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In den Schluchten des Balkan

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Fuenftes Kapitel: Im Taubenschlag

Wir ritten an der Arda hin. Der Führer Albanis hatte, wie ich gleich sah, das beste Maultier für sich ausgesucht und saß in einem guten türkischen Sattel. Dem Deutschen hatte er ein obstinates Tier gegeben und einen Sattel, der mich zum Lachen brachte. Wäre es noch ein Packsattel gewesen, so hätte es gehen mögen; aber dieses Ding war ein scharfkantiges Holzgestell und zwar so breit, daß die Füße des Reiters hüben und drüben über eine halbe Elle vom Maultiere abstanden. Das mußte dem Reiter Schmerz verursachen, wenn er es nicht vorzog, die Kniee bis zum Sitz heraufzunehmen. Riemen und Steigbügel gab es nicht. An ihrer Stelle hing zu beiden Seiten des Martergestelles je ein Strick herab, welcher in mehrere Fußschlingen geknotet war, eine Vorrichtung, welche sich mehr durch ihre Billigkeit als durch ihre Zuverlässigkeit auszeichnete.

Wir hatten die Stadt nicht weit hinter uns, so kam uns ein Mann mit einem Hund entgegen. Der Köter bellte uns an, und sofort ging Albanis Tier mit den Hinterbeinen in die Luft, nicht schnell ausschlagend, sondern langsam. Man sah, das Tierchen hatte Uebung in dieser Evolution und führte sie künstlerisch und geschmackvoll aus.

»Ah, eh, oh!« rief der Reiter. »Fängst du schon jetzt wieder an! Bestie du!«

Er versuchte, sich zu halten, vermochte es aber nicht. Er rutschte über den Kopf des Tieres herab und saß an der Erde, noch ehe die Hinterhufe den Boden wieder berührt hatten. Er sprang auf und schlug das Maultier mit der Faust zwischen die Ohren. Da aber meinte der Besitzer desselben:

»Warum schlägst du es? Gehört es mir oder dir? Hast du das Recht, ein fremdes Tier zu quälen?«

»Hat dieses Tier das Recht, einen fremden Menschen abzuwerfen?« antwortete Albani.

»Abzuwerfen? Hat es dich etwa abgeworfen? Es hat dich ganz langsam und säuberlich herabrutschen lassen, damit du dir keinen Schaden zuziehen mögest. Du bist ihm also Dank schuldig. Statt dessen aber schlägst du es!«

»Ich habe es gemietet, um zu reiten, nicht aber, um abgeworfen zu werden. Es hat zu gehorchen. Ich bezahle es, und es ist also mein. Wenn es nicht gehorcht, so züchtige ich es!«

»Oho! Wenn du es noch einmal schlägst, so reite ich zurück und lasse dich auf der Straße sitzen. Steig wieder auf!«

Albani krabbelte wieder hinauf; aber nun wollte das liebe Viehzeug nicht laufen. Es wich nicht von der Stelle. Der Reiter schimpfte, er wetterte; das Tier schien Freude an dessen Zorn zu haben. Es drehte den Schwanz und wedelte mit den Ohren; aber es wich nicht von der Stelle. Albani getraute sich nicht, es wieder zu schlagen. Er forderte den Besitzer auf, sein Tier in Bewegung zu bringen; dieser aber antwortete:

»Laß ihm nur seinen Willen. Es will stehen bleiben, und so mag es stehen. Es wird schon selbst wieder an das Laufen denken. Wir reiten einstweilen weiter.«

So geschah es. An einer Krümmung des Weges blickte ich mich um. Dort stand das halsstarrige Geschöpf immer noch und wedelte mit den Ohren. Kaum aber hatten wir diese Krümmung hinter uns, infolgedessen es uns nicht mehr zu sehen vermochte, so setzte es sich in Bewegung, und zwar in einem solchen Galopp, daß das Sattelgestell, auf welchem Albani auf und nieder flog, in allen Fugen krachte. Und da es nun einmal im Laufen war, so blieb es auch nicht wieder halten, sondern es rannte an uns vorüber und weiter, immer weiter fort.

Das wirkte ansteckend. Das Packtier, welches der Besitzer am Leitzügel führte, riß sich plötzlich los und lief hinter dem Ausreißer her; wir natürlich ihm nach. Doch mußten wir bald halten, um die Gegenstände aufzulesen, welche vom Packsattel herabgeschleudert worden waren. Als wir dann Albani erreichten, saß er wieder an der Erde und rieb sich diejenige Körpergegend, welche eigentlich in den Sattel, aber nicht auf den Erdboden gehörte. Die beiden Tiere standen dabei, schwangen die Schwänze, wirbelten die Ohren und fletschten die Zähne. Man hätte denken mögen, daß dies ein höhnisches, schadenfrohes Lächeln vorstellen solle.

Die abgeworfenen Sachen wurden wieder befestigt. Albani stieg auf, und es ging weiter. Aber noch keine halbe Stunde war vergangen, so blieb die liebe Kreatur wieder stehen und wollte nicht von der Stelle.

»Es wird nachkommen. Reiten wir weiter,« meinte der Herr und Gebieter.

Ich hatte bisher geschwiegen; jetzt aber sagte ich zu ihm:

»Wünschest du etwa, daß das Packtier wieder durchgehen soll? Wenn sich das wiederholt, so werden wir weit kommen. Er mag die Peitsche nehmen.«

»Das dulde ich nicht.«

»So, so! Was hat dieser Herr zu dir gesagt, als er die Tiere mietete?«

»Er hat zwei Pferde oder Maultiere verlangt, eins zum Reiten und das andere für das Gepäck.«

»Schön, sehr schön! Er hat also nicht ausdrücklich dasjenige Tier verlangt, welches du ihm gegeben hast?«

»Nein.«

»Nun, so steige ab, und tausche mit ihm!«

Er machte ein höchst verwundertes Gesicht. Er schien meinen Vorschlag für ganz unbegreiflich, für unsinnig zu halten.

»Was meinst du? Ich soll ihm hier dieses Tier geben? Das ist ja mein!«

»Das andere ist auch dein, verstanden?«

»Aber ich reite nur auf diesem da, sonst auf keinem andern.«

»So wirst du aber jetzt einmal eine Ausnahme machen. Dieser Herr hat ein Tier für das Gepäck und eins zum Reiten verlangt. Zum Reiten gehört auch ein Reitsattel. Es gibt aber bei dir nur einen solchen, in diesem sitzest du. Wer ein Reittier bezahlt, muß es auch bekommen. Du wirst also mit ihm tauschen.«

»Das fällt mir nicht ein!«

»Aber mir fällt es ein!« antwortete ich mit erhöhter Stimme. »Ich habe den Ferman des Großherrn; dieser Herr ist jetzt mein Begleiter; er steht unter meinem Schutz, also auch unter demjenigen des Padischah. Wenn ich dir einen Befehl erteile, so hast du einfach zu gehorchen. Also heraus aus dem Sattel!«

Albani stieg wieder ab; der Andere aber sagte:

»Er hat zwei Tiere verlangt und er hat sie erhalten. Ich lasse mir nichts befehlen!«

»Halef!«

Der kleine Hadschi hatte schon längst, mit der Hand am Peitschenstiel, auf diese Aufforderung gewartet. Kaum war das Wort ausgesprochen, so sauste die Nilpferdpeitsche dem Ungehorsamen auf den Rücken nieder, und zwar so gewaltig, daß er, laut schreiend, aus dem Sattel sprang. Er erhielt noch einige Hiebe und hatte nun gar nichts mehr gegen den »Umzug« zu bemerken. Man muß die Leute nach ihrer rechten Art zu behandeln wissen.

Natürlich war Albani ganz einverstanden mit der eingetretenen Veränderung; er hatte Vorteil davon, aber leider wir anderen nicht, denn bis wir den nächsten Ort erreichten, war das eine Maultier zweimal mit seinem Herrn und das andere noch einmal mit dem Gepäck durchgegangen. Zum Glück fanden wir dort einen Pferdebesitzer, welcher bereit war, uns aus der Verlegenheit zu ziehen. Der andere wurde abgelohnt. Er rief uns, als wir fortritten, noch allerlei Drohungen nach, aus denen wir uns aber nichts machten.

Wollten wir die gerade Richtung nach Menlik einhalten, so hätte uns der Weg nach Boltischta geführt. Aber der gerade Weg ist nicht stets der kürzere. Es lagen uns da eine Menge Höhen und Quertäler im Wege. Um die unausbleiblichen Beschwerden und Zeitversäumnisse zu vermeiden, bogen wir nach Norden ab, damit wir über die Kruschemahöhe hinweg das Tal des Domus oder Karlyk erreichten.

Zur Mittagszeit machten wir in Nastan Halt und am Abend befanden wir uns in Kara-Bulak, wo wir übernachteten. Dann wendeten wir uns wieder westlich, in der Richtung auf Nevrekup.

Gegen Mittag befanden wir uns auf einer Hochebene, welche sich ganz steil nach Dospad-Dere hinabsenkte. Es gab da keinen eigentlichen Weg, und es wurde uns schwer, uns durch die zahlreichen und dichten Buschgruppen zu winden, welche uns hinderten.

Als wir an einer dieser Gruppen vorbeikamen, tat Rih ganz plötzlich einen Seitensprung, was ich an ihm gar nicht gewohnt war. Ich ließ ihm den Willen, und er schnaubte ganz auffallend, indem er die Nase nach dem Gebüsch hin richtete.

»Sihdi, es ist jemand da drin,« sagte Halef.

»Vielleicht. Jedenfalls liegt etwas Ungewöhnliches vor.«

Der Hadschi war bereits von seinem Pferde gestiegen und drang in das Gesträuch. Ich hörte einen lauten Ausruf. Er kehrte zurück und sagte:

»Komm herein! Da liegt eine Leiche.«

Natürlich folgte ich ihm mit den Anderen. Wir fanden ein kleines, freies Plätzchen, rings von dichten Sträuchern umgeben. Hier lag die Leiche einer Frau, und zwar in kniender Stellung, mit der Stirn an ein eigentümliches Bauwerk geneigt.

Es waren nämlich Steine so übereinander gelegt, daß sie eine Art Altar bildeten, auf dem sich eine Nische befand, in welcher wir ein kleines hölzernes Kruzifix erblickten.

»Eine Christin!« sagte Halef.

Er hatte recht. Es war ein verborgenes Heiligtum im Walde, vielleicht von dieser Frau unter vielen Mühen errichtet, denn ich hatte die Bemerkung gemacht, daß Steine hier selten waren. Sie hatte dieselben – wer weiß, wie weit und unter welchen Anstrengungen – herbeigeschleppt, um ungestört ihrem Gott dienen zu können.

Ich fühlte mich tief ergriffen, und auch die Anderen, obgleich Mohammedaner, standen schweigend da. Der Ort, an welchem Gott eine Seele zu sich ruft, ist ein heiliger Ort.

Ich kniete nieder, um zu beten, und meine Begleiter taten dasselbe. Dann untersuchte ich die Leiche.

Die Frau war vielleicht in der Mitte der Dreißig. Das edle, fein geschnittene Gesicht war hager. Die kleinen Hände, welche gefaltet ineinander lagen und einen Rosenkranz hielten, hatten keine Spur von Fleisch. Am kleinen Finger der Rechten stak ein goldener Reif mit einem Amethyst, doch ohne irgend ein eingraviertes Zeichen. Sie war nicht nach bulgarischer Weise, sondern wie eine Türkin gekleidet. Sie hatte vor dem Bilde des Gekreuzigten ihr Haupt entblößt. Der Gesichtsschleier lag neben ihr. Sie war jedenfalls schön gewesen; sie war es selbst noch im Tode. Ihr Mund lächelte, und in ihren Zügen lag ein Frieden, welcher vermuten ließ, daß der Todesengel sie mit sanfter Hand berührt hatte.

 

»Was wirst du tun?« fragte Halef.

»Es gibt nur eins zu tun: wir müssen die Angehörigen der Toten zu finden suchen. Diese wohnen in der Nähe, denn eine Frau pflegt sich nicht weit von ihrer Wohnung zu entfernen. Wir müssen in der Nähe von Barutin sein. Kommt! Wir lassen sie natürlich hier.«

Wir stiegen wieder auf und ritten weiter.

Die Höhe senkte sich jetzt steiler abwärts, und die Büsche traten weiter auseinander. Bald erblickten wir ein turmartiges Gebäude, in dessen Nähe mehrere kleine Häuser standen. Da sagte der Pferdebesitzer:

»Das muß der Karaul des Hauptmanns sein.«

Karauls sind Wachttürme, gewöhnlich mit Militär besetzt, zum Schutze der Straße und Gegend. Sie stammen aus früherer Zeit, haben aber ihren Zweck nicht verloren.

Der Turm stand hoch, und wirklich führte tief unten so etwas Straßenartiges vorüber nach einem Orte, den wir in der Ferne erblickten.

»Das ist Barutin,« sagte der Mann. »Ich bin hier, wo wir uns befinden, noch nie gewesen; aber ich habe von diesem Karaul gehört. Es wohnt ein Hauptmann hier, welcher in Ungnade gefallen ist. Er läßt sich nicht viel sehen; er lebt wie ein Einsiedler. Er ist ein Menschenfeind; aber sein Weib soll eine Freundin der Armen und Unglücklichen sein.«

»Reiten wir hin!«

Als wir bei dem Turme ankamen, trat uns aus der Türe ein alter Mann entgegen, dem man es ansah, daß er Soldat gewesen war. Einen so dichten langen Schnurrbart, wie er trug, hatte ich noch niemals gesehen.

»Zu wem wollt ihr?« fragte er in unfreundlichem Tone.

»Ich höre, daß hier ein Offizier wohnt?«

»Ja.«

»Ist er daheim?«

»Ja. Aber er spricht mit niemand. Reitet weiter.«

»Das werden wir tun; doch sage uns vorher, ob vielleicht in der Gegend hier eine Frau gesucht wird.«

Sein Gesicht nahm sofort den Ausdruck der größten Spannung an. Er antwortete:

»Ja, ja. Die Herrin ist verschwunden. Wir haben sie bereits seit gestern früh gesucht, doch vergeblich.«

»Wir haben sie gefunden.«

»Wo? Wo ist sie? Warum kommt sie nicht mit?«

»Führe mich zu deinem Herrn!«

»Komm, komm!«

Er war auf einmal freundlich geworden. Ich stieg ab und folgte ihm. Der Turm war sehr massiv gebaut. Unten gab es keinen Wohnraum. Wir stiegen eine Treppe empor und gelangten in ein kleines Gemach, in welchem ich warten mußte. Ich hörte in der Nebenstube einige laute Ausrufe, dann wurde die Türe aufgerissen, und der Hauptmann erschien auf der Schwelle.

Er war wohl noch nicht fünfzig Jahre alt und ein schöner Mann. Seine Augen waren sehr gerötet; er hatte geweint.

»Du hast sie gefunden? Wo ist sie?« rief er hastig.

»Erlaube mir erst, dich zu grüßen,« antwortete ich. »Darf ich bei dir eintreten?«

»Ja, komm herein!«

Der Raum, in welchen ich jetzt trat, war ziemlich groß. Er hatte drei hohe, schmale, schießschartenähnliche Fenster. An den Wänden lagen Kissen als einziges Meublement, und über ihnen hingen rundum viele Waffen und Tabakspfeifen. Zwei Knaben, die sich umschlungen hielten, saßen in der Ecke. Ich sah es ihnen an, daß auch sie geweint hatten. Der martialische Alte entfernte sich nicht. Er wollte hören, was ich zu sagen hatte.

»Sei willkommen!« meinte der Hauptmann. »Also, wo ist meine Frau?«

»Hier in der Nähe.«

»Das ist unmöglich. Wir haben sie gesucht allüberall, ohne sie zu finden. Noch jetzt sind alle meine Leute auf den Beinen, um nachzuforschen.«

Ich wollte natürlich mit der Todesnachricht nicht sogleich herausplatzen; darum fragte ich:

»War dein Weib krank?«

»Ja, sie war schon längst krank. Warum fragst du? Ist sie tot? Ich weiß, daß sie nicht mehr lange leben kann, denn der Arzt hat mir gesagt, daß sie schwindsüchtig ist.«

»Du bist gefaßt, die Wahrheit zu hören?«

Er erblaßte und wendete sich ab, als ob ihn so die Nachricht weniger hart treffen könnte.

»Ich bin ein Mann,« sagte er. »Sprich!«

»Sie ist tot.«

Da weinten die beiden Knaben laut auf. Der Vater sagte nichts; aber er legte den Kopf gegen die Mauer. Ich sah seine Brust arbeiten; er kämpfte gegen ein Schluchzen, welches er nur mit großer Anstrengung zu unterdrücken vermochte. Erst nach längerer Zeit wendete er sich mir wieder zu und fragte:

»Wo hast du sie gesehen?«

»In einem Gebüsch, zehn Minuten von hier.«

»Willst du uns hinführen?«

Ehe ich antworten konnte, erklang hinter mir ein Ton, als ob einer erwürgt werden sollte. Ich drehte mich schnell um. Da stand der Alte. Er hatte die Ecke seiner Jacke in den Mund gestopft, um das Weinen nicht hören zu lassen; aber es gelang ihm nicht. Er zog die Jacke zurück und weinte laut – zum Erbarmen.

Jetzt konnte sich auch der Hauptmann nicht mehr halten; er weinte mit, und die Knaben stimmten ein. Mir wurde so weh. Ich trat zum Fenster und blickte hinaus. Ich sah nichts, denn auch ich hatte Tränen in den Augen.

Es dauerte lange, bis sich die beiden Männer beruhigten. Der Hauptmann entschuldigte sich:

»Du darfst nicht über uns lachen, Fremdling! Ich hatte die Mutter meiner Kinder sehr lieb. Und dieser war mein Feldwebel, und als ich die Gnade des Großherrn verlor, hat er mich nicht verlassen, wie die Andern alle. Sie war mein Trost in der Einsamkeit. Wie lebe ich ohne sie?«

Was ich nun zu sagen hatte, durfte vielleicht der alte Feldwebel nicht hören; darum fragte ich ihn:

»Gibt es eine Tragbahre hier?«

»Ja, Herr,« antwortete er.

»Mache sie bereit, und besorge Leute dazu!«

Er ging, und nun fragte ich den Hauptmann:

»Du bist natürlich ein Moslem?«

»Ja. Warum fragst du?«

»War deine Frau eine Christin?«

Er richtete hastig einen forschenden Blick auf mich und antwortete:

»Nein; aber – — hast du vielleicht einen Grund, dich danach zu erkundigen?«

»Ja. Ich glaube, daß sie eine Christin gewesen ist.«

»Sie war eine Freundin der Ungläubigen. Als ich hierher zog, brauchte ich eine Dienerin. Ich nahm eine alte Frau zu mir. Ich wußte nicht, daß sie eine Christin war; aber später bemerkte ich es, und daß sie mein Weib verführen wollte. Ich jagte sie fort. Seit jener Zeit wurde Hara still und immer stiller; sie weinte zuweilen, und dann wurde sie krank. Sie hustete und verlor ihre Kräfte.«

»So bist du hart mit ihr gewesen?«

Er antwortete erst nach einer Weile:

»Durfte ich sie eine Giaurin werden lassen?«

»Sie ist es doch geworden und aus Gram über deine Strenge erkrankt und gestorben. Sie hat sich draußen im Gebüsch einen Altar errichtet, um nach der Weise der Christen zu dem Allmächtigen beten zu können. Sie ist im Gebet gestorben. Laß jetzt Friede sein zwischen dir und ihr!«

»Bist du etwa ein Christ?«

»Ja.«

Er blickte mir lange in die Augen. Er kämpfte mit sich; dann streckte er mir die Hand entgegen und sagte:

»Du kannst nicht dafür, daß du ein Ungläubiger bist und daß auch sie euren Lehren Glauben geschenkt hat. Führe mich zu ihr, mich und die Kinder!«

»Willst du nicht die Knaben zurücklassen? Sie bekommen noch zeitig genug das Angesicht der Toten zu sehen.«

»Du hast recht. Laß uns allein gehen.«

Meine Gefährten hielten noch immer unten an der Türe. Als er sie erblickte, sagte er:

»Ich glaubte, du seist allein, denn ich habe euch nicht kommen sehen. Ihr seid meine Gäste. Da drüben ist der Stall, und dort ist das eigentliche Wohnhaus. Im Turme wohne ich allein. Es ist zwar niemand zu Hause, aber geht nur hin und denkt, ihr seid daheim.«

»Wo ist der Feldwebel?« fragte ich.

»Er hat niemand gefunden und ist wohl gegangen, um die Abwesenden zu suchen. Sie sind ja alle fort, um nach der Verschwundenen zu forschen. Gehen wir allein.«

Meine Begleiter ritten nach dem angewiesenen Gebäude hinüber. Halef hatte Rih am Zügel. Der Hauptmann sah den Rappen und war zu sehr Offizier, um nicht für einen Augenblick seine Trauer zu vergessen.

»Dieses Pferd gehört dir?« fragte er.

»Ja.«

»Ein Christ und ein solches Pferd? Du mußt ein vornehmer und reicher Herr sein! Verzeihe mir, wenn ich vergaß, dir die gebührende Ehre zu erweisen!«

»Allah hat alle Menschen geschaffen und ihnen befohlen, Brüder zu sein. Ich habe dir nichts zu verzeihen. Komm!«

Wir stiegen bergan. Als wir das Gebüsch erreichten und ich da stehen blieb, sah er sich suchend um und fragte:

»Ist es hier?«

»Ja. Da drinnen.«

»In diesem Dickicht? Wer hätte das gedacht! Wie hast du sie da finden können?«

»Mein Pferd hat sie entdeckt. Es blieb hier schnaubend stehen. Komm herein!«

Wir drangen durch das Strauchwerk bis zu dem offenen Plätzchen. Ich werde in meinem ganzen Leben den Auftritt nicht vergessen, der nun folgte. Als sein Blick auf die Leiche fiel, stieß er einen lauten Schrei aus und warf sich neben sie hin. Er nahm sie in die Arme; er küßte ihre kalten Lippen; er streichelte ihr die Wangen und strich ihr liebkosend über das Haar. Er mußte sie sehr, sehr lieb gehabt haben – und war dennoch hart gegen sie gewesen.

Sie hatte ihren Glauben vor ihm heimlich gehalten. Wie oft mochte sie mit Seelenqualen gerungen haben!

Er schien dieselben Gedanken zu haben. Jetzt, da er die Tote in den Armen hatte, weinte er nicht. Sein Blick haftete starr auf ihren Zügen, als gelte es, da irgend ein Geheimnis zu ergründen. Dann sagte er:

»Sie ist vor Gram krank geworden und gestorben!«

Es wäre ein Fehler gewesen, ihn trösten zu wollen. Ich sagte also:

»Sie ist in dem Glauben gestorben, welcher selig macht. Das Christentum läßt auch die Frauen teil am Himmel nehmen, und du hast ihr diesen Himmel rauben wollen.«

»Sprich nicht so! Deine Worte zerreißen mir das Herz. Sie ist tot, und vielleicht trage ich die Schuld daran. Könnte sie doch nur noch einmal die Augen öffnen; könnte sie doch nur noch einmal sprechen! Einen Blick, ein Wort möchte ich haben. Aber sie ist fortgegangen ohne Abschied, und niemals werde ich wieder ihr Auge sehen und ihre Stimme hören! Und es ist mir, als ob ich ihr Mörder sei!«

Ich war still; ich sagte nichts. Er betrachtete den Rosenkranz.

»Das ist nicht die Gebetschnur der Moslemim,« sagte er nach einer Weile. »Sie müßte neunundneunzig Kugeln haben für die neunundneunzig Eigenschaften Allahs. Diese Schnur aber hat große und kleine Kugeln. Was mag dies bedeuten?«

Ich erklärte es ihm.

»Kannst du mir diesen Gruß an Jungfrau Maria sagen und die Worte des Paternoster?«

Ich tat es. Als ich geendet hatte, sagte er langsam:

»Vergib uns unsere Schuld! Glaubst du, daß sie mir die meinige vergeben hat?«

»Ich glaube es, denn sie war eine Christin und hat dich lieb gehabt.«

»Das ist die Gebetsschnur der alten Dienerin, die ich fortjagte. Ich werde sie aufheben, denn sie hat sich in den Händen Haras befunden, als sie starb. Und da oben ist auch das Kreuz der Alten. Sie hat beides zurückgelassen. Dieser Ort soll ganz so bleiben, wie er ist, und vielleicht werde ich ihn oft besuchen. Aber niemand soll ihn sehen. Ich werde die Tote hinaustragen. Komm, Herr!«

Er legte die Leiche nicht gleich draußen nieder, sondern er trug sie noch eine ganze Strecke fort, damit die Stelle, an der sein Weib gestorben war, nicht so leicht erraten werden könnte. Er bedeckte das Antlitz der Toten mit dem Schleier und sagte:

»Du hast ihr Angesicht gesehen. Das ist eine Sünde, aber da sie als Christin gestorben ist, kann ich mich beruhigen. Ein anderer aber soll sie nicht sehen.«

Er saß noch lange da neben ihr und klagte sich an. Sein Schmerz war aufrichtig, wurde aber nach und nach ruhiger. Dann kam der Feldwebel mit zwei Leuten, welche die Bahre trugen. Halef war dabei und hatte sie geführt. Die Leiche wurde nach Hause geschafft, hinauf in das Turmzimmer, in welchem ich mit dem Hauptmanne gesprochen hatte. Die Knaben waren neun und elf Jahre alt; sie vermochten den Verlust, welcher sie getroffen hatte, zu begreifen. Ihr Weinen war herzerschütternd; ich mußte gehen, um nicht auch laut zu schluchzen.

Die Bewohner der um den Turm liegenden Gebäude waren zurückgekehrt; sie standen in einem Abhängigkeitsverhältnisse zu dem Hauptmanne. Er war wohlhabend, und ihm gehörten diese Häuser.

Auf seinen Befehl wurde uns eine Mahlzeit zugerichtet; er selbst aber ließ sich nicht sehen. Später ließ ich ihm sagen, daß wir aufbrechen wollten, und er sandte mir die Bitte, zu ihm zu kommen. Als ich in das Turmzimmer kam, saß er neben der Leiche. Er sah ganz verweint und ermattet aus, streckte mir die Hand entgegen und sagte:

 

»Du willst mich verlassen?«

»Ja; ich muß meine Reise fortsetzen.«

»Ist das so notwendig? Kannst du nicht heute bei mir bleiben? Wenn Hara jetzt noch lebte, müßte sie mir von dem Glauben der Christen erzählen; nun sie aber tot ist, gibt es keinen als dich, von dem ich es erfahren kann. Bleibe da; laß mich nicht allein mit den Gedanken, welche mich quälen.«

Ich hatte keine Zeit zu versäumen; aber es war mir, als ob ich ihm seine Bitte nicht abschlagen dürfe, und darum sagte ich zu.

Die Gefährten hatten nicht viel gegen unser Bleiben einzuwenden, und so saß ich bei dem Hauptmanne, bis es Abend wurde, und noch länger. Unsere Unterhaltung war ernst, recht ernst. Ich als Laie konnte freilich an ihm nicht zum Missionär werden; aber sein Herz war geöffnet, und ich versuchte es, das Samenkorn hineinzulegen, so gut ich es vermochte, in der Hoffnung, daß es aufgehen und Früchte bringen würde. Ich blieb mit ihm die ganze Nacht bis früh beisammen; dann setzten wir unsern Ritt fort.

Wir ritten durch Barukin, am Nachmittag durch Dubnitza und kamen gegen Abend nach Nevrekup, das früher bekannt war wegen seiner Eisenminen. Am anderen Tage ging es weiter. Wir befanden uns in einer berühmten Gegend, denn hier auf diesen Bergen war es, wo nach der griechischen Sage Orpheus durch die Macht seines Gesanges den Bäumen und Felsen Leben und Bewegung gab. Um die Mittagszeit erreichten wir endlich Menlik.

Es versteht sich von selbst, daß wir nicht dahin ritten, wo Manach el Barscha abgestiegen war. Wir suchten uns eine andere Herberge, fanden aber sämtliche Häuser schon besetzt.

Der Jahrmarkt hatte begonnen, und der Zudrang der Fremden war ganz bedeutend. Da Albani den Pferdebesitzer ablohnte und er also nun allein war, fand er ein Unterkommen; wir andern aber mit unseren Pferden hatten es schwieriger.

Wir waren eben wieder vor einer Herberge abgewiesen worden, da trat ein Mann zu uns heran und fragte:

»Ihr sucht wohl einen Ort, an welchem ihr übernachten könnt?«

»Ja,« antwortete ich. »Weißt du vielleicht einen?«

»Für euch, ja; für Andere nicht.«

»Warum nur für uns?«

»Weil ihr die Koptscha habt. Ihr seid also Brüder. Mein Herr wird euch bei sich aufnehmen.«

»Wer ist dein Herr?«

»Er ist Fuhrmann und wohnt nicht weit von hier. Wenn ihr mir folgen wollt, will ich euch führen.«

»Führe uns! Ich werde dir dankbar sein.«

Er schritt voran, und wir folgten ihm.

»Den habe ich bereits gesehen,« bemerkte mir Halef halblaut.

»Wo?«

»Am Eingange der Stadt. Da stand er und schien auf irgend jemand zu warten.«

Jetzt erinnerte ich mich auch, an ihm vorüber geritten zu sein. Es fiel mir das nicht auf; das war jedenfalls nur ein Zufall. Später aber sah ich ein, daß er nur auf uns gewartet hatte.

Er führte uns an ein Haus, welches einen so breiten und hohen Eingang hatte, daß wir gleich in den Hof reiten konnten. Dort standen zwei Ochsenwagen, jedenfalls das Eigentum des Fuhrherrn. Uns gegenüber, im hinteren Teile des Hofes, war ein Brettergebäude, welches unser Führer uns als den Stall bezeichnete. Er sagte, daß wir unsere Pferde hineinführen sollten.

»Meinst du nicht, daß es für uns nötig ist, erst mit deinem Herrn zu sprechen?«

»Warum?«

»Noch wissen wir ja nicht, ob er überhaupt bereit ist, uns bei sich aufzunehmen.«

»Er nimmt euch auf. Er hat Platz, und Männer, welche die Koptscha besitzen, sind ihm stets willkommen.«

»So ist er auch ein Bruder?«

»Ja. Da kommt er.«

Es kam ein kleiner, dicker Kerl in den Hof, welcher nicht den allerbesten Eindruck auf mich machte. Er schielte. Zwar bin ich keineswegs gegen Leute, welche an diesem Naturfehler leiden, voreingenommen; aber der Mann hatte einen schleichenden, katzenartigen Gang und eckig gebogene Kinnbacken, und ich habe stets gefunden, daß solche Personen einen falschen Charakter besitzen.

»Wen bringst du da?« fragte er den Knecht.

»Es sind Freunde; sie besitzen die Koptscha und fanden keinen Platz in den Hans. Du erlaubst doch, daß sie hier bleiben?«

»Sie sind mir willkommen. Wie lang bleibt ihr hier?«

»Einige Tage vielleicht,« antwortete ich. »Wir werden dich gern ebenso bezahlen, wie wir im Han zahlen müßten.«

»Sprich davon nicht. Meine Gäste haben nichts zu bezahlen. Schafft eure Pferde in den Stall, und kommt dann herein zu mir. Ihr werdet finden, was ihr braucht.«

Er ging wieder fort. Es war mir, als ob er einen sehr befriedigenden Blick mit dem Knecht gewechselt habe.

Der Stall war lang und hatte zwei Abteilungen. In der einen Abteilung standen mehrere Ochsen; die andere war leer und wurde uns angewiesen. Der Knecht stieg eine schmale Stiege empor und sagte:

»Ich werde euch Heu holen. Oder wünscht ihr ein anderes Futter?«

»Bringe, was du hast!«

Als er oben verschwunden war, blickte ich durch ein Astloch der hinteren Stallwand und sah einen ziemlich großen Hof. Dort stand ein langer, starker Mann in lauschender Stellung. Er schien nach uns herüber zu horchen. Da hustete der Knecht oben, und der Mann antwortete, indem er auch hustete. Dann verließ er den Hof.

Das fiel mir natürlich auf, doch ließ ich mir nichts merken, als der Knecht zurückkehrte. Wir versorgten unsere Tiere und begaben uns dann in die Stube, in welcher uns der Dicke erwartete. Er saß auf einem Polster vor einem Dreifuß, auf welchem eine Platte mit Kaffeetassen stand. Er hieß uns abermals willkommen und klatschte in die Hände. Da erschien ein Knabe, welcher die Tassen füllte.

Das klappte so gut, als ob man uns erwartet hätte. Auch ein Gefäß mit Tabak stand da. Wir stopften unsere Pfeifen und erhielten glühende Kohlen zum Anbrennen.

»Du hast ein sehr gutes Pferd,« sagte er. »Verkaufst du es?«

»Nein.«

»Das ist schade! Ich hätte es sofort behalten.«

»So bist du ein reicher Mann. Es vermag nicht jeder, ein solches Pferd zu bezahlen.«

»Fuhrleute müssen Geld haben. Woher kommst du heute?«

»Von Nevrekup.«

»Und wohin wirst du von hier reiten?«

»Nach Seres.«

Es fiel mir nicht ein, ihm die Wahrheit zu sagen. Er machte ein Gesicht, wie einer, der irgend eine Sache besser weiß, es aber nicht sagen will, und fragte:

»Welche Geschäfte machst du hier?«

»Ich möchte Getreide und so ähnliches kaufen. Gibt es hier einen, bei dem man so etwas bekommen kann, einen Fruchthändler?«

Es gelang ihm nicht, ein verschlagenes Lächeln zu unterdrücken. Er antwortete:

»Es gibt einen Mejwedschi hier. Er heißt Glawa und wird dich gut bedienen, denn er ist auch ein Bruder.«

Da hatte ich also das Gespräch auf diesen Glawa gebracht, bei welchem Manach el Barscha abgestiegen sein sollte.

»Wohnt er weit von hier?« erkundigte ich mich.

»In der anderen Straße. Ich kenne ihn gut. Ich war vor kaum einer Viertelstunde bei ihm.«

»Ist er beschäftigt?«

»Ja. Heute wirst du nicht bei ihm ankommen.«

»Er hat wohl viel Gäste bei sich?«

»Noch keinen; aber er erwartet Gäste. Deselim aus Ismilan, der Kaffeewirt und Waffenschmied, will auch kommen. Kennst du diesen Mann vielleicht?«

»Ja. Er ist auch ein Bruder.«

»Wann hast du ihn kennen gelernt?«

»Vor einigen Tagen. Auch ich bin in seinem Hause eingekehrt.«

»Hast du auch seinen Bruder gesehen?«

Er gab sich den Anschein der Unbefangenheit; es war jedoch ganz so, als ob er mit diesen Fragen einen gewissen Zweck verfolge. Er fragte mich nach meinen Personalien, und ich gab ihm die Auskunft, welche mir geboten schien. Als er nach einiger Zeit bemerkte, daß ich jetzt ausgehen werde, um mir Menlik und den Jahrmarkt anzusehen, bot er mir so geflissentlich seine Begleitung an, daß ich ihn nicht zurückweisen konnte, obgleich ich viel lieber allein mit Halef gegangen wäre.

Es herrschte ein überaus reges Leben, aber zu vergleichen ist so ein Markt doch nicht mit einem deutschen Jahrmarkt. Der schweigsame Türke durchschreitet still die Budenreihen oder vielmehr die Reihen der Verkäuferstände, deren Inhaber ebenso wortlos bei ihren Waren sitzen und es sich gar nicht einfallen lassen, irgend einen Käufer anzulocken. Und tritt einer heran, so geht die Sache so ruhig, fast heimlich ab, als gelte es, wichtige Geheimnisse einzutauschen.

Der Unterschied liegt ganz besonders in dem Mangel des weiblichen Elementes. Man sieht fast nur Männer, und nur hier und da taucht eine ballonartige Hülle auf, aus deren Guckloch ein schwarzes Auge funkelt. Die Frauen der Nichtmohammedaner sind zwar nicht zu einer solchen Zurückhaltung verpflichtet, aber auch bei ihnen gilt es nicht für schicklich, sich dem Gedränge eines Marktes preiszugeben.