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Im Reiche des silbernen Löwen I

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»Ich würde es später von dir erfahren.«

»Später? Gut! Ich werde dir es später sagen.«

»Warum nicht jetzt?«

»Du selbst hast mich versichert, daß Hanneh immer recht habe; also müssen wir uns auch dieses Mal nach ihrem Willen richten. Ich will dir nur mitteilen, daß du stolz, sehr stolz auf die liebliche Herrin deines Frauenzeltes sein kannst. Jetzt wollen wir schlafen, denn das Morgenrot soll uns schon wieder wecken.«

»Oh, Effendi, warum bist du so schweigsam! Du weißt gar nicht, was für ein Ungeheuer die Neugierde ist! Ihre größte Freude und Wonne besteht darin, alle ihre Freunde und Bekannten so zu peinigen, daß sie des Tages keinen Appetit zum Essen und des Nachts dann weder Schlaf noch Ruhe finden. Muß ich wirklich warten, bis es dir beliebt?«

»Ja.«

»So schließ du deine Augen, und schlafe wohl; ich aber werde die Wohlthat des Schlummers nicht genießen und mich auf dem Lager krümmen wie ein Regenwurm, den der Schnabel eines Vogels ergriffen hat. Gute Nacht, lieber Sihdi!«

»Gute Nacht, lieber Halef!«

Er entfernte sich, und ich ging in das Zelt, um mich niederzulegen.

Der Tag war erst vor kurzem angebrochen, als ich durch den im Lager herrschenden Lärm aufgeweckt wurde. Man wollte uns bis an den Fluß begleiten, wozu die Vorbereitungen schon jetzt getroffen wurden. Da diese Begleitung eine möglichst festliche sein sollte, so befanden sich alle Bewohner des Lagers in einer so lauten Aufregung, daß ich unmöglich wieder einschlafen konnte. Ich stand also auf, obgleich bis zu unserem Aufbruche noch volle drei Stunden zu vergehen hatten.

Daß unsere Abreise schon am Vormittage vor sich gehen sollte, war eine Seltenheit, eine Ausnahme, in welche die Haddedihn nur meinetwegen willigten. Bei den Muhammedanern des Orientes ist die Zeit des Aufbruches stets kurz nach dem Gebete des Asr, also ungefähr drei Uhr nachmittags. Es fällt da niemandem ein, in Betracht zu ziehen, daß diese Gewohnheit so unpraktisch wie nur möglich ist. Es vergeht nach dem Asr stets noch eine längere Zeit, ehe die Reise wirklich angetreten wird. Man hat noch Abschied zu nehmen, noch hunderterlei zu sagen und zu thun; man wird eine Strecke weit begleitet, hat sich dann abermals zu verabschieden und ist, wenn es hierauf dunkel wird, nur soweit fortgekommen, daß es besser gewesen wäre, wenn man noch bis früh gewartet hätte. Wenn man dann Lager macht, liegen Aufbruchs- und Lagerort so nahe bei einander, daß zwischen beiden noch bis spät in die Nacht hinein hin und her verkehrt wird; man erwacht infolgedessen am nächsten Morgen spät und ist am Mittag nicht soweit gekommen, wie man sein würde, wenn man die Reise nicht schon gestern, sondern erst heute früh angetreten hätte. Ich habe mich diesem durch die Tradition und die Kuranauslegung geheiligten Gebrauche nie gefügt und bin darum sehr oft mit meinen Reisegefährten in Konflikt geraten. Auch Halef war in dieser Beziehung früher niemals mit mir einverstanden gewesen; jetzt aber hatte er nichts mehr dagegen einzuwenden. Und was seine Haddedihn betrifft, so stand ich bei ihnen in einem solchen Ansehen, daß mir keiner von ihnen zu widersprechen wagte. Sie beruhigten ihr muhammedanisches Gewissen jedenfalls mit dem Gedanken, daß ich als Christ an ihre Gewohnheiten nicht gebunden sei und also auch ihrem Scheik, als meinem Begleiter, der Fehler von Allah wohl nicht angerechnet werde.

Da die Frauen und Kinder im Lager bleiben mußten, war Hanneh die erste, von welcher ich Abschied nahm. Sie hatte Thränen in den Augen und sagte:

»Sihdi, ich weiß, daß du dich vor keiner Gefahr und vor keinem Menschen fürchtest; aber ebenso weiß ich auch, daß du der vorsichtigste aller tapfern Krieger bist. Halef dagegen, der beste Gatte, den die Erde trägt, besitzt eine oft unbesonnene Verwegenheit, und darum ist es möglich, daß doch einmal eine Gefahr über euch zusammenschlägt und euch dem Tode in die Arme wirft. Versprich mir also, doppelt vorsichtig zu sein, wenn Halef sich von seiner Kühnheit einmal fortreißen lassen will!«

»Ich verspreche es dir,« antwortete ich. »Soweit ich voraussehen kann, brauchst du dich nicht um ihn zu ängstigen. Wir werden gesund und munter wiederkehren. Allah jihfadak —Gott bewahre dich.«

»Zahranah en Nebi – deine Rückkehr wird uns wie ein Besuch des Propheten sein. Allah jeftah ‚alehk – Gott öffne dir die Herzen der Menschen!«

Nun sagte ich Kara Ben Halef und Omar Ben Sadek Ade; dann verabschiedete ich mich von den Kranken und ganz Alten, die uns das Geleite nicht geben konnten, worauf ich von einer Menge von Frauen und Kindern überfallen wurde, welche alle ihre Hände ausstreckten, um mir die meinigen zu drücken. Halef erging es ebenso. Jede dieser Personen wollte ein freundliches Wort von uns haben; wir wurden nach orientalischer Art mit Wünschen, Ermahnungen und Warnungen, welche gar nicht am Platze waren, förmlich überschüttet, und bei der überlebhaften Weise dieser Leute gab das einen Lärm, daß ein ruhiger, deutscher Bürger, wenn er ihn von weitem gehört hätte, jedenfalls auf den Gedanken gekommen wäre, daß hier eine Revolution mit Mord und Totschlag ausgebrochen sei.

Dabei verging die Zeit wie im Fluge, und die drei Stunden schienen so schnell wie eine einzige vergangen zu sein, als endlich alle streit- und reitbaren Männer und Jünglinge sich zu Pferde draußen vor dem Duar versammelt hatten. Wir stiegen auch auf, setzten uns an ihre Spitze, und dann ging es wie ein Wirbelwind dem Flusse zu.

»Wie ein Wirbelwind«; das ist der richtige Ausdruck; denn man denke ja nicht, daß es bei diesem Ritte eine gerade Richtung, bei diesem Zuge eine Ordnung gegeben habe! Die Menge der Reiter glich vielmehr einem großen Mückenschwarme, welcher vom Winde bald dahin und bald dorthin getrieben wird. Jeder einzelne wollte seine Reitkunst zeigen und den andern übertreffen. Das gab Verwickelungen und Zusammenstöße, welche sich von Nachbar zu Nachbar übertrugen und einen scheinbaren Wirrwarr hervorbrachten, der aber grad beabsichtigt war und von Zeit zu Zeit eine so schöne und überraschende Auflösung fand, daß selbst ein Nichtkenner darüber in Entzücken geraten wäre. Dabei wurde geschossen und geschrieen, so laut das Pulver knallen und die Stimme schallen wollte. Der Schwarm stob bald auseinander, flog wieder zusammen, ging bald nach rechts oder links, bald gerade aus, dann wieder nach der Seite, bildete jetzt eine Linie, nun einen Kreis, nachher ein Vier- oder ein Vieleck und hierauf abermals ein wirres Durcheinander. Die Fantasia glich einer Komposition mit einer Menge verschiedener Terzquintsextakkorde, von denen jeder einzelne acht verschiedene Auflösungsarten, vier nach Dur und vier nach Moll besitzt, und so schreiend und disharmonierend jetzt, in diesem Augenblicke, die Klänge waren, im nächsten fanden sie sich zu einer Harmonie zusammen, von deren Möglichkeit man einen Moment vorher keine Ahnung gehabt hatte. Daß die Pferde dabei so häufig in die Häksen gerissen wurden, daß sie unbedingt darunter leiden mußten, versteht sich ganz von selbst, und das ist es, was ich gegen diese Fantasias und gegen diese Al‘ab el Barud[62] habe: Die besten Pferde gehen dabei zu Grunde, indem nicht nur die Sprunggelenke, sondern auch andere Teile zu sehr angegriffen werden.

Die Folge dieser Reiterkünste war, daß wir dreimal mehr Zeit, als nötig war, brauchten, um den Fluß zu erreichen; dem Beduinen ist aber, wie überhaupt dem Orientalen, das amerikanische »time is money« vollständig unbekannt. Am Ufer erwarteten uns einige Haddedihn, welche mit unserm Proviante und den Ziegenhäuten vorausgeritten waren und das Floß zusammengesetzt hatten. Ich untersuchte dasselbe und fand es fehlerlos, so daß wir uns ihm mit unsern Pferden getrost anvertrauen konnten. Nun ging das Abschiednehmen von neuem los. ich mußte mich in das Unvermeidliche fügen und mich ziehen, schieben, drücken und schütteln lassen, daß mir um meine gesunden Gliedmaßen hätte angst und bange werden mögen, doch wie auf dieser Erde nichts ewig währt, so nahmen auch diese Liebeserweisungen ein Ende; wir hatten nur Kara Ben Halef noch einmal Ade zu sagen.

Ich that dies in ruhiger, wenn auch herzlicher Weise. Auch sein Vater, mein kleiner Hadschi, gab sich alle Mühe, nicht sehen zu lassen, wie tief dieser Abschied ihn bewegte; aber seine Stimme zitterte, und seine Augen waren naß. Er strömte von Ermahnungen über, trug ihm tausend Grüße an Hanneh, die »sanfteste Mutter unter allen Müttern der Beduinensöhne«, auf, und dann konnten wir endlich das Floß besteigen und zu den Rudern greifen. Unsere Pferde waren natürlich schon vorher daselbst fest angebunden worden.

Als wir vom Ufer gestoßen waren und erst langsam, dann schneller der Strömung folgten, sprangen die Haddedihn wieder auf ihre Pferde und folgten uns unter Schüssen und weithin schallendem Geschrei noch eine ganze Strecke weit, bis eine hart an das Wasser tretende Hügelreihe uns ihren oder sie unsern Blicken entzog.

»Leb wohl, Hanneh, du hellstes Licht unter allen Leuchten des Männerglückes!« rief Halef, indem er die Hände nach rückwärts ausbreitete. »Leb wohl, Kara Ben Halef, du bester Sohn aller Väter zwischen den beiden Flüssen! Lebt wohl, ihr Haddedihn, ihr tapfersten Streiter unter allen Kriegern von der Wüste El Arab bis zu den Bergen des Kurdenlandes! Oh, Effendi, ich gehe gern, so gern mit dir, aber das Abschiednehmen gleicht zwei Brettern, zwischen denen man mir die Brust zusammenschraubt; es ist schwer auszuhalten!«

»Der Schmerz wird bald verschwinden, lieber Halef, denn du bist ein Mann!« tröstete ich ihn.

»Das ist sehr richtig, Sihdi; ich bin ein Mann, aber grad weil ich ein Mann bin, habe ich eine Frau und einen Sohn, und diese beiden sind ja eben die Bretter, welche mich drücken und mir Schmerzen machen. Ich wollte, unser Floß würde gleich jetzt von feindlichen Kriegern überfallen! Da hätten wir uns zu verteidigen, und meine Gedanken würden schnell zu mir zurückkehren müssen von denen, die ich verlassen habe. Oh, Effendi, hättest du dabei sein können, als heut früh nach dem Morgengebete Hanneh, welche dem köstlichsten aller Wohlgerüche des Morgen- und des Abendlandes gleicht, zu mir kam, um Abschied zu nehmen! Sie wollte das nicht vor den Augen anderer, sondern mit mir allein thun, was ich auch für ganz richtig hielt. Sie hat mir da alles gesagt, was sie mir zu sagen hatte!«

 

»Und du?«

»Und ich habe zu allem ja gesagt, denn du weißt, daß sie stets recht hat. Effendi, glaube mir, wenn du dabei gewesen wärest, so hättest du von mir gelernt, wie du dich später verhalten mußt, wenn du ein Weib besitzest, von dem du dich für längere Zeit zu trennen hast. Dein Herz aber ist in alle Länder der Erde verteilt und wird sich nie nach einer Mitbewohnerin deines Zeltes sehnen!«

Er hielt mich nämlich für einen eingefleischten Hagestolz. Ich sagte auch jetzt nichts gegen diese seine irrige Meinung, zumal der Fluß gerade jetzt einen scharfen Bogen machte, wobei die reißende Strömung unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.

Während des weiteren Verlaufes der heutigen Fahrt bemerkte ich, daß Halef Heimweh hatte. Er war gegen seine sonstige Art sehr schweigsam und in sich gekehrt. Einmal, als er den Pferden Futter gab, übermannte ihn die Wehmut. Er schlang die Arme um Assils Hals und sagte:

»O Schwarzer, o Schwarzer! Du warst der Liebling meines Sohnes und hast ihn gern auf deinem Rücken getragen. Wäre er doch hier bei uns!«

Um ihn zu zerstreuen, machte ich ihn auf unsere früheren Erlebnisse aufmerksam, denn wir kamen durch Gegenden, welche damals für uns sehr wichtig geworden waren. Er ging zwar auf dieses Thema ein, aber nicht mit der Lebhaftigkeit, welche ihm sonst eigen war. Ich hätte es gern gesehen, wenn er durch irgend ein, wenn auch kleines Ereignis auf andere Gedanken gebracht worden wäre, aber es geschah nichts, gar nichts; wir bekamen während des ganzen Tages, außer in und bei Tekrit, keinen einzigen Menschen zu sehen und legten, als es dunkelte, das Floß nicht weit südwärts von Imam Dor an das Ufer fest. Es gab da eine Stelle, deren Beschaffenheit uns Sicherheit gegen Ueberfälle gewährte. Die Pferde hatten da Gras und Laub zum Fressen, und wir machten uns über die Raritäten her, welche Hanneh für uns eingepackt hatte. Wenn ich sage »wir«, so meine ich, daß Halef diese Speisen vorlegte und ich von ihnen aß; er hatte keinen Appetit. Als er bei dem Scheine des Feuers, welches wir angebrannt hatten, sah, wie gut es mir schmeckte, sagte er:

»Ein Mann, der eine Frau hat, ist doch ein ganz anderer Mann als einer, der kein Weib besitzt! Ich könnte keinen Bissen essen, selbst wenn ich den größten Hunger hätte!«

»Meinst du? Hättest du Hunger, so würdest du wohl essen!«

»Glaube das nicht, Sihdi! Wenn man sich nach denen sehnt, die man verlassen hat, macht einem selbst der Hunger keinen Appetit; das weiß ich ganz genau, denn ich fühle es. Und wenn dann – — —«

Er unterbrach sich mitten im Satze, machte ein Gesicht, als ob ihm etwas sehr Wichtiges eingefallen sei, und fuhr dann lebhaft fort:

»Sihdi, die Zeit ist gekommen; sie ist nun endlich da!«

»Welche Zeit?«

»Daß du mir sagst, was du mit Hanneh, der beispiellosen Blume aller Blumen, gesprochen hast.«

»Hm! Ich wollte eigentlich noch länger warten.«

»Noch länger? Welch ein Gedanke! Willst du meine Seele so in die Länge ziehen, daß sie einem abgewickelten Bindfaden gleicht, welcher von Mossul bis nach Basra und noch weiter reicht? Kannst du so grausam sein, meine Sehnsucht, die jetzt noch einer lieblich trillernden Gumbara[63] gleicht, in ein Karkadahn[64] zu verwandeln, welches mich mit seinen Füßen zermalmt? Ich bitte dich, nimm dein doch sonst so gutes Herz auf die Spitze deiner Zunge, und laß es sprechen die Worte, welche ich hören will!«

»Eigentlich ist es noch nicht Zeit zu dieser Mitteilung, aber da ich kein Unmensch bin, so hat dein Bindfaden mich gerührt und dein Nashorn meine Seele weich getreten. Also höre! Zunächst hat Hanneh mir gesagt, daß du der beste Mann seist, soweit die Erde reicht.«

Er sprang wie ein Gummiball in die Höhe und rief:

»Hat sie das gesagt? Wirklich, wirklich?«

»Ja.«

»Hamdulillah! Das labt meine Seele so, wie junges Gras den Leib eines Kameles erquickt! Soweit die Erde reicht, bin ich der beste Mann! Welch ein Wort! Welch eine Tiefe der Einsicht in alle meine vorzüglichen Beschaffenheiten! Ein so wahres und zutreffendes Urteil kann nur aus einem Munde kommen, welcher die oberste Oeffnung der tiefsten Einsicht ist! Sihdi, wer ein solches Wort ausspricht, der muß eine Seele haben!«

»Allerdings!«

»Du bist überzeugt, daß die Frauen Seelen haben?«

»Ja.«

»Also Hanneh auch?«

»Natürlich! Und das ist es, was ich dir weiter sagen soll. Sie läßt dich durch mich bitten, nicht länger an dem Vorhandensein ihrer Seele zu zweifeln.«

»O Effendi, wenn sie mich für den besten Mann der Erde hält, so habe ich ganz und gar nichts dagegen, daß sie sich in dem Besitze einer Seele befindet. Es ist zwar – — – hm, Effendi, nicht wahr, die Seele ist etwas Innerliches? Sie steckt im Körper?«

»Nach der bisherigen, irrigen Ansicht, ja.«

»So mag sie drin stecken bleiben! Es soll aber Seelen geben, die sich auch äußerlich sehen und hören lassen; das liebe ich nicht.«

»So? Giebt es wirklich solche?«

»Leider ja; ich weiß es ganz genau.«

»Hanneh scheint ganz dasselbe auch zu wissen, denn sie hat mir noch einen Auftrag gegeben.«

»Welchen?«

»Wenn du glaubst, daß sie eine Seele habe, so soll dieselbe stets im Innern stecken bleiben.«

»Das – — das – — das hat sie gesagt?«

»Ja.«

»Maschallah! Gott thut Wunder! Wie freue ich mich darüber, daß sie mir den Vorschlag machte, sie mit dir sprechen zu lassen! Weißt du, Sihdi – — aber das kannst du ja gar nicht wissen, weil du noch nicht der Besitzer eines Frauenzeltes bist, doch sage ich dir, wenn die Seele eines Weibes das Innere verläßt, so nimmt das Gesicht sehr ernste Züge an, und die Stimme wird gebieterisch. Und dann, eben dann hat sie allemal recht!

Aber nun du mir diese liebe Botschaft bringst, bin ich überzeugt, daß ich nach meiner Rückkehr auch einmal allein recht haben werde und nicht immer sie und ich zusammen. Hat sie dir noch etwas aufgetragen?«

»Ja.«

»Sage es mir! Deine Worte sind für mich wie Sonnenstrahlen, welche selbst den Rücken eines Krokodils erwärmen. Ich bin bereit, alles zu hören.«

»Und auch alles zu befolgen?«

»Ja, wenigstens jetzt, in diesem Augenblicke.«

»Das genügt mir nicht. Das, was ich dir noch zu sagen habe, ist so vortrefflich für dich, daß du mir getrost dein Wort, es stets befolgen zu wollen, geben kannst.«

»Höre, Effendi, die Stimmung meines Herzens ist in diesem Augenblicke voller Wohlthaten für dich; ich will dir also hiermit das Versprechen geben, welches du von mir verlangst.«

»Gut; ich halte dich beim Worte. Hanneh will nämlich haben, daß du stets recht bedachtsam und vorsichtig handeln sollst.«

»Das thue ich doch immer! Nicht?«

»Nein.«

»Nein? Was ist das für ein Wort, welches ich da hören muß! War es nicht sehr klug und vorsichtig von mir, daß ich mich von dir zum Freund und Beschützer wählen ließ? Kann ich einen besseren Effendi haben als dich? Und war es nicht sehr weise und bedachtsam von mir, daß ich grad dasjenige Weib für mich aussuchte, welches die herrlichste Knospe am blühenden Baume der Frauen ist? Kann ich eine bessere Gattin haben als diese vorzüglichste aller Mütter, welche einen Sohn besitzen?«

»Nein. Und da du in diesen beiden Wahlen eine so große Bedachtsamkeit bewiesen hast, so hoffe ich, daß du auch bei andern Gelegenheiten dieselbe Vorsicht in Anwendung bringen wirst. Wenn nicht, so werde ich dich an das Wort erinnern, welches du mir heute gegeben hast. Du bist zuweilen etwas hitziger und schneller, als du sollst.«

»Ich? Sihdi, da kennst du mich schlecht! Ich komme mir im Gegenteile sehr oft viel zu kalt und langsam vor.«

»So denke an die zahlreichen Fälle, in denen ich dich zurechtweisen mußte!«

»Dazu hattest du gar keine Ursache. Soll ich einer Gefahr feig den Rücken kehren? Soll ich bei Beleidigungen etwa nicht in den Gürtel greifen und – — – o, da fällt mir ein: ich habe sie mit!«

»Sie? Wen oder was?«

»Die ich bei unsern früheren Reisen stets am Gürtel hängen hatte. Ich will sie dir zeigen.«

Ich wußte gar wohl, was er meinte, nämlich die Peitsche aus Nilpferdhaut, mit welcher er stets so schnell bei der Hand gewesen war, zuweilen zu meiner Freude, oft aber auch zu unserm Nachteile. Er wickelte seinen zusammengerollten Haik auf, zog die Peitsche heraus, schwang sie durch die Luft und fuhr fort.

»Ja, das ist sie, die Bringerin der Achtung, die Mutter des Gehorsams, die segensreiche Spenderin der Hiebe! Die konnte ich unmöglich liegen lassen; die mußte ich unbedingt mitnehmen. Es ist dieselbe, welche ich schon damals in und vor Aegypten hatte. Wenn weder Worte noch Winke helfen, so ist sie die Vermittlerin zwischen meinem Wohlwollen und dem Rücken der Uebelwollenden. Was keine Bitte und kein Befehl zu stande bringt, das wird von dem süßen Bewußtsein fertig gebracht, eine Haut zu besitzen, welche unter den Liebkosungen dieser Kurbadsch auseinanderplatzt.«

»Wickle sie wieder ein, Halef! Du wirst sie nur dann in Anwendung bringen, wenn ich dir den Befehl dazu erteile!«

»Sihdi, darüber sprechen wir wohl noch!«

»Nein! Hanneh ist auch ganz dieser meiner Meinung.«

»Ist sie? Hat sie, als du mit ihr sprachst, auch Meinungen gehabt? Schau, Sihdi, als die Frauen noch keine Seelen hatten, da – — —«

»Still! Sie haben stets welche gehabt!«

»Höre, das kannst du doch nicht wissen. Erst dann, wenn du auch eine liebliche Herrin deines Herzens haben wirst, erlaube ich dir – —«

»Lieber Halef, ich habe eine!« versicherte ich, ihm in die Rede fallend.

Er trat zwei Schritte zurück, bückte sich halb nieder, sah mir, der ich am Feuer saß, erstaunt in das Gesicht und fragte:

»Was – — was – — hast – — du?«

»Auch eine.«

»Eine Besitzerin deines Herzens?«

»Ja.«

»Welch ein Scherz!«

»Es ist kein Scherz.«

Da ließ er vor Verwunderung die Peitsche aus der Hand fallen und fragte:

»Kein Scherz? Hättest – — hättest du denn das Geschick, eine Lenkerin deines Lebens zu besitzen?«

»Warum denn nicht?«

»Sihdi, erlaube, daß ich mich wieder niedersetze! Dein so ganz unerwartetes Weib ist mir in die Kniee gefahren; ich fühle, daß sie zittern!«

Er setzte sich, betrachtete mich kopfschüttelnd vom Kopfe bis zu den Füßen, zog das allerernsteste seiner Ge- sichter, lachte dann aber hell auf, schlug die Hände zusammen und rief:

»Allah bewahre mich! Es ist doch nur Spaß!«

»Lieber Hadschi, es ist wirklich Ernst!« entgegnete ich ihm in versicherndem Tone, obgleich ich unter dieser »Besitzerin meines Herzens« und »Lenkerin meines Lebens« etwas ganz Anderes verstand als er.

»Du hast also wirklich, wirklich eine?« fragte er in höchst gespanntem Tone.

»Ja.«

»Die bei dir in deinem Zelte ist?«

»Ja.«

»Sihdi, laß mich Atem holen! Sag mir, ob ich vielleicht schlafe – — ob ich träume! Ich möchte weinen, bitterlich weinen!«

»Warum? Ich denke vielmehr, daß du dich freuen solltest!«

»Freuen?! Sag, hast du sie lieb?«

»Mein ganzes Herz ist ihr zugethan.«

»Aber, wie kannst du, wenn dein ganzes Herz diesem plötzlichen, unvermuteten Weibe gehört, dann noch mich lieb haben, deinen Halef, den besten und treuesten deiner Diener und Genossen!«

»Ich habe dich noch genau so lieb wie vorher.«

»Das ist unmöglich; das ist nicht wahr! Dein Herz ist weg, ist nicht mehr vorhanden. Du hast ja selbst gesagt, daß es dieser unerwünschten und ganz unwillkommenen Frau gehört! Ich mag sie nicht sehen! Ich will nichts mit ihr reden! Ich mag nichts von ihr hören! Sie hat mich um dein Herz gebracht, um deine ganze Freundschaft, um dich selbst. Also höre es: Ich will auch von dir nichts mehr wissen!«

 

Er stand wieder auf und entfernte sich. Am Flusse blieb er stehen und starrte halb zornig, halb traurig in das Wasser. Der gute Hadschi war eifersüchtig. Ich sagte kein Wort, denn ich kannte ihn. Und richtig: Er kam nach einer Weile langsamen Schrittes zurück, setzte sich mir gegenüber, seufzte tief und klagte:

»So, in dieser traurigen Weise bin ich von dir verlassen worden, von dir, für den ich mein Leben unbedenklich hingegeben hätte! Du hast der treusten Freundschaft mit dieser Frau den Todesstoß versetzt. Ich wollte sogar mit dir nach Persien reiten; nun aber kehre ich wieder um, unbedingt wieder um!«

Ich mußte lächeln und war doch tief gerührt.

»Lieber Halef,« sagte ich, »warst du mein Freund, als du damals deine Hanneh zum Weibe nahmst?«

»Ja,« antwortete er.

»Hast du mich darum verlassen?«

»Nein.«

»Du bist mein Freund geblieben?«

»Ja.«

»So ist es auch bei mir!«

»Nein; das ist jetzt ganz, ganz anders, Sihdi. Du kanntest Hanneh, den Abglanz aller Morgen- und Abendröten, die mein Weib geworden ist. Was aber weiß ich von der Regentin deiner Seligkeit? Habe ich sie gesehen? Hat sie ihre Herden an mir vorübergetrieben? Bin ich ihr Gast gewesen, um Kuskussu aus ihrer Hand zu essen? Hat sie mein Pferd getränkt oder mir den Steigbügel in den richtigen Stich geschnallt? Wo habe ich ihre Gestalt gesehen, ihren Schritt gehört oder das Kamel, auf dem sie saß, am Zügel führen dürfen? Ich bin so vollständig ahnungslos gewesen, daß mich jetzt ein solcher Schreck ergriffen hat, als ob sie nicht deine, sondern meine Frau geworden wäre!«

»Hältst du sie für so bös oder so häßlich?«

»Kann sie besser oder schöner als Hanneh sein?«

»Nein. Aber ihr ähnlich!«

»Das will ich dir wünschen!«

»Oder meinst du, daß ich dich nach Dschermanistan kommen lassen müsse, damit du unter den Töchtern des Landes für mich suchen gehest?«

»Nein. Das kann ich nicht verlangen. Laß mich essen und dabei nachdenken! Mein Heimweh, welches mir den Hunger raubte, ist vollständig alle geworden. Ich will Kebab[65] essen, Kebab, von Hanneh zubereitet, welche auch erschrecken wird, wenn sie hört, daß du auf eine so unvorhergesehene Weise die ganze, ganze Herrschaft über dich verloren hast!«

Er aß, und zwar in der hastigen Art eines Menschen, dessen Gedanken ganz anderweit beschäftigt sind. Nach einer Weile sagte er:

»Gestehe, daß du wegen dieser Frau ein böses Gewissen gehabt hast!«

»Ich weiß nichts davon.«

»Doch! Warum hast du im Duar von ihr geschwiegen? Warum sprichst du erst jetzt davon? Das ist doch das heimlich verheiratete böse Gewissen!«

»Ist alles heimlich, was zufällig deine Haddedihn nicht erfahren? Der Mann darf weder von seinem noch von einem andern Harem öffentlich sprechen. Das weißt du doch, lieber Halef.«

»Ich weiß es. Verzeih, Sihdi; du hast recht!«

Er aß weiter und erkundigte sich nach kurzer Zeit:

»Bist du mit ihr zufrieden?«

»Sehr!« nickte ich.

Auch die nächsten Fragen sprach er nur in Zwischenräumen aus.

»Ist sie jung?«

»Ja. Und sie wird es ewig bleiben.«

»Hamdulillah! Das beruhigt mich. Ich gönne vielleicht jedermann eine häßliche, alte Frau, aber nur mir und dir nicht. Ist ihr Vater reich?«

»Der Reichste, den es giebt.«

»Vornehm?«

»Niemand steht höher als er.«

»Allah kehrim! Das gefällt mir außerordentlich. Ist sie klein von Gestalt?«

»Nein.«

»Hat sie große Füße und starke Fäuste?«

»Halef! Welchen Geschmack mutest du mir zu!«

»Wenn ich bloß nur frage, braucht sie es nicht wirklich zu haben! Und ihre Augen?«

»Sind schöner als die Augen aller Chawadit[66]

»Hat sie dich lieb, Sihdi?«

»Nicht weniger als ich sie.«

»Das wollte ich ihr auch geraten haben! Ich würde ihr sonst meinen Duar verbieten! Und sag, Effendi, sie hat doch auch eine Seele?«

»Sie hat nicht nur eine, sondern sie ist selbst Seele, nichts als Seele.«

»O wehe! Du armer Sihdi! Denn da hat sie wohl gewiß auch – — – Meinungen?«

»Natürlich! Die soll sie sogar haben.«

»Und dann – — dann – — dann hast du wohl auch immer recht, wenn sie recht hat?«

»Nein. Ich habe meist Unrecht.«

»Imschi uchallik ba‘ id ‚anni – damit bleibe mir fern! Erlaubst du ihr das denn?«

»Sehr, sehr gern, denn sie ist viel, viel klüger und vernünftiger als ich.«

»Das ist unmöglich, Sihdi. Zwar, seitdem die Frauen auch Seelen haben, wollen sie – — —«

»Laß das, Halef,« unterbrach ich ihn. »Selbst wenn es eine Frau geben könnte, die keine Seele hat, so wäre es für ihren Mann besser, er hätte sie niemals kennen gelernt. Glaube es mir!«

»Aber wenn nun die Seele des Weibes so unruhig ist, daß sie – — —«

»Dann muß der Mann um so ruhiger sein. Das erzeugt Achtung und Ehrfurcht bei der Frau.«

Da fiel er schnell ein:

»Das ist richtig, sehr richtig, Effendi! Ich bin auch stets ruhig, ganz ruhig; ich sage nichts. Darum wirst du die Achtung und Ehrfurcht bemerkt haben, welche Hanneh, die beste der Frauen, ihrem Gebieter widmet. Wie wird die Quelle deiner irdischen Seligkeit genannt?«

»Dschanneh.«

»Da heißt sie ja fast genau so wie die meinige: Hanneh und Dschanneh!«

»Dem Klange nach, allerdings.«

»Ja, in deiner Dschanneh liegt wohl ein Sinn, weil dieses Wort doch Seele« heißt.«

»Die Gebieterin meines Herzens heißt nicht nur so, sondern sie ist es auch!«

»Das freut mich ungemein, Effendi, ungemein! Da wird der Wohlstand deines Zeltes sich vermehren, auch wenn du abwesend von deinem Stamme bist. Deine Dschanneh wird von der Milch der Kamele Butter machen und aus den Palmenfasern Stricke drehen und Decken flechten. Sie wird Datteln entkernen und Hosenträger anfertigen. Sie wird Marahim[67] für die kranken Füllen streichen und Durra beda[68] auf den Steinen reiben. Ich möchte auch noch wissen, ob sie bloß arabisch spricht oder auch das Türkische versteht.«

»Sie versteht alle Sprachen der Welt.«

»Allah‘l Allah! Sämtliche?«

»Ja.«

»Giebt es keine, die sie nicht versteht?«

»Nein.«

»So ist diese deine Dschanneh ein Wunder, wie es fast kein größeres geben kann! So weit hat es nicht einmal meine Hanneh gebracht, welche, wenn sie einmal in das Sprechen kommt, auch ganz Erstaunliches leistet. Aber dir, Effendi, dir gönne ich einen solchen Besitz der Unvergleichlichkeit. Glaubst du mir das?«

»Ja.«

»Aber bitte, sage das von den vielen Sprachen nicht etwa auch noch andern Leuten!«

»Warum nicht?«

»Man würde sagen, daß du übertreibst.«

»Wer nicht nur den Namen sondern auch das Wesen meiner Dschanneh kennt, der weiß, daß ich nicht lüge. Ich behaupte sogar, daß es keine einzige Sprache ohne Dschanneh geben kann.«

»So erlaube mir rasch nur noch eins: Kann sie Felle gerben und Messer schleifen?«

»Sie kann alles, was Menschenhand vermag.«

»Maschallah! Kann sie zornig sein?«

»Nie!«

»Zanken?«

»Nie!«

»Da muß ich nicht nur einmal sondern zehnmal Maschallah rufen! Hast du sie um ihre Einwilligung gebeten, als du zu mir wolltest?«

»Sie war es sogar, die mir diese Reise befahl, und ich gehorche ihr.«

»Nicht wahr, da stellte sich bei ihr die Achtung und die Ehrfurcht ein, von welcher wir vorhin gesprochen haben und die mir auch meine Hanneh, die verständigste unter allen verständigen Frauen, widmet? Sihdi, daß deine Dschanneh dir die Erlaubnis gegeben hat, zu mir zu reiten, das söhnt mich mit deinem Harem aus. Ich erteile dir hiermit meine Genehmigung und bin sogar erbötig, wenn die Zeit meines Sohnes gekommen ist und du dann eine Tochter hast, sie ihm zur Frau zu geben; sie wird dadurch eine echte Haddedihn vom großen Stamme der Schammar und kann glücklicher und freier leben als unter euern Zelten, welche aus Steinen errichtet werden. Du siehst also, daß ich dir nicht mehr zürne. Gieb mir die Hand; wir wollen wieder Freunde sein, wie wir es vorher waren!«

Der liebe Kleine war wirklich und im Ernste überzeugt, mir durch sein Eheprojekt einen glänzenden Beweis seiner Zuneigung gegeben zu haben. Es fiel mir nicht ein, seinen Vorschlag auch von meinem Standpunkte aus zu beleuchten, denn er gehörte zu denjenigen Charakteren, die man ihres allzu regen Ehrgefühles wegen sehr vorsichtig anzufassen hat. Er hatte mir nun sogar die ausdrückliche Einwilligung zu meiner Ehe gegeben; mehr konnte ich, der bescheidene Reiseschriftsteller, von ihm, dem obersten Scheik der Haddedihn, doch wohl nicht verlangen! Richtig war, daß ich ihn jetzt nicht mehr wie früher als meinen Diener betrachten durfte. Er hielt sich jedenfalls, natürlich ohne es mir zu sagen, für mir wenigstens gleichgestellt, und so hatte ich jetzt manches ruhig hinzunehmen, was sonst wohl nicht ohne Rüge geblieben wäre.

Am andern Morgen machten wir frühzeitig das Floß wieder flott, um die Fahrt fortzusetzen. Sie verlief ohne alle Fährlichkeit. Die den Haddedihn feindlichen Stämme hatten sich jetzt im Frühjahre in das Innere der Dschesireh[69], Land zwischen Euphrat und Tigris) zurückgezogen. Das war der Grund, daß wir ganz ohne ein erwähnenswertes Ereignis bis in die Gegend kamen, wo der von Kerkuk herbeifließende Adhem in den Tigris mündet.

62Pulverspiele.
63Lerche.
64Nashorn.
65An Hölzern gebratene Fleischstücke.
66Märchen.
67Pflaster.
68Hirse.
69Insel.