Kafka 2.0

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Karl-Heinz Thielmann

Kafka 2.0

– Die absurde Wirklichkeit der Finanzmärkte –

Fertiggestellt im November 2013 in Karlsruhe

Covergestaltung: Karl-Heinz Thielmann

© Karl-Heinz Thielmann / LONG-TERM INVESTING Research AG - Institut für die langfristige Kapitalanlage

ISBN 978-3-8442-7571-1

Vorwort: Wenn Franz Kafka das noch erlebt hätte …

Teil 1: Die mit der Herde laufen

Dumb German Money

Die begründete Angst der Deutschen vor Aktien und ihre absurden Folgen

Wollen Anleger belogen werden?

Die Illusion der Sicherheit

Teil 2: Die kuriose Logik der Finanzindustrie

Der Triumph des Moral Hazard

Prognosen für die Hose

Billigheimer und Verpackungskünstler

Der große Hedgefonds-Schwindel

Teil 3: Von Geldvernichtung und Wertschaffung

Die Nicht-Diskussion zur Spekulation mit Agrarrohstoffen

Endet der Superzyklus im Supercrash?

Das Margen-Wirtschaftswunder

Der Wert der eigenen Meinung

Anhang

Kurzporträt des Autors

Quellen

Impressum

Vorwort: Wenn Franz Kafka das noch erlebt hätte …

„Genau wie in der Malerei muss man auch an der Börse Verständnis für Surrealismus haben. Manchmal stehen die Beine oben und der Kopf unten.“ André Kostolany

Dass die Finanzmärkte nicht nur dem Außenstehenden als verrückt erscheinen, ist kein neues Phänomen. Ein bizarrer Zyklus aus Gier und Angst scheint die Kurse zu treiben, und dies ist seit Anbeginn der modernen Geldgeschäfte so.

Bereits das erste richtige Börsenbuch von 1688 war mit „Die Verwirrung der Verwirrungen“ (Confusión de confusiones) betitelt. In ihm verarbeitete der Spanier Joseph de la Vega seine Erfahrungen an der Amsterdamer Börse, die man mit Fug und Recht als ersten bedeutsamen Kapitalmarkt im heutigen Sinne verstehen kann. Dieses Werk beschreibt auf eine bemerkenswert aktuell gebliebene Art und Weise die Psychofallen, denen selbst heutige Investoren immer noch unterliegen. Es ist erstaunlich, wie wenig sich das Grundmuster des Wechselspiels von übertriebenem Gewinnstreben und Panikverkäufen seit Hunderten von Jahren verändert hat.

1841 veröffentlichte der schottische Journalist Charles Mackay sein Buch “Extraordinary Popular Delusions and the Madness of Crowds”. In ihm stellte er die erste systematische Analyse von Spekulationsblasen vor, schilderte den ihnen zugrunde liegenden Herdentrieb sowie die menschliche Fähigkeit zur Selbsttäuschung als Antriebskraft der Finanzmärkte. Vieles von dem, was die moderne Verhaltensökonomie inzwischen wissenschaftlich festgestellt hat, ist schon bei ihm beschrieben.

Doch genauso wenig wie früher aus Mackays Buch scheint die Masse der heutigen Anleger aus den Erkenntnissen der heutigen „Behavioural Finance“-Forscher wie Daniel Kahneman oder James Montier zu lernen. Im Gegenteil, wenn man sich speziell die Entwicklungen während oder nach der Finanzkrise 2008 ansieht, scheint alles noch verrückter geworden zu sein. Noch wildere Kursausschläge, noch gierigere Investment-Banker, noch größere Verluste für die Kunden, noch spektakulärere Zusammenbrüche von Finanzinstituten.

Kurzfristiger Aktionismus prägt nach wie vor viele Investoren, andere agieren wie von blinder Gier getrieben, einige erscheinen in Apathie erstarrt. Immer mehr Finanzprodukte stellen sich als Schwindel heraus, weil sie voll mit versteckten Kosten und Risiken sind. Neu ist, dass sich viele im Finanzwesen Tätige durchaus bewusst sind, das dies so nicht richtig sein kann. Sie machen aber unbeirrt weiter, wobei Kundenwünsche, Zielvorgaben von Vorgesetzten, regulatorische Anforderungen und vieles anderes mehr als Rechtfertigungen dienen.

Damit erinnern die realen Zustände an den Kapitalmärkten und die Verhaltensweisen der agierenden Personen stark den absurden Welten, die der Schriftsteller Franz Kafka vor 100 Jahren konstruiert hatte. In für die moderne Literatur bahnbrechenden Werken wie „Das Urteil“, „Das Schloss“ oder „Der Prozess“ schilderte er Menschen, die gefangen waren in den Zwängen komplexer Systeme, die so typisch für die Neuzeit sind. Sie waren mit Personen und Mechanismen konfrontiert, die einer ihren eigenen Logiken folgten. Diese können isoliert betrachtet durchaus rational sein, in ihrem Zusammenwirken erscheinen sie aber mit dem unvereinbar, was gemeinhin als „gesunden Menschenverstand“ bezeichnet wird.

Wenn sich individuelle und kollektive Logik widersprechen, ist das Resultat Absurdität.

Dass sich Investoren heutzutage wie Bestandteile einer planlos herumstürmenden Herde benehmen, ist nicht mehr wie früher nur auf psychologisch bedingte Fehleinschätzungen, sondern auch durch die Mechanismen des Finanzgeschäfts bedingt. Absicherungsgeschäfte, die Kursstürze provozieren und damit horrende Verluste generieren; Bonusregeln, die kurzfristige Abzocke begünstigen; Investmentprozesse, die Fondsmanager zu trendverstärkenden Transaktionen zwingen; all dies sind Beispiele für institutionell bedingte Regeln, die einer individuellen Logik folgen, aber in ihrem Zusammenwirken absurdes Chaos auslösen.

Viele der in der Finanzbranche Beschäftigten sind sich der Widersinnigkeit ihres Handelns durchaus bewusst, machen dennoch weiter mit, weil sie die Konsequenzen verdrängen oder sich zu sehr an die finanziellen Annehmlichkeiten dieses Lebens gewöhnt haben. Wenn Menschen aber wissentlich und regelmäßig etwas machen, was sie eigentlich für falsch halten, ist die absurde Welt von Kafkas Romanen nicht nur erreicht, sondern noch übertroffen. Insofern wurde dieses Buch mit „Kafka 2.0“ betitelt, weil die Wirklichkeit der Finanzwelt die fantastische Absurdität seiner Literatur inzwischen hinter sich zurücklässt.

Im vorliegenden Band habe ich einige Texte gesammelt, die sich mit der verqueren Logik der heutigen Kapitalmärkte befassen. Dabei es geht mir auch darum, lieb gewonnene Denkgewohnheiten infrage zu stellen. Mir ist klar, dass ich damit nicht jedermann gefallen kann. Wenn Sie anderer Meinung sind als ich, schreiben Sie mir gerne eine Email: kafka_2.0@long-term-investing.de. Ich bin für jede kritische Anmerkung dankbar und werde mich damit auseinandersetzen, versprochen. Denn eines der Hauptprobleme in der Finanzbranche besteht derzeit darin, dass zu viele Menschen kritiklos das hinnehmen, was ihnen vorgesetzt wird.

Die Beiträge wurden für diesen Band nach drei Themengebieten geordnet.

Wie Anleger zu ihren Investmententscheidungen kommen und welche Fehler sie dabei typischerweise machen, ist Schwerpunkt im Themengebiet: „Die mit der Herde laufen“. Mit den Anbietern von Finanzprodukten, ihren Motivationen und Methoden befasst sich der zweite Teil: „Die kuriose Logik der Finanzindustrie“. Last, but not least folgen noch vier Texte, „Von Geldvernichtung und Wertschaffung“, die sich mit den fundamentalen Grundlagen von Kapitalbewegungen und ihrer Interpretation durch Anleger und Öffentlichkeit befassen.

Abschließend möchte ich mich bei all denen bedanken, die dafür gesorgt haben, dass die in diesem Band zusammengefassten Texte in dieser Form zustande gekommen sind. Insbesondere bin ich Dirk Elsner sehr verbunden, der mir in seinem preisgekrönten Finanzblog http://www.blicklog.com/ bereits mehrfach die Gelegenheit gab, meine Überlegungen einer breiteren Öffentlichkeit darzustellen. Darüber hinaus sind seine Texte immer wieder eine Quelle der Inspiration für mich. Weiterhin waren zahlreiche gute Bekannte aus der Finanzindustrie äußerst hilfreich, die meine Verwunderung über viele Entwicklungen in ihrer Branche teilen. In Gesprächen mit ihnen konnte ich einige interessante Ideen entwickeln, meine Ansichten diskutieren und einem „Realitäts-Check“ unterziehen. Vor allem aber möchte ich Ekaterina Svetlova und Oliver Clasen für ihre vielen hilfreichen Kommentare danken. Ohne ihre Hinweise hätte ich einige vermeidbare Fehler gemacht und übereilte Schlussfolgerungen gezogen.

Karl-Heinz Thielmann

Karlsruhe, im November 2013

Teil 1: Die mit der Herde laufen

„Dass Menschen gierig, ängstlich oder närrisch sein werden, ist vorhersehbar. Die Abfolge ist nicht vorhersehbar.” („The fact that people will be full of greed, fear, or folly is predictable. The sequence is not predictable.”) Warren Buffet

 

Dumb German Money

Vor einigen Monaten war die Empörung groß, als Telefonate irischer Pleite-Banker aus dem Jahr 2008 bekannt wurden. In diesen verspotteten sie neben Politikern, Zentralbankern und Finanzaufsehern ebenfalls deutsche Investoren, die ihnen bereitwillig Geld geliehen hatten. Insbesondere amüsierte sie, dass die Deutschen einer Garantie des irischen Staates für Bankeinlagen vertrauten. Denn ihnen war klar, dass ihr Bankrott über diese Garantie auch die irische Staatspleite bedeutet hätte, wäre 2010 nicht die EU zu Hilfe geeilt.

Angela Merkel, Wolfgang Schäuble und andere deutsche Spitzenpolitiker äußerten ihre Verachtung über die Arroganz der der Banker. Einigen Pressekommentatoren fiel allerdings auf, dass abschätzige Bemerkungen über Kunden in der internationalen Finanzbranche nicht selten sind. So hatte vor einigen Monaten der Ex-Goldman Sachs Banker Greg Smith enthüllt, dass seine ehemaligen Kollegen ihre Klienten als „Muppets“ – also als manipulierbare Puppen – bezeichneten. Speziell aus Deutschland stammende Investoren werden als besonders vertrottelt angesehen. „Dumb German Money“ (manchmal auch als „Stupid German Money“ bezeichnet) ist seit Jahren schon ein fester Begriff an den globalen Finanzmärkten.

Dieser Begriff wurde ursprünglich von US-amerikanischen Filmproduzenten für Gelder aus geschlossenen Medienfonds geprägt, die im grauen Kapitalmarkt in Deutschland aufgelegt wurden. Hiermit wurden vorwiegend erfolglose Filme produziert, an denen sich aufgrund der großzügigen Fondsgelder für Produzenten und Initiatoren trotzdem eine goldene Nase verdienen lies. Die Anleger gingen natürlich leer aus.

Seitdem wurde dieser Begriff auf eine Vielzahl von Finanztransaktionen ausgeweitet, mit denen deutsche Anleger oder Banken Geld verlieren konnten. Ob nun kurz vor dem Platzen der Immobilienblasen in USA oder Spanien noch schnell Finanzierungen für bankrottverdächtige Großprojekte angeschoben werden mussten, ob griechische Staatsanleihen gekauft wurden, immer waren deutsche Banken an vorderster Front mit dabei. Wenn chinesische Schwindelfirmen an die Börse gingen, dann machen sie dies nicht in Schanghai, sondern in Frankfurt, weil hier die Leichtgläubigen Schlange standen. Wenn Geld für überflüssige Schiffe, Riesenräder in Singapur oder unrentable Ölsandprojekte in Kanada benötigt wurde, dann sammelte man dies nicht in den Heimatländern der Initiatoren ein, sondern bei deutschen Zahnärzten, Lehrern und Ingenieuren.

Das DIW in Berlin hat vor Kurzem ermittelt, was deutsche Investoren alleine im Ausland verloren haben. Die Kalkulationen haben seit 1999 einen Verlust von ca. 400 Mrd. € ergeben. Seit 2006, also unmittelbar vor dem Ausbruch der Finanzkrise, waren es ca. 600 Mrd. €. Für eine Exportnation wie Deutschland ist es normal, Kapital im Ausland zu investieren. Nicht normal hingegen ist es, wenn dieses Kapital stattdessen sinnlos verbrannt wird.

Doch nicht nur im Ausland haben Deutsche vielfältige Möglichkeiten gefunden, Kapital zu vernichten. Ob Ostimmobilien, Strategiezertifikate oder Mittelstandsanleihen; Jahr um Jahr gab und gibt es neue inländische Anlageprodukte, mit denen Investoren ihr Erspartes in den Sand setzen können. Schätzungen über die Größenordnung fehlen aber bisher.

Die Neigung der Deutschen, unrentable Kapitalanlagen zu machen, hat schwerwiegende ökonomische Konsequenzen. Trotz der enormen Wirtschaftskraft Deutschland, trotz der ausgeprägten Sparsamkeit der Einwohner ist die Vermögensbildung hier im Vergleich mit anderen europäischen Ländern klar unterdurchschnittlich, wie unlängst Zahlen der EZB zeigten.

Warum sind die Deutschen immer die Ersten, die „hier“ schreien, wenn skrupellose Investmentbanker nach „Muppets“ suchen, die sie manipulieren und denen sie das Geld aus der Tasche ziehen können? Wieso gibt es gerade in Deutschland einen scheinbar unerschöpflichen Vorrat an Bankern, Vermögensverwaltern oder Privatanlegern, die ihre Gelder zielsicher in verlustreiche Anlagen stecken?

Insgesamt lassen sich drei Gruppen von Investoren mit unterschiedlichen Motivationen identifizieren, die für die ungeheure Vermögensvernichtung in Deutschland verantwortlich sind:

 die Risikonaiven, die festverzinslich mit sicher verwechseln;

 die Zocker, die von Gewinngier getrieben auf höchst spekulative Anlagen setzen;

 die Pseudowissenschaftlichen, die Finanzmathematik anwenden, ohne sie zu verstehen.

Die erste Gruppe der Risikonaiven ist sowohl bei privaten wie institutionellen Investoren weitverbreitet. Sie suchen Anlagen, die einigermaßen stabile Zinszahlungen versprechen, die höher sind als bei konventionellen „sicheren“ Pfandbriefen oder Bundesanleihen. Dass mit diesen Anlagen dann aber signifikant höhere Ausfallrisiken eingegangen werden, wird ignoriert bzw. unterschätzt. Insbesondere wenn man von einem Risikoverständnis ausgeht, das auf Volatilität basiert, sehen diese Investments sicherer aus, als sie sind. Ob es sich um Mittelstandsanleihen, Discountzertifikate oder geschlossene Fonds handelt, sie schwanken meist nur sehr gering im Kurs und fallen auch über längere Zeiträume nur gelegentlich aus. Wenn aber etwas Unerwartetes passiert, dann kollabieren diese Anlagen auf einmal und generieren fürchterliche und nachhaltige Verluste.

Die Zocker sind vor allem bei privaten Anlegern anzutreffen. Sie saugen aus der Finanzpresse und Börsenbriefen Tipps zum schnellen Reichwerden. Dabei springen sie aber oft auf längst bekannte Trends auf, nicht selten kurz vor deren Ende. Egal ob es sich um Solaraktien, Internetwerte, Chinatitel oder dubiose Goldminen geht, deutsche Kleinanleger lassen sich immer wieder bereitwillig dazu verleiten, zu Höchstkursen in Zockeraktien oder damit zusammenhängenden Optionsscheinen einzusteigen.

Die Pseudowissenschaftlichen haben sich gerade bei professionellen Anlegern breitgemacht. Damit sind sie in der Lage, fremdes Geld in nicht unerheblichem Umfang zu vernichten. Sie versuchen, mittels finanzmathematischer Verfahren Mechanismen zu identifizieren, mit denen die Kapitalmärkte überlistet werden können. Ob es sich dabei nun um Optimierungsverfahren, Trendfolgesysteme oder Asset Allocation Modelle handelt, regelmäßig liegen sie damit schief und generieren Verluste.

Ihr großes Mantra ist der sog. „Backtest“. Hierbei handelt es sich um die Überprüfung einer Anlagestrategie mit Vergangenheitsdaten. Unzählige Strategien, die im Backtest wunderbar funktioniert haben, sind später in der Praxis kläglich gescheitert. Den Pseudowissenschaftlichen fehlt ein Verständnis dafür, dass die von ihnen ermittelten Regeln und Strategien immer nur in einem bestimmten Kontext stimmen. Aus dem Zusammenhang gerissene Daten produzieren auch mit den besten wissenschaftlichen Methoden nur Unfug.

Erschreckend an den Pseudowissenschaftlichen ist ihre mangelnde Lernfähigkeit, da sie sich selbst für wissenschaftlich halten und damit glauben, Andern überlegen zu sein. Wenn ihre Ergebnisse nicht stimmen, muss die Realität falsch oder noch nicht richtig erfasst sein. Logische Konsequenz aus dem Scheitern ist für sie, weiter in den bereits ausgetretenen Pfaden zu forschen und noch kompliziertere Modelle zu entwickeln, die dann aber später noch grandioser scheitern. Insofern ist es den Pseudowissenschaftlichen gelungen, einen Teufelskreis aus Forschung, neuen komplizierten Investmentstrategien und Kapitalvernichtung zu generieren. Und wir Deutschen mit unserer ausgesprochenen Wissenschaftsgläubigkeit schauen fasziniert zu und stecken immer mehr Geld hinein.

Charakteristisch für alle Gruppen ist, dass sie schlauer sein wollen als diejenigen, die auf konventionelle Anlagen wie Renten, Aktien oder Immobilien vertrauen. Damit überlisten sie sich aber nur selbst. Weiterhin vereint alle drei Gruppen eine unreflektierte Zahlengläubigkeit. Egal ob ihnen absurde Renditeprognosen, irreführende Risikokennzahlen oder undurchschaubare Optimierungsmodelle präsentiert werden, sie nehmen Zahlen immer für bare Münze, ohne zu prüfen, wie diese zustande kommen und was sie wirklich bedeuten. Unabhängig davon, ob sie aus dubiosen Umfragen, bunten Werbebroschüren oder nüchternen Excel-Spreadsheets stammen, Zahlen werden geglaubt und nicht wirklich hinterfragt. Wenn sie sich dann hinterher als Kokolores herausstellen, sind immer „unvorhersehbare Ereignisse“ daran schuld.

In der Presse wird oft die mangelnde Finanzbildung in Deutschland beklagt. Diese ist bei „Otto-Normalverbraucher“ allerdings weder besser noch schlechter als in anderen Ländern. Katastrophal hingegen ist sie bei vielen sogenannten Finanzexperten, die Investmentprodukte herstellen und vermarkten, welche für Anleger unkalkulierbare Verlustmöglichkeiten mit sich bringen. Insofern ist es völlig rational für einen Kleinanleger, lieber das Geld auf dem Sparbuch zu lassen, anstatt es einen Anlagespezialisten zur Vernichtung anzuvertrauen.

Die deutsche Industrie spielt im globalen Kontext in der Champions League, weite Teile der Finanzbranche aber in der Kreisklasse. Für private oder institutionelle Anleger, die mehr wollen als nur Sparbucherträge, ist es extrem schwierig, innerhalb der Kakofonie von Expertenstimmen diejenigen herauszufiltern, die wirklich kompetent sind. Dies ist sogar fast noch schwieriger, als sich selbst Fachwissen anzueignen und die Kapitalanlage in die eigene Hand zu nehmen. Für eine führende Wirtschaftsnation kann der Finanzheimwerker aber keine Lösung sein.

„Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung“ lautet ein beliebtes Sprichwort. Leider ist hiervon bisher nichts zu merken. Wenn die deutsche Finanzbranche nicht anerkennt, was in den vergangenen Jahren falsch gelaufen ist, und bereit ist hieraus zu lernen, wird „Dumb German Money“ ein fester Begriff an den internationalen Kapitalmärkten bleiben. Ich persönlich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass wir vielleicht eines Tages einmal sogar „Intelligent German Money“ haben werden. Dazu gehört aber auch, dass wir alle uns nicht mehr mit der ignoranten Art und Weise zufriedengeben, mit der hier in Deutschland Geld vernichtet wird.

Die begründete Angst der Deutschen vor Aktien und ihre absurden Folgen

Einer Studie der Postbank zufolge misstrauen die Deutschen bei bei der langfristigen Geldanlage der Aktie. So glaubten laut dieser Untersuchung nur 12% der Befragten, dass Aktien oder Aktienfonds „hohe Erträge und eine gute Rendite“ bringen. Vor Ausbruch der Finanzkrise 2008 stimmten dieser Aussage noch 16% aller Bundesbürger zu.

Wie kommt es, dass es in Deutschland ungefähr genau so viele Menschen gibt, die Aktien für eine rentable Anlageform halten wie diejenigen, die an UFOs glauben (13% laut Statista.com)?

Die empirische Evidenz spricht auf den ersten Blick jedenfalls eindeutig für die Aktie. Viele Untersuchungen haben eindrucksvoll belegt, dass Anleger mit einem Aktieninvestment fast immer andere Anlageformen schlagen, sofern sie die Bereitschaft mitbringen, auch Verlustperioden auszusitzen. Allerdings setzen diese Untersuchungen jeweils voraus, dass ein Investor mit seiner Anlage zumindest die Marktperformance widerspiegeln kann. Doch dies ist schwieriger als man denkt.

Indexfonds, die Anlegern eine indexnahe Performance garantieren, gibt es noch nicht so lange und sie sind in der breiteren Öffentlichkeit nach wie vor kaum bekannt. Normale Investmentfonds sind mit offenen und versteckten Kosten überladen. Besser als der Markt zu sein ist grundsätzlich schwierig und verlangt die disziplinierte Umsetzung einer Strategie. Hieran scheitern selbst die meisten professionellen Anleger.

Tatsächlich ist die derzeitige Ablehnung von Aktien auch ein Resultat der Tatsache, dass die generell positive Entwicklung der meisten Titel an vielen privaten Aktionären vorbeigegangen ist. Unzählige Anleger haben sich in der Vergangenheit mit Aktien die Finger verbrannt oder kennen jemanden, der ein solches Schicksal erlitten hat. Insbesondere die Versuche in den 90er Jahren des abgelaufenen Jahrhunderts, Aktien als Anlage in der breiten Bevölkerung populärer zu machen, haben im Rückblick extrem geschadet. Unter dem Stichwort „Aktienkultur förden“ wurden leichtgläubige Investoren vor allem in Titel getrieben, die sich hinterher als krasse Wertvernichter entpuppt haben. Ob bei der Privatisierung der Deutschen Telekom 1996, dem Neuen Markt 2000 oder den Solaraktien vor ein paar Jahren, immer wurden vor allem unerfahrene Privatanleger mit unrealistischen Wachstumsversprechungen in Einzeltitel oder Fonds gelockt. Die Initiatoren solcher Kaufwellen konnten fast immer ungestraft abkassieren, was die Stimmung der Geschädigten nicht verbesserte.

 

Wenn man die falschen Titel hat, dann lohnt es sich auch nicht, eine schwache Börsenphase auszusitzen. Gerade für viele Kleinaktionäre war es eine sehr frustrierende Erfahrung, dass sich der Markt langfristig nach oben bewegte, aber nur die eigenen Aktien nicht. Sie haben bei ihren Aktienengagements nicht nur unfähigen Managern, sondern sogenannten Kapitalmarktexperten vertraut: Finanzjournalisten, Anlageberatern und Börsengurus. Doch diese haben vor allem spekulative Investments empfohlen, die schnelles Geld versprachen, aber zu permanenten Verlusten geführt haben. Damit haben sie leichtfertig das in sie gesetzte Vertrauen verspielt und eine ganze Anlageklasse in Misskredit gebracht.

Insofern wird auf den zweiten Blick klar, warum Aktien so verhasst sind: Die persönliche Erfahrung der meisten Anleger widerspricht den positiven Statistiken eklatant. Nur im Ausnahmefall kann das Potenzial der Aktie durch Privatanleger genutzt werden. Als Nichtfachleute sind sie zumeist hilflos den Scharlatanen des Finanzgeschäfts ausgeliefert und verlieren damit Geld, womit andere wohlhabend werden.

Aktien gelten nicht zu unrecht als sehr riskante Geldanlage. Ihre Kursentwicklung spiegelt zwei Dinge wider: die Entwicklung eines Unternehmens sowie der Gesamtwirtschaft. Und bei den Unternehmen gibt es in einer Marktwirtschaft nun einmal ein allgemeines Geschäftsrisiko, es ergeben sich Gewinner und Verlierer. Wer die Verlierer im Depot hat, kann nur sein Geld einbüßen. In den vergangenen Jahren sorgten die extremen Kursschwankungen aufgrund von verschiedenen Wirtschaftskrisen für zusätzliche Verunsicherungen. Die Stabilität des Finanzsystems und von Leitwährungen wie dem Euro sind seit einigen Jahren massiv infrage gestellt.

Doch muss man jetzt die Aktie abschreiben? Gerade Deutschland hat als führende Exportnation einige Unternehmen, die schon seit Jahrzehnten in ihren Märkten zu den global führenden gehören. Viele davon sind börsennotiert, gut bekannt, machen regelmäßig hohe Gewinne und damit ihren Aktionären seit Jahren Freude. Daran sollten doch eigentlich auch die Privatanleger partizipieren können.

Wer am 7. März 2000, dem Höchststand des DAX (8.064,97) während der Interneteuphorie, die Aktie von Linde zu einem Kurs von 43,20 € erwarb, konnte bis heute einen Kursgewinn von ca. 240% erzielen. Inklusive der Dividenden konnte sogar eine Rendite von ca. 290% erreicht werden. Und das in einem Zeitraum, in dem der DAX kaum vorankam. Das Investment in Linde haben aber die wenigsten Privatanleger gemacht, weil ja die Firma 2000 zur „Old Economy“ gehörte und deswegen als zu solide sowie langweilig galt.

Stattdessen haben sich die meisten Privatanleger auf hoch bewertete Wachstumstitel wie Intershop Communications, Brokat, EM.TV oder Mobilcom gestürzt, da Presse und das Finanzmarketing diesen eine glänzende Zukunft in einer schönen neuen Welt vorhersagten. Die Kurse der Aktien dieser Unternehmen stürzten seitdem ab. Die Anleger verloren fast ihr ganzes eingesetztes Kapital, viele von ihnen wendeten sich zutiefst enttäuscht für immer von der Börse ab.

Um am Aktienmarkt durch in Investments in Einzeltitel erfolgreich zu sein, darf man nicht der Masse hinterherlaufen, sondern muss sich selbst unabhängig eine Meinung bilden. Dazu sind die meisten Kleinanleger nicht in der Lage und werden es niemals sein. Aber dass müssen sie auch nicht, die Arbeit der Aktienauswahl können sie sich von Fondsmanagern abnehmen lassen.

Dennoch wollen selbst das die meisten nicht mehr. Den richtigen Fonds zu finden, ist nämlich nicht ganz einfach. Die Angst der Menschen vor dem Aktienrisiko führt stattdessen derzeit dazu, dass sie lieber in Kapitalanlagen investieren, deren Risiken nicht so offensichtlich sind. Das Problem hierbei ist, dass sie jetzt an diese Anlageformen genau so naiv herangehen wie vor einigen Jahren an Aktien.

Denn bloß, weil Risiken nicht auf den ersten Blick erkannt werden, heißt es nicht, dass sie nicht da sind. Bei Aktien sind die Kursschwankungen täglich im Internet oder in der Zeitung nachzuverfolgen. Deshalb ist die Risikowahrnehmung bei Aktien sehr hoch. Bei andern Anlageformen hingegen sind die Risiken oft gut versteckt oder werden von den Anlegern ignoriert.

Dies führt zu teilweise grotesken Konsequenzen:

 So akzeptieren sicherheitsorientierte Anleger derzeit sehr niedrige Renditen bei Staatsanleihen oder Sparbüchern. Nach Inflation und Steuern führen diese Anlagen derzeit zu einem realen jährlichen Wertverlust zwischen 1% und 2%. Aus Angst vor möglichen Kursverlusten bei Aktien wird lieber hingenommen, dass man mit seiner Anlage ganz sicher an Kaufkraft verliert. Dennoch mag es unter dem Gedanken der Absicherung vielleicht gerechtfertigt sein, negative Realrenditen für einen gewissen Zeitraum hinzunehmen. Auch wenn dies keine vernünftige Langfriststrategie darstellt, sind zumindest die negativen Konsequenzen begrenzt und im Gegensatz zu den im folgenden beschriebenen Beispielen relativ klar.

 Mittelstandsanleihen: Mittelgroße Unternehmen, die früher auf Bankkredite angewiesen waren, begeben jetzt Anleihen, die vorzugsweise an Privatanleger verkauft werden. Vor allem Firmen mit bekannten Markennamen oder schönen Wachstumsstorys können ihre Wertpapiere gut absetzen, einen Blick auf die Finanzdaten wirft kaum ein Investor. Dies wäre allerdings anzuraten. Denn eine Vielzahl der Unternehmen, die derzeit an den Rentenmarkt drängen, sind nicht die typischen soliden deutschen Mittelständler. Sie begeben Anleihen, weil sie mangels Kreditwürdigkeit von keiner Bank mehr eine Finanzierung bekommen. Im englischen werden solche Anleihen deswegen auch als „Junk-Bonds“ – Müll-Anleihen – bezeichnet. Das Ausfallrisiko bei solchen Wertpapieren ist tendenziell mit dem von Aktien zu vergleichen, wenn nicht sogar höher. Im Gegensatz zu Aktien bieten sie aber nicht die Chance auf Kursgewinne. Das Wort Mittelstandsanleihen hingegen weckt positive Assoziationen und entwickelt sich zu einem gefährlichen Euphemismus. 1998 hatte André Kostolany in einem berühmten Fernsehauftritt in der NDR Talk Show dem damals sehr populären „Neuen Markt“ vorhergesagt: „Hier wird noch Blut fließen!“ Die gleiche Prognose drängt sich auf, wenn man heutzutage dem Markt für Mittelstandsanleihen betrachtet.

 Geschlossene Fonds: Hinter geschlossenen Fonds verbergen sich in der Regel Projektfinanzierungen für Immobilien, Schiffe, Filme, Energieanlagen etc. Diese Fonds werden i.d.R von speziellen Gesellschaften initiiert und unterliegen nicht der Beaufsichtigung durch das BaFin, der Anlegerschutz ist daher ungenügend. Es kommt relativ oft zu Betrugsfällen, wie mutmaßlich zuletzt bei Infinius. Die Kosten- und Risikosituation ist meist relativ intransparent. Den meisten Anleger ist nicht bewusst, dass sie wie bei der Aktie auch mit einem geschlossenen Fonds ein unternehmerisches Risiko eingehen: Nur bei Erfolg können sie mit Rückzahlung und Zinsen rechnen. Im Gegensatz zu den meisten Aktien ist dieses unternehmerische Risiko aber auf ein ganz spezifisches Projekt konzentriert. Insofern kommt es immer wieder zu größeren Ausfällen, wie derzeit insbesondere Anleger von Schiffsfonds leidvoll erfahren müssen. Zudem steht im Gegensatz zu Aktien dem Ausfallrisiko keine Kurschance gegenüber.

 Immobilien gelten als solides und wertstabiles Sachwertinvestment. Dabei lassen sich wie bei Aktien Gewinner und Verlierer unterscheiden, je nach Lage ist das Anlageergebnis bei Immobilien äußerst unterschiedlich. Nur ist dies nicht so deutlich zu erkennen, weil Immobilienpreise nicht transparent ermittelt und ebenfalls nicht ständig im Internet und in Zeitungen veröffentlicht werden. Hinzu kommt, dass der Immobilienmarkt noch mehr wie derjenige für Aktien vom Konjunkturzyklus abhängig ist. Zudem wirkt er sehr stark auf die Wirtschaft zurück. Länder wie die USA, Spanien oder Irland leiden immer noch unter spekulativen Exzessen am Immobilienmarkt, die inzwischen schon Jahre zurückliegen. Aber auch in relativ stabilen Ländern wie den Niederlanden sind die Preise am Immobilienmarkt nach 15jährigem Boom seit 2008 rückläufig. In Deutschland gab es vor 20 Jahren eine Spekulationsblase in Ostimmobilien. Gegenwärtig sieht die Bundesbank die Entwicklung der Immobilienpreise mit großer Sorge und erkennt in Großstädten Zeichen für Preisübertreibungen. Wenn man sich gut auskennt, ist mit Immobilien– wie bei Aktien – viel Geld zu verdienen. Für Nicht-Experten ist der Immobilienmarkt – genau wie der Aktienmarkt – ein Minenfeld. Mit Immobilien haben weltweit in den letzten Jahren mehr Menschen viel mehr Geld verloren als mit jeder anderen Anlageform. Insofern scheint ihr Ruf als sichere Anlage als völlig widersinnig. Aber im Gegensatz zu Aktien bekamen Anleger ihre Verluste nicht ständig vor Augen geführt. Dies macht es gescheiterten Investoren leichter, sich über ihren Misserfolg selbst zu belügen.

 Zunehmender Beliebtheit insbesondere bei vielen Bankberatern erfreuen sich Zertifikate wie Aktienanleihen, Diskontzertifikate und Ähnliches. Diese Titel stellen zumeist die verbriefte Form eines Derivatgeschäfts auf Aktien dar. Der Kunde hat hierbei ein gegenüber der Einzelaktie etwas vermindertes Kursrisiko, bekommt dafür eine höhere Rendite als bei normalen Anleihen. Dafür hat er aber nicht wie bei richtigen Aktien die Chance auf Kursgewinne. Leider ist den meisten Käufern nicht klar, dass sich die hohe Rendite der Zertifikate aus einer Optionsprämie ergibt, also den Preis für die Übernahme von Aktienrisiko darstellt. Hinzu kommt noch das Ausfallrisiko des Emittenten. Interessanterweise wird von den Finanzvertrieben der Kauf einer Aktienanleihe i.d.R. als mittleres Risiko dargestellt, der Abschluss eines Derivatgeschäftes mit absolut identischen Konsequenzen für den Anleger (wie der Verkauf einer Put-Option) aber als sehr hohes Risiko. Hat dies etwa etwas damit zu tun, dass sich in Zertifikaten viel besser Gebühren verstecken lassen als bei normalen Derivatgeschäften? Tatsächlich sind die Risiken aus Derivatgeschäften wie aus Zertifikaten nur für ausgesprochene Spezialisten überschaubar. Bei starken Kursausschlägen nach unten können solche Anlageformen zu empfindlichen Verlusten führen.

Die generelle Ablehnung von Aktien resultiert aber nicht nur aus dem Umstand, dass die Risiken bei Aktien transparent sind, während sie bei anderen Finanzinstrumenten im Dunkeln liegen.

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