Vampire Island - Die dunkle Seite des Mondes (Band 1)

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Kapitel 3

Vor mehr als zwei Stunden hatte Gordon das neue Mädchen nach Hause geschickt. Er war mehr als zufrieden mit seiner Wahl. Sie war sexy, beweglich und ehrgeizig. Genau den Typ Frau, den sie im Club brauchten. Zora saß neben ihm, nippte an ihrem Drink, einem Moet Golden Glamour, und stellte das Glas auf den niedrigen Tisch vor ihnen ab. »Hübsches Ding, Gordon«, stellte sie fest, zog aus einem kleinen Täschchen eine Puderdose und klappte sie auf. »Sie steht auf dich.«

»Wer tut das nicht?« Er grinste und wich ihrer Hand aus. Zora tupfte sich mit der Puderquaste über die Nase und Wangen und klappte das Döschen wieder ein. Sie blickte ihn an. Zora war eine wunderschöne Frau. Sie vereinte die Wildheit einer Sinti mit dem Glamour einer Königin. Doch Zora war eben Zora. Und leider hatte es zwischen ihnen nie gefunkt, obwohl er wusste, dass sie ihn begehrte. Sie begleitete ihn schon sehr lange, war ihm eine unersetzliche Hilfe im Club. Mehr als einmal hatten sie es miteinander versucht, doch Gordon konnte keine ewige Beziehung eingehen mit einer Vampirin, wenn er nichts fühlte. Er wollte eine Beziehung, wie seine Eltern sie hatten. Die prickelte, die Spaß machte, in der man sich aufeinander verlassen konnte. Man konnte sich auf Zora verlassen. Aber es fehlte das gewisse Etwas.

»Ich meine es ernst, Gordon. Das kostet dich nochmal den Hals. Sei nicht immer so freundlich zu ihnen. Sie machen sich Hoffnung. Du hörst nicht, was ich höre, wenn sie über dich reden.«

»Sie wollen sowieso nur das Eine von mir.«

»Dein Geld.«

Er tat entrüstet, hob die Hände. »Meinen Körper natürlich.«

Zora schmunzelte, schüttelte den Kopf, nahm ihren Drink und stand auf. »Du bist ein Kind, Gordon.« Sie strich ihm über den Kopf und gab einen sanften Kuss auf sein Haar. »Pass auf dich auf.«

»Ja, Tante Zora«, murmelte er.

Die Mädchen waren Menschen. Und sie waren verboten. Er durfte von ihrem Blut trinken, sie aber nicht töten. Er durfte mit ihnen schlafen, aber sich nicht verlieben und eine Verbindung eingehen. Er durfte sie wandeln, aber nicht für den Zweck, zusammenzubleiben. Abgesehen davon wollte Gordon das auch nicht. In den letzten tausend Jahren hatte er sich noch nicht einmal für einen Menschen interessiert. Er lebte unter ihnen, respektierte sie, aber noch kein weiblicher Mensch hatte sein Interesse geweckt, sein Blut in Wallung gebracht. Nein. Die Mädchen durften ihn gerne anhimmeln. Wenn er ehrlich war, mochte er es. Er mochte seine Mädchen.

Jemand setzte sich neben ihn und er musste nicht hinsehen, um zu wissen, wer es war. Shane. Sein Bruder und Mitinhaber des Clubs. Sein völlig chaotischer und nicht verlässlicher Bruder. Es war kaum zu glauben, dass sie verwandt waren. Wo Gordon stets zuverlässig, ehrgeizig und integer war, hatte Shane nur Flausen im Kopf. Dass Shane fünfhundert Jahre jünger war, war keine Entschuldigung für sein unvernünftiges Verhalten.

»Nun, Shane? Lässt du dich auch mal wieder hier blicken?«

»Du bist doch da. Reicht doch, oder?«, lautete seine schnodderige Antwort. Gordon blickte ihn nun an. Shane hatte sich in der Ledercouch zurückgelehnt, die Beine von sich gestreckt und beobachtete die Menge, die unten im Club tanzte. Gordon schmunzelte. »Ja, ich bin da. Du solltest mit dem Zeug aufhören.« Er zeigte auf Shanes Augen, die weit geöffnet waren. Die Pupillen waren winzig klein.

Mit den Händen trommelte Shane auf die Sitzfläche der Couch. »Warum? Wir sind unsterblich.«

Gordon schüttelte lächelnd den Kopf. Er würde sich nicht ändern. Im Gegensatz zu ihm sah Shane eher aus wie ein Beachboy und passte auch perfekt nach Ibiza. Blond, blaue Augen, groß und sportlich. Seine Haare trug er kurz. Gordon wusste, dass er jede Nacht eine andere vernaschte. Im wahrsten Sinne des Wortes. Blutsaugen war eine sehr erotische Angelegenheit. Für den Vampir wie auch für den Menschen, der sich für gewöhnlich nicht daran erinnern konnte. Die kleine Wunde am Hals wurde mit Vampirblut versiegelt und war danach nicht mehr sichtbar.

Seine Gedanken um seinen Bruder wurden durch das Vibrieren seines Handys unterbrochen. Er zog das Handy aus der Hose und sah die Nummer seines Vaters auf dem Display. Was wollte sein Vater von ihm? In den letzten Jahren hatte er ihn vielleicht zehnmal auf dem Handy angerufen. Wenn es hochkam.

»Vater?«

»Wir haben ein Problem.« Victor klang gehetzt.

Gordon setzte sich angespannt auf. »Was ist passiert?«

»Der Mond hat sich blutrot verfärbt.«

Er hätte mit allem gerechnet. Mit allem … nur nicht damit.

Kapitel 4

Patriz kniete sich in den Sand, blickte auf die junge Frau hinab, die sich mit blutleerem Körper vom Untergrund abhob, fast wie eine Schaufensterpuppe. Sie trug eine abgewetzte Jeans-Shorts, das Top war über ihren Bauchnabel hochgerutscht. Auf ihrem Mund war ein sanftes Lächeln übrig geblieben, die Augen hielt sie geschlossen. Wenn Patriz es nicht besser gewusst hätte, hätte er vermutet, bei einem bizarren Fotoshooting zu sein. Die Absperrbänder, Polizeibeamte und Spurensicherung holten ihn allerdings in die Wirklichkeit zurück.

»Señor el comisario Quaz.« Leicht genervt drehte sich Patriz um, rückte seine dicke Hornbrille zurecht und strich sich durch die schlecht geschnittenen Haare.

»Wer zum Teufel hat Sie durchgelassen?« Camila Montago watete durch den tiefen Sand in seine Richtung. Ihre hochhackigen Sandalen trug sie zwischen den Fingern und sie versuchte, auf dem unebenen Boden ihr Gleichgewicht zu halten. Mit einem breiten Lächeln kam sie auf ihn zu.

»Begrüßt man so eine alte Freundin, el comisario?«

Hinter der Absperrung stand ihr Fotograf, Patriz wusste nicht mal mehr, wie er hieß, und schoss ein Foto nach dem anderen.

»Ich wüsste nicht, dass …«

»Aber, aber. Ich will nichts hören. Was ist hier passiert?« Neugierig versuchte sie, hinter ihn zu sehen, doch Patriz schob sie zurück in Richtung Absperrung. »Sie haben hier nichts verloren. Dies ist ein Tatort.« Camila machte große Augen. Natürlich hatte sie wenigstens etwas von der Frauenleiche sehen können. »Ist sie ertrunken?«, fragte sie.

»Und wenn?«

»Dann wären hier nicht so viele Polizisten«, mutmaßte sie weiter und stieß mit den Kniekehlen gegen das Band.

»Ich muss Sie jetzt sehr freundlich bitten, Signora …«

»Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, zu erfahren, wenn auf der Insel ein Mord passiert ist.«

»Ich glaube kaum …«

»Und noch dazu an einem sehr beliebten Strandabschnitt. Ich gehe davon aus, dass das nicht gut für den Tourismus ist.« Sie bückte sich jetzt unter dem Absperrband hindurch. Patriz seufzte hörbar genervt auf. »Sie bekommen einen Pressebericht, und nun lassen Sie uns unsere Arbeit machen.«

Heimlich musste er schmunzeln. Denn so richtig genervt war er nie von der sexy Reporterin. Im Grunde war er sogar immer erfreut, sie zu sehen. Die Reporterin war viel zu anziehend für ihren Job - oder sie war genau richtig und setzte ihr Aussehen zielführend ein. Er war schon des Öfteren mit ihr zusammengestoßen. In seiner Funktion als Kommissar war das auch kein Wunder. Zwar ging es meistens um Drogenmissbrauch und weniger um Leichen, aber sie war immer da, wenn er irgendwo an einem Tatort oder bei einer Festnahme war. Vermutlich war Patriz für sie ein Neutrum. Mit seiner schlecht sitzenden Frisur, der dicken Hornbrille und seiner ganzen Aufmachung war er nicht gerade ein Frauenmagnet.

»Señor el comisario. Mir können Sie es doch erzählen. War es Mord?« In ihren hübschen grünen Augen blitzte etwas auf. Hoffnung auf eine Sensation? Patriz beugte sich vor und sie kam näher.

»Und wenn, würde ich es Ihnen nicht sagen. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte.«

Camila juchzte auf, als hätte sie eine Sensation gewittert. »Ich wusste es. Hier ist ein Mord passiert.« Entgegen seiner momentanen Laune musste er noch breiter grinsen, obwohl er genau wusste, was hier passiert war. Und er wusste, dass er nicht darüber reden durfte. Er nahm sein privates Telefon aus der Hosentasche, setzte sich auf einen Felsen etwas abseits vom Trubel und tippte eine Kurzwahl auf das Display.

»Wir haben ein Problem. Ich habe hier eine Frauenleiche.« Er lauschte kurz in den Hörer, bevor er weitersprach: »Kein Blut, keine Spuren. Zumindest habe ich einige davon bereits sichergestellt. Ein Vampiropfer, Victor.« Er hörte weiter zu und legte schließlich auf, nahm die Brille von der Nase und rieb sich die Nasenwurzel. Sein Blick blieb auf der Sonne am Himmel hängen.

»El comisario. Kommen Sie bitte für einen Moment.« Schnell setzte Patriz die Brille wieder auf, stand auf und folgte dem jungen Polizisten zu dem Opfer.

Kapitel 5

Die Nachmittagssonne glitzerte auf dem Wasser und gab ihm eine intensiv türkisgrüne Färbung. Der Strandabschnitt war noch nicht offiziell freigegeben worden, aber hinter den Felsen badeten schon wieder die ersten Touristen. An der Treppe war ein Polizist postiert. Gordon wollte nicht auffallen. Ein Glück, dass die Menschen den mentalen Kräften der Vampire wenig entgegenzusetzen hatten. Mittels eines kleinen Tricks entzog sich Gordon der Aufmerksamkeit des Polizisten und spazierte unbehelligt hinunter zum Strand.

Dort erregte ein Rufen aus dem Meer seine Aufmerksamkeit. Jemand war von einem Felsen gerutscht und versuchte nun, sich hochzuziehen. Gordon runzelte die Brauen. Wenn schon. War nicht sein Problem.

Doch die Stimme der Frau klang mittlerweile schrill und panisch. Nicht sein Problem. Eigentlich. Verflucht …

 

Er wusste nicht, warum er ins Wasser gesprungen war. Menschen waren nicht sein Schicksal. Aber keine Sekunde später tauchte er unter, befreite den zierlichen Fuß der Schwimmerin aus der Felsspalte und zog die junge Frau nach oben. Prustend holte sie Luft, zappelte in seinem festen Griff. Ihre Haut war wunderbar glatt, eiskalt zwar, aber herrlich anzufassen.

»Bleiben Sie ruhig, oder wollen Sie, dass wir beide ertrinken?«, murmelte er und versuchte, sich von ihrem Geruch abzulenken. Dem Geruch nach ihrem Blut. Die Frau wurde ruhiger.

Er zog sie langsam in Richtung Strand. Er wollte keine Aufmerksamkeit erregen. Während er mit ihr zurückschwamm, wurde der Duft nach ihrem Blut intensiver. Sie roch faszinierend. Verwundert kniff er die Augen zusammen. Sie roch faszinierend, sie war faszinierend, sie hatte ihn angezogen, von der Ferne.

Es wurde Zeit, dass er sie wieder loswurde. Gleichzeitig wollte er sie nie wieder loslassen. War er verrückt geworden? Sie war ein Mensch, er ein Vampir. Er durfte, wenn überhaupt, nur von ihr trinken, vielleicht auch Sex mit ihr haben, aber das war’s. Er durfte sie nicht mal interessant finden. Sie, einen Menschen.

An seinen Füßen spürte er den Grund. Sie waren gleich am Strand. Gleich würde er sie dort absetzen und abhauen. Aber vielleicht einmal genauer ansehen? Gordon biss sich auf die Backenzähne, stellte sich hin und hob die Frau mühelos hoch. Ihre Arme umschlangen seinen Hals, ihre Lippen berührten sein Kinn. Von ihrer Haut perlte das Wasser. Sie sah aus wie eine gestrandete Meerjungfrau, nur ohne Flossen. Ihr Haar war lockig und von wunderschöner goldener Farbe. Wie sie in seinen Armen lag, wirkte sie so unglaublich zerbrechlich. Endlich kamen sie zum trockenen Sand, wo er sie absetzen konnte. Hinter dem Schleier seiner Haare sah er sie an. Diese verängstigte junge Frau. Aus ihrem Knöchel tropfte nur noch wenig Blut. Vermutlich hatte sie eine leichte Verstauchung. Nichts Ernstes. Gordon ließ sie los und rückte ein Stück von ihr ab. Ihre mandelförmigen Augen blickten ihn plötzlich sehr verlangend an. Dieser hübsche, kleine Mund mit den vollen Lippen war leicht geöffnet. Für einen Kuss. Geöffnet für einen warmen Kuss von ihm. Knurrend drehte Gordon den Kopf weg, presste die Lippen fest aufeinander. Verlangen durchströmte ihn. Ein Gefühl, das ihm bislang verwehrt war. Es durfte nicht sein. Schmerzhaft spürte er, wie sich seine Fänge ausfahren wollten. Die typische Reaktion. Blut, eine erotische junge Frau, die sich ihm hingeben wollte.

»Nein«, murmelte er und wandte sich von ihr ab. Mit übermenschlicher Schnelligkeit verließ er sie. Nicht einmal der Sand unter seinen Füßen bewegte sich. Er musste weg.

***

Eine solche Leidenschaft hatte sie noch nie empfunden. Eine rauschhafte Hitze, ein drängendes Begehren, das alles andere auslöschte, ein Gefühl, dass sie ihn unbedingt haben musste, seine Lippen auf ihren spüren, seinen halbnackten Körper an ihrem. Ihre Haut vibrierte, alle Sinne waren aufs Äußerste angespannt. Doch er blickte sie nur aus seinen hellen, glitzernden Augen an, sie glitten über ihren Körper, als wolle er mit der reinen Kraft seines Willens ihren knappen Bikini von ihr reißen. Sie versuchte, das Gefühl zu unterdrücken, doch er lockte sie. Lockte sie mit seiner Zurückhaltung, durchbohrte sie mit seinem Blick, die Augen waren durch sein pechschwarzes Haar verhangen, doch sie leuchteten hinter ihm hervor. Ihr Mund wurde trocken, sie streckte die Hand nach ihm aus, wollte die stählerne Brust mit ihren Fingern berühren, doch er glitt mit einer übermenschlich schnellen Bewegung vor ihr zurück. Cassandra war für einen Augenblick verwirrt. Wie zum Henker hatte er das gemacht? Hatte sie auch am Kopf etwas abbekommen?

Er musste es auch fühlen. Die Spannung, die zwischen ihnen entstanden war. War er genauso verwirrt wie sie?

Oh Gott. Sie musste ihn jetzt kosten, seinen vollen Mund, seine kräftigen Arme um ihre Hüfte spüren, auf ihren Brüsten, ihrem Po. Sie war so voll Leidenschaft, dass ihr heiße Tränen in die Augen stiegen, so voll Verlangen.

»Cassandra!« Sie blinzelte und er war plötzlich fort. Er war fort und das Glühen auf ihrem Körper hielt an. Und der Schmerz in ihrem Knöchel kehrte zurück.

»Cassy. Oh mein Gott. Bist du ok?« Samantha, ihre Schwester. Sie setzte sich neben sie auf den Sand, berührte ihre Hand, die immer noch erhoben war.

»Wo ist er?«, flüsterte sie. Ihre Stimme zitterte, so atemlos war sie.

»Wo ist wer? Oh nein Cassy. Dein Fuß. Oh Gott, was ist passiert?«

»Wo ist er?«, wiederholte sie. Ihre Augen suchten den Strand ab, doch er war nicht mehr da. Er hatte eine Leere hinterlassen, ein Gefühl der Trostlosigkeit. Im selben Augenblick wusste Cassandra, dass sie Steve nie mehr lieben, ihn nie wieder berühren oder küssen konnte. Steve war wie eine Fata Morgana. Weit weg. Weit, weit weg. An seiner Stelle war klar und deutlich dieser wunderbare Mann mit den hellblauen Augen und den schwarzen Haaren gerückt. Dieser Mann, der etwas in ihr zum Leben erweckt hatte, das sie haben musste.

»Aber du musst ihn doch gesehen haben.« Fast vorwurfsvoll blickte Cassandra ihre Schwester an.

»Nein. Ich weiß überhaupt nicht, von wem du da redest.«

»Er hat mich aus dem Wasser geholt«, murmelte Cassandra.

»Dir ist kalt. Du hast einen Schock.«

»Mir ist nicht kalt.«

»Du musst zum Arzt.«

»Wie kommst du darauf?«

»Ähm … dir ist kalt. Sieht ja ein Blinder mit einem Krückstock. Und vielleicht ist die Verletzung doch schlimmer als du denkst.« Ihre Schwester sah eindeutig auf ihren Busen. Cassandra wurde rot. Ihr war keineswegs kalt und so schlimm schmerzte der Fuß auch wieder nicht.

»Komm, lass uns gehen. Tut das sehr weh?« Samantha deutete auf ihren Fuß.

»Nein. Schon gut.«

Mist. Wie konnte sie jetzt einfach abhauen? Vielleicht war der Kerl noch hier irgendwo. Oh Gott. Sie war mit ihrer Schwester nach Ibiza gekommen, um sich über ihre Gefühle zu Steve klar zu werden. Seit Jahren waren sie nun ein Pärchen. Aber Cassandra wollte sich einfach nicht auf ihn festlegen und jetzt, seit er den Entwicklerjob in Silicon Valley bekommen hatte, wollte er heiraten. Ihrer Beziehung den letzten Schliff geben, wie er es nannte. Wollte sie das? War Steve überhaupt der Richtige? Er war gutmütig, verlässlich, romantisch, witzig. Eigentlich alles, was ein Mann sein musste. Aber hatte er jemals diese Gefühle in ihr wachgerufen wie der fremde Mann, der sie aus dem Meer gefischt hatte? Cassandra stand auf und folgte ihrer Schwester zu den Decken. Samantha verstaute alles in dem Strandkorb, guckte ab und zu besorgt zu ihr hinüber. Cassandra klaubte ihr Kleid aus dem Sand und schüttelte es.

»Ich verstehe überhaupt nicht, dass du ihn nicht gesehen hast«, fing sie wieder von vorne an.

»Zieh dir erst den nassen Bikini aus. Komm ich helfe dir.« Cassandra knurrte genervt, als Samantha sie mit einem Handtuch vor neugierigen Blicken schützte.

»Hast du denn nicht gesehen, dass ich in Gefahr war?« Cassandra schlüpfte in Höschen und BH.

»Wen in Gottes Namen meinst du überhaupt? Nein, ich habe nicht gesehen, dass du in Gefahr warst. Erst als du im Sand gesessen hast. Herrgott, was soll ich bloß Steve sagen? Er wird mich köpfen. Ich sollte auf dich aufpassen.« Cassandra hielt inne. Steve?

»Was musst du denn Steve sagen?«

»Ich habe ihm versprochen, dass ich auf dich aufpasse.« Cassandra rollte mit den Augen, zog ihr Kleid an und starrte ihrer Schwester ins Gesicht. »Du glaubst nicht, ich könnte das alleine?«

»Naja, sieht man ja.« Samantha zog das Handtuch weg, faltete es zusammen und legte es oben auf den Strandkorb. Cassandra hätte ihrer Schwester am Liebsten eine gescheuert, so wütend war sie. Ewig die Besserwisserin, ewig die Klügere und Bessere von ihnen beiden. Sollte Steve doch sie nehmen. Aber sie sagte nichts. Cassandra sagte nie etwas. Sie war nicht so konfliktbereit wie ihre Schwester. Aber es brodelte in ihr. Wie gerne würde sie sich den schwarzhaarigen Typen schnappen, wo auch immer er war, mit ihm durchbrennen und den ganzen Sommer Liebe machen. Seufzend folgte sie ihrer Schwester, ihrem Schicksal ergeben.

***

Gordon blickte vom Felsen auf die beiden jungen Frauen, doch seine Aufmerksamkeit lag nur auf der einen. Wie eine Elfe, leicht humpelnd, ging sie neben der burschikos aussehenden anderen Frau her. So zart und hübsch. Und sie war verboten. Denn sie weckte etwas in ihm, das sich verboten anfühlte. Gordon mochte keine verbotenen Dinge. Aber sie. Sie mochte er.

Sollte er ihnen folgen?

Kapitel 6

»Wo zum Henker warst du so lange?« Patriz kam auf Gordon zu. Die dicke Hornbrille hatte er sich auf die Haare geschoben.

»Mach dich nicht nass, Mann. Ich hatte noch etwas zu erledigen.«

Patriz starrte ihn an. »Etwas zu erledigen? Du hattest deinen Arsch hierher zu bewegen. Ich kann den Tatort nicht ewig grundlos sperren.« Gordon seufzte. Manchmal wirkte Patriz einfach zu vermenschlicht, obwohl er einer von ihnen war.

Mit einem süffisanten Lächeln blickte er ihn an. »Kannst dich gerne beschweren, Patriz. Und jetzt nerv nicht. Was hast du gefunden?« Schnaubend drehte sich Patriz um und ging auf ein kleines Areal zu, das mit Absperrband und Plastikpflöcken markiert war.

»Es waren mindestens zehn Vampire.« Gordon runzelte die Stirn und starrte auf den Boden. Der Sand sah in seinen Augen völlig normal aus. Als hätte Patriz seine Ungläubigkeit gespürt, kniete er sich zu einem Pflock hinab, hob eine Lampe mit Schwarzlicht und leuchtete über die Stelle. Ein Fußabdruck kam zum Vorschein. Und einige wenige Tropfen Blut. »Das sieht nicht nach einem …«

»Versehen aus«, beendete Patriz seinen Satz und stand wieder auf. Auch auf den weiteren abgesperrten Arealen zeigte ihm Patriz, was im Schwarzlicht zum Vorschein kam.

»Fußabdrücke mit Blutspuren«, stellte Gordon fest.

»Komm mit.«

Gordon erhob sich ebenfalls, strich sich gedankenverloren durch die Haare und folgte ihm. »Sie hat in deinem Club gearbeitet, Gordon.« Patriz hielt ihm ein Bändchen hin. Alle von Gordons Mädchen bekamen eins. Es war aus Gummi und wurde in unterschiedlichen Farben ausgeteilt. Dieses war pink und mit einer Nummer versehen. Gordon nahm es entgegen, prüfte die Ziffernfolge und schloss die Augen. Salina. Die neue Tänzerin. Mit der er noch in den frühen Morgenstunden gesprochen hatte. Wütend ballte er die Hand zur Faust.

»Denkst du, es war einer von Dons Vampiren?« Patriz sah ihn fragend an.

»Warum sollten mehrere Vampire eine junge Frau aussaugen? Das macht doch überhaupt keinen Sinn. Und noch dazu eine von meinen Tänzerinnen?«

Patriz hob die Schultern. »Keine Ahnung. Ich weiß nicht, warum ihr überhaupt verfeindet seid. Ich weiß aber genau wie du, dass eine Regel gebrochen wurde. Wir werden sehen, welche Auswirkungen das hat.«

»Du kennst also die Legende nicht?« Gordon ging nicht auf seine Frage ein. Er wunderte sich vielmehr über das Unwissen des jungen Vampirs. Sollte er das nicht wissen, wenn er schon ein für sein Volk bedeutendes Amt bei der Polizei bekleidete?

Patriz sah ihn erwartungsvoll an.

»Zweimal im Jahr findet ein seltenes Ereignis statt. Der Mond färbt sich blutrot. Die Färbung ist nicht ungewöhnlich, wird zumeist mit Mondfinsternissen in Verbindung gebracht, allerdings existiert keine wirklich wissenschaftliche Erklärung. Von ihm geht für uns keine Gefahr aus.«

»Ja, das weiß ich. Die Geschichte kenne ich bereits.«

»Wenn sich der Mond allerdings außerhalb dieser Zeiten blutrot verfärbt, und zwar für wenige Sekunden, ist dies eine Warnung für unser Volk. Wenn der Mond jedoch verfärbt bleibt …« Gordon räusperte sich. »Dann ist er tödlich.«

»Du meinst, das Licht kann uns töten? Oder was passiert?«

Gordon nickte. »Ja, das Licht. Wir verbrennen in ihm.«

Sie standen einige Minuten still nebeneinander, dann ergriff Patriz wieder das Wort. »Warum sollte ein Vampir das wollen? Entschuldige«, berichtigte er sich, »warum sollten mehrere Vampire das wollen?« Gordon starrte zur Sonne hinauf. »Vielleicht weil ein anderes, größeres Ereignis dahinter steckt und ein paar Opfer in Kauf genommen werden?«

Patriz ließ nicht locker. »Welches Ereignis könnte das sein?«

»Ich weiß es nicht. Ganz ehrlich: Ich habe keine Ahnung.«