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Durchs wilde Kurdistan

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Da schritt, die lange Schilflanze in der Hand, der Kurde von Serdascht uns entgegen. Er machte den Eindruck eines armen Schluckers gegenüber den Balani und Schadi, die ich hier nicht vermutet hätte. Ein Elegan-Kurde vom Bohtangebirge plauderte mit einem Omerigan, der aus der Gegend von Diarbekr herbeigekommen war. Dann begegneten uns zwei Angehörige des Amadi-manan-Stammes, zwischen denen ein Dilmamikan-Kurde aus Esi schritt. Da gab es Krieger vom Stamme der Bulanuh, der Hadir-sohr, der Hasananluh, der Delmamikan, der Karatschiur und Kartuschi-baschi. Sogar Leute aus Kazikan, Semsat, Kurduk und Kendali waren zu sehen.

»Wie kommen diese Fremden nach Gumri?« fragte ich Dohub.

»Es sind meist Bluträcher, welche hier zusammenkommen, um sich gegenseitig auszugleichen, und Boten aus vielen Gegenden, in denen man einen Aufstand der Christen befürchtet.«

»Habt ihr hier eine ähnliche Befürchtung zu hegen?«

»Ja, Emir. Die Christen in den Tijaribergen heulen wie die Hunde, welche man angekettet hat. Sie wollen gern los sein, aber ihr Bellen hilft ihnen nichts. Wir haben vernommen, daß sie in das Tal von Berwari einfallen wollen; ja, sie haben bereits einige Männer unsers Stammes getötet; aber das Blut derselben wird sehr bald über sie kommen. Ich war heute in Mia, wo morgen eine Bärenjagd abgehalten werden soll, und fand das ganze untere Dorf verlassen.«

»Es gibt wohl zwei Dörfer, welche Mia heißen?«

»Ja; sie gehören unserm Bey. Das obere Dorf wird nur von echten Moslemin und das untere nur von christlichen Nestorah bewohnt. Diese letzteren sind plötzlich verschwunden.«

»Warum ?«

»Man weiß es nicht. Aber, Chodih, hier ist die Wohnung des Bey. Steige ab mit den Deinen und erlaube, daß ich dem Bey deine Ankunft verkündige!«

Wir hielten vor einem langen, unscheinbaren Gebäude, dessen Ausdehnung allein verriet, daß es die Wohnung eines Anführers sei. Auf ein Wort Dohubs kamen einige Kurden herbei, um unsere Pferde in Empfang zu nehmen und in den Stall zu führen. Er selbst aber kehrte bereits nach wenigen Augenblicken zurück und führte uns zu dem Bey. Wir fanden denselben in einem großen Empfangsraume, bis zu dessen Türe er uns entgegenkam. Einige Dutzend Kurden, die sich bei unserm Eintritte erhoben, waren bei ihm. Er war ein Mann am Ende der zwanziger Jahre, hoch und breit gewachsen; sein edles Angesicht zeigte den reinen kaukasischen Typus und wurde von einem starken, schwarzen Vollbart eingerahmt. Sein Turban hatte wenigstens zwei Ellen im Durchmesser; an seinem Halse hingen an einer silbernen Kette verschiedene Talismane und Amulette; seine Jacke war ebenso wie seine Hose mit reicher Stickerei versehen, und in seinem Gürtel funkelte neben einem Dolche und zwei mit Silber ausgelegten Pistolen ein wunderschön damaszierter Schyur[113] ohne Scheide. Der Bey machte nicht den Eindruck eines halbwilden Anführers von Räubern und Pferdedieben; seine Züge waren bei aller Männlichkeit doch weich und sanft, und seine Stimme klang freundlich und angenehm, als er uns begrüßte:

»Sei mir willkommen, Emir! Du bist mein Bruder, und deine Gefährten sind meine Freunde.«

Er reichte uns allen die Hand. Auf seinen Wink wurden beinahe sämtliche Kissen, welche sich in dem Raume befanden, zusammengetragen, um uns als Sitze zu dienen. Wir nahmen Platz, während die Andern stehen blieben.

»Ich habe gehört, daß ich mit dir in kurdischer Sprache reden kann?« fragte er.

»Diese Sprache ist mir nur sehr wenig verständlich, und meine Freunde verstehen sie gar nicht,« antwortete ich.

»So erlaube, daß ich türkisch oder arabisch mit dir spreche!«

»Bediene dich derjenigen Sprache, welche deine Leute hier verstehen,« sagte ich zu ihm aus Höflichkeit.

»O, Emir, ihr seid meine Gäste, und so wollen wir so sprechen, daß deine Freunde mitreden können. Welche Sprache reden sie am liebsten?«

»Die arabische. Aber, Bey, befiehl vorher deinen Leuten, daß sie sich setzen! Sie sind nicht Türken und Perser, sondern freie Kurden, die nur zum Gruße sich zu erheben brauchen.«

»Chondekar[114], ich sehe, daß du ein Mann bist, welcher die Kurden kennt und ehrt; ich werde ihnen erlauben, sich niederzulassen.«

Er gab ihnen ein Zeichen, und die Blicke, welche sie sich beim Niedersetzen zuwarfen, sagten mir, daß sie meine Höflichkeit anerkannten. Ich hatte es hier jedenfalls mit einem intelligenten Häuptling zu tun, denn im Innern von Kurdistan ist ein Mann, der neben einigen Dialekten seiner Muttersprache auch das Türkische und Arabische versteht, eine Seltenheit. Es ließ sich erwarten, daß der Bey sich auch noch des Persischen zu bedienen verstand, und im Verlaufe meines leider nur sehr kurzen Beisammenseins mit ihm erfuhr ich, daß ich mit dieser Vermutung das Richtige getroffen hatte.

Es wurden Pfeifen gebracht, zu denen man uns einen lieblich schmeckenden Reisbranntwein kredenzte, dem die Kurden mit großem Eifer zusprachen.

»Was denkst du von den Kurden von Berwari?« fragte mich der Bey.

Diese Frage sollte wohl ohne alle Verfänglichkeit nur als Einleitung dienen.

»Wenn alle so sind wie du, dann werde ich von ihnen nur Gutes erzählen können.«

»Ich weiß, was du mir sagen willst. Du hast bisher nur Uebles von ihnen erfahren,« bemerkte er.

»O, nein! Habe ich nicht an Dohub und seinen beiden Verwandten nur Freunde gefunden?«

»Du hast dir ihre Freundschaft und auch die meinige sehr reichlich verdient. Wir aber haben dir mit Undank vergolten. Willst du mir verzeihen? Ich wußte nicht, daß du es warst.«

»Verzeihe auch du mir! Es hat einer von deinen Leuten sein Leben eingebüßt; aber wir tragen keine Schuld daran.«

»Erzähle mir, wie es zugegangen ist!«

Ich gab ihm einen ausführlichen Bericht und fragte ihn dann, ob hier ein Grund zur Blutrache vorliege.

»Nach der Sitte dieses Landes muß er allerdings den Tod seines Vaters rächen, wenn er sich nicht die Verachtung aller erwerben will.«

»Es wird ihm wohl schwer gelingen!«

»Du bist mein Gast, und so lange du dich bei mir und in meinem Lande befindest, bist du vollständig sicher. Aber er wird dir später folgen auf Schritt und Tritt, auch wenn du bis an das Ende der Erde gehen wolltest.«

»Ich fürchte ihn nicht.«

»Du magst stark genug sein, um ihn im offenen Kampfe zu überwinden; dann aber würden neue Rächer erstehen. Und kannst du dich gegen eine Kugel wehren, die aus dem Verborgenen abgeschossen wird? Willst du nicht den Preis bezahlen?«

»Nein!« antwortete ich mit Nachdruck.

»Allah gab dir vielen Mut, einen Rächer zu verachten. Ich werde dafür sorgen, daß dieser Mut dich nicht in das Verderben bringt – Du warst bei dem Vater meines Weibes in Spandareh?«

»Ich war sein Gast und wurde sein Freund.«

»Ich weiß es. Wärest du nicht sein Freund, so hätte er dir nicht das Geschenk für uns anvertraut. Allah hat Wohlgefallen an dir, denn er läßt dich überall Freunde finden.«

»Allah gibt Gutes und Böses; er erfreut die Seinen und betrübt sie auch zuweilen, um sie zu prüfen. Ich habe auch Feinde in Amadijah gefunden.«

»Wer war dein Feind? Der Mutesselim?«

»Dieser war mir weder Freund noch Feind; er fürchtete mich. Aber es kam ein Mann zu ihm, der mich haßte und die Schuld trug, daß ich sogar gefangen genommen werden sollte.«

»Wer war es?«

»Der Makredsch von Mossul.«

»Der Makredsch?« fragte der Bey sehr aufmerksam. »Er ist ein Feind der Kurden; er ist ein Feind aller Menschen, was wollte er in Amadijah?«

»Er befand sich auf der Flucht nach Persien; denn der Anatoli Kasi Askeri ist gekommen, um ihn und den Mutessarif von Mossul abzusetzen.«

Diese Kunde erregte die allergrößte Ueberraschung bei dem Bey. Er teilte die Neuigkeit sofort den Seinigen mit, von denen sie mit demselben Erstaunen aufgenommen wurde. Ich mußte alles sehr ausführlich erzählen.

»So wird der Mutesselim wohl auch abgesetzt?« fragte der Bey.

»Das kann man nicht wissen. Er war der Kerkermeister des Mutessarif, der einen jeden, der aus Mossul verschwinden sollte, nach Amadijah sandte.«

»Doch wohl nur Verbrecher?«

»Nein. Hast du nicht gehört von Amad el Ghandur, dem Sohne des Scheik der Haddedihn?«

»Ist auch er gefangen genommen und nach Amadijah geschickt worden?«

»Ja. Er hat nichts von ihrer Hinterlist geahnt.«

»Wäre ich ein Haddedihn, so zöge ich nach Amadijah, um den Sohn meines Scheik zu befreien.«

»Bey, das ist eine schwere Sache!«

»Und dennoch würde ich es tun. Die List ist oft eine bessere Waffe als die Gewalt.«

»So wisse denn, daß es einen Haddedihn gibt, welcher nach Amadijah gegangen ist.«

»Einen einzigen?«

Ich bejahte es.

»So kann ihm nichts gelingen,« meinte der Bey. »Zu einem solchen Werke gehören viele.«

»Und dennoch ist es ihm gelungen,« entgegnete ich.

»Tu katischt nezani – was du nicht weißt! Er hat den Sohn des Scheik wirklich befreit? Durch List oder Gewalt?«

»Durch List.«

»So ist er ein tapferer und entschlossener, aber auch ein kluger Mann gewesen. War er ein einfacher Krieger?«

»Nein. Es war der Scheik Mohammed Emin selbst.«

»Chodih, du berichtest mir ein Wunder! Aber ich glaube es, weil du es sagest. Werden sie unangefochten nach ihren Weideplätzen kommen?«

»Das weiß nur Allah und du.«

 

»Ich? Wie meinst du das?«

»Ja, du. Ich habe gehört, daß sie sich nicht nach Westen, sondern in das Land Berwari wenden werden, um den Zab zu erreichen und auf ihm hinab zu fahren.«

»Emir, das ist ein großes Abenteuer. Die beiden Helden sollten mir willkommen sein, wenn sie zu mir kämen. Wann ist die Flucht gelungen?«

»In der Nacht vor gestern.«

»Woher weißt du dies so genau? Hast du sie gesehen?«

»Beide. Auch du siehst sie, denn sie sitzen an deiner Seite. Dieser Mann ist Mohammed Emin, der Scheik der Haddedihn, und dieser ist Amad el Ghandur, sein Sohn.«

Der Kurdenhäuptling sprang auf und fragte:

»Wer ist dieser andere?«

»Mein Diener.«

»Und dieser?«

»Mein Freund, ein Mann aus dem Abendlande. Wir haben uns vereinigt und den Gefangenen aus Amadijah geholt,« sagte ich ohne Prahlerei.

Jetzt entstand ein vollständiges Redegewirr von kurdischen Erklärungen, türkischen Ausrufungen und arabischen Begrüßungen. Es kam alles zur Sprache, was die Kurden von den Haddedihn gehört hatten; auch ihr Kampf im Tale der Stufen. Ich mußte dabei den Dolmetscher machen, gestehe aber gern, daß mir bei dieser Arbeit der Schweiß in hellen Tropfen von der Stirne floß. Meine Kenntnis des Kurdischen war gering, und das Arabische wurde ebenso wie das Türkische in einem Dialekt gesprochen, bei dem ich die Bedeutung der Worte und der Wortverbindungen mehr erraten als verstehen mußte. Dies gab Veranlassung zu zahlreichen Verwechslungen und Verdrehungen, über welche trotz aller unserer Würde lebhaft gelacht wurde.

Am Schlusse dieser außerordentlich angeregten Unterhaltung gab uns der Bey die Versicherung, daß er alles tun werde, um unser Fortkommen zu ermöglichen. Er versprach uns die zu mehreren Flößen notwendigen Häute, einige sichere Führer, welche den Wasserlauf des Khabur und des oberen Zab Ala genau kannten, und auch Empfehlungen an die Schirwan- und Zibarkurden, durch deren Gebiet wir auf dieser Fahrt kommen mußten. Von einem Ritte über das Tura-Gharagebirge nach dem Akraflusse wollte er nichts wissen, da nach dieser Gegend hin sein Schutz uns mehr Schaden als Nutzen bringen würde.

»Dort gibt es,« fügte er hinzu, »sehr viele christliche Nestorah, auch Teufelsanbeter und kleine Kurdenstämme, mit denen die Berwari in Feindschaft leben. Diese Leute sind lauter Räuber und Mörder, und die Gebirge sind so wild und unzugänglich, daß ihr nie den Zab erreichen würdet. Nun aber ruht euch aus und erlaubt mir, hier meines Amtes zu warten, bevor wir das Mahl einnehmen. Ich habe heute viel zu verhandeln, da ich morgen nicht in Gumri sein werde.«

»Du willst nach Mia gehen?« fragte ich.

»Ja. Wer sagte es dir?«

»Ich habe von Dohub gehört, daß du dort einen Bären jagen willst.«

»Einen? Es sind zwei ganze Familien, die den dortigen Herden sehr viel Abbruch tun. Du mußt nämlich wissen, daß es im Lande der Kurden zahlreiche Bären gibt, und« – fügte er mit einigem Stolze hinzu – »die Giaurs dieses Landes sagen, daß es zwei große Plagen für sie gebe, von denen die eine grad so schlimm sei, wie die andere, nämlich die Kurden und die Bären.«

»Wirst du uns erlauben, mitzugehen?«

»Ja, wenn du es wünschest. Ihr sollt zusehen können, ohne dabei in Gefahr zu kommen.«

»Wir wollen nicht zusehen, sondern mitkämpfen!«

»Emir, der Bär ist ein gefährliches Tier!«

»Du irrst. Der Bär, welcher die kurdischen Schluchten und Wälder bewohnt, ist ein sehr unschädliches Wild. Es gibt Länder, in denen die Bären doppelt so groß und stark sind, wie die eurigen.«

»Ich habe davon gehört. Es soll ein Land geben, wo man nur Eis und Wasser findet, und dort haben die Bären ein weißes Fell und werden von den dortigen Arabern Hirtsch el Buz[115] genannt. Hast du solche weiße Bären gesehen?«

»Ja, obgleich ich nicht in jenen Ländern gewesen bin. Man fängt dort die Bären, um sie in anderen Gegenden für Geld sehen zu lassen. Aber es gibt noch ein Land mit fürchterlich großen Bären, welche ein graues Fell besitzen; das sind die stärksten und gefährlichsten. Ein solcher Bär ist gegen einen kurdischen wie ein Pferd gegenüber einem Hund, vor dem man sich hütet, ohne ihn grad zu fürchten.«

»Und diesen hast du auch gesehen?« fragte der Bey verwundert.

»Ich habe mit ihm gekämpft.«

»So bist du Sieger geblieben, denn du lebst noch. Ihr sollt auch mit unsern Bären kämpfen.«

Er führte uns jetzt in eine Stube, in deren Mitte ein niedriges Sufra[116] stand, um welches fünf Kissen gelegt waren. Nachdem er uns verlassen hatte, erschien eine Frau, und hinter ihr kamen einige Dienerinnen, welche ein kleines Vorgericht auftrugen, für den Fall, daß wir zu sehr Hunger hätten, um bis zum eigentlichen Mahle warten zu können. Es bestand aus einem Zicklein, welches zuerst gebraten und dann in Sahne gebacken war; dazu kamen getrocknete Weintrauben, eingelegte Maulbeeren und ein Salat von Pflanzenblättern, die ich nicht kannte; es schien eine Nesselart zu sein.

»Ser sere men at – ihr seid mir willkommen!« grüßte sie. »Wie habt ihr meinen Vater verlassen, den Nezanum von Spandareh?«

»Wir haben ihn bei gutem Wohlsein verlassen, und auch die andern hat Allah gesund erhalten,« antwortete ich.

»Nehmet und esset einstweilen und habt die Güte, mir von Spandareh zu erzählen. Es ist eine lange Zeit, daß ich nichts gehört habe.«

Ich erfüllte ihr den Wunsch so ausführlich wie möglich. Sie war ganz glücklich, mit mir über ihre Heimat plaudern zu können, und ließ sogar den Windhund aus dem Stalle holen, um ihm mit den Resten des Zickleins einen Beweis ihrer Freundschaft zu geben. Es gab hier ein Zusammenhalten der Familienglieder, welches mich sehr angenehm berührte.

Als wir ihrer Dienste nicht mehr bedurften, verließ sie uns, und wir machten es uns auf den an die Wand geschobenen Kissen so bequem wie möglich. In diesem süßen Nichtstun wurden wir durch den Eintritt eines Mannes gestört, den wir nicht erwartet hatten. Es war der verwundete Kurde. Er trug den Arm in einer Binde, die er sich um den Hals befestigt hatte.

»Was willst du?« fragte ich ihn.

»Ein Bakschisch, Herr!«

»Ein Bakschisch? Wofür?«

»Daß ich dich nicht töten werde.«

»Ich höre, daß dich das Fieber noch nicht verlassen hat. Wenn einer von uns beiden aus dem Grunde, welchen du angibst, ein Bakschisch verdient hat, so bin nur ich es allein. Ich habe dir nicht bloß versprochen, dich nicht zu töten, sondern dir bereits das Leben erhalten, als du dich unter den Zähnen meines Hundes befandest. Was aber hast du für mich getan? Nach mir geschossen und gestochen hast du. Und dafür verlangst du ein Bakschisch? Gehe schnell fort, damit du nicht hörest, daß wir über dich lachen müssen!«

»Herr, nicht dafür, daß ich auf dich geschossen und nach dir gestochen habe, verlange ich ein Bakschisch, sondern dafür, daß ich den Blutpreis angenommen habe.«

»Den Blutpreis? Von wem?«

»Vom Bey. Er hat ihn bezahlt.«

»Wie viel hat er gegeben?«

»Ein Pferd, eine Luntenflinte und fünfzig Schafe.«

»Also bedeutend weniger, als du von mir verlangtest.«

»Er ist mein Scheik; ich mußte auf ihn hören. Aber weil es so wenig ist, darum sollst du mir ein Bakschisch geben.«

»Wäre ich ein freier, stolzer Kurde, ich würde nicht wie ein türkischer Hammal[117] um ein Bakschisch betteln. Da du es aber dennoch tust, so sollst du es erhalten; aber nicht jetzt, sondern erst dann, wenn wir Abschied nehmen.«

»Wie viel wirst du mir geben?«

»Das kommt ganz darauf an, wie du dich gegen uns verhalten wirst.«

»Und wird unser Nezanum auch etwas erhalten?«

»Hat er dir geboten, mich darüber zu fragen?«

»Ja, er tat es.«

»So sage ihm, daß ich nur dann einem Bettler etwas gebe, wenn er mich selbst bittet. Ist der Nezanum ein Mann, der von der Empfehlung des Propheten lebt, so soll er von jedem von uns gern eine Gabe erhalten; aber er mag dann selbst zu uns kommen. Uebrigens habe ich ihm bereits das Leben seines Sohnes geschenkt, und das ist mehr als jede andere Gabe.«

Der Kurde ging. Er hatte den Blutpreis erhalten, aber sein Gesicht sah ganz so aus, als ob ich mich hüten müsse, ihm einmal unter andern Umständen zu begegnen.

»Was wollte der Kerl?« fragte Lindsay.

»Der Bey hat ihm an unserer Stelle den Blutpreis bezahlt,

und nun – – —«

»Wie? Der Bey?«

»Aus Gastlichkeit!«

»Nobel! Sehr nobel! Yes! Wie viel?«

»Ein Pferd, eine Luntenflinte und fünfzig Schafe.«

»Wie viel ist dies an Geld?«

»Nicht mehr als fünf Pfund oder hundert Mark.«

»Werde es ihm wiedergeben.«

»Das wäre eine große Beleidigung, Sir. Wir müssen das durch ein Geschenk auszugleichen suchen.«

»Gut! Schön! Was geben wir?«

»Darüber wollen wir uns den Kopf jetzt noch nicht zerbrechen.«

»Und nun verlangt dieser Mensch noch ein Bakschisch? – Master, was heißt auf Kurdisch ein Backenstreich, eine Ohrfeige oder eine Maulschelle?«

»Sileik.«

»Well! Warum habt Ihr ihm nicht einige Sileiks gegeben?«

»Weil es nicht am Platze war. Ich habe ihm im Gegenteil ein Bakschisch versprochen, welches er erhalten soll, sobald wir von hier fortgehen.«

»So erlaubt, daß ich es ihm gebe. Soll ihm zugleich zur Erinnerung und Besserung dienen!«

Als der Bey seine Amtsgeschäfte erledigt hatte, kam er, um uns hinab in den Hof zu führen, wo das Mahl eingenommen werden sollte. Es waren zu demselben wohl an die vierzig Personen geladen, und außerdem kamen noch viele andere, um sich nach orientalischer Sitte ganz ungeniert selbst zu Gaste zu bitten.

Gegen Ende des Mahles stellte es sich heraus, daß die Speisen nicht für alle langten, und so erhielten die »Trollgäste« ein lebendiges Schaf, welches sie gleich selbst zubereiteten. Der eine machte ein Loch in die Erde; andere holten Steine und Holz zur Feuerung herbei. Derjenige, welchen die Wahl getroffen hatte, ergriff das Schaf, schnitt ihm die Kehle durch und hing es mit den zusammengebundenen Vorderbeinen an einen Balkenpflock auf. Die Eingeweide wurden nicht herausgenommen, sondern der Kurde nahm einen Mund voll Wasser, hielt die Lippen an ¨¨¨¨ des Tieres und blies das Wasser hinein. Er fuhr in dieser possierlichen Beschäftigung so lange fort, bis die Eingeweide vollständig aufgebläht und nach oben hinaus ausgespült waren. Dann wurden die Gedärme in so viele Stücke zerschnitten, als Männer von dem Schafe essen sollten; auch das Fleisch des Schafes wurde in eben so viele Teile zerlegt. Nun wickelte ein jeder sein Stück Darm um sein Fleisch und legte dieses Präparat in das mit den Steinen ausgekleidete Loch, über welches ein Feuer angemacht wurde. Schon nach kurzer Zeit ward dasselbe hinweggenommen, und die halbgaren Stücke gingen zwischen den Zähnen der Kurden ihrer nützlichen Bestimmung entgegen.

Nach dem Essen zeigte uns der Bey seinen Stall. Es befanden sich in demselben über zwanzig Pferde, doch war unter ihnen nur ein Schimmel, der einer besonderen Aufmerksamkeit würdig war. Dann gab es Kampfspiele und Lieder, zu denen ein zweisaitiges Tambur[118] die Begleitung wimmerte, und endlich wurden von einem Manne Märchen und Geschichten erzählt, Geschichten, Tschiroka: Baka ki mir – vom sterbenden Frosch; Gur bu schevan – der Wolf als Hirt; Schyeri kal – der alte Löwe; Ruvi u bizin – der Fuchs und die Ziege.

Die Versammlung hörte diesen Vorträgen mit größter Aufmerksamkeit zu, mir aber war es sehr lieb, als sie zu Ende waren und wir uns zur Ruhe begeben konnten. Zu diesem Zweck führte uns der Bey in eine große Stube, an deren Wänden rundum Divans standen, die uns zum Lager dienen sollten. Da in diesem Raume gar nichts Merkwürdiges zu sehen war, so wunderte ich mich über die gespannten Blicke, mit denen der Bey uns beobachtete. Es waren ganz die Blicke eines Menschen, der erwartet, daß man bei ihm eine außerordentliche Entdeckung machen und bewundern werde. Endlich erkannte ich aus der so oft wiederkehrenden Richtung seiner Augen den Gegenstand, den wir entdecken und bewundern sollten, und natürlich brach ich sofort in das größtmögliche Erstaunen aus:

 

»Was ist das! O, Bey, mit welch einem großen Reichtum hat Allah dich gesegnet! Deine Schätze sind größer als diejenigen des Bey von Rewandoz oder des Beherrschers von Dschulamerik!«

»Was meinst du, Emir?« fragte er mit einer gewissen Koketterie.

»Ich meine das kostbare Dscham[119], mit welchem du deinen Palast geschmückt hast.«

»Ja, es ist sehr selten und teuer,« antwortete er mit stolzer Bescheidenheit.

»Von wem hast du es?«

»Ich kaufte es von einem Israel[120], der es aus Mossul brachte, um es dem Schah von Persien zu verehren.«

Es wäre unhöflich gewesen, nach dem Preise zu fragen. Der Jude hatte das Märchen vom persischen Schah erfunden und den Bey jedenfalls ganz tüchtig geprellt. Das Glas war nämlich ein kleines Stück einer zerbrochenen Fensterscheibe und hatte die Größe von kaum zwei Mannshänden. Es war als der größte Schmuck des Zimmers an das geölte Papier des Fensters geklebt worden und ließ den Raum nun allerdings über alle Nebenbuhlerschaft erhaben erscheinen. Der Bey wünschte uns eine gute Nacht in dem Bewußtsein, uns mit diesem Fenster außerordentlich imponiert zu haben.

Wir waren müde und sehnten uns nach Ruhe, die wir nun in vollkommener Sicherheit genießen konnten.

113Säbel, Schwert.
114»Herrscher«, eine Höflichkeitssteigerung von Chodih, Herr.
115Wörtlich: Bär des Eises.
116Tisch.
117Lastträger.
118Gitarre.
119Fensterglas.
120Juden.