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Der Oelprinz

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»Da bekomme ich wirklich neuen Mut. Was Poller vorbringt, ist ganz richtig. Ein zerrissenes Papier steckt man nicht ein, sondern wirft es weg; der Bankier hat die Anweisung also nicht zerrissen, sondern aufgehoben.«

»So ist es,« nickte Poller. »Vielleicht gar hat er sie nur deshalb nicht vernichtet, um in ihr ein Andenken an seine Erlebnisse im wilden Westen zu haben.«

»Ja, das ist auch möglich. Ich habe wieder Hoffnung. Es ist mir sogar lieber, daß er sie jetzt hat, als wenn Wolf sie noch hätte. Aus Wolfs Tasche wäre sie nur mit Lebensgefahr und durch einen Mord zu bekommen gewesen, während der Bankier ein unerfahrener Kerl ist, der nicht einmal den Mut besitzen würde, sich ernstlich zu verteidigen. Ja, wenn das Papier wirklich nicht vernichtet sein sollte, sondern noch vorhanden ist, so glaube ich fest, daß wir es leichter als vorher bekommen können. Nicht?«

»Allerdings,« stimmte Buttler ein. »Mit diesem Rollins wird kein Federlesen gemacht. Mit ihm werden wir viel eher fertig, als mit jedem andern. Also, einen Entschluß gefaßt! Was thun wir jetzt?«

»Warten wir hier? Oder reiten wir weiter, den vereinigten Weißen und Roten nach?«

»Wir folgen ihnen.«

»Aber mit doppelter Vorsicht!«

»Das wird gar nicht sehr nötig sein. Sie haben uns Späher entgegengeschickt und ahnen nicht, daß wir diese Kerls erschossen haben. Sie wissen uns also unter Aufsicht und werden denken, daß sie von den Kundschaftern Nachricht erhalten, ehe wir kommen. Wir können also frisch weiterreiten, ohne uns viel umzusehen.«

Sie stiegen wieder auf, nahmen die beiden erbeuteten Pferde am Leitzügel und ritten weiter, den Spuren der Navajos und der Weißen nach.

Es kam so, wie sie es sich gedacht hatten: ihr Ritt ging glatt von statten und niemand stellte sich ihnen in den Weg. Es ging immer auf dem hohen Ufer des Flusses in der Nähe des Baum- und Strauchsaumes hin, und die Fährte, welcher sie folgten, blieb sich immer gleich, bis sie an eine Stelle kamen, an welcher sie bedeutend breiter und viel ausgetretener war. Das mußte einen Grund haben. Sie hielten also an und stiegen ab, um die Spuren hier zu untersuchen. Sie befanden sich an dem Orte, an welchem Schi-So im Gebüsch gestern abend mit den Pferden auf Old Shatterhand und Winnetou gewartet hatte und wo der Apache heut früh die vereinigten Weißen und Roten hatte empfangen wollen.

»Hier haben die Kerle längere Zeit gehalten,« sagte Buttler. »Das sieht man ganz genau. Die Pferde sind nicht über den Boden fortgelaufen, sondern sie haben dagestanden und ihn zerstampft und sogar mit den Hufen aufgescharrt.«

»Welche Ursache mag da vorgelegen haben?« meinte der Oelprinz.

»Wer weiß das! Wahrscheinlich erfahren wir es später.«

»Ich möchte es aber schon jetzt wissen. Seht, da führen Spuren von hier grad ins Gebüsch! Wollen einmal sehen, was es da drin gegeben hat!«

Sie ließen ihre Pferde stehen und gingen auf das Gesträuch zu. Da hörten sie eine Stimme in deutscher Sprache rufen:

»Zu Hilfe, zu Hilfe! Kommt her, kommt hier herein!«

Sie blieben stehen und horchten.

»Das war nicht englisch,« sagte der Oelprinz.

»Es schien deutsch zu sein; ich verstehe es aber nicht,« meinte Buttler.

»Aber ich verstehe es,« erklärte Poller, der einstige Führer der Auswanderer. »Es ruft jemand um Hilfe und bittet uns, zu ihm hineinzukommen.«

»Das können wir thun, denn wenn jemand unsre Hilfe braucht, da haben wir nichts zu befürchten.«

»Aber wenn es eine Finte ist, wenn wir in eine Falle gelockt werden sollen!«

»Das glaube ich nicht. Kommt nur immer mit!«

Sie folgten den Fuß- und Hufstapfen, die in das Gebüsch führten, und sahen bald zwei gesattelte Pferde, welche im Gesträuche angebunden waren. Sie schienen dem um Hilfe Bittenden so nahe gekommen zu sein, daß er sie sehen konnte, denn er rief jetzt:

»Hierher, hierher, Herr Poller! Haben Sie die Güte und schneiden Sie mich los!«

»Er ruft mich; er kennt mich!« sagte Poller.

»Kommen Sie doch, Herr Poller, kommen Sie schnell!« rief es wieder.

»Alle Teufel! Wenn ich mich da nicht irre, so ist das die Stimme des verrückten Kantors, der eine Oper von zwölf Akten komponieren will und dabei allerlei Dummheiten macht! Kommt! Da brauchen wir uns freilich nicht zu fürchten.«

»Aber,« meinte der Oelprinz vorsichtig, »er gehört jetzt zu Old Shatterhand und Winnetou, und wer weiß, ob das nicht eine Schlinge ist, in welche wir die Köpfe stecken sollen.«

»Schwerlich, schwerlich! Ich bin vielmehr überzeugt, daß er abermals infolge eines dummen Streiches hier stecken- und zurückgeblieben ist. Kommt nur getrost mit mir weiter!«

Er drang tiefer in das Gebüsch ein, und sie folgten ihm. Da bewahrheitete sich die Vermutung Pollers allerdings, denn sie sahen den Kantor, dem die Hände auf den Rücken und dann an den Stamm eines Baumes festgebunden waren. Man hatte das allerdings in einer Weise gethan, daß er sich dabei in einer völlig schmerzlosen und ganz bequemen Lage befand, denn er saß in dem weichen Grase des ebenso weichen Bodens und lehnte mit dem Rücken an dem Baum.

»Sie, Herr Kantor?« fragte Poller. »Das ist doch sonderbar!«

»Kantor emeritus, wenn ich Sie bitten darf! Es ist sowohl der Vollständigkeit, als auch der Unterscheidung wegen, denn ein Emeritus ist nicht mehr aktiv, Herr Poller.«

»Ihre Lage scheint allerdings eine mehr passive als aktive zu sein. Wie sind Sie denn in diese Passivität geraten?«

»Man hat mich hier angebunden.«

»Das sehe ich. Aber wer?«

»Stone und Parker.«

»Aber die können das doch nicht aus eigenem Antriebe gethan haben!«

»Nein. Old Shatterhand war es, der es ihnen befohlen hat.«

»Warum?«

»Das – – das weiß – – das weiß ich eigentlich gar nicht,« sagte er, weil er sich doch genierte, den Grund mitzuteilen.

»Aber Old Shatterhand thut doch nie etwas ohne Ursache!«

»Nein; er wird wohl auch hier eine gehabt haben; aber ich kenne sie wirklich nicht. Fragen Sie mich also nicht darnach, sondern schneiden Sie mich lieber los!«

»Das kann nicht so leicht und schnell geschehen, wie Sie denken.«

»Warum?«

»Ich möchte wohl, aber – – – aber ich muß auch wissen, daß es angebracht ist und keinen Schaden macht.«

»Was sollte es denn für Schaden bringen!«

»Das weiß ich nicht; aber Old Shatterhand wird es wissen. Er hat Sie jedenfalls hier anbinden lassen, um Sie an der Ausführung irgend einer Dummheit zu verhindern. Dennoch aber finde ich es sehr unrecht von ihm, Sie hier festknüpfen und in der Wildnis so allein und ohne Schutz zu lassen.«

»Allein? Ich bin nicht allein.«

»Nicht?«

»Nein. Es ist noch jemand da.«

»Wer?«

»Herr Rollins, der Bankier.«

»Der?« fragte Poller, indem es wie Befriedigung über sein Gesicht ging. »Nur dieser oder noch jemand?«

»Er allein.«

»Auch angebunden?«

»Nein, sondern um mich zu bewachen. Er hat sich selbst dazu angeboten. Ich habe ihn ohne Unterlaß himmelhoch gebeten, mich loszumachen; aber er hat mir meinen Wunsch nicht erfüllt. Er ist ein gefühlloser, grausamer Mensch.«

Diese Ansicht des Kantors war Poller höchst willkommen; darum sagte er, ihn in derselben bestärkend.

»Ja, das war allerdings grausam von ihm und verdient eine sehr nachdrückliche Strafe. Man sollte eigentlich Sie losmachen und ihn dafür anbinden!«

»Ja, das wäre ihm sehr recht! Ich würde mich sehr darüber freuen und ihn auch nicht losbinden, und wenn er mich noch so sehr darum bäte. Ich ließe ihn hängen und ginge fort, um seine Klagen oder Vorwürfe gar nicht zu hören.«

»Wohin würden Sie da gehen?«

»Den andern nach, hinunter nach dem Winterwasser.«

»Ah, die andern sind am Winterwasser?«

»Ja.«

»Was wollen sie dort?«

»Die Nijoras angreifen und gefangen nehmen, die dort auf uns gelauert haben.«

»Ob ihnen das gelingen wird!«

»Gewiß! Old Shatterhand war ganz überzeugt davon und Winnetou auch. Dieser ist während der ganzen Nacht hier gewesen, um die Nijoras zu belauschen. Ich durfte nicht mit, weil sie glaubten, daß ich – daß ich – – hm; darum banden sie mich fest, und der Bankier erbot sich, bei mir zu bleiben, da sonst niemand sich dazu meldete. Er wollte lieber hier sein, als sich in die Gefahr begeben, während des Kampfes von den Wilden entweder blessiert oder gar ermordet zu werden.«

»Das war sehr, sehr klug von ihm. Können Sie vielleicht sagen, ob er mit dem Wolf gesprochen hat?«

»Mit dem Deutschen, der zu den Navajos gehört?«

»Ja,«

»Gewiß hat er mit ihm gesprochen.«

»Was?«

»Verschiedenes. Ich habe nicht aufgemerkt, weil ich meine Gedanken bei meiner Heldenoper haben muß.«

»Wenn Sie das nicht wissen, so haben Sie doch vielleicht erfahren, ob er ihm etwas gegeben hat?«

»Gegeben? Allerdings.«

»Was?«

»Die Anweisung, welche er Ihnen abgenommen hat.«

»So! Wissen Sie das genau?«

»Nein; ich war nicht dabei; aber ich habe es gehört, als sie davon sprachen.«

»Das ist mir lieb. Da befindet sich das Papier nun endlich einmal in den richtigen Händen.«

»Ja. Er wird es sich nicht wieder nehmen lassen.«

»So hat er es wohl vernichtet?«

»O nein. Er will es als Andenken aufbewahren.«

»Das glaube ich, Es wird ein gutes Erinnerungszeichen an die Abenteuer sein, welche er erlebt hat. Er hat es natürlich zu den andern Papieren in die Brieftasche gesteckt?«

»Nein, das hat er nicht gethan, denn er meinte, so eine Anweisung sei ein gefährliches Ding für ihn. Wenn es in falsche Hände gerät und in San Francisco präsentiert wird, so erhält der Betreffende das Geld und Rollins muß es dann einbüßen. Darum hat er das Papier sehr gut versteckt.«

»Versteckt? Hm, was heißt versteckt! Man glaubt zuweilen etwas sehr gut, ganz vorzüglich aufgehoben zu haben, und verliert es doch.«

 

»Dieser nicht. Er hat es zwischen das Futter seines Rockkragens geschoben. Dort sucht es niemand.«

»Das hat er allerdings schlau angefangen. Aber ich sehe ihn doch nicht. Wo ist er denn?«

»Fort. Er saß drüben am Rande des Gebüsches und sah Sie kommen. Da bekam er Angst und versteckte sich.«

»Erkannte er uns denn?«

»Nein. Sie waren zu weit entfernt. Aber da Sie von dieser Seite kamen und also nicht zu unsern Freunden gehören konnten, hielt er Sie für Feinde, denen man nicht trauen darf. Er wollte sich lieber gar nicht sehen lassen.«

»So ist er also fort und Ihnen ist sein Versteck unbekannt?«

»O, ich kenne es!«

»So sagen Sie es uns, damit wir ihn holen und ihm beweisen können, daß —wir es gut mit ihm und Ihnen meinen!«

»Gut meinen?« antwortete der Kantor mit dem Bestreben, seinem Gesicht einen pfiffigen, besserwissenden Ausdruck zu geben. »Da denken Sie wohl gar, daß ich Ihren Worten glaube, verehrter Herr Poller?«

»Natürlich.«

»Fällt mir gar nicht ein. Uns Jüngern der Wissenschaft macht man nicht so leicht etwas weiß.«

»Das ist gar nicht meine Absicht. Was ich sage, das ist wahr , ich meine es gut mit ihm und mit Ihnen.«

»Vielleicht mit mir, aber nicht mit ihm!«

»Warum?«

»Weil Sie schlecht an ihm gehandelt haben.«

»Das bildet er sich nur ein.«

»Nein. Das mit der Petroleumquelle ist nicht wahr gewesen. Sie haben ihn um das viele Geld bringen wollen.«

»Unsinn! Wenn er den See genau untersucht, so wird er finden, daß die Quelle wirklich vorhanden ist. Er versteht aber nichts davon und hat sich von andern Leuten gegen uns einnehmen lassen. Wie ehrlich wir sind, können Sie daraus ersehen, daß wir dem Wolf die Quittung gegeben haben, als wir bei den Navajos waren.«

»Hat er sie Ihnen denn nicht abgenommen?«

»Nein. Ein so wertvolles Papier läßt man sich nicht abnehmen. Er hat doch gar nicht gewußt, daß wir es hatten, also müssen wir es ihm doch gesagt haben.«

»Das stimmt allerdings.«

»Darum möchten wir jetzt gern einmal mit ihm sprechen und ihm sagen, was er zu thun hat, wenn er sich je noch in den Besitz der Quelle setzen und ein reicher Mann werden will. Also, wo steckt er?«

»Hm, ich weiß noch nicht recht, ob ich es sagen soll.«

»So behalten Sie es für sich! Uns kann es ja gleich sein. Aber ich dachte, es würde Ihnen Spaß machen, wenn wir ihn an Ihrer Stelle anbänden.«

»Ja, das würde mir Spaß machen, ungeheuren Spaß! Er hätte es verdient, weil er für meine Bitten nur taube Ohren hatte.«

»Und Sie würden dann aus Ihrer Lage befreit!«

»Sonst nicht?«

»Nein.«

»Aber ich habe Sie doch auch befreit, als ich Ihnen mein Federmesser gab! Es würde höchst undankbar von Ihnen sein, wenn Sie mich hier hängen ließen.«

»Das sind zwei sehr verschiedene Fälle. Bei uns handelte es sich um das Loben. Wir waren von den Feinden gefesselt worden. Bei Ihnen aber handelt es sich nur um eine jedenfalls sehr begründete Vorsichtsmaßregel, und Sie sind von Ihren Freunden hier angebunden worden. Wenn ich Sie dadurch von Feinden befreien und vom Tode erretten könnte, würde ich Sie sofort abbinden, so aber werde ich mich hüten, etwas gegen den Willen Old Shatterhands zu thun. Höchstens thäte ich es, um den Bankier an Ihre Stelle zu setzen und ihn also für die Grausamkeit zu bestrafen, welche er Ihnen gegenüber gezeigt hat.«

»Ja, grausam war es, außerordentlich grausam!«

»Und bedenken Sie, welche Scene das für Ihre Oper ergeben würde! Der, welchen Sie vergeblich angefleht haben, muß dann Sie bitten, ihn loszumachen! Das ist die alles bestrafende Gerechtigkeit, auf welche es bei jedem Theaterstücke doch am meisten ankommt.«

»Ja, ja, da haben Sie recht!« rief der Kantor wie elektrisiert. »Eine Scene für meine Oper, eine prächtige, eine herrliche Scene! Erst flehe ich ihn an; das gibt eine Gnadenarie für Bariton. Er verweigert mir die Erfüllung meiner Bitte im zweiten Baß. Dann wird der Bariton frei und der zweite Baß wird angebunden. Das gibt wieder eine Gnadenarie, auf welche dann ein großes Duett für zweiten Baß und Bariton folgt. Das macht Effekt; das macht Effekt, ungeheuren Effekt! Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar, daß Sie mich hierauf aufmerksam gemacht haben.«

»Soll ich also den Bankier holen und an Ihrer Stelle anbinden?«

»Ja, holen Sie ihn!«

»Wo ist er aber?«

»Er sagte, es gebe hier hinter uns einen schmalen Riß im Felsen des Ufers, der mit Gesträuch überwachsen sei. Dort hinein wollte er sich verstecken.«

»Gut, wir werden den Riß leicht finden; nur muß ich vorher hier meinen Gefährten sagen, um was es sich handelt, und sie fragen, ob sie damit einverstanden sind.«

Er übersetzte ihnen den Inhalt des Gespräches. Sie hätten gar zu gern den Kantor auslachen mögen, hatten aber keine Zeit dazu vor Freude darüber, daß es ihnen so unerwartet gelingen solle, wieder zu der Anweisung zu kommen. Sie hatten auch ganz und gar nichts dagegen, daß der Bankier an des Kantors Stelle angebunden werden solle, denn dem letzteren mußten sie dankbar sein, während sie dem ersteren gern alles Böse gönnten.

Die drei entfernten sich also für kurze Zeit, um nach dem Risse zu suchen; sie fanden ihn unschwer in nicht zu großer Entfernung von dem Baume, an welchem der Kantor hing. Als sie das Gezweig, welches ihn bedeckte, zur Seite schoben, sahen sie Rollins, der mit eng zusammengeschmiegtem Körper in der Spalte steckte. Sie hatten ihre Messer in den Händen, und der Oelprinz sagte in höhnischem Tone:

»Hallo, Mr. Rollins, was thut Ihr in dieser Felsenöffnung? Sucht Ihr vielleicht eine Petroleumquelle da?«

Der Bankier erschrak, als er die drei erkannte. Daß sie die drei Reiter seien, die er gesehen hatte, das hatte er nicht gedacht. Er mußte sich natürlich sagen, daß von diesen Leuten für ihn nichts Gutes zu erwarten sei. Er war kein Held, hätte sich aber gegen einen doch verteidigt; hier standen drei vor ihm, mit Messern in den Händen; er sah ein, daß eine Gegenwehr da seine Lage nur verschlimmern könne.

»Seid doch so gut und kommt heraus!« forderte ihn der Oelprinz auf. Ihr versäumt ja ganz und gar die Pflicht, zu der Ihr berufen worden seid!«

»Pflicht?« antwortete er, indem er sich ängstlich und verlegen aus der Spalte hervormachte.

»Ja, Sir. Ihr sollt doch Euern guten Freund, den Kantor, bewachen. Warum seid Ihr davongelaufen?«

»Ich sah drei Reiter kommen, wußte aber nicht, daß ihr es waret.«

»So! Ihr wäret also, wenn Ihr uns erkannt hättet, nicht geflohen?«

»Nein.«

»Freut mich, daß Ihr so große Freundschaft für uns und so großes Vertrauen zu uns hegt! Da Ihr nun wißt, daß wir es sind, so werdet Ihr wohl mit uns zu dem Kantor zurückkehren. Also kommt!«

Sie nahmen ihn in die Mitte und brachten ihn zu dem Baume. Dort nahm ihm der Oelprinz die beiden Revolver und die Munition ab und sagte: »Ihr steht unter einem mächtigen Schutze und braucht keine Waffen, während wir verteufelt schlecht bewaffnet sind. Ihr werdet uns also gewiß gern aushelfen. Und nun muß ich Euch etwas recht Lustiges sagen. Ihr habt dem Kantor auf all sein Bitten nicht den Gefallen gethan, ihn loszubinden – – —«

»Das ist mir verboten worden!« fiel er rasch ein.

»Geht uns nichts an! Er ist natürlich sehr aufgebracht darüber und wünscht, Euch einmal fühlen zu lassen, wie es ist, wenn man an einem Baume hängt. Wir sind gutmütiger als Ihr und werden ihm diesen sehr bescheidenen Wunsch erfüllen.«

»Was meint ihr?« stotterte er ängstlich hervor. »Was soll das heißen? Wollt ihr etwa – – —?!«

»Euch anbinden? Ja.«

»Hört, das dulde ich nicht, Mesch’schurs!«

Er richtete sich möglichst stramm auf und gab sich Mühe, martialisch auszusehen. Da klopfte der Oelprinz ihm auf die Achsel und sagte lachend:

»Blast Euch nicht unnötig auf, Sir! Wir kennen Euch doch genau! Wir werden Euch anbinden. Wehrt Ihr Euch dagegen, so brauchen wir Gewalt, und Ihr kennt uns gut genug, um zu wissen, daß Ihr dann nicht wohl mit heiler Haut davonkommen werdet. Laßt Ihr es Euch aber gefallen, so reiten wir dann weiter, ohne uns ferner um Euch zu kümmern. Wir wollen dem Kantor den Willen thun, weiter nichts. Wenn wir dann fort sind, kann er Euch wieder losmachen. Also, was sagt Ihr zu der Sache?«

Er nahm eine drohende Haltung an und spielte mit seinem Messer. Buttler und Poller folgten diesem seinem Beispiele. Dem Bankier wurde es himmelangst. Daß er von diesen Leuten keine Schonung zu erwarten habe, das wußte er. Sein Stolz fühlte sich beleidigt; er, der Bankier, der Gentleman, sollte sich vor diesen Mördern und Betrügern demütigen; das ging ihm gegen den Strich, doch dachte er mit keinem Gedanken daran, sich zu weigern und ihnen Widerstand zu leisten. Am besten war es, klug zu sein und ihnen den Willen zu thun. Sie wollten ihn ja nur anbinden und dann fortgehen. Waren sie fort, so konnte der Kantor ihn sofort wieder freimachen. Darum zwang er seinen Grimm hinunter und sagte in einem Tone, als ob es ihm gar nicht schwer falle, auf den Scherz einzugehen:

»Was ich dazu sage? Nichts. Ob ich da an diesem Baume sitze oder anderswo, das ist mir gleich. Wenn es euch Spaß macht, diesem verrückten Menschen seinen noch verrückteren Wunsch zu erfüllen, so thut es. Mir fällt es nicht ein, mich deshalb mit euch herumzubalgen.«

»Das ist sehr verständig, höchst verständig von Euch,« grinste ihn der Oelprinz an. »Es ist allerdings eine ganz und gar verrückte Idee von ihm. Er hat sich über Euch geärgert und will Euch zur Strafe dafür am Baume sehen; das ist die Sache. Wir haben versprochen, ihm den Willen zu thun, und wenn wir es thun, so geschieht es nur der Form wegen und für ganz kurze Zeit. Mag also jetzt der Spaß beginnen!«

Er band den Kantor los. Rollins trat an den Baum, hielt seine Hände hin und sagte:

»Da, macht euch das billige Vergnügen, Mesch’schurs!«

Er hatte natürlich geglaubt, daß man ihn ebenso leicht binden werde, wie der Kantor gebunden gewesen war; aber er sollte sofort einsehen, wie groß sein Irrtum gewesen war. Poller ergriff ihn beim rechten und Buttler beim linken Arme. Sie rissen ihn mit einem so rücksichtslosen Ruck mit dem Rücken an den Baum, daß er laut aufschrie, und legten seine Arme rückwärts an den Stamm. Während sie sie da festhielten, band ihm der Oelprinz die Hände zusammen und antwortete:

»Ja, Mr. Rollins, das billige Vergnügen beginnt; aber Euch kann es leicht sehr teuer zu stehen kommen.«

»Thunderstorm!« fluchte der Bankier. »Was fällt euch denn ein? So haben wir nicht gewettet!«

»Ihr nicht, aber wir!«

»Ihr renkt mir ja alle Glieder aus!«

»Kann Euch gar nichts schaden; aber es wird gar nicht lange dauern. Wartet nur einen Augenblick und haltet den Kopf still, sonst schneide ich Euch die Ohren mit herunter!«

Er trennte ihm, der sich nun nicht zu wehren vermochte, auch wenn er es gewollt hätte, mit zwei, drei raschen Messerschnitten den Kragen vom Rocke.

»Sir, was thut Ihr da hinter mir?« fuhr Rollins auf. »Ich glaube gar, Ihr schneidet da an mir herum!«

»Ja, das thue ich allerdings,« lachte der Oelprinz; »aber es geht Euch nicht an das Leben, sondern nur einstweilen an den Kragen.«

Er trat vor ihn hin und hielt ihm den abgeschnittenen Teil des Rockes vor das Gesicht.

»Mein – – mein – – mein Kragen!« schrie der Bankier auf, indem ihm alles Blut aus dem Gesichte wich.

»Kragen? O nein! Ihr haltet das für einen Rockkragen? Das ist ein großer Irrtum von Euch. Ich sage Euch, daß ich hier eine ganz neumodische Tasche für Wertpapiere in meinen Händen halte.«

»Tasche – —Wertpapiere – – —« stammelte der Getäuschte. »Was – was – – was meint Ihr damit?«

»Werde es Euch augenblicklich zeigen.«

Er griff zwischen das Futter des Kragens, zog ein Papier hervor, faltete es auseinander, warf einen Blick darauf, hielt es dann dem Bankier vor das Gesicht und fuhr in triumphierendem Tone fort:

»Hier ist der Inhalt dieser prächtigen Tasche. Hoffentlich kennt Ihr das Papier. Es sollte für Euch ein Andenken sein, aber ich denke, daß ich es weit besser in Ehren zu halten verstehe als Ihr. So eine Schrift steckt man doch nicht in den Rockkragen, sondern man schafft sie hinunter nach Frisco, um sie dort mit gutem, klingendem Golde zu vertauschen.«

»Ihr seid ein Schurke, ein Räuber, ein – ein – ein – —«

Die Wut erstickte seine Stimme, so daß er kein Wort weiter hervorbrachte. Seine Lippen färbten sich blau und

seine Augen wollten aus ihren Höhlen treten. Er wollte sich von dem Baume losreißen; dabei schnitt ihm aber der Riemen so in das Fleisch, daß er einen gellenden Schmerzensschrei ausstieß.

»Seid still; beruhigt Euch!« hohnlachte der Oelprinz. »Ich nehme mir nur zurück, was man mir unrechtmäßigerweise vorenthalten hat. Ihr seid überlistet, Sir. Gebt Euch keine Mühe, ohne Hilfe vom Baume loszukommen; Ihr verursacht Euch dadurch nur Schmerzen.«

 

Rollins konnte nur mit einem ohnmächtigen Zähneknirschen antworten. Der Kantor war bis jetzt ein stiller Zeuge des Vorganges gewesen; jetzt hielt er es für geraten, sich ins Mittel zu legen. Er sagte in seinem höflichsten Tone:

»Meine verehrtesten Herren, ich muß Sie unbedingt bitten, mir zu sagen, warum Sie diesem Herrn den Kragen vom Rocke geschnitten haben!«

»Weil er nicht an den Rock gehört,« antwortete Poller lachend.

»Oho! Dieser Kragen ist Herrn Rollins Eigentum; er kann ihn also da tragen, wo es ihm beliebt, sogar am Rocke!«

»Es ist ja gar kein Kragen, sondern ein Portefeuille für Wertsachen!«

»So? Und wo pflegt man denn so ein Ding hinzustecken?«

An die Tasche.«

»Gut, so stecken Sie es ihm in die Rocktasche.«

»Diesen Gefallen will ich Ihnen sehr gern erweisen.«

Er nahm dem Oelprinzen den ausgeplünderten Kragen aus der Hand und schob ihn dem Bankier in die erwähnte Tasche.

»Auch das Papier mit!« befahl der Kantor.

»Nein, das werde ich freilich nicht thun. Dieses Papier gehört Mr. Grinley; er wird es also behalten.«

»Es gehört ihm nicht. Sie haben mir ja vorhin gesagt, daß Sie es bei den Navajos freiwillig herausgegeben haben!«

»Ja. Und nun nehmen wir es ebenso freiwillig wieder.«

»Da sind Sie doch Spitzbuben!«

»Ja, das sind wir allerdings, Herr Kantor.«

»Bitte, Herr Kantor emeritus. Es ist das eine ganz notwendige Bezeichnung, auf welcher ich bestehen muß, Sie wollen das Papier also wirklich entwenden?«

»Ja.«

»Dann sind Sie gar nicht wert, daß ein jünger der Kunst, wie ich bin, noch ein Wort mit Ihnen spricht. Machen Sie also, daß Sie fortkommen!«

»Diesen Wunsch werden wir Ihnen sogleich erfüllen, mein lieber Herr Kantor emeritus.«

»So ist’s recht! Man muß die Leute nur immer auf die richtige Ausdrucksweise aufmerksam machen, dann merken sie sich’s endlich doch einmal.«

»Das ist wahr, und ich will nur wünschen, daß Sie für die beiden Gnadenarien und das Duett, welches Sie komponieren wollen, die richtige Ausdrucksweise ebenso finden mögen.«

»O, was das betrifft, so ist das über allem Zweifel erhaben.«

»So sind wir alle außer dem Bankier zufriedengestellt. Leben Sie wohl!«

»Leben Sie wohl, meine Herren!«

Er machte eine Verbeugung. Die drei Räuber gingen hinaus zu ihren Pferden, stiegen auf und ritten davon, sehr zufrieden mit dem Erfolge dieser letzten halben Stunde.

Der Kantor setzte sich nun dem Bankier gegenüber und musterte ihn mit sehr zufriedenen Blicken. Es war ja sein Wunsch erfüllt: er war frei und der andre hing an dem Baume.

Rollins konnte ein solches Verhalten nicht begreifen; es erfüllte ihn mit Wut, und darum schrie er zornig auf ihn ein, indem er ihn in den drohendsten Ausdrücken aufforderte, ihn augenblicklich loszumachen. Dies that er in englischer Sprache, welche der Kantor leider nicht verstand. Vorher hatte dieser letztere, als er noch am Baume hing, dieselbe Bitte mit ganz demselben Mißerfolge wohl hundertmal ausgesprochen, aber in deutscher Sprache, welche dem Bankier unverständlich war. Dieser hatte geglaubt, der Kantor räsonniere auf Old Shatterhand und die beiden Personen, die ihn angebunden hatten. Es war verboten worden, ihn loszubinden, und darum hatte Rollins nicht angenommen, daß er los wolle; der Emeritus aber hatte geglaubt, der andre wolle ihn nicht aus seiner Lage befreien; daher vorhin sein Aerger über ihn und daher jetzt die Ruhe, mit welcher er das Geschrei anhörte und die Anstrengungen ansah, welche Rollins machte, um vom Baume loszukommen.

Während dieser alle möglichen englischen Schimpfwörter herwetterte, saß der Komponist ihm gegenüber, um ihn zu studieren, und pfiff dabei eine Melodie durch die Zähne, aus welcher sich eine Gnadenarie entwickeln sollte. Der Bankier schäumte fast vor Wut über sein Gegenüber und verwünschte es tausendmal, daß er sich angeboten hatte, bei ihm zu bleiben. Dann, als sein Grimm den höchsten Grad erreicht hatte, trat auf diese Aufregung eine plötzliche große Abspannung ein. Die Folge derselben war, daß er ruhiger zu überlegen vermochte. Er hatte von seinem Buchhalter Baumgarten einige deutsche Brocken profitiert, und der Kantor hatte sich, wie er wußte, auch einige englische Ausdrücke gemerkt. Sollte es denn nicht möglich sein, auf Grund dieser freilich geringen Kenntnisse zu einer Verständigung zu kommen? Er versuchte es und begann:

»Mr. Kantor, to unbind, unbind!«

»Kantor emeritus, bitte!« war die Antwort.

»Unbind, unbind!«

»Umbinden?« fragte der Kantor. »Sie wollen etwas umgebunden haben? Was denn?«

Er wußte nicht, daß unbind so viel wie losbinden bedeutet. So ging es wohl eine Viertelstunde lang zwischen ihnen herüber und hinüber. Erstens verstand der Kantor den Bankier nicht und zweitens sah er nicht ein, warum derjenige, der ihn am Baum hatte hängen lassen, nicht auch ein wenig an demselben hängen solle. Dann siegte aber seine Gutmütigkeit. Er ging, als Rollins seine schmerzhaften Bestrebungen, sich loszureißen, erneuerte, zu ihm hin und löste mit größter Mühe die absichtlich sehr fest geschlungenen Knoten auf. Er glaubte, nun ein freundliches Wort des Dankes zu hören, hatte sich da aber sehr geirrt. Rollins streckte seine Glieder und versetzte dann dem Emeritus einen Faustschlag gegen den Kopf, daß der Getroffene taumelte und dann in ein Gebüsch stürzte; dann band er sein Pferd los, setzte sich auf und ritt davon, nach Westen zu, wo er die Gefährten wußte.

Der Kantor raffte sich langsam auf, befühlte die getroffene Stelle seines Kopfes und sagte:

»Dankbarkeit ist eine seltene Tugend; das weiß ich freilich wohl; aber daß man für seinen guten Willen und für einen solchen Dienst eine solche Kopfnuß erhält, das geht doch eigentlich über die Schnur. Der Mann ist Bankier, will also jedenfalls als gebildeter Mann gelten; aber ich sehe hier wieder einmal ein, daß die wahre und echte Bildung doch nur bei den Jüngern der Kunst zu finden ist. Mein Kopf brummt mir, als wenn zehn Gnadenarien, von lauter zweiten Bässen gesungen, auf einmal drin ertönten! Nun ist er fort. Was soll ich hier allein? Soll ich etwa warten, bis noch andre Spitzbuben kommen, die nachher auch noch mich bestehlen? Nein; da reite ich ihm lieber nach.«

Er holte sein Pferd auch aus dem Gebüsch, kletterte hinauf und ritt davon, gen Westen, wohin die Fährte der Weißen und der Navajos führte.

Wie war es aber denn eigentlich gekommen, daß der gute Kantor zurückgelassen und sogar angebunden worden war?

Zunächst war es wohl kein Wunder, wenn er von allen seinen Gefährten als sogenanntes Schreckenskind betrachtet wurde. Er machte alles verkehrt, brachte Wirrnis in die größte Ordnung und hatte nicht nur der Gesellschaft schon oft die größten Verlegenheiten bereitet, sondern für sie sogar Gefahren heraufbeschworen, denen man nur mit Mühe und Not entkommen war. Sein gestriger Streich, als er des Nachts am Flusse die Stimmen des Orchesters erklingen ließ, hatte glücklicherweise keine üblen Folgen gehabt; aber Old Shatterhand war willens, so etwas nicht wieder vorkommen zu lassen, und hatte ihm darum mit Anbinden gedroht. Diese Strafe war schon früher einmal, und zwar durch Sam Hawkens, über den Emeritus verhängt worden. Man hatte ihn samt seinem Pferde hinten an einen Wagen angebunden.

Heut früh nun hatte er sich kurz nach dem Aufbruche an den Hobble-Frank gemacht und ihn gefragt:

»Herr Franke, Sie wissen wohl genau, wohin wir reiten?«

»Ja,« antwortete dieser.

»Ich nicht. Wissen Sie, ich mußte so lange bei den Indianern bleiben, und als ich nachher in unser Lager kam, war die Beratung eigentlich schon vorüber, und auf das, was gesprochen wurde, habe ich in meinem Zorne nicht geachtet. Wenn Sie bedenken, wie man mir mitgespielt hat, werden Sie einsehen, daß ich sehr viel Veranlassung zum Zorne hatte.«

»Nee, das sehe ich nich ein.«

»Nicht? Ich habe Sie doch immer für einen verständigen und ernstlich denkenden Menschen gehalten!«

»Das bin ich ooch, und ich wollte es niemand raten, etwa das Gegenteel zu denken!«

»Aber da müssen Sie doch einsehen, daß ich gar nichts Unrechtes gethan habe!«

»Nischt Unrechtes? Na, der Ausdruck is eegentlich noch viel zu zahm für das, was Sie gethan haben.«