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Old Surehand I

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Wir stiegen an der Quelle ab, um zunächst selbst zu trinken und dann auch die Pferde trinken zu lassen; sie thaten das in vollen Zügen und durften sich dann zerstreuen, um zu weiden. Dann lagerten wir am Wasser, und ich schickte vorsichtshalber einen Apatschen hinauf auf die Höhe, um westwärts Ausguck zu halten, damit wir nicht etwa von Vupa-Umugi überrascht würden.

Wir wollten hier nur für einige Stunden ausruhen; länger durften wir nicht verweilen. Als diese Zeit vergangen war, durften die Pferde nochmals trinken, und dann stiegen wir wieder auf, um uns nach dem Orte zu begeben, an welchem wir beabsichtigten, die Nacht zu verbringen.

Dieser lag ungefähr zwei englische Meilen nordwärts von den »hundert Bäumen« und bildete mitten in der Ebene eine Vertiefung, welche dem »Thale des Sandes« ähnelte, in dem wir Schiba-bigk mit seinen Leuten gefangen genommen hatten.

An diesem Orte gab es Sand und nichts als Sand, keinen einzigen Grashalm, und schon darum konnten die Comantschen kaum auf den Gedanken kommen, daß es irgend jemandem einfallen werde, dort eine ganze Nacht und vielleicht auch noch länger zuzubringen. Und außerdem gewährte diese Vertiefung auch noch deshalb ein fast ganz sicheres Versteck, weil ein Feind, wenn er sich nicht bis ganz an ihren Rand näherte, unmöglich sehen konnte, daß wir uns da befanden. Es gab überhaupt keinen Grund, der einen Comantschen veranlassen mochte, hierher zu kommen. In dieser Bodensenkung angelangt, hobbelten wir unsre Pferde an und legten uns in den tiefen, weichen Sand.

Natürlich stellten wir einen Posten aus, welcher oben auf der Höhe lag, um nach Vupa Umugi und seiner Schar auszuschauen.

Nach dem, was ich von Schiba-bigk erfahren hatte, war die Ankunft dieser Roten für heut abend zu erwarten. Ich wünschte sehr, daß sie nicht später kommen möchten, denn der Aufenthalt in unserm wasserlosen, traurigen Lagerorte war keineswegs ein angenehmer zu nennen.

Glücklicherweise erfüllte sich dieser Wunsch noch eher, als ich dachte, denn die Sonne hatte den Horizont noch lange nicht erreicht, als der erwähnte Posten von oben herunterrief.-

»Uff! Naiini peniyil – — die Comantschen kommen!«

Ich nahm mein Fernrohr und stieg mit Old Surehand hinauf. Trotzdem die Entfernung so groß war, daß wir nicht gesehen werden konnten, machten wir unsere Beobachtung nicht stehend, sondern liegend. Ja, sie kamen, und zwar in einer Weise, welche uns sagte, daß sie sich sehr sicher fühlten. Sie ritten nämlich nicht nach ihrer sonstigen Weise, besonders wenn sie sich auf dem Kriegspfade befinden, im sogenannten Gänsemarsche, sondern einzeln und in Trupps ganz nach Belieben neben- und hintereinander.

»Die wissen ganz genau, daß der Weg frei ist, und sind vollständig überzeugt, kein feindliches Wesen vor sich zu haben. Sie haben nicht einmal Kundschaftet vorausgesendet,« sagte Old Surehand. »Eigentlich ist das sehr unvorsichtig von ihnen.«

»Das meine ich auch,« antwortete ich. »Ich an Vupa Umugis Stelle hätte Späher vorausgeschickt, um die »hundert Bäume« und ihre Umgebung absuchen zu lassen.«

»Gut, daß er das nicht thut; denn diese Kundschafter würden wahrscheinlich unsre Fährte entdecken, die hierher führt.«

»Freilich! Ich habe mich eben auf seine Sorglosigkeit verlassen, sonst wären wir nicht direkt von dort nach hier geritten.«

»Man kann es von hier aus nicht deutlich sehen, ob es so ist, aber hoffentlich haben sie die gerade Richtung nach den »hundert Bäumen«. Sie brauchten gar nicht sehr weit nördlich abzuweichen, um uns hier zu finden.«

»Das thun sie sicher nicht!«

»Aber möglich ist es doch.«

»Kaum!«

»Ihr meint, daß sie die Spur von Schiba-bigk noch sehen können, und derselben folgen?«

»Nein. Sie sehen jetzt wahrscheinlich schon das Gebüsch vor sich am Horizonte. Und selbst wenn das nicht der Fall wäre, so würden sie sich auf ihre Pferde verlassen, welche die Feuchtigkeit der »hundert Bäume« schon in den Nüstern haben und sich sicher von ihr führen lassen.«

Die roten Reiter hatten, von uns aus gesehen, die scheinbare Größe kleiner Hunde, die ganz genau nach Osten liefen und, immer kleiner und kleiner werdend, endlich in dieser Richtung unsern Augen entschwanden.

Nun war es allerdings eine für uns sehr wichtige Frage, ob sie unsre Spuren finden würden. Eigentlich mußten sie sie sehen; es kam nur darauf an, ob sie sie beachteten. In diesem Falle nahm ich an, daß sie sie für die Spuren Schiba-bigks halten würden, und grad darum hatten wir unsre Stiefel gegen indianische Mokassins vertauscht.

Faßten sie Verdacht, so kamen sie ganz sicher sofort her zu uns geritten. Wir schauten also in großer Erwartung nach Süden aus, woher sie in diesem Falle kommen mußten; aber es verging eine Stunde und noch mehr, ohne daß sich jemand sehen ließ, und als dann die Sonne sank und die kurze Dämmerung anbrach, durften wir uns sagen, daß wir keine Entdeckung zu befürchten hätten. Wir verließen also den hohen Rand der Vertiefung und stiegen wieder hinunter zu unsern Leuten. Dort empfing uns Old Wabble mit den Worten:

»Also sie sind da. Eigentlich sollte man sich den Spaß machen, sie während der Nacht zu überrumpeln und niederzuschießen.«

»Das nennt Ihr einen Spaß?« fragte ich.

»Warum nicht? Haltet Ihr es für etwas Trauriges, seine Feinde zu besiegen?«

»Nein; aber ebensowenig halte ich es für einen Spaß, anderthalb hundert Menschen umzubringen. Ihr kennt ja meine Meinung in dieser Beziehung. Wir lassen sie, so wie es ausgemacht worden ist, ruhig weiterziehen und schließen sie später ein. Da werden sie ohne alles Blutvergießen unser.«

»Weiterziehen, ja! Wenn sie das aber morgen früh nicht thun, sondern den ganzen Tag hier bleiben? Wo bekommen wir da das notwendige Wasser für uns und die Pferde her?«

»Sie bleiben nicht; darauf könnt Ihr Euch verlassen. Es kann ihnen gar nicht einfallen, einen ganzen Tag zu verlieren. Und selbst wenn ihnen ein solcher Zeitverlust gleichgültig wäre, müßten sie schon morgen früh die »hundert Bäume« verlassen, um dem Militär Platz zu machen.«

»Ob dieses aber kommen wird?«

»Das werden wir sehr bald erfahren.«

»Von wem?«

»Von den Comantschen.«

»Wollt Ihr sie belauschen?«

»Ja.«

»Herrlich, herrlich! Da gehe ich mit!«

»Ist nicht nötig!«

»Wenn auch nicht nötig, aber ich gehe doch mit!«

»In einer Lage, wie die unsrige ist, hat man nur das Nötige zu thun und alles andre zu unterlassen. Man begiebt sich sonst in Gefahren, die man leicht vermeiden kann.«

»Ist es keine Gefahr, wenn Ihr lauschen geht?«

»Unter Umständen allerdings.«

»Und ist es da nicht geraten für Euch, jemand mitzunehmen, der Euch helfen kann?«

»Helfen? Hm! Wolltet etwa Ihr mir helfen?«

»Yes.«

»Danke! Ich verlasse mich viel lieber auf mich als auf Euch, Mr. Cutter.«

»So wollt Ihr wirklich allein gehen?«

»Nein. Mr. Surehand wird mich begleiten.«

»Aber warum denn nicht ich?«

»Weil ich so will. Damit mag diese Angelegenheit abgethan sein.«

»Also habt Ihr zu ihm mehr Vertrauen als zu mir?«

»Ob dies der Fall ist oder nicht, das ist gleichgültig; ich nehme ihn mit, und Ihr bleibt hier!«

Ich sah es ihm an, daß er eine zornige Entgegnung auf den Lippen hatte; er beherrschte sich aber und schwieg. Er mit seiner Unvorsichtigkeit wäre der letzte gewesen, den ich mit zu den Comantschen hätte nehmen mögen!

Da ich annahm, daß diese morgen früh zeitig aufbrechen würden, war vorauszusehen, daß sie sich heut zeitig schlafen legten. Also durfte ich nicht lange warten, falls ich sie belauschen und wirklich etwas erfahren wollte. Darum ließ ich nach dem Einbruche der völligen Dunkelheit nicht mehr als eine Stunde vergehen, um mich mit Old Surehand auf den Weg zu machen. Später, wenn der Mond aufging, war es schwerer als jetzt, unentdeckt zu bleiben.

Wir benutzten unsere eigene Fährte als Weg und wendeten uns, bei den »hundert Bäumen« angekommen, zunächst nach der Höhe der Hufeisenbucht, um, wie die Vorsicht es erforderte, nachzuforschen, ob dort Wachen standen. Es dauerte sehr lange, ehe wir den ganzen Halbkreis abgesucht hatten, ohne einen Comantschen zu entdecken. Vupa Umugi hatte hier oben keine Posten ausgestellt; er mußte seiner Sache außerordentlich sicher sein.

Unten am Wasser brannten mehrere kleine Feuer, die durch die abgeschnittenen Aeste und Zweige unterhalten wurden, die wir hatten herumliegen sehen. An der Quelle schien der Häuptling mit seinen hervorragendsten Kriegern zu sitzen; die andern hatten sich zu beiden Seiten des Wasserlaufes gelagert, wie weit hinaus, das konnten wir nicht sehen. Auch die Pferde sahen wir nicht; es war jetzt noch zu dunkel dazu. Ob da unten, nach dem Llano hin, Posten standen, das entging unsern Augen ebenso, konnte uns aber gleichgültig sein, weil wir nach dieser Seite hin nicht kamen.

Es war unsre Aufgabe, uns dem Häuptlinge möglichst weit zu nähern, um ihn günstigen Falles sprechen zu hören. Wir machten uns also in das Gesträuch und krochen, Old Surehand hinter mir her, zwischen den Büschen die Böschung hinab. Dies war nicht sehr leicht, weil sich unter unsern Füßen jeden Augenblick ein Teil des sehr lockeren Bodens lösen und durch das beim Hinabrollen verursachte Geräusch uns verraten konnte. Die Indianer verhielten sich so ruhig, daß ein solches Geräusch unbedingt gehört werden mußte. Ich setzte also bei jedem Schritte den Fuß erst tastend voran, um die betreffende Stelle durch das Gefühl zu untersuchen. Es ging also langsam, sehr langsam, und es war während dieses Hinabsteigens gewiß eine Stunde vergangen, als wir endlich hinter einem dichten Strauche lagen, welcher dem Quell so nahe stand, daß wir die daran lagernden Roten sprechen hören konnten – —wenn sie überhaupt sprachen.

Sie sprachen aber nicht. Sie saßen stumm und bewegungslos bei einander und sahen in die glimmende Helle des kleinen Feuers, an weichem, wie der noch bemerkbare Geruch uns zeigte, Fleisch gebraten worden war. Wir warteten eine Viertelstunde und noch eine; es blieb so still wie bisher, und man hätte meinen können, es mit leblosen Figuren zu thun zu haben, wenn nicht einer der Indsmen den Arm zuweilen bewegt hätte, um einen Zweig in das Feuer zu legen. Schon stieß Old Surehand mich an, ein fühlbares Fragezeichen, ob es nicht besser sei, wieder zu gehen, da ertönte draußen außerhalb des Lagers plötzlich ein lauter Ruf, dem mehrere andre Rufe folgten. Da draußen standen also doch Posten, und diese schienen etwas Auffälliges bemerkt zu haben, denn die Rufe mehrten sich und wurden so dringend, daß sie das ganze Lager alarmierten. Vupa Umugi sprang auf, und die bei ihm Sitzenden thaten ebenso. Der Lärm wurde größer, und das Rufen war bald hier und bald dort zu hören. Es klang genau so, als ob jemand gejagt werde, den man fangen wolle. Es bemächtigte sich meiner eine Besorgnis, die ich nicht von mir weisen konnte, obwohl ich es gern wollte.

 

»Was mag das sein?« fragte mich Old Surehand leise.

»Es klingt, als ob ein Mensch hin und her getrieben würde,« antwortete ich ebenso flüsternd.

»Ja, es ist jemand, der gefangen werden soll; ich irre mich nicht; man kann es deutlich hören. Wer aber mag es sein? Sollte – — – —?«

Er sprach die Frage nicht aus.

»Was wolltet Ihr sagen?« fragte ich.

»Nichts, Sir. Es wäre wirklich zu toll von ihm!«

»Von wem?«

»Von – — – doch nein, es ist nicht möglich!«

»Es ist möglich. Ich weiß, wen Ihr meint.«

»Nun, wen?«

»Old Wabble.«

»Teufel! Auch Ihr denkt es?«

»Es ist ihm zuzutrauen.«

»Ja, er ist auf das Anschleichen geradezu versessen, und da er vorhin gar so gern mit wollte, so – — – horcht!«

Es war ein Ruf, der linker Hand draußen erscholl:

»Sus taka – — ein Mann!«

Und gleich darauf hörten wir von rechts, jenseits des Gebüsches her, rufen:

»Sus kava – — ein Pferd!«

Dann wurde es still; aber wir bemerkten, mehr mit den Ohren als mit den Augen, eine Bewegung, welche sich uns näherte. Es wurde von links und dann auch von rechts her jemand oder etwas gebracht. Wer oder was mochte es sein?

Um dies zu erfahren, brauchten wir gar nicht lange zu warten. Die Befürchtung, welche wir ausgesprochen hatten, erfüllte sich zu unserm Schrecken. Eine Anzahl von Comantschen brachten – — Old Wabble geführt; er war entwaffnet und mit Riemen streng gefesselt. Und einige Augenblicke später wurde auch sein Pferd gebracht. Er war uns also gefolgt, und zwar zu Pferde. Welch ein Unsinn! Daß ihm solche Eigenmächtigkeiten zuzutrauen waren, das wußte ich aus Erfahrung; daß er sich aber vornehmen werde, zu Pferde anzuschleichen, eine solche Dummheit hätte ich ihm denn doch nicht zugetraut.

Er brachte uns durch diese Albernheit nicht nur in große Verlegenheit, sondern in die augenscheinlichste Gefahr. Die Comantschen mußten sich doch sagen, daß er nicht allein hier sein könne, sondern Gefährten bei sich haben müsse. Die Sorge um uns selbst erforderte eigentlich, daß wir uns sofort entfernten; aber konnten oder durften wir das? Mußten wir nicht vielmehr bleiben, um zu erfahren, was geschah? Der Alte war trotz seiner großen Unvorsichtigkeit ein pfiffiger Kerl; vielleicht kam er auf eine Aussage, weiche den Verdacht der Roten ablenkte.

»Uff, Old Wabble!« rief Vupa Umugi aus, als er den Alten erblickte. »Wo habt ihr ihn ergriffen?«

Der Rote, an den diese Frage gerichtet war, antwortete:

»Er lag mit dem Bauche im Grase und schlich durch dasselbe wie ein Coyote, der auf Raub ausgeht. Und unsre Pferde wurden unruhig, denn sie rochen das seinige, welches er da draußen jenseits unsrer Posten angepflockt hatte.«

»Hat er sich gewehrt?«

»Pshaw! Er wollte fliehen, und wir jagten ihn wie einen räudigen Hund hin und her; als wir ihn dann ergriffen, wagte er nicht, sich zu verteidigen.«

»Habt ihr noch andre Weiße gesehen?«

»Nein.«

»So geht und sucht nach Spuren von ihnen. Dieses alte Bleichgesicht kann sich nicht ganz allein hier am Rande des Llano estacado befinden.«

Der Krieger ging, um in diesem Sinne nachzuforschen, und der Häuptling setzte sich mit seinen Leuten so ruhig nieder, als ob nicht das geringste vorgekommen wäre. Er sah Old Wabble, der, von zwei Roten gehalten, vor ihm stand, mit drohendem Blicke an, zog sein Messer, stieß es vor sich in die Erde und sagte dann zu ihm.

»Hier steckt das Messer des Verhöres, Es kann dich töten, dir aber auch das Leben lassen. Du hast das in deiner Hand. Wenn du die Wahrheit sagst, wirst du dich retten.«

Das Auge des king of the cowboys schweifte herüber in das Gebüsch; es suchte nach uns, aber glücklicherweise nur mit einem kurzen Blicke. Hätte er sich in dieser Beziehung nicht beherrscht, so hätte er uns sehr leicht verraten können.

»Wo hast du deine Begleiter?« fragte der Häuptling.

»Ich habe keine,« antwortete der Alte.

»Du bist allein?«

»Ja.«

»Das ist eine Lüge!«

»Es ist die Wahrheit!«

»Wir werden sie suchen und finden.«

»Ihr werdet niemand finden.«

»Wenn es sich herausstellt, daß du lügest, wirst du schuld sein an dem harten Tode, den ihr erleiden werdet.«

»So laß nur suchen; ich habe nichts dagegen!«

»So sage mir, was du hier am Rande des Llano estacado zu schaffen hast! Wirst du etwa die Ausrede machen, daß du hierhergekommen seist, um zu jagen?«

»Nein, so dumm ist Old Wabble nicht. Aber dennoch möchte ich es sagen, denn es ist wirklich wahr.«

»Was könntest du jagen wollen? Es giebt hier kein Wild.«

»Es giebt welches, und zwar viel.«

»Welcher Art?« lachte Vupa Umugi verächtlich.

»Rotwild.«

»Uff!«

»Ja, Rotwild, nämlich Indianer. Ich kam hierher, um euch zu jagen.«

Er war sehr kühn. Wahrscheinlich verließ er sich auf uns. Er schien überzeugt zu sein, daß wir in der Nähe steckten und ihn hörten. Und sehr wahrscheinlich nahm er es als ganz selbstverständlich an, daß wir ihn nicht in seiner jetzigen unglücklichen Lage stecken lassen würden. Es war aber vorauszusehen, daß er sich in dieser Beziehung täuschte. Hatte er sich, was ganz wörtlich zu nehmen war, »hineingeritten«, so mochte er nun zunächst selbst sehen, wo er blieb; wir mußten vor allen Dingen für uns selbst sorgen und darauf bedacht sein, nicht auch ergriffen zu werden. Wir durften nicht, um ihn zu befreien, unser Leben wagen und dabei das Gelingen unsres ganzen schönen Planes so leichtsinnig, wie er es gethan hatte, in die Schanze schlagen.

Die mutige Antwort des Alten hatte den Häuptling frappiert; man sah es ihm an. Er zog die Brauen finster zusammen und sagte in drohendem Tone:

»Old Wabble mag sich ja hüten, meinen Zorn zu erwecken!«

»Wozu diese Drohung? Du hast ja gesagt, daß ich die Wahrheit sagen soll.«

»Ja; aber du sprichst sie nicht!«

»Beweise das!«

»Hund, wie kannst du, der du unser Gefangener bist, Beweise von mir verlangen! Deine eigene Rede ist der Beweis, der dich überführt. Du sagst, du seist gekommen, uns zu jagen. Kann ein einzelner Mann zehnmal fünfzehn rote Krieger jagen?«

»Nein.«

»Und doch behauptest du, allein hier zu sein!«

»Das ist auch wahr; ich bin nur als Kundschafter hier; die andern kommen nach. Und ich warne euch! Wenn ihr mir etwas thut, werden sie mich blutig an euch rächen.«

»Pshaw! Wer sind die Leute, mit denen du es wagst, uns zu drohen?«

»Ich sollte es eigentlich nicht sagen, denn ihr habt keine Ahnung davon, daß sie euch auf den Fersen sind; aber es macht mir Spaß, euch schon jetzt die Augen zu öffnen, was kein Fehler von mir ist, weil es ganz unmöglich ist, daß ihr ihnen entgehen könnt.«

Er zog sein altes, faltenreiches Gesicht in eine triumphierende Miene und fuhr fort:

»Kennst du den Häuptling Nale-Masiuv?«

»Natürlich kenne ich ihn.«

»Er hat es gewagt, weiße Reiter anzugreifen und ist geschlagen worden.«

»Uff!« antwortete Vupa Umugi, mehr nicht.

»Er ist dann so unvorsichtig gewesen, Boten zu euch zu senden. Das Militär hat die Fährte derselben entdeckt und ist ihr gefolgt.«

»Uff!«

»Die Soldaten sind durch die Fährte zum »blauen Wasser« geführt worden, wo euer Lager war. Ihr hattet dasselbe schon verlassen; da sind sie hinter euch her, und mich haben sie vorangesandt, um als Kundschafter zu entdecken, wo ihr heut Lager macht. Ihr habt mich zwar gefangen, werdet mich aber wieder freigeben müssen, denn sie kommen mir nach und werden euch bis auf den letzten Mann vernichten!«

»Gott sei Dank!« rief ich in meinem Innern aus; denn dies war die beste, ja die einzige Ausrede, die er machen konnte. Nur auf diese Weise war es möglich, ihren Verdacht von uns abzulenken und sie glauben zu lassen, daß er wirklich allein gekommen war. Ja, er war ein alter, pfiffiger Kerl, was aber den Zorn, den ich gegen ihn hegte, nicht im mindesten abschwächen konnte.

Vupa Umugi machte eine wegwerfende Handbewegung und sagte:

»Old Wabble mag ja nicht zu viel und zu früh triumphieren. Er wird der »Indianertöter« genannt, und wir alle wissen ganz genau, daß noch nie ein roter Krieger vor seiner Kugel oder seinem Messer Gnade gefunden hat. Wir sind sehr froh, ihn erwischt zu haben, und werden uns sehr hüten, ihn freizugeben; er wird vielmehr ganz sicher am Marterpfahle sterben und mit den größten, ausgesuchtesten Schmerzen alle die Morde büßen, die er begangen hat!«

»Das sagst du jetzt; es wird aber ganz anders kommen,« entgegnete Cutter im Tone der Ueberlegenheit.

»Hund, sei nicht so keck!« fuhr ihn der Häuptling an. »Glaubst du wirklich, uns etwas für uns Neues gesagt zu haben? Wir wissen längst, daß die weißen Soldaten mit Nale Masiuv gekämpft haben. Sie sind Sieger geblieben, aber für kurze Zeit, denn er hat heimgesandt und noch weitere hundert Krieger kommen lassen.«

»Ah!« rief Old Wabble aus, indem er sich enttäuscht stellte.

»Ja,« fuhr der Häuptling fort, nun seinerseits triumphierend. »Und ebenso genau wissen wir, daß diese weißen Hunde hinter uns her sind. Wir selbst haben das ja so gewollt, denn wir haben sie uns nachgelockt, um sie zu verderben.«

»Du machst da einen großen Mund und sagst das nur, um mir Angst zu machen, was dir aber nicht gelingen wird.«

»Schweig! Was ich sage, das ist wahr! Ihr wollt uns vernichten, werdet aber selbst bis auf den letzten Mann getötet werden!«

»Pshaw!«

»Schweig! Ich sage dir, daß wir euch eine Falle gestellt haben, aus welcher kein Entkommen ist.«

»Ja, vielleicht, wenn wir so dumm sind, hineinzulaufen.«

»Du bist ja schon hineingelaufen; du befindest dich ja schon drin!«

»Um so aufmerksamer und vorsichtiger werden die weißen Soldaten sein.«

»Sie laufen auch hinein; sie können gar nicht anders.«

»Oh!«

Dieser wegwerfende Ausdruck des Unglaubens machte den Häuptling noch zorniger; er fuhr den Alten an:

»Wenn du noch ein einziges solches Wort sagst, werde ich dir den Mund stopfen lassen. Wir sind nur darum von dem »blauen Wasser« hierher geritten, damit die Soldaten uns folgen sollen. Wir werden auch dieses Lager verlassen, um sie in die Wüste zu führen, wo sie elend umkommen müssen.«

»Umkommen? Sie werden kämpfen und euch besiegen!«

»Es wird zu gar keinem Kampfe kommen. Wir locken sie tief in den Sand hinein, wo es kein Wasser giebt; dort werden sie verschmachten, ohne daß ihnen ihre Waffen etwas nützen.«

»Sie werden sich hüten, sich von euch irreleiten zu lassen.«

»Sie werden es thun; ich weiß das genau. Denkst du, daß wir keine Augen und keine Ohren haben? Sie lagern in dieser Nacht nur einige kurze Reitstunden hinter uns und werden einige Zeit nach Tagesanbruch hier ankommen. Da sind wir schon fort, und sie werden uns folgen. Hinter ihnen aber kommt dann Nale-Masiuv mit viel mehr als hundert Kriegern. Dadurch geraten sie zwischen ihn und uns, zwischen den Hunger, den Durst und unsre Gewehre und werden auf das elendeste umkommen müssen.«

»Thunder-storm!« rief Old Wabble in einem Tone aus, als ob er sehr erschrocken sei.

»Ja, da fährt dir das Entsetzen in die Glieder!« lachte der Häuptling grimmig. »Du mußt einsehen, daß ihr verloren seid. Aber ich habe noch ein andres Wort mit dir zu sprechen. Wo sind die Bleichgesichter, die sich am »blauen Wasser« bei dir befanden?«

»Bleichgesichter? Wen meinst du da?«

»Old Shatterhand.«

»Ah, den!«

»Ja, den. Auch Old Surehand, den ihr uns entrissen habt, und die andern alle.«

»Wo die sind, weiß ich nicht.«

»Lüge nicht!«

»Ich lüge nicht. Wie kann ich wissen, wo sie sind?«

»Sie waren doch bei dir!«

 

»Ja, an diesem einen Tage; dann haben wir uns von einander getrennt.«

»Das machst du mich nicht glauben. Du willst mir verschweigen, daß sie sich bei den Soldaten befinden!«

»Bei den Soldaten? Fällt ihnen nicht ein. Old Shatterhand ist nicht der Mann, sich zu solchen Leuten zu gesellen und seine Selbständigkeit dadurch einzubüßen. Oder glaubst du vielleicht, daß er sich dazu erniedrigt, ihren Spion zu machen?«

»Old Shatterhand ist stolz,« gab der Häuptling zu.

»Nicht bloß das. Er ist ein Freund sowohl der Weißen als auch der Roten. Wird er sich da wohl in den Streit mengen, der zwischen ihnen ausgebrochen ist?«

»Uff, das klingt wahr.«

»Und hat er nicht am »blauen Wasser« Frieden mit dir geschlossen?«

»Auch das ist richtig. Aber wo befindet er sich?«

»Er ritt den Rio Pecos hinab, um in den Wohnungen der Mescalero-Apatschen mit Winnetou zusammenzutreffen.«

»Ritt er allein?«

»Nein, die andern alle begleiteten ihn.«

»Warum du nicht auch?«

»Weil ich zu den Soldaten wollte, deren Scout ich jetzt bin.«

»Solltest du wirklich so allein geritten sein? Das glaube ich nicht. Deine letzteren Worte erregen meinen Verdacht aufs neue. Old Shatterhand ist bei euch!«

»Nein!«

»Ich bin überzeugt davon!«

»Ich habe Vupa Umugi für weit klüger gehalten, als er sich jetzt zeigt. Sieht er denn nicht ein, daß er sich mit seinem Mißtrauen eine große Blöße giebt?«

»Nein.«

»Das bedaure ich. Ist Old Shatterhand während eines Kriegszuges nicht mehr wert als hundert Krieger? Und ist Old Surehand ihm in dieser Beziehung nicht gleich? Wenn sich so berühmte Männer bei uns befänden, würde ich es dir da nicht sagen, um dir Angst zu machen, dich an mir zu vergreifen?«

»Uff!« nickte der Häuptling zustimmend.

»Es würde für mich ein großer Vorteil sein, wenn ich dir mit diesen beiden Bleichgesichtern drohen könnte. Wenn ich das nicht thue, mußt du einsehen, daß sie wirklich nicht mit bei uns sind.«

»Uff!« erklang es abermals bejahend.

»Also, wollte ich eine Lüge erfinden, so würde ich doch lieber sagen, daß diese beiden kommen werden, um mich zu retten, als daß ich dies verneine. Wenn Vupa Umugi das nicht einsieht, steht es schlimm um seinen Verstand.«

»Was geht dich mein Verstand an, Hund! Ich weiß nun, woran ich bin, und es wird darauf ankommen, ob meine Krieger, welche jetzt die ganze Gegend nach Gefährten von dir absuchen, jemand finden oder nicht. Auf alle Fälle aber bist du verloren. Denke nicht, daß wir dich sofort töten! So leicht kommt der »Indianermörder« nicht davon. Wir nehmen dich mit, denn unser ganzes Volk soll dich sterben sehen und über deine Qualen jubeln. Auch sollst du bei uns sein, um mit eigenen Augen dich zu überzeugen, daß ich die Wahrheit sagte, als ich behauptete, daß die bleichen Soldaten in der Wüste elend umkommen werden. Nun, was ist‘s, was hast du zu melden?«

Er richtete diese Frage an einen Roten, der jetzt herbeigeritten kam und vom Pferde sprang. Dieser antwortete:

»Wir haben die ganze Gegend umkreist und abgesucht, doch niemand gefunden. Dieses Bleichgesicht hat sich also ganz allein in unsre Nähe gewagt.«

»Er wird das Wagnis mit dem Leben bezahlen. Bindet ihm nun auch die Füße, und fesselt ihn so eng, daß er sich nicht bewegen kann! Fünf Krieger mögen ihn bewachen und mit ihren Köpfen für ihn haften. Auch mögen Wachen den Rand da oben hinter uns besetzen, damit wir uns keiner Unvorsichtigkeit schuldig machen!«

Diese Unvorsichtigkeit hatte er freilich schon begangen und uns dadurch die heimliche Annäherung bedeutend erleichtert. Nun galt es, uns sehr schnell zu entfernen und ja nicht zu warten, bis die Posten sich da oben aufstellten, sonst liefen wir Gefahr, von ihnen entdeckt zu werden. Wir krochen also schleunigst, doch möglichst leise, die Böschung hinauf, wobei wir uns freilich nicht so viel Zeit nehmen konnten, wie vorhin beim Abwärtssteigen.

Oben angekommen, eilten wir zunächst mit schnellen Schritten so weit fort, daß wir fern genug waren, um nicht gesehen und gehört zu werden; dann konnten wir diese Eile mäßigen.

»Jetzt, Sir, was sagt Ihr dazu?« fragte mich Old Surehand.

»Fatal, ja weit, weit mehr als fatal!« antwortete ich.

»Das ist ein sehr böser Streich, den uns der Alte da wieder gespielt hat.«

»Glücklicherweise für ihn böser als für uns.«

»Ja. Nachdem das Unglück einmal fertig war, hat er sich gar nicht übel benommen.«

»Es ist schade, jammerschade um ihn! Er ist sonst ein ganz tüchtiger Kerl, und wenn er nicht die Angewohnheit hätte, so sinnlos selbständig zu handeln, wäre er sehr gut zu brauchen. So aber muß man mit ihm vorsichtiger als mit irgend einem Greenhorn sein. Er ist ein Mensch, der am besten für sich allein bleibt, denn jeder Gesellschaft, der er sich anschließt, muß er gefährlich werden.«

»Er verläßt sich natürlich auf unsre Hilfe.« »Selbstverständlich. Wir sollen ihn herausholen.«

»Wird das gehen?«

»Ja. Wir dürfen ihn nicht verlassen.«

»So wollt Ihr ihn noch im Laufe dieser Nacht befreien?«

»Nein, das ist unmöglich.«

»Hm! Ich denke, Euch ist auch das nicht zu schwer.«

»Dank für dieses Vertrauen! Wenn ich von einer Unmöglichkeit sprach, so habe ich nicht die Befreiung an sich selbst gemeint. Warum sollten wir ihn nicht noch in dieser Nacht losmachen können, Ihr und ich? Ich glaube, wir haben noch ganz andre Dinge fertig gebracht. Das Leben wäre freilich dabei zu riskieren, doch bin ich überzeugt, daß es gelingen würde. Aber die Roten würden erfahren, daß wir hier sind, und das dürfen sie nicht. Sollen wir unser ganzes schönes, wohlüberlegtes Unternehmen eines Mannes wegen in Frage stellen, der es wiederholt gefährdet, indem er immer und immer neue Dummheiten begeht?«

»Nein.«

»Es handelt sich jetzt nicht um sein Leben; das haben wir gehört. Er ist freilich nicht grad auf Rosen gebettet; das hat er sich aber selbst zuzuschreiben und mag als wohlverdiente Strafe gelten. Die Roten mögen ihn mitnehmen; wir können das nicht ändern. Später, wenn sie in der Falle stecken, werden sie ihn freigeben müssen.«

»Wenn sie ihn nicht als Geisel betrachten.«

»Pshaw! Darauf gehen wir natürlich nicht ein.«

»Es ist mir völlig unbegreiflich, daß ein Mann, noch dazu von seinem Alter, fortgesetzt derartige Streiche auszuführen vermag. Gute Lehren hat er genug bekommen.«

»Die haften nicht, weil es bei ihm geradezu an der Möglichkeit fehlt, sich unterzuordnen.«

»Uns nachzukommen, um sich auch anzuschleichen! Und gar zu Pferde! Das kann man nicht anders als verrückt nennen! Meint Ihr nicht auch, Sir? «

»Ja; aber wie bei jedem Unglücke ein Glück zu sein pflegt, so auch hier, denn wir können sehr froh sein, daß er das Pferd bei sich hatte.«

»Warum?«

»Weil die Comantschen sicherlich danach gesucht und nicht eher geruht hätten, als bis sie wußten, woran sie waren.«

»Ah! Da hätten sie uns entdeckt!«

»Gewiß. So unbegreiflich es mir ist, daß jemand auf den verrückten Gedanken kommen kann, sich im Sattel anzuschleichen, so zufrieden bin ich jetzt damit, daß es geschehen ist. Der Häuptling ist beruhigt und wird nicht suchen lassen.«

»Hm! Wollen es hoffen!«

»Ich bin überzeugt davon. Selbst wenn sein Mißtrauen zurückkehren sollte, hat er keine Zeit, lange Forschungen anzustellen. Wir haben ja gehört, daß die Kavallerie zeitig kommen wird. Da muß er fort sein.«

»Das ist glücklicherweise wahr, und wir können sagen, daß wenigstens wir beide unsre Zwecke erreicht haben. Erst hatte es gar nicht den Anschein, als ob wir etwas hören und erfahren würden, und erst das Erscheinen des alten Wabble öffnete dem Häuptlinge den Mund. Also haben wir Cutter es zu verdanken, daß wir etwas erlauschten. Wir könnten das für ihn als Milderungsgrund gelten lassen, wenn wir geneigt sein sollten, ihm zu verzeihen.«

»Danke! Ich habe ihm schon oft genug verziehen; das hört nun auf. Hier giebt es keinen Milderungsgrund. Wo es sich wieder und immer wieder um die Freiheit und das Leben handelt, wäre es der reine Selbstmord, wenn man sich nicht gegen derartige Gefahren schützte. Und der einzige Schutz, den es hier giebt, besteht darin, daß man die Wiederholung solcher Streiche unmöglich macht.«

»Aber wodurch?«

»Dadurch, daß man sich von dem alten Wabble trennt. Ich verzichte auf seine Gesellschaft. Wenn er die Freiheit wieder hat, mag er reiten, wohin er will. Ich habe mich freilich erst gefreut, ihn kennen zu lernen; er hat mir aber diese Freude ganz gehörig vergällt. Jetzt ist es wahrlich kein Vergnügen mehr, ihn bei sich zu haben und Dummheit über Dummheit begehen zu sehen. Da ist mir denn doch der unerfahrenste Neuling lieber. Ein Greenhorn fügt sich und folgt dem erfahrenen Westmann in der Ueberzeugung eben seiner Unerfahrenheit; hier aber giebt es einen alten Horseman, der stolz darauf ist, einst der »König der Cowboys« geheißen zu haben, und in diesem Stolze es unter seiner Würde hält, sich einem andern Willen als dem seinen unterzuordnen. Ein guter Cowboy mag ein braver Hirt und Reiter, vielleicht auch ein leidlicher Schütze sein; zu einem tüchtigen Westmann aber gehört mehr, weit mehr!«