Die Schlacht um Viedana: Die Abenteuer der Koboldbande (Band 2)

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Der Meister des Spiels

Artur und Tabor konnten zu ihrem Glück im letzten Augenblick dem wütenden Meerschlangentroll ausweichen. Der Kobold hielt es für klüger, auf die Freunde zu warten und nicht allein mit dieser Bestie zu kämpfen. Hinter einem Haufen Eisklumpen hatten die beiden sich gerade noch so verstecken können. Leise flüsterte Artur dem Drachenjungen ins Ohr. »Wir warten auf die Trolle. Mit dieser Bestie werden wir beide uns nicht in die Haare kriegen.«

Tabor schaute den Kobold von der Seite an. »Was heißt hier, in die Haare kriegen, Artur? Dieser Kerl mit dem albernen Horn an der Stirn hat doch Seetang auf dem Kopf. Aber du hast Recht. Er ist ein winziges Stück zu groß für uns.«

Artur belehrte Tabor sogleich: »So albern ist dieses Horn gar nicht. Im Gegenteil. Es zeigt ganz deutlich, dass er der Sklave eines noch mächtigeren Herrn ist. Und dieser Herr muss irgendwo in dieser Welt am Leben sein, sonst würde ihm das Horn einfach von der Stirn brechen und er wäre frei. So aber erfüllt er den Willen seines Meisters. Er würde sich bestimmt viel lieber in die Tiefen des Nordmeeres zurückziehen, wenn er nur könnte.«

Vorsichtig schauten sie sich nach allen Seiten um. Ein Krachen und Knirschen war zu hören. Im Eis bildeten sich schon wieder Risse. Der Meerschlangentroll zeigte sich. Mit seinem massigen Körper versperrte er den Eingang zum Drachenhort, während er zu den drei Eistrollen und ihren kleinen Freunden spähte. Die waren jedoch noch ein gutes Stück entfernt. In seinen Händen hielt er eine monströse Keule aus purem Eis. Dieses barbarische Gerät hatte sehr gefährliche Stacheln. Als der Meerschlangentroll seine Feinde in der Ferne entdeckte, beschloss er wohl, ihnen entgegen zu ziehen. Offenbar wollte er die Eistrolle und die Minitrolle mit seiner Keule angreifen. Für Artur und Tabor war das die Gelegenheit, um in den Drachenhort zu kommen.

»Los, Tabor, jetzt laufen wir so schnell es geht. Dort in diesem Hort ist eine blaue Schale. Zu der müssen wir unbedingt gelangen.«

So schnell sie ihre Beine tragen konnten, rannten sie los. Erst am Eingang des Drachenhortes machten sie halt und sahen sich um. Direkt vor dem Eingang sah der Hort noch gigantischer aus. Seine Größe war überwältigend und beängstigend zugleich. Atemlos schauten die beiden in das Innere des Hortes. In der Mitte des großen, nicht ganz kreisförmigen Saals stand tatsächlich der Eisaltar. Der Boden war glasklar und glatt, wie ein polierter Spiegel. In ihm konnten die beiden die vielen Drachen erkennen. Sie waren tatsächlich tief im Boden eingefroren und schliefen. Hoch oben, in der Mitte des Saales, war an einer goldenen Kette das magische Drachenhorn. Mit einer gewissen Ehrfurcht betraten Artur und Tabor den Saal und gingen zum Altar. Der Kobold war nun doch selbst sehr aufgeregt und seine Stimme zitterte ein wenig, als er Tabor auf eine Inschrift am Sockel des Altars hinwies.

»Schau dir die Tafel mit den eigenartigen Schriftzeichen genau an. So etwas wirst du so schnell nicht wieder sehen. Nur die ältesten der Zauberer aus der Zeit lange vor der großen Schlacht konnten diese Zeichen schreiben und lesen. Ich selbst kenne nur aus meinen alten Büchern die Bedeutung dieser Schrift.«

Er las Tabor die Inschrift vor. »Fremder, der du es geschafft hast, bis zu diesem Altar vorzudringen. Bedenke dies, ohne das allmächtige Zeichen des Gehorsams geben dir die Götter keinen Erfolg. Erschlage seinen Träger, und ein Geist aus uralter Zeit legt selbst die Opfergabe in diese Schale, so das es badet im Blut des Trägers. Versagt dir jedoch der Mut, so weiche zurück und falle selbst in das Schattenreich des Todes.«

Tabor sah Artur ratlos an. »Was soll denn das nun wieder bedeuten? Kannst du mir das erklären?«

Artur überlegte nicht lange. Er machte ein betrübliches Gesicht und nickte. »Ja, ich glaube schon. Ich habe dir doch vorhin die Bedeutung des Horns an der Stirn dieses Meerschlangentrolls erklärt. Dieses Horn müssen wir wohl zusammen mit dem Blut seines Trägers in der blauen Schale opfern. Sonst kommen wir nie in den Besitz des Drachenhorns und werden wahrscheinlich alle sterben.«

Tabor schaute sich die Schale an und wollte Artur noch eine Frage stellen, doch ein dröhnender Lärm drang in die Halle. Offenbar hatte der Meerschlangentroll die anderen Trolle erreicht und angegriffen. Die Säulen im Saal erzitterten und kleine Eisstücke regneten von der Kuppel herunter. Schnell eilten Artur und Tabor ins Freie. Dort bot sich ihnen ein wahrhaft unerwarteter Anblick. Schon von weitem konnten sie erkennen, dass Barbaron auf dem Kopf von Emmes stand und mit Hilfe des blauen Kristalls den riesigen Meerschlangentroll zum Schweben brachte. War er hoch genug, so ließ ihn der König aller Minitrolle einfach zu Boden sausen. Jedes Mal, wenn er auf dem Eis landete, gab es einen donnernden Schlag und das Eis krachte dröhnend. Dabei konnte sich der Meerschlangentroll seiner Gegner gar nicht erst erwehren, denn er kam nicht an sie heran.

Als Artur begriff, das es so leicht war, dieses Wesen zu besiegen, rannte er so schnell er konnte zu den Freunden hin. Aufgeregt winkte er mit den Armen und rief Barbaron zu, er solle sich auf das Horn an der Stirn des Meerschlangentrolls konzentrieren. Barbaron ließ von dem völlig erschöpften Wesen ab und setzte sich bequem auf dem Kopf von Emmes hin. Dann rief er Artur freudestrahlend zu: »Siehst du ihn da liegen? Den habe ich mit deinem blauen Kristall fertig gemacht. Am besten, wir versenken ihn so unter dem Eis, dass er nie wieder auftaucht. Was meinst du, Artur?«

Doch der Kobold schüttelte heftig den Kopf. »Nein, erst musst du ihm das Horn von seiner Stirn brechen. Sonst war alles vergebens. Also stell dich wieder hin und beschwöre den Kristall.«

Barbaron stand auf und hielt den Kristall vor sich hin. Dann sah er zu Artur herunter. »Schau jetzt genau hin, Freund Kobold, ich werde dir das Horn dieses Monsters zu Füßen legen.«

Barbaron sprach seine Beschwörung aus und schon hob sich der Meerschlangentroll, wie von Geisterhand bewegt, erneut in die Höhe. Ohnmächtig vor Wut, versuchte er ein letztes Mal, sich dem unsichtbaren Griff des blauen Kristalls zu erwehren. Dabei brüllte er ohrenbetäubend auf und ballte seine Fäuste. Doch es half nichts mehr. Er war unterlegen und spürte nun genau, dass sich die magischen Kräfte des Kristalls auf sein Horn konzentrierten. Langsam ließ ihn Barbaron wieder in die Höhe schweben. Für einen kurzen Augenblick breitete der Meerschlangentroll seine Arme aus und schaute zum Himmel empor. Es sah aus, als würde er von dort neue Kräfte erflehen. Artur rief Barbaron aufgebracht zu: »Du darfst nicht zögern. Brich das Horn von seiner Stirn, bevor er von irgendwoher noch einmal Hilfe bekommt.«

Barbaron wiederholte seine Beschwörungen und konzentrierte sich ganz auf das Horn. Ein schauriges Wimmern war zu hören, es ging in ein Brüllen über und plötzlich zuckte ein Blitz vom Himmel herab. Er traf das Horn des Meerschlangentrolls und trennte es von seiner Stirn. Noch nie hatte ein Kobold, Troll oder auch Mensch ein so fürchterliches Brüllen vernommen. Als ob der Meerschlangentroll selbst aus Eis wäre, so zersprang er im nächsten Augenblick in tausend Stücke. Dort wo diese Stücke aufschlugen, gab es sogleich gefährliche Risse im Eis. Das Horn selbst war zunächst nicht zu sehen, doch ein heller Ton hallte laut vom Drachenhort herüber.

Die Macht des Blitzes hatte allesamt von den Beinen gerissen und Barbaron von Emmes Kopf heruntergeweht. Doch Will hatte ihn gerade noch so auffangen können. Als sie sich alle wieder erhoben hatten, brummte Will: »Das war sehr gefährlich, mein kleiner König. Du solltest dich beim nächsten Mal besser festhalten.« Barbaron sah mit einem bösen Blick zu Will hoch und klopfte sich den Schnee vom Leib. »Ach, was du nicht sagst, du langer Kerl. Beim nächsten Mal überlasse ich dir so einen gehörnten Strolch. Und überhaupt, wieso ist der gleich auseinander geplatzt? Ich wollte doch bloß dieses blöde Horn. Das er sich auf diese Art verdrückt, war nicht meine Absicht.«

Artur und Tabor kamen nun angelaufen. Sofort streckte der Kobold seine rechte Hand nach dem Kristall aus. »Barbaron, du erstaunst uns alle immer wieder. Du hast ganze Arbeit geleistet. Doch jetzt gib mir den Kristall zurück. Dem Ton nach zu urteilen, befindet sich das Horn schon im Drachenhort.«

Barbaron legte den Kristall in Arturs Hand. »Schade, dieses schöne Stück könnte mir gefallen. Doch ich hoffe, du überlässt ihn mir bei Gelegenheit.«

Rogg sah sich das Eis in der näheren Umgebung an. Die Risse dehnten sich immer weiter aus. »Wenn wir uns jetzt nicht zum Drachenhort begeben, so werden wir ihn nie erreichen. Das Eis reißt auf und schiebt sich schon übereinander.«

Barbaron befragte hastig seinen Kommpass. »Es ist kaum zu glauben, aber das Horn ist schon im Hort. Der Kommpass zeigt es an. Wie ist das passiert, Artur? Ich wollte doch, dass es zu deinen Füßen landet.« Der Kobold sah sich das aufbrechende Eis an. Er überlegte einen Augenblick. Dann gab er Barbaron den Kristall wieder zurück. »Hier mein Freund, hüte ihn wie einen kostbaren Schatz, aber mach mir keinen Unsinn damit. Du musst ihn besonnen einsetzten. Bring uns mit dem Kristall zum Eingang des Hortes. Lass uns schweben, denn laufen ist jetzt zu gefährlich. Dich selbst kannst du ja auch schweben lassen.« Voller Freude nahm Barbaron den Kristall wieder an sich. »Ich danke dir, Artur, das wirst du nie bereuen. Aber jetzt stellt Euch so auf, dass ich Euch alle sehen kann.«

Barbaron hob den Kristall hoch und sprach laut die Beschwörung aus. Sogleich erhoben sich die ersten und schwebten zum Drachenhort. Nach und nach ließ Barbaron die ganze Schar seiner Freunde vorsichtig vor dem Eingang landen. Er selbst schwebte mit Artur als letzter dahin. Jubelnd erwarteten sie die anderen vor dem Hort und der Hauptmann berichtete aufgeregt: »Ich habe zusammen mit Tabor schon mal einen Blick in den Drachenhort riskiert. Das ist ja eine irre Hütte. So etwas hat noch kein Minitroll gesehen.«

 

Arturs missbilligender Blick zeigte dem Hauptmann sofort, dass er diesen Alleingang nicht gerade gut fand. Er stellte sich vor die anderen hin und hob seinen Zauberstab. »Jetzt hört mal alle her. Wir konnten bis jetzt alle Hindernisse schadlos überwinden, denn auch heute hatten wir alle ein verdammtes Glück. Doch wir sollten uns nicht nur auf unser Glück verlassen. Also passt auf, achtet auf jede Kleinigkeit. Und bitte, fasst nichts unnötig an. Wenn ihr etwas entdeckt habt, dann berichtet es sogleich. Ich vermute, der Erbauer dieses Hortes hat noch die eine oder andere Überraschung für uns versteckt. Denkt an die Fallen, die wir im Eis überwunden haben. Und schaut hinter Euch, dann seht ihr, wie sich das Eis zu einer undurchdringlichen Wand zusammenschiebt. Nur die Drachen können uns noch von diesem Ort wegbringen.«

Alle drehten sich um und sahen auf das Eis. Hier und da türmten sich die Eisschollen in der Ebene zu hohen Bergen auf. Immer größer wurden die Risse und auch das Krachen wurde lauter. Man konnte erkennen, dass sich ringsherum um den Drachenhort eine Mauer auftürmte. Sie schnitt jeden Rückweg ab. Nur die Flügel der Drachen konnten ein solches Hindernis überwinden. Auch Barbaron erkannte das. »Da könnten wir ja vielleicht gerade noch mit Hilfe des Kristalls in die Höhe entkommen. Wenn wir die Drachen nicht erwecken können, sitzen wir ganz schön in der Tinte. Ich weiß nicht genau, ob ein Trollsprung dann noch klappt.« Für einen Augenblick trat Ruhe ein. Nur Nummer Acht flüsterte vernehmbar: »S … so ei … ein … Mist.«

Tabor wurde nun ungeduldig. »Ich gehe jetzt in den Hort hinein. Hat jemand Lust mitzukommen?«

»Halt, wir gehen alle gemeinsam.« Artur hielt den Jungen am Ärmel fest. »Ich habe deiner Mutter versprochen, auf dich aufzupassen. Also bleib an meiner Seite.«

Langsam, nach allen Seiten schauend, betraten sie den Drachenhort. Seine majestätische Schönheit, seine Größe und seine Höhe, versetzte jeden in ein ungläubiges Staunen. Einige Minitrolle hockten sich auf den Boden und betrachteten die riesigen Drachen, die unter ihnen im Eis schliefen. Nummer Acht klopfte sogar mit einem Messer auf das Eis und ein anderer winkte und rief ein Hallo. Nur Artur und Tabor gingen zielstrebig zum Eisaltar mit der blauen Schale. Sie war wahrhaftig durch Zauberei eines noch unbekannten Geistes mit dem Blut und dem Horn des Meerschlangentrolls gefüllt worden. Tabor und Artur schauten hinein. Der Kobold roch sogar an der Schale. Sie verbreitete einen Geruch, den Artur schon einmal in seiner Nase hatte. Doch er wusste nicht gleich, wann und wo das geschehen war. Er rückte seinen Hut zurecht und sah zu Tabor. »Das Horn ist in drei Teile zerbrochen, und das Blut sieht aus, als würde es kochen. Doch das ist hier in dieser Kälte völlig unmöglich.«

Tabor zeigte auf den Sockel des Altars. »Artur, ich kann die Zeichen zwar nicht deuten, aber ich bin mir sicher, vorhin standen an diesem Sockel ganz andere. Kannst du diese auch lesen?«

Der Kobold schaute sofort nach. Tatsächlich, die Inschrift hatte sich geändert. Leise murmelte Artur in unverständlichen Worten den Text vor sich hin. Dann übersetzte er ihn Tabor: »Fremder, der du das Horn des Gehorsams und das Blut seines Trägers für diesen Altar gewonnen hast, gib mir nun zum Beweis deiner Bestimmung dein Gift in seine Schale. Bist du auserwählt, so erhältst du drei Aufgaben. Bist du nicht auserwählt, so wirst du hier im ewigen Eis vergehen.«

Ratlos schaute Tabor den Kobold an. »Was soll das heißen? Ich habe doch überhaupt kein Gift bei mir.«

Artur lächelte. »Oh doch, mein Junge, das hast du. Du bist in der Wiege der Drachen geboren. Und du erinnerst dich doch, als du Barbaron auf den Bauch gespuckt hast? Er wäre fast gestorben. Nur der erwählte Drachenjunge hat ein solches Gift. Nun mach schon, spuck in die Schale. Wir wollen es jetzt zu einem baldigem Ende bringen.«

Doch Tabor zögerte noch. »Was wird geschehen, wenn ich das tue?«

Ärgerlich schaute Artur ihn an. Unmut machte sich in ihm breit. »Ich weiß nicht, was passiert, wenn du in die Schale spuckst. Doch ich weiß was kommt, wenn du es nicht bald tust. Du brauchst nur draußen nach dem Eis zu sehen. Es rückt immer näher. Der Erbauer dieses Drachenhortes lässt uns also nicht ewig Zeit.«

Tabor sah zu den anderen Freunden. Sie schauten erwartungsvoll zu ihm. Da ging er ganz nah zu der Schale. In seinem Mund sammelte er eine ordentliche Portion Speichel an. Er holte tief Luft und spuckte so viel er konnte in die Schale. Zunächst tat sich nichts. Doch dann begann die Schale zu erstrahlen. Ein intensives, helles Licht schien vom Altar in die Schale zu fahren. Das Blut und das Horn lösten sich zu einem schleimigen dunklen Brei auf, doch dieser formte sich gleich darauf zu einem völlig fremden Wesen. Auch die Schrift am Altarsockel veränderte sich wieder. Hastig las Artur den neuen Text und übersetzte ihn. »Fremder, der du erwählt bist, die Drachen hier in dieser Halle zu erwecken, besiege den Meister in seinem Spiel. Erreiche danach das Horn in der Höhe und erwecke mit einem einzigen Atemzug die Herren der Lüfte.«

Artur sah, wie alle anderen auch, zu dem Wesen in der Schale. Je mehr es seine endgültige Gestalt annahm, desto größer wurde Arturs Erstaunen. Als das Licht in der Schale erlosch, saß auf ihr eine Gestalt, von der Artur schon etwas gehört hatte. Sie war nicht viel größer als ein Kobold, schmächtig der Körper. Der Kopf war beinah zu groß, auch die Hände und Füße waren lang und knorrig. Die dunkelgraue Haut war mit kleinen Schuppen übersäht. Auf seinem Rücken wölbte sich ein Buckel. Die Ohren waren lang und spitz wie die eines Esels. Auf seiner flachen Stirn hatte er das Zeichen seiner Versklavung, ein dickes Horn. Das längste an ihm war jedoch sein peitschenartiger Schwanz. Er war mehr als zweimal so lang wie das Wesen selbst und hatte an seinem Ende eine dreieckige Spitze. Jetzt fiel Artur ein, woher er den Geruch dieses Wesens kannte. Ihlo, der Mönchsdämon, der hatte ihn auch an sich. Artur ging um die Schale herum und betrachtete das Wesen. Dabei erklärte er Tabor und den Trollen, was hier in der Schale hockte.

»Ich nehme mal an, keiner von uns hat jemals ein solches Geschöpf gesehen. Es ist einfach unglaublich, aber wir haben hier einen Iht-Dag in dieser Schale sitzen. Das ist eine Art Diener aus dem Reich der Dämonen. Nur die Herren dieses Reiches, die mächtigen Fürsten, können über sie bestimmen. Ich frage mich, wie das Horn auf seine Stirn kommt. Es gehört da gar nicht hin.«

Der Kobold blieb genau vor dem Iht-Dag stehen. Er beugte sich vor und sah dem Iht-Dag in die finsteren Augen. Das Wesen streckte eine Hand langsam nach dem Kobold aus und berührte ihn mit den Krallen seiner Finger am Ärmel. Sofort waren kleine Löcher zu sehen. Artur wischte mit seinem Zauberstab über die Löcher. Sie verschwanden sogleich. Der Iht-Dag kicherte und rieb sich die Hände. Dann stellte er sich in der Schale auf und sah sich um. Er betrachtete die drei riesigen Eistrolle. Die Minitrolle beachtete er kaum. Artur und Tabor fand er wohl schon interessanter. Mit einer Stimme, die wie eine quietschende Stalltür klang, sprach der Iht-Dag die beiden an. »Ihr seid sehr weit gekommen. Und ihr habt viele Sklaven mitgebracht. Mein Herr dankt euch dafür. Jetzt wollt ihr sicher wissen, wer ich bin.« Er machte eine Pause und sah in die Gesichter von Artur und Tabor. Die sahen ihn selbst mit finsteren Blicken an. Ein dämonisches Grinsen machte sich bei dem Iht-Dag breit. Er rieb sich abermals die Hände und sprach ganz ruhig weiter. »Ihr seid bestimmt schon ganz neugierig und wollt jetzt wissen wie ihr an dieses Drachenhorn kommt. Doch zunächst stelle ich mich euch vor.«

Der Iht-Dag deutete zu seinen Worten eine Verbeugung an. »Mein Name ist Aothes, der Meister des Spiels. Wo ich bin, da ist auch das Spiel. Und ich sage es euch lieber gleich. Ihr werdet niemals gewinnen. Der Herr, dem ich diene, wird das nicht zulassen. Wer von euch gegen mich antritt, wird sterben, und alle seine Freunde werden das bekommen, was ich schon habe.« Aothes fasste sich bei seinen letzten Worten an das Horn auf seiner Stirn. Dann zeigte er mit der Spitze seines Schwanzes zu Tabor.

»Du musst der Drachenjunge sein. Nur ein Menschenkind würde es wagen, auf dem Nacken des Urgos zu sitzen und mit ihm zu fliegen. Doch das wird niemals mehr geschehen. Ich werde es nicht zulassen. Du wirst das Spiel verlieren.«

Tabor schüttelte den Kopf. Aothes’ Worte machten ihn richtig wütend. Er brüllte ihn an: »Und was geschieht, wenn wir dein Spiel gar nicht erst mitspielen? Mein Freund Barbaron kann mich jederzeit zu dem Horn schweben lassen! Einmal richtig Luft geholt und dann schaffe ich es bestimmt, diesem Ding da oben einen Ton zu entlocken!«

Aothes fing an zu lachen. Er warf sich auf den buckligen Rücken und hielt sich den Bauch. Er rollte sich hin und her, und konnte sich fast nicht mehr einkriegen. Doch Artur gelang es, mit einem Blitz aus seinem Zauberstab, dass Gelächter des Iht-Dag zu beenden. Mit einem Ruck stand Aothes in der Schale und fauchte den Kobold an. »Das lässt du in Zukunft schön sein. Oder das Spiel ist zu Ende bevor es überhaupt begonnen hat. Und jetzt hört alle schön zu. Nur wer mein Spiel gewinnt, der bekommt das Mundstück für das Horn.« Aothes schaute in die Runde aller Anwesenden und war sich nun sicher, das ihn auch jeder aufmerksam zuhörte. »Nur der Drachenjunge wird bei meinem Spiel gegen mich antreten. Alle anderen halten sich zurück. Wenn ich merke, dass jemand mich betrügen will oder gar mit Zauberei das Spiel beeinflusst, so habt ihr alle verloren. Dann stirbt der Junge auf der Stelle und alle anderen müssen für immer meinem Herrn als Sklaven dienen.«

Ein Raunen und Murmeln machte sich unter den Trollen breit. Emmes trat ganz dicht an die Schale heran. »Sag uns wie dein Spiel heißt, und wer dein Herr ist.«

Obwohl Emmes eigentlich ganz ruhig gesprochen hatte, wehte dem Iht-Dag doch ein ordentliches Lüftchen ins Gesicht. Ihm verging um ein Haar das hinterhältige Grinsen. »Oh, habe ich vergessen das zu erwähnen?« Aothes schaute Emmes für einen kurzen Augenblick ganz treuherzig an. Doch dann grinste er wieder. »Mein Herr ist der unsterbliche Dämonicon und mein Spiel ist das Gohtias-Spiel aus dem Reich der dunklen Schatten meiner Heimat.«

Der Iht-Dag deutete mit seiner linken Hand zum hintersten Teil des Hortes. Eine große Flamme zuckte dort aus dem Boden. Sie verschwand gleich wieder, doch sie ließ eine Pyramide zurück. Aothes stellte sich leicht gebückt in der blauen Schale auf und schwebte mit ihr auf die Pyramide zu. Alle anderen folgten ihm. Sie glänzte im Licht wie dunkle Bronze und schien nicht viel größer als Tabor zu sein. Der Iht-Dag schwebte über ihr und freute sich wie ein kleines Kind. »Oh, seht, da ist sie ja. Endlich, nach so langer Zeit, habe ich einen Gegner mit dem ich spielen kann.«

Artur sah sich die Pyramide von allen vier Seiten an. Auf jeder Seite hatte sie eine Inschrift. Er winkte Tabor zu sich und übersetzte sie ihm. »Hör genau zu, dieses Ding hier ist eine böse Sache. Auf der ersten Seite steht, dass sie einst vor zweitausend Jahren dem Fürsten der Flussland-Elfen, Aothes, gehörte. Er hatte sie selbst erschaffen und wollte sie seinem einzigen Sohn schenken. Doch der wurde im Wald von Feinden erschlagen. Aothes schwor Rache und verbündete sich mit einem Zauberer. Dieser Zauberer half ihn bei seiner Rache und machte ihn danach zu seinem Sklaven. Als Aothes sich wehren wollte, verwandelte der Zauberer den Fürsten für seinen Ungehorsam in eine Missgestalt. Seid dieser Zeit dient Aothes seinem Herrn als Meister des Spiels. Auf der zweiten Seite stehen die Regeln. Aothes und sein Gegner gehen gemeinsam in diese Pyramide, um einen bestimmten Gegenstand zu finden. In der Pyramide gibt es weder Raum noch Zeit. Jeder geht von einer anderen Seite hinein und gelangt zunächst in eine von drei Welten. Dort muss der gesuchte Gegenstand gefunden werden. Auf der dritten Seite steht, was den erwartet, der gegen Aothes siegreich blieb. Er kann den gefundenen Gegenstand behalten und ist frei für alle Zeiten. Auf der vierten Seite steht, was den Verlierer erwartet. Er wird in eine Missgestalt verwandelt und muss für alle Zeiten dem Zauberer Dämonicon als Sklave dienen oder er stirbt einen grausamen Tod.«

Aothes schwebte mit der Schale heran und fügte noch hinzu. »Das ist also ganz einfach, mein kleiner Drachenjunge, du gehst in die eine Seite hinein und betrittst eine Welt. Ich gehe in die andere Seite und betrete die zweite Welt. Dann treffen wir uns in der Mitte, dass ist dann die dritte Welt. Du kannst jeden Gegenstand mitnehmen, den du tragen kannst. Er darf nur nicht magisch sein. Das wäre gegen die Regeln. Und du darfst dir die Welt aussuchen, die du als erstes betreten willst.«

 

Tabor schaute Aothes in seine listigen Augen. Obwohl der Junge erst neun Jahre alt war, hatte er doch ein erstaunliches Gespür für die Absichten dieses fremdartigen Wesens. »Ich vertraue dir nicht, wer weiß schon, was in diesem Ding wirklich passiert. Außerdem kannst du die magischen Kräfte nutzen, die dir dein Herr überlassen hat. Das ist nicht ehrlich.«

Wütend flog der Iht-Dag mit seiner Schale los, drehte eine Runde nach der anderen durch den Saal, und fluchte. »Bei allen sieben alten Göttern, bei allen neun dämonischen Fürsten! Bei meinem Herrn, dem größten Zauberer dieser Welt, wer glaubt hier eigentlich noch an die Ehrlichkeit oder ähnlichen Unfug?«

Tabor wurde bei diesen Worten selbst wütend. »Ich konnte es mir doch gleich denken! Du willst gar nicht mit mir spielen, du willst uns alle betrügen! In diese lächerliche Hütte passen keine drei Welten, und das Mundstück ist da auch nicht drin! Da habe ich doch Recht, oder?«

Aothes wurde mit seiner Schale immer schneller. Er flog bis zur Kuppel hoch und brüllte in den Saal. »Nein, nein, nein, nie und nimmer hast du Recht! Eigentlich müsste mein Herr schon längst hier sein, denn wenn du dich weigerst, ist das bereits ein Regelverstoß und ihr alle seid seine Sklaven!«

Bei diesen Worten wurde Artur hellwach. »Jetzt hör zu, ich habe da eine wichtige Neuigkeit für dich. Lass uns in Ruhe reden, ich habe keine Lust, dauernd zu brüllen, und beende bitte deine alberne Fliegerei.«

Der Iht-Dag landete mit der Schale vor seiner Pyramide und setzte sich. Argwöhnisch sah er den Kobold an. Dann nickte er. »Gut, warum die Eile, wir haben genügend Zeit. Früher oder später spielt der Junge mit mir. Und dann gehört ihr alle meinem Herrn.«

Artur lächelte ganz freundlich den Iht-Dag an. »Sag mir doch bitte mal, wann du deinen Herrn das letzte Mal gesehen hast. Das wird doch wohl schon ein Weilchen her sein.«

Aothes kratzte sich am Kopf und dachte nach. »Mal sehen, ich war ja im Horn und dem Blut dieses Meerschlangentrolls gebannt. Erst wenn dieses mächtige Biest besiegt ist, dann sollte ich mit List und Tücke …« Der Iht-Dag hielt sich erschrocken den Mund zu.

Artur sah ihn eindringlich an und fragte ihn abermals: »Wann, sag es mir, wann hast du ihn das letzte Mal gesehen?«

Kleinlaut entgegnete Aothes: »Das war am letzten Tag der Drachen. Ich gehörte schon lange zum Hofstaat des Zauberers. Viele arme Narren hatte ich mit der Pyramide besiegt und für meinen Herrn Dämonicon zu Sklaven gemacht. Das Horn des Urgos, des mächtigsten Drachenkönigs aller Zeiten, habe ich an diesem Tag das erste Mal gesehen. Dämonicon bestimmte mich zu seinem zweiten Wächter. Der erste Wächter war Arba Gigos, der letzte Meerschlangentroll. An diesem Tag erschuf er in einem einzigen Augenblick den Drachenhort und ließ hier alle Drachen im ewigen Eis des Nordens schlafen. Selbst für einen so mächtigen Zauberer wie Dämonicon war es nicht möglich, die Drachen zu töten oder auch nur zu versklaven. Sein nächster Krieg sollte einfach ohne sie stattfinden. Schon am frühen Morgen hatte er sein Werk vollendet und er zog sogleich mit seinem Heer los. Doch vorher rief er mich zu sich. Dämonicon sagte mir, er würde mir nicht richtig trauen. Auch wenn er aus mir einen Iht-Dag gemacht hätte, so würde doch noch immer ein Rest Elfenblut in mir stecken. Erst wenn ich ihm den Feind brächte, der den letzten Meerschlangentroll besiegen konnte, erst dann würde er mich zu sich rufen und mich reich belohnen. Nachdem er das gesagt hatte, sprach er einen Bannfluch aus und ich verschwand im Horn und Blut des Meerschlangentrolls. Wie viel Zeit ich so in ihm verbracht habe, weiß ich nicht, denn er hat die meiste Zeit geschlafen oder mit seinem Krebs gespielt.«

Als der Iht-Dag mit seinem Bericht endete, erzählte Artur ihm all das, was Aothes selbst nicht wissen konnte. »Du hast viel Zeit in diesem Meerschlangentroll verbracht. Siebenhundert Jahre ist jener Krieg nun schon vorbei. Doch die Völker kämpfen immer noch. Auch die Elfen sind dabei. Und dein Herr ist die Ursache für das grauenvolle Töten in dieser Welt. Er selbst ist in der Schlacht vor siebenhundert Jahren gefallen. Der tapfere Alfagil, der König der Schneeland-Elfen, hat ihn mit seinem gesegneten goldenen Speer besiegt. Vor wenigen Tagen waren wir sein Gast und haben an seinem Hof mit den Anführern der Wehrtrolle, Eistrolle und den roten Söldnergnomen einen Bund geschlossen.«

Aothes schlug die Hände vor sein Gesicht und zerrte dann an dem Horn auf seiner Stirn. Er war fassungslos. Ungläubig starrte er Artur an. Er schüttelte den Kopf und seine Stimme klang ganz brüchig. »Das ist also deine wichtige Neuigkeit. Weißt du auch, das Alfagil ihn nicht ganz besiegt hat? Er hat ihm nur seinen Körper genommen. Sein Geist lebt weiter. Er hat sich sicher versteckt und Kraft gesammelt. Sobald er stark genug ist, wird er einen Weg finden, um die Völker in den nächsten Krieg zu hetzen. Das konnte er schon immer gut. Doch so lange er keinen Körper hat, kann er mich nicht rufen, und er weiß nicht, wo ich bin. Er kann mich auch nicht mehr mit seiner Magie kontrollieren. Das ist sehr gut.«

Die Augen des Iht-Dag funkelten. Die Hoffnung auf Freiheit machte sich in seinem Herzen breit. Er legte beide Hände aneinander und flehte Artur an: »Bitte hilf mir, ich will kein Sklave mehr sein. Ich will frei sein. Nur ein einziges Mal möchte ich noch an den Ufern der Flüsse meiner Heimat stehen und dem Rauschen des vorbeifließenden Wassers lauschen. Oh bitte, wenn du mir hilfst, dann zeige ich euch den Weg zum Mundstück des Drachenhorns.«

Das war genau das, was Artur und jeder seiner Mitstreiter hier in diesem kalten Drachenhort hören wollten. Barbaron drängelte sich zu Aothes vor und hatte sogleich die passende Frage. »Wenn wir dir die Freiheit geben, dann gibst du uns dieses Dingsda, dieses Mundstück?« Aothes nickte nur. Barbaron drehte sich zu Artur. »Was ist, alter Freund, kannst du das schaffen?«

Der Kobold verzog nachdenklich das Gesicht. »So einfach geht das nicht. Wenn wir nur ein Stück von dem Meerschlangentroll hätten. Irgendetwas, ein wenig Haut, Knochen oder …«

»Oder ein Stück Koralle mit einer Perle daran.« Der Hauptmann stellte sich neben seinen König und hielt seinen Fund in die Höhe.

Artur war begeistert. »Das ist ja toll. Das muss ein Stück von seinem Zepter sein. Ich bin mir sicher, dass ich damit den Sklavenbann des Dämonicon brechen kann.« Er nahm das Stück und sah es sich genauer an. In der Nähe seines Zauberstabs reagierte die Perle und leuchtete auf. Artur löste sie ganz vorsichtig von dem Korallenteil ab und rieb sie in seinen Händen glatt. Dann hielt er sie in die Höhe. Wie gebannt starrten alle auf das kleine runde Ding. Sie glänzte strahlend weiß und leuchtete leicht auf. Der Kobold sah in die Runde. »Wir müssen nun den Sklavenbann in diese Perle einschließen und dann zerstören wir sie. Das geht nur durch Zauberei. Barbaron wird mir zur Seite stehen. Er benutzt den blauen Kristall und ich meinen Zauberstab. Hat jemand einen kleinen Hammer dabei, oder etwas Ähnliches?« Mindestens ein Dutzend Minitrolle streckten ihm ihre Hämmer entgegen und riefen zugleich. »Hier, Artur, nimm meinen!«