Sohn des Windes

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Sohn des Windes
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K. Will



Sohn des Windes



- Der Hüter der Pferde -





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Inhaltsverzeichnis





Titel







Kapitel 1







Kapitel 2







Kapitel 3







Kapitel 4







Kapitel 5







Kapitel 6







Kapitel 7







Kapitel 8







Kapitel 9







Kapitel 10







Kapitel 11







Kapitel 12







Kapitel 13







Kapitel 14







Kapitel 15







Kapitel 16







Kapitel 17







Kapitel 18







Kapitel 19







Kapitel 20







Kapitel 21







Kapitel 22







Kapitel 23







Kapitel 24







Kapitel 25







Kapitel 26







Kapitel 27







Kapitel 28







Leseprobe







Impressum neobooks







Kapitel 1



1.





Kieran saß nachdenklich in der kleinen Empfangshalle und hatte sein Kinn schwer auf seine Fäuste gestützt, die er vor sich auf den Tisch gelegt hatte. Es war schon eine ganze Weile her, dass der Bote ihm die Nachricht gebracht hatte. Aber er wusste noch immer nicht, was er davon zu halten hatte. Es gefiel ihm nicht, was er gehört hatte, natürlich nicht, aber da steckte noch mehr dahinter, als nur ein Aufbegehren gegen einen neuen Herrscher, wenn einer der Stammesfürsten der südlichen Länder mit ihm brach. Bei der Vereidigung vor einigen Wochen noch waren sie alle da gewesen und hatten ihm die Treue geschworen, die alten Bündnisse waren erneuert worden, und jetzt das? Kieran schüttelte unwillig den Kopf. Da steckte etwas anderes dahinter. Das wusste er nur zu genau. Aber was?



Er würde sich mit seinem Vater beraten. Am besten würde er ihm noch heute eine Nachricht zukommen lassen, dass er sich auf den Weg zu ihm machte.



Während er so dasaß, bemerkte er gar nicht, dass jemand den Raum betreten hatte. Erst als dieser jemand vor ihm stand, blickte er durch den Schleier seiner langen, schwarzen Haare, die ihm ins Gesicht gefallen waren, auf und musste lächeln.



„Schlechte Nachrichten?“ Emily setzte sich ihm gegenüber an den Tisch und griff nach seinen Händen, während sie ihn mit ihren großen, grünen Augen besorgt ansah.



Kieran streckte eine Hand aus und griff nach einer Strähne ihrer langen, goldenen Haaren und ließ sie nachdenklich durch seine Finger laufen. Es war nur eine kleine unbedeutende Geste, aber er tat das immer, wenn er nachdenken musste. Seine junge Frau wusste das mittlerweile und sah ihn noch besorgter an. „Kieran?“, fragte sie vorsichtig nach.



Er atmete tief ein, bevor er antwortete.



„Ich weiß es nicht. Ich werde mit Vater darüber sprechen. Gut ist es jedenfalls nicht!“



„Wirst du zu ihm gehen oder hast du vor ihn herkommen zu lassen?“, fragte Emily nach. Sie freute sich stets auf ihren Schwiegervater. Auch wenn er bei einer solchen Unterredung wohl eher nicht viel Zeit für sie haben würde. Aber allein ihr Sohn freute sich immer wie wild seinen Großvater zu sehen, und Emily ergötzte sich jedes Mal an seinen leuchtenden Augen, wenn er ihn auf den Arm nahm.



„Ich denke, ich werde nach Al-Alef reiten.“, unterrichtete sie Kieran über sein Vorhaben. „Aber um ehrlich zu sein, möchte ich dich lieber hier wissen, als dir jetzt diesen Ritt aufzubürden.“



Emily schnaubte gespielt beleidigt.



„Ich bin schwanger, nicht krank!“



Kieran stand lächelnd auf, ging um den Tisch herum und trat hinter sie, um sie in den Arm zu nehmen. Seine Hand strich ihr liebevoll erst den Rücken herunter, dann um ihre Taille herum und blieben auf ihrem Bauch liegen.



„Ganz genau. Und das möchte ich auf gar keinen Fall in irgendeiner Art und Weise gefährdet wissen.“ Er strich ihr die langen Haare zur Seite, um ihren Nacken zu küssen.



„Warum kann er dann nicht einfach hierher kommen?“, wollte sie von ihm wissen.



„Weil ich mich mal wieder bei meinem Volk sehen lassen sollte.“, entgegnete ihr Kieran. „Gerade jetzt, wo der Fürst von Bahi-Dun mir seine Treue abgeschworen hat!“



„Er hat was? Aber warum?“ Emily war erstaunt. Es war doch erst einige wenige Wochen her, dass man ihn allseits als neuen Herrscher anerkannt hatte.



Kieran zuckte mit den Achseln.



„Einen Grund dafür konnte mir der Bote auch nicht überbringen. Aber er schien mehr als angespannt zu sein. Fast so als hätte er große Angst und würde nicht einfach nur eine Nachricht aus rein politischem Kalkül überbringen.“



„Dann sollte ich mir wohl Sorgen machen, wenn ich dich alleine wegreiten lasse!“, entschied Emily, in der Hoffnung, dass er es sich vielleicht noch anders überlegen würde.



„Nein, nein.“ Kieran schüttelte schnell den Kopf. „Sorgen brauchst du dir nicht gleich zu machen. Es wird nichts geschehen. Wahrscheinlich will er einfach nur unabhängig und niemandem mehr verpflichtet sein. Das hat es schon öfter gegeben nach einem Machtwechsel.“



„Und deswegen hatte der Bote solche Angst?“ Emily hob die Augenbrauen und sah ihn an.



„Ach, Emily, ich weiß es doch auch nicht. Aber du brauchst dir keine Gedanken zu machen. Ich werde sehe, was Vater von alledem hält und dann sehen wir weiter!“



Emily missfiel es, wenn er immer so tat, als wäre alles in Ordnung, nur um sie in Sicherheit zu wiegen, sich aber gleichzeitig selber Sorgen machte. Sie durchschaute ihn sehr genau, und Kieran wusste es eigentlich ebenso genau. Er konnte ihr nichts vormachen, und doch versuchte er es ständig. Und das konnte Emily nicht leiden. Sie war schließlich nicht dumm!



Jung und unerfahren vielleicht, aber nicht dumm.



Kieran sah ihren Blick und versuchte sie wieder etwas umzustimmen.



„Lass uns nicht darüber streiten. Ich weiß, dass ich dir nichts vormachen kann. Aber es reicht, wenn sich einer von uns Sorgen macht. Außerdem werde ich nicht gleich los reiten. Ich werde ihm erst einmal eine Nachricht schicken.“ Er drehte sie zu sich herum und blickte ihr tief in die Augen, und fingerte schon wieder an einer Haarsträhne herum. „Wo ist eigentlich Asrar?“, wollte er plötzlich wissen.



Emily neigte ihren Kopf zur Seite, um ihm damit anzudeuten, dass er draußen wäre.



„Culogh ist vorbeigekommen.“, sagte sie nur schlicht.



Kieran schüttelte schon wieder lachend den Kopf. Culogh! Er konnte sich einfach nicht vorstellen, was dieser Faun an seinem Sohn fand, dass er beinahe schon jeden Tag herkam, um mit dem kleinen Jungen zu spielen. Er, ein erwachsener Faun und darüber hinaus ein Krieger Meraldas! Natürlich konnte Asrar jeden mit seinem unschuldigen Lächeln verzaubern, aber Culogh war der Einzige, der sich wirklich stets um ihn bemühte und Emily ihren Sohn immer wieder abnahm, damit sie sich zwischendurch anderen Aufgaben widmen oder einfach nur mal etwas verschnaufen konnte. Und er war auch der Einzige, der darauf bestand als Onkel bezeichnet zu werden!



Kieran trat hinter Emily durch die breite Eingangstür nach draußen und sah sich um. Keine Spur von dem Faun! Nur ein leises Flötenspiel verriet ihm, dass er mit seinem Sohn in der Nähe war. Gemeinsam stiegen sie die Treppe hinunter, die sich um den mächtigen, alten Baum wand, in dem man ihnen ihr neues Zuhause gebaut hatte. Unten angekommen folgten sie den leisen Tönen aus Culoghs Flöte und kamen dann zum Fluss. Der Faun hatte sich mit dem Baby im Schoss im Gras nieder gelassen und spielte dem Kleinen sanfte Wiegenlieder auf seiner Flöte vor. Asrar rührte sich nicht. Er schien entweder wie gebannt auf die Lieder des Faun zu lauschen, die ihren eigenen Zauber hatten, oder war bereits eingeschlafen. Sehr leise traten sie an die beiden im Gras heran und Kieran grüßte Culogh mit einem Kopfnicken, bevor auch er und Emily sich ins Gras nieder ließen.

 



Der Faun erwiderte seine Begrüßung ohne in seinem Spiel zu unterbrechen. Erst als er seine Melodie beendet hatte, sprach er die beiden leise an.



„Seid mir gegrüßt! Euer Sohn benimmt sich wirklich vorbildlich artig!“ Culogh grinste die beiden an. „Wie steht es bei euch? Hat der Bote guten Nachrichten gebracht?“ Eigentlich war die Frage überflüssig. Culogh hatte ihn gesehen, und auch die Angst, die in seinem Blick gestanden hatte.



„Nein, nicht wirklich. Aber ich werde erst sehen müssen, was das zu bedeuten hat.“, erklärte ihm Kieran. „Eigentlich sollte ich am besten direkt einen Späher mit einer Nachricht zu Achaz schicken.“ Er stand wieder auf und wandte sich um. „Ich bin gleich wieder da!“, sagte er noch, bevor er dann auch prompt verschwand.



Culogh sah Emily an und lächelte.



„Dein Mann ist wirklich sehr gewissenhaft in allem!“



Sie sagte nichts und seufzte nur, als sie sich nach hinten hinüber ins Gras fallen ließ. Kieran hatte ja recht! Das waren nicht die Angelegenheiten, um die sie sich zu kümmern hatte. Das konnte er besser mit seinem Vater besprechen. Aber trotzdem würde sie gerne mitkommen!



„Irgendwann kommt für eine Frau der Zeitpunkt in ihrem Leben, da sie auch die Verantwortung für ihre Familie übernehmen muss!“, sagte Culogh altklug zu ihr und grinste sie breit an. „Asrar wird es dir irgendwann danken, wenn du ihn hier aufwachsen lässt und nicht auf dem Rücken eines Pferdes.“



„Sehr komisch.“, gab Emily gedehnt zurück. „Aber Erek würde es gutheißen.“



„Erek gilt nicht, der ist ein Zentaur!“, wehrte Culogh ab.



Emily sah ihn lachend von der Seite her an.



„Hast ja recht, Culogh! Ich werde mich benehmen und mit Asrar hier bleiben, wenn Kieran wegreitet.“



„Oh, ich dachte ich könnte mir deinen Sohn ausleihen. Weißt du, wir haben doch endlich wieder die alten Feste ins Leben gerufen in Meralda, und wir treffen uns in vier Tagen auf der Lichtung, nur die Dryaden und wir Faune, ganz wie in alten Zeiten.“ Culogh sah sie mit großen Augen an.



„Und was soll Asrar dabei?“



„Man kann nie früh genug damit anfangen, sein Kind die Wunder der Welt zu zeigen und ihn mit Sitten und Gebräuche vertraut zu machen.“ Culogh sah sie noch immer mit großen, bittenden Augen an.



Emily schüttelte leicht den Kopf.



„Culogh, du brauchst ganz dringend eine eigene Frau und einen ganzen Stall voll eigener Kinder!“



„Aber bis es soweit ist, leihe ich mir deinen kleinen Sohnemann aus!“, rief er vergnügt.



„Culogh, er ist noch ein Baby!“ Emily rollte mit den Augen.



„Und gerade Babys reagieren auf Musik besonders empfindsam! Kannst ja mitkommen.“, lud er sie ein.



Emily dachte einen Moment nach. Vielleicht war es gar keine schlechte Idee. Ein wenig Abwechslung würde auch ihr gut tun. Sie hatte in den letzten Wochen nicht viel erlebt, als die morgendliche Übelkeit, die ihre Schwangerschaft mit sich brachte. Außerdem würde Kieran nicht da sein und alleine zu bleiben, danach stand ihr auch nicht unbedingt der Sinn.



Langsam nickte sie. Ja, sie würde mitkommen! Dann hätte sie auch endlich Gelegenheit die Dryaden wieder zu treffen. Sie hatte schon so lange nichts mehr von ihnen gehört. Es musste mittlerweile fast ein Jahr her sein, dass sie mit ihnen nach Norden gegangen war.



Dryaden … Baumgeister!



Emily musste lächeln, als sie sich an ihr Abenteuer zurückerinnerte. Der ständige Singsang mit dem sich die Dryaden ihr immer mitgeteilt hatten, die Horde von Gnomen, auf die sie im Wald getroffen war und der riesige Wolf, Ferris, der sie dann weiter auf ihrem Weg in die unterirdischen Tunnel durch das Bergmassiv im Norden und Nordwesten Aldomarks und Meraldas begleitet hatte …! Und daran, wo sie letztendlich gelandet war! Nämlich genau dort, wo Kieran sie nicht hatte haben wollen: in den Händen seines verhassten Bruders! Sie hatte eine Menge erlebt in ihrem jungen Leben, aber jetzt war plötzlich Ruhe eingekehrt! Ruhe und Sicherheit. Und eine Geborgenheit, die sie sich in ihrer alten Heimat im Norden immer gewünscht hatte, als sie ganz allein war, ohne Familie, ohne Freunde. Hier hatte sie jetzt alles! Es war ein schönes, befriedigendes Gefühl der Geborgenheit! Sie sollte eigentlich rundum glücklich sein. Und sie war es eigentlich auch. Außer wenn Kieran weg musste und sie nicht mitnehmen wollte oder konnte!



Wer weiß, wahrscheinlich werden sie ohnehin keine Zeit für mich haben und es würde nur stinklangweilig werden, wenn ich den ganzen Tag im Palast herum hocken müsste!,

 dachte sie. Nein, sie würde hier bleiben, beziehungsweise mit Culogh nach Meralda reiten, um an diesem Fest teilzunehmen.



„Dann darf ich euch beiden wieder in meinem bescheidenen Häuschen willkommen heißen!“, sagte Culogh zufrieden und nickte ebenfalls.



„Ihr beiden heckt doch bestimmt schon wieder etwas aus!“, stellte Kieran fest, der wieder zurückgekommen war. „Wenn man euch beide so ansieht …!“



„Ich habe deine Frau gerade zum Fest mit den Dryaden in vier Tagen eingeladen.“, berichtete Culogh ihm. „Ich hoffe du hast nichts dagegen!“



„Nein, im Gegenteil. Geht ruhig. Ich habe Asafir darum gebeten meinem Vater die Nachricht zu überbringen, dass ich in zwei, drei Tagen zu ihm kommen werde. Und nirgendwo anders auf der Welt ist meine Familie ohne mich besser aufgehoben, als bei euch in Meralda.“, bestätigte ihm Kieran.



Culogh nahm Asrar auf und legte ihn sanft in Emilys Arme, dann ging er zu Kieran und zog ihn unauffällig ein kleines Stück von den beiden im Gras Liegenden weg.



„Deine Frau ist eine Kämpferin. Warum solltest du dich darum sorgen, was ist, wenn du mal ein paar Tage nicht hier bist? Dich bekümmert doch etwas, sonst würdest du so etwas erst gar nicht andeuten.“, flüsterte er leise.



Kieran vermied es den Faun direkt anzusehen. Culogh hatte so eine gewisse durchschauende Art an sich, dass Kieran sich direkt ertappt fühlte.



„Ich finde es mehr als eigenartig, dass der Fürst von Bahi-Dun unser Bündnis brechen will.“, sagte er nur ebenso leise.



Culogh sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen von unter her an.



„Allerdings!“, sagte er nur. „Mach dir keine Sorgen, sie sind bei uns beide gut aufgehoben! Sieh du nur zu, was du in Erfahrung bringen kannst.“



Kieran nickte nur und klopfte Culogh dankend auf die Schulter.



„Nun, ich werde euch drei jetzt wohl mal wieder alleine lassen.“, flötete Culogh gut gelaunt zu Emily hinüber und hob eine Hand zum Abschiedsgruß.



„Willst du denn nicht hier bei uns bleiben?“, fragte sie ihn verwundert.



„Nein, nein, ich habe mir ein Zimmer im Tal reserviert!“, gab Culogh zurück. „Dann brauche ich nachts nach dem Tanzen nicht so weit laufen!“ Er zwinkerte ihr zu. „Bis später also.“



Emily winkte ihm noch fröhlich lächelnd zu, als sich der Faun zum Gehen umwandte, dann aber sah sie lange Kieran an. Er verzog nervös die Mundwinkel. Das konnte nichts Gutes bedeuten!



„Kieran?“, fragte sie vorsichtig.



„Hm?“ Kieran schreckte auf. Er war mit seinen Gedanken schon wieder ganz wo anders.



Emily holte tief Luft.



„Ja, ja. Aber ich soll mir keine Gedanken machen!“, ermahnte sie ihn in einem leicht spöttischen Ton.



Kieran sah sie erst ein wenig verdutzt an, dann aber lachte er leise auf.



„Du hast recht. Ich sollte erst einmal abwarten, bevor ich mir den Kopf über Dinge zerbreche, die vielleicht nie eintreffen werden!“ Er war mit zwei Schritten bei ihr und legte sich neben sie auf die Seite ins Gras, um sie still zu beobachten.



„Was?“, fragte sie nach einer ganzen langen Weile des Schweigens. Kieran lächelte sie nur offen an. Er wusste, dass sie es nicht unbedingt leiden konnte beobachtet zu werden, und er machte sich stets einen Spaß daraus, sie damit ein wenig zu ärgern. Aber er sagte noch immer nichts.



Emily schnaubte verächtlich und stemmte sich auf die Ellbogen hoch. Aber Kieran hielt sie davon ab sich aufzusetzen. Er schob sich schnell über sie, um sie zu küssen. Als Kieran dann wieder aufstand, rollte Emily nur mit den Augen.



„Manchmal frage ich mich, ob ich nur ein oder zwei Kinder habe!“



„In ein paar Monaten werden es sogar drei sein!“ Kieran grinste sie breit an und hielt ihr seine Hand hin, um ihr aufzuhelfen. Dann nahm er Asrar auf den Arm und ging mit Emily im Arm zurück zu ihrem kunstvoll geschnitzten Haus in den Bäumen.





Nach dem gemeinsamen Abendessen, als sich die meisten der Elben dem allabendlichen Singen und Tanzen zuwandten, stand Kieran im Gespräch vertieft mit einigen anderen Elben am Rande der großen Senke inmitten des alten, mächtigen Waldes, der die Heimat der Elben bildete. Er ließ Emily aber nicht aus den Augen. Irgendwie machte ihn die ganze ungewohnte Situation nervös. Zum ersten Mal musste er sich nun um politische Dinge kümmern, von denen er nicht die rechte Ahnung hatte, und dafür auch noch seine Frau alleine lassen. Natürlich würden es nur ein paar Tage sein, ehe er zurückkam, aber trotzdem bemerkte er, dass er wieder unsicher wurde.



„Wenn Emily in Meralda ist, dann kann ich dich ja begleiten.“, bot Damaso ihm an.



„Als ob du auch nur die leiseste Ahnung von Politik hättest!“, spottete Dakun vergnügt und schob Damaso spielerisch zur Seite. „Aber mal ernsthaft: Wenn es um Bahi-Dun geht solltest du bedenken, dass Fürst Hakkar derjenige war, der deinem Bruder die meisten Truppen für seinen Angriff zur Verfügung gestellt hat …!“ Dakun sah Kieran sehr ernst an.



Kieran erwiderte seinen Blick nicht minder ernst, allerdings schob er eine Augenbraue leicht missbilligend in die Höhe und ein Mundwinkel zuckte.



„Und was war mit dir?“, fragte er trocken, ohne den riesigen Kerl neben sich dabei aus den Augen zu lassen. „Du hast in diesem Punkt alle anderen noch übertroffen!“



„Wann wirst du es endlich begreifen, Kleiner?“ Dakun rollte mit den Augen. „Es war ein Fehler und obendrein sehr kurzsichtig gedacht. Meine Gründe mit ihm einen Handel einzugehen waren ganz andere, als die deines Bruders euch anzugreifen.“



„Und damit ich nicht genauso dastehe wie du, werde ich mir eine solche Kurzsichtigkeit nicht erlauben!“, gab Kieran leicht gereizt zurück. Er stand mit auf der Brust verschränkten Armen da und musterte den um einiges größeren Mann vor sich. Er konnte es absolut nicht leiden, wenn er ihn Kleiner nannte. Vor allem nicht vor all seinen Freunden. Auch wenn es nun mal stimmte, und Kieran auch noch gut zehn Jahre jünger war als er, aber neben Dakuns riesenhafte Gestalt sah jeder lächerlich klein aus!



Er war nur hier, weil er sich um seinen eigenen Sohn kümmern wollte, von dem er acht Jahre nichts gewusst hatte. Das machte ihn noch lange nicht zu einem von ihnen, und schon gar nicht zu einem Anführer des Elbenvolkes. Er hatte damals, als er seine Ausbildung als Magier beendet hatte, sich von den Elben abgewandt, um als Herrscher in sein eigenes Land zurückzukehren. Im Gegensatz zu Kieran. Er war geblieben. Wenn er auch nun Herrscher der südlichen Länder geworden war, und damit über Menschen gebieten sollte, schlug sein Herz aber eindeutig für Aldomark, für das Land der Elben und seine Bewohner. Sie waren jetzt führerlos, nach der Schlacht, die schon so lange Monate her war, aber er würde diesen Posten nicht übernehmen. Ebenso wenig wie Dakun es jemals könnte, man würde ihn in dieser Verantwortung nicht akzeptieren, Damaso aber ebenfalls nicht, nicht weil er ein Halbblut war, halb Mensch, halb Elb, sondern weil er tatsächlich schlichtweg keine Ahnung von Politik hatte. Ein Problem, das er mit seinen Freunden aufgreifen würde, wenn er wieder da wäre!



„Lass sie alle beide hier, dann können sie sich wieder heimlich an deine Frau heran machen, während ich dich begleite.“ Markward legte Kieran freundschaftlich einen Arm um die Schultern und grinste ihn frech an.



„Vorsicht!“, warnte ihn Kieran. „Ich kann solche Anspielungen gar nicht komisch finden.“ Nicht wegen Damaso, fügte er in Gedanken hinzu. Damaso war schließlich sein Freund. Aber Dakun wollte er in dieser Beziehung noch immer nicht so recht vertrauen. Er hatte eine viel zu lange Zeit mit seiner Frau als Gefangene, mit Emily, verbracht, das Schlimmste für ihn war aber, dass Dakun bei der Geburt seines Sohnes dabei gewesen war, und nicht er! Kieran schüttelte unmerklich den Kopf, bevor er Markward ansah und ihm dann zunickte. „Also schön, lass uns übermorgen los reiten.“, sagte er nur knapp.

 



„Dann hör jetzt endlich auf dir Sorgen zu machen und Trübsal zu blasen und tanz endlich mit deiner Frau, bevor es Damaso wieder tut, und du sie den Rest der Nacht nicht wieder zurückbekommst!“, feixte Dakun und hielt seinerseits Ausschau nach Silva, die mit seinem Sohn hier irgendwo sein musste.



Damaso sah Kieran verschmitzt von der Seite her an.



„Wer sie zuerst fragt hat sie die ganze Nacht über für sich!“, forderte er ihn auf und lief mit langen, ausholenden Schritten los.



„Untersteh dich!“, rief ihm Kieran hinterher und machte sich daran ihm nachzusetzen. Aber Damaso war schneller, und Emily legte Kieran nur mit einem augenzwinkernden Lächeln ihren Sohn in die Arme, bevor sie sich von Damaso zum Tanzen fortführen ließ. Aber eigentlich war es Kieran auch ganz lieb so. Er hatte das Tanzen noch immer nicht wirklich gelernt und sah lieber den beiden zu, statt selber tanzen zu müssen.



Irgendwann bedeutete er Emily mit einem Kopfnicken, dass er mit Asrar zurückgehen würde, um ihn Schlafen zu legen. Emily folgte ihm kurz darauf.





Am übernächsten Tag wurde Emily morgens von einem langen Pfiff geweckt. Sie schreckte auf, als sie merkte, dass es draußen schon hell war. Die Sonne schickte ihre sanften Strahlen durch die seidigen Vorhänge der Fenster und Vogelgezwitscher war leise zu hören. Kieran lag schon nicht mehr neben ihr im Bett. Schnell zog sie sich an und ging nach draußen auf den Balkon, der ihr luftiges Haus in den Bäumen umrahmte, und schaute sich um. Kieran stand inmitten des grünen Streifens, der zwischen dem Waldrand und dem Fluss lag und wartete. Kurze Zeit später kamen zwei Pferde im leichten Galopp heran und hielten vor ihm an. Er begrüßte die Tiere und schien dem einen Pferd etwas zuzuflüstern, was sich daraufhin wieder in Bewegung setzte und durch den Wald trabte. Emily erkannte es als Markwards Pferd und lächelte. Sie hatte noch immer keine Ahnung davon, wie Kieran es anstellte mit den Pferden zu kommunizieren, so dass sie jedes Mal, wenn er sie brauchte, zu ihm kamen und sich von ihm zu ihren Besitzern weiterschicken ließen. Wahrscheinlich war das ebenfalls eine Seite seiner ganz eigenen Magie. Aber wegen dieses Geschicks hatten die Elben ihm damals ihre Pferdeherden in der Grenzmark anvertraut. Vielleicht lag es an seiner Abstammung. Sein Vater war selber ein Mann, der sich hervorragend auf Pferde verstand und eine der bedeutendsten Zuchten der südlichen Länder führte. Es war ihm anscheinend in die Wiege gelegt worden.



Kieran tätschelte seiner Stute den Hals und flüsterte auch ihr etwas zu. Das Pferd kam langsam hinter ihm her, als er wieder zurückging, um seine Sachen zu holen, und wartete artig unten an der Treppe.



„Oh, ich wollte dich nicht wecken!“, rief Kieran erstaunt aus, als er oben auf dem Balkon Emily antraf. Er nahm sie in seine Arme und küsste sie. „Guten Morgen, mein Engel!“



Emily sah ihn lauernd an.



„Guten Morgen! Du wolltest dich doch wohl nicht einfach davon machen?“, schalt sie ihn mit einem leicht vorwurfsvollen Ton, lächelte ihn aber gleichzeitig an.



„Natürlich nicht! Wie könnte ich wohl, ohne dich noch einmal im Arm zu halten …!“ Er zog sie noch etwas fester an sich heran und bedeckte jede noch so kleine Stelle ihres Gesichts mit leidenschaftlichen Küssen.



„Kieran, bist du soweit?“, drang irgendwann eine Stimme von unten zu ihnen hinauf. „Kieran?“



„Hm?“, machte er nur und küsste weiter versonnen seine Emily.



„Kier …!“ Auch Emily versuchte ihn daran zu erinnern, dass Markward gekommen war, um ihn abzuholen. Aber er ließ sie erst gar nicht zu Wort kommen.



„Kieran?“ Markward war von Pferd abgestiegen. Seine Schritte waren nun auf dem Holz der Treppe zu hören.



Nur widerwillig löste sich Kieran von seiner jungen Frau.



„Weißt du was ich jetzt viel lieber täte?“, raunte er ihr ganz leise ins Ohr und fing an, daran herumzuknabbern. „Mit dir?“



„Dann solltest du dich beeilen, wieder zu mir zurückzukommen.“, erwiderte sie ihm ebenso leise und funkelte ihn verführerisch lächelnd aus ihren großen, grünen Augen an.



„Ach herrje!“, entfuhr es Markward, der ihre Blicke sah. Er war oben auf dem Balkon angekommen. „Das ist ja nicht zum Aushalten mit euch beiden.“



Kieran warf ihm nur einen grimmigen Blick zu. Er hätte sich ja ruhig noch etwas Zeit lassen können!



„Bestell deinem Vater schöne Grüße von mir und richte ihn das hier aus.“, gab Emily Kieran mit auf den Weg und drückte ihn kräftig. „Und das hier!“ Und damit küsste sie ihn auf die Wange.



Kieran lächelte sie nur an und nickte.



Markward griff nach Kierans Satteltasche, die bereits fertig gepackt in der Tür stand.



„Komm schon. Sonst werden wir erst um Mitternacht da sein! Ich sag dir was: Du wirst ganz schön weich!“



„Bist ja nur neidisch!“, zischte Kieran ihn an und küsste Emily noch ein letztes Mal zum Abschied.



„Tja, ist lange her, dass mich mal jemand geküsst hat!“ Markward grinste Emily schief an und nickte ihr schon zum Abschied zu, als Emily ihn an der Schulter zurückhielt.



„Dass du mir ja meinen Mann schnell wieder zurückbringst! Und keine blöden Bemerkungen mehr.“ Sie lächelte ihn kurz an, dann gab sie ihm einen innigen Kuss auf die Wange. Jetzt war es Markward, der sich kaum mehr rühren konnte und wie versteinert dastand.



„Komm schon!“, spottete Kieran. „Sonst kommen wir noch zu spät in Al-Alef an. Du musst zeitig ins Bett!“ Er stieg bereits die Treppe hinunter.



Markward sah noch immer einigermaßen verdattert Kierans Frau an. Als sie ihn aber an der Schulter herumschubste, damit er hinter Kieran herkam, fasste er sie noch einmal schnell im Nacken und stahl sich noch einen flüchtigen Kuss von ihren Lippen, bevor er dann endlich zusammen mit Kieran die Treppe hinunter verschwand.



„Das habe ich jetzt nicht gesehen …“, sagte Kieran nur trocken und zog eine Augenbraue hoch.



„Dann ist ja gut!“, Markward grinste ihn an. „Jedenfalls verstehe ich dich jetzt!“



Schweigend führten sie ihre Pferde nebeneinander her bis hinunter zum Fluss. Dort wartete Damaso schon auf sie, wie stets, um seine Freunde zu verabschieden.



„Tu mir den Gefallen und kümmere dich um sie. Und behalte Dakun im Auge!“, bat ihn Kieran mit leiser Stimme. Dann saß er auf und sah zu Markward hinüber, der Damaso zum Abschied nur zunickte. „Wir werden in vier bis fünf Tagen wieder zurück sein!“



„Mach dir keine Gedanken. Ich werde sie zu dem Fest nach Meralda begleiten.“, rief Damaso ihnen noch hinterher, als sie über die Brücke über den Fluss davon trabten.



Damaso wandte sich um und ging zu Emilys Haus, wo sie noch immer auf dem Balkon stand und ihn beobachtete, wie er zu ihr aufblickte. Freudig lächelnd winkte sie ihm zu und bat ihn zum Frühstück herein. Damaso begrüßte sie oben angekommen herzlich und nahm sie erst einmal in die Arme.



„Ich werde dich heute nach Meralda begleiten.“, eröffnete er ihr.



„Ach, schickt dich mein Mann wieder, um auf mich aufzupassen?“ Emily musste lachen.



Aber Damaso sah sie ernst an.



„Du tust ihm unrecht!“, meinte er. „Er macht sich nun mal Gedanken um dich!“



„Er macht sich immer Gedanken, oder nicht?“, fragte sie.



„Du doch wohl auch!“, entgegnete ihr Damaso. „Aber es ist ja nicht so, als würde er an dir zweifeln. Er hat Sorge, dass dir etwas passieren könnte. Und in der Vergangenheit ist ja wohl auch zuviel passiert, oder nicht? Er liebt dich, Emily! Es ist ganz normal, dass man sich um die sorgt, die man liebt.“ Er strubbelte ihr durchs Haar. „Ich mache mir ja auch stets Gedanken um dich!“



„Damaso!“ Emily zog ihre Stirn in Falten. „Wie gut, dass das jetzt nicht Kieran mitbekommen hat!“



„Nein, nein, ich glaube er hat begriffen, dass ich einfach nur in dich vernarrt bin. Ich werde bestimmt keine ernsthafte Bedrohung für euch beide sein.“ Damaso lachte kurz auf. Dann aber wurde er wieder sehr ernst. „Versuch ihn zu verstehen. Er hat lange Zeit allein verbringen müssen. Conall hat uns die ganzen zehn, elf Monate, oder wie lange es auch immer war, voneinander getrennt gefangen gehalten. Während ich das Glück hatte mit einigen anderen meine Zelle zu teilen, hat ihn sein Bruder in einem ganz anderen Gebäude gefangen gehalten. Ganz alleine und in der Gewissheit, dass alle seine Freunde tot wären. Und