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Im Reiche des silbernen Löwen III

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Während der ersten Aufregung des Wiedersehens waren die Eigenheiten des Lords nicht hervorgetreten, doch sobald er sein inneres Gleichgewicht nur einigermaßen wiedergefunden hatte, machte sich zunächst seine abrupte Ausdrucksweise geltend. Wir hatten uns noch nicht wieder niedergesetzt, als er in derselben zu mir sagte:

»Ist eigentlich ein Festtag, ein großer Festtag heut. Möchte einen Vorschlag machen.«

»Welchen?« fragte ich, nun auch kurz.

»Müssen ihn feiern, unbedingt feiern.«

»Wodurch?«

»Durch einen Willkommentrunk.«

»Hier? Wo man nichts bekommen kann!«

»Nichts? Ist großer Irrtum. Habe einen Gedanken, einen famosen Gedanken!«

»Den möchte ich hören!«

»Entweder Grog oder Punsch. Arak ist da, Wasser, Zucker und Feuer auch. Citronen wird der Wirt dazu schaffen können. Einverstanden?«

»Ja, doch nur unter der Bedingung, daß wir ihn selber brauen!«

»Natürlich! Werde den Koch machen. Habe an der einen Bazzaka genug gehabt; mag keine wieder. Habt es wohl gesehen?«

»Ja.«

»Und mich ausgelacht?«

»Ein wenig.«

»Pfui! War schauderhaft! Werde lebenslang daran denken. Nun aber der Punsch!«

Er wendete sich zu dem Wirte und erfuhr, daß er alle zu dem gewünschten Getränke nötigen Bestandteile haben könne und auch selbst kochen dürfe. Es war eigentlich eine kühne Idee, hier im Süden einen Grog brauen zu wollen, aber sie wurde ausgeführt. Während Lindsay sich als Küchenchef in seiner vollen Glorie zeigte und der Somali ihm die dabei nötigen Handreichungen leistete, sah der Wirt, auf seinem Kissen sitzend, ihm mit fachmännischer Neugierde zu. Ich betrachtete seine Hände und bemerkte da freilich einen Ring. Er war von Silber und die Platte schien auch wirklich achteckig zu sein; genau konnte ich es aus der Entfernung nicht erkennen; ich mußte auf eine Gelegenheit warten, der Hand näher zu kommen.

Als der Grog fertig war, gab es keine Gläser. Da stand Kahwedschi auf, um andere passende Gefäße herauszugeben. Er brachte thönerne Becher aus einem Kasten, und ich trat schnell hin, sie ihm abzunehmen. Ich konnte dabei den Ring unauffällig betrachten. Ja, die Platte hatte acht Ecken und trug die bekannten Zeichen, ein Sa mit einem Lam verbunden, worüber das Verdoppelungszeichen stand. Der Mann gehörte also der geheimen Gesellschaft an; er war ein Sill.

Das Getränk war dem Lord vortrefflich gelungen; er bot in seiner freigebigen Weise dem Wirte und dem Somali auch ihr Teil, und als er sah, wie entzückt sie von dem ihnen bisher unbekannten Labsal waren, erlaubte er ihnen, sich auf seine Rechnung eine neue Auflage zu bereiten; wie es gemacht wurde, hatten sie ja gesehen. Wir aber begaben uns, um von etwa jetzt kommenden Gästen nicht gestört zu werden, wieder in die kleine, abgesonderte Stube. Sobald wir dort beisammen saßen, that Lindsay einen tiefen Zug aus seinem Becher und sagte, zu meiner Genugthuung in arabischer Sprache, doch auch in seiner kurzen Weise, die ich deutsch wiederzugeben suche:

»Muß Euch zunächst ein Rätsel aufgeben. Wollt ihr raten?«

»Ich nicht,« antwortete Halef schnell.

»Warum nicht?«

»Weil Allah mir die Vorzüge meines Geistes und die Vortrefflichkeiten meiner Seele nicht dazu verliehen hat, erst lange und ganz unnötigerweise nach etwas zu suchen, was ein anderer schon weiß und mir also doch lieber gleich sagen kann.«

»Schön! Aber du?«

Diese Frage war an mich gerichtet. Der Lord nannte mich, da er arabisch sprach, natürlich du. Ich antwortete:

»Muß es denn geraten sein? Und warum Rätsel jetzt, wo wir doch wohl Besseres und Nötigeres zu reden haben?«

»Rätsel ist auch nötig, wirst es aber wohl nicht lösen können; ist zu schwer.«

»Na, da will ich es doch einmal hören!«

»Gut! Es heißt: Wo komme ich her?«

»Das ist kein Rätsel, sondern nur eine Frage.«

»Mir auch recht. Aber kannst du sie beantworten?«

»Nein, denn ich bin nicht allwissend.«

»Well! So will ich es sagen: Ich war bei dir.«

»Bei – — mir – —?« sagte ich erstaunt.

»Bei dir; das heißt, in deiner Wohnung.«

»Wann?«

»Vor kurzem.«

»So kommst du aus Deutschland?«

»Yes.«

»Das ist interessant! Suchtest Du mich dort?«

»Yes.«

»In bestimmter Absicht?«

»Natürlich! Wollte mit dir reisen. Letzter Brief von dir wurde mir aus Capstadt nachgeschickt. Stand drin zu lesen, daß du zu Halef und nach Persien wolltest. Wünschte auch, Halef wiederzusehen, nach Teheran, Ispahan, Schiras zu gehen. Kam, als damalige Reise beendet war, nach Deutschland. Wollte dich abholen; warst aber schon fort.«

»Ach, nun errate ich! Du bist mir schleunigst nach?«

»Nicht eigentlich nach. Kannte deinen Weg ja nicht. Dummer Kerl, dein Wirt; konnte mir nicht sagen, welche Route!«

»Er ist nicht mein Vertrauter!«

»Well! Mußte also eigenen Weg nehmen: Wien, Triest mit Bahn; Triest, Suez, Bombay mit Schiff; Bombay, Buschehr, Bagdad wieder mit Schiff; dann Haddedihn suchen und nach dir fragen.«

»Das ist ja außerordentlich kühner Plan!«

»Kühn! Pshaw!« sagte er wegwerfend.

»Ja, doch kühn! Von Bagdad zu den Haddedihn, deren Weideplätze man erst suchen muß, ist‘s ein gefährlicher Weg.«

»Bin kein Kind!«

»Das weiß ich; aber ob Mann oder Kind, die Gefahr ist doch da. Es ist auf alle Fälle ein Glück, daß wir uns hier auf eine so fast wunderbare Weise getroffen haben!«

»Well! Dampfer legte für fünf Stunden hier an. Habe Bord verlassen, weil es dort zu langweilig ist.«

»Ja, hier im Kahwe ist es bei Raki und Bazzaka kurzweiliger gewesen!«

»Bitte, still! Mag von Schnecke kein Wort hören. Ihr seid unterwegs?«

»Ja.«

»Nach Persien?«

»Ja.«

»Well! Ich gehe mit!«

»Ich denke, du willst nach Bagdad und dann zu den Haddedihn!«

»Mach keine schlechten Witze! Doch, ah, ich verstehe; habe nicht gefragt, ob Ihr mich wollt! Werde es also nachholen. Darf ich mit?«

»Ja,« antwortete ich in der von ihm gewünschten Kürze.

»Welches die erste persische Stadt?«

»Schiras.«

»Wann von hier fort?«

»Jetzt, nachher, sobald der Fährmann kommt.«

»Fährmann? Hm! Wartet! Bin gleich wieder da!«

Er sprang auf und ging so eilig fort, daß ich gar keine Zeit fand, ihn zu fragen, wohin er wolle. Jedenfalls nach seinem Dampfer, um die Fahrt abzubrechen und sein Gepäck zu holen.

»Sihdi, der macht es kurz,« lachte Halef. »Fast hätte er gar nicht erst gefragt, ob wir ihn gern mitnehmen oder nicht. Wer weiß, ob er, wenn er uns nicht getroffen hätte, bis zu den Haddedihn gekommen wäre! Er glaubt nicht an die Gefahren, welche zu beiden Seiten dieses Weges lauern. Sag mir aufrichtig, ob es dir lieb ist, daß wir ihn mitnehmen sollen.«

»Wenn ich ehrlich sein will, muß ich gestehen, daß ich mich in den Gedanken eingelebt habe, nur dich allein bei mir zu haben.«

»Ich danke dir, Effendi! Ich wollte, er wäre in seinem native country geblieben.«

»In dieser Weise will ich es doch nicht meinen. Du mußt bedenken, er ist ein sehr vornehmer Herr und seine Freundschaft eine sehr ehrenvolle Auszeichnung. Auch sind die Vorzüge seines Geistes und seines Herzens hoch anzuschlagen, und was die Hauptsache ist, ich habe ihn lieb. Ich gebe zu, daß infolge seiner Begleitung wohl manches anders werden wird, als es sich ohne ihn gestalten würde. Wir werden oft Rücksicht auf ihn und seine Eigenheiten zu nehmen haben; aber das wird alles ausgeglichen durch die vortrefflichen Eigenschaften, welche ihm unsere Achtung und Zuneigung erworben haben. Ich will also, Für und Wider gegeneinander abgewogen, sagen, daß es sich gleich bleibt, ob wir zu Zweien oder zu Dreien sind.«

»Wenn du so sprichst, will ich mich darein finden, nicht dein einziger Gefährte sein zu dürfen. Horch, Effendi, was Euer Raki mit heißem Zuckerwasser für eine fromme Wirkung hat!«

Der Wirt sang draußen in einem fort »Allahhu, Allahhu, Allahhu!« Er ahmte die heulenden Derwische nach, und der traute Ostafrikaner schrillte in den höchsten Fisteltönen allerlei dummes Zeug dazu. Es war ohrenzerreißend und nervenzersägend, aber hier an den vereinigten Wassern des Euphrat und Tigris schatt-el-arabisch schön!

Als ich dem Hadschi jetzt mitteilte, daß der Wirt den Ring der Sillan am Finger trage und also wohl zur geheimen Bruderschaft der »Schatten« gehöre, sagte er schnell:

»So erlaube, daß ich meinen Ring auch anstecke und ihn diesem Manne wie zufällig sehen lasse! Ich möchte sehr gern wissen, was er dann thun oder sagen wird.«

»Hm, wir dürfen mit diesen Ringen nicht spielen, lieber Halef!«

»Das weiß ich gar wohl; aber du hörst ja, daß er betrunken ist; es ist also gar keine Gefahr dabei, denn wenn er wieder nüchtern geworden ist, wird er nichts mehr wissen. Vielleicht erfahren wir etwas.«

»Das ist freilich möglich. Nur darf ich mich nicht für einen Sill ausgeben, weil er uns vorhin zugehört hat und also wahrscheinlich weiß, daß ich ein Europäer bin.«

»Genügt es denn nicht, daß ich mit ihm spreche? Mich kann er für keinen Franken halten.«

»Wenn du vorsichtig wärst, ja, dann!«

»Das werde ich sein, Sihdi. Darf ich?«

»Gut, ich denke auch, daß die Sache für uns ganz unbedenklich ist, und will dir den Spaß nicht verderben. Er hat einen Rausch und könnte uns auch ohnedies nichts schaden, weil wir diese Gegend ja heut verlassen und dann über die Grenze gehen. Aber wenn du sagst, du seiest ein Sill, so darf er ja nicht denken, daß ich oder Lindsay als deine Gefährten etwas davon wissen. Verstanden?«

»Ja. Ich werde so geheimnisvoll thun, als ob ich in Wirklichkeit ein Mitglied dieser Verbindung sei. Wann soll ich zu ihm gehen? Jetzt?«

»Nein, sondern erst dann, wenn Lindsay zurückgekehrt ist. Jetzt würde es auffallen, daß du mich allein lässest und hinter meinem Rücken mit ihm von Dingen plauderst, die ich nicht wissen darf.«

 

»Hoffentlich kommt der Inglis bald wieder, denn wenn der Fährmann erscheint, müssen wir bereit sein, sonst bekommt er das Bedürfnis, noch einmal auszuruhen. Hattest du eine Ahnung, daß Lindsay dich in deiner Heimat aufsuchen werde?«

»Nein. Er hat mich nicht davon benachrichtigt. Ich schrieb ihm, daß ich die Absicht hätte, nach Persien zu gehen und dich mitzunehmen. Da ist in ihm der Wunsch erwacht, sich uns anzuschließen. Daß wir damit einverstanden sein würden, hat er für ganz selbstverständlich gehalten. Solche Herren leben ja immer in dem Glauben, daß alles, was sie sprechen, thun und wollen, von anderen Leuten als Gesetz betrachtet wird. Er kennt meine Wohnung, die ich behalte, selbst wenn ich jahrelang auswärts auf Reisen bin, und ist gekommen, um mir ganz einfach zu sagen, daß er mich begleiten werde. Da ich schon fortgewesen bin, ist er auf dem kürzesten Wege oder vielmehr mit der schnellsten Gelegenheit hierher gefahren, um mich aufzusuchen. Sich vorher zu fragen, ob mir das lieb sein werde oder nicht, das ist ihm gar nicht in den Sinn gekommen. Das gesellschaftliche Leben aller Länder und Völker wird von einem Paragraphen beherrscht, welcher lautet: Vornehme Leute stören nie! Wenn du das noch nicht weißt, so merke es dir!«

»Das habe ich nicht nötig, denn als oberster Scheik der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar gehöre ich selbst ja auch zu den vornehmsten Personen vom Aufgang bis zum Niedergang der Sonne, so daß kein englischer Lord sich einbilden darf, höher zu stehen als ich, der ich ein freier und unumschränkter Beherrscher freier Männer bin. Ich gehöre also selbst zu denjenigen Personen, welche niemals stören. Wem Allah die hohe und unschätzbare Gabe verliehen hat, eine so große Menge tapferer Beduinen zu beherrschen, der kann sich getrost an die Seite der Kaiser, Könige und sonstigen allerhöchsten Regenten stellen, und ich bin der Ueberzeugung – — —«

Hier unterbrach ich ihn mit irgend einer Bemerkung, denn wenn er auf dieses Thema geriet, so mußte man ihm den Faden der Rede schnell zerschneiden, sonst spann er ihn bis in die Unendlichkeit hinein. Er ging zwar über meinen Einwurf rasch hinweg und griff den Faden wieder auf, aber glücklicherweise kehrte Lindsay jetzt zurück, wodurch Halef zu seinem Leidwesen gezwungen wurde, vom Thema seiner unzählbaren Vorzüglichkeiten abzulassen. Da der Lord, einen Mantel abgerechnet, den er am Arme hängen hatte, gerade so wieder kam, wie er gegangen war, so fragte ich ihn nach seinem Gepäck.

»Gepäck?« antwortete er. »Habe keins.«

»Wirklich keins?«

»Yes. Bin früher so dumm gewesen, mich mit einer Menge von Sachen zu schleppen, und habe mich trotzdem für einen tüchtigen Globetrotter gehalten. Habe aber von dir gesehen, wie man es machen muß. Mache es nun ebenso: Anzug auf dem Leibe, Mantel, Waffen, Geld, weiter nichts.«

»Aber wie steht es mit dem Pferde?«

»Habe keins.«

»So müssen wir hier eins kaufen.«

»No!«

»Nicht? Warum? Basra hat Pferdeausfuhr nach Indien. Es giebt also hier eine ganz gute Gelegenheit, dem Mangel abzuhelfen.«

»Mag keins von hier; will persische Rasse; diese einmal versuchen. Werde also erst kaufen, wenn wir drüben sind.«

»Das geht aber nicht. Du kannst doch nicht neben uns herlaufen. Und selbst wenn du dir diese Absonderlichkeit leisten wolltest, würdest du es nicht aushalten. Der Weg über das Gebirge hinüber ist weit und sehr beschwerlich.«

»Welches Gebirge?«

»Ich meine da hier hinüber die Berge von Chusistan.«

»Chusistan? Haben nichts mit Chusistan zu thun!«

»Wiefern?«

»Werden überhaupt nicht reiten!«

»Wer sagt das?«

»Ich. Werden fahren.«

»Fahren? Womit? Hier giebt es keine Postchaisen.«

»Schlechter Witz! Werden per Schiff fahren.«

»Ah – — – so?!«

»Yes. Liegt ja ein Dampfer draußen. Geht gegen Abend ab, nach Bombay. Wird uns in Buschehr absetzen.«

»Wer sagt das?« fragte ich wieder.

»Ich – —« antwortete er. »Habe bereits drei Plätze bezahlt. Mit Kapitän gesprochen. Alles abgemacht!«

»Wer hat dich dazu beauftragt?«

»Beauftragt?« fragte er, mit dem Kopfe hoch emporfahrend, die Stirn in Falten ziehend und mich aus zusammengezogenen Augen erstaunt ansehend. »Denke nicht, daß es einer besonderen Beauftragung bedurfte, sondern glaubte, es so ganz richtig zu machen! Wolltet ihr denn nicht per Schiff nach Buschehr hinunter?«

»Nein.«

»Well, hätte das wissen sollen!«

»Du konntest es erfahren, indem du uns fragtest!«

»Yes, ist richtig; aber unter Reisegefährten rechnet man nicht so genau. Da die Plätze bezahlt sind, werden wir fahren.«

»Ist das wirklich so bestimmt, wie du meinst?«

»Yes.«

»Wenn ich nun nicht darauf eingehe?«

»Ist gar nicht möglich. Würde eine Beleidigung für mich sein. Was sagt Halef dazu?«

»Ich thue das, was mein Effendi thut,« antwortete der kleine Hadschi.

»Well, so fahren wir. Werde doch nicht unnötig bezahlt haben sollen!«

Da er mich bei diesen Worten fragend ansah, gab ich den Bescheid:

»Gut, gehen wir also per Dampfer nach Buschehr. Der Weg von dort nach Schiras ist ja auch ganz interessant. Wenn du mit dem Wirte sprechen willst, Halef, jetzt ist es Zeit.«

»Ja, ich gehe jetzt hin,« nickte er, »und werde mich so verhalten, daß ich deine Zufriedenheit erlange, Sihdi. Du weißt, eine Dummheit sage ich nicht!«

Ja, das wußte ich freilich. Unüberlegt zu handeln, das fiel ihm gar nicht schwer, aber im Gebrauche der Zunge besaß er eine desto größere Meisterschaft. Als er sich entfernt hatte und ich längere Zeit schweigend vor mich hingeblickt hatte, fragte Lindsay, und zwar in englischer Sprache:

»Warum redet Ihr nicht? Habt wohl schlechte Laune? Was?«

»Bitte, Launen habe ich nie!«

»Woher dann aber dieses Gesicht und diese Augen? Möchte wetten, daß Ihr etwas gegen mich habt.«

»Diese Wette würdet Ihr freilich gewinnen. Aber eine »Laune« ist es nicht. Ich kann überhaupt launenhafte Menschen nicht leiden. Wenn mich etwas verdrießt, sage ich es frei und ehrlich vom Herzen herunter, und dann ist es wieder gut.«

»Well! Also herunter damit! Was ist‘s?«

»Diese Frage sollte eigentlich gar nicht notwendig sein. Ihr müßtet auch ohne jedes Wort von mir wissen, was ich gegen Euch habe.«

»Kann es mir aber doch nicht denken. Sollte es sein, weil ich die Schiffsplätze genommen habe?«

»Natürlich ist es das!«

»Aber Ihr seid doch darauf eingegangen, ohne darüber zu räsonieren!«

»Dazu hatte ich zwei Gründe. Erstens waren die Plätze bezahlt; man bekommt das Geld nicht wieder; es gab also an der Sache nichts zu ändern. Und zweitens wollte ich Euch nicht vor Halef blamieren.«

»Blamieren? Oho! Das ist ein sehr kräftiges Wort, Mr. Kara!«

»Aber das richtige. Ich halte es für notwendig, Klarheit zwischen uns zu schaffen. Ich liebe es nicht, wenn ohne mein Wissen über mich disponiert wird. Ich bin weder ein Bedienter, über dessen Person man nach Belieben verfügen kann, weil man ihn bezahlt, noch eine Puppe, die sich an Fäden ziehen läßt. Ich will gefragt sein. Das müßt Ihr Euch ein für allemal merken!«

Da zog er die Brauen hoch empor, welcher Bewegung seine erstaunte Nase sofort folgte, und sagte:

»Sollte ich erst hierher laufen, um wie ein Knabe um Erlaubnis zu bitten?«

»Das sind sehr unpassende Worte, Sir. Ihr kennt meine Art, zu reisen. Ich bewege mich nicht auf den breitgetretenen, ungefährlichen Wegen anderer, denn ich will die Bücher, welche ich schreibe, nicht mit den Resultaten wohlfeiler Erkundigungen füllen, sondern nur das erzählen, was ich selbst erlebt, geprüft und gesehen habe. Ich bin keiner der subventionierten Herren, welche unter hohem Schutze mit großem, Aufsehen erregendem Trosse bequeme Pfade ziehen und dann, wieder heimgekehrt, einen Vortrag auswendig lernen, um mit ihm, Stadt für Stadt abklopfend, Geld zu machen. Ich reise, um allüberall, im Urwalde, in der Steppe, der Wüste, im Leben der Verachteten und Bedrängten, im Herzen des sogenannten Wilden die Spuren Gottes, die Wahrzeichen und Beweise der ewigen Liebe und Gerechtigkeit zu suchen, denn meine Bücher sollen zwar Reisebeschreibungen, aber in dieser Form Predigten der Gottes- und Nächstenliebe sein. Darum gehe ich meine eigenen Wege und bewege mich in meiner eigenen Weise; ich lebe und reise von meinen eigenen Mitteln, verlasse mich nächst Gottes Schutz auf meine eigene Kraft und lasse mich von keinem andern Willen als meinem eigenen dirigieren. Wer sich mir anschließt, hat sich in diese meine Eigenheit zu finden, sonst kann ich ihn nicht brauchen. Ich mag nicht das am Zügel gelenkte Pferd, sondern ich will der Reiter sein, und wer da glaubt, wie vorhin Ihr, mich durch ein Fait accompli willenlos und ihm gefügig zu machen, der mag diese Probe nicht zum zweitenmal versuchen; er würde sich in mir täuschen! Ich bin gewohnt, selbständig zu handeln und werde selbst dem besten Freunde nie gestatten, ohne meine Erlaubnis über mich zu verfügen.«

Lindsay machte ein sehr verlegenes Gesicht. Die Falten seiner Stirn bildeten längst schon keine hohen Bogen mehr; er hatte den Kopf gesenkt und die vorher so stolz erhobene Nase war tief zerknirscht zusammengesunken.

»Es war aber ja ganz gut gemeint!« entschuldigte er sich.

»Das weiß ich wohl; drum habe ich in Halefs Gegenwart geschwiegen und Euch nun jetzt unter vier Augen meine Meinung gesagt. Ihr habt Euch früher stets nach mir gerichtet und müßt zugeben, daß dies stets zu Eurem Vorteile war. Seit jener Zeit seid Ihr als selbständiger Mann gereist und habt Euch angewöhnt, zu handeln, ohne andere zu fragen. Das ist der leicht erklärliche Grund Eurer Eigenmächtigkeit, und darum sage ich Euch meine Meinung nicht in zornigen, sondern in ganz ruhigen Worten. Jetzt aber seid Ihr nicht mehr Euer eigener Herr; ich bin nicht Euer, sondern Ihr seid mein Begleiter; das gebe ich Euch zu bedenken.«

»Soll das heißen, daß ich gar keinen Willen haben darf?«

»Nein; aber wenn drei Personen eine weite, beschwerliche und wohl auch oft gefährliche Reise zusammen unternehmen, so versteht es sich ganz von selbst, daß keiner von ihnen ohne Wissen der andern wichtige Bestimmungen treffen darf; es muß alles einmütig geschehen; das ist es, was ich wünsche. Ihr sagtet vorhin, daß man unter Reisegefährten nicht so genau zu rechnen brauche; das ist grundfalsch; ich halte es vielmehr für sehr notwendig, daß jeder Gefährte die Rechte der andern sehr genau beachte und auf sie Rücksicht nehme. Ihr behauptet ferner, es würde eine Beleidigung für Euch sein, wenn wir uns Eurer Anordnung nicht fügten. Ich sage Euch dagegen, daß es eine Beleidigung für uns war, diese Anordnung ohne unser Wissen zu treffen!«

»Well, hm, mag wahr sein! Will es also nur sagen: Ihr solltet nicht zu zahlen brauchen!«

»Das weiß ich ja; aber ist grad der Punkt, wohin ich mein Fragezeichen setze, weil ich nicht wünsche, daß ein Ausrufezeichen daraus werde. Ihr kennt mich da von früher her. Ich will vor allem auch in dieser Beziehung mein eigener Herr sein und teile Euch darum ganz aufrichtig meine Ansicht mit, daß pekuniäre Unselbständigkeit fast sicher auch andere Arten von Abhängigkeit nach sich zieht.«

»Aber, Mr. Kara, ich bin reich, tausendmal reicher als Ihr! Soll ich da nicht das Vergnügen haben, Euch dann und wann etwas zu ermöglichen oder wenigstens zu erleichtern, was Euch sonst schwer fallen oder gar unmöglich sein würde? Es ist das für mich ja eine Kleinigkeit, grad so, wie wenn ein Pferd beim Füttern einige Körner verliert, die von einem Sperling aufgetippt werden.«

»Danke herzlich für diesen vortrefflichen Vergleich!« lachte ich.

»War nicht so, sondern anders gemeint! Sehe ein, daß ich auch ein aufrichtiges Wort bringen muß. Hört mich ruhig an!«

»Sehr gern!«

»Wenn ich in meine volle Tasche greife, um einige armselige Piaster für Euch auszugeben, so wollt Ihr mir das nicht gestatten. Ich aber soll es mir ruhig gefallen lassen, daß Ihr in Euern Kopf, in Eure Kenntnisse, in Eure reichen Erfahrungen greift und für mich mit Eurer geistigen, intellektuellen Münze nur so um Euch werft! Münze ist Münze; ob aus den Schätzen Eures Verstandes oder aus unserer Bank von England entnommen, das bleibt sich gleich. Soll ich welche von Euch annehmen, so muß auch ich von der meinigen ausgeben dürfen, wenn ich mich nicht als armer Almosenempfänger fühlen soll; das müßt Ihr doch einsehen! Oder nicht?«

»Ich will zugeben, daß das, was Ihr da gesagt habt, nicht ohne einige Berechtigung ist, und will, so wie ich es früher nicht war, auch jetzt nicht dagegen sein, daß Ihr zuweilen einmal in Eure wohlgefüllte Tasche greift; aber Ihr dürft damit nicht die Ansicht verbinden, daß dies ohne unser Wissen geschehen kann und gar vielleicht Euch die Berechtigung verleiht, uns wie heut, mit vollendeten Thatsachen, denen wir nicht zugestimmt hätten, zu überraschen. Für diesesmal sollt Ihr unsere nachträgliche Zustimmung erhalten; bei einer Wiederholung dieses Falles aber würdet Ihr nur den Erfolg haben, ohne unsere Gesellschaft auf Eurer Thatsache sitzen zu bleiben. So, nun mag diese heikle Angelegenheit abgethan sein. Ihr habt es gut gemeint und ich meine es mit meinem Tadel auch nicht schlecht, denn ich habe ihn nur ausgesprochen, um späteren Unannehmlichkeiten zu begegnen. Wo habt Ihr denn eigentlich Eure überraschende Kenntnis der arabischen Sprache her?«

 

Da hellte sich sein verdüstertes Gesicht schnell auf; die Nase machte einen frohen Seitensprung, und er antwortete:

»Nicht wahr, das hat Euch überrascht?«

»Außerordentlich!«

»Habt mir‘s gar nicht zugetraut?«

»Aufrichtig gesagt, nein.«

»Well! Habe mich auch riesig auf Eure Verwunderung gefreut! Meine Reise damals mit Euch war die schönste und interessanteste von allen, die ich unternommen habe. Ist mir nie aus der Erinnerung gekommen. Sehnte mich förmlich, alle die Orte einmal wiederzusehen. Nahm mir also vor, den ganzen Weg noch einmal zu machen. Dazu gehörte aber die Sprache, die ich nicht verstand. Beschloß darum, sie zu erlernen. Wandte mich nach Oxford, Universität; verschrieb mir einen Lehrer. Mußte mich begleiten, auch während der Reise unterrichten. War ein tüchtiger Kerl und hat sich viel Mühe gegeben. Habe aber auch gearbeitet wie ein Stier, Tag und Nacht! Wundere mich, daß mein Kopf noch ganz ist, keine Löcher und Sprünge bekommen hat! Ist eine heidenmäßig schwere Sache, diese arabische Sprache. Bin sehr oft ganz konfus gewesen; habe Flinte tausendmal wegwerfen und ausreißen wollen. Bin in Wut geraten, ganz verzweifelt gewesen, habe nicht essen, nicht schlafen können. Riesige Kopfschmerzen, schlechte Verdauung, Augenflimmern, Ohrensausen; habe mich ganz elend gefühlt, unendlich jämmerlich. Dachte aber an Euch, an Eure Ausdauer, Energie; malte mir aus, Ihr säßet bei mir und nicktet mir aufmunternd zu. Das half. Bin mit jedem Tag arabischer geworden, bis mir sogar einmal träumte, ich sei ein Beduinenscheik und zähle meinen Schafen und Kamelen das große Einmaleins arabisch vor. Da schriebt Ihr mir, Ihr wolltet hierher. War natürlich sofort fest entschlossen, mitzumachen, und lernte nun mit doppelter Wut, wie eine Windmühle im Sturme oder eine Maus, hinter der die Katze ist. War riesenhaft stolz auf den Erfolg. Habe mir tausendmal Euer Gesicht ausgemalt, wenn Ihr hören würdet, was ich leiste. Fand Euch leider nicht daheim, bin also hierher. Habe Euch hier getroffen; aber anstatt mich an Eurem Staunen weiden zu können, habe ich Vorwürfe zu hören bekommen. Ganze Freude ist in das Wasser gefallen und total ertrunken! Sehe aber ein, daß ich selbst schuld bin. Hätte Euch erst fragen sollen, welchen Weg Ihr nehmen wolltet. Wird nicht wieder vorkommen; gebe Euch mein Wort darauf!«

Da reichte ich ihm die Hand und sagte:

»Diese Freude habe ich Euch natürlich nicht verderben wollen. Ich war außerordentlich überrascht und wollte meinen Ohren nicht trauen, als ich Euch so fließend arabisch sprechen hörte. Ich weiß am besten, wie groß die Mühe gewesen ist, die Ihr darauf verwendet haben müßt, und es kann mir nicht einfallen, Euch die wohlverdiente Anerkennung vorzuenthalten. Ihr müßt ja geradezu wie ein Pferd gearbeitet haben!«

»Pferd? Ist viel zu wenig gesagt!« verbesserte er, indem infolge meines Lobes sein ganzes Gesicht vor Wonne strahlte und seine Nase eine vergnügt horchende Lage einnahm. »Habe mit dem Kopf gearbeitet. Muß also nicht Pferd sondern Ochse heißen! Darf also annehmen, daß Ihr zufrieden mit mir seid?«

»Sehr zufrieden!«

»Gute Leistung von mir?«

»Großartige Leistung sogar!«

»Well! Damit ist alles gut, alles wieder gutgemacht! Wenn Kara Ben Nemsi meine Leistung großartig nennt, so ist das die beste Belohnung, die ich finden kann. Möchte diese Heidenarbeit aber nicht zum zweitenmal machen. Würde ganz gewiß überschnappen! Habe meinen armen Kopf sehr oft für eine alte Pauke gehalten. Was hat da alles hineingemußt! Sukuhn, Hamza, Teschdid, Madd, Singular, Dual, äußerer Plural, innerer Plural, ana, inte, huwa, ihna, intu, huma, wahid, marra, auwal, dreiradikaliges Verbum, vierradikaliges Verbum, massives Verbum, konkaves Verbum, defektes Verbum – — – wer da den Verstand nicht verliert, der hat entweder sehr viel oder gar keinen Geist!

Fühle mich aber auch wie neugeboren, daß ich das alles glücklich überwunden habe. Nun sagt mir doch auch einmal, ob ich gut oder fehlerhaft spreche!«

»Welcher Meinung war Euer Lehrer über diesen Punkt?«

»Dummer Kerl! Lachte mich aus!«

»Ihr habt ihn vorhin aber doch einen sehr tüchtigen Kerl genannt!«

»War er auch; nur in dieser Beziehung nicht! Sagte immer, ich spräche englisch mit schlecht gewählten arabischen Worten. Behauptete auch, ich würfe zu viel englische Partikel hinein. Was soll ich aber denn mit meinen Partikeln machen, wenn ich sie einmal habe? Das war doch unrecht von ihm. Nicht?«

»Recht wird wohl der haben, der da weiß, daß kein Meister vom Himmel gefallen ist. Man darf nicht denken, daß man fertig sei, sondern man muß sich üben, immerfort weiterüben.«

»Das thue ich auch! Habe mich sogar heut geübt, mit dem Wirte da draußen. Wollte einmal hören, wie die Sprache des Arabers klingt, wenn er betrunken ist.«

»Außerordentlich löbliches Unternehmen!«

»Mag sein! Nehmt Ihr es mir übel?«

»Nein. Vielleicht ist es sogar vorteilhaft für mich, daß Ihr ihm einen Haarbeutel aufgesetzt habt.«

»Wieso?«

»Davon werden wir später sprechen; es gehört eine lange, aber sehr interessante Erzählung dazu. Wir haben nämlich schon sehr viel erlebt, und zwar Dinge, welche wahrscheinlich noch gar nicht zu Ende sind. Halef wird Euch alles berichten, und ich glaube, daß Ihr den Faden dann mit uns weiterspinnen werdet. Für jetzt ist es notwendig, zu wissen, ob Ihr wirklich die Absicht habt, Euch erst drüben in Persien ein Pferd anzuschaffen?«

»Ja; eher nicht.«

»Wo?«

»Vielleicht Schiras.«

»Aber wir müssen doch von Buschehr bis Schiras reiten!«

»Nehme ein Mietspferd.«

»Das ist für uns unbequem; aber da Ihr es einmal wollt, müssen wir Euch Euern Willen lassen.«

»Wenn ich hier eins kaufte, müßte ich es per Schiff hinübertransportieren lassen wie Ihr die eurigen. Das kann ich umgehen.«

»Das ist freilich wahr. Hoffentlich bekommt Ihr dort etwas Preiswürdiges. Da wir echtes Blut reiten, dürft auch Ihr nicht schlecht beritten sein, sonst kommt Ihr nicht mit uns fort.«

»Habt keine Sorge! Kaufe nichts Schlechtes. Geld ist da! Wer ist der Kerl?«

Diese Frage galt dem Fährmann, welcher jetzt endlich kam, um uns zu benachrichtigen, daß er nun bereit sei. Wir hatten ihm gesagt, daß er uns im Kahwe finden werde. Nun brauchten wir ihn nicht. Es war vorauszusehen, daß er in echt orientalischer Weise eine Entschädigung dafür verlangen werde; darum antwortete ich, als er seine Aufforderung, jetzt mitzukommen, ausgesprochen hatte:

»Hast du dich denn schon ausgeruht?«

»Ja,« nickte er.

»Aber wir noch nicht. Wir waren noch viel müder als du und müssen also noch länger sitzen bleiben.«

»Aber ich habe grad jetzt Zeit!«

»Wir noch nicht!«

»Ihr könnt auf der Fähre ebenso ruhig sitzen wie hier!«

»Ganz dasselbe haben wir dir vorhin auch gesagt. Wir wollten rudern, und du solltest dich pflegen; das beliebte dir aber nicht. Jetzt sind wir es, denen es nicht paßt.«

»Später fahre ich Euch nicht!«

»So lässest du es bleiben!«

»Ihr habt mir ein Bakschisch für das Warten zu zahlen!«

»Sehr gern! Wieviel verlangst du?«

»Fünf Piaster. Ich denke, daß Ihr das sehr billig finden werdet!«

»Es ist billig; ich hätte mehr verlangt. Gieb also die fünf Piaster her!«

»Ich?« fragte er erstaunt.

»Ja.«

»Euch?«

»Natürlich!«

»Du sprichst ja ganz verkehrt! Wer ist es denn, der zu bezahlen, und wer, der zu bekommen hat?«

»Zu bezahlen hast du. Wer sonst?«

»Doch Ihr!«

»Wenn du das behauptest, bist du es, der verkehrt redet. Du bist eine einzelne Person und hast auf uns gewartet. Dafür verlangst du von uns eine Entschädigung von fünf Piastern?«

»Ja.«