „Dir hat wohl die Sonne zu lange auf deinen blöden Schädel geschienen. Sollen wir die verdammten Dons vielleicht daran hindern, sich gegenseitig abzumurksen?“

„Nein! Beim Abmurksen mithelfen“, sagte Dan.

„Gegen eine dreifache Übermacht?“ fragte Ben Brighton mit hochgezogenen Brauen. „Und dann auch noch ohne jede Notwendigkeit?“

„Als ob wir zum erstenmal gegen eine Übermacht …“

„Wenn sie uns entdecken, brauchen sie nur noch unsere Boote zu Kleinholz zu verarbeiten und können in aller Ruhe die ‚Isabella‘ kapern. Wir müssen entweder heimlich verschwinden oder abwarten, bis die Spanier abziehen – geht das nicht in deinen Schädel?“

„Wobei es im Augenblick ziemlich ausgeschlossen sein dürfte, heimlich zu verschwinden“, setzte Hasard hinzu.

„Und was, zum Teufel, tun wir dann?“

Der Seewolf lächelte leicht. Dans Hitzköpfigkeit hatte während der Gefangenschaft bei den Meuterern offenbar nicht den leisesten Dämpfer erhalten.

„Ob du’s glaubst oder nicht, wir verstecken uns“, sagte der Seewolf trocken. „Und zwar in der Höhle über dem Lager der Spanier. Dort können wir uns dann immer noch überlegen, was wir unternehmen.“

2.

Der schwarze Segler hatte auch den zweiten knüppelharten Sturm ohne größere Schäden überstanden.

Nach Meinung Thorfin Njals und der Roten Korsarin war er dabei allerdings so weit nach Westen geraten, daß er die beiden geheimnisvollen Inseln längst passiert haben mußte. In der pechschwarzen Sturmnacht hatten sie kaum die Hand vor Augen sehen können, aber sie waren überzeugt, daß die Inseln achteraus geblieben waren und sie sie jetzt im Osten suchen mußten. Mit halbem Wind segelte das schwarze Schiff südwärts.

Im Ausguck beobachtete Hilo die Kimm für den Fall, daß sich noch einmal die verlotterte spanische Galeone mit dem Namen „Maria Mercedes“ zeigen sollte.

Der Wikinger grinste, als er über die Kuhl zum Achterkastell stampfte. Er war von Anfang an in dieses Schiff vernarrt gewesen, und es befriedigte ihn immer wieder von neuem, zu sehen, wie ausgezeichnet es sich bewährte. Nicht umsonst hatten es die Chinesen „Eiliger Drache über den Wassern“ genannt. Der schwarze Segler war schnell und stark, und er würde sie sicher in jenes geheimnisvolle Land bringen, das Siri-Tongs Heimat war und das den Seewolf mit geradezu magischer Anziehungskraft lockte.

Thorfin Njal klopfte an die Tür der Kapitänskammer, bevor er eintrat.

Siri-Tong hob den Kopf und lächelte flüchtig. Ihre dunklen Mandelaugen waren zusammengekniffen. Im Licht der blakenden Öllampe saß sie über eine Karte gebeugt, eine ganz bestimmte, vom Alter vergilbte Karte, die sie sonst nicht benutzten, da sie mehr Schnörkel und Verzierungen aufwies als genaue Angaben.

Jetzt tippte Siri-Tong auf eine bestimmte Stelle. Verhaltene Erregung lag auf ihren Zügen. „Schau dir das an, Thorfin!“

Der Winkinger runzelte die Stirn, schloß die Tür hinter sich und beugte sich über den Tisch.

Siri-Tongs Finger zeigte auf eine der beiden Inseln, die sie bereits auf den anderen Karten entdeckt hatten. Aber hier auf dem vergilbten Pergament war die Insel nicht einfach als Punkt in der endlosen Weite des Meeres eingetragen. Eine kleine, kunstvoll ausgeführte Zeichnung markierte ihre Lage. Eine Zeichnung, die die Linien von Buchten und Landzungen zeigte – und daraus hervorwachsend ein halbes Dutzend eigentümlich unproportioniert wirkender menschlicher Figuren, von denen nur Köpfe und Oberkörper abgebildet waren.

„Hmm“, brummte der Wikinger.

„Für was hältst du es?“ fragte Siri-Tong. „Vielleicht für Steinfiguren?“

„Möglich. Auf was willst du hinaus?“

„Steinfiguren, Thorfin! Wenn die Zeichnungen auch nur halbwegs der Wirklichkeit entsprechen, müssen es sehr große Figuren sein. Steinerne Riesen! Erinnerst du dich nicht an das, was uns Hasard über das Abenteuer auf Jamaica erzählt hat?“

Der Wikinger erinnerte sich vor allem an den Bericht über den Kampf mit der spanischen Galeone, an den Capitan Raffael Virgil, der vor den Augen der Seewölfe tot zusammengebrochen war, Opfer eines geheimnisvollen Zaubers. Aber auch von der Schatzkarte hatte Hasard erzählt, von jener geheimnisvollen Insel, auf der der Vater des Schiffsjungen Bill vor Jahren eine Kiste mit Gold und Edelsteinen vergraben hatte.

Thorfin Njal runzelte die Stirn. „Du meinst, das könnte diese merkwürdige ‚Insel der Steinernen Riesen‘ sein?“

„Warum nicht? Die Chinesen haben die Dinger ja nicht umsonst eingezeichnet. Auf der zweiten Insel gibt es allem Anschein nach nur nackte Felsen.“

Der Wikinger kratzte ausgiebig an seinem Kupferhelm. Ein paar Sekunden starrte er auf die Karte, dann nickte er.

„Stimmt“, sagte er. „Und wenn das da wirklich diese Steinernen Riesen sein sollen, dann wissen wir jetzt wenigstens, wo wir die ‚Isabella‘ suchen müssen.“

Siri-Tong nickte nur.

Genau das war es. Solange unter Umständen beide Schiffe auf der Suche nach dem jeweils anderen im Pazifik herumkreuzten, konnte es lange dauern, bis sie wieder aufeinander stießen. Aber wenn Sturm und Abdrift sie tatsächlich in die Nähe der „Insel der Steinernen Riesen“ verschlagen hatte, würde nichts die Seewölfe daran hindern, dort vor Anker zu gehen und nach Bills Schatz zu suchen.

„Versuchen wir’s“, sagte die Rote Korsarin ruhig. „Wenn die Karten auch nur halbwegs stimmen, müßten wir die Insel eigentlich bis morgen gefunden haben.“

Kanonendonner!

Zwei der drei spanischen Galeonen umsegelten die Insel und schossen systematisch auf alles, was sich bewegte. Immer wieder donnerten Steinschläge nieder, polterten größere Felsbrocken, die sich gelöst hatten. Morgen bei Tageslicht würde man die Insel Sala-y-Gomez vermutlich nicht wiedererkennen.

„Hoffentlich lassen die unsere Boote heil“, brummte Ed Carberry, während er sich vorsichtig um eine scharfkantige Felsennase herumschob.

„Diese Idioten scheinen die ganze Insel in Stücke schießen zu wollen“, sagte Matt Davies pessimistisch. „Verdammt noch mal, haben die denn gar keine Angst, ihre eigenen Leute zu treffen?“

 

„Wahrscheinlich wissen sie, daß ihre eigenen Leute hier auf der Nordseite am Strand bleiben, bis das Geballer aufhört. Ich denke …“

Ben Brighton kam nicht mehr dazu, den anderen zu erklären, was er dachte. Zufällig war sein Blick nach rechts über das verlassene Lager der Meuterer gewandert, jetzt ließ sein leiser Warnruf auch Hasard, Big Old Shane und Ferris Tucker die Köpfe wenden.

Ein Spanier raste über den freien Platz zwischen den Hütten.

Er stolperte, fing sich wieder und hetzte weiter, als sei der Teufel selber hinter ihm her. Sein Blick hing an einer Stelle auf halber Höhe des Hangs. Ganz offensichtlich plante er, sich in die Höhle hinter dem zerzausten Rankenvorhang zu retten – doch dieses Versteck hatten die Seewölfe schon für sich reserviert.

„Batuti schickt Spanier schlafen“, gab der riesige Gambia-Neger bekannt.

Dabei bückte er sich bereits, hob einen handlichen Stein auf, holte aus und zielte.

Der Stein wirbelte durch die Luft.

Präzise traf er den Kopf des Spaniers. Der Mann brach ohne einen Laut zusammen und legte sich schlafen.

„Rumms!“ sagte Batuti zufrieden. Ein paar von den anderen Männern kicherten vergnügt.

Zwischen ihnen und der Höhle lag nur noch der steile Hang, auf dem Gebüsch und Dornenranken zwischen verstreuten Felsblöcken wucherten. Im fahlen Mondlicht konnten sie genug sehen, um nicht zu stolpern oder allzuviel Lärm zu veranstalten. Hasard übernahm die Spitze, und Dan O’Flynn blieb zurück, um mit seinen scharfen Augen die Steinbarriere zu beobachten, die das Lager vom Strand trennte.

Immer noch dröhnte dumpf der Kanonendonner.

Der Seewolf begriff durchaus den Zweck dieser mörderischen Ballerei. Der Führer des spanischen Verbandes war offenbar entschlossen, das Unternehmen ohne größere Verluste durchzuziehen.

Die beiden Galeonen zwangen mit ihrem Beschuß die Meuterer, sich ins Innere der Insel zurückzuziehen, auf das Hochplateau. Mindestens drei Dutzend Spanier waren mit ihren Booten bereits in der Bucht jenseits der Felsenbarrieren gelandet. Sobald die Kanonade aufhörte, würden sie sich verteilen, ihre Opfer einkreisen, zusammentreiben und dann entweder gefangennehmen oder sofort massakrieren.

Die Meuterer hatten nicht die Spur einer Chance.

Sie kämpften mit dem Mut der Verzweiflung, kämpften weil sie gar keine andere Wahl hatten. Wenn sie sich ergaben, wartete der Galgen auf sie. Ein paar mochten auf die naheliegende Idee verfallen, sich in der Höhle zu verbergen, aber auch dort würde eine böse Überraschung auf sie warten.

Hasard blieb neben dem Loch im Felsen stehen, während seine Männer durch den Rankenvorhang schlüpften. Ben Brighton stützte die zitternde, zu Tode erschöpfte Luana. Dan O’Flynn bildete den Schluß. Nach einem letzten Blick über die Ansammlung primitiver Hütten zog sich auch der Seewolf in die Dunkelheit der Grotte zurück.

Sorgfältig ordnete er den Rankenvorhang wieder so, daß er das Loch im Felsen völlig verdeckte.

Dabei spähte er nach draußen, zu der Steinbarriere hinüber – und lächelte matt, als er die beiden Gestalten bemerkte, die dort drüben fast die Felsen hinunterrollten.

„Wir erhalten Besuch“, sagte er trocken. „Verteilt euch ein bißchen an den Wänden, damit die Kerle uns nicht auf den ersten Blick entdekken.“

Die Männer gehorchten.

Viel war in dem schwachen Lichtschimmer, der durch die Ranken fiel, ohnehin nicht zu sehen. Immer noch rollte Kanonendonner, aber jetzt klang er fern und gedämpft. Draußen polterten Steine und hörten sie das Knacken von Zweigen, als die beiden fliehenden Spanier durch das Gebüsch brachen. Ihr Keuchen war fast noch lauter als das Geräusch ihrer Schritte. Helles Entsetzen hielt sie in den Klauen. Sie fegten ohne jede Vorsicht die herabhängenden Ranken zur Seite.

Der erste Mann stolperte einfach in die Höhle und ließ sich völlig ausgepumpt auf den Bauch fallen.

Der zweite fiel ebenfalls, aber nicht freiwillig, sondern unter der Wirkung des Nackenschlags, mit dem ihn Ferris Tucker bediente.

„Krrrch“, gurgelte der Bursche.

Sein Kumpan hob den Kopf und riß entsetzt die Augen auf, als eine Faust vom Format einer Ankerklüse auf ihn zuflog.

Seine Zähne klickten aufeinander, die aufgerissenen Augen verdrehten sich. Der Mann klatschte auf den Bauch zurück, und Pete Ballie blies sich grinsend über die Knöchel.

„Raus mit ihnen“, sagte Hasard knapp.

Big Old Shane war es, der die beiden Kerle am Kragen packte, aus der Höhle schleifte und den Hang hinunterbeförderte.

Dort fielen sie einem ihrer Kumpane vor die Füße. Der Bursche stieß einen schrillen Schrei aus, warf sich herum und setzte seine Flucht in eine andere Richtung fort.

Big Old Shane kroch in die Höhle zurück und brachte hinter sich den Rankenvorhang in Ordnung.

„So“, brummte er. „Und nun? Wollen wir in diesem Mauseloch bleiben, bis wir schwarz werden?“

Hasard schüttelte den Kopf. „Bestimmt nicht! Wir müssen zur ‚Isabella‘ zurück. Und zwar schleunigst, bevor Old O‘Flynn und die anderen auf den Gedanken verfallen, irgend etwas auf eigene Faust zu unternehmen.“

„Also zu den Booten“, sagte Carberry. „Das hätten wir auch gleich tun können, ohne uns erst hier zu verkriechen.“

Der Seewolf grinste. „Hätten wir nicht! Weil wir nämlich den Teufel tun werden und quer über die Insel marschieren. Die Spanier sollen sich getrost in aller Ruhe gegenseitig die Köpfe einschlagen. Wir benutzen die Höhlen. Von dem verdammten Labyrinth ist höchstens ein kleiner Teil eingestürzt. Wir werden versuchen, einen anderen Ausgang zu finden, einen, der so nah wie möglich an der Stelle liegt, wo wir die Boote zurückgelassen haben.“

„Hm“, brummte Carberry.

Man sah ihm an, wie wenig ihm der Gedanke behagte, in dem Gewirr der unterirdischen Gänge herumkriechen zu müssen. Aber er kam nicht dazu, seine Bedenken in Worte zu fassen. Denn im selben Augenblick polterten draußen in der Senke schon wieder eilige Schritte.

Diesmal war es ein ganzer Trupp von Meuterern, der in panischem Entsetzen durch das Lager floh und der Höhle zustrebte.

Es waren fünf oder sechs Männer. Sie keuchten, bewegten sich unsicher und stolperten immer wieder. Einer von ihnen wimmerte vor sich hin, er war offenbar verletzt. Hasard schob sich zum Höhleneingang hinüber und spähte vorsichtig durch eine Lücke im Rankenvorhang.

Fast taten ihm die Kerle leid, die sich da keuchend und mit schweißbedeckten Gesichtern wie gejagte Tiere den Hang heraufkämpften.

Hinter ihnen, jenseits der Felsenbarriere, peitschten jetzt Musketenschüsse. Nur noch auf der anderen Seite der Insel krachten in Abständen die schweren Geschütze der Galeonen. Der Führer des Verbands hatte offenbar zum Halali geblasen. Nach allem, was bereits über Carlos Ingarra und seine Leute hereingebrochen war, konnte es nicht mehr schwer sein, den entnervten Rest zusammenzutreiben.

Der erste Spanier hatte es so eilig, in der Höhle unterzutauchen, daß er sich in dem Rankenvorhang verhedderte.

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