Der Scout

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»Alle Teufel! Das wird Ernst. Welche beiden Männer werden das sein!« Sein Auge schweifte forschend umher.

»Wir sind es, Sir,« antwortete ich, indem ich aufstand und zu ihnen trat.

»Ihr? Na, wenn Ihr Spione von Juarez seid, so will ich mein Steamboot als Frühstück verzehren!« meinte er, indem er mich musterte.

»Fällt mir nicht ein! Ich bin ein Deutscher und bekümmere mich nicht im mindesten um Eure Politik.«

»Ein Deutscher? Da sind wir ja Landsleute! Ich habe mein erstes fließendes Wasser im Neckar gesehen. Euch darf ich nichts thun lassen. Ich werde sofort am Ufer anlegen, damit Ihr Euch in Sicherheit bringen könnt.«

»Da mache ich nicht mit. Ich muß unbedingt mit diesem Boote weiter und habe keine Zeit zu verlieren.«

»Wirklich! Das ist unangenehm. Wartet einmal!«

Er ging zu Winnetou und sagte ihm etwas. Der Apache hörte ihn an, schüttelte verächtlich mit dem Kopfe und wendete sich ab. Der Kapitän kehrte zu uns zurück und meldete mit verdrießlicher Miene:

»Dachte es mir! Die Rothen haben eiserne Köpfe. Er will auch nicht ans Land gesetzt werden.«

»Dann ist er mit diesen beiden Herren verloren, denn die Kerle werden Ernst machen,« meinte der Conductor besorgt. »Und wir paar Mann vom Steamer können gegen eine solche Uebermacht nichts thun.«

Der Kapitän blickte sinnend vor sich nieder. Dann zuckte es lustig über sein gutmüthiges Gesicht, als ob er einen vortrefflichen Einfall habe, und er wendete sich zu uns:

»Ich werde diesen Sezessionisten einen Streich spielen, an den sie noch lange denken sollen. Ihr müßt Euch aber genau so verhalten, wie ich es von Euch verlange. Macht vor allen Dingen keinen Gebrauch von der Waffe. Steckt Eure Büchsen da unter die Bank zu den Sätteln. Gegenwehr würde die Sache verschlimmern.«

»All devils! Sollen wir uns ruhig lynchen lassen, Master?« rief Old Death verdrießlich.

»Nein. Haltet Euch an passive Gegenwehr! Im richtigen Augenblicke wird mein Mittel wirken. Wir wollen diese Hallunken durch ein Bad abkühlen. Verlaßt Euch auf mich! Habe keine Zeit zur Explication. Die Kerle nahen schon.«

Wirklich kam grad jetzt die Rotte aus der Restauration gestiegen. Der Kapitän wendete sich schnell von uns ab und ertheilte dem Conductor einige leise Befehle. Dieser eilte zum Steuermanne, bei welchem die zwei zum Boote gehörigen Deckhands standen. Kurze Zeit später sah ich ihn beschäftigt, den ruhigeren Passagieren heimliche Weisungen zuzuflüstern, konnte aber nicht weiter auf ihn achten, da ich mit Old Death von den Sezessionisten in Anspruch genommen wurde. Nur so viel bemerkte ich im Verlaufe der nächsten zehn Minuten, daß die erwähnten friedlichen Reisenden sich möglichst eng am Vorderdeck zusammenzogen.

Kaum hatten die betrunkenen Sezessionisten die Restauration verlassen, so waren wir Beide von ihnen umringt. Wir hatten nach der Weisung des Kapitäns die Gewehre weggelegt.

»Das ist er!« rief der Sprecher von gestern, indem er auf mich deutete. »Ein Spion der Nordstaaten, die es mit Juarez halten. Gestern noch ging er als feiner Gentleman gekleidet; heute hat er einen Trapperanzug angelegt. Warum verkleidet er sich? Meinen Hund hat er mir getötet, und Beide haben uns mit ihren Revolvern bedroht.«

»Ein Spion ist er, ja, ein Spion!« riefen die Andern wirr durch einander. »Das beweist die Verkleidung. Und er ist ein Deutscher. Bildet eine Jury! Er muß am Halse baumeln! Nieder mit den Nordstaaten, mit den Yankees und ihren Geschöpfen!«

»Was treibt Ihr da unten, Gentlemen?« rief in diesem Augenblicke der Kapitän von oben herab. »Ich will Ruhe und auch Ordnung an Bord. Laßt die Passagiere ungeschoren!«

»Schweigt, Sir!« brüllte einer aus der Rotte hinauf. »Auch wir wollen Ordnung, und wir werden sie uns jetzt verschaffen. Gehört es zu Euren Obliegenheiten, Spione an Bord zu nehmen?«

»Es gehört zu meinen Obliegenheiten, Leute zu befördern, welche die Passage bezahlen. Kommen Führer der Sezessionisten zu mir, so sollen sie mitfahren dürfen, vorausgesetzt, daß sie zahlen und anständig sind. Das ist meine Loyalität. Und wenn Ihr mir mit der Eurigen das Geschäft verderbt, so setze ich Euch an’s Ufer und Ihr mögt zu Lande nach Austin schwimmen.«

Ein höhnisches, wieherndes Gelächter antwortete ihm. Man drängte Old Death und mich so eng zusammen, daß wir uns nicht rühren konnten. Wir protestirten natürlich, doch wurden unsere Worte durch das fast thierische Geschrei dieser rohen Bande verschlungen. Man stieß uns vom ersten Platze fort, hinaus, bis an die rauchende Esse, an welcher wir aufgeknüpft werden sollten. Dieselbe war oben mit eisernen Oesen versehen, durch welche Taue liefen, also eine wunderbar schöne und praktische Vorrichtung, um Jemanden aufzuhängen. Man brauchte die Taue nur schlaff zu lassen und uns mit der empfindlichen Gegend des Halses an dieselben zu befestigen, um uns dann gemächlich emporzuhissen. Hier also wurde ein Kreis um und ein Gerichtshof über uns gebildet. Das Letztere war eine reine Lächerlichkeit. Ich glaube, die Schufte sind gar nicht dazu gekommen, sich zu fragen, warum wir gar nicht Miene machten, uns zur Wehr zu setzen; sie sahen doch, daß wir im Besitz von Messern und Revolvern waren, uns derselben aber nicht bedienten. Das mußte doch einen Grund haben.

Old Death mußte sich gewaltige Mühe geben, ruhig zu erscheinen. Seine Hand zuckte öfters nach dem Gürtel; aber sobald dann sein Blick nach dem Kapitän flog, winkte dieser verstohlen ab.

»Na,« meinte er zu mir, und zwar deutsch, um nicht verstanden zu werden, »ich will mich noch fügen. Aber wenn sie mir es zu toll treiben, so haben sie in einer einzigen Minute unsere vierundzwanzig Kugeln im Leibe. Schießt nur gleich, wenn ich anfange!«

»Hört Ihr es!« rief der ofterwähnte Rowdy. »Sie reden deutsch. Es ist also erwiesen, daß sie verdammte Dutchmen sind und zu den Schuften gehören, welche den Südstaaten am meisten zusetzen. Was wollen sie hier in Texas? Sie sind Spione und Verräther. Machen wir es kurz mit ihnen!«

Seinem Vorschlage wurde brüllend beigestimmt. Der Kapitän rief ihnen eine strenge Mahnung zu, wurde aber wieder ausgelacht. Dann warf man die Frage auf, ob man nun den Indianer prozessiren oder uns vorher hängen solle, und man entschied sich für das Erstere. Der Vorsitzende schickte zwei Männer ab, den Rothen herbei zu holen.

Da wir rundum von Menschen umgeben waren, konnten wir Winnetou nicht sehen. Wir hörten einen lauten Schrei. Winnetou hatte einen der Abgesandten niedergeschlagen und den andern über Bord geschleudert. Dann war er in die aus Eisenblech gefertigte Cabine des Conductors geschlüpft, welche sich am Radkasten befand. Diese hatte ein kleines Fensterchen, durch welches jetzt die Mündung seiner Doppelbüchse schaute. Natürlich erregte der Vorfall einen fürchterlichen Lärm. Alles rannte an die Schiffsbrüstung, und man schrie dem Kapitän zu, einen Mann in’s Boot zu senden, um den in das Wasser Expedirten aufzufischen. Er kam diesem Rufe nach und gab einem der Deckhands einen Wink. Der Mann sprang in das am Hintertheile befestigte Boot, löste das Tau, an welchem es gehalten wurde, und ruderte nach dem Betreffenden, welcher glücklicherweise ein wenig schwimmen konnte und sich alle Mühe gab, über Wasser zu bleiben.

Ich stand mit Old Death allein. Von Hängen war einstweilen keine Rede mehr. Wir sahen die Augen des Steuermanns und der übrigen Schiffsleute auf den Kapitän gerichtet, welcher uns näher winkte und mit unterdrückter Stimme sagte:

»Paßt auf, Mesch’schurs! Jetzt geb’ ich ihnen das Bad. Bleibt nur ruhig an Bord, es mag geschehen, was da wolle. Macht aber so viel Lärm wie möglich!«

Er hatte stoppen lassen, und das Schiff wurde langsam abwärts getrieben, dem rechten Ufer zu. Dort gab es eine Stelle, über welche sich das Wasser brach, eine seichte Bank. Der Fluß war von da bis zum Ufer überhaupt nicht tief. Ein Wink vom Kapitän – der Steuermann nickte lächelnd und ließ das Boot gerade gegen die Bank treiben. Ein kurzes Knirschen unter uns, ein Stoß, daß Alle taumelten, Viele aber niederstürzten – wir saßen fest. Das lenkte die allgemeine Aufmerksamkeit vom Kahne auf das Schiff. Die ruhigen Passagiere waren alle vom Conductor unterrichtet worden, schrieen aber laut Verabredung, als ob sie die höchste Todesangst auszustehen hätten. Die Andern, welche an einen wirklichen Unfall glaubten, stimmten natürlich mit ein. Da tauchte einer der Deckhands hinten auf, kam scheinbar voller Entsetzen zum Kapitän gerannt und schrie:

»Wasser im Raume, Capt’n! Das Riff hat den Kiel mitten entzwei geschnitten. In zwei Minuten sinkt das Schiff.«

»Dann sind wir verloren!« rief der Kapitän. »Rette sich, wer kann! Das Wasser ist seicht bis zum Ufer. Schnell hinein!«

Er eilte von seinem Platze herab, warf den Rock, die Weste und die Mütze von sich, zog in höchster Eile die Stiefel aus und sprang über Bord. Das Wasser ging ihm nur bis an den Hals.

»Herunter, herunter!« schrie er. »Jetzt ist es noch Zeit. Wenn das Schiff sinkt, begräbt es in seinem Strudel Alle, die sich noch an Bord befinden!«

Er hatte die Kleider von sich geworfen, um sie nicht naß zu machen. Daß der Kapitän der Erste war, der sich rettete, daß er sich vorher halb entkleidete, darüber dachte keiner der Sezessionisten nach. Das Entsetzen hatte sie ergriffen. Sie sprangen über Bord und arbeiteten sich schleunigst nach dem Ufer, ohne darauf zu achten, daß der Kapitän nach der andern, dem Ufer abgekehrten Seite des Schiffes schwamm und dort am schnell niedergelassenen Fallreep an Bord stieg. Das Schiff war nun gesäubert, und wo eine Minute vorher der bleiche Schrecken geherrscht hatte, ertönte jetzt ein lautes lustiges Lachen.

Eben als die ersten der sich Rettenden an das Land stiegen, gab der Kapitän den Befehl, vorwärts zu dampfen. Das seicht gehende, unten breit und sehr stark gebaute Fahrzeug hatte nicht den mindesten Schaden gelitten, und gehorchte willig dem Drucke der Räder. Seinen Rock wie ein Flagge schwenkend, rief der Kapitän zum Ufer hinüber:

 

»Farewell, Gentlemen! Habt Ihr wieder einmal Lust, eine Jury zu bilden, so hängt Euch selber auf. Eure Sachen, welche sich noch an Bord befinden, werde ich in La Grange abgeben. Holt sie Euch dort ab.«

Es läßt sich denken, welchen Eindruck diese höhnischen Worte auf die Gefoppten machten. Sie erhoben ein wüthendes Geheul, forderten den Kapitän auf, sie augenblicklich wieder aufzunehmen, drohten mit Anzeige, Tod und anderen Schreckmitteln, ja schossen ihre Gewehre, soweit dieselben nicht naß geworden waren, auf den Steamer ab, doch ohne irgend welchen Schaden anzurichten. Endlich brüllte Einer in ohnmächtiger Wuth zu dem Kapitän herüber:

»Hund! Wir warten hier auf Deine Rückkehr und hängen Dich an Deiner eigenen Esse auf!«

»Well, Sir! Kommt dann gefälligst an Bord! Bis dahin aber laßt mir die Generale Mejia und Marquez grüßen!« Jetzt hatten wir volle Kraft und dampften in beschleunigtem Tempo weiter, um die versäumte Zeit einzuholen.

3. Kapitel. Die Kukluxes.

Obiges Wort ist noch heut’ ein sprachliches Räthsel, das verschiedentliche Lösungen gefunden hat. Der Name des berüchtigten Kukluxklan, oder anders geschrieben Ku-Klux-Klan, soll nach Einigen nur eine Nachahmung des Geräusches sein, welches durch das Spannen des Gewehrhahnes hervorgebracht wird. Andere setzen ihn zusammen aus cuc, Warnung, gluck, glucksen und clan, dem schottischen Worte für Stamm, Geschlecht oder Bande. Mag dem sein, wie ihm wolle; die Mitglieder des Ku-Klux-Klan wußten wohl selber nicht, woher ihr Name stammte und was er zu bedeuten hatte; es war ihnen auch gewiß ganz gleichgiltig. Einem von ihnen war das Wort vielleicht in den Mund gekommen, die Andern fingen es auf und sprachen es nach, ohne sich um den Sinn oder Unsinn dieser Bezeichnung zu bekümmern.

Nicht so unklar war der Zweck, welchen diese Verbindung verfolgte, die zuerst in einigen Grafschaften Nordkarolina’s auftrat, dann sich schnell über Südkarolina, Georgien, Alabama, Missisippi, Kentucky und Tennessee verbreitete und endlich gar ihre Glieder auch nach Texas sandte, um dort für ihre Zwecke thätig zu sein. Der Bund umfaßte eine Menge grimmiger, gegen die Nordstaaten erbitterter Feinde, deren Aufgabe es war, mit allen Mitteln, auch den unerlaubtesten und verbrecherischsten, gegen die nach der Beendigung des Bürgerkrieges eingetretene Ordnung anzukämpfen. Und in der That hielten die Kukluxes eine ganze Reihe von Jahren lang den Süden in beständiger Aufregung, machten jeden Besitz unsicher, hemmten Industrie und Handel, und selbst die strengsten Maßregeln vermochten es nicht, diesem unerhörten Treiben ein Ende zu machen.

Der Geheimbund, welcher in Folge der Reconstructionsmaßregeln, welche die Regierung dem besiegten Süden gegenüber zu treffen gezwungen war, entstand, rekrutirte sich aus Leuten, welche Anhänger der Sclaverei, aber Feinde der Union und der republikanischen Partei waren. Die Mitglieder wurden durch schwere Eide zum Gehorsam gegen die heimlichen Satzungen und durch Androhung der Todesstrafe zur Geheimhaltung ihrer Organisation verbunden. Sie scheuten vor keiner Gewaltthat, auch nicht vor Brand und Mord zurück, hatten regelmäßige Zusammenkünfte und erschienen bei Ausübung ihrer ungesetzlichen Thaten stets zu Pferde und in tiefer Vermummung. Sie schossen Pfarrherren von den Kanzeln und Richter von ihren Plätzen, überfielen brave Familienväter, um sie mit bis auf die Knochen zerfleischten Rücken inmitten ihrer Familien liegen zu lassen. Alle Raufbolde und Mordbrenner zusammengenommen waren nicht so zu fürchten, wie dieser Ku-Klux-Klan, welcher es so entsetzlich trieb, daß zum Beispiel der Gouverneur von Südkarolina den Präsidenten Grant ersuchte, ihm militärische Hilfe zu senden, da dem Geheimbunde, welcher bereits die bedenklichsten Dimensionen angenommen hatte, nicht anders beizukommen sei. Grant legte die Angelegenheit dem Congresse vor, und dieser erließ ein Anti-Ku-Klux-Gesetz, welches dem Präsidenten dictatorische Gewalt verlieh, die Bande zu vernichten. Daß man gezwungen war, nach einem so drakonischen Ausnahmegesetze zu greifen, ist ein sicherer Beweis, welche außerordentliche Gefahr sowohl für den Einzelnen, wie für die ganze Nation in dem Treiben der Kukluxes lag. Der Klan wurde nachgerade zu einem infernalischen Abgrunde, in welchem sich alle umstürzlisch gesinnten Geister zusammen fanden. Einer der geistlichen Herren, welcher von der Kanzel geschossen wurde, hatte nach der Predigt für das Seelenheil einer Familie gebetet, deren Glieder bei hellem Tage von den Kukluxes ermordet worden waren. In seinem frommen Eifer und auch ganz der Wahrheit gemäß bezeichnete er das Treiben des Klans als einen Kampf der Kinder des Teufels gegen die Kinder Gottes. Da erschien auf der gegenüberliegenden Empore eine vermummte Gestalt und jagte ihm eine Kugel durch den Kopf. Ehe die erschrockene Gemeinde sich von ihrem Entsetzen zu erholen vermochte, war dieser Teufel verschwunden.

Als unser Steamboot in La Grange anlangte, war es Abend geworden, und der Kapitän erklärte uns, daß er wegen der im Flußbett drohenden Gefahren für heute nicht weiter dampfen könne. Wir waren also gezwungen, in La Grange auszusteigen. Winnetou ritt vor uns über die Planke und verschwand zwischen den anstehenden Häusern im Dunkel der Nacht. Wir erwarteten, ihn morgen früh wieder an Bord zu sehen, und bekümmerten uns also nicht um ihn, zumal auch er uns nicht zu beachten schien und nur einmal, nachdem die Sezessionisten vom Schiffe entfernt worden waren, uns einen längern Blick geschenkt hatte. Dieser Blick aber war kein sehr sympathischer, sondern im Gegentheile ein ziemlich verächtlicher gewesen, wohl deßhalb, weil wir uns von den sezessionistischen Schuften so in Schach halten ließen. Er wußte vielleicht nicht, daß wir von dem Kapitän darum gebeten worden waren, und ich gestehe aufrichtig, daß dieser geringschätzende Blick mich noch für lange Zeit irritirte.

Auch in La Grange stand der Commissioner bereit, die Interessen des Schiffseigners zu versehen. Old Death wendete sich sofort an ihn:

»Sir, wann ist das letzte Schiff aus Matagorda hier angekommen, und stiegen alle Passagiere aus?«

»Das letzte Schiff kam vorgestern um dieselbe Zeit an und alle Passagiere gingen an Land, denn der Steamer fuhr erst am andern Morgen weiter.«

»Und Ihr waret hier, als früh wieder eingestiegen wurde?«

»Ganz natürlich, Sir.«

»So könnt Ihr mir vielleicht Auskunft ertheilen. Wir suchen zwei Freunde, welche mit dem betreffenden Steamer gefahren und also auch hier geblieben sind. Wir möchten gern wissen, ob sie dann früh die Fahrt fortgesetzt haben.«

»Hm, das ist nicht leicht zu sagen. Es war so dunkel und die Passagiere drängten so von Bord, daß man dem Einzelnen gar keine besondere Aufmerksamkeit schenken konnte. Wahrscheinlich sind die Leute früh Morgens alle wieder mitgefahren, einen gewissen Master Clinton ausgenommen.«

»Clinton? Ah, den meine ich. Bitte, kommt einmal her zu Eurem Lichte! Mein Freund wird Euch eine Photographie zeigen, um zu erfahren, ob es die Master Clinton’s ist.«

Wirklich erklärte der Commissioner mit aller Entschiedenheit, daß es diejenige des Mannes sei, den er meine.

»Wißt Ihr, wo er geblieben ist?« fragte Old Death.

»Genau nicht; aber sehr wahrscheinlich bei Sennor Cortesio, denn dessen Leute waren es, welche die Koffer holten. Er ist Agent für Alles, ein Spanier von Geburt. Ich glaube, er beschäftigt sich jetzt mit heimlichen Waffenlieferungen nach Mexico hinein.«

»Hoffentlich lernt man in ihm einen Gentleman kennen?«

»Sir, heut’ zu Tage will Jeder ein Gentleman sein, selbst wenn er seinen Sattel auf dem Rücken trägt.«

Das galt natürlich uns Beiden, die wir mit unsern Sätteln vor ihm standen, doch war die Stichelei nicht bös gemeint. Darum fragte Old Death in ungeminderter Freundlichkeit weiter:

»Gibt es hier in diesem gesegneten Orte, wo außer Eurer Laterne kein Licht zu brennen scheint, ein Gasthaus, in welchem man schlafen kann, ohne von Menschen und andern Insekten belästigt zu werden?«

»Es ist nur ein einziges da. Und da Ihr so lange hier bei mir stehen geblieben seid, so werden die andern Passagiere Euch zuvorgekommen sein und die wenigen vorhandenen Räume in Beschlag genommen haben.«

»Das ist freilich nicht sehr angenehm,« antwortete Old Death, der auch diese Stichelei überhörte. »In Privathäusern darf man wohl keine Gastfreundschaft erwarten?«

»Hm, Sir, ich kenne Euch nicht. Bei mir selbst könnte ich Euch nicht aufnehmen, da meine Wohnung sehr klein ist. Aber ich habe einen Bekannten, der Euch wohl nicht fortweisen würde, falls Ihr ehrliche Leute seid. Er ist ein Deutscher, ein Schmied, aus Missouri hergezogen.«

»Nun,« entgegnete mein Freund, »mein Begleiter hier ist ein Deutscher, und auch mir ist die deutsche Sprache geläufig. Spitzbuben sind wir nicht; bezahlen wollen und können wir auch, und so calculire ich, daß Euer Bekannter es einmal mit uns versuchen könnte. Wollt Ihr uns nicht seine Wohnung beschreiben?«

»Das ist nicht nöthig. Ich würde Euch hinführen; aber ich habe noch auf dem Schiffe zu thun. Master Lange, so heißt der Mann, ist jetzt nicht zu Hause. Um diese Zeit sitzt er gewöhnlich im Wirthshause. Das ist so deutsche Sitte hier. Ihr braucht also nur nach ihm zu fragen, Master Lange aus Missouri. Sagt ihm, daß der Commissioner Euch geschickt habe! Geht grad aus und dann links um das zweite Haus; da werdet Ihr das Schänkhaus an den brennenden Lichtern erkennen. Die Läden sind wohl noch offen.«

Ich gab dem Manne ein Trinkgeld für die ertheilte Auskunft, und dann wanderten wir mit unsern Pferdegeschirren weiter. Das Vorhandensein des Wirthshauses war nicht nur an den Lichtern, sondern noch weit mehr an dem Lärm zu erkennen, welcher aus den geöffneten Fenstern drang. Ueber der Thüre war eine Thierfigur angebracht, welche einer Riesenschildkröte glich, aber Flügel und nur zwei Beine hatte. Darunter stand zu lesen: »Hawks inn.« Die Schildkröte sollte also einen Raubvogel vorstellen, und das Haus war der »Gasthof zum Geier«.

Als wir die Stubenthüre öffneten, kam uns eine dicke Wolke übelriechenden Tabaksqualmes entgegen. Die Gäste mußten mit vortrefflichen Lungen ausgerüstet sein, da sie in dieser Atmosphäre nicht nur nicht erstickten, sondern sich augenscheinlich ganz wohl zu befinden schienen. Uebrigens erwies sich der ausgezeichnete Zustand ihrer Lungen bereits aus der ungemein kräftigen Thätigkeit ihrer Sprachwerkzeuge, denn keiner sprach, aber Jeder schrie, sodaß es schien, als ob Niemand auch nur eine Sekunde schweige, um zu hören, was ein Anderer ihm vorbrüllte. Angesichts dieser angenehmen Gesellschaft blieben wir einige Minuten an der Thüre stehen, um unsere Augen an den Qualm zu gewöhnen und die einzelnen Personen und Gegenstände unterscheiden zu können. Dann bemerkten wir, daß es zwei Stuben gab, eine größere für gewöhnliche und eine kleinere für feinere Gäste, für Amerika eine sonderbare und sogar gefährliche Einrichtung, da kein Bewohner der freien Staaten einen gesellschaftlichen oder gar moralischen Unterschied zwischen sich und andern anerkennen wird.

Da vorn kein einziger Platz mehr zu finden war, so gingen wir nach der hinteren Stube, die wir ganz unbeachtet erreichten. Dort standen noch zwei Stühle leer, die wir für uns in Anspruch nahmen, nachdem wir die Sättel in eine Ecke gelegt hatten. An dem Tische saßen mehrere Männer, welche Bier tranken und sich in deutscher Sprache unterhielten. Sie hatten uns nur einen kurzen, forschenden Blick zugeworfen, und es schien mir, daß sie bei unserem Nahen schnell auf ein anderes Thema übergegangen seien, wie ihre unsichere, suchende Sprachweise vermuthen ließ. Zwei von ihnen waren einander ähnlich. Man mußte sie auf den ersten Blick für Vater und Sohn halten, hohe kräftige Gestalten mit scharf markirten Zügen und schweren Fäusten, ein Beweis fleißigen und anstrengenden Schaffens. Ihre Gesichter machten den Eindruck der Biederkeit, waren aber jetzt von lebhafter Aufregung geröthet, als ob man sich über ein unliebsames Thema unterhalten hätte.

Als wir uns niedersetzten, rückten sie zusammen, so daß zwischen ihnen und uns ein freier Raum entstand, ein leiser Wink, daß sie nichts von uns wissen wollten.

»Bleibt immerhin sitzen, Mesch’schurs!« sagte Old Death. »Wir werden Euch nicht gefährlich, wenn wir auch seit heut’ früh fast gar nichts gegessen haben. Vielleicht könnt Ihr uns sagen, ob man hier etwas Genießbares bekommen kann, was Einem die liebe Verdauung nicht allzu sehr maltraitirt?«

 

Der Eine, den ich für den Vater des Andern hielt, kniff das rechte Auge zusammen und antwortete lachend:

»Was das Verspeisen unserer werthen Personen betrifft, Sir, so würden wir uns wohl ein Wenig dagegen wehren. Uebrigens seid Ihr ja der reine Old Death, und ich glaube nicht, daß Ihr den Vergleich mit ihm zu scheuen brauchtet.«

»Old Death? Wer ist denn das?« fragte mein Freund mit möglichst dummem Gesicht.

»Jedenfalls ein berühmteres Haus als Ihr, ein Westmann und Pfadfinder, der in jedem Monate seines Herumstreichens mehr durchgemacht hat, als tausend Andere seit ihres ganzen Lebens. Mein Junge, der Will, hat ihn gesehen.«

Dieser »Junge« war vielleicht sechsundzwanzig Jahre alt, tief gebräunten Angesichtes, und machte den Eindruck, als ob er es gern und gut mit einem halben Dutzend Anderer aufnehmen würde. Old Death betrachtete ihn von der Seite her und fragte:

»Der hat ihn gesehen? Wo denn?«

»Im Jahre Zweiundsechzig, droben im Arkansas, kurz vor der Schlacht bei Pea Ridge. Doch werdet Ihr von diesen Ereignissen wohl kaum etwas wissen.«

»Warum nicht? Bin oft im alten Arkansas gewandert und glaube, um die angegebene Zeit nicht weit von dort gewesen zu sein.«

»So? Zu wem habt Ihr Euch denn damals gehalten, wenn man fragen darf? Die Verhältnisse liegen jetzt und in unserer Gegend so, daß man die politische Farbe eines Mannes, mit welchem man an einem Tische sitzt, genau kennen muß.«

»Habt keine Sorge, Master! Ich vermuthe, daß Ihr es nicht mit den besiegten Sklavenzüchtern haltet, und bin vollständig Eurer Meinung. Daß ich übrigens nicht zu dieser Menschensorte gehöre, konntet Ihr daraus ersehen, daß ich deutsch spreche!«

»Seid uns willkommen. Aber irrt Euch nicht, Sir! Die deutsche Sprache ist ein trügerisches Erkennungszeichen. Es gibt im andern Lager auch Leute, welche mit unserer Muttersprache ganz leidlich umzugehen wissen und dies benutzen, um sich in unser Vertrauen einzuschleichen. Das habe ich zur Genüge erfahren. Doch wir sprachen von Arkansas und Old Death. Ihr wißt vielleicht, daß dieser Staat sich beim Ausbruche des Bürgerkrieges für die Union erklären wollte. Es kam aber unerwartet ganz anders. Viele tüchtige Männer, denen das Sklaventhum und ganz besonders das Gebahren der Südbarone ein Gräuel war, thaten sich zusammen und erklärten sich gegen die Sezession. Aber der Mob, zu dem ich natürlich auch diese Barone rechne, bemächtigte sich schleunigst der öffentlichen Gewalt; die Verständigen wurden eingeschüchtert, und so fiel Arkansas dem Süden zu. Es verstand sich ganz von selbst, daß dies besonders unter den Einwohnern deutscher Abstammung eine große Erbitterung erweckte. Sie konnten aber vor der Hand nichts dagegen thun und mußten es dulden, daß namentlich die nördliche Hälfte des schönen Landes unter den Folgen des Krieges außerordentlich zu leiden hatte. Ich wohnte in Missouri, in Poplar Bluff, nahe der Grenze von Arkansas. Mein Junge, der da vor Euch sitzt, war, wie sich ganz von selbst versteht, in eines der deutschen Regimenter getreten. Man wollte den Unionisten in Arkansas zu Hilfe kommen und schickte eine Abtheilung zur Kundschaftung über die Grenze. Will war bei diesen Leuten. Sie trafen unversehens auf eine erdrückende Uebermacht und wurden nach verteufelter Gegenwehr überwältigt.«

»Also kriegsgefangen? Das war damals freilich schlimm. Man weiß, wie die Südstaaten es mit ihren Gefangenen trieben, denn von hundert derselben starben mindestens achtzig an schlechter Behandlung. Aber direct ging es doch nicht an’s Leben?«

»Oho? Da seid Ihr gewaltig auf dem Holzwege. Die braven Kerle hatten sich wacker gehalten, alle ihre Munition verschossen und dann noch mit Kolben und Messer gearbeitet. Das ergab für die Sezessionisten gewaltige Verluste, und darüber erbost, entschlossen sie sich, die Gefangenen über die Klinge springen zu lassen. Will war mein einziger Sohn, und ich stand also ganz nahe daran, ein verwaister Vater zu werden, und daß ich es nicht wurde, habe ich nur Old Death zu verdanken.«

»Wieso, Master? Ihr macht mich außerordentlich neugierig. Hat dieser Pfadfinder etwa ein Streifcorps herbei geführt, um die Gefangenen zu befreien?«

»Da wäre er zu spät gekommen, denn bevor solche Hilfe erscheinen konnte, wäre der Mord geschehen gewesen. Nein, er fing es als ächter, richtiger und verwegener Westmann an. Er holte die Gefangenen ganz allein heraus.«

»Alle Wetter! Das wäre ein Streich!«

»Und was für einer! Er schlich sich in das Lager, auf dem Bauche, wie man Indianer beschleicht, eine List, die ihm durch einen Regen, welcher an jenem Abende in Strömen niederfiel und die Feuer auslöschte, erleichtert wurde. Daß dabei einige Vorposten sein Messer gefühlt haben, versteht sich ganz von selbst. Die Sezessionisten lagen in einer Farm, ein ganzes Bataillon. Die Offiziere hatten natürlich das Wohnhaus für sich behalten, und die Truppen waren untergebracht worden, wie es eben ging; die Gefangenen aber, über zwanzig an der Zahl, hatte man in die Zuckerpresse eingeschlossen. Dort wurden sie von vier Posten bewacht, je einer an jeder Seite des Gebäudes. Am nächsten Morgen sollten die armen Teufel füsilirt werden. Des Nachts, kurz nach der Ablösung der Posten, hörten sie ein außergewöhnliches Geräusch über sich, auf dem Dache, das nicht vom aufprasselnden Regen herrührte. Sie lauschten. Da krachte es plötzlich. Das aus langen, aus Weichholz geschleißten Schindeln bestehende Dach war aufgesprengt worden. Irgend Jemand arbeitete das so entstandene Loch weiter, bis der Regen in die Presse fiel. Dann blieb es wohl über zehn Minuten lang still. Nach dieser Zeit aber wurde ein junger Baumstamm, an welchem sich noch die Aststummeln befanden, und der stark genug war, einen Menschen zu tragen, herabgelassen. An demselben stiegen die Gefangenen auf das Dach des niedrigen Gebäudes und von demselben zur Erde herab. Dort sahen sie die vier Posten, welche wohl nicht blos geschlafen haben werden, regungslos liegen und nahmen ihnen augenblicklich die Waffen. Der Retter brachte die Befreiten mit großer Schlauheit aus dem Bereiche des Lagers und auf den nach der Grenze führenden Weg, den sie alle kannten. Erst hier erfuhren sie, daß es Old Death, der Pfadfinder sei, der sein Leben gewagt hatte, um ihnen das ihrige zu erhalten.«

»Ist er mit ihnen gegangen?« fragte Old Death,

»Nein. Er sagte, er habe noch Wichtiges zu thun, und eilte fort, in die finstere, regnerische Nacht hinein, ohne ihnen Zeit zu lassen, sich zu bedanken oder ihn sich anzusehen. Die Nacht war so dunkel, daß man das Gesicht eines Menschen nicht erkennen konnte. Will hat nichts bemerken können als nur die lange, hagere Gestalt. Aber gesprochen hat er mit ihm und weiß noch heute jedes Wort, welches der wackere Mann zu ihm sagte. Käme Old Death uns einmal in die Hände, so sollte er erfahren, daß wir Deutsche dankbare Menschen sind.«

»Das wird er wohl auch ohnedies wissen. Ich calculire, daß Euer Sohn nicht der erste Deutsche ist, den dieser Mann getroffen hat. Aber, Sir, kennt Ihr vielleicht hier einen Master Lange aus Missouri?«

Der Andere horchte auf.

»Lange?« fragte er. »Warum fragt Ihr nach ihm?«

»Ich fürchte, daß wir hier im »Geier« keinen Platz mehr finden, und erkundigte mich bei dem Commissioner am Flusse nach einem Manne, der uns vielleicht ein Nachtlager geben werde. Er nannte uns Master Lange und rieth uns, diesem zu sagen, daß der Commissioner uns zu ihm schicke. Dabei meinte er, daß wir den Gesuchten hier finden würden.«

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