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Durchs wilde Kurdistan

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»So viel mal, als ich will.«

»Und hier mit diesen kleinen Gewehren?«

»Auch sehr viel mal. Soll ich sie dir erklären?«

»Tue es!«

»Zeige sie einmal her!«

Ich legte den Stutzen neben mich und langte nach den beiden Revolvern, welche er mir gab. Lindsay beobachtete eine jede meiner Bewegungen mit der größten Spannung.

»Ich habe euch gesagt, daß ich ein Christ aus dem Abendlande bin. Wir töten niemals ungezwungen einen Menschen, aber wenn wir angegriffen werden, so kann man uns nie besiegen; denn wir haben wunderbare Waffen, gegen die es keine Rettung gibt. Ihr seid über dreißig tapfere Krieger; aber wenn wir zwei nicht an diesen Baum gebunden wären und euch töten wollten, so würden wir mit diesen drei Gewehren in drei Minuten damit fertig sein. Glaubst du das?«

»Wir haben auch Waffen!« antwortete er mit einem leisen Anflug von Besorgnis.

»Ihr würdet sie nicht brauchen können, denn der erste, der nach seiner Flinte, nach seiner Lanze oder nach seinem Messer griffe, wäre auch der erste, welcher sterben müßte. Versuchtet ihr aber keine Gegenwehr, so würden wir euch nichts zuleide tun, sondern in Frieden mit euch reden.«

»Das alles könnt ihr nicht, denn ihr seid an den Baum gebunden.«

»Du hast recht: aber wenn wir wollten, würden wir bald frei sein,« antwortete ich in einem ruhigen, erklärenden Tone. »Dieser Strick geht nur um unsern Leib und um den Baum. Ich würde meinem Gefährten diese kleinen Gewehre geben, so wie ich jetzt tue; dann nähme ich dein Messer, und ein einziger Schnitt mit demselben zertrennt den Strick, und wir sind frei. Siehest du wohl?«

Grad so, wie ich gesprochen, hatte ich es auch getan. Ich stand aufrecht am Baume mit dem Stutzen, Lindsay neben mir mit den Revolvern. Er nickte mir mit seinem breitesten Lächeln zu, gespannt auf alles, was ich tat, da er meine Worte nicht verstehen konnte.

»Du bist ein kluger Mann,« sagte der Anführer; »aber diesen Strick brauchtest du uns nicht zu ruinieren. Setze dich wieder nieder, und erkläre uns auch die beiden kleinen Gewehre!«

»Ich habe dir bereits zweimal gesagt, daß man das nicht erklären, sondern zeigen muß. Und zeigen werde ich es euch, wenn ihr nicht das tut, was ich von euch verlange.«

Jetzt endlich begann ihm klar zu werden, daß ich Ernst machte. Er stand auf, und auch die Andern erhoben sich, nach ihren Waffen greifend.

»Was verlangst du?« fragte er drohend.

»Höre mich ruhig an! Wir sind keine gewöhnlichen Krieger, sondern Emire, denen man Achtung schuldig ist, selbst wenn sie in Gefangenschaft geraten. Ihr aber habt uns beraubt und gefesselt, als ob wir Diebe und Räuber seien. Wir verlangen, daß ihr uns alles zurückgebt, was ihr uns genommen habt!«

»Das werden wir nicht tun!«

»So werde ich deinen Wunsch erfüllen und dir den Gebrauch unserer Waffen zeigen. Merke wohl auf: der erste, der auf uns schießen oder stechen will, wird auch der erste sein, der sterben muß! Es ist besser, wir sprechen in Frieden miteinander, als daß wir euch töten.«

»Ihr werdet auch fallen!«

»Aber die meisten von euch vorher!«

»Wir müssen euch binden, denn wir müssen euch zu unserm Melek bringen.«

»Ihr bringt uns nicht zu eurem Melek, wenn ihr uns fesseln wollt; denn wir werden uns wehren. Aber wenn ihr uns alles wiedergebt, was uns gehört, so werden wir euch freiwillig folgen; denn wir können dann als Emire vor ihm erscheinen.«

Diese guten Leute waren gar nicht blutgierig und hatten eine große Angst vor unsern Waffen. Sie blickten einander an, flüsterten leise, und endlich fragte der Anführer:

»Was verlangst du zurück?«

»Die Kleider alle.«

»Die sollst du haben.«

»Das Geld und alles, was in unsern Taschen war.«

»Das müssen wir behalten, um es dem Melek zu geben.«

»Und die Waffen.«

»Auch sie müssen wir behalten, sonst gebraucht ihr sie gegen uns.«

»Und endlich verlangen wir unsere Pferde.«

»Du verlangst das Unmögliche!«

»Nun gut; so habt ihr allein die Schuld, wenn wir uns selbst nehmen, was uns gehört. Du bist der Anführer und hast unser Eigentum eingesteckt. Ich muß dich töten, um es wieder zu bekommen.«

Ich erhob das Gewehr. Lindsay hielt seine beiden Läufe vor.

»Halt, schieße nicht!« gebot der Mann. »Folgest du uns wirklich, wenn wir euch alles geben?«

»Ja,« erwiderte ich.

»Schwöre es uns!«

»Ich sage es. Das gilt wie ein Schwur!«

»Und wirst auch deine Waffen nicht gebrauchen?«

»Nein; es sei denn aus Notwehr.«

»So sollst du alles haben.«

Er sprach wieder leise mit den Seinen. Es schien, als ob er ihnen erkläre, daß unser Eigentum ihnen ja sicher bleibe. Endlich wurde uns alles hingelegt, so daß wir nicht den geringsten Gegenstand zu vermissen hatten. Wir zogen unsere Kleider an, und während dieser Beschäftigung forderte mich Lindsay auf, ihm das Ergebnis meiner Verhandlung mitzuteilen. Als ich seiner Aufforderung nachgekommen war, legte sich sein Gesicht in sehr bedenkliche Falten.

»Was habt Ihr getan, Sir! Hatten unsere Freiheit so schön in den Händen!«

»Glaubt Ihr? Es hätte auf alle Fälle einen Kampf gegeben.«

»Hätten sie alle erschossen!«

»Fünf oder zehn, dann aber wäre es aus mit uns gewesen. Seid froh, daß wir unsere Sachen wieder haben; das weitere wird sich dann auch noch finden!«

»Wohin führen sie uns?«

»Das werden wir erst noch erfahren. Uebrigens könnt Ihr versichert sein, Sir, daß uns unsere Freunde nicht verlassen werden. Von Halef weiß ich es ganz genau, daß er alles in Bewegung setzen wird, um uns nützlich zu sein.«

»Glaube es auch. Braver Kerl!«

Als wir alles zu uns genommen hatten, stiegen wir auf und setzten unsern Ritt fort. Es hätte mich jetzt nur einen Schenkeldruck gekostet, um wieder frei zu sein; aber ich hatte mein Wort gegeben, und das mußte ich halten. Ich ritt an der Seite des Anführers, der seine besorgten Blicke nicht von uns wendete.

»Ich frage dich abermals, wohin du uns führst?« hob ich an.

»Das wird der Melek entscheiden.«

»Wo befindet er sich?«

»Wir werden am Abhange des Gebirges auf ihn warten.«

»Welcher Melek ist es?«

»Von Lizan.«

»So ist er jetzt in Lizan und wird später kommen?«

»Er ist dem Bey von Gumri nachgejagt.«

»Ah! Und warum habt ihr euch von ihm getrennt?«

»Er bedurfte unserer Hilfe nicht, weil er sah, daß der Bey so wenige Leute bei sich hatte, und als wir umkehrten, trafen wir auf euch.«

Nun war das Rätsel gelöst. Der Feind war so zahlreich gewesen, daß es unsern Freunden nicht möglich geworden war, sich durchzuschlagen und zu uns zu kommen.

Unser Weg führte uns sehr bald wieder bergab und wir sahen das Tal des Zab in einer Länge von vielen Stunden vor uns liegen. Nach Verlauf von vielleicht zwei Stunden gelangten wir an einen einsamen Weiler, der nur aus vier Gebäuden bestand, von denen drei aus Lehm aufgeführt waren, während das vierte starke Steinmauern besaß. Es hatte ein Stockwerk über dem Erdgeschoß und einen ziemlich großen Garten an seiner hinteren Seite.

»Hier bleiben wir,« meinte der Anführer.

»Wem gehört dieses Haus?«

»Dem Bruder des Melek. Ich werde dich zu ihm führen.«

Wir hielten vor dem Gebäude still, und eben als ich am Absteigen war, vernahmen wir ein lautes, heulendes Schnaufen. Wir drehten uns um und sahen einen Hund, der in gewaltigen Sätzen den Abhang herabgesprungen kam. Es war mein Dojan, den ich kurz vor dem Ueberfall der Obhut Halefs übergeben hatte. Die Schnur, an welcher ihn der Diener geführt hatte, war zerrissen, und sein Instinkt hatte das brave Tier auf meine Spur geführt. Er sprang laut jauchzend an mir empor, und ich hatte alle Mühe, ihn zur Ruhe zu bringen. Ich gab ihm die Zügel meines Pferdes zwischen die Zähne und war nun sicher, daß niemand es mir unbemerkt entführen könne. Dann wurden wir in das Haus gewiesen. Der Anführer stieg mit uns eine Treppe empor und bedeutete uns, in einem Zimmerchen auf ihn zu warten. Es dauerte eine ganze Weile, ehe er zurückkehrte.

»Ihr sollt kommen,« meinte er. »Aber legt vorher die Waffen ab.«

»Warum diese Zumutung?«

»Der Bruder des Melek ist ein Priester.«

»Bei dem du selbst deine Waffen getragen hast!«

»Ich bin sein Freund.«

»Ah! Er fürchtet sich vor uns?«

»So ist es.«

»Du kannst ruhig sein. Wenn er es ehrlich meint, wird er sich bei uns in keiner Gefahr befinden.«

Der Mann führte uns durch eine Türe in ein Gemach, in welchem der Besitzer des Hauses sich befand. Es war ein schwacher, ältlicher Mann, dessen blatternarbiges Gesicht auf mich keinen sehr angenehmen Eindruck machte. Er winkte, und der Führer entfernte sich.

»Wer seid ihr?« fragte er, ohne uns zu begrüßen.

»Wer bist du?« fragte ich in ganz demselben kurzen Tone wie er.

Er runzelte die Stirn.

»Ich bin der Bruder des Melek von Lizan.«

»Und wir sind Gefangene des Melek von Lizan.«

»Dein Benehmen ist nicht so, als ob du ein Gefangener seist.«

»Weil ich freiwillig ein Gefangener bin und sehr genau weiß, daß ich es nicht lange bleiben werde.«

»Freiwillig? Man hat dich doch gefangen genommen!«

»Und wir haben uns wieder frei gemacht und sind euern Männern aus freiem Willen gefolgt, um nicht gezwungen zu sein, ihnen das Leben zu nehmen. Ist das dir nicht erzählt worden?«

»Ich glaube es nicht.«

»Du wirst es glauben lernen.«

»Du bist bei dem Bey von Gumri gewesen!« fuhr er fort. »Wie kommst du zu diesem?«

»Ich hatte ihm Grüße von einem Verwandten auszurichten.«

»So bist du nicht ein Vasall von ihm?«

»Nein. Ich bin ein Fremdling in diesem Lande.«

»Ein Christ, wie ich hörte?«

»Du hast die Wahrheit gehört.«

»Aber ein Christ, der an die falsche Lehre glaubt!«

»Ich bin überzeugt, daß sie die wahre ist.«

 

»Du bist kein Missionar?«

»Nein. Bist du ein Priester?« fragte ich dagegen.

»Ich wollte einst ein solcher werden,« antwortete er.

»Wann wird der Melek hier ankommen?«

»Noch heute; die Stunde aber ist unbestimmt.«

»Ich soll bis dahin in deinem Hause bleiben?«

Er nickte, und ich fragte weiter:

»Aber als was?«

»Als das, was du bist, ein Gefangener.«

»Und wer wird mich festhalten?«

»Meine Leute und dein Wort.«

»Deine Leute können mich nicht halten, und mein Versprechen habe ich bereits erfüllt. Ich sagte, daß ich ihnen folgen würde; das habe ich getan.«

Er schien zu überlegen.

»Du magst recht haben. So sollst du also nicht mein Gefangener, sondern mein Gast sein.«

Er klatschte in die Hände. Ein altes Weib erschien.

»Bringe Kaffee, Pfeifen und Matten!« gebot er ihr.

Die Matten wurden zuerst gebracht, und wir mußten zu beiden Seiten des Mannes Platz nehmen, der ein Priester genannt wurde, weil er einst gewillt gewesen war, ein solcher zu werden. Er wurde jetzt freundlicher, und als die Pfeifen mit dem Tabak gebracht wurden, hatte er sogar die Herablassung, sie uns selbst anzubrennen. Ich erkundigte mich bei ihm nach den Verhältnissen der nestorianischen Chaldäer und erfuhr allerdings Dinge, bei deren Erzählung einem sich die Haare sträuben konnten.

Die Krieger hatten sich um das Haus gelagert; es waren, wie ich erfuhr, arme, einfache Ackerbauern, also unangesehene Leute nach den Begriffen der Nomaden und anderen Bevölkerungsklassen, welche das Handwerk des Krieges treiben. Sie kannten den Gebrauch der Waffen nicht, und einige unbewachte Andeutungen unseres Wirtes brachten mich zu der Ueberzeugung, daß von zehn ihrer Luntenflinten kaum fünf losgegangen wären.

»Nun aber werdet ihr ermüdet sein,« meinte er, als auch der Kaffee eingenommen war. »Erlaubt, daß ich euch ein Zimmer anweise, welches das eurige sein soll!«

Er erhob sich und öffnete eine Türe. Scheinbar aus Höflichkeit stellte er sich zur Seite, um uns zuerst eintreten zu lassen; kaum aber hatten wir die Schwelle überschritten, so warf er die Türe zu und schob den Riegel vor.

»Ah! Was ist das?« fragte Lindsay.

»Heimtücke. Was weiter!«

»Habt Euch übertölpeln lassen!«

»Nein. Ich ahnte so etwas.«

»Warum tratet Ihr ein, wenn Ihr es ahntet?«

»Weil ich mich ausruhen wollte. Mir tun die Glieder noch weh von dem Sturze.«

»Das konnten wir wo anders tun und nicht hier als Gefangene!«

»Wir sind nicht gefangen. Seht Euch diese Türe an, die ich mir bereits während der Unterhaltung betrachtet habe. Einige Fußtritte oder ein guter Kolbenstoß reichen hin, sie zu zertrümmern.«

»Wollen das sofort tun!«

»Wir befinden uns in keiner Gefahr.«

»Wollt ihr warten, bis noch mehr Leute kommen? Jetzt fällt es uns nicht schwer, aufzusitzen und fortzureiten.«

»Mich reizt dieses Abenteuer. Wir haben jetzt die beste Gelegenheit, die Verhältnisse dieser christlichen Sektierer kennen zu lernen.«

»Bin nicht sehr neugierig darauf; die Freiheit ist mir lieber!«

Da hörte ich meinen Hund zornig knurren und dann in jener bestimmten Weise anschlagen, die mir sagte, daß er sich gegen einen Angreifer zu wehren habe. Die einzige Fensteröffnung, welche es in dem Raume gab, und die so klein war, daß man den Kopf nicht hindurchstecken konnte, befand sich an der andern Seite. Ich konnte also nicht sehen, was es gab. Da hörte ich ein kurzes Bellen und bald darauf einen Schrei. Unter diesen Umständen war hier oben meines Bleibens nicht.

»Kommt, Sir!«

Ich stemmte mich mit der Achsel gegen die Türe – sie gab nur wenig nach.

»Nehmt den Kolben!« meinte Lindsay, indem er zugleich seine eigene Büchse ergriff.

Einige Schläge genügten, die Türe zu zertrümmern. In dem Raume, wo wir vorhin gesessen hatten, standen vier Männer, welche jedenfalls die Aufgabe hatten, uns zu bewachen; denn sie traten uns mit erhobenem Gewehr entgegen, hatten aber gar nicht das Aussehen, als ob sie Ernst machen würden.

»Halt! Bleibt hier!« meinte der eine sehr freundlich.

»Tut dies einstweilen an unserer Stelle!«

Ich schob ihn beiseite und eilte hinab, wo die Anwesenden einen weiten Kreis um unsere Pferde geschlossen hatten. Bei denselben lag der gastfreundliche Wirt an der Erde und der Hund auf ihm.

»Fort, Sir?« fragte Lindsay.

»Ja.«

Im nächsten Augenblicke saßen wir auf.

»Halt! Wir schießen!« riefen mehrere Stimmen.

Es richteten sich allerdings mehrere Gewehre gegen uns, aber wir achteten nicht darauf.

»Dojan, geri!«

Der Hund sprang auf. Ich nahm die Büchse in die Hand, wirbelte sie um den Kopf; Lindsay tat dasselbe, und unsere Pferde schnellten durch den Kreis hindurch. Zwei einzelne Schüsse fielen hinter uns: sie schadeten uns nicht. Aber sämtliche Nestorah stiegen unter lautem Geschrei zu Pferde, um uns zu verfolgen. Das Abenteuer hatte seit dem Augenblick unserer Gefangennehmung einen beinahe komischen Verlauf genommen; es bildete einen sehr überzeugenden Beleg dazu, daß die Tyrannei imstande ist, ein Volk zu entnerven. Was wären wir zwei gegen diese Uebermacht gewesen, wenn die Nestorianer noch einiges Mark besessen hätten!

Wir achteten gar nicht weiter auf sie und ritten so schnell wie möglich den Weg zurück, auf welchem wir gekommen waren. Als wir die Höhe erreicht hatten, waren die Verfolger weit hinter uns geblieben.

»Vor diesen sind wir sicher!« meinte Lindsay.

»Aber vor den andern nicht.«

»Warum nicht?«

»Sie können uns begegnen.«

»So weichen wir ihnen aus!«

»Das ist nicht an jeder Stelle möglich.«

»So hauen wir uns durch! Well!«

»Sir, das würde uns wohl schwerlich gelingen. Ich habe nämlich die Ahnung, daß unsere Nestorianer in der Schar des Melek nur der überflüssige, mutlose und schlecht bewaffnete Troß gewesen sind, den er zurückgeschickt hat, um nicht gehindert zu sein. An uns haben sie sich gewagt, da wir nur zu zweien waren und uns in keiner verteidigungsfähigen Lage befanden.«

»Lasse mich aber nicht wieder fangen! Yes!«

»Ich habe auch nicht Lust dazu, aber der Mensch kann nicht wissen, was ihm begegnet.«

Wir kamen schnell über die Hochebene zurück, auf welcher wir vorher Rast gehalten hatten. An dem diesseitigen Rande derselben hielten wir an, und ich zog das Fernrohr aus der Satteltasche, um die unter uns liegenden Täler und Abhänge zu betrachten. Ich konnte nichts Besorgniserregendes bemerken, und so setzten wir unsern Weg talabwärts fort. Endlich gelangten wir nach langem Ritt auch an die Stelle, an welcher wir gefangen genommen worden waren. Lindsay wollte nach rechts abbiegen, weil dorthin Mia und unser Jagdplatz lag, aber ich hielt zaudernd an.

»Wollen wir nicht einmal hier links hinab, Sir?« fragte ich. »Dort sind die Unsrigen überfallen worden. Es ist beinahe notwendig, sich den Kampfplatz anzusehen.«

»Wir werden alle in Mia oder Gumri treffen!« entgegnete er.

»Gumri liegt nach links. Kommt!«

»Ihr werdet Euch in neue Gefahr begeben, Sir!«

Ich schwenkte ohne weitere Antwort links ab, und er folgte mir ein wenig verdrossen.

Hier sah ich die Wurzel, über welche mein Pferd gestrauchelt war, und vielleicht achthundert Schritte weiter abwärts fanden wir ein getötetes Pferd daliegen, dem man Sattel und Zaum abgenommen hatte. Der spärliche Graswuchs und das niedrige Gestrüpp war zertreten; auch das mit Blut bespritzte Gestein zeigte, daß hier ein Kampf stattgefunden habe. Die Spuren desselben führten abwärts: die Kurden waren geflohen und die Nestorianer ihnen gefolgt. Das regte den Engländer auf. Er dachte nicht mehr an seine vorige Warnung und setzte sein Pferd in Trab.

»Kommt, Sir! Müssen sehen, wie es gegangen ist!« rief er mir zu.

»Vorsichtig!« warnte ich. »Das Tal ist breit und offen. Wenn der Feind grad jetzt zurückkehrt, wird er uns bemerken; dann ist es aus mit uns.«

»Geht mich nichts an! Müssen den Unserigen helfen!«

»Sie werden uns jetzt nicht mehr brauchen!«

Er aber ließ sich nicht halten, und ich war gezwungen, ihm auf dem offenen Terrain zu folgen, während ich mich lieber unter den Schutz der Bäume zurückgezogen hätte.

Weit unten machte das Tal eine Krümmung. Die innere Ecke derselben stieß beinahe bis an das Ufer des Baches heran und hinderte uns, weiter zu sehen. Unweit davon lag ein nackter Leichnam. Es war ein toter Kurde; das sah man an dem Haarbüschel. Wir bogen um die Ecke. Kaum aber hatten wir hundert Schritte gemacht, so raschelte es in den Bäumen und Sträuchern der Talwand, und wir sahen uns augenblicklich von einer Menge bewaffneter Gestalten umringt. Zwei von ihnen hielten die Zügel meines Pferdes, und mehrere faßten mich an den Beinen und am Arme, um mich an der Gegenwehr zu verhindern. So ging es auch dem Engländer, der in einem solchen Knäuel von Feinden stak, daß sein Pferd sich kaum zu bewegen vermochte. Er wurde angerufen, konnte aber nichts verstehen und deutete auf mich.

»Wer seid Ihr?« fragte mich einer.

»Wir sind Freunde der Nestorah. Was wollt ihr von uns?«

»Wir sind keine Nestorah. So nennen uns nur unsere Feinde und Bedrücker. Wir sind Chaldäer. Aber ihr seid Kurden?«

»Wir beide sind weder Kurden, noch Türken, noch Araber. Wir tragen nur die Tracht dieses Landes. Wir sind Feringhis[123]

»Woher seid ihr?«

»Ich bin ein Nemtsche, und mein Gefährte ist ein Inglis.«

»Die Nemtsche kenne ich nicht, aber die Inglis sind böse Menschen. Ich werde euch zum Melek führen, der über euch urteilen mag.«

»Wo ist er?«

»Weiter unten. Wir sind die Vorhut und sahen euch kommen.«

»Wir werden euch folgen. Laßt mich los!«

»Steige ab!«

»Erlaube mir, daß ich sitzen bleibe! Ich habe einen Fall getan und kann nicht gut gehen.«

»So mögt ihr reiten, und wir werden eure Pferde führen. Aber sobald ihr versucht, zu fliehen oder eure Waffen zu gebrauchen, werdet ihr erschossen!«

Das klang sehr bestimmt und kriegerisch. Diese Männer machten allerdings einen ganz andern Eindruck als diejenigen, welche uns vorher gefangen genommen hatten. Wir wurden talabwärts geführt. Mein Hund schritt, die Augen immer auf mich gerichtet, neben mir her; er hatte keinen der Feinde angegriffen, weil ich mich ruhig verhalten hatte.

Ein kleines Nebenwasser floß von rechts her in den Bach. Es kam aus einem Seitentale, welches bei seiner Mündung in das Haupttal eine ziemlich breite Einbuchtung bildete. Hier lagerten wohl gegen sechshundert Krieger in vielen Gruppen beieinander, während ihre Pferde in der Umgebung weideten. Unser Erscheinen erregte Aufsehen; aber niemand rief uns an.

Wir wurden zu einer der größten Gruppen geführt, in deren Mitte ein kräftig gebauter Mann saß, welcher unsern Begleitern zunickte.

»Ihr bringt sie?« sagte er zu ihnen. »Kehrt wieder auf euren Posten zurück!«

Man hatte ihm also unser Kommen bereits gemeldet, als wir im Begriffe waren, ihnen ahnungslos in die Hände zu laufen. Der Melek hatte einige Aehnlichkeit mit seinem Bruder, aber meine Augen richteten sich von ihm ab und auf eine andere Gruppe. Dort saßen der Bey von Gumri, Amad el Ghandur und Halef nebst mehreren Kurden unbewaffnet und rings von Wächtern umgeben; aber keiner von ihnen war gebunden. Sie hatten die Geistesgegenwart, sich bei unserm Anblick ruhig zu verhalten.

Der Melek winkte uns, abzusteigen.

»Kommt näher!« gebot er.

Ich trat in den Kreis und setzte mich ungeniert neben ihm nieder. Auch der Engländer tat so. Der Anführer blickte uns etwas überrascht an, sagte aber nichts über unser dreistes Benehmen.

»Habt ihr euch bei eurem Ergreifen gewehrt?« fragte er.

»Nein,« antwortete ich kurz.

»Ihr tragt doch Waffen!«

»Warum sollen wir die Chaldäer töten, da wir ihre Freunde sind? Sie sind Christen wie wir.«

Er horchte auf und fragte dann:

»Ihr seid Christen? – Aus welcher Stadt?«

»Die Stadt, aus der wir stammen, kennst du nicht. Sie liegt weit von hier im Abendlande, wohin noch kein Kurde gekommen ist.«

»So seid ihr Franken? Vielleicht aus Inglistan?«

»Mein Gefährte stammt aus Inglistan. Ich aber bin ein Nemtsche.«

»Ich habe noch keinen Nemtsche gesehen. Wohnen sie mit den Inglis in einem Lande?«

»Nein; es liegt ein Meer zwischen ihnen.«

»Das hast du wohl von andern gehört, denn ein Nemtsche bist du nicht.«

»Warum nicht?«

»Ich sehe, daß du einen Kuran trägst, wie ihn die Hadschi tragen.«

 

»Ich kaufte ihn nur, um zu sehen, was die Moslemim für einen Glauben und für eine Lehre haben.«

»So handelst du sehr unrecht. Ein Christ darf keine andre Lehre kennen lernen, als nur die seinige. Aber wenn ihr Franken seid, warum kommt ihr in unser Land?«

»Wir wollen sehen, ob wir mit euch Handel treiben können.«

»Welche Waren habt ihr mitgebracht?«

»Wir haben noch nichts mitgebracht. Wir wollen erst sehen, was ihr braucht, und es dann unsern Kaufleuten erzählen.«

»Warum tragt ihr so viele Waffen, da ihr doch nur des Handels wegen zu uns kommt?«

»Die Waffe ist das Recht des freien Mannes; wer ohne Waffen reist, der wird für einen Knecht gehalten.«

»So sagt euren Kaufleuten, daß sie uns Waffen senden sollen; denn hier gibt es sehr viele Männer, welche frei werden wollen. Ihr müßt sehr mutige Männer sein, daß ihr euch in so ferne Länder wagt. Habt ihr jemand, der euch hier beschützt?«

»Ja. Ich habe ein Bu-djeruldi des Großherrn bei mir.«

»Zeige es her!«

Ich gab ihm den Paß, und ich sah, daß er lesen konnte. Dieser Melek war also ein unterrichteter Mann. Er gab mir das Schreiben wieder.

»Du stehest unter einem Schutze, welcher dir hier nichts helfen kann; aber ich sehe, daß ihr keine gewöhnlichen Krieger seid, und das ist gut für euch. Warum redest du allein und warum spricht nicht auch dein Gefährte?«

»Er versteht nur die Sprache seiner Heimat.«

»Was tut ihr hier in dieser entlegenen Gegend?«

»Wir sahen die Spuren des Kampfes und sind ihnen gefolgt.«

»Wo habt ihr die letzte Nacht geschlafen?«

»In Gumri,« antwortete ich ohne Zögern.

Er erhob den Kopf mit einem überraschten, scharfen Blick.

»Das wagst du, mir zu sagen?«

»Ja, denn es ist die Wahrheit.«

»So bist du ein Freund des Bey! Wie kam es, daß du nicht an seiner Seite kämpftest?«

»Ich war zurückgeblieben und konnte ihn in der Gefahr nicht mehr ereilen, denn deine Männer kamen zwischen ihn und uns.«

»Sie griffen euch an?«

»Das taten sie.«

»Ihr habt euch gewehrt?«

»Wenig. Wir beide waren in dem Augenblick, als sie kamen, mit unsern Pferden gestürzt; ich lag ganz ohne Besinnung, und mein Gefährte hatte die Waffen verloren. Es wurde ein Pferd getötet, und zwei Männer sind verwundet.«

»Was geschah dann?«

»Wir wurden ausgezogen bis auf die Unterkleider, auf die Pferde gebunden und zu deinem Bruder geführt.«

»Und jetzt seid ihr wieder hier! Wie ist das gekommen?«

Ich erzählte ihm alles genau vom ersten Augenblick unserer Gefangenschaft an bis zur gegenwärtigen Minute. Seine Augen wurden immer größer, und zuletzt brach er in einen Ausruf des größten Erstaunens aus:

»Katera Aïsa. – Um Jesu willen, Herr, das alles sagst du mir? Entweder bist du ein großer Held oder ein sehr leichtsinniger Mann, oder du suchst den Tod!«

»Es ist keines von diesen dreien der Fall. Ich sagte dir alles, weil ein Christ nicht lügen soll und weil mir dein Angesicht gefällt. Du bist kein Räuber und kein Tyrann, vor dem man zittern soll, sondern ein redlicher Fürst der Deinen, welcher die Wahrheit liebt und sie auch hören will.«

»Chodih, du hast recht, und daß du so handelst, wie du getan hast, das ist dein Glück. Hättest du die Unwahrheit gesprochen, so wärest du verloren gewesen, wie diese Andern verloren sind!«

Er deutete auf die Gruppe der Gefangenen.

»Woher hättest du gewußt, daß ich die Unwahrheit rede?«

»Ich kenne dich. Bist du nicht der Mann, der mit den Haddedihn gegen ihre Feinde kämpfte?«

»Ich bin es!«

»Bist du nicht der Mann, der mit den Dschesidi gegen den Mutessarif von Mossul kämpfte?«

»Du sagst die Wahrheit!«

»Bist du nicht der Mann, der Amad el Ghandur aus dem Gefängnisse von Amadijah befreite?«

»Das tat ich!«

»Und der auch die Befreiung zweier Kurden von Gumri bei dem Mutesselim erzwang?«

»Es ist so!«

Ich ward immer mehr erstaunt. Woher hatte dieser nestorianische Anführer diese Kenntnis über meine Person?

»Woher weißt du dies alles, Melek?« fragte ich jetzt.

»Hast du nicht ein Mädchen in Amadijah gesund gemacht, welches Gift gegessen hatte?«

»Ja. Auch das weißt du?«

»Ihre Ahne heißt Marah Durimeh?«

»Das ist ihr Name. Kennst du sie?«

»Sie war bei mir und hat mir viel von dir erzählt, was sie mit den Ihrigen von deinem Diener erfahren hat, der dort sich unter den Gefangenen befindet. Sie wußte, daß du vielleicht in unsere Gegend kommen würdest, und hat mich gebeten, dann dein Freund zu sein.«

»Wie kannst du wissen, daß gerade ich dieser Mann bin?«

»Hast du nicht gestern in Gumri von euch erzählt? Wir haben einen Freund dort, der uns alles berichtet. Darum wußten wir auch von der heutigen Jagd, und daß du dabei sein würdest. Und darum sandte ich auch, als ich im Hinterhalte lag und bemerkte, daß du zurückgeblieben seist, eine Abteilung der Meinigen, die dich gefangen nehmen und fortführen sollten, damit dir im Kampfe kein Leid geschehe.«

Das klang ja so abenteuerlich, daß es kaum zu glauben war. Und nun konnte ich auch das Verhalten der Männer, welche uns gefangen genommen hatten, begreifen, obgleich sie mit der Wegnahme unserer Kleidungsstücke zu weit gegangen waren.

»Was wirst du nun tun?« fragte ich den Melek.

»Ich werde dich mit nach Lizan nehmen, damit du mein Gast seist.«

»Und meine Freunde?«

»Dein Diener und Amad el Ghandur werden frei sein.«

»Aber der Bey?«

»Er ist mein Gefangener. Unsere Versammlung wird über ihn beschließen.«

»Werdet ihr ihn töten?«

»Das ist möglich.«

»So kann ich nicht mit dir gehen!«

»Warum nicht?«

»Ich bin der Gast des Bey; sein Schicksal ist auch das meinige. Ich werde mit ihm kämpfen, mit ihm siegen oder unterliegen.«

»Marah Durimeh hat mir gesagt, daß du ein Emir bist, also ein tapferer Krieger. Aber bedenke, daß die Tapferkeit sehr oft in das Verderben führt, wenn sie nicht auch besonnen ist. Dein Gefährte hat nicht verstanden, was wir sprechen. Rede mit ihm und frage ihn, was du beschließen sollst!«

Diese Aufforderung kam mir ungemein erwünscht, denn sie gab mir Gelegenheit, mich mit dem Engländer zu verständigen.

Ich wandte mich also zu diesem:

»Sir, wir haben einen Empfang gefunden, wie ich ihn mir nicht träumen lassen konnte!«

»So schlimm!«

»Nein, freundlich. Der Melek kennt uns. Die alte Christin, deren Enkelkind ich in Amadijah heilte, hat ihm von uns erzählt. Wir sollen als seine Gastfreunde mit nach Lizan gehen.«

»Well! Sehr gut! Vortrefflich!«

»Aber dann handeln wir, sozusagen, undankbar an dem Bey; denn er bleibt gefangen und wird vielleicht getötet.«

»Hm! Unangenehm! Ist ein guter Kerl!«

»Freilich! Vielleicht wäre es möglich, mit ihm von hier zu entkommen.«

»Wie so?«

»Die Gefangenen sind nicht gefesselt. Jeder von ihnen bedarf nur ein Pferd. Wenn sie schnell aufspringen, sich auf die Gäule werfen, die ganz in ihrer Nähe grasen, und augenblicklich forteilen, so könnte ich ihnen vielleicht den Rückzug decken, da ich Grund habe, zu glauben, daß die Nestorianer nicht auf mich schießen werden.«

»Hm! Schöner Coup! Ausgezeichnet!«

»Müßte aber schnell geschehen. Seid Ihr dabei?«

»Yes! Wird interessant!«

»Aber wir schießen nicht, Sir!«

»Warum nicht?«

»Das wäre undankbar gegen den Melek.«

»Aber dann werden sie uns fangen!«

»Ich glaube nicht. Mein Pferd ist gut, das Eurige auch, und wenn die andern Klepper schlecht sind, so entweicht man in die Büsche. Also seid Ihr bereit?«

»O, yes!«

»So paßt auf!«

Ich drehte mich wieder zu dem Melek.

»Was habt Ihr beschlossen?« fragte er.

»Wir bleiben dem Bey treu.«

»So lehnt ihr meine Freundschaft ab?«

»Nein. Aber du wirst uns erlauben, unsere Pflicht zu tun. Wir werden jetzt gehen, doch ich sage dir aufrichtig, daß wir alles aufbieten werden, um ihn zu befreien.«

Er lächelte und sagte:

»Und wenn ihr geht und alle seine Krieger ruft, so werden sie dennoch zu spät kommen, weil wir dann bereits fort sind. Aber ihr werdet gar nicht gehen, denn wenn ihr ihm helfen wollt, so muß ich euch zurückbehalten.«

Ich hatte mich erhoben, und Lindsay stand bereits bei seinem Pferde.

»Zurückbehalten?« fragte ich, aber nur um Zeit zu gewinnen; denn ich hatte Halef einen Wink gegeben und dabei auf die in der Nähe grasenden Tiere und nach dem Ausgange des Tales zu genickt. »Ich denke, ich soll nicht dein Gefangener sein?«

»Du zwingst mich, obgleich du dir sagen könntest, daß alle deine Bemühungen erfolglos sein werden.«

Ich sah, daß Halef mich verstanden hatte; denn er flüsterte mit den Andern, die ihm zunickten, und sah dann bedeutungsvoll zu mir herüber.

»Melek, ich will dir etwas sagen,« meinte ich, indem ich zu ihm trat und ihm die Hand auf die Achsel legte; denn ich sah, daß der Augenblick gekommen war. »Blicke einmal hier das Tal hinauf!«

Er drehte sich um, so daß er den Gefangenen den Rücken zuwandte, und sagte:

»Warum?«

»Während du nach dieser Seite blickst,« erwiderte ich, »wird sich hinter deinem Rücken das begeben, was du für unmöglich hältst!«

123Fremde.