Menschenbilder

Text
From the series: Studiengang Theologie #11
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Font:Smaller АаLarger Aa

B. Quellen und Methoden
a) Quellen

Die Untersuchung von Zeitschriften mit ihrer fortlaufenden Berichterstattung ist ein Gradmesser von Veränderungen und Umbrüchen. Sie ermöglicht das Aufzeigen von Kontinuitäten und Brüchen über einen längeren Zeitraum.

Die wissenschaftliche Erschließung des Evangelischen Missions-Magazins bezüglich seiner Geschichte, Redaktion, Autorenschaft und behandelten Themen stellt den Ausgangspunkt der Studie dar. Daran knüpft sich die Frage an nach dem Charakter und der Bedeutung von Missionszeitschriften im 19. Jahrhundert allgemein. |17|

Ältere Untersuchungen über die Zeitschrift liegen nicht vor. Sie wurde bis jetzt vor allem als Quelle für Einzeluntersuchungen, nicht aber in ihrer Funktion als historische Quelle bearbeitet.4

Untersucht werden die Jahrgänge 1816 bis 1914, also die Zeit von den Anfängen der Basler Mission bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges, der für die Basler Mission als schweizerisch-württembergische Gesellschaft einschneidende Veränderungen mit sich brachte. In diese Zeit fällt die Gründung des deutschen Nationalstaates, das Einsetzen des Kolonialismus, die Ära der Hochindustrialisierung. Für die Basler Mission ist dieser Zeitraum unter anderem durch das Inspektorat des einflussreichen Inspektors Joseph Josenhans (1850–1879) geprägt. Dazu kommt 1874 die Gründung der Allgemeinen Missionszeitschrift (AMZ) von Gustav Warneck, durch die dem Basler Missions-Magazin eine gewichtige Konkurrenz erwuchs.5 Durch diesen großen Untersuchungszeitraum – 1816 bis zum Ende des ‹langen 19. Jahrhunderts› – lassen sich langfristige Entwicklungen in der Theologie und dem gesellschaftlichem Umfeld der Basler Mission aufzeigen. Die Dissertation bietet eine nötige – und bis dato fehlende – Grundlage für alle weiteren Untersuchungen zum Thema Menschenbilder in der Missionspublizistik.

Dem Missions-Magazin als Hauptquelle werden weitere Publikationen der Basler Mission zur Seite gestellt, daneben Zeitschriften anderer Missionsgesellschaften aus Deutschland und England, vornehmlich der Church Missionary Society, zu der die Basler Mission besonders enge Beziehungen hatte,6 sowie die bereits erwähnte Allgemeine Missionszeitschrift.

Da die anthropologischen Aussagen in den Artikeln des Missions-Magazins zwar zahlreich, aber durchwegs implizit vorhanden sind, sollen diese indirekt formulierten Aussagen durch explizit dogmatische Aussagen beispielsweise über «Der Mensch, das Haupt und der Zweck der sichtbaren Schöpfung» verbunden werden, wie sie in Die christliche Glaubenslehre (1876) von Friedrich Reiff, der als Lehrer am Missionshaus tätig war, zu finden sind.7 |18| Autoren aus dem Umfeld der Basler Mission mit spezifisch systematisch-theologischem Anliegen wie z.B. Hermann Gundert, Gustav Warneck und Theodor Oehler, die wie Reiff auch im Missions-Magazin publiziert, rezipiert und rezensiert wurden, bilden zusätzliche Referenzpunkte. Das erlaubt gleichzeitig einen Vergleich zwischen dem Sollen und dem Sein, zwischen der anthropologischen Lehre, mit der die Missionare ausgestattet wurden und ihre Arbeit begannen, und dem Menschenbild, welches aus den Aufsätzen und Artikeln des Missions-Magazins zur heimischen Leserschaft zurückkam. Welche Literatur von Angehörigen der Basler Mission rezipiert wurde, lässt sich anhand von Bibliothekskatalog und Verlagsführer nachvollziehen.8

Ein Problem der Quellen ist die redaktionelle Bearbeitung der Artikel. Die Missionare waren zu regelmäßigen Berichten an die Missionsleitung angehalten, die folglich als Grundlage für die publizierten Artikel dienten. Dabei muss stets beachtet werden, dass die Artikel immer zugleich auch als Werbetexte im Hinblick auf finanzielle und ideelle Unterstützung durch die Leserschaft dienen sollten. Von Interesse sind hier die sprachlichen Strategien, mit denen Plausibilität und Verbindlichkeit geschaffen und auf einen gemeinsamen Deutehorizont verwiesen wurde, um den Zusammenhang zwischen Autoren- und Leserschaft zu stärken.9

Und schließlich sind noch die zahlreichen Traktate zu nennen, die seit Bestehen der Basler Missionsgesellschaft zu vielen unterschiedlichen Themen erschienen und oft mehr als zehn Auflagen erreichten. Da sie sich oft mit den gleichen Themen beschäftigten, die auch die Zeitschriften behandelten, dies aber zumeist in einer viel plakativeren, polemischeren Sprache, sind sie punktuell eine interessante Ergänzung zu den Artikeln und können bestimmte Positionen auf besonders prägnante Weise illustrieren.

b) Methoden

Die Sichtung der Jahrgänge des Missions-Magazins und das Erstellen einer Übersicht der behandelten Themen geschehen mit Hilfe einer syntaktischen Analyse. Systematisch-theologische Abhandlungen und Charakterisierungen von Menschen, Rassen, Ländern werden genauer untersucht.

Die Annäherung an die ausgesuchten Texte geschieht mit dem Instrumentarium der medienwissenschaftlichen Inhaltsanalyse.10 Der Schwerpunkt der Analysen liegt auf der semantischen und der pragmatischen Ebene. |19| Schlüsselbegriffe wie ‹wild›, ‹Mann – Frau›, ‹heidnisch – bekehrt – christlich›, ‹Erziehung – Kultur›, ‹schwarz – weiß›, ‹der alte› bzw. ‹der neue Mensch›, werden quantitativ und qualitativ erfasst: Die in den Texten behandelten Themen und Motive werden zusammengefasst und in Kategorien aufgeteilt. In einer vergleichenden Themenanalyse wird untersucht, wie häufig und in welchem Zusammenhang die (semantischen) Kategorien in den Publikationsorganen auftauchen.

Die textpragmatisch orientierte Wert- bzw. Einstellungsanalyse untersucht die vom Autor vertretenen Werte und Einstellungen, die Motivanalyse beschäftigt sich mit der Aussagemotivation des Kommunikators/Autors.11

C. Inhaltliche Untersuchung

Die in der Inhaltsanalyse gewonnenen Ergebnisse fließen in die anschließende Interpretation ein. Die Interpretation selbst steht in der geisteswissenschaftlichen Tradition und bietet einen hermeneutischen Zugang. So wird es durch das Hinzuziehen textimmanenter und -externer Fakten möglich, die Bedeutungsstrukturen der Texte verstehend nachzuvollziehen. Dabei wird der hermeneutische Zirkel, in dem sich jede Untersuchung bewegt, immer mitreflektiert.

Die Untersuchung von Auto- und Heterostereotypen, ihre Interdependenz und Interaktion sowie ihre geschichtlichen und sprachlichen Erscheinungsformen in den Schriften der Basler Mission soll durch die Erforschung der theologischen Anthropologie vertieft und ergänzt werden. Sie werden von den Akteuren, den Autoren der Missionspublikationen, her interpretiert. Dies ermöglicht einerseits eine multiperspektivische und kritische Annäherung, andererseits sollen den heutigen Leserinnen und Lesern die damaligen Menschenbilder nahe gebracht werden. So bekommen sie einen Zugang zu der ‹fremden› Missionsgesellschaft als Ganze.12 Leitend ist dabei das theologisch-historische Interesse an der Missionsgeschichte des 19. Jahrhunderts.13 |20|

|23|

1. Einleitung

«Was muss heutzutage nicht alles der Mission dienen? Da gibt es Missionsreiseprediger und Missionsärzte, Missionslehrer und Missionskaufleute, Missionskolonisten und Missionshandwerker, Missionsstationen und Missionsschulen, Missionsspitäler und Missionsdruckereien, Missionsschiffe und Missionskarawanen, Missionszelte und Missions- wer weiß was noch. Da wird gepredigt auf Straßen und Märkten, bei Götzenfesten und in Tempeln, in Häusern und auf freiem Feld – aber gepredigt nicht nur durchs Wort, sondern gepredigt auch durch Bilder, durch Inschriften, ja durch Zauberlaternen und Schattenspiele […]. Da wird studiert und übersetzt, geschrieben und gedruckt, redigiert und kolportiert.»14

Mit diesen Worten beschrieb Johannes Hesse im Jahr 1900 in einem Rückblick auf das ‹Missionsjahrhundert› die Mittel und Methoden der Missionsgesellschaften. Er ist ein Zeuge für die enorme Ausdifferenzierung, die sich seit den Anfängen der systematischen protestantischen Mission vollzogen hatte und für die zentrale Stellung, welche die literarische Arbeit – das Studieren, Übersetzen, Schreiben, Drucken, Redigieren und Kolportieren – in den Missionen einnahm.

Das folgende Kapitel charakterisiert nach einem Überblick über den Stand der Forschung (2.1.) das Medium der Missionszeitschrift (2.2.) und untersucht den historischen Wert ihrer Illustrationen (2.3.) sowie die Bedeutung und Beschränkungen, die ihr als Quelle kirchengeschichtlicher Forschung zukommt (2.4.).

Das 3. Kapitel beschäftigt sich mit dem Kontext, in dem die Basler Missionsgesellschaft und ihre Publikationen entstanden. Kapitel 3.1. zeigt die missionspraktischen und -theoretischen Grundlagen, die im 18. Jahrhundert gelegt wurden und auf denen die Missionsbewegung des 19. Jahrhunderts beruhte. Aufgrund der engen Verbindungen, welche die Basler Mission mit den englischen Missionsgesellschaften, allen voran mit der Church Missionary |24| Society, pflegte, kommt zunächst die Ausgangssituation in England in den Blick (3.1.1.). Die 1699 und 1701 gegründeten Society for Promoting Christian Knowledge und Society for the Propagation of the Gospel in Foreign Parts (SPG) hatten ihre Arbeit in den englischen Kolonien ursprünglich nicht als Heidenmission angelegt. Die planmäßige protestantische Missionsarbeit der Dänisch-Halleschen Mission (3.1.2.) begann etwa zeitgleich auf dem Kontinent, wenig später folgte die Herrnhuter Mission (3.1.3.). Sowohl die englischen als auch die deutschsprachigen Missionsgesellschaften des 18. Jahrhunderts setzten mit ihrer Arbeit und ihrem Verhältnis zu Kirche und Obrigkeit Maßstäbe, welche von den späteren Missionsgesellschaften aufgenommen und transformiert wurden.

 

In seinem Rückblick auf das ‹Missionsjahrhundert› stellte Hesse fest, dass die Missionsgesellschaften ganz selbstverständlich nicht nur den direkten Kontakt zu den zu missionierenden Menschen pflegten, sondern dass sich Mission in starkem Maße auch über das geschriebene Wort inszenierte und ereignete. Dies geschah vor allem im Medium der Zeitschrift.15 Die Zeitschriften der Missionsgesellschaften spielten bei der Vernetzung untereinander, aber auch der Abgrenzung voneinander, bei der Rekrutierung von Mitarbeitenden und bei der Schaffung einer medialen Missionsgemeinde eine zentrale Rolle. Nach einer Einführung in Pietismus und Erweckung (3.2.1.) sowie einer Reflexion über den Begriff ‹Missionsjahrhundert› (3.2.2.) beschreibt das Kapitel 3.2 deshalb sowohl Geschichte und Charakter der Missionsgesellschaften als auch deren Missionszeitschriften.16 Dabei macht das Verhältnis von Missionen zu Kirche und Obrigkeit verschiedene Missionstypen sichtbar, mit deren Hilfe eine gewisse Systematisierung und Bündelung dieses vielgestaltigen Phänomens möglich wird (3.2.3.1–3.2.3.5.).

Kapitel 4 bietet einen Überblick über die Geschichte der Basler Mission im 19. Jahrhundert, ihre Entstehung und Vernetzung (4.1.), ihre pietistisch-erweckliche bzw. überkonfessionelle Ausrichtung (4.2.), ihre hierarchische Organisationsstruktur (4.3.) und den langen Weg zu einer eigenständigen Frauenmission (4.4.).

Im 5. Kapitel richtet sich der Fokus auf Publikationen aus dem Umfeld der Basler Mission, allen voran die Hauptquelle dieser Untersuchung, das |25| Evangelische Missions-Magazin (5.1.1.). Die enge Vernetzung der Missionsgesellschaften bzw. pietistisch-erwecklichen Organisationen überhaupt hatte auch eine enge Vernetzung ihrer Publikationen zur Folge. So bilden der Evangelische Heidenbote (5.1.2.), die Missionszeitschriften der englischen London Missionary Society (LMS) und Church Missionary Society (5.1.3.), das Calwer Missionsblatt (5.1.4.) und die Allgemeine Missionszeitschrift (5.1.5) wichtige Referenzpunkte und Ergänzungen zum Missions-Magazin. Die christliche Glaubenslehre (5.2.) sowie Missionstraktate (5.3.) fügen der Untersuchung weitere Dimensionen hinzu.

Das breite Themenspektrum der Zeitschriften und periodischen Veröffentlichungen zeigt dabei, dass missionstheoretische und -praktische Fragen im 19. Jahrhundert zunächst weniger in systematischen Monografien behandelt wurden, sondern sich aktuelle Diskurse, Berichte und Erbauliches vor allem in den Zeitschriften fanden. Sie waren die zentrale Schnittstelle von Missionsfeld und Heimat, von Leitungsgremien, Mitarbeitern und Unterstützergemeinde. Mission stellte sich in ihren Zeitschriften nicht nur dar, sondern in und durch die Zeitschriften ereignete sich Mission selbst. |26|

|21|

Teil I
Grundlegungen: Verortung der Basler Mission und ihrer Publikationen in ihrem geistes- und theologiegeschichtlichen Kontext

|22|

|27|

2. Zeitschriften als Quelle kirchen­geschichtlicher Forschung
2.1. Forschungsstand

Zu kirchlichen und theologischen Zeitschriften als Quelle und Medium der historischen Forschung gibt es bislang nur wenige Untersuchungen, obwohl bibliografische Gesamtübersichten zu Zeitschriften schon seit Ende des 17. Jahrhunderts, also fast genauso lange wie die Zeitschriften selbst vorliegen.17 Ins Blickfeld der Wissenschaft gelangten Zeitschriften erst im 20. Jahrhundert, als sie getrennt von Zeitungen betrachtet wurden. Die Untersuchungen konzentrierten sich vor allem auf Zeitschriften als Massenmedien sowie auf praktisch- und systematisch-theologische Aspekte von Zeitschriften. Friedrich Wilhelm Graf beklagt, «daß der außerordentlich hohe Quellenwert der reichen Zeitschriftenüberlieferung für diskurs-, ideen-, begriffs- und mentalitätshistorische Studien zu den religiösen Kulturen der Moderne bisher kaum wahrgenommen wurde».18 Zudem fehlten bibliografische Hilfsmittel sowie Angaben über Auflagen, Leserschaft, Verbreitung und Autorenschaft.19 |28|

Im Bereich der Missionsgeschichte bietet sich das gleiche Bild: Es wird vor allem mit und nicht über Zeitschriften als Quellen gearbeitet.20 Von Terry Barringer und Rosemary Seton, welche die 1997 entstandene Missionary Periodicals Database initiiert haben und betreuen, stammen auch einige der wenigen Aufsätze über Missionszeitschriften als Quelle.21 Das Projekt von Seton und Barringer beschränkt sich auf Zeitschriften, die zwischen dem 18. Jahrhundert und den 1960er Jahren von Auslandsmissionen in Großbritannien herausgegeben wurden. Sie machen deutlich, dass Missionszeitschriften als Quelle zwar einerseits nicht unkritisch gelesen werden dürfen, da sie trotz aller Selbstreflexion aus einem ganz speziellen Anliegen heraus und mit einer bestimmten Motivation entstanden und von Organisationen herausgegeben wurden, die auf Spenden angewiesen waren. Zudem waren sie meist in einer anderen Sprache geschrieben, als die Kultur, über die sie berichteten.22 In Kombination mit anderen Quellen können Missionszeitschriften andererseits aber ein detailliertes Bild von außereuropäischen Menschen, Religionen, Kulturen und Gesellschaften zeichnen.23 Dabei zeigen sie, wie sich das missionarische Selbstverständnis und die Selbstdarstellung über einen längeren Zeitraum verändert.24 |29|

Mit der Frage nach dem methodisch angemessenen Umgang mit bildhaften Quellen aus der Mission hat sich Paul Jenkins intensiv beschäftigt. Er rief auch die Internet-Datenbank Basel Mission Picture Archive mit ins Leben, welche die Missionsfotografien aus dem Archiv der Basler Mission erfasst und öffentlich zugänglich gemacht hat.25

Der Quellenbestand bei Missionszeitschriften ist sehr unterschiedlich. Viele Missionsquellen sind nicht nur an verschiedenen Orten, sondern auch in verschiedenen Ländern oder sogar Kontinenten aufbewahrt. Wenn – wie im Fall der Basler Mission – eine Missionsgesellschaft hierarchisch aufgebaut und bürokratisch geführt wurde, sind Quellenlage und Archivierung deutlich besser als bei den dezidiert unbürokratischen Glaubensmissionen.26

2.2. Zeitschrift – kirchliche Zeitschrift – Missionszeitschrift

Die Geschichte der Zeitschrift begann mit dem seit 1665 von Denis de Sallo in Paris edierten Journal des Sçavans, einem universalwissenschaftlich ausgerichteten Rezensionsblatt.27 Die frühen Zeitschriften waren in den Gelehrtensprachen Latein oder Französisch geschrieben – oder in einem diese nachahmenden Deutsch. 1688 brachte Christian Thomasius seine Monatgespräche28 in deutscher Sprache heraus, was zu einem Bruch mit der Gelehrtenschaft führte.29

Die Entwicklung des Zeitschriftenwesens in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts war eine Reaktion auf die Fülle neuer und neuester Erkenntnisse. Die Zeitschrift war ideal als Publikationsorgan für kurze Aufsätze und Mitteilungen, die schnell verbreitet wurden. Der Aufwand war geringer als der einer Buchpublikation und der Stand aktueller. Kritische Rezensionen und referierende Bibliografien ermöglichten schnelle und zuverlässige Informationen darüber, was im eigenen Fachgebiet wichtig war. Themen aus der aktuellen Nachrichtenpresse wurden aufgegriffen und – im Rahmen der Zensur – reflektiert und analysiert, vergleichbar mit den Nachrichtenmagazinen im |30| Fernsehen heute. In Abgrenzung von der Zeitung besitzt Aktualität für die Zeitschrift nur eine relative Bedeutung. «Behandelt werden zwar auch immer Fragen der Gegenwart. Vorausgesetzt dabei wird aber fast immer die Kenntnis der tatsächlichen Geschehnisse und ihrer Abläufe. […] Es wird mehr Wert auf Genauigkeit gelegt als auf Neuigkeit.»30

Die frühen Zeitschriften erschienen im Buchformat. Zum Jahresende erhielten die Leser ein Titelblatt und ein Register. Dies signalisierte den Anschluss an das Buch und damit Seriosität.

In der Zeit von 1670 bis 1790 stieg die Zahl der Zeitschriften von 58 auf 1225, davon erschienen allerdings viele Zeitschriften nur kurz oder unter ­verschiedenen Titeln. Das 18. Jahrhundert war die Blüte- und Hochzeit der Druckmedien.31 Sie stifteten soziale Einheit im Bürgertum und hatten iden­tifikatorische Funktion. «Mit der absoluten Dominanz der Printmedien war aber zugleich auch eine durchgängige Entsinnlichung der Kommunikation gegeben.»32 Die Zeitschrift nahm unter den Druckmedien im 18. Jahrhundert wiederum eine herausragende Rolle ein.33

Anfänglich fungierten Zeitschriften vor allem als Rezensionsorgane. Dadurch dienten sie der Rationalisierung von Wissen und der Beschleunigung des Informationsaustausches. Aber auch die Belehrung in Fragen von allgemeinem Interesse, die Meinungsbildung und die Selbstaneignung von Fachwissen gehörte zu den Leistungen der Zeitschriften.

Kirchner definiert eine Zeitschrift des 18. Jahrhunderts mit den folgenden fünf Kriterien:

1 Periodizität,

2 unbegrenzte Dauer des Erscheinens,

3 Publizität, d.h. Streben nach Öffentlichkeit,

4 ein einheitlicher Charakter, der sich im gleichbleibenden Titel und im etwa gleichbleibenden Umfang zeigt, und

5 Vielfalt des Inhalts.34

|31| Auch Faulstich nennt fünf Merkmale, setzt bei seiner Charakterisierung aber andere Akzente:

1 Themenzentrierung, d.h. die prinzipielle Universalität des Inhalts verkehrt sich aufgrund des eingeschränkten, oft sehr spezialisierten Leserkreises bei der einzelnen Zeitschrift gerade in ihr Gegenteil,

2 Temporizität,

3 Interessenspezifizierung, d.h. Themenzentrierung in Anlehnung an das Medium Buch,

4 Kontextualisierung und

5 partiell Visualisierung.35

Da Zeitschriften meist in niedrigeren Auflagen herausgegeben wurden, weniger aktuell oder politisch argumentierten und die Beiträge überwiegend anonym erschienen, hatten sie nicht so stark mit der Zensur zu kämpfen wie die (Tages-)Zeitungen. Sie konnten sich inhaltlich freimütiger äußern.

Im 19. Jahrhundert erlebte die Zeitschrift im deutschsprachigen Raum einen weiteren Aufschwung, sie wurde zum «Leitmedium in Wissenschaft und Kultur».36 Die «Wiederentdeckung der Sehsucht», also das Bedürfnis nach Veranschaulichung und Abbildbarkeit von Wirklichkeit als Reaktion auf die vorangegangene Periode der Entsinnlichung und der Konzentration auf den abstrakten Buchstaben, führte zu einer zunehmenden Visualisierung in den Medien und verhalf bebilderten Zeitschriften (‹Illustrierten›) zum Aufschwung.37

In der Theologie stieg zwischen 1800 und 1908 der Anteil von Zeitschriften an den Gesamterscheinungen von 8,3% auf 26,5%. Auch im religiösen Bereich zeigte sich die Differenzierung des Mediums Zeitschrift.

 

Kippenberg unterteilt die theologischen Zeitschriften des 19. Jahrhunderts in

1 kritische Zeitschriften, die vor allem Rezensionen enthielten,

2 |32| allgemeine Zeitschriften, mit Beiträgen zu Wissenschaft, Kirche und Gesellschaft und

3 biblische, systematische, historische und praktische Fachzeitschriften, zu denen er das Missions-Magazin zählte.38

Neben der theologisch-wissenschaftlichen Fachzeitschrift und den eher praktisch-erbaulichen Gemeindeblättern ist seit spätestens 1790 der Begriff der kirchlichen Zeitschrift nachweisbar.39 Diese «umfasst ein breites Spektrum heterogener publizistischer Erzeugnisse, die formal nur die regelmäßige Erscheinungsweise, die thematische Fokussierung auf christl[ichen]. Glauben und Kirchen sowie die Orientierung an kirchl[ichen]. oder kirchennahen Öffentlichkeiten verbindet».40 Viele kirchliche Zeitschriften waren programmatisch ausgerichtet und vertraten – in scharfer Abgrenzung von konkurrierenden Richtungen – eine ganz bestimmte religiöse oder politische Wertorientierung, die als allgemein verbindlich dargestellt wurde. Auch deshalb sind kirchliche Zeitschriften, «stärker als andere kirchennahe literarische Medien […] repräsentativ für diskursive Konstellationen, weil in ihnen tektonische Verschiebungen des Politischen, sozialstrukturelle Wandlungsprozesse und teils sehr langsame, teils revolutionär explosive Neubestimmungen frommer Mentalitäten und Habitus Ausdruck finden».41 Dabei wird Geschichte als ein Prozess deutlich, dessen Ziel den ursprünglichen Akteuren verborgen war.42 Für das 19. Jahrhundert beobachtet Achtelstetter eine verstärkte Auseinandersetzung mit Positionen außerhalb der evangelischen Kirche.

Die Auseinandersetzung ist von Seiten der evangelischen Publizistik geprägt von fünf Motiven:

1 dem polemischen, in Auseinandersetzung mit dem Katholizismus,

2 dem apologetischen, in Auseinandersetzung mit den Gebildeten über die Denkmöglichkeiten des Glaubens,

3 dem sozialen, in Auseinandersetzung mit dem Sozialismus,

4 |33| dem unionistischen, mit dem Ziel der Einigung der evangelischen Christen, von Kirche und Welt oder von Christentum und Kultur, schließlich

5 dem missionarischen Motiv, das der (Wieder-)Gewinnung der Abtrünnigen und Gleichgültigen dient.43

War die evangelische Publizistik insgesamt eine Reaktion auf die Blüte der Zeitschriften in der weltlichen Presse,44 partizipierten die Missionsgesellschaften des 19. Jahrhunderts als kirchlicher ‹Sonderfall› ebenfalls an dieser Zeitschriftenproduktion. Hier kam das oben erwähnte ‹missionarische Motiv› in besonderer Weise zum Tragen. Wenn auch an die unterschiedlichste Leserschaft gerichtet, mit wechselndem Erscheinungsrhythmus, von unterschiedlicher Qualität und variierendem Preis, so hatten doch alle Missionen ihre eigenen Zeitschriften und Magazine.45 Sie waren ein wichtiges Instrument der Öffentlichkeitsarbeit: Ihr Verkauf diente ganz offen profanen Zwecken, sie waren eine wichtige und dazu noch eine relativ gut kalkulierbare Einnahmequelle für die Gesellschaften, die sonst auf oft unregelmäßig fließende Spenden angewiesen waren.46

Die Missionszeitschriften stillten mit ihren Berichten über ferne, exotische Länder und Gebräuche das Bedürfnis ihrer Leserschaft nach Informationen47 und «Vorbildbiografien»48, vielleicht auch nach Sensationen.49 Und daraus |34| abgeleitet schufen sie einen Zusammenhalt in ihrer Lesergemeinde, die durch das Gefühl der Identifikation bereit war, sich für die ‹Missionssache› weiter zu engagieren – durch Fürbitte, Übernahme von ehrenamtlichen Aufgaben, Werbung für die Mission und Spenden. Hier spielt das Thema der Konstruktion oder Stiftung einer pietistischen Identität bzw. die Selbstinszenierung eine große Rolle.50

Der besondere Charakter der Missionszeitschriften als Werbeinstrument muss bei der Lektüre der Artikel immer mitbedacht werden. Bickers und Seton sehen darin sogar einen kleinen Vorteil: «[…] the biases of the missionary reporter are often much more clearly acknowledged and better known than those of other writers, which adds to their usefulness.»51

Im 18. und 19. Jahrhundert war eine Zeitschrift dann rentabel, wenn die Auflage 500 Exemplare überschritt.52 Das Basler Missions-Magazin hatte in seiner Blütezeit in den 1820er Jahren gut 7000 Abonnenten.53 Diese Auflagenhöhe war beachtlich und erklärt sich durch den Pioniercharakter der Zeitschrift in den Anfangsjahren, doch sank die Auflage im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts mit Entstehen zahlreicher weiterer Missionsgesellschaften und -zeitschriften kontinuierlich.54 Viele Zeitschriften, auch das Missions-Magazin, wurden im Abonnement oder durch Subskription vertrieben, um so die Vertriebskosten und das verlegerische Risiko gering zu halten und eine längerfristige Kalkulation zu ermöglichen. Doch ist der Leserkreis wesentlich größer anzusetzen als die Zahl der Abonnenten. Denn erstens las man häufig in Gruppen, d.h. man traf sich zu Lesezirkel, in Lesegesellschaften, in christlichen Hauskreisen oder Gebetsstunden und ließ sich von einer Person die Artikel vorlesen, und gab zweitens die Hefte weiter.55 Drittens schließlich berichtete |35| man aus den Zeitschriften und nutzte sie für öffentliche Vorträge und für den Unterricht.56 Schlatter berichtet für das Missions-Magazin von einer Verbreitung bis nach Russland, Frankreich, England und in die Niederlande.57

Die abgedruckten Texte durchliefen meist mehrere redaktionelle Korrekturen, in denen sie zu Gunsten der ‹offiziellen› Meinung zurechtgeschliffen wurden. Dieser Vereinheitlichungsprozess ist bei der Interpretation der Zeitschriften zu berücksichtigen. Sie geben dementsprechend keinen sicheren Hinweis auf die Gedanken eines Individuums, aber in vielen Fällen sind sie die einzigen noch existierenden Indikatoren dieser Gedanken.58

Im Jahr 1880 stellte Gustav Warneck Überlegungen zum 19. Jahrhundert an, das für ihn das Jahrhundert der Mission war.59 In dieser Erkenntnis lag für ihn eine mächtige Stärkung des Glaubens für alle Christinnen und Christen. Jeden Bericht über erfolgreiche Missionen, jede Information über Bekehrungen, jede Nachricht aus einem Missionsgebiet sah er als Fingerzeig, dass Gott die Missionsarbeit will und folglich die Menschen, die in der Mission arbeiten, auf dem richtigen Weg waren. Hier kommt ein weiterer Punkt zum Ausdruck, der mit der Funktion von Missionszeitschriften als Werbeinstrument zusammenhängt: Die Publikationen berichteten vom Erfolg der Mission, requirierten auf diese Weise Unterstützung in Form von Spenden oder Mitarbeitern, was wiederum zum Erfolg der Mission beitrug, über den dann wieder berichtet werden konnte. Das könnte man als eine Art self-fulfilling prophecy bezeichnen. «Dass einem schwachen Glauben aufgeholfen werden müsse durch vermeintliche empirische, historisch erhärtete ‹Fakten›, ist», so Werner Ustorf, «eine Denkfigur mit Tradition.»60 Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass diese traditionelle Denkfigur sehr bewusst und strategisch eingesetzt wurde. |36|