Nur noch Fußball!

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Gekasschnitzel

Am Freitagabend sagte Achim Greser auf der Titanic-Weihnachtsfeier zu mir, beim Fußballgucken bereite ihm Matthias Sammer am meisten Freude. Wenn Sammer als Sky-Experte im Einsatz sei, zähle er, Achim, immer mit, wie oft der DFB-Sportdirektor die Phrase »ein Stück weit« verwende. Sammer rage aus dem Heer der »Ein Stück weit«-Automaten mindestens »ein Stück weit« heraus, meinte Achim, der darüber hinaus betonte, daß in der laufenden Saison so viele Tore wie seit langem nicht mehr fielen und so viele Auswärtssiege wie seit Jahren nicht mehr zu verzeichnen seien.

Ich schaue mir Frankfurt gegen Mainz im Kyklamino an. Die Eintracht hat eine exzellente Auswärts- und eine miserable Heimbilanz. Das verspricht einen vergnüglichen Nachmittag, zumal da Tuchels Team mit einer »flachen Vier« spielt und die »gefühlte Ballbesitzzeit«, wie der Reporter mitteilt, erstaunlich, ja: intensiv sei? Hoch sei? Eine hohe Zeit?

Noch besser würde ich mich fühlen, stünde ich jetzt auf der Hohen Acht und blickte über die wunderbare, verschneite Eifel. In der 35. Minute erzielt allerdings Russ das 1:0. Wenn der Russ’ mal kommt, ist alles zu spät, das weiß man, und deshalb sagt mein Kumpel Berry: »Dann gibt’s heute ein Fünfnull.«

Ein paar Minuten später tritt Risse auf und schlägt den Russ’ zurück. So. Berry: »Jetzt verlier’n sie.«

Ich überlege, ob ich eine hochnotwendige Kritik der Werbebande zusammenschmieren sollte, verwerfe den Gedanken aber nach dem nächsten Schluck Bier. Nach dem »Pausentee« (Reporter) ist die »gestiegene Erwartungshaltung« (laut Postkarte von Eckhard Henscheid tauchte die kürzlich in einem Sportbericht gleich viermal auf) förmlich mit den Ohren zu sehen. Berry: »Der Meier ist für den Grabowski gekommen.« Mir geht das ständige Reklamieren auf den Geist, dieses Träntütentheater. Fußball, schreibt Pit Chotjewitz, ist »eine Geschlechtskrankheit«.

Mainz sei nun »gut im Schuh«, klärt uns der Reporter auf. Sia sieht heute klasse aus. Berry erzählt: »Ich hab’ noch nie so viele Besoffene vor dem Stadion rumliegen sehen wie in Dortmund.« Wirt Apollo kommentiert die Vorstellung der Eintracht: »Dieses Stehen ist am Arsch!«

In der 75. Minute erhält Frankfurt einen Freistoß. Einer brüllt: »Wir brauchen jetzt Dr. Hammer!« Der Reporter: »Man müßte jetzt aus solchen Situationen mal Nektar saugen.« Berry: »Das ist wie im Pornofilm.« Hm. Ein anderer: »Der eine ist zu kurz, der eine ist zu langsam, der andere fällt um.«

Apollo erläutert, daß »Gekas« wörtlich »Jagdhund« oder »Jäger« bedeute. »Oder Hundesohn«, wirft jemand ein und ergänzt: »In Zukunft bestelle ich Gekasschnitzel.«

Der Mainzer Holtby habe in den vergangenen Wochen »Kreativität tanken können«, schnabelt der Reporter vor sich hin. Apollo und Berry stoßen mit Wodkanektar »auf den an, wo dem Tor schießt«. Erledigt wird das von Gekas.

Das war es dann für vorgestern.

Zu gut zum Siegen?

Mag sein, daß in der aktuellen Bundesligahinrunde neuerlich allerlei First-class-Dummheiten und spielerische Toppleiten das kulturelle Leben in dieser Glanzrepublik bereichert haben, doch der unanfechtbare Höhepunkt fußballerischer Kunstausübung und -darbietung war am 2. Oktober 2010 im Frankfurter Gallusviertel zu gewahren, als zum drittenmal nach 2007 und 2008 das »Große Turnier um den leeren Gallus-Pokal« ausgetragen wurde.

Ich hatte eiskalt beschlossen, nicht zu spielen – den dreckigen Job der Titelverteidigung sollten andere erledigen –, mich zum Teammanager von »Hermann United« ernannt und Katja zur Technischen Direktorin degradiert, die nun für die Spielerbeschaffung und surrealistische Taktikskizzen zuständig war, die unseren Hauptfeind, meinen Stammwirt Apollo und dessen Ramschtruppe »Apollo 11«, irritieren und demotivieren sollten.

Am Vorabend des 2. Oktober standen exakt zwei Spieler auf meiner goldgefaßten Managerschiefertafel: der Trierer Dauerläufer und -esser Jöricke und unser in mancher Kesselabwehrschlacht gestählter Torwart, der Universalhandwerker und -politologe Martin S., der, um Gegentreffer zu verhindern, notfalls unser Tor auf dem abermals optimal überfluteten Kleinplatz gegenüber der Societäts-Druckerei geschwind abschrauben würde.

»Katja, du hast versagt, ich muß dich entlassen«, brummte ich am Tresen des Kyklamino. »Was soll ich denn machen? Einer hat Knie, einer hat zwei Knie, einer hat gar kein Knie mehr, und einer hat keine Schuhe. Was ist überhaupt mit deiner Nia Künzer?« – »Hab’ mein Handy ins Bierglas geschmissen und deshalb ihre Nummer nicht mehr.« – »Und du willst Manager sein? Sogar Elena, die von dir erkieste Pressesprecherin, ist spurlos verschwunden!«

Bevor die Situation eskalierte, schritt Martin S. ein: »Ruhig, Leute! Wir organisieren einfach schnell ein paar kaputte Typen mit Killerinstinkt. Ich kenn’ zwei Zigarrenraucher, die haben gut Luft, die ruf’ ich an.«

Nach zwei Telephonaten war klar, daß die Zigarrenraucher zwar gut Luft zum Saufen, aber keine Lust zu laufen hatten. Ich erreichte wenigstens den Gießener Kollegen Jörg S., der mir steckte, irgendwas »mit den Knien« zu haben. Ich kündigte ihm die Freundschaft, da sagte er zu, und auch Katja hatte plötzlich die zwei Brecher Mirko und Christoph engagiert.

Apollo, der Berlusconi des Gallus, verfügte laut Spielerplan über zwanzig Luschen, lauter korrupte Einkäufe. »Es geht morgen um brutalstmögliche Härte«, schwor ich uns drei lautstark ein, »der Trojanische Krieg wird nichts dagegen gewesen sein.« Apollo winkte ab und griente sardonisch, und ich erteilte unserem Torwart Vögelverbot. »Logisch, dumm kickt gut«, sagte er, und Katja meinte: »Zur Not renn’ ich mit der Uzi auf den Platz.«

Sport1 meldete am nächsten Morgen die falsche Anstoßzeit – beziehungsweise gar nichts. Ich klingelte noch Jürgen L. aus dem Bierfaß. Er brachte Dinu mit, hatte selber aber keine Hose und keine Schuhe, und der Amerikaner Peter B. stieß zu uns. »Das geht eher Richtung Paralympics«, stöhnte Jörg S. und fragte mich sachlich: »Wie, du spielst nicht mit, du Schwein?« – »Das gibt einen Eintrag ins Klassenbuch«, sagte Katja.

»Wir haben vier Defensivkräfte und einen Verteidiger«, lotete Jöricke unsere Chancen aus. »Du Arsch machst die Buden – und fertig!« munterte ich ihn auf, als die dritte Mannschaft auftauchte, ein äußerst undurchsichtiger Verein namens »Orange Beach« unter der Leitung des Pressemoguls Martin O.

Von Apollos »Cracks« waren Stücker drei erschienen. »Ist das schön, diese Ratlosigkeit!« sangen wir. Jürgen L. lief, um sich warmzumachen, in Straßenkleidung auf den Platz und fiel in ein Schlammloch. »Ich hab’ keine Luft mehr«, sagte er. Martin S. ergänzte: »Mental sind wir alle verletzt«, und Jöricke schmiß eine Flasche Pfungstädter in die Büsche: »Und die erste Plemp schon wieder weg.«

Ich gab die Losung »Ich will bedingungslose Unfairneß sehen!« aus, und nach zwei Minuten hatte Jöricke zwei Kisten gemacht. Jürgen L. und ich näherten uns der ersten Hälfte der ersten Kiste. Christoph netzte zum Dreinull ein, und am Ende war »Orange Beach«, der Geheimfavorit, wie gemunkelt worden war, trotz einheitlicher Trikots und Binding-Dopings mit 5:2 den Bach runtergegangen, insbesondere wegen der Fabelpässe des Königs der Lupfer, Jörg S., und Jürgen L.s pirouettenartigen Umfalleinlagen.

»Wir sind hier, um den Titel zu verteidigen«, stellte Jöricke, der Platinbomber aus Trier, klar. »Wir dürfen den Hochmut nicht sinken lassen«, hetzte Martin S. »das Team« (Katja) vorbildlich auf. »Diskret auftrumpfen«, so nun wieder Jöricke. Denn, das sah Apollos Auslosung vor, wir mußten schon wieder ran, gegen Erzfeind »Apollo 11«.

Es gibt Vorfälle in der Geschichte des Fußballs, die niemand begreift. Wir waren schneller, beweglicher, technisch besser, wir waren Brasilianer mit der Moral von Dänen, wir hatten Jürgen L., und mein Coaching (»Ball kontrollieren!« – »Ihr steht gut!«) war brillant. Wir spielten Apollos Schummeltruppe, die aus Stammkräftemangel kurzerhand mit vier »Orange Beach«-Apostaten und -Arbeiterverrätern unter der Regie des Martin O. verstärkt worden war, an die Pfosten – und lagen in der 14. Minute, weiß der Dompfaff, warum, 0:1, nach zwanzig Minuten, tja, 0:6 hinten. Waren wir zu gut zum Siegen?

Fünf Minuten vor dem Abpfiff schob Jürgen L. nach einem beidfüßigen Ballbillardballettänzchen zum 1:6 ein, doch ich fragte mich und uns, den Jammer jämmerlich übertünchend: »Hattet ihr Scheiße am Stiefel?« Martin S.: »Das dürfen wir in hundert Jahren nicht verlieren, das gibt es nicht!«

Martin O., Judas Ischariot in persona, grinste: »Die dritte Halbzeit ist gerettet.« Meine Mannschaft beriet darüber, ob ich noch zu halten sei. »Apollo 11« gewann, nicht zuletzt, weil Uli der Blocker, der Spieler des Turniers, das einzige Foul des Nachmittags beging, auch die Abschlußpartie und holte den Titel. Martin O. reichte mir die Hand: »Ich hab’ ja ungern gegen mich gewonnen.« So sehen Schurken aus.

Später feierten die Apoakropolisstalinisten im Kyklamino den größten Betrug der Fußballgeschichte. Meine Leute schrieen »Roth raus! Roth raus!«, und einzig Freund Jöricke wandte sich mir zu und sagte: »Mach mal die Kamera klar, ich schmeiß’ gleich einen Barhocker quer in die Flaschenbatterie.«

Was danach passierte, erzählen wir ein andermal.

Es gibt keinen Sand in der Sahara

»2010 stellte ein besonderes Sportjahr dar«, hieß es kürzlich formvollendet in der Thüringer Allgemeinen, und auch der ORF blickte zufrieden zurück: »Die Kegelweltmeisterschaften mit Teilnehmern aus neunzehn Nationen fanden in Ritzing statt, die U-20-B-Basketball-EM ging in Oberwart und Güssing über die Bühne.« Tu felix Austria, aber hallihallo!

 

Vermutlich mit einem kraftvollen »Horrido!« auf den Lippen holte Viktoria Rebensburg in Vancouver Gold im Riesenslalom, zeigte den Österreichern die lange Nase und erklärte: »Bei Olympia muß man riskieren oder probieren, sonst gewinnt man nur Himbeeren oder Bananen.« Beziehungsweise ein Glas Ananassaft mit Wermut.

Noch in der Retrospektive bekam sich der Spiegel angesichts der angeblich durch und durch grandiosen Winterspiele nicht mehr ein. Weil die Wettbewerbe in den jüngsten Toptorheitsdisziplinen Snowboard, Freestyle, Skicross, Shorttrack und Hampeldipampel so gut besucht waren, flötete das Blatt zum Jahresausklang: »Die olympische Bewegung wurde entstaubt. Die Spiele in Kanada waren ein Fest der jungen Disziplinen.« Ich jedoch sage euch: Wenn der erste Shorttracker freestylish die vereiste Crossroad vor meiner Haustür quert und dabei einen Snowboarder grüßt, der über den Bürgersteig gleitet, wandere ich nach Katar aus und eröffne da eine Schlittenhundeschule.

Nein, nicht, mit Thomas Müller zu reden, der bei der WM in Südafrika ein Tor erzielte, das eine exakte Kopie des 2:1 von Gerd Müller im Finale 1974 war, – nicht Mexitinien erhielt den Zuschlag für das Championat 2022, sondern Liechtenstein, Unfug: Malta, Quatsch, Katar natürlich, welches Land denn sonst. Wäre ja gelacht gewesen, hätten sich die Gaudiburschen und Wonneproppen im FIFA-Exekutivkomitee ausnahmsweise mal nicht äußerst erkenntlich für die kleinen Gaben aus allerlei staatlichen und anderweitigen Schwarzgoldtöpfen gezeigt, aus arabischen und russischen Säckeln, die wohl hinsichtlich der Vergabe der WM 2018 an das ehemalige Reich des Bösen von Platinpremier Putin persönlich bis zum Platzen befüllt worden waren.

Das ganze Schmierentheater in der Gauneroase Zürich respektive Schweiz, in der korrupte Weltsportfunktionäre strafrechtlich nicht belangt werden dürfen, ward flankiert nicht nur, wie der Spiegel berichtete, von einem holden »Heer von Regierungschefs, Abgesandten europäischer Königshäuser und arabischer Emirate, Fußballidolen und Verbandsfürsten«, sondern auch von Enthüllungen der BBC und des Schweizer Tagesanzeigers über einen neuen wunderschönen Bestechungs- und Versaubeutelungsvorgang innerhalb des Fußballweltverbandes, über den, wenn’s kein anderer anpackt, ich demnächst wirklich ein Theaterstück in Shakespeareschem oder Schillerschem Zuschnitt zusammenkloppen werde, mit der Hauptfigur Joseph Seppl Blatter als Variante von Richard III. oder Philipp II.

Nun, diesmal mußten sich diverse Mitglieder des FIFA-Exekutivkomitees, unter ihnen der sattsam bekannte brasilianische Schmiergeldentgegennehmer Ricardo Teixeira, vorhalten lassen, etliche Millionen eingesteckt zu haben, die BBC belegte insgesamt hundertfünfundsiebzig Geheimtransaktionen der appetitlichsten Art. Und die Reaktion des Gutsherrn Blatter? Pah!

Mehr noch: Blatter, über den die Schweizer Gammelgazette Blick kürzlich zusammenschmierte, der Patron sei auf Grund seiner – Obacht! – »Bescheidenheit und Demut« so »charismatisch«, tat, ohne daß er grün, rot und blau zugleich anlief, kund: »Es gibt keine systematische Korruption in der FIFA. Das ist Unsinn.« Stimmt. Es gibt keinen Sand in der Sahara. Das ist Unsinn.

»Ob der Sepp«, fragte der Journalist Jens Weinreich, »schon an Pseudologie leidet?« Also an der Lügenkrankheit? Antwort Weinreich: »Die Wahrheitsbeugungen, die Blatter begeht, müssen erst noch gezählt werden.« Und damit werden wir im neuen Sportjahr genausolange zu tun haben wie mit der Ermittlung des Tour-de-France-Siegers Anno 2010. Heureka und halleluja!

Soweit war das Sportjahr 2010 mithin eines wie immer, auf unseren lieben Sport ist halt Verlaß, national wie international. Im italienischen Fußball wurde abermals ein gigantischer Betrugsskandal aufgedeckt, der bis in die zweite Bundesliga ausstrahlt, in Spanien hob die Guardia Civil einen Dopingring rund um den notorischen Arzt Eufemiano Fuentes aus, und hierzulande nagelte insbesondere die Sport Bild, zu der Ioannis Amanatidis von der Frankfurter Eintracht mal fallengelassen hat: »Schmuddelblatt«, »schreibt im großen und ganzen nur Dreck«, den üblichen Stiefel voller Ahnungslosigkeit, Nichtigkeit und Hetze zusammen, indem sie zum Beispiel wochenlang den ziemlich untadeligen Michael Ballack derart degoutant demontierte, daß man den Springer-Säcken ein ungarisches Mediengesetz an den Hals wünschte – während der Veranstalter der alpinen Ski-WM im Februar in Garmisch-Partenkirchen ankündigte, Journalisten vor ihrer Akkreditierung geheimdienstlich durchleuchten zu lassen.

Neu war allerdings, daß Sebastian Vettel Formel-1-Weltmeister wurde – wegen seiner »Renngeilheit«, unterstrich Michael Schumacher; daß die Nationalmannschaft außer im hasenfüßig vergeigten Halbfinale gegen Spanien mirakulös elegant auftrat – und, meinte die vollkommen narrische B. Z., »mit Selbstvertrauen so groß wie Mozart«; daß der widerliche Boxpromoter Ahmet Öner nach einer Niederlage des Schwergewichtlers Steffen Kretschmann zum besten gab: »Hiermit ist er frei. Ich übergebe ihn der Masse. Sie kann ihn haben und zu Hause ausstopfen«; daß im Landtag von Sachsen-Anhalt tatsächlich über den Einsatz von Gummigeschossen und Drohnen bei Sportveranstaltungen debattiert wurde; und daß Handballer und Basketballer gegen das Anti-Doping-Meldesystem protestierten, derweil der Wiener Dopingfahnder Andreas Holzer erzählte: »Wir stießen während unserer Ermittlungen auf Hobbysportler, die für die Vorbereitung auf einen Marathon rund siebentausend Euro in Dopingpräparate investierten, nur um von Platz 1.042 auf Platz 912 nach vorn zu kommen.« O gesegnete Welt des ubiquitären Sports!

Was steht in den kommenden zwölf Monaten an? Worauf dürfen wir uns freuen? Auf das Sequel von Louis van Gaals Autobiographie, diesmal so dick wie James Joyce’ Ulysses? Auf Tennismatches in Wimbledon, die drei Tage und zwei Nächte dauern? Auf die Vergabe der idiotischen Olympischen Winterspiele 2018 an München, da, teilte uns DOSB-Präsident Thomas Bach im Zusammenhang des obstinaten Auftretens der Olympiagegner mit, »das olympische Dorf als Erbe der Spiele die Wohnungsnot in der Stadt lindern« würde? Auf eine Leichtathletik-WM ohne Fernsehbilder, weil ARD und ZDF nur sechs statt der geforderten fünfzehn Millionen Euro für die Rechte rausrücken wollen? Auf eine Frauenfußball-WM, über die sogar die OK-Präsidentin Steffi Jones sagt, sie habe »Angst, daß wir in unseren Erwartungen nicht realistisch bleiben«?

Na ja, Dr. Theo Zwanziger schreibt auf der Website seines Ladens: »Ich bin mir jedenfalls sicher, daß die WM gut für unser Land sein wird«, und Dr. Theo Zwanziger ist ein weiser, ja weitblickender Mann. Nur gut, daß Günter Netzer bekannte: »Ich würde mir nicht zutrauen, ein Frauenfußballspiel zu analysieren«, weshalb wir frohgemut nach vorne schauen und dem Sportjahr 2011 schon heute ein herzliches »Hurra!« entbieten. Aber holla!

Der Krampf geht weiter

In unserer phänomenalen Medienwelt erfährt man nahezu unentwegt Dinge, die ob ihrer schieren Unbegreiflichkeit derart betörend, ja enervierend sind, daß man sie am liebsten, mit Karl Valentin zu reden, noch nicht mal ignorieren würde. Andererseits möchten wir schon zitieren, was jüngst der Mediziner Stefan Eber in der allzu beknackten Causa Claudia Pechstein dargelegt hat, nämlich – aufgepaßt! –: »Der bislang für die bekannten Permeabilitätsdefekte [der Xerozytose] untypische, verkleinerte Erythrozytendurchmesser von Claudia und ihrem Vater weist auf eine Mischform mit der hereditären Sphärozytose hin.«

Capisce?

Nun, von einer solch mirakulösen »Mischform« war bis dato zwar nichts bekannt, aber das heißt selbstverständlich nicht, daß man nicht weiter ausführen könnte: »Ein definitiver Beweis für die hier beschriebenen Anomalien ließe sich durch die Messung der erythrozytären transmembranösen Kationenpermeabilität […] erbringen. Diese Untersuchungen sind sehr aufwendig und werden derzeit unseres Wissens in keinem Labor routinemäßig angeboten.«

Hm. Na ja. Schön. Oder auch nicht. Im übrigen wissen wir nicht, wie viele Säcke Reis in den vergangenen vierundzwanzig Monaten umgefallen sind, in denen uns die vom Internationalen Sportgerichtshof CAS wegen mutmaßlichen Blutdopings für zwei Jahre gesperrte Eisschnelläufern Pechstein mit ihren unermüdlich anberaumten Großereignispressekonferenzen die Langeweile vertrieben hat.

Und zwar bis gestern. Denn seit gestern ist sie wieder richtig da. Helau, halleluja. Es ist das alles wahrhaft wunderbar.

In Erfurt trat Claudia Pechstein bei einem gänzlich unbedeutenden Vereinssportfest über 3.000 und 1.500 Meter an und blieb unter der Norm des Weltverbandes ISU, so daß sie nun am kommenden Wochenende beim Weltcup in Salt Lake City starten wird. Sie hat nichts Besseres zu tun, auch als demnächst 39jährige, vom Alter her durchaus reif zu nennende Frau nicht. Kufen im Kopf, sonst offenbar nichts. Es ist ein Kreuz.

Das Kreuz jedoch, das hat Claudia Pechstein jetzt abgelegt, glauben wir ihr und der um sie herumkurvenden Hochleistungssportpresse, in der diese unfaßbare Frau Pechstein mit den Worten zitiert wird: »Ich bin wieder da. Das ist der größte Sieg meiner Karriere.« Und: »Unter diesem Druck zu laufen ist alles andere als leicht. Dieser Medienrummel war der Wahnsinn.«

Es ist längst nicht mehr auszumachen, wann genau der Wahnsinn begann, wann die Berliner Polizeihauptmeisterin zum erstenmal und in der Folge dann unerbittlich das Wort »Wahnsinn« in den Mund nahm. »Das Ganze ist der nackte Wahnsinn«, hatte die aufs ärgste geschmähte Olympiasiegerin nach dem CAS-Urteil geäußert, und fortan verging kaum eine Woche, in der sie nicht die Welt mit ihren Beteuerungen und Selbstinszenierungen belästigte, jeden Schamgefühls abhold und umrankt von allerlei Highendexperten.

Jetzt ist beinahe alles wieder im Lot, der Schwachsinn darf halt kein Ende nehmen. »Es wurde ein kleiner Triumphzug für die Berlinerin«, meldet die Welt und fügt hechelnd hinzu: »Mit den eigenen Augen sehen mußte man Claudia Pechstein gar nicht, um zu wissen, wo sie gerade ist. Als sie ihre Runden dreht, springen die Zuschauer auf, wenn die Athletin vorbeirauscht, kreischen sie laut auf.«

Von einem »medialen Großereignis« ist vielerorts die Rede, und die FAZ berichtet: »Um ihnen [den Fans] Beine zu machen, hatte der Veranstalter trotz der prominenten Starterin bei seinem Nachwuchswettbewerb darauf verzichtet, Eintrittsgeld zu verlangen. Claudia Pechstein hatte der Lokalzeitung ihr einziges Interview dieser Tage gewährt und um breite Unterstützung geworben.«

Die ist ihr zuteil geworden, etwa durch den Berliner Kurier, der die Schleimschleuder anwarf und unter der Überschrift »Pechis größter Sieg« von einer »Unrechts-Sperre« faselte und »diesen am Ende so wunderbaren Tag« mit dem Krönungssatz bejubelte: »Eine Kämpferin war Claudia Pechstein schon immer.«

Wohl wahr. Pechstein gab hernach selber kund: »Der Kampf ist dann vorbei, wenn ich vollständig rehabilitiert bin.«

Mehr Kampf war nie, und wir dürfen sicher sein: Der Krampf geht weiter, Muskel- und Hirnkrämpfe eingeschlossen.

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