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In den Schluchten des Balkan

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Ich war äußerst gespannt, was der Bettler jetzt antworten werde. Man kann sich mein Entzücken denken: ich hatte die Stimme des Fremden sofort erkannt; es war diejenige meines kleinen braven Hadschi Halef Omar.

Wo hatte er während der Nacht gesteckt? Wie kam er hierher? Auf welche Weise hatte er erfahren, daß ich in dieser Richtung zu suchen sei? Diese und ähnliche Fragen gingen mir durch den Kopf. Auf alle Fälle mußte er annehmen, daß ich hier abgestiegen sei, denn er sah ja mein Pferd draußen stehen. Und ebenso mußte er erkennen, daß man mich feindselig behandelt hatte. Der Bettler hatte nämlich mein Bowiemesser in der Hand. Es war leicht zu schließen, daß man es mir abgenommen hatte.

Mir bangte für den Freund, und doch kam es wie ein Gefühl der Sicherheit über mich. Halef wagte gewiß und ohne Zaudern das Leben, um mich zu befreien.

Der Ismilaner war aufgestanden; er schob den Bettler beiseite, trat an den Eingang, betrachtete sich den Hadschi und sagte im Tone des Erstaunens:

»Was sehe ich, Fremdling! Du hast die Koptscha!«

»Ah! Du kennst dieses Zeichen?« fragte Halef.

»Siehst du nicht, daß ich es auch trage!«

»Ich sehe es. Wir sind also Freunde.«

»Von wem hast du den Knopf?«

»Meinst du, daß man ein Geheimnis so leicht offenbart?«

»Du hast recht. Steige ab und sei uns willkommen, obgleich du in ein Haus der Trauer kommst!«

»Um wen trauert ihr?«

»Um einen Verwandten des Herrn dieser Hütte. Er starb in voriger Nacht an einem Schlaganfall. Seine Leiche liegt da in der Ecke, und wir sind versammelt, um die Gebete zu verrichten.«

»Allah gebe ihm die Freuden des Paradieses!«

Bei diesen Worten schien Halef vom Pferde zu steigen. Dann hörte ich ihn sagen:

»Welch ein schönes Pferd! Wem gehört dieser Rapphengst?«

»Mir,« antwortete der Waffenschmied.

»So bist du zu beneiden. Dieses Pferd stammt sicher von der Stute des Propheten, welche Zeugin war, wenn ihm des Nachts die Boten Allahs erschienen.«

Er trat ein, begrüßte die anderen und richtete dann den Blick in meine Ecke. Ich sah seine Hand nach dem Gürtel fahren; aber glücklicherweise besaß er genug Macht über sich, um sich nicht zu verraten.

»Dies ist der Tote?« fragte er, nach mir zeigend.

»Ja.«

»Erlaubt, daß ich ihm seine Ehre gebe!«

Er wollte sich mir nähern. Da sagte der Bettler:

»Laß ihn ruhen! Wir haben bereits die Gebete des Todes über ihn gesprochen.«

»Aber ich nicht. Ich bin ein Orthodoxer und pflege die Gebote des Kuran zu erfüllen.«

Er trat jetzt, ohne gehindert zu werden, herbei und knieete wie zum Gebete neben mir nieder, den Rücken gegen die anderen gewendet. Ich hörte das Knirschen seiner Zähne. Da ich mir wohl denken konnte, daß jetzt die Augen aller Anwesenden auf ihn und mich gerichtet seien, hielt ich die meinigen fest geschlossen, aber ich flüsterte, natürlich nur für ihn vernehmbar:

»Halef, ich lebe.«

Er holte tief, tief Atem, als sei eine große Last von ihm genommen, blieb noch eine Weile knieen und erhob sich dann wieder, blieb aber bei mir stehen und sagte:

»Dieser Tote ist ja gefesselt!«

»Wundert dich das?« fragte der Waffenschmied.

»Natürlich! Man fesselt ja nicht einmal die Leiche eines Feindes. Ein Toter kann keinem mehr schaden.«

»Das ist richtig; aber wir mußten diesen armen Menschen binden, denn als der Anfall über ihn kam, tobte er wie ein Wahnsinniger. Er rannte wütend hin und her; er schlug und stach um sich, so daß er unser Leben gefährdete.«

»Nun aber ist er tot. Warum nehmt ihr ihm die Bande jetzt nicht ab?«

»Wir dachten noch nicht daran.«

»Das ist Entweihung eines Abgeschiedenen. Seine Seele kann nicht von hinnen gehen. Gehört ihr etwa zu den Ausgetretenen?«

»Nein.«

»So müßt ihr ihm die Hände falten und sein Gesicht in die Richtung nach Mekka legen!«

»Weißt du nicht, daß man sich verunreinigt, wenn man eine Leiche berührt?«

»Ihr seid ja bereits unrein, da ihr euch mit ihr in demselben Raume befindet. Ihr braucht den Toten gar nicht zu berühren. Schneidet die Fesseln mit einem Messer entzwei, und faßt ihn mit einem Tuche an. Hier habe ich mein Taschentuch. Soll ich es für euch tun?«

»Du bist ja sehr um seine Seele besorgt!«

»Nur um die meinige. Ich bin ein Anhänger der Lehre und des Ordens Merdifah und tue, was die Pflicht dem wahren Gläubigen gebietet.«

»Mach‘, was du willst!«

Er zog sein Messer. Zwei Schnitte – meine Hände und Füße waren frei. Dann umwickelte er seine Rechte mit dem Taschentuche, um nicht in unmittelbare Berührung mit der angeblichen Leiche zu kommen, legte mir die Hände zusammen und drehte mich dann auf die Seite, so daß ich mit dem Gesicht gegen Osten zu liegen kam.

Da dies auch die Richtung war, in welcher sich die Anwesenden befanden, so war es mir nun leichter als vorher, sie zu beobachten.

»So!« sagte er, das nun unrein gewordene Taschentuch von sich werfend. »Jetzt ist meine Seele befriedigt, und ich kann meine Mahlzeit halten.«

Er ging hinaus zu seinem Pferde. Die Männer flüsterten miteinander, bis er zurückkehrte und sich mit Fleisch und Brot zu ihnen setzte.

»Ich habe nicht viel,« meinte er; »aber wir wollen teilen.«

»Iß nur selbst. Wir sind satt,« sagte der Ismilaner. »Dabei kannst du uns sagen, wer du eigentlich bist, und was dich nach Gürmürdschina führt.«

»Ihr sollt es erfahren. Aber ich bin der Gast, und ihr waret vor mir hier. Ich werde also vorher erfahren, bei wem ich mich befinde.«

»Bei guten Freunden; das glaubst du wohl, da du es an dem Knopf erkennst.«

»Ich mag nicht daran zweifeln; es wäre das nicht gut für euch!«

»Warum?«

»Weil es gefährlich ist, mich zum Feind zu haben.«

»Wirklich?« lachte der Waffenschmied. »Bist du ein so gefährlicher und schrecklicher Mann?«

»Ja!« antwortete Halef ernsthaft.

»Meinst du, daß du ein Riese seist?«

»Nein; aber ich habe noch nie einen Feind gefürchtet. Da ihr jedoch Freunde seid, so braucht euch vor mir nicht bang zu sein.«

Es antwortete ihm ein schallendes Gelächter, und einer sagte:

»O, wir würden auf keinen Fall Angst vor dir haben.«

»So sagt mir, wer ihr seid!«

»Ich bin ein Bauer aus Kabatsch, und die anderen hier sind es auch. Und du?«

»Meine Heimat ist Kurdistan; ich bin ein Bärenjäger.«

Es entstand eine kurze Pause; dann brachen sie alle abermals in ein schallendes Gelächter aus.

»Warum lacht ihr?« fragte er im allerernstesten Tone. »Es ist bereits das zweite Mal, daß ihr ein solches Gelächter aufschlagt. In der Nähe einer Leiche geziemt es dem wahren Gläubigen, den tiefsten Ernst zu zeigen.«

»Ist dies denn hier möglich? Du ein Bärenjäger?«

Das Gelächter begann von neuem.

»Warum denn nicht?« fragte er.

»Du bist ja fast ein Zwerg. Der Bär würde dich verschlingen, sobald er dich erblickte. Aber satt wäre er doch noch nicht. Zehn Männer deiner Größe sind notwendig, um seinen Hunger zu stillen.«

»Meine Kugel würde ihn fressen, nicht aber er mich!«

»Ist denn die Bärenjagd deine Profession?«

»Ja. Ich hatte zwei Tanten, welche ich sehr liebte. Die eine war meine Vatersschwester und die andere meine Mutterschwester. Ein Bär fraß sie alle beide. Da schwor ich den Bären Rache und bin ausgezogen, sie zu töten, wo ich sie nur treffe.«

»Hast du denn schon einen getötet?«

»Ja, viele!«

»Mit der Kugel?«

»Ja. Meine Kugel geht niemals fehl.«

»Bist du denn ein so großer Schütze?«

»Man sagt es von mir. Ich kenne alle Arten von Gewehren und treffe mit jedem mein Ziel.«

Ah, jetzt merkte ich, warum der schlaue Hadschi sich für einen Jäger ausgegeben hatte. Er suchte nach einem Grund, auf gute Weise meine Gewehre in die Hand zu bekommen. Vielleicht war es auch seine Absicht, sie zu der Aufforderung an ihn zu bewegen, einen Probeschuß zu tun. In diesem Falle mußten sie ihm hinaus vor die Hütte folgen, und ich erhielt die Gelegenheit, mich zu erheben.

»Was sagst du?« fragte der Waffenschmied. »Du willst alle Arten von Gewehren kennen?«

»Ja.«

»Kennst du denn dieses hier?«

Er deutete dabei auf den Henrystutzen.

Halef nahm das Gewehr in die Hand, betrachtete es und antwortete dann:

»Sehr gut. Es ist ein Repetiergewehr aus Amerika.«

»Wir haben noch nie ein solches Gewehr gesehen. Wir glaubten, daß es ein Spielzeug sei. Du aber meinst, daß man mehrere Male, ohne zu laden, damit schießen könne?«

»Fünfundzwanzigmal.«

»Oejün-sen – du schneidest auf!« rief der Waffenschmied.

»Ich sage die Wahrheit. In dem Lande, welches ich genannt habe, gab es einen berühmten Waffenkünstler. Er erfand dieses Gewehr. Er war ein Sonderling. Er dachte, daß in kurzer Zeit alle jagdbaren Tiere ausgerottet sein würden, wenn es viele solcher Flinten gäbe. Darum nahm er kein Patent auf seine Erfindung. Er behielt das Geheimnis für sich und fertigte nur einige dieser Gewehre. Er starb bald. Andere wollten das Geheimnis ergründen; aber wer die Teile des Gewehres auseinandernahm, der konnte sie nicht wieder zusammensetzen. Das Gewehr war unbrauchbar geworden. Die wenigen, welche eines besaßen, kamen in der Wildnis um, und ihre Flinten gingen verloren. Dieses Gewehr hier ist vielleicht das einzige, welches noch existiert. Es wird Henrystutzen genannt, und ich möchte wohl wissen, wie es in eure Hände gekommen ist.«

»Ich habe es in Stambul von einem Amerikaly gekauft,« erklärte der Waffenschmied.

»Es zu verkaufen, ist sehr unklug von ihm gewesen! Diese Kugel hier hinter dem Laufe nimmt die Patronen auf. Sie bewegt sich bei jedem Schusse von selbst, so daß das nächste Loch mit der Patrone sich an den Lauf legt. Soll ich es euch zeigen?«

»Ja, zeige es uns!«

»Wie aber kommt es, daß der Amerikaly dir das Gewehr verkauft hat, ohne dich von seiner Mechanik zu unterrichten?«

 

»Ich vergaß, ihn zu fragen.«

»So bist du ein Mensch, den ich nicht begreifen kann. Bist du denn in Arkilik geboren, wo die Stiefel keine Sohlen, die Wagen keine Räder und die Töpfe keine Böden haben? Kommt heraus! Ich will euch zeigen, wie mit diesem Gewehre geschossen wird.«

»Ist es denn geladen?«

»Ja. Ihr sollt mir ein Ziel nennen, und ich werde es zehnmal nacheinander treffen.«

Er verließ die Hütte, und sie folgten ihm. Sie waren so gespannt auf das Experiment, daß sie gar nicht an mich dachten. Uebrigens waren sie ja von meinem Tode überzeugt; sie brauchten sich also gar nicht um mich zu bekümmern.

»Also – was soll ich treffen?« hörte ich Halef draußen fragen.

»Schieße nach der Krähe, welche dort auf dem Aste sitzt.«

»Nein; sie würde tot herabfallen, und ich will ja mehrere Schüsse nach demselben Ziele tun. Gehen wir da weit hinüber. Ich will nach der Hütte schießen. Seht ihr die Schindel da oben, welche der Wind fast abgerissen hat? Sie steht vom Dache ab und gibt ein gutes Ziel. Ich werde sie zehnmal treffen.«

Ich hörte, wie ihre Schritte sich entfernten. Halef lockte sie möglichst weit von der Hütte fort, um mir mein Erwachen aus dem Todesschlafe zu erleichtern.

Dort lagen meine Kleider, das Messer, welches der Bettler wieder hingelegt hatte, die Patronen, die Uhr, die Brieftasche, das Portemonnaie, alles, alles beisammen, und daneben hatte man die Büchse an die Mauer gelehnt.

Ich sprang auf und reckte mich. Es lag mir zwar wie Blei in den Gliedern; sie waren schwer und ungehorsam, aber ich konnte sie bewegen. Der Kopf tat mir fürchterlich weh, und als ich die schmerzende Stelle mit der Hand berührte, fühlte ich eine umfangreiche Anschwellung. Aber ich hatte keine Zeit, das zu beachten. Ich fuhr also möglichst schnell in die Kleider, steckte alles wieder zu mir und griff nach der Büchse.

Dazu brauchte ich natürlich mehr Zeit als gewöhnlich; aber Halef schoß in solchen Pausen, daß ich bereits bei dem fünften Schusse fertig war.

So oft er abgedrückt hatte, hörte ich die Beifallsrufe seiner erstaunten Zuschauer. Ich stand jetzt inmitten des Raumes und konnte ihn durch die Fensteröffnung beobachten. Eben hatte er den sechsten Schuß abgegeben. Ich sah deutlich, daß er den Blick nicht nach der Dachschindel empor, sondern nach dem Fenster richtete. Hoffte er, daß ich ihm da ein Zeichen geben werde? Schnell trat ich hin und erhob die Hand, nur zwei Sekunden lang, aber er hatte sie doch gesehen. Er nickte mit dem Kopf und wendete sich zu seinen Zuschauern.

Ich konnte nicht hören, was er sagte, aber er schulterte das Gewehr und kam auf die Hütte zu.

»Zehn Schüsse, zehn!« hörte ich den Waffenschmied rufen. »Du hast ja erst sechsmal geschossen!«

»Das ist genug,« antwortete er, und er hatte sich jetzt so weit genähert, daß ich die Worte verstehen konnte. »Ihr habt gesehen, daß ich das Ziel mit jedem Schusse traf. Wir wollen die Kugeln nicht verschwenden, denn ich werde sie vielleicht notwendiger brauchen!«

»Wozu denn?«

»Um sie euch durch den Kopf zu jagen, ihr Halunken!«

Bei diesen Worten blieb er stehen und machte Front gegen sie. Der Augenblick des Handelns war gekommen. Wir beide gegen diese Uebermacht? Aber der tapfere Kleine verriet keine Spur von Sorge oder gar Angst. Sie hatten ihre Gewehre in der Hütte gelassen und konnten also nur mit den Messern Widerstand leisten.

Sie waren verblüfft – sowohl von seinen Worten, wie auch von der Haltung, welche er gegen sie annahm. Sie glaubten wohl, daß es sich um einen Scherz handele, denn der Ismilaner sagte lachend:

»Wie? Uns willst du erschießen, Kleiner? Wenn du dir einen Spaß machen willst, so sinne dir etwas besseres aus! Du bist ein sehr guter Schütze; uns aber würdest du doch nicht treffen, so nahe wir dir auch stehen!«

Halef steckte einen seiner Finger in den Mund und ließ einen lauten, schrillen Pfiff hören. Dann antwortete er:

»Spaß? Wer sagt euch, daß ich nur Spaß mache? Seht einmal dort hinüber! Da stehen zwei, die euch zeigen wollen, daß es mein Ernst ist.«

Er zeigte nach dem der Hütte gegenüberliegenden Rande der Lichtung. Ich folgte mit dem Blicke. Dort standen in einiger Entfernung von einander Osko, der Montenegriner, und Omar Ben Sadek, der Sohn des Führers, mit schußfertig an die Wangen gelegten Gewehren. Sie hatten sich also versteckt gehabt, und Halefs Pfiff war ein Zeichen für sie gewesen, hinter den Bäumen hervorzutreten.

»Dschümle bütün schejtanlar – bei allen Teufeln!« entfuhr es dem Waffenschmied. »Wer sind diese Menschen? Was wollen sie von uns?«

»Sie wollen die Leiche, welche dort in der Hütte liegt.«

»Was geht sie der Tote an?«

»Sehr viel. Der Tote ist nicht ein Verwandter dieses Bettlers, sondern er ist unser Anführer und Freund. Ihr habt ihn getötet, und wir sind gekommen, euch den Lohn dafür zu geben.«

Sie griffen nach ihren Messern. Er aber sagte:

»Laßt die Messer stecken; sie helfen euch nichts. Ich habe in diesem Gewehre noch achtzehn Schüsse, und beim ersten Schuß, den ich abgebe, schießen auch die beiden dort. Ihr seid Leichen, ehe ihr an mich kommt!«

Er sagte dies in einem so entschlossenen, drohenden Tone, daß sie von seinem Ernste überzeugt sein mußten. Sie standen nur zehn bis fünfzehn Schritte von ihm entfernt. Er hielt den Gewehrlauf auf sie gerichtet. Wenn sie sich schnell auf ihn warfen, konnte er nur einen einzigen treffen; aber dieser eine wollte keiner von ihnen sein.

Sie blickten sich einander grimmig und verlegen an. Dann fragte der Ismilaner:

»Wer ist denn der Mann, den du euern Freund und Anführer nennst?«

»Er ist ein noch viel besserer Schütze und Jäger als ich. Er ist unverwundbar, und selbst wenn er getötet würde, so käme seine Seele wieder in die Leiche zurück. Wenn ihr dies nicht glaubt, so blickt nach der Hütte hin!«

Sie wandten sich nach der angegebenen Richtung. Dort stand ich jetzt unter dem Eingange, mit erhobenem Gewehre. Sie erschraken. Osko aber und Omar ließen einen Ruf der Freude hören.

»Seht ihr nun, daß ihr verloren seid, wenn ihr euch einfallen ließet, Widerstand zu leisten?« fuhr Halef fort.

»Vaj! Bizim tüfenkler war isa idik – ha! Wenn wir unsere Gewehre hätten!« rief der Waffenschmied.

»Ihr habt sie aber nicht. Und wenn ihr sie hättet, würden sie euch nichts nützen. Ihr befindet euch in unserer Gewalt. Wenn ihr euch freiwillig ergebt, werden wir gnädig mit euch sein.«

»Wie kannst du feindselig gegen uns auftreten, da du doch den Knopf hast?«

»Ihr habt meinem Gefährten nach dem Leben getrachtet. Aber daß ich die Koptscha besitze, mag euch überzeugen, daß ihr auf Nachsicht rechnen könnt, wenn ihr euch ergebt. Tretet in die Hütte! Dort wollen wir weiter sprechen.«

Der Ismilaner ließ den Blick nach dem Gebäude hinübergleiten. Ich glaubte ein schnelles Aufleuchten zu bemerken, welches über sein Gesicht glitt.

»Ja,« sagte er. »Treten wir in die Hütte. Dort wird sich alles aufklären. Ich bin unschuldig. Als ich kam, war der Fremdling bereits tot, wie wir glaubten. Geht hinein! Kommt, kommt!«

Er schob die andern vor sich her. Halef ließ das erhobene Gewehr sinken, und ich trat schnell zurück, um mich der Gewehre dieser Leute zu bemächtigen. Ich raffte sie zusammen und trug sie nach der Ecke. Ich beabsichtigte, dorthin keinen gehen zu lassen.

Noch mit den Gewehren beschäftigt, sah ich sie eintreten, vorne den dicken Färber-Bäcker mit einem wahren Armensündergesicht. Eben war ich im Begriff, von dem letzten Gewehre das Zündhütchen zu nehmen, als ich einen Schrei hörte. Draußen fielen zwei Schüsse; die Kugeln prallten an die Mauer, und zugleich hörte ich Halef rufen:

»Sihdi, Sihdi, heraus, heraus!«

Natürlich mußte ich diesem Rufe sofort folgen; da aber rief jener Mann, welcher mein Führer gewesen war:

»Halt! Laßt ihn nicht hinaus!«

Sie stellten sich mir entgegen. Ich aber rannte dem einen Kerl den Büchsenlauf an den Leib, daß er mit einem Schmerzensschrei zurücktaumelte und stürzte, schlug dem Nächsten die Faust ins Gesicht und stand dann draußen. Das war das Werk nur dreier Sekunden gewesen; aber schon jagte der Waffenschmied über die Lichtung dahin – auf meinem Rappen und meinen Henrystutzen in der Hand schwingend.

Er hatte ganz unvermutet meinem Halef den Stutzen entrissen, ihm den Kolben an den Kopf geschlagen und sich dann blitzschnell auf meinen Rih geworfen. Osko und Omar hatten dies bemerkt und nach ihm geschossen, ihn aber nicht getroffen.

»Bleibt hier!« rief ich ihnen zu. »Laßt keinen aus der Türe! Schießt jeden nieder, der entweichen will!«

Der Maulesel des dicken Bäckers und die Pferde Halefs und des Ismilaners standen da. Des letzteren Pferd schien das frischeste zu sein. Ich sprang auf, stieß dem Tiere die Sporen ein, daß es mit allen vieren in die Luft ging, riß es herum und galoppierte dem Diebe nach.

Was hinter mir geschah, war gleichgültig. Ich mußte mein Pferd wieder haben. Ich hatte die Büchse in der Hand und war entschlossen, den Kerl aus dem Sattel zu schießen, wenn es nicht anders gehen sollte.

Er hatte die Richtung nach Kabatsch genommen. Ich konnte ihn nicht sehen. Die Spur führte durch den Wald. Wenn ich ihm gleich im Anfang einen Vorsprung ließ, so war mir Rih verloren. Ich trieb also den Klepper, welchen ich ritt, zur größten Eile an.

Es war mir zwar, als ob ich Hufschlag vor mir hörte; sehen aber konnte ich wegen der Bäume nichts. So ging es wohl volle fünf Minuten lang unter den licht stehenden Bäumen dahin. Es war mir, als ob ich in dieser kurzen Zeit wenigstens drei englische Meilen zurückgelegt hätte. Und nun – keine Täuschung – hörte ich auch wirklich Hufschlag vor mir. Vor mir? Nein; das konnte nur hinter mir sein. Ich drehte mich um und erblickte Halef, welcher im sausenden Galopp mir nachkam. Er stand, weit vornüber geneigt, in den Bügeln und bearbeitete sein armes Pferd mit der Peitsche von Nilpferdhaut, daß ich es klatschen hörte.

»Kudam! Khawam, bil‘ aghel! ‚sa Rih chatirak – vorwärts! Rasch, schnell! Sonst Rih, lebe wohl!« rief er.

Er sprach Arabisch und das war ein Zeichen, daß er sich in großer Aufregung befand.

»Warum hast du die Hütte verlassen?« fragte ich zurück. »Nun werden sie entkommen!«

»Osko wa Omar hunak – Osko und Omar sind dort!« antwortete er, sich entschuldigend.

Weiter konnten wir nicht miteinander sprechen.

Jetzt wurde der Wald noch lichter. Die Bäume traten mehr und mehr zurück, und endlich jagten wir in freies Feld hinaus, welches ungehinderte Aussicht gewährte.

Wir befanden uns auf der Höhe. Unten lag ein Dorf, jedenfalls Kabatsch, ungefähr eine halbe Wegstunde entfernt. Von links kam ein breiter Bach, der sich hinter dem Dorfe mit dem Flüßchen Söüdlü vereinigte. Oberhalb dieser Vereinigung gab es eine Holzbrücke.

Natürlich sahen wir auch den Ismilaner. Er befand sich weit vor uns. Es war unmöglich, ihn mit der Kugel zu erreichen. Rih war ja ein ausgezeichneter Renner. Er spielte aber nur. Wäre der Waffenschmied ein besserer Reiter gewesen, so hätte er bereits den dreifachen, fünffachen Vorsprung haben können.

Er hatte nicht die Richtung nach dem Dorfe genommen. Er scheute sich wohl, sich dort sehen zu lassen. Er hielt unbegreiflicherweise nach dem Bache zu. Getraute er sich wirklich, ihn zu überspringen? Ich glaubte nicht daran. Der Bach war breit und hatte sehr hohe Ufer.

»Ihm nach!« rief ich Halef zu. »Treibe ihn nach der Brücke!«

Ich selbst lenkte nach dem Dorfe ein. Dies war der geradeste Weg zur Brücke. Vielleicht gelang es mir, trotz meines schlechten Pferdes dort eher anzukommen, als der Dieb.

Mein Tier war zu schwerfällig. Ich machte mich so leicht wie möglich – vergebens! Ich mußte zu einer Grausamkeit greifen: – ich zog das Messer und stach das Pferd vielleicht einen Zoll tief in den Hals.

Es stöhnte laut auf und tat sein allermöglichstes. Ich flog dem Dorfe völlig entgegen; aber das Tier schien nun auch ganz aus dem Häuschen geraten zu sein. Es wollte nicht mehr gehorchen. Es stürmte blind vorwärts, immer gradaus, und da von einem Wege hier keine Rede war, so hatte ich meine liebe Not, einen Sturz zu verhüten, welcher gefährlich werden konnte.

Ganz links da drüben ritt der Ismilaner. Er hatte sich umgesehen und Halef erblickt, mich aber nicht. Er erhob sich im Sattel und hielt den gestohlenen Stutzen hoch auf. Ich konnte mir das höhnische Lachen, welches er dabei wohl ausstieß, sehr gut denken. Sein Vorsprung vor Halef vergrößerte sich. Zum Glück aber raste mein fast toll gewordenes Pferd mit einer Geschwindigkeit, welche diejenige meines Rappen jetzt übertraf, dem Dorfe zu.

Man hatte uns von dort aus gesehen. Die Leute standen vor den Türen. In der Nähe der ersten Häuser lag ein langer, hoher Steinhaufen; ich fand nicht Zeit, ihn zu umreiten, und setzte über ihn hinweg. Das Pferd ließ bei dem Sprung einen grunzenden Baßton hören. Es schien nichts zu sehen; es wäre mit dem Kopfe an die erste beste Mauer gerannt. Ich hatte zwar nicht die Gewalt über es verloren; aber vollständig zu lenken vermochte ich es doch nicht; ich konnte mich nur darauf beschränken, Unglück zu verhüten.

 

Jetzt flog ich am ersten Hause vorüber. Da stand ein plumper, zweiräderiger Karren mit Früchten – ich weiß nicht, mit welchen – beladen. Ausweichen, das ging nicht. Ein Druck, ein Sprung – wir waren darüber hinweg. Die Zuschauer schrien laut auf.

Eine Biegung kam, der ich folgen mußte. Das Pferd mühsam um die Ecke bringend, gewahrte ich einen Mann, welcher eine Kuh führte. Er sah mich, stieß einen Angstruf aus, ließ die Kuh stehen und sprang fort. Das Tier drehte sich nach ihm um, so daß es mir quer im Wege stand. Im nächsten Augenblick waren wir über die Kuh hinweg.

»Tschelebi, Effendi, Effendi!« hörte ich rufen.

Ich blickte im Vorüberjagen den Mann, welcher mir dies zurief, an. Es war Ali, der Sahaf, welcher vor seinem Hause stand. Er hatte den Mund offen und schlug die Hände zusammen. Er hatte mich ja für einen schlechten Reiter erklärt und mochte glauben, das Pferd gehe mit mir durch.

So ging es weiter und weiter, zum Dorf hinaus. Da sah ich die Brücke; der Ismilaner war noch nicht da. Ich war ihm zuvorgekommen. Ich drehte mich um und sah ihn längs des Wassers daherkommen, Halef in ziemlicher Entfernung hinter ihm.

Es gelang mir, mein Pferd zum Stehen zu bringen, und ich nahm die Büchse vor. Mein Rappe war mir mehr wert als das Leben des Reiters. Gab er ihn nicht freiwillig auf, so war ihm die Kugel gewiß. Nur näher kommen mußte er.

Da aber erblickte auch er mich. Er stutzte. Er konnte es nicht begreifen, mich hier, vor sich, zu sehen. Dann nahm er sein Pferd rasch nach rechts. Mich vor und Halef hinter sich, den Fluß zur Linken, blieb ihm nichts anderes übrig, als quer durch das Dorf zu fliehen.

Ich drehte augenblicklich um, versetzte meinem Pferde einen zweiten Stich und jagte zurück. Ich sah ihn hinter einem Hause hervorkommen. Er hatte die Absicht, an dem gegenüberliegenden Hause vorbei zu reiten. Vier oder fünf Sprünge meines Rih und Roß und Reiter wären verschwunden gewesen. Ich richtete mich also in den Bügeln auf, legte die Büchse an und zielte mitten im Galopp. Aber ich setzte das Gewehr schnell wieder ab. Ich sah nämlich, daß sich dem Flüchtling ein Hindernis entgegenstellte, welches er entweder vorher nicht gesehen oder doch unterschätzt hatte.

An dem Hause, an welchem er vorüber wollte, befand sich ein hoher Zaun, aus Weiden bestehend. Ich an seiner Stelle hätte mich durch dieses Hindernis nicht zurückhalten lassen; kam man nicht hinüber, so kam man doch hindurch. Er aber hatte Angst und lenkte um, nach dem Dorfeingange zu, durch den ich gekommen war.

Ich folgte ihm nicht. Es war meine Aufgabe, ihm den Weg nach der freien Ebene zu verlegen und ihn vielmehr nach dem Wasser zu treiben. Zwar war ich ihm jetzt nahe genug, um ihn mit der Kugel zu treffen; aber er war doch ein Mensch, und ich mußte wenigstens den Versuch machen, ohne Vergießung von Menschenblut wieder zu meinem Eigentum zu gelangen.

Infolgedessen trieb ich mein Pferd grad gegen denselben Zaun, welcher ihn abgeschreckt hatte. Für Rih wäre der Sprung nicht zu hoch gewesen; der Klepper aber konnte den Satz nicht erzwingen. Ich nahm ihn so hoch wie möglich und brach hindurch. Es gab auf dem eingefriedigten Platze eine offene Grube – darüber hinweg und auf der andern Seite durch den Zaun hinaus!

Mein Pferd rasete jetzt, wie vom Bösen besessen, hinter dem Dorfe hinab, und eben als ich mich parallel dem ersten Hause befand, kam auch der Ismilaner in Sicht.

Er sah den Weg verlegt und ritt nun in gerader Richtung rechterseits dem Bache entgegen, den er vorher hatte vermeiden wollen. Weiter unten kam auch Halef zum Vorschein, welchem nichts übrig geblieben war, als gleichfalls umzukehren.

Nun folgte ich dem Fliehenden hart auf der Fährte. Er befand sich vielleicht fünfzig Pferdelängen vor mir und trieb den Rappen mit dem Sporn an, was dieser nicht gewohnt war. Rih bäumte auf und verweigerte den Gehorsam.

»Rih, waggif, waggif, ugaf – Rih, halt, halt, halt!« rief ich, in der Hoffnung, daß der Klang meiner Stimme das brave Pferd zur Fortsetzung seines Widerstandes bewegen werde.

Aber der Ismilaner schlug es mit dem Gewehre auf den Kopf, daß es, laut aufwiehernd, wieder vorwärts schoß, ich natürlich hinterdrein.

Der Rappe griff mächtig aus. Die Entfernung zwischen uns begann, zu wachsen. Es war augenscheinlich, daß der geängstigte Reiter über den Bach setzen wollte, das letzte Mittel, zu entkommen. Gelang ihm der kühne Sprung, so war mir mein Rappe verloren, wenn ich nicht noch zur Büchse griff. Ich nahm sie also wieder auf und legte an.

So brausten wir vorwärts. Im Augenblicke, in welchem der Ismilaner drüben glücklich ankäme, wollte ich feuern. Noch fünf – vier – drei Pferdelängen war er vom Ufer entfernt. Rih griff mit den Hinterhufen vor die Vorderhufe und schoß in einem hocheleganten, weiten Bogen hinüber; der Reiter verlor Bügel und Sattel, schlug mit fürchterlicher Gewalt zur Erde nieder und blieb da unbeweglich liegen.

Ich hatte keine Zeit mehr, mein Pferd zu zügeln; es befand sich im rasenden Laufe. Es hatte eine schlechte Schulung, war aufgeregt und wäre mir doch in den Bach gerannt, um Hals und Beine zu brechen. Ein lauter, aufmunternder Zuruf von mir – es machte den Sprung, gelangte zwar hinüber, stolperte aber und überschlug sich.

Der Sattel, in welchem ich saß, war ein arabischer Serdsch mit hoher Vorderlehne und noch höherer Rückenlehne. Diese Sitze sind zwar bequemer als die englischen, aber auch gefährlicher, falls das Pferd zum Sturze kommt. Ich wagte bei dem Sprunge über den Bach das Leben; das hatte ich gewußt. Darum zog ich während des Zurufes, mit welchem ich das Pferd ermunterte, die Füße aus den Schuhen, welche als Steigbügel dienten, stemmte mich, indem ich die Zügel behielt, mit beiden Händen auf die Brustlehne, hob mich über die Rücklehne hinüber, so daß ich mit dem rechten Bein hinter dieselbe zum Knien kam, und warf mich, als das Tier ins Stolpern geriet, von dem Rücken desselben herab.

Dieses Manöver wurde mir durch die Büchse erschwert; es gelang nicht so glatt, wie es bei einem andern Sattel der Fall gewesen wäre, und ich kam zum Sturze, so daß ich für einige Augenblicke bewegungslos liegen blieb.

»Allah il Allah!« rief der kleine Halef hinter mir. »Sihdi, lebst du noch, oder bist du tot?«

Ich lag so, daß ich ihn sehen konnte. Er war nur wenig mehr vom Rande des Baches entfernt und wollte sein Pferd zum Sprunge antreiben. Er konnte den Hals brechen. Das gab mir augenblicklich die Bewegungsfähigkeit wieder. Ich erhob warnend den Arm und rief:

»Bleib drüben, Halef! Sei nicht dumm!«

»Dem Propheten sei Dank!« antwortete er. »Er hält mich für dumm; er ist also noch nicht tot.«

»Nein; ich bin nur tüchtig hier aufgeschlagen.«

»Hast du etwas gebrochen?«

»Ich glaube nicht. Wollen sehen!«

Ich raffte mich auf und streckte mich. Meine Glieder waren ganz, aber der Kopf brummte wie eine Baßgeige. Halef stieg vom Pferde, kletterte die Uferböschung herab und sprang über das Wasser herüber. Dieses war nicht breit; nur daß es so tief zwischen weiten, steilen Ufern floß, machte den Sprung im Sattel so gefährlich.

»Allah ist groß!« meinte der Hadschi. »Das war eine Hetzjagd! Ich hätte nicht geglaubt, daß wir mit unsern beiden Pferden deinen Rih erreichen würden.«

»Er hatte einen schlechten Reiter.«

»Ja, dieser Mann saß auf dem Pferde wie der Affe auf dem Kamele, wie ich es in Stambul gesehen habe bei einem Manne, der einen Bären sehen ließ. Dort steht Rih. Ich werde ihn holen.«

Der Rappe stand ruhig und ließ sich die saftigen Grashalme schmecken. Es war ihm keine Anstrengung anzusehen, während das Pferd des Ismilaners, welches ich geritten hatte, schnaubend und mit schlagenden Flanken neben uns hielt. Es hatte sich wieder aufgerafft und keinen Schaden gelitten. Nur die Lehnen des Sattels waren zerbrochen, während es sich überschlug.