Seewölfe - Piraten der Weltmeere 97

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 97
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Impressum

© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-421-0

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Spanische Kommandos hallten über die Bucht.

Dazwischen ertönte eine kreischende, krächzende Stimme: „Ihr Rübenschweine! Ihr Affenärsche! Der Teufel soll euch lotweise holen!“

Die Spanier auf der „Maria Mercedes“ verstanden das Gekrächze nicht. Und Philip Hasard Killigrew, den sie den Seewolf nannten, konnte im Augenblick nicht einmal den Papagei Sir John komisch finden. Es gab überhaupt nichts, was Hasard in diesen Sekunden komisch gefunden hätte. Hilflos stand er am Strand der geheimnisvollen „Insel der Steinernen Riesen“ und mußte in ohnmächtiger Wut mit ansehen, wie am Ausgang der Bucht das letzte Boot an Bord der „Maria Mercedes“ gehievt wurde.

Ein Boot, in dem fünf bewußtlose Männer lagen.

Männer des Seewolfs!

Den kleinen Schiffsjungen Bill hatte es erwischt, Dan O’Flynn, Ben Brighton, Matt Davies und Ed Carberry, den Profos. Vergeblich hatten die Seewölfe versucht, die schöne polynesische Häuptlingstochter Luana zu retten. Vor ihren Augen hatten die Spanier das Mädchen entführt und auch noch die Männer verschleppt, die versucht hatten, eins der Boote zu erobern, um die Entführer noch einzuholen. Nur Batuti, der riesenhafte Schwarze aus Gambia, war bewußtlos am Strand liegengeblieben. Jetzt stand er breitbeinig da, fletschte sein schneeweißes Raubtiergebiß und schüttelte die Fäuste.

„Verfluchtes spanisches Hunde!“ schrie er in seinem holprigen Englisch. „Batuti fressen alle Dons auf, wenn Bill oder kleines O’Flynn ein Haar krümmen! Batuti machen Dons Kopf kürzer, machen Hackfleisch aus Dons, spanisches Picadillo! Hört ihr’s, verfluchte Hunde? Picadillo! Picadillo!“

Seine Stimme trug weit über das Wasser, dazu rollte er furchterregend mit den Augen. Die Spanier konnte das nicht erschüttern. Sie waren zu weit entfernt, um den hünenhaften Neger genauer zu sehen. Sie wußten nur zu gut, daß die Seewölfe kein Boot zur Verfügung hatten und die Insel überqueren mußten, um zu ihrer „Isabella“ zu gelangen.

Carlos Ingarra, der spanische Meuterer, stand hoch aufgerichtet an der Schmuckbalustrade des Achterkastells.

Vor kurzem noch war er nichts weiter als ein ziemlich schlechter Steuermann gewesen. Dann hatten er und sein jüngerer Bruder Diego die Mannschaft der „Maria Mercedes“ aufgehetzt, das Kommando an sich gerissen, den Kapitän und zwei Offiziere ausgesetzt und sich schließlich auf Sala-y-Gomez eingenistet, dem einzigen Stückchen Land in der Umgebung der „Insel der Steinernen Riesen“.

Die Eingeborenen von Sala-y-Gomez waren bis auf wenige Ausnahmen niedergemetzelt worden. Immer wieder überfielen die Spanier die Nachbarinsel, massakrierten Männer, verschleppten Frauen und Mädchen und suchten vergeblich nach dem geheimnisvollen Schatz, der dort versteckt sein sollte.

Dieses Gold vor allem hatte Carlos Ingarra gelockt. Bis heute! Aber jetzt war sein Bruder Diego erstochen worden – von dem Mädchen Luana, das er zu vergewaltigen versucht hatte. Luana war mit einem Auslegerboot von der Insel der Meuterer geflohen und von der „Isabella“ aufgenommen worden, nachdem Hasard sie vor einem Menschenhai gerettet hatte. Und Carlos Ingarra, der selbsternannte Capitan, kannte keinen anderen Gedanken mehr als seine Rache.

Um Luana wieder in seine Gewalt zu bringen, war Ingarra mit seinen Leuten auf der „Insel der Steinernen Riesen“ erschienen und über das Dorf der Polynesier hergefallen. Und jetzt hatte er nicht nur Luana, sondern auch noch fünf von den verhaßten Engländern, die ihm beinahe einen Strich durch die Rechnung gemacht hätten.

Carlos Ingarras schmales, knochiges Raubvogelgesicht war eine Maske des Triumphs, als er über das Wasser der Bucht zum Strand starrte.

„An die Brassen und Fallen!“ peitschte seine Stimme. „Hol auf Anker! Hißt Fock und Besan!“

Hasard verstand die Kommandos, da er fließend Spanisch sprach.

Und vor allem sah er die Wirkung. Die Spanier eilten an ihre Plätze an Brassen und Fallen. Knatternd entfaltete sich das Segeltuch. Die „Maria Mercedes“ ging ankerauf, auch die restlichen Segel wurden gesetzt, und unter Vollzeug rauschte die Galeone aus der Bucht aufs offene Meer hinaus.

Philip Hasard Killigrew knirschte mit den Zähnen.

Langsam wandte er sich um und sah in die verzerrten Gesichter seiner Männer. Vorhin, als sie hier mit den Spaniern kämpften, hatte der Stückmeister der „Maria Mercedes“ ein paar Drehbassenkugeln in die steilen, brüchigen Klippen gesetzt, so daß ein mörderischer Steinschlag über die Seewölfe niederging und sie für entscheidende Sekunden außer Gefecht setzte.

Fast alle hatten sie etwas abbekommen. Sam Roskill blutete an der Schulter, wo ihn ein Felsen gestreift hatte. Ferris Tucker, Stenmark und Gary Andrews betasteten prüfend ihre Knochen. Smoky rieb sich den Kopf – und Hasard dachte mit Schrecken an das letztemal, als der Decksälteste der „Isabella“ eins auf den Schädel gekriegt und zeitweise das Gedächtnis verloren hatte.

„Smoky!“ sagte er alarmiert. „Weißt du, wo du hier bist und was eben passiert ist?“

Der braunhaarige, bullige Mann warf ihm einen wilden Blick zu.

„Aye, aye, Sir!“ knurrte er. „Glaubst du vielleicht, meine Rübe sei aus Glas, Sir? Bloß, weil ich damals diesen verdammten tempo – tempo …“

„Temporärer Gedächtnisschwund heißt das“, meldete sich der Kutscher mit matter Stimme.

Hasard wandte sich um. Der Kutscher stand neben Big Old Shane. Er fühlte sich offenbar etwas taumelig. Und er stützte sich auf ein Ding, das ihm bekannt erschien.

„Himmel, Arsch und Kabelgarn!“ entfuhr es dem Seewolf. „Kannst du mir verraten, was, in drei Teufels Namen, du da mit dir herumschleppst?“

Der Kutscher schluckte.

Er starrte auf das Holzding mit den Lederriemen, auf den Seewolf und wieder auf das Ding, als werde ihm jetzt erst ganz klar, welche Art von Waffe er da benutzt hatte.

„Das?“ murmelte er. „Hm, ja, das ist Old O’Flynns Holzbein. Er hatte es abgeschnallt, um es den Eingeborenen vorzuführen. Es lag gerade so griffbereit herum, als die Spanier angriffen. Ich – ich hab mir einfach das nächstbeste Ding gepackt, mit denen ich den Dons eins verplätten konnte.“

„Ach, du liebe Zeit“, sagte Hasard ergriffen und dachte an den Tanz, den der alte O’Flynn aufgeführt hatte, weil er sich ohne Holzbein nicht an der Verfolgungsjagd hatte beteiligen können.

„Jedenfalls hat er den Spaniern das Ding ganz schön um die Ohren gehauen“, meldete sich Shane, der ehemalige Waffenschmied von Arwenack. „Old O’Flynn hätte es nicht besser gekonnt. Ich weiß, was ich sage.“

Das wußte er wirklich. Die O’Flynns aus Falmouth und die Killigrews von Arwenack waren seit Menschengedenken zusammen zur See gefahren. Zuerst Old O’Flynn unter dem Mann, den Hasard für seinen Vater gehalten hatte: Sir John Killigrew, Generalkapitän von Cornwall.

Wes Geistes Kind dieser Sir John war, ließ sich leicht an der Tatsache ablesen, daß man einen krächzenden, streitsüchtigen, stets krakeelenden Papagei nach ihm benannt hatte. Dan O’Flynn war von Anfang an bei Hasard gewesen, hatte schon an jener legendären Schlacht vor der „Bloody Mary“ in Plymouth teilgenommen, in deren Verlauf der Kriegsname „Seewolf“ für den großen schwarzhaarigen Mann mit den eisblauen Augen geprägt worden war.

Und jetzt fuhr auch Dans Vater unter dem Seewolf. Genau wie Big Old Shane, der Schmied und Waffenmeister von Arwenack, der ganze Sippen von wilden, salzwassergetränkten Killigrews und ebenso wilden O’Flynns hatte aufwachsen sehen.

„Na ja“, brummte Hasard. Er war ohnehin der Ansicht, daß ein alter Mann mit einem Holzbein nichts in einem heißen Kampf verloren hatte.

Und der Kutscher strahlte, sichtlich zufrieden, weil er endlich mal in vorderster Front dabeigewesen war, auch wenn er sicher lieber mit seiner eisernen Bratpfanne um sich geschlagen hätte statt mit Old O’Flynns Holzbein.

Der Seewolf atmete tief durch und wandte sich um.

Inzwischen waren auch die polynesischen Krieger am Strand aufgetaucht: braunhäutige, schweigsame Gestalten, die mit haßerfüllten Augen der „Maria Mercedes“ nachblickten. Der alte Jack Henry schob die Pistole in den Gürtel zurück. Auch in seinen Augen brannte der Haß.

Vor mehr als zehn Jahren hatte ein Sturm ihn und Bills Vater als Schiffbrüchige hierher verschlagen. Während Bills Vater in die Gefangenschaft spanischer Piraten geraten und später nach England zurückgekehrt war, war Jack Henry hiergeblieben. Er betrachtete die Polynesier als sein Volk, die „Insel der Steinernen Riesen“ als seine Heimat, und genau wie die Eingeborenen haßte er die Spanier.

Als er zu Hasard trat, lagen seine Lippen hart aufeinander.

 

„Zu spät?“ fragte er leise.

Der Seewolf nickte. „Zu spät.“

„Ihr habt den Schatz gefunden?“

Wieder ein knappes Nicken. Ja, sie hatten den Schatz gefunden, jene Kiste voller Gold, Perlen und Edelsteine, die Bills Vater vor langen Jahren hier vergraben hatte. Aber es gab niemanden unter den Seewölfen, dem das Gold jetzt noch wichtig erschien.

„Wir hatten gerade die Kiste an Bord der ‚Isabella‘ gebracht, als wir den Kampflärm hörten“, sagte Hasard knapp. „Leider konnten wir nicht mehr verhindern, daß die Kerle mit ihren Booten ablegten. Sie haben Luana. Und sie haben fünf meiner Männer.“

„Und jetzt?“ fragte Jack Henry leise.

Philip Hasard Killigrew atmete tief durch. Sein kantiges, wettergebräuntes Gesicht wirkte wie aus Stein gehauen.

„Wir gehen an Bord der ‚Isabella‘ und nehmen die Verfolgung auf“, sagte er hart. „Und ich schwöre Ihnen, daß wir nicht ruhen werden, bis wir unsere Kameraden und das Mädchen befreit haben.“

Ben Brighton war der erste, der wieder wach wurde.

Sein Bewußtsein kämpfte sich mühsam zurück an die Oberfläche. Er fühlte harte Schiffsplanken unter dem Körper, und als er die Lider hob, blendete ihn das Leuchten der Segel in der Sonne. Sein Kopf schmerzte, sein Magen schien jede Bewegung des Schiffes in entgegengesetzter Richtung zu vollziehen. Nur langsam kehrte die Erinnerung an die Ereignisse der letzten Stunde zurück.

Der Überfall der Spanier!

Hasard und eine Gruppe von Seewölfen waren unterwegs gewesen, um Bills Schatz zu heben, aber sie waren rechtzeitig zurückgekehrt und hatten noch in den Kampf eingegriffen. Ben entsann sich nur undeutlich an die letzten Minuten, bevor es dunkel um ihn geworden war.

Er und Matt Davies waren Bill nachgelaufen, der im Alleingang versuchte, Luana zu retten. Abseits vom eigentlichen Kampfplatz hatten sie sich mit ein paar Spanier herumgeschlagen. Dann war da plötzlich Kanonendonner gewesen, die Hauptstreitmacht der Dons fiel ihnen in den Rükken, und Ben wußte nur noch, daß er einen Schlag über den Kopf erhalten hatte.

Und jetzt?

Ein vorsichtiger Blick zeigte ihm, daß er sich an Bord einer Galeone befand, der „Maria Mercedes“ vermutlich. Er lag gefesselt auf der Kuhl. Als er den Kopf wandte, sah er gerade noch, wie zwei Spanier die zitternde Luana über den Niedergang zum Achterkastell zerrten, wahrscheinlich, um sie in die Kammer des Kapitäns zu bringen.

Dreckskerle, dachte Ben Brighton erbittert.

Sein Genick schmerzte, als er den Kopf noch weiter drehte. Aber die Mühe lohnte sich. Vier gefesselte, ohnmächtige Seewölfe waren zwar nicht gerade ein erhebender Anblick, doch nach Bens Meinung hätte es erheblich schlimmer sein können.

Sie lebten noch, das war erst einmal die Hauptsache.

Zumindest vorerst würden sie wohl auch am Leben bleiben. Denn wenn die Spanier sie umbringen wollten, hätten sie sich ja nicht erst der Mühe zu unterziehen brauchen, ihre Gefangenen mit dem Boot zur „Maria Mercedes“ zu pullen, an Bord zu hieven und zu fesseln.

Bis zu diesem Punkt war der Bootsmann und erste Offizier der „Isabella“ mit seinen Überlegungen gelangt, als eine krächzende Stimme ihn zusammenzucken ließ.

„Ihr Affenärsche! Ihr Rübenschweine! Ihr karierten Decksaffen, ihr schwanzlosen Steppensäue, ihr buckligen Kakerlaken, ihr verlausten Nachkommen einer triefäugigen Ziege, ihr …“

Ben Brighton grinste matt.

Sir John, der Papagei, hatte sich auf eine Webleine des Steuerbord-Haupt-wants zurückgezogen und schimpfte aus sicherer Entfernung. Carberrys Lieblingssprüche hatten es ihm besonders angetan. Ein paar von den Spaniern, die ein bißchen Englisch verstanden, kriegten runde Augen.

Der Profos begann sich zu rühren.

Er ächzte, blinzelte und murmelte etwas vor sich hin. Wenn Ben es richtig verstand, war es das Versprechen, dem frechen Kerl, der da fluchte, die Haut in Streifen von seinem Affenarsch zu ziehen.

Der Bootsmann grinste.

„Das schaffst du nicht“, sagte er leise. „Sir John sitzt in den Wanten, und du bist gefesselt.“

„Was?“ murmelte Carberry. „Wie?“

„Du bist gefesselt, Ed. Sind deine Knochen heil?“

„Meine sind jedenfalls heil“, meldete sich Dan O’Flynn. „Himmel Arsch, tut mir der Kopf weh.“

„Ich dachte, du seist ein O’Flynn. Von den O’Flynns mit den extraharten Schädeln.“

Es war Matt Davies, der das hervorstieß, mühsam und etwas zischend, da seine Lippen aufgeplatzt und verschwollen waren.

Auch Bill regte sich wieder. Auf seiner Stirn schillerte eine taubeneigroße Beule in allen Regenbogenfarben. Ein kleiner Kratzer über der linken Augenbraue hatte genug Blut produziert, um sein Gesicht geradezu furchterregend aussehen zu lassen.

„Wo – wo bin ich?“ flüsterte er. „Was …“

„Du bist auf der ‚Maria Mercedes‘, Junge. Zusammen mit Dan, Matt, dem Profos und mir.“

Bill hob mühsam die Lider und sah Ben Brighton an. „Aber – aber wieso?“

„Wenn du jetzt sagst, du kannst dich nicht erinnern, zieh ich dir die Haut vom Hintern!“ drohte der Profos.

„Doch. Ich kann mich erinnern. Ich habe ganz bestimmt keinen Tempodingsda …“

Tempodingsda, das war die Kurzform, die die Seewölfe für Smokys „temporären Gedächtnisschwund“ geprägt hatten. Und der „Tempodingsda“ hatte sich zum Alptraum entwickelt, so wie ihnen der Decksälteste damals mit seiner ewigen Fragerei auf die Nerven gefallen war.

Dan O’Flynn kicherte vergnügt. Ed Carberrys Lachen ließ die Decksplanken dröhnen, und prompt wurden die Spanier auf dem Achterkastell aufmerksam.

Carlos Ingarra stieg langsam den Niedergang hinunter.

Immerhin, dachte Ben Brighton, war er schon mal nicht in seiner Kammer, um Luana etwas anzutun. Das knochige Gesicht des selbsternannten Capitans verzerrte sich zur höhnischen Fratze. Er blieb stehen, spuckte aus und stieß Matt Davies, der ihm am nächsten lag, den Stiefel zwischen die Rippen.

„Bastardo!“ knirschte er. „Cobarde …“

„Selber Bastardo!“ kreischte Sir John aus den Wanten. Was allerdings nicht auf seinem Mist gewachsen war. Er ahmte lediglich die Art nach, wie Ed Carberry Flüche zu kontern pflegte.

Verblüfft äugte Ingarra zu dem bunten Vogel hinauf. Der Leidtragende war Matt Davies. Ihm trat der Spanier, sozusagen probeweise, noch einmal in die Rippen.

„Bastardo!“ kreischte Sir John unbeirrt. „Cobarde! Bastardo! Halt den Rand, du dreimal in Walfischkotze gebadetes Bugsprietgespenst!“

Das letzte, dachte Ben Brighton, konnte der Vogel unmöglich von Ed Carberry gehört haben. Auf der „Isabella“ mußte es ein unentdecktes Genie geben, das nur still vor sich hin fluchte. Matt Davies kicherte hingerissen, was ihm einen weiteren, diesmal brettharten Tritt einbrachte.

„Halt deine stinkenden Füße bei dir, du Sohn einer räudigen Kanalratte“, knurrte der Mann mit der Hakenprothese.

Carlos Ingarra verstand nicht genug Englisch, um die Feinheiten der Aufforderung zu begreifen.

Seine funkelnden, zu Schlitzen zusammengekniffenen Augen glitten über die Gefangenen. Dann hob er die Hand, winkte seinen Leuten und stieß ein paar knappe Befehle hervor.

„Ab in die Vorpiek!“ übersetzte Ben Brighton, der die spanische Sprache genauso perfekt beherrschte wie der Seewolf.

„Dreckskerle“, flüsterte Dan. „He, Profos, wie wär’s, wenn du ihnen die Haut in Streifen …“

Weiter gelangte er nicht.

Denn im selben Augenblick begann im Großmars eine aufgeregte Stimme zu rufen, und sogar Dans Spanischkenntnisse reichten aus, um die Worte zu verstehen.

Er grinste strahlend.

„Mastspitzen achteraus“, flüsterte er. „Das muß die ‚Isabella‘ sein. Gleich kriegen die Spanier Zunder!“

„Abwarten“, sagte Ben Brighton nachdenklich.

„Ho!“ grollte Carberry. „Was heißt hier abwarten, was, wie? Glaubst du vielleicht, dieser nachgemachte Pißpott-Admiral kann mit seinem verlotterten Waschzuber die alte ‚Isabella‘ abhängen?“

Bens Grinsen wirkte ziemlich freudlos. Er sah den Profos an und zuckte mit den Schultern.

„Das nicht, Ed“, sagte er trocken. „Aber wenn du deine Klüsen aufreißt und dir den nachgemachten Pißpott-Admiral etwas genauer anschaust, wirst du schon kapieren, was ich meine.“

Carberry schluckte.

Er vergaß das Fluchen. Denn ein Blick in Carlos Ingarras Richtung ließ ihn sofort begreifen, welche Teufelei der selbsternannte Kapitän der „Maria Mercedes“ ausheckte.

Ingarras Gesten sprachen Bände.

Das böse Lächeln auf seinem knochigen Gesicht paßte dazu. Nur für ein paar Sekunden hatte ihn Schrekken gepackt, als er sah, wie schnell die „Isabella“ aufsegelte – jetzt sprühten seine dunklen Augen in einem Funkeln teuflischen Triumphs.

Er hatte fünf Gefangene an Bord.

Fünf Geiseln, deren Leben er als Faustpfand benutzen konnte.

Carlos Ingarra starrte der „Isabella“ entgegen, und seine Mundwinkel zogen sich verächtlich nach unten.

„Mich laust der Affe!“ flüsterte der sehnige Gary Andrews im Großmars.

Und dann schrie er, schrie mit einer Stimme, die vor jäher Erregung fast überkippte: „Deck ho! Die Mistböcke von verlausten Dons haben ’ne Schweinerei vor! Die binden jemanden an die achtere Drehbasse!“

Hasard hob mit einem Ruck den Kopf.

Eine halbe Sekunde starrte er zum Ausguck hoch, als traue er seinen Ohren nicht, dann flankte er über die Schmuckbalustrade des Achterkastells. Die Planken dröhnten, als er aufsetzte. Mit wenigen Schritten erreichte er den Großmast, enterte an den Webleinen der Wanten hoch und schwang sich über die Segeltuchverkleidung der Plattform.

„Verdammt!“ flüsterte Gary. „Diese Teufel! Diese Schneckenfresser! Diese dreckigen, gemeinen …“

Hasard hörte nicht zu.

Er hatte das Spektiv auseinandergezogen, setzte es ans Auge, und was er sah, ließ ihn unter der Sonnenbräune weiß werden.

Fast in Kiellinie vor ihnen segelte die „Maria Mercedes“ mit halbem Wind über Backbordbug nach Norden.

Die Rohre der beiden achteren Drehbassen zeigten auf die „Isabella“,

Und vor diesen Rohren …

Hasard hielt den Atem an.

Deutlich konnte er durch das Spektiv die schlanke Gestalt erkennen, die zwei Spanier vor das Rohr der Backbord-Drehbasse gezerrt hatten. Blut verschmierte das Gesicht unter dem schwarzen Haar, aber es war unverkennbar das Gesicht von Bill, dem Schiffsjungen.

Seine Hände waren auf den Rükken gefesselt. Jetzt wurden sie mit einem eisernen Rohr verbunden, und die Spanier schlangen hastig ein zweites Tau um Bills Leib, das sie mit den Lafetten des Geschützes verbanden. Auch die Füße hatten sie dem Jungen verschnürt.

Er konnte sich nicht regen, wurde unverrückbar gegen die Mündung des eisernen Rohrs gepreßt, und wenn jetzt jemand die Drehbasse abfeuerte, würde die Kugel den Jungen zerreißen.

Hasards Zähne knirschten aufeinander.

Er schwenkte das Spektiv und starrte zu der Drehbasse an der Steuerbordseite hinüber. Dort mühten sich drei Spanier damit ab, den gefesselten Profos zu bändigen.

Hasard sah gerade noch, wie einer der Kerle die Faust gegen Ed Carberrys Rammkinn schmetterte. Selbst für den eisernen Profos war das zuviel. Seine Muskeln erschlafften, und die Spanier hatten keine Mühe mehr, ihn ebenfalls vor das Rohr des Geschützes zu binden.

Die „Maria Mercedes“ luvte an.

Die Rahen wurden dichter geholt, die Galeone zeigte der „Isabella“ die Steuerbordseite. Der Seewolf wußte, daß sie es nur aus einem einzigen Grund tat: damit ihre Gegner einen Blick auf die Drehbassen am Bug werfen konnten.

Auch dort hingen zwei Männer hilflos vor den schwenkbaren Geschützrohren.

Ben Brighton und Dan O’Flynn.

Einzig Matt Davies war verschont geblieben. Oder nein: dieser Teufel von Capitan dachte natürlich nicht daran, ihn zu schonen.

Matt Davies stand gefesselt am Steuerbord-Schanzkleid der Kuhl. Der Lauf einer schußbereiten Muskete preßte sich in seinen Nacken. Er würde zweifellos als erster sterben, wenn die Seewölfe nicht taten, was Carlos Ingarra von ihnen erwartete.

Was er erwartete, lag klar auf der Hand.

Hasard preßte die Lippen zusammen. Sein Gesicht glich einer Maske aus Stein. Aber er zögerte keine Sekunde und gab seine Befehle noch vom Großmars aus. Er dachte nicht daran, das Leben auch nur eines einzigen von den fünf Männern dort drüben aufs Spiel zu setzen.

„Klar zum Halsen!“ peitschte seine Stimme. „An die Brassen! Auf das Ruder!“

 

In einem blitzschnellen Manöver fiel die „Isabella“ ab und ging mit dem Heck durch den Wind.

Auch die „Maria Mercedes“ fiel wieder ab und rauschte mit halbem Wind nordwärts. Noch während Hasard abenterte, konnte er sehen, wie auf der Galeone der Lauf der Muskete von Matt Davies’ Genick zurückgezogen wurde. Der Meuterer-Kapitän hatte erreicht, was er wollte. Er würde seine Gefangenen vorerst am Leben lassen.

Vorerst!

Bestimmt nicht auf die Dauer. Was die bedauernswerte Luana von Carlos Ingarra zu erwarten hatte, wagte sich Hasard gar nicht erst auszumalen.

Schweiß stand auf seiner Stirn, als er auf Ferris Tucker, Big Old Shane und eine Gruppe anderer Männer zutrat.

„Dons Teufel von Hölle!“ zischte Batuti mit rollenden Augen. „Batuti aus Dons Picadillo machen, wenn erwischen.“

„Wenn!“ sagte der Seewolf hart.

„Ja, wenn“, knirschte Ferris Tukker. „Und was tun wir jetzt? Wir können nicht die Hände in den Schoß legen und warten, bis diese Bastarde an ihrer eigenen Bosheit ersticken.“

„Das werden wir auch nicht“, sagte Hasard durch die Zähne.

Es klang wie ein Schwur, obwohl auch der Seewolf im Augenblick nicht wußte, wie sie aus dieser vertrackten Situation herauskommen sollten.

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