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Im Reiche des silbernen Löwen I

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»Nein, wir müssen fort. Die Indsmen haben gesehen, daß wir uns westlich entfernten, und es ist immerhin möglich, daß sie auf den Gedanken gekommen sind, wenigstens eine Strecke weit in dieser Richtung nachzufolgen.«

»Ja, und das müssen wir berücksichtigen, obgleich sie uns nichts anhaben könnten, weil wir sie schon von weitem hören würden.«

»Wenn sie zu Pferde kämen, ja. Aber wenn sie den guten Gedanken hätten, uns zu Fuße nachzuschleichen?«

»Wetter! Da könnten sie uns unbemerkt umzingeln und niedermachen. Wir müssen fort!«

Ich trat jetzt also mein Amt als Führer an. Wir ritten bis Mitternacht, also sehr weit, nach Süden und bogen dann im rechten Winkel nach Westen ab. Ich war überzeugt, daß, wenn die Roten morgen vormittags elf Uhr an diese Stelle kommen sollten, sie unsere Spur nicht mehr sehen und also auch nicht bemerken könnten, daß wir wie der fliehende Fuchs einen Haken geschlagen hatten. Dann ging es noch über eine Stunde weiter fort, bis die Reiter so ermüdet waren, daß wir anhalten mußten. Wir lagerten uns.

Die Männer hatte sich schon unterwegs, ohne daß ich mich daran beteiligte, über ihr letztes Abenteuer ausgesprochen, und es stand zu erwarten, daß sie schnell einschlafen würden. Ich bestimmte nur zum Scheine die Reihenfolge der Wache und übernahm die ersten zwei Stunden. Als diese vergangen waren, weckte ich den Nächstfolgenden nicht, sondern blieb auf meinem Posten, bis der Tag anbrach. Dann weckte ich die Schläfer, welche mir für dieses kleine Opfer sehr dankbar waren.

Dschafar hatte sich sehr reichlich mit Proviant versehen gehabt, der von einem Packtiere getragen worden war. Natürlich war auch dies mit in die Hände der Comantschen gefallen. Sie hatten einen guten Teil des Proviantes verzehrt, aber doch davon übrig gelassen und wieder hergeben müssen. Wir hatten also zu essen und brauchten keine Zeit auf die Jagd zu verwenden, konnten vielmehr nach einem kurzen Frühstücke sogleich aufbrechen.

Gestern abend war ich allein vorangeritten, ohne mich an dem Gespräch der andern zu beteiligen; ich konnte auch nicht sehr auf dasselbe achten, weil ich der Dunkelheit wegen meine ganze Aufmerksamkeit der Gegend, durch welche wir kamen, und den wenigen Sternen, welche am Himmel standen und mir als Wegweiser dienen mußten, zuzuwenden hatte. Ich brauchte eigentlich auch gar nicht zu hören, was sie sprachen und sich erzählten, denn ich wußte doch, wie alles gekommen war. Was ich nicht selbst gesehen und gehört hatte, das konnte ich leicht erraten. Heute früh aber, als Perkins einmal neben mir ritt, benutzte ich die Gelegenheit, ihn zu fragen:

»Ihr hattet gestern wohl ganz vergessen, um was ich Euch so dringend gebeten hatte?«

»Wann?«

»Als ich allein zu den Comantschen ritt.«

»Daß wir ihren Häuptling gut bewachen sollten?«

»Ja. Das war aber noch nicht alles. Ihr solltet ihn nicht nur bewachen.«

»Sondern ihn auch verteidigen; ich weiß es gar wohl!«

»Und Euch weder durch Gewalt noch List bewegen lassen, ihn freizugeben!«

»Dachte es, daß die Vorwürfe noch kommen würden, Mr. Shatterhand!«

»Habt Ihr sie etwa nicht verdient?«

»Nein.«

»Dann begreife ich es nicht!«

»Well! Und wenn sie verdient wären, warum macht Ihr sie mir und nicht auch Mr. Dschafar?«

»Weil er ein Fremder ist und den Westen nicht kennt; Ihr aber seid sein Scout und solltet wissen, was man zu thun und zu lassen hat!«

»Das weiß ich auch; gewiß weiß ich es; aber wenn Euch einmal ein so außerordentlicher Fall vorkäme, würdet Ihr auch nicht wissen, was Ihr thun solltet.«

»Ich wüßte es sicherlich!«

»So? Nun, was würdet Ihr thun?«

»Das, was Old Shatterhand mir gesagt hätte.«

»Hm! Ihr könnt heut gut reden. Nun, da Ihr seht, wie der Stock geschwommen ist, wißt Ihr natürlich ganz genau, wie er in das Wasser geworfen worden ist. Wir aber konnten das nicht sehen.«

»Pshaw! Ihr befandet Euch auf freiem Felde und konntet jeden Menschen sehen und mit einer Kugel abwehren. Der Gefangene war sehr gut gefesselt und Euch also sicher. Nun könnt Ihr Euch denken, was ich für Augen machte, als ich auf meinem Rückweg so plötzlich die Bescherung sah! Er war frei, und Euch hatte man gefangen genommen und gebunden. Und wer hatte das fertig gebracht? Ein paar armselige Comantschen, die Ihr mit den Gewehren so leicht wegblasen konntet. Und selbst dies war nicht notwendig. Ihr brauchtet ihnen nur die Flinten zu zeigen, so hätten sie sich gar nicht auf Schußweite herangewagt!«

»Wir haben sie ihnen doch auch gezeigt!«

»Und seid dennoch überrumpelt worden! Wie habt Ihr dieses Meisterstück denn eigentlich fertig gebracht?«

»Das dumme Papier ist schuld daran.«

»Ah, dachte es mir!«

»Die Roten machten uns damit irre und kirre. Als wir ihnen zuriefen, halten zu bleiben, wenn sie keine Kugeln haben wollten, stiegen sie in Schußweite von den Pferden, und einer von ihnen zeigte ein Papier, welches er mit der Hand hochhielt. Er rief uns zu, ihr hättet dieses sprechende Papier« für uns geschrieben, und er solle es uns bringen.«

»Das glaubtet Ihr?«

»Warum nicht? Er sagte, es sei alles in Ordnung gebracht, Ihr befändet Euch bei den Gefangenen, welche sogleich freigegeben würden, sobald wir den Häuptling brächten: das alles hättet Ihr für uns auf das Papier geschrieben. Wir mußten also das Papier lesen und erlaubten den Kerlen, zu uns zu kommen.«

»Welche Unvorsichtigkeit! Es genügte doch, wenn einer es Euch brachte. Den anderen mußtet Ihr unbedingt verbieten, sich Euch zu nähern.«

»Ganz richtig; aber wer denkt so etwas, wenn die Schufte eine schwarz auf weiß geschriebene Legitimation vorzeigen! Ich nahm sie in Empfang, und eben als ich sie lesen wollte und meine Augen also auf das Papier und nicht auf die Roten gerichtet hielt, fielen sie über uns her. Sie waren dabei so schnell, daß wir gar keine Zeit zur Gegenwehr fanden und in den Fesseln steckten, ehe wir nur recht wußten, wie wir hineingekommen waren. Daß sie dann den Häuptling losmachten, könnt Ihr Euch wohl denken.«

»Das kann ich mir freilich denken; undenkbar aber ist mir, daß so etwas überhaupt geschehen kann! Doch es ist vorbei und der Fehler wieder gut gemacht; es wiederzukäuen, hat also keinen Zweck. Ich werde mich aber, so lange wir beisammen sind, hüten, mein Vertrauen wieder in dieser Weise wegzuwerfen.«

Er brummte eine mißmutige Bemerkung in den Bart und machte, daß er von mir fortkam. Die andern besaßen kein besseres Gewissen als er; sie alle hatten Fehler gemacht, und weil sie dachten, daß ich darüber sprechen würde, hielten sie sich möglichst fern von mir, und ich blieb allein voran. Nur Dschafar kam einigemal an meine Seite, um mir eine besonders schöne Stelle aus seinem Hafis mitzuteilen oder mich um meine Meinung über sie zu befragen. Er hatte das Buch oft in der Hand und blieb darum häufig zurück, was ihm zuweilen einen warnenden Zuruf von mir einbrachte.

Am Mittag gönnten wir den Pferden zwei Stunden Ruhe, und am Abende lagerten wir an einem stehenden Wasser, welches das einzige in dieser Gegend war. Wenn wir es auch nicht genießen konnten, so erlaubten wir doch den Pferden, davon zu trinken.

Heut verteilte ich die Wachen so, daß ich übergangen wurde und die ganze Nacht hindurch schlafen konnte, was mir ein unbedingtes Bedürfnis war. Ich war gestern ebenso angegriffen und ermüdet gewesen wie die andern und konnte diese Rücksicht heut nun fordern, besonders auch weil sie heut während des ganzen Tages die Sorge für den Weg und seine Sicherheit mir allein überlassen hatten.

Eigentlich hätten wir uns schon heut abend bei den Hazelstraits befinden können; aber der Umstand, daß wir erst fünf Stunden weit südwärts geritten waren, hatte einen solchen Zeitverlust für uns zur Folge gehabt, daß wir die genannte Gegend erst morgen um Mittag erreichen konnten.

Als wir unser heutiges Lager erreicht hatten, war es schon ziemlich dunkel gewesen, sodaß es mir nicht möglich war, die Umgegend desselben zu untersuchen. Sogar im Boden befindliche Spuren hätte ich nicht erkennen können. Aber das Gesträuch, welches an dem Wasser stand, hatte ich umstrichen und mich überzeugt, daß wir uns allein in dieser Gegend befanden.

Nach dem Erwachen am nächsten Morgen wurde gegessen. Unsere Pferde hatten während der Nacht in der Umgebung gegrast und sich an den Büschen gütlich gethan. Mein Schwarzschimmel war jetzt noch damit beschäftigt, die Blätter und jungen Triebe abzuraufen. Ich ging zu ihm hin, um das gestern gelockerte Riemenzeug wieder fest anzuziehen. Bei dieser Beschäftigung fiel mein Blick auf den Strauch, von dem das Pferd gefressen hatte, und sofort bemerkte ich, daß kurz vor uns schon Leute und Pferde hier gewesen sein mußten. Ich ging von Strauch zu Strauch und fand meine Vermutung bestätigt. Dann suchte ich an der Erde nach Spuren. Meine Gefährten bemerkten das, und Jim Snuffle fragte mich:

»Ihr habt etwas verloren, Sir? Wir wollen Euch suchen helfen.«

»Verloren habe ich nichts,« antwortete ich; »aber dennoch suche ich.«

»Was?«

»Spuren.«

»Von wem?«

»Von Reitern, welche gestern vor uns hier gewesen sind.«

»Reiter? Hier? Wie kommt Ihr auf diesen Gedanken?«

»Betrachtet die abgebissenen Zweige an den Büschen!«

»Die haben unsere Pferde gefressen.«

»Nicht alle. Seht Euch nur die Stellen an, wo die Zweige abgebissen oder abgerissen worden sind; Ihr werdet da einen Unterschied bemerken.«

Er folgte dieser Aufforderung und erklärte dann:

»Ihr habt recht, Mr. Shatterhand; es giebt einen Unterschied. Die Bruchstellen sind teils neu, teils älter; aber das läßt sich doch sehr leicht erklären.«

»Womit?«

»Die alten sind die Stellen, wo unsere Pferde gestern abend, und die neuen die, wo sie heut früh davon gefressen haben. Es ist also falsch, anzunehmen, daß vor uns Leute dagewesen sind.«

 

»Es ist nicht falsch, sondern richtig; ich sehe es jetzt sehr genau. Schaut diesen Zweig! Der Kenner schwört darauf, daß er nicht gestern abend, sondern schon vorher abgerissen worden ist, denn der Bruch ist schon dunkel gefärbt.«

»Da müßte der Boden doch Fuß- und Hufspuren zeigen!«

»Die hat es jedenfalls gegeben, aber sie sind vor den Eindrücken, welche wir und unsere Pferde gemacht haben, nicht mehr zu erkennen. Und wenn dies auch nicht wäre, so kann man überhaupt heut Spuren von gestern mittag nicht mehr sehen, außer sie befänden sich am weichen Rande des Wassers. Laßt uns einmal dort suchen!«

Kaum waren wir von verschiedenen Seiten, da, wo wir eben gestanden hatten, an das Wasser getreten, so ließ dieser und jener von uns einen Ruf der Ueberraschung hören. Wir fanden Menschen- und Pferdespuren. Die Menschen hatten Mokassins angehabt, und die Pferde waren barfuß, also unbeschlagen gewesen.

»Indianer, das sind Indianer gewesen!« rief Jim Snuffle. »Meinst du nicht auch, alter Tim?«

»Yes,« nickte der Gefragte, indem er sich niederbückte, um einen der Eindrücke mit andächtiger Genauigkeit zu betrachten.

»Und zwar scheinen es viele gewesen zu sein, sehr viele! Was sagt Ihr dazu, Mr. Shatterhand?«

»Ja, es sind nicht wenige gewesen,« antwortete ich. »Schade, daß wir gestern hier ankamen, als es schon zu dunkel war, diese Spuren zu bemerken! Wir hätten zählen können.«

»Können wir das nicht jetzt noch?«

»Schwerlich!«

»Wir nicht, aber Ihr?«

»Auch ich nicht. Ich schätze aber, daß es weit mehr als dreißig gewesen sind. Genauer läßt es sich unmöglich bestimmen.«

»Wer mag es gewesen sein?«

»Comantschen natürlich, denn andere befinden sich hier in dieser Gegend nicht, wenigstens jetzt.«

»Doch nicht etwa die unserigen? Ich meine To-kei-chun mit seinen Leuten.«

»Hm! Es wäre die Möglichkeit. Aber das könnte nur dann der Fall sein, wenn er uns nicht verfolgt hätte, sondern gleich, als wir von ihm fort waren, ohne Säumen und die Nacht hindurch direkt nach den Hazelstraits geritten wäre.«

»Was hätte er dort zu suchen gehabt?«

»Ja, so frage auch ich. Er wollte doch bei den Häuptlingsgräbern den Kriegstanz tanzen und die Medizin befragen, und von den Hazelstraits ist gar keine Rede gewesen!«

»Also müssen es andere Comantschen sein!«

»Wahrscheinlich. Aber, da kommt mir ein Gedanke!«

»Welcher?«

»Er kann erfahren haben, wohin wir wollen.«

»Das müßte ihm einer von uns gesagt haben!«

»Allerdings.«

»Aber wer? Es wird doch niemand so dumm gewesen sein, es ihm zu verraten!«

»O, was Dummheiten anbelangt, so sind deren so viele und so unglaubliche vorgekommen, daß auch diese nicht undenkbar ist. Haben die Gefangenen vielleicht in Gegenwart ihrer roten Wächter miteinander von den Hazelstraits gesprochen?«

»Nicht ein Wort!« antwortete einer der beiden gefangen gewesenen Führer; der andere bestätigte es, und die beiden Diener schlossen sich dieser Aussage an.

»Ihr auch nicht, Jim und Tim?«

»Nein,« erklärte Jim. »Wir haben gar nicht davon sprechen können, weil wir das von den Hazelstraits erst erfuhren, als wir gestern frei und nicht mehr bei den Comantschen waren.«

»So wäre noch eins möglich, nämlich daß Mr. Dschafar und Mr. Perkins davon geredet haben, als ich sie gestern, während ich zu den Roten ritt, allein bei dem Häuptling zurückließ.«

Da rief Perkins eifrig:

»Was denkt Ihr von mir, Sir! Ich werde doch nicht so wahnsinnig sein, diesem roten Teufel unsern Weg zu verraten!«

»Also auch nicht. So haben wir es denn mit einer andern Comantschenabteilung zu thun.«

»Das ist gewiß,« stimmte Jim mir bei; »ich kann es beweisen.«

»Beweisen! Womit?« fragte ich.

»Nicht wahr, jetzt fragt Ihr mich!« lachte er vergnügt. »O, Jim Snuffle hat auch gelernt, scharf nachzudenken! Wenn es To-kei-chun mit seiner Schar wäre, so müßten wir unterwegs schon früher auf seine Fährte getroffen sein, denn er käme doch grad daher, woher wir auch gekommen sind.«

»So, das nennt Ihr scharf nachdenken?«

»Ja.«

»Das ist überhaupt nicht nachgedacht und noch viel weniger scharf.«

»Oho!«

»Ja, ja, Mr. Snuffle! Ihr vergeßt, daß wir erst fünf Stunden lang südwärts geritten sind und er also, wenn er direkt und in gerader Linie geritten wäre, gar nicht auf unsere Spur treffen konnte.«

»Ah, das ist freilich wahr!«

»Und sodann müßt Ihr Euch in die Gedanken so eines roten Häuptlings versetzen. Angenommen, er hätte erfahren, daß wir nach den Hazelstraits wollen, so hätte er es unbedingt unterlassen, uns zu folgen, sondern wäre uns vorangeritten, um uns zu erwarten und vollständig zu Ueberraschen, zu überrumpeln. Da durfte er aber nicht die gerade Linie einschlagen, von der er annehmen mußte, daß wir sie würden benutzen, denn da hätten wir doch gleich am frühen Morgen seine Fährte entdeckt und sein Vorhaben erraten. Er mußte vielmehr einen Umweg machen, was er sehr wohl konnte, weil er eine ganze Nacht vor uns voraus hatte. Verstanden?«

»Well!«

»Ihr seht also, wie es um Euer scharfes Nachdenken« steht. Woher die Roten, welche hier waren, gekommen sind, das können wir nicht entdecken, weil die Spuren nicht mehr gelesen werden können. Es bleibt uns also nur übrig, zu erfahren, wohin sie geritten sind, und auch dies wird schwer oder gar unmöglich sein.«

Ich umschritt in einem weiten Kreise den ganzen Platz, doch vergeblich; der Boden zeigte nicht den geringsten Eindruck mehr. Wir hatten trotzdem keinen Grund, größere Besorgnisse zu hegen, als die, zu denen uns der Umstand berechtigte, daß überhaupt Indianer hier gewesen waren. Sie waren aus irgend einer beliebigen Richtung gekommen, und sie hatten sich nach irgend einer ebenso beliebigen Richtung wieder entfernt. Aber anzunehmen, daß sie grad nach den Hazelstraits geritten seien, dazu hatten wir keine Ursache. Es galt, unterwegs gut aufzupassen; das war alles, was wir thun konnten und auch so schon gethan hätten, wenn wir hier auf keine Spuren getroffen wären.

Wir verließen also den Lagerplatz und gelangten auf eine Ebene, welche wie eine weite, sich von Norden nach Süden dehnende Platte westwärts allmählich aufwärts stieg. Ich kannte sie und hatte sie schon öfters durchquert; sie führte nach den Hazelstraits, so genannt nach den Haselnußsträuchern, welche dort in Masse vorkamen und so hoch waren, daß selbst ein bedeutender Reitertrupp zwischen und unter ihnen verschwinden konnte.

Unterwegs hatte ich Dschafar wieder einigemal zur Eile zu mahnen. Dieser persische Schöngeist hatte ganz besonders heut mehr Auge für seinen Dichter als für die Gegend, durch welche wir kamen.

Wir ritten bis gegen Mittag, ohne eine Spur von der heutigen oder gestrigen Anwesenheit eines Menschen zu bemerken; das machte meine Gefährten sicher, mich aber nicht. Ich hegte nämlich einen Verdacht.

Perkins hatte auf meine Frage, ob vielleicht er von den Hazelstraits gesprochen hätte, gar zu eifrig geantwortet, während Dschafar still geblieben war. Das fiel mir auf. Hatten sie geplaudert, so war To-kei-chun uns vorausgeeilt, um uns ganz unerwartet in Empfang zu nehmen. Ich kannte die Stelle gar wohl, welche dazu am besten geeignet war, und beschloß, allein vorauszuschleichen, um sie zu untersuchen. Als wir das erste Haselgrün vor uns auftauchen sahen, konnte ich damit noch warten, denn wir hatten wohl noch eine Stunde zu reiten, ehe wir hingelangten.

Die Haseln traten erst vereinzelt auf und vereinigten sich dann zu kleineren, später größeren Gruppen, um schließlich ein ununterbrochenes Ganzes zu bilden, welches die beiden Seiten einer hoch ansteigenden Thalenge bildete. Auf dem Grunde derselben floß ein Bach. Noch von der glorreichen Büffelzeit her gab es hier ausgetretene Bisonpfade, welche es dem Reiter ermöglichten, durch den Haselwald zu kommen. Diese Enge war es, wo To-kei-chun uns jedenfalls auflauerte, wenn er sich überhaupt hier befand. Wir konnten da, ohne es zu ahnen, mitten unter die hinter den Büschen versteckten Indianer geraten und in einem einzigen Augenblicke von ihnen niedergerissen und überwältigt werden, wenn sie es nicht vorzogen, uns lieber von den Pferden zu schießen, was noch viel leichter war.

Also nach meiner Ansicht hatten wir nicht eher etwas zu befürchten, als bis wir in diese Enge oder wenigstens in ihre Nähe gekommen waren, dennoch verdoppelte ich meine Vorsicht und Aufmerksamkeit schon vorher, sobald wir an die ersten Büsche gelangten. Aus diesem Grunde konnte ich mich nicht um das bekümmern, was hinter mir geschah. Ich hatte die Gefährten auf die Gefahr aufmerksam gemacht und mußte es nun ihnen überlassen, auf sich selbst achtzugeben.

Wir ritten still. Der weiche Boden ließ die Schritte unserer Pferde kaum hören, und nur zuweilen rauschte und raschelte ein Strauch, den einer von uns streifte. Nicht nur meine Augen, sondern meine Ohren waren in angestrengter Thätigkeit; darum geschah es, daß ich plötzlich etwas hörte, was mir sonst gewiß entgangen wäre. Es konnte irgend ein Naturlaut sein, aber es kam mir vor wie eine menschliche Stimme, welche, durch die Entfernung und das Gesträuch gedämpft, einen Ruf ausstößt.

»Pst, still, ich hörte etwas!« gebot ich, indem ich mein Pferd anhielt.

Ja, da erklang es wieder, deutlich, hinter uns:

»Faryahd – — faryahd – — —!«

Dieses Wort ist der Hilferuf in persischer Sprache. Man weiß, daß der Mensch, selbst im fremden Lande und wenn er sich der dortigen, fremden Sprache vollständig bedienen kann, im Augenblicke der Ueberraschung, des Schreckens, der Gefahr den Schrei, den Ausruf, welchen er ausstößt, meist seiner Muttersprache entnimmt.

»Himmel! Wo ist Mr. Dschafar?« fragt ich, denn ich sah ihn nicht.

»Fort – — wieder zurückgeblieben,« antworteten die andern, und Perkins, welcher als der letzte ritt, fügte hinzu: »Ich glaubte, er sei eng hinter mir.«

»Der Unvorsichtige! Er befindet sich in Gefahr; er hat um Hilfe gerufen! Ich muß zurück, um ihm zu helfen.«

Ich wendete mein Pferd, um umzukehren.

»Und wir?« fragte Jim Snuffle. »Was sollen wir thun? Etwa hier bleiben und warten?«

»Nein. Ich darf euch nicht hier lassen, denn ihr seid unvorsichtige Leute.«

»Oho!«

»Ja; ihr habt es bewiesen. Wir wissen nicht, wo die Roten stecken; sie können sich ganz in der Nähe, grad hier vor uns befinden. Kommt also mit.«

Wir ritten im schnellsten Tempo, welches die Büsche uns erlaubten, zurück, kamen aber doch zu spät. Als wir da anlangten, wo die Sträucher noch weit auseinander standen, sah ich an einer Stelle unserer Fährte den Boden zertreten, ja sogar von Pferdehufen aufgewühlt.

»Bis hierher ist Mr. Dschafar gekommen, und da hat ein Kampf stattgefunden,« sagte ich.

»Wetter!« rief Jim Snuffle aus. »Sollte er überfallen worden sein?«

»Ja, denn er hat um Hilfe gerufen.«

»Von Roten?«

»Natürlich! Sonderbare Frage! Wer anders soll es gewesen sein!«

»Aber wie viele?«

»Es müssen mehrere gewesen sein.«

»Gewiß; denn einen hätte er von sich abwehren können. Suchen wir nach Spuren!«

»Das thue ich ja schon, wie ihr seht. Schaut, da geht eine Fährte rechts ab in die Büsche. Das sind die Spuren eines Pferdes und dreier Männer, welche Mokassins anhatten.«

»Also von dreien ist er angegriffen worden. Die haben ihn allerdings überwältigt.«

»Sie haben als Posten hier gestanden, um unsere Annäherung zu beobachten. Uns durften sie nichts thun, weil wir mehr Personen waren als sie; aber sie sahen, daß er weit hinter uns war, und beschlossen, ihn festzunehmen.«

»Diese Schurken, die pfiffigen!«

»Unsinn! Es war nichts weniger als pfiffig von ihnen, denn sie haben sich dadurch verraten. Es war ihnen jedenfalls befohlen worden, wenn sie uns kommen sähen, dies sofort dem Häuptlinge zu melden. Anstatt dies zu thun, sind sie stecken geblieben, um den unvorsichtigen Nachzügler zu ergreifen.«

»Was thun nun wir, Sir?«

»Wir müssen ihn befreien.«

»Wie? Indem wir diese Kerls offen angreifen?«

»Ja, falls es nicht anders geht. Vielleicht helfen wir uns auch mit List. In beiden Fällen müssen wir wissen, wo die Comantschen stecken.«

»So müssen sich einige von uns auf die Suche machen. Ich und mein Bruder wollen gehen. Meinst du nicht auch, alter Tim?«

»Yes,« nickte dieser.

»Nein, nicht ihr!« erklärte ich. »Ihr habt wiederholt gezeigt, wie man sich auf euch verlassen kann. Ich werde selbst gehen,«

»Well, wie Ihr wollt. Aber es ist ja gar nicht gesagt, daß wir immer solches Pech haben müssen wie bisher.«

»Von Pech ist keine Rede. Ihr seid nicht Unglücklich, sondern unvorsichtig und voreilig gewesen; das ist es, Mr. Snuffle. Ihr bleibt hier und geht nicht von der Stelle, bis ich wiederkomme.«

 

»Und wenn Ihr nicht wiederkommt?«

»Ich komme gewiß.«

»Sie können Euch ergreifen!«

»Pshaw! Wer mich festnehmen will, der muß mich überrumpeln, und das ist hier nicht möglich, weil ich ja weiß, daß wir die Feinde vor uns haben. Paßt aber gut auf, daß sie euch nicht überfallen! To-kei-chun wird, wenn er erfährt, welche Dummheit seine Späher begangen haben, annehmen, daß wir das Fehlen von Mr. Dschafar bemerken und umkehren; er weiß, daß wir die Spur des Ueberfalles finden und also gewarnt sind und uns infolgedessen zurückziehen. Er wird höchst wahrscheinlich einige Leute vorschicken, um zu erfahren, wo wir uns befinden. Wenn diese Kundschafter hierher kommen, so haltet sie fest; macht aber keinen Lärm dabei! Meine Gewehre sind mir jetzt im Wege; ich lasse sie bei euch. Ihr wißt wohl, was ich euch da anvertraue!«

Dieser Gedankenaustausch hatte in höchster Eile stattgefunden, denn ich durfte keine Zeit versäumen. Es war ja möglich, daß ich die drei Roten mit Dschafar einholen konnte, noch ehe sie das versteckte Lager der Comantschen erreicht hatten. Wenn mir dies gelang, zweifelte ich nicht daran, daß es mir nicht schwer fallen würde, ihnen ihren Gefangenen wieder abzunehmen. Ich gab also den Gefährten meine Gewehre und machte mich an die Verfolgung der Spur, welche seitwärts in die Büsche führte.

Die drei Indianer wußten uns sicher voraus; sie konnten also nicht auf dem geraden Wege zu den Ihrigen gelangen, weil sie da auf uns gestoßen wären, sondern sie waren zu einem Umwege gezwungen, welcher jedenfalls einen Bogen bildete. Wenn ich ihnen auf ihrer Fährte folgte, mußte ich diesen Umweg auch machen und holte sie also nicht ein. Darum entschloß ich mich, dies nicht zu thun, sondern den Bogen auf seiner Sehne abzuschneiden.

Zunächst freilich blieb ich auf ihrer Spur, um die wahrscheinliche Größe und Ausbiegung dieses Bogens kennen zu lernen; dann aber, als ich mir hierüber klar war, wich ich von ihren Fußeindrücken ab und drang in gerader Richtung in das Gebüsch ein. Dabei mußte ich so rasch wie möglich sein und durfte mich doch nicht hören lassen. Das war nicht leicht.

Als ich eine Strecke, welche ungefähr fünfhundert Schritte betragen konnte, zurückgelegt hatte, traf ich wieder auf die Spur, welche also von der Seite zurückkehrte; ich hatte den Bogen abgeschnitten und befand mich höchst wahrscheinlich in der Nähe der Comantschen. In dem Augenblicke, als ich die Fährte wieder sah, hörte ich vor mir ein Geräusch und horchte auf. Es entfernte sich. Sollten die drei Roten mit Dschafar soeben erst hier gewesen sein? Ich folgte so schnell und so leise wie möglich hinterdrein. Schon nach kurzer Zeit war ich gezwungen, anzuhalten, denn ich hörte Stimmen.

»Uff, uff!« rief jemand. »Ihr kommt von dieser Seite und – — – «

Er hielt inne, wahrscheinlich vor Erstaunen darüber, daß sie einen Weißen mitbrachten. Dieser Sprecher war der Häuptling To-kei-chun; das hörte ich.

»Ja, wir kommen von links,« antwortete einer von den drei, »und bringen dieses Bleichgesicht.«

»Uff! Das ist ja der Weiße, der so plötzlich und unbegreiflich von uns verschwand! Nehmt ihn vom Pferde, und bindet ihn! Wo habt ihr ihn ergriffen?«

»Hinter Old Shatterhand.«

»Hinter ihm? Wie soll ich das verstehen?«

»Wir sahen Old Shatterhand kommen; die andern Weißen waren bei ihm; dieser aber war zurückgeblieben und allein. Da warteten wir, bis er kam, und nahmen ihn gefangen!«

»Uff! Da meint ihr nun wohl, daß ich euch dafür loben werde?«

»Wir glauben, recht gehandelt zu haben!«

»Falsch habt ihr gehandelt, ganz falsch! Wo habt ihr euer Gehirn und eure Gedanken gehabt! Nun ist unser ganzer schöner Plan zu nichte! Wir werden Old Shatterhand nicht fangen!«

»Wir glaubten, ihn schon als Gefangenen hier zu finden, denn er muß längst hier sein.«

»Ihr habt gehandelt wie kleine Knaben, die noch nicht gelernt haben, nachzudenken! Er wird nun gar nicht kommen!«

»Er wird kommen, denn er ritt an uns vorüber und in gerader Richtung nach hier. Er wird aus irgend einer Ursache angehalten haben und dann bald erscheinen. To-kei-chun mag befehlen, daß niemand sprechen darf, sonst hören uns die Bleichgesichter, wenn sie sich nähern.«

»Uff! Ihr seht also selbst jetzt noch nicht ein, daß ihr alles verdorben habt!« rief der Häuptling, anstatt zu schweigen, zornig. »Was ging euch dieses Bleichgesicht an! Als ihr die Weißen von weitem erblicktet, mußtet ihr sofort hierher kommen, um es mir zu melden; das hatte ich euch befohlen. Sie mußten hier vorüber, und wir hätten sie alle ergriffen, denn sie ahnten nicht, daß wir uns hier befinden. Nun aber wissen sie es!«

»Woher sollen sie es erfahren haben?« verteidigte sich der Gescholtene.

»Durch euch! Sie haben gemerkt, daß dieser Weiße fehlte, und auf ihn gewartet. Als er nicht kam, kehrten sie um, denn sie mußten den Grund seines Ausbleibens wissen. Da kamen sie an die Stelle, wo ihr ihn ergriffen habt. Hat er sich gewehrt?«

»Ja, doch nur mit den Händen; es hat ihm aber nichts gefruchtet.«

»Durch diese Gegenwehr sind aber Spuren entstanden, welche seine Gefährten finden werden.«

»Wir gaben uns Mühe, keine deutlichen Eindrücke zu machen!«

»Pshaw! Und wenn niemand sie bemerkte, Old Shatterhand würde sie doch sehen! Nun sind sie gewarnt, und es wird uns wohl nicht möglich sein, sie zu fangen. Der böse Geist hat euch den schlechtesten Gedanken eingegeben, den es geben kann. Am liebsten möchte ich euch zur Strafe eure Medizinen nehmen! Was sollen wir nun thun?«

Es war kurze Zeit nichts zu hören; wahrscheinlich dachte er nach. Ich befand mich jedenfalls ganz nahe bei dem Verstecke der Roten; es konnten nur einige Sträucher zwischen mir und ihnen stehen. Wäre ich nur eine einzige Minute gekommen, so hätte ich die drei noch unterwegs getroffen und Dschafar befreien können!

Da hörte ich die Stimme des Häuptlings wieder:

»Ihr sehr, daß niemand kommt. Old Shatterhand ist gewarnt. Wahrscheinlich wird er uns mit seinen Leuten entgehen, denn unter allen Füchsen, welche auf der Savanne umherstreichen, ist er der listigste. Dafür aber halten wir diesen Weißen hier um so fester; wenigstens er soll am Makik-Natun bei den Häuptlingsgräbern sterben! Jetzt müssen wir vor allen Dingen erfahren, wo die Bleichgesichter stecken.«

»Soll ich gehen, sie zu suchen?« fragte einer. »To-kei-chun mag es mir erlauben.«

»Nein; ich gehe selbst. Meine roten Brüder mögen sehr vorsichtig sein und sehr aufpassen, während ich fort bin! Old Shatterhand wird auch Späher senden, um uns aufzusuchen; ja, er wird das wohl selbst thun. Wenn wir vorsichtig sind, läuft er uns dabei in die Hände. Also ich gehe jetzt und – — – «

Mehr hörte ich nicht, denn ich durfte keinen Augenblick länger bleiben; ich mußte schleunigst fort, obgleich ich gern noch näher gekrochen wäre, weil ich bis jetzt zwar gehört, aber nichts gesehen hatte.

Ich kalkulierte in folgender Weise: Der Häuptling wollte nach uns spähen; es fragte sich, welche Richtung er dabei einschlagen würde. Er hatte angenommen, daß auch ich mich auf die Suche machen würde, und mußte sich dieselbe Frage nach der Richtung vorlegen. Es war ganz selbstverständlich, daß ich nicht auf das Geratewohl suchen, sondern der Spur folgen würde, welche die drei Comantschen mit Dschafar gemacht hatten. Das mußte er sich sagen, und wenn er mich erwischen oder überhaupt uns entdecken wollte, so mußte auch er sich nach dieser Fährte richten. Es stand also mit voller Sicherheit zu erwarten, daß er grad da, wo ich lag, erscheinen werde. Ich wollte ihn festnehmen; aber da, wo ich jetzt lag, konnt dies nicht geschehen; es war zu nahe bei den Roten, die auf seinen Ruf ihm schnell zu Hilfe gekommen wären. Darum kehrte ich jetzt schnell so weit zurück, daß sie, wenn ich mit ihm zusammentraf, seinen Ruf nicht so leicht hören konnten.

Nun lag ich still und wartete. Es vergingen fünf Minuten, zehn Minuten – er kam nicht. Sollte er doch eine andere Richtung eingeschlagen haben? Das war kaum zu denken. So ein alter, erfahrener Krieger mußte doch genau so kalkulieren, wie ich berechnet hatte. Vielleicht stand er noch bei seinen Leuten, um ihnen über ihr Verhalten Befehle zu erteilen. Ich wartete also noch weitere fünf Minuten, und als er sich da noch immer nicht sehen ließ, wurde ich besorgt. Er hatte doch gesagt: »Ich gehe jetzt – — « und ich durfte nicht annehmen, daß er noch eine volle Viertelstunde stehen geblieben sei. Darum blieb ich nicht länger nutzlos auf der Lauer, sondern beeilte mich, zu meinen Gefährten zu kommen, die leider nicht mein volles Vertrauen besaßen. Wie leicht konnten sie sich, oder wenigstens einer von ihnen, zu irgend einer neuen Dummheit verleiten lassen!