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Winnetou 3

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Unweit unseres Versteckes blieben sie halten; sie hatten da eine freie Aussicht hinaus in die Weite.

»Endlich!« rief der Capitano mit einem Seufzer der Erleichterung. »Das war ein Ritt, wie ich ihn nicht bald wieder machen möchte. Aber wir kommen noch zur rechten Zeit; es ist noch niemand hier gewesen.«

»Woran seht Ihr es?« fragte Conchez.

»Mein Versteck ist noch unberührt. Die Morgans sind also noch nicht hier gewesen, und wie sollte ein Anderer grad hierher in diese abgelegene Gegend kommen?«

»Ihr habt wahrscheinlich recht. An diesen Sans-ear und Old Shatterhand denkt Ihr also nicht mehr?«

»Nein; denn wären sie den Morgans gefolgt, so hätten sie unbedingt auf die Comanchen stoßen müssen, und da wäre ihnen das Weitergehen wohl verleidet worden.«

»Aber wer ist jener nackte Indianer im Rio Pecos gewesen, und die weiße Leiche dort im Wasser?«

»Geht uns jetzt nichts an. Schaden kann uns niemand, denn wir haben die Comanchen zwischen uns und einem jeden, dem es etwa in den Sinn gekommen sein sollte, uns zu folgen.«

»So denkt Ihr also, daß wir die Roten ganz sicher hinter uns haben?«

»So sicher, wie ich dich neben mir sehe. Sie haben den Indianer niedergemacht, wenn es ein Feind von ihnen gewesen ist – was ich aber nicht glaube, denn ein Apache wagt sich jetzt nicht hierher – und sind uns dann gefolgt. Wir mußten ja solche Eile brauchen, daß wir eine Spur zurückgelassen haben, wie sie keine Bisonherde deutlicher macht.«

»Und wenn sie uns hier finden?«

»Schadet uns nichts; wir sind Freunde. Sie werden sich höchstens wundern, daß wir uns ihnen nicht zu erkennen gegeben haben, und das werde ich ihnen schon erklären, indem ich ihnen von diesem Leutnant erzähle, der – carajo, ich lasse mich hängen, wenn er da draußen nicht bereits kommt!«

»Er ist‘s!«

»Gut, so haben wir ihn endlich fest, und er soll erfahren, was es heißt, seinen Hauptmann und seine Kameraden zu betrügen!«

»Sie kommen allein, und das ist allerdings ein Beweis, daß die Comanchen uns auf dem Fuße sind. Aber sagt, Capitano, wollt Ihr den Schatz heut wirklich heben – in meiner Gegenwart?«

»Ja.«

»Für wen?«

»Für uns.«

»Für uns? Wie meint Ihr das? ›Für uns‹ das kann heißen, für die ganze Compagnie oder auch nur für uns Beide.«

»Was wäre dir lieber?«

»Das ist leichter zu denken als zu sagen, Capitano. Aber wenn Ihr Euch vergegenwärtigt, wie es jetzt im Hide-spot steht, so ist es jedenfalls besser, gar nicht dorthin zurückzukehren. Wenn man sich seine gute Zeit lang abgemüht hat, verlangt es einen auch einmal nach Ruhe und Bequemlichkeit, und ich denke, was Ihr dazu braucht, das habt Ihr hier in Eurem Verstecke reichlich beisammen, so reichlich, daß für mich auch ein weniges abfällt.«

»Du sprichst wie ein Buch, und ich will dir auch nicht Unrecht geben. Aber jetzt gilt es vor allen Dingen, diesen zwei Schurken auf die Finger zu klopfen. Komm weiter aufwärts! Dort gibt es einen Platz, wie wir ihn gar nicht besser für uns finden können, und der Schatz, den sie heben wollen, ist ganz in der Nähe.«

Meinte der ahnungslose Capitano vielleicht den Ort, an welchem wir unser Lager genommen hatten? Sie schritten allerdings ganz in dieser Richtung mit den Pferden davon, und wir folgten ihnen. Sie waren so unbesorgt und achtlos, daß sie nicht einmal die Fußspuren bemerkten, welche ich und Sam hinterlassen hatten. Allerdings gehörte auch ein gutes Auge dazu, sie zu erkennen.

Die Unsrigen hörten natürlich, daß sich etwas Ungewöhnliches nahe, und hatten sich erhoben. Noch heut kann ich mir den Gesichtsausdruck der beiden Ehrenmänner vergegenwärtigen, als sie, durch die letzten Büsche tretend, den Indianer erkannten, dem sie am Rio Pecos nachgesprungen waren. Beinahe mußte ich hell auflachen.

»Hoblyn!« rief Conchez, seinen früheren Gefährten erkennend.

»Hoblyn?« fragte der Capitano. »Wahrhaftig! Wie kommst du in die Sierra Rianca, und wer sind diese Leute hier?«

Ich trat von hinten näher an ihn heran und klopfte ihm auf die Achsel.

»Bekannte, lauter Bekannte sind‘s, Capitano. Tretet näher, nehmt Platz, und macht es Euch bequem!«

»Wer seid Ihr, Sennor?« fragte er mich.

»Ich werde Euch diese Männer vorstellen und komme also zuletzt daran. Dieser schwarze Master heißt Bob und war der beste Freund eines gewissen Master Williams, den Ihr ja wohl gekannt habt. Dieser weiße Gentleman ist ein Herr Marshall aus Louisville, der einige Worte mit den Morgans zu reden hat, die Euch die Eier aus dem Neste nehmen wollen. Dieser braune Monseigneur heißt Winnetou; Ihr habt den Namen wohl schon einmal gehört, und ich will also über ihn keine lange Rede halten. Dieser Gentleman hier wird gewöhnlich Sans-ear genannt, und mich heißt man zuweilen Old Shatterhand.«

Der Mann war vor Schreck so verblüfft, daß er keine Worte fand und nur den Ruf zu stammeln vermochte:

»Ist‘s – möglich?«

»Sehr! Setzt Euch, und macht es Euch so bequem, wie ich es mir machte, als ich Euch im Hide-spot belauschte. Ich lag hart hinter Euch und nahm mir Eure Pistole als Andenken mit. Vorgestern lag ich wieder bei Euch, als Ihr die Comanchen belauscht und Eure Herzen gegeneinander ausgeschüttet habt. Bob, nimm diesen beiden Mesch‘schurs einmal die Waffen ab, und binde ihnen die Hände und Füße ein wenig zusammen!«

»Sennor – —!« fuhr der Capitano auf.

»Schon gut! Wir sprechen mit Euch, wie man mit Stakemen zu reden hat. Gebt Euch keine unnütze Mühe, denn ich sage Euch: ehe die Morgans das Tal vollends erreichen, seid Ihr gefesselt und geknebelt oder – tot.«

Das alles war so schnell und unerwartet über sie gekommen, daß sie gar nicht Zeit fanden, eine Gegenwehr zu versuchen.

»Sagt einmal, Sennor Capitano, wo sich das Versteck befindet, nach welchem es den Morgans so gelüstet!« fragte ich ihn.

»Die Sachen gehören nicht Euch!«

»Ganz wie Ihr wollt; sie werden aber doch vielleicht unser. Ich will Euch gar nicht zwingen, Euer Geheimnis auszuplaudern, aber eine andere Frage werdet Ihr mir wohl beantworten: Was ist aus den sogenannten Voyageurs, die mit Eurem Leutnant gingen, und aus den Kaufleuten geworden, welchen sie folgten?«

»Die Kaufleute – hm, ich weiß es nicht – – —«

»Well, ich weiß es nun. Und die Voyageurs?«

»Zwei werden zum Hide-spot zurückgekehrt sein, den dritten ermordete der Leutnant unterwegs. Wir haben seine Leiche gefunden.«

»Dachte es! Jetzt laßt Euch ruhig den Knebel geben! Es geschieht, damit Ihr uns den beiden ›Carajos‹ nicht verratet.«

Wir waren gerade mit ihnen fertig, als Fred Morgan mit seinem Sohne am Eingange des Tales erschien. Sie blieben eine Minute halten und überblickten das Terrain. Dann gab Patrik seinem Pferde die Sporen und kam im Trabe herbei; sein Vater folgte ebenso schnell. Sie schienen nicht die Absicht zu haben, sich lange hier aufzuhalten. Grad uns gegenüber, etwa zwanzig Schritte von unserem Lager aus, stand ein junges Brombeerengeranke; dahin wandten sich die Beiden.

»Hier ist es, Vater!« sagte Patrik.

»Hier? Ein wohlfeiler Platz, an dem man einen Schatz nicht sucht!«

»Heraus damit, und dann fort! Man weiß nicht, wer die beiden Weißen gewesen sind, und ob es den Comanchen gelungen ist, sie festzunehmen.«

Beide sprangen ab und pflockten ihre Pferde an das Ufer des Baches. Während die durstigen Tiere tranken, knieten die Spitzbuben nieder, legten ihre Waffen beiseite und begannen, das Gestrüpp mit Hilfe ihrer Messer zu entfernen. Es kam eine lockere Humuserde zum Vorschein, welche aufgewühlt wurde.

»Hier!« rief Patrik nach einiger Zeit und brachte ein Paket zum Vorschein, welches sehr sorgfältig in behaarte Büffelhaut eingenäht war.

»Ist das alles?«

»Alles, aber genug; Banknoten, Depositen und so weiter. Jetzt das Loch zu, und dann fort!«

»Vielleicht bleibt ihr auch ein wenig länger da!«

Diese Worte wurden von Sam gesprochen, während ich mit einem Sprunge zwischen ihnen und ihren Waffen stand und die Andern ihre Büchsen auf sie anlegten. Sam stand vor den beiden Männern wie der Tiger, der sich auf seine Beute stürzen will. Sie waren im ersten Augenblick vollständig überrascht, besannen sich aber schnell und wollten ihre Waffen ergreifen. Ich streckte ihnen den Revolver entgegen.

»Bleibt stehen, wo ihr jetzt haltet, denn jeder Versuch, einen Schritt hinwegzutun, kostet Euch das Leben!« sagte ich.

»Wer seid Ihr?« fragte Fred Morgan.

»Fragt diesen sogenannten Master Mercroft, Euern Sohn.«

»Wer gibt Euch das Recht, uns hier anzufallen?«

»Wir selbst, ebenso wie ihr euch das Recht gegeben habt, Andere anzufallen, wie zum Beispiel den Master Marshal in Louisville, den Bahnzug später und früher noch die Farm eines gewissen Sam Hawerfield, der jetzt vor euch steht. Tut uns doch einmal den Gefallen, und legt euch platt auf die Erde!«

»Werden es bleiben lassen!«

»Werdet es dennoch tun, wenn ich Euch unsere Namen nenne. Hier steht Winnetou, der Häuptling der Apachen; dieser ist Sans-ear, der frühere Sam Hawerfield, und wer ich bin, wird Euch Euer Sohn bereits erzählt haben. Ich zähle bis drei; liegt ihr dann noch nicht, so seid ihr des Todes. Eins -zwei – —«

Mit zusammengekniffenen Zähnen und geballten Fäusten gehorchten sie.

»Bob, binde siel«

»Bob werden binden sehr schön, ganz fest, Massa!« meinte der Schwarze, und er tat sein Möglichstes, dieses Versprechen wahr zu machen.

Bernard war bisher bei den andern Gefangenen geblieben; jetzt löste ihn der Neger ab, und er trat herzu. Als Fred Morgan ihn erblickte, riß er die Augen auf, als ob er ein Gespenst vor sich habe.

»Marshal!«

Dieser warf ihm einen kurzen Blick zu, sprach aber kein Wort; doch der Blick sagte mehr als Worte; es lag in ihm der kalte, ruhige Entschluß der gerechten Vergeltung.

»Bob, bringe die Andern heraus!« meinte Sam. »Auch wir haben zum Beispiel keine Ursache, uns hier lange aufzuhalten, und wollen kurz und bündig über diese Leute richten.«

 

Der Neger brachte nun Conchez und den Hauptmann herbei. Auch Hoblyn kam nach. Er hatte sich bisher besser gehalten, als es einem Stakeman zuzutrauen gewesen war.

»Wer soll sprechen?« fragte Bernard.

»Charley, du!« meinte Sam.

»Nein. Wir sind hier alle Partei, nur Winnetou ist unberührt. Er ist ein Häuptling der Prairie und soll das Wort haben!«

Alle waren einverstanden. Der Apache neigte zustimmend sein Haupt.

»Der Häuptling der Apachen hört reden den Geist der Savanne; er wird sein ein gerechter Richter über die Söhne der Bleichgesichter. Meine Brüder mögen nehmen ihre Waffen, denn nur Männer dürfen richten über die Gefangenen!

Das war so indianische Sitte, und wir folgten ihm. Er begann:

»Wie ist der Name dieses Weißen?«

»Hoblyn,« antwortete Sam.

»Was hat er getan?«

»Er war ein Stakeman.«

»Haben meine Brüder gesehen, daß er tötete einen ihrer Männer?«

»Nein.«

»Hat er freiwillig gesagt, daß er ein Mörder ist?«

»Nein.«

»Wem hat er bisher geholfen, den Stakemen oder meinen Brüdern?«

»Uns.«

»So mögen meine Brüder richten mit dem Herzen und nicht mit der Büchse. Winnetou wünscht, daß dieser Mann frei sei, aber nicht wieder gehe zu den Stakemen!«

Wir stimmten Alle bei, und der Ausspruch des Apachen hatte so sehr meine eigene Ansicht getroffen, daß ich die Büchse und das Messer Fred Morgans ergriff und beides Hoblyn hinreichte.

»Nehmt! Ihr seid frei und dürft also wieder Waffen tragen.«

»Ich danke Euch, Sir!« meinte er freudig. »Ihr sollt Euch in mir nicht täuschen!«

Es war ihm anzusehen, daß er den guten Willen hatte, dieses Versprechen zu erfüllen. Winnetou fuhr fort:

»Wer ist dieses Bleichgesicht?«

»Der Anführer der Stakemen.«

»Das ist genug; er soll sterben! Denken meine Brüder anders?«

Keiner sagte ja; das Urteil war also bestätigt.

»Und wie heißt dieser Mann?«

»Conchez.«

»Das ist ein Name, wie ihn tragen die falschen Männer des Südens. Was war er?«

»Ein Stakeman.«

»Was wollte er hier? Er wollte betrügen seine eigenen Gefährten um den Schatz; er hat zwei Seelen und zwei Zungen; er möge sterben!«

Auch jetzt erhob sich keiner zur Verteidigung des Angeklagten. Winnetou fuhr fort:

»Aber nicht von der Hand eines braven Mannes sollen sie sterben, sondern von der Hand dessen, der selbst gerichtet wird. Wie heißt dieser Mann?«

»Patrik.«

»Man nehme ihm die Fesseln ab. Er mag werfen die Stakemen in das Wasser, denn keine Waffe soll berühren ihren Körper, sondern sie mögen im Wasser ertrinken.«

Bob band ihn los, und während wir ihn vor den Läufen unserer Büchsen behielten, vollbrachte er den ihm gewordenen Befehl mit einer Bereitwilligkeit, wie sie nur der wirklich hartgesottene Sünder zeigen kann. Er sah sich verloren, und es war ihm ganz sichtlich eine Genugtuung, vorher an seinen früheren Gefährten den Henkerdienst zu verrichten. Diese waren so fest gebunden, daß sie sich nicht im mindesten zu wehren vermochten. Sie versuchten dies auch gar nicht, und dennoch mußte ich mich abwenden; ich konnte den Blick unmöglich auf die Stätte richten, welche zwei Menschen eines zwar zehnfach verdienten, aber immerhin gewaltsamen Todes sterben sehen sollte.

In zwei Minuten war es vorüber. Patrik ließ sich wieder binden; es gab ja keine andere Wahl für ihn.

»Wer sind nun diese zwei Bleichgesichter?« fragte Winnetou.

»Sie sind Vater und Sohn.«

»Wessen klagen meine Brüder sie an?«

»Ich klage sie an des Mordes an meinem Weibe und meinem Kinde,« antwortete Sam.

»Ich klage den Vater an des Raubmordes an meinem Vater,« fügte Bernard hinzu.

»Und ich klage an den Vater des Raubüberfalles eines Bahnzuges und des Mordes eines Bahnbeamten,« beendigte ich. »Ich klage den Sohn an des Mordversuches an mir und Euch. Es ist genug, wir brauchen das Übrige gar nicht zu rechnen!«

»Mein weißer Bruder hat recht gesagt: es ist genug. Sie sollen sterben. Der schwarze Mann möge sie töten!«

»Halt!« rief da Sam. »Das gebe ich nicht zu. Ich bin ihnen gefolgt seit vielen Jahren; das, was sie mir getan haben, ist ihr ältestes Verbrechen; sie sind mein, und ich lasse sie keinem Andern. Ihr Leben gehört mir, und ihre Kerben kommen auf meine Büchse. Dann ist Sans-ear zufrieden, und er und seine alte Tony mögen Ruhe finden in irgend einer Kluft des Gebirges oder draußen in der Prairie, wo die Gebeine von tausend Jägern bleichen!«

»Das Verlangen meines Bruders ist gerecht; er möge die Mörder nehmen aus den Händen der Andern!«

»Sam,« – sagte ich leise, indem ich mich zu ihm neigte, damit die Andern meine Worte nicht hörten – »beflecke dich nicht mit dem Blute der Mörder, indem du sie als Wehrlose kaltblütig niederschießest. Solche Rache entehrt einen Christenmenschen und ist Sünde. Überlaß sie dem Neger!«

Der harte Jäger starrte finster vor sich nieder und schwieg. Um ihm Zeit zum Überlegen zu geben, trat ich mit Bernard zu dem Pferde Fred Morgans. Wir fanden in den Satteltaschen einige Perlen, welche der Juwelier als die seinigen erkannte; weiter nichts. Wir untersuchten nun ihn selbst und fanden endlich ein Päckchen, welches mit Hirschsehne an die innere Seite seines Büffelhemdes angenäht war. Es enthielt Banknoten in nicht unbedeutendem Werte; dies war jedenfalls der Anteil, den er Holfert abgenommen hatte. Bernard steckte das Päckchen zu sich.

In diesem Augenblick vernahm ich von dem Platze her, an welchem unsere Pferde standen, ein ängstliches Schnaufen. Es war mir, als könne dies nur mein Mustang gewesen sein. Ich schritt also hinzu und sah, wie das Pferd mit gesträubter Mähne und funkelnden Augen am Riemen zerrte, um sich zu befreien. Entweder gab es ein Raubtier in der Nähe, oder es waren Indianer da. Ich stieß einen Warnungsruf aus; dieser aber wurde nicht vernommen, denn in demselben Augenblick erscholl draußen von der Wiese her ein entsetzliches Geheul.

Schnell war ich am Rande des Buschwerkes und blickte durch die Zweige. Was ich sah, war fürchterlich. Der ganze Platz wimmelte von Wilden. Drei oder vier knieten über Sam, den sie niedergerissen hatten; zwei hatten zu gleicher Zeit miteinander den Lasso über Winnetou geworfen und schleiften ihn an der Erde hin; Hoblyn lag mit zerschmettertem Schädel am Boden, und Bernard konnte ich gar nicht erkennen, so viele hatten ihn gefaßt. Wo Bob stak, konnte ich nicht sehen.

Die Racurroh waren also dem Kapitän wirklich gefolgt, hatten sich während der Gerichtsszene unbemerkt herangeschlichen und waren nun so unerwartet über die Gefährten hergefallen, daß eine Gegenwehr der reine Wahnsinn gewesen wäre. Was konnte ich für sie tun? Nichts, als mich retten. Es wäre mir möglich gewesen, ein halbes Dutzend der Indsmen niederzuschießen, aber wem war damit geholfen? Getötet war außer Hoblyn noch keiner, und so weit ich Comanchen kannte, ließ sich erwarten, daß sie die Überrumpelten als Gefangene mit sich führen würden, um sie daheim einen langsamen Martertod sterben zu lassen. Ich kehrte also zu meinem Pferde zurück, band es los und kletterte, es hinter mir herziehend, so schnell wie möglich zur Höhe empor. Etwas Anderes mit mir zu retten, dazu gab es keine Zeit, denn die Wilden hatten mich jedenfalls in das Gesträuch treten sehen und ließen es sich sicher angelegen sein, mich zu fangen.

Die bedeutende Steilung machte es mir außerordentlich schwer, mit dem Pferde vorwärts zu kommen; aber als ich die Höhe erreicht hatte, hörte das hindernde Unterholz auf. Ich stieg in den Sattel und verfolgte den lang sich hindehnenden Bergesrücken mit einer Hast, als ob die ganze Indianerhorde hinter mir her sei. Drüben ging es wieder in ein Tal hinab. Ich gab mir nicht die mindeste Mühe, meine Spur zu verbergen, im Gegenteil, ich wußte, daß sie sicher gefunden und verfolgt würde, und wollte die Verfolger irre leiten.

So ritt ich, ohne anzuhalten, einen großen Teil des Tages immer nach West, bis ich einen Wasserlauf erreichte, der meinem Zwecke dienlich war. Ich lenkte mein Pferd in das Wasser, welches über ein felsiges Bett hinfloß, in dem die Hufe keine Eindrücke hinterlassen konnten, und ritt in demselben So lange aufwärts, bis ich glaubte, daß die Verfolger ermüden würden; dann band ich ihm die Lappen um die Füße und kehrte auf einem Umwege nach dem Ausgangspunkte meines Fluchtrittes zurück.

Die Sonne war bereits untergegangen, als ich den Höhenzug erblickte, hinter welchem das verhängnisvolle Tal lag. Weiter durfte ich mich heute nicht nähern, und so suchte ich mir im Walde eine moosige Stelle, welche sich zum Lager eignete. Mein Pferd war durch die Umhüllung seiner Füße so ermüdet worden, daß es keine Lust zum Fressen verspürte, sondern sich sofort neben mich auf den Boden warf.

Wie so schnell hatten sich die Verhältnisse geändert! Aber ich war nicht aufgelegt zu sentimentalen Betrachtungen; hier konnten nur Taten retten, und um zu diesen befähigt zu sein, bedurfte ich vor allen Dingen der Ruhe und des Schlafes. Ich empfahl mich dem Schutze Gottes, schloß die Augen und – – öffnete sie wieder, als die Sonne bereits hoch am Himmel stand; so lange hatte ich geschlafen.

Jetzt suchte ich zunächst einen verborgenen Platz, an welchem es ein wenig Weide gab; da band ich mein Pferd an und machte mich dann auf, den Schauplatz der gestrigen Katastrophe zu besuchen. Es war ein außerordentlich gefährliches Unternehmen, aber es mußte gewagt werden, wenn ich den Gefährten nützlich sein wollte. Schritt um Schritt pürschte ich mich zur Höhe empor; um eine Strecke zurückzulegen, welche ein langsamer Fußgänger in zehn Minuten durchgeht, brauchte ich zwei volle Stunden, dann aber ging es, und nun mit verzehnfachter Vorsicht, bergab. Eben wollte ich an einer ziemlich alten Steineiche vorüber, als ich einen ganz eigentümlichen Laut vernahm.

»Pst!«

Ich blickte mich um, konnte aber nichts bemerken.

»Pst!«

Jetzt hörte ich, daß der Laut von oben kam, und schaute empor.

»Pst, Massa!«

Ah, da droben über dem ersten Aste des Baumes war ein Loch ausgefault und aus demselben grinste mir das schwarze Gesicht Bobs freundlich lachend entgegen.

»Wart, Massa; Bob kommen!« flüsterte er von oben herab.

Dann hörte ich ein Geräusch, ähnlich demjenigen, welches ein im Zimmer Sitzender vernimmt, wenn ein Schornsteinfeger in der nebenan emporführenden Esse arbeitet, und gleich darauf bewegten sich die Haselruten, welche rund um den Stamm des Baumes aufgeschossen waren.

»Massa kommen herein in Zimmer; kein Indian‘ finden dann klug Bob und Massa!«

Ich kroch hinein und befand mich im Innern des hohlen Baumes, dessen Öffnung durch die Haseln vollständig verdeckt wurde.

»Lack-a-day, wie hast du diesen Aufenthalt entdeckt?« fragte ich.

»Viehzeug reißen aus vor Bob, kriechen in Baum und gucken oben durch Fenster. Bob können machen auch so.«

»Was war es für ein Tier?«

»Bob wissen nicht. Waren so groß, haben vier Beine, zwei Augen und einen Schwanz.«

Infolge dieser ebenso genauen wie geistreichen Schilderung kam ich auf die Idee, daß es ein Waschbär gewesen sei.

»Wann hast du den Baum entdeckt?«

»Gleich als Indian‘ kommen.«

»Also seit gestern hast du hier gesteckt! Was hast du alles gehört und gesehen?«

»Bob haben hören und sehen viel Indian‘.«

»Weiter nichts?«

»Sein das nicht genug?«

»Waren keine Wilden hier?«

»Waren hier, aber nicht finden Bob. Dann machen Feuer, als Abend sein und braten Schinken von Bär, den Massa haben schlachten. Warum dürfen fressen unsern Bär?«

Die Indignation des guten Schwarzen war jedenfalls eine sehr gerechtfertigte, konnte aber leider das Faktum nicht ändern.

»Weiter!«

»Dann werden es Morgen, und sein Indian‘ fort.«

»Ah, fort! Wohin?«

»Bob nicht wissen, denn nicht können gehen mit, aber sehen viel Indian‘ fort aus Tal. Klein Fenster droben können ehen alles. War auch dabei Massa Winnetou und Massa Sam und Massa Bern‘. Haben viel Strick und Riemen um Leib.«

»Und dann?«

»Dann? Dann schleich Indian‘ hierher und dorther; wollen Bob fangen, aber Bob sein klug.«

»Wie viele sind noch da?«

»Nicht wissen Bob, aber wo sind, das wissen.«

»Nun, wo?«

»Drüben bei Bär. Bob kann sehen durch Fenster.«

Ich blickte in die Höhe. Es war möglich, sich im Innern des hohlen Baumes emporzuarbeiten; Bob hatte das bewiesen. Ich versuchte es ebenso, und es gelang. Oben bei dem Loche angekommen, welches Bob Fenster nannte, konnte ich wirklich einen Blick hinüber nach der jenseitigen Talwand werfen; es war so ziemlich ein Blick aus der Vogelschau. Und wahrhaftig, am Stamme der Blutbuche, auf welche sich Bob vor dem Bären gerettet hatte, sah ich die Gestalt eines Indianers hocken. Man hatte die Gefangenen weggeführt und eine heimliche Besatzung im Tale zurückgelassen, um, wenn wir zurückkehrten, was doch auf alle Fälle zu erwarten war, uns festzunehmen.

 

Was war zu tun? Ich kletterte wieder hinab.

»Es ist nur einer drüben, Bob!« sagte ich.

»Wo anders sein noch einer und noch einer, aber Bob nicht wissen.«

»Erwarte mich hier!«

»Massa wollen gehen? Oh, Massa lieber bleiben hier bei Bob.«

»Wir müssen sehen, daß wir unsere Freunde retten können.«

»Retten? Retten Massa Bern‘? Oh, oh, das sein schön und sein sehr viel gut! Bob auch mit retten Massa Bern‘ und Massa Sam und Massa Winnetou!«

»So verhalte dich ruhig, daß du nicht erwischt wirst!«

Ich verließ den hohlen Baum. Es war mir ein höchst wohltuendes Gefühl, wenigstens Einen außer mir noch verschont zu wissen, wenn dieser Eine auch grad der Neger war. Übrigens mußte ich es sehr schlau nennen, daß man bei den Überresten des Bären eine Wache gesetzt hatte. Das Fleisch konnte ja für uns eine Anziehungskraft besitzen, die uns in das Verderben führte.

Eine Stunde später befand ich mich auf der andern Seite des Tales, keine drei Ellen von dem Indianer entfernt, welcher unbeweglich wie eine Statue saß und kein anderes Glied rührte, als zwei Finger der rechten Hand, welche mit einer kleinen Geierpfeife spielten, die an seinem Halse hing. Ich wußte, daß die Töne dieser Pfeifen oft als Signale verwendet werden; sollte hier vielleicht etwas Ähnliches verabredet sein?

Der Indianer war noch jung, kaum achtzehn Jahre alt; vielleicht war der gegenwärtige Kriegszug sein erster. Er hatte einen sehr interessanten Kopf, und die Sauberkeit seiner Kleidung ebenso wie die feine Arbeit seiner Waffen ließ mich vermuten, daß er der Sohn eines Häuptlings sei. Sollte ich ihn töten? Sollte ich dies junge, hoffnungsvolle Leben zerstören? Nein.

Ich schob mich leise, ganz leise vorwärts, packte mit der Linken seine Kehle und gab ihm mit der Rechten einen vorsichtigen Hieb, der einem älteren Manne nicht das mindeste getan haben würde, diesen Jüngling aber auf der Stelle betäubte; dann fesselte und knebelte ich ihn und befestigte ihn so an den Stamm eines Baumes, daß er rings von Büschen umgeben war und also nicht gesehen werden konnte. Die Geierpfeife hatte ich ihm abgenommen. Ich versteckte mich, setzte sie an den Mund und stieß einen kurzen, halblauten Pfiff aus. Sofort raschelte es mir gegenüber in den Büschen. ein alter Indianer trat hervor und kam eiligen Laufes herübergesprungen. Ein Kolbenschlag meiner Büchse streckte ihn nieder. Er war nicht tot, sondern nur bewußtlos; ich hatte ihn ja nicht töten, sondern unschädlich machen wollen.

Es mußten mehr als drei oder vier Indianer vorhanden sein, und alle diese Leute auf dieselbe Weise herpfeifen und niederschlagen, das wäre ja die schändlichste Metzelei gewesen; aber sie war auch ein Ding der Unmöglichkeit. Vor allem mußte ich erfahren, wo sich die Pferde der Indsmen befanden; es war das eine gefahrvolle Sache. Ich ahmte das kurze Wiehern eines Hengstes nach und siehe da, eben dort, wo der Indianer herausgekommen war und wo unsere Pferde gestanden hatten, ertönte eine mehrstimmige Antwort.

Jetzt mußte ich auf mein gutes Glück vertrauen; ich band den alten Indianer mit seinen eigenen Riemen fest, nahm den jungen auf meine Achsel und eilte unter dem Schutze der Bäume um die kurze Krümmung, welche den Hintergrund des Tales bildete, der Stelle zu, an welcher die Pferde standen. Es waren ihrer sechs, ein sicherer Beweis also, daß sich noch vier Indsmen auf der Lauer befanden; diese standen jedenfalls weiter vorn nach dem Eingange zu, so daß ich hinten genugsam Zeit zu meinen Vorbereitungen hatte.

Ich stieg zunächst hinauf zu Bob. Er war im Innern des Baumes in die Höhe geklettert und schaute durch sein Fenster von oben herab. Als er mich nahen sah, kam er herabgerutscht und blickte zwischen den Haselruten hindurch.

»Massa, oh, haben fangen ein Indian‘! Massa machen wohl tot Indian‘?«

»Nein; ich will ihn nur gefangen halten. Willst du Massa Bernard mit retten?«

»Oh, Bob werden retten gern lieb‘ gut‘ Massa Bern‘. Wie es müssen machen Bob?«

»Du nimmst hier diesen Indianer und trägst ihn hier in gerader Richtung bergab, bis du an den großen Hickory kommst. Da legst du ihn ab und wartest auf mich.«

»Bob werden es machen so, Massa!«

»Aber du rührst seine Fesseln nicht an. Wenn er frei wird, bist du verloren!«

»Bob nicht werden sein verloren!«

»Gut, also vorwärts!«

Der riesige Neger warf sich den Indianer über die Achsel und stieg jenseits von der Höhe hinab. Ich kehrte zu den Pferden der Comanchen zurück. Es war gewiß eine schwere Aufgabe, alle sechs Tiere bei diesem Terrain zu entführen, das heißt, sie aus dem Tale empor und drüben wieder hinabzubringen. Allein jedoch brachte ich es wohl besser fertig als mit Hilfe des Negers, da alle indianischen Pferde einen unüberwindlichen Abscheu gegen die schwarze Rasse hegen, deren Ausdünstung den Tieren zuwider ist. Aufsteigen lassen sie den Neger, aber wenn er, vor ihnen hergehend, sie führen will, so weigern sie sich, ihm zu folgen.

Was ich bereits vorhin bemerkt hatte, bewährte sich jetzt: unsere Schätze – sowohl jene von uns aus dem Hide spot mitgebrachten, als auch das den beiden Morgans abgenommene Paket – waren verloren: – das Gold ist deadly dust, tödlicher Staub; es bringt unter hundert, die ihm in den Diggins und dem wilden Westen nachjagen, neunzig in den Tod. Der Glanz und Klang des verführerischen Metalls weckt finstere Dämonen, und nur unter dem Gesetze bewährt es seine segensreiche Macht.

Ich nahm die Bauchriemen der Pferde und band damit den Kopf je eines an den Schwanz des andern, so daß die sechs Tiere eine fortlaufende Reihe bildeten; dann faßte ich das vorderste beim Zügel, und fort ging es, die steile Berglehne hinan. Ich hatte meine liebe Not mit den widerspenstigen Tieren, und die übrigen vier Indianer mußten weit entfernt stehen, daß sie das Schnauben und Stampfen der Pferde nicht vernahmen; doch gelangte ich glücklich hinauf und drüben wieder hinab – die Wilden hatten keine Pferde mehr und waren also nicht mehr imstande, die Ihrigen einzuholen. Ebenso war ihr Hauptzweck, mich und Bob nachträglich zu fangen oder zu töten, verfehlt.

Der Neger saß unter dem ihm bezeichneten Hickory und bewachte den Indsman. Es mochte ihm, so allein mit dem Feinde, doch etwas bänglich zu Mute gewesen sein, und er war sichtlich erfreut und erleichtert durch mein Erscheinen.

»Oh, schön, daß kommen Massa. Indian‘ machen Augen wie Teufel, haben auch brummen und grunzen wie Vieh, aber Nigger Bob haben geben ihm einen Klaps auf Maul, daß er sein stille!«

»Du darfst ihn nicht schlagen, Bob, denn das ist nicht ritterlich und außerdem eine Beleidigung, die ein Indianer nur mit dem Tode vergilt. Wenn er ja wieder frei werden sollte und dich einmal trifft, so bist du verloren!«

»Nigger Bob verloren? Oh, ah, Massa! Dann lieber gleich schlagen tot Indian‘, daß nicht er werden wieder frei!«

Er zog wirklich seinen Bowiekneif und setzte die Spitze desselben auf die Brust des Comanchen.

»Halt, Bob, keinen Mord! Wenn wir ihn leben lassen, wird er uns großen Nutzen bringen. Hilf mir, ihn auf das Pferd binden!«

Ich nahm dem Indianer den Knebel aus dem Munde.

»Mein roter Bruder mag atmen, aber er darf nicht sprechen, außer wenn ich ihn frage!«

»Ma-ram wird reden, wenn es ihm beliebt,“« antwortete er. »Das Bleichgesicht wird mich töten und meinen Skalp nehmen, auch wenn ich nicht spreche.«

»Ma-ram wird leben und seinen Skalp behalten, denn Old Shatterhand tötet seinen Feind nur im Kampfe.«

»Das Bleichgesicht ist Old Shatterhand? Uff!«

»Ich sage die Wahrheit. Ma-ram ist nicht mehr mein Feind, sondern mein Bruder. Old Shatterhand wird ihn bringen in das Wigwam seines Vaters.«

»Der Vater von Ma-ram ist To-kei-chun, der große Häuptling der Comanchen, welcher über die Krieger der Racurroh gebietet; er wird Ma-ram töten, weil er der Gefangene des Bleichgesichtes ist.«

»Will mein Bruder frei sein?«

Der Indianer blickte mich verwundert an.