Die Arche der Sonnenkinder

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Die Arche der Sonnenkinder
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Jörg Müller

Die Arche der Sonnenkinder

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Widmung

Vorwort

1 Das Paradies

2 Der Stamm der Namenlosen

3 Rising Sun

4 Die Sonnenkinder

5 Anna

6 Die Weise Alte

7 Hungriges Braungesicht

8 Wladimir Puschkin

9 Eine Konferenz der besonderen Art

10 Am Tag nach der Konferenz

11 Charles

12 Le Bon Souverain Charles, le Premier

13 David Chercheur

14 Der Weise Sohn

15 Der Bote von Mutter Natur

16 Auf Spurensuche

17 Ein sehr anspruchsvolles Ziel

18 Häuptling Diogenes

19 In Charlesville

20 Zurück in New York

21 Ein Gespräch unter Frauen

22. Der nächste Schritt zur Heilung

23. Joe II

24. Im Dorf der Sonnenkinder

25. Rückkehr in ein früheres Leben

26 In Paris

27 Interessante Gespräche

28 Ein Problem und ein Plan

29 Eine Reise in eine andere Welt

30 Die Wüste bebt, die Wüste lebt

31 Eine Hochzeitsfeier bei den Namenlosen

32 Ein Interview, eine Botschaft und die Folgen

Namensliste

Impressum neobooks

Widmung

Jörg Müller

Die Arche der Sonnenkinder

Dieses Buch widme ich allen Menschen, die sich ihrer Verantwortung gegenüber ihren Mitmenschen, den Tieren und der Natur bewusst sind und Tag für Tag ihren Beitrag leisten, dass unser Planet im Sinne seines Schöpfers erhalten bleibt.

Alle Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und realen Handlungen sind rein zufällig.

--

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.

Das erste Buch Mose: Die Schöpfung

Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.

Das erste Buch Mose: Das Paradies

Und Gott der Herr sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht.

Gott, der Herr, formte aus dem Ackerboden alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels und führte sie dem Menschen zu, um zu sehen, wie er sie benennen würde. Und wie der Mensch jedes lebendige Wesen benannte, so sollte es heißen. Der Mensch gab Namen allem Vieh, den Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes. Aber eine Hilfe, die dem Menschen entsprach, fand er nicht.

Das erste Buch Mose: Das Paradies

Da ließ Gott, der Herr, einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, so dass er einschlief, nahm eine seiner Rippen und verschloss ihre Stelle mit Fleisch. Gott, der Herr, baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau und führte sie dem Menschen zu.

Das erste Buch Mose: Das Paradies

Der Herr sah, dass auf der Erde die Schlechtigkeit des Menschen zunahm und dass alles Sinnen und Trachten seines Herzens immer nur böse war. Da reute es den Herrn, auf der Erde den Menschen gemacht zu haben, und es tat seinem Herzen weh. Der Herr sagte: Ich will den Menschen, den ich erschaffen habe, vom Erdboden vertilgen, mit ihm auch das Vieh, die Kriechtiere und die Vögel des Himmels, denn es reut mich, sie gemacht zu haben. Nur Noah fand Gnade in den Augen des Herrn.

Das erste Buch Mose: Noah und die Sintflut

Dann segnete Gott Noah und seine Söhne und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar, vermehrt euch und bevölkert die Erde. Furcht und Schrecken vor euch soll sich auf alle Tiere der Erde legen, auf alle Vögel des Himmels, auf alles, was sich auf der Erde regt, und auf alle Fische des Meeres, euch sind sie übergeben. Alles Lebendige, das sich regt, soll euch zur Nahrung dienen. Alles übergebe ich euch wie die grünen Pflanzen.

Das erste Buch Mose: Gottes Bund mit Noah.

Dann sprach Gott zu Noah und seinen Söhnen, die bei ihm waren: Hiermit schließe ich meinen Bund mit euch und mit euren Nachkommen und mit allen Lebewesen bei euch, mit den Vögeln, dem Vieh und allen Tieren des Feldes, mit allen Tieren, die mit euch aus der Arche gekommen sind. Ich habe meinen Bund mit euch geschlossen: Nie wieder sollen alle Wesen aus Fleisch vom Wasser der Flut ausgerottet werden; nie wieder soll eine Flut kommen und die Erde verderben.

Das erste Buch Mose: Gottes Bund mit Noah.

Vorwort

Kehren wir vom Alten Testament zurück in unsere heutige Zeit.

Wir Menschen, denen Gott vor ewigen Zeiten alles Leben auf unserer schönen Erde anvertraut hat, entwickeln eine geradezu beängstigende Energie, den Bund, den Gott mit Noah stellvertretend für uns alle geschlossen hat, mit jedem Atemzug einseitig zu brechen.

Wenn wir an dieser Stelle einmal kurz innehalten und nüchtern analysieren, wie ungerecht und grausam wir Menschen miteinander umgehen und wie wenig wir unserer Verantwortung gegenüber der uns von Gott anvertrauten Tierwelt und der Natur gerecht werden, erkennen wir schnell, dass erst wieder eine neue Sintflut kommen muss, um die Erde (von uns Menschen?) zu säubern.

Was treibt uns Menschen Tag für Tag an, egoistisch nach Macht und Geld zu streben und andere Menschen, Tiere und unsere Umwelt anscheinend grundlos zu zerstören?

Wird Gott uns Menschen tatenlos dabei zusehen, wie wir unseren Planeten zerstören und uns somit selbst auslöschen?

Warum hat Gott uns Menschen so geschaffen, wie wir sind?

Wird Gott auch diesmal Erbarmen mit uns haben und uns eine weitere Chance geben?

Fragen über Fragen, die kein Mensch seriös und erschöpfend beantworten kann.

Aber Gott sei Dank gibt es doch Menschen, die sich im Sinne des Schöpfers ihrer Verantwortung gegenüber ihren Mitmenschen, allen anderen Lebewesen auf unserem Planeten und ihrer Umwelt bewusst sind und sich dieser Verantwortung Tag für Tag aufs Neue stellen. Menschen, die bei allen vorhandenen und berechtigten unterschiedlichen und persönlichen Interessen, den gegenseitigen Respekt und die Akzeptanz unserer Unterschiedlichkeit über das Streben nach Macht und Geld stellen. Denn gerade unsere Verschiedenheit macht das Leben auf dieser Erde für uns so reizvoll.

1 Das Paradies

Es gibt Geschäftsmodelle, die konjunkturunabhängig und sehr erfolgreich sind. Dazu gehören der Waffenhandel und die sichere, absolut vertrauliche und steuerfreie Anlage von (un)rechtmäßig erworbenem Vermögen Dritter. Ende der vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts lebte in Genf ein Geschäftsmann, der genau diese beiden Geschäftsmodelle erfolgreich umsetzte. Keiner wusste, wo er herkam. Er war auf einmal da. Der Mann besaß einen Schweizer Pass auf den Namen Moses Smith. Seine Hautfarbe ließ vermuten, dass seine Vorfahren ursprünglich aus Schwarzafrika stammten. Dafür sprach auch seine exzellente Kenntnis der Verhältnisse des afrikanischen Kontinents. Er galt als verschwiegen, kompetent und seriös, und ihm eilte der Ruf voraus, einen sechsten Sinn für gute Geschäfte zu besitzen. Moses lieferte auf Wunsch alle gängigen Waffen zu marktgerechten Preisen. Das ihm anvertraute Vermögen vermehrte er diskret und steuerfrei. Da seine zufriedenen und sehr einflussreichen Kunden an den wichtigsten Schaltzentralen unseres Planeten saßen, war er einer der wenigen Menschen, der sich fast in jedem Land der Erde frei bewegen konnte. Wenn Moses sich entspannen wollte, startete er mit seiner Privatmaschine zu Erkundungsflügen quer durch den afrikanischen Kontinent, an dessen Schönheit er sich aus der Vogelperspektive nicht satt sehen konnte. Jedes Mal, bevor er von Kairo aus startete, wo sein Flugzeug während seiner Abwesenheit stand und gewartet wurde, informierte er seine Kontaktleute in den jeweiligen Ländern, die er überflog, um nicht aus Versehen vom Himmel geholt zu werden.

 

Bei einem seiner Erkundungsflüge entdeckte Moses in südlicher Richtung mitten in einer großen und völlig menschenleeren Wüste einen großen dunklen Flecken, der sofort seine Neugier weckte. Er flog darauf zu und stellte zu seinem Erstaunen fest, dass es sich um eine große Felsformation handelte, die nicht in seinem Kartenmaterial verzeichnet war. Als er noch ungefähr zehn Kilometer von dem Felsen entfernt war, setzte ohne Vorwarnung der Motor seines Flugzeugs aus und die Maschine verlor schnell an Höhe. Instinktiv änderte Moses die Flugrichtung und vergrößerte so im Gleitflug den Abstand zur Felsformation. Da der Untergrund an diese Stelle der Wüste nahezu eben war, entschloss er sich, dort zu landen. Sicher setzte er auf. Das Flugzeug rollte aus und kam in einem Abstand von circa fünfzehn Kilometern vor der Felsformation zum Stehen. Moses stieg aus und sah sich um. Weit und breit war außer Sand und Steinen nichts zusehen. Und natürlich in der Ferne die Felsformation, die ihn wie ein Magnet anzog. Er stieg wieder in das Flugzeug und startete den Motor, der auch sofort ansprang und störungsfrei lief. Moses schloss die Augen, um sich zu entspannen und über die letzten Minuten nachzudenken. Aber er konnte sich nicht konzentrieren. Immer wieder öffnete er die Augen und sah hinüber zu dem Felsen. Er nahm sein Kartenmaterial in die Hand und vergewisserte sich, dass die Felsformation wirklich nicht verzeichnet war. Er sah auf die Uhr, stieg aus dem Flugzeug und machte sich mit großen Schritten auf den Weg zum Felsen, denn er wollte sichergehen, dass es sich nicht um eine Fata Morgana handelte. Zwei Stunden später stand er nur noch wenige Meter vor der Felswand. Die Oberfläche war nahezu eben. Moses schätzte die Höhe auf 350 bis 400 Meter. Als er die letzten Meter zurücklegte, um den Felsen zu berühren, klopfte sein Herz laut und eine Begeisterung, die er in dieser Form bis dato noch nie verspürte, nahm von ihm Besitz. So musste sich ein Forscher fühlen, der im Begriff war, etwas wirklich Neues zu entdecken. Moses berührte vorsichtig den Felsen und war ein bisschen enttäuscht, dass er sich anfühlte wie jeder andere Felsen auf dieser Welt. Er ging in westlicher Richtung am Fuß des Felsen entlang, um eine Stelle zu finden, die es ihm ermöglichte, hinaufzusteigen. Nach einer Stunde brach er seine Suche erfolglos ab. Er ging zurück zu seinem Ausgangspunkt und dann die gleiche Strecke in östliche Richtung. Wieder ohne Erfolg. Moses sah auf die Uhr und stutzte. Es war schon über sechs Stunden her, dass er losgegangen war. Jetzt wurde ihm bewusst, dass er Hunger und vor allen Dingen Durst hatte und entschloss sich, seine Untersuchungen ein anderes Mal fortzusetzten und zum Flugzeug zurückzukehren. Er stieg ein, startete den Motor, der wieder sofort ansprang und überprüfte sein Funkgerät. Es funktionierte fehlerfrei. Erleichtert flog er zurück.

Als er spät am Abend wieder in seinem Hotelzimmer saß, markierte er auf der vor ihm liegenden Karte die Stelle, an der er gelandet war, mit einem kleinen Kreis. Dann zeichnete er in einem Abstand von zehn Kilometern den Felsen ein. Er wusste nicht warum, aber er vermutete, dass der Motor seines Flugzeugs auch an jeder anderen Stelle, die sich näher als zehn Kilometer von der Felswand entfernt befand, den Dienst einstellen würde. Dieser Gedanke elektrisierte ihn, und er beschloss, ihn vor Ort zu überprüfen und wenn er zutraf, diesem Phänomen auf den Grund zu gehen.

Eine Woche später näherte sich Moses mit dem Flugzeug wieder der Stelle, an der er beim ersten Mal gelandet war und die er auf seiner Karte markiert hatte. Aber er flog nicht weiter Richtung Felsen, sondern parallel auf einer gedachten Linie im Abstand von zehn Kilometern zum Felsen. Der Motor lief ruhig und das Funkgerät funktionierte. Moses war sich darüber im Klaren, dass er den Abstand versuchsweise unterschreiten musste, um seine Vermutung zu überprüfen. Nach mehreren Versuchen hatte er die Gewissheit, dass seine Annahme stimmte.

Als er am Abend wieder in seinem Hotelzimmer saß, nahm er Papier und Stift zur Hand, um seine Eindrücke aufzuschreiben:

- Der Motor stellte umgehend seine Arbeit ein, wenn er die Zehnkilometerlinie in Richtung Felsen überflog. Gleiches galt auch für das Funkgerät.

- Der Felsen hatte die Form einer Ellipse mit einer Ausdehnung in Nord­Süd­Richtung von ungefähr 100 Kilometern und in Ost­West­Richtung von circa 50 Kilometern.

- Die Höhe des Felsen war fast überall konstant.

- Es sah von oben aus, als ob der Felsen einen grün schimmernden Kern hatte, den er wie einen Ring umschloss.

Moses las die Zeilen immer wieder durch. Was hatte es mit dem grünen Kern auf sich? Sein erster Gedanke war, dass es sich um ein ausgedehntes Waldgebiet handelte. Aber das konnte mitten in der Wüste, wo es weit und breit kein Wasser gab, nicht sein.

Am nächsten Morgen flog er zurück nach Genf. Aber er konnte sich nicht auf seine eigentliche Arbeit konzentrieren. Immer wieder musste er an den geheimnisvollen Felsen und seinen grün schimmernden Kern denken, und schnell wurde ihm bewusst, dass er das Geheimnis des Felsens lüften musste, um wieder Herr über seine Gedanken zu werden.

Zwei Wochen später flog Moses wieder los. Da er diesmal länger in der Wüste bleiben wollte, um mehr über den Felsen in Erfahrung zu bringen, hatte er seine Ausrüstung entsprechend zusammengestellt. Neben einem kleinen Zelt, einem Schlafsack und Proviant in mehreren Kisten, hatte er einen großen Leiterwagen mitgebracht, den er nach der Landung aus vorgefertigten Einzelteilen zusammenbaute, um seine Ausrüstung zu transportieren.

Direkt vor der Felswand schlug er sein Lager auf. An den ersten beiden Tagen fand er weder eine Stelle, an der er den Felsen als ungeübter Kletterer besteigen konnte, noch eine Öffnung, die ihm einen Zugang zum Kern ermöglicht hätte. Aber er ließ sich nicht entmutigen. Am Morgen des dritten Tages wurde seine Geduld belohnt. Ein Vogelschrei riss ihn aus seinem Schlaf. Er sprang auf, lief in die Richtung, aus der die Vogelstimme kam und entdeckte nach wenigen Metern in einer Höhe von drei Metern eine Öffnung im Felsen, die er in der Vergangenheit übersehen hatte. Während er nach oben sah, verließen verschiedene Vogelarten dieses Loch und flogen hinaus in die Wüste. Er ging zurück zum Lager, lud mehrere Kisten auf den Leiterwagen und transportierte sie bis zu der Öffnung. Anschließend stapelte er sie so, dass er das Loch gut erreichen und hineinsehen konnte. Es war fast kreisrund und hatte einen Durchmesser von etwas mehr als einem Meter. Moses leuchtete mit der Taschenlampe hinein. Er blickte in einen Gang, der circa fünf Meter weit unter 45 Grad Richtung Westen verlief und dann anscheinend nach Süden abbog. Da der Gang mindestens zwei Meter hoch und über einen Meter breit war, zögerte Moses nicht und kroch durch die Öffnung. Im Schein der Lampe tastete er sich langsam vorwärts. Der Boden des Gangs war eben und fest. Hinter der Biegung verdoppelte sich die Breite des Gangs. Moses ging vorsichtig weiter und zählte die Schritte. Die Helligkeit im Gang nahm zu und bei der Zahl 60 erreichte er wieder eine Biegung. Der Gang wurde wieder schmaler und verlief jetzt unter 45 Grad nach Osten. Nach weiteren zehn Schritten erreichte er das Ende des Ganges, das fast vollständig von den Ästen und Blättern eines Baumes versperrt wurde. Moses teilte die Äste mit seinen Händen und sah hinaus. Als sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, entdeckte er in einer Entfernung von 100 Metern einen kleinen See. Die am Ufer stehenden Bäume bildeten mit ihren Ästen und Blättern ein Dach, durch das sich nur wenige Sonnenstrahlen einen Weg bahnten. Moses bot sich ein einmaliger Anblick. Trotz der unterschiedlichen Farben und einem bizarren Schattenspiel auf der Wasseroberfläche strahlte die vor ihm liegende Landschaft eine Vollkommenheit und Harmonie aus, wie er dies in seinem Leben noch nie erlebt hatte. Vor dem Ausgang lagen mehrere unterschiedlich große Felsbrocken, die es Moses problemlos ermöglichten, den Höhenunterschied von etwa einem Meter zu überwinden. Am Ufer des Sees blieb er stehen und schloss die Augen, um zur Ruhe zur kommen, denn er zitterte vor Aufregung am ganzen Körper. Jetzt erst fiel ihm auf, dass hier am See kein Laut zu hören war. Nicht einmal die Blätter bewegten sich im Wind. Minutenlang blieb er so stehen und spürte, wie jeder Stress und alle Sorgen von ihm abfielen und er einfach nur dankbar und glücklich war, in diesem Moment an dieser Stelle sein zu dürfen. Die vielen unbekannten Düfte, die er einatmete, versetzten ihn in einen rauschähnlichen Zustand. Er schüttelte sich mehrmals, um wieder in die Realität zurückzufinden. Vorsichtig öffnete er die Augen und stellte erleichtert fest, dass der See und der Wald noch vorhanden waren. Er konzentrierte sich jetzt auf seine Umgebung, ging vorsichtig zwischen den Bäumen und Sträuchern am Ufer des Sees entlang und entdeckte viele Spuren, die von unterschiedlichen Tieren stammten. Er hatte Durst, bückte sich und schöpfte mit beiden Händen das klare Wasser. Es war angenehm kühl und schmeckte köstlich.

Plötzlich wurde es laut. Die unterschiedlichsten Tierstimmen ertönten und Moses hatte das Gefühl, dass sich die Tiere jetzt darüber beschwerten, dass er in ihr Paradies eingedrungen war und von ihrem Wasser getrunken hatte. Moses erhob sich und ging, sich immer wieder vorsichtig umblickend, zurück zum Ausgang, der von den Ästen und Blättern des großen Baumes vollständig bedeckt wurde. Er benutzte die Felsbrocken wieder als Stufen. Bevor er die Äste mit seinen Händen auseinanderbog, um den Gang zu betreten, drehte er sich noch einmal um, hob einen kleinen, spitzen Stein auf, nahm ihn in die Hand und machte eine Faust. Die Spitzen des Steins bohrten sich tief in seine Haut und verursachten große Schmerzen. Moses öffnete langsam seine Hand und sah, dass er an mehreren Stellen blutete. Es war also kein Traum, was er gerade erlebt hatte und jetzt noch sah. Er betrat den Gang und schaltete seine Taschenlampe an. Wie in Trance ging er zurück zur anderen Seite des Gangs.

Wieder zurück auf dem Wüstenboden verstaute er zuerst die Kisten und dann die restlichen Ausrüstungsgegenstände auf dem Leiterwagen. Gerade als er losgehen wollte, rutschte eine Kiste vom Wagen und mehrere Holzstücke brachen von einer Seite und dem Deckel ab. Da sie sonst kaum beschädigt war, lud Moses sie wieder auf und machte sich auf den Rückweg zum Flugzeug. Der Motor und das Funkgerät funktionierten ohne Probleme.

Als er die Flughöhe erreicht hatte und hinaus in den blauen Himmel sah, faltete er zum ersten Mal in seinem Leben die Hände und betete. Er wusste nicht, zu wem er betete, aber er war sich sicher, dass der Adressat des Gebets sich freuen würde, denn es war ein Dankgebet.

Zwei Tage später saß Moses wieder am Schreibtisch seines großen Genfer Büros. Aber er konnte sich auch diesmal nicht richtig auf seine Arbeit konzentrieren. Er ertappte sich dabei, wie sich seine Gedanken immer wieder um dieselben Fragen drehten:

- Woher kam das viele Wasser mitten in der Wüste, das die Lebensgrundlage dieses geheimnisvollen Waldes war und dessen Existenz seit vielen Jahrtausenden sicherte?

- Lebten in diesem Wald Menschen, und wenn ja, wie sahen sie aus?

- Warum war dieser Felsen nirgendwo verzeichnet?

- Wem gehörte dieses Paradies?

- Wer oder was unterband die Funktion des Flugzeugmotors und des Funkgerätes innerhalb eines zehn Kilometer breiten Korridors und warum gab es ihn?

Aber alle diese Fragen, auf die er keine Antworten wusste, wurden mit der Zeit immer stärker von zwei weiteren Fragen überlagert: Warum spürte er so eine starke Bindung zu diesem Paradies und wie konnte er es vor den Menschen schützen?

 

Von nun an nutzte Moses jede freie Minute, um diesen Wald zu besuchen. Er stellte bei seinen Flügen fest, dass im Umkreis von 120 Kilometern um den Felsring keine Menschen lebten und die Oberflächenbeschaffenheit der Wüste stark von großen Dünen und tiefen ausgetrockneten Flussläufen geprägt wurde. Aus der Vogelperspektive sah es so aus, dass in dem überwiegenden Teil der Wüste ein Durchkommen nur unter großen Schwierigkeiten und mit Spezialfahrzeugen möglich war. Diese Erkenntnis beruhigte ihn, denn er hatte große Angst, dass noch ein anderer Mensch das Paradies entdecken und vielleicht zerstören würde. Er konnte nicht wissen, dass sich die Topographie dieser Region seit Jahren kontinuierlich veränderte.

Jedes Mal, wenn er wieder nach einem Besuch des Paradieses in seinem Genfer Büro an seinem Schreibtisch saß, nutzte er sehr diskret seine Kontakte, um mehr Informationen über die Gegend, in der die Felsformation lag, zu bekommen. Aber alle seine Bemühungen waren nicht von Erfolg gekrönt. Diesen Flecken Erde schien es einfach nicht zu geben.

Die Besuche seines kleinen Paradieses liefen immer nach dem gleichen Schema ab. Er beobachte stundenlang aus der Distanz den kleinen See, ohne jemals ein Lebewesen zu entdecken. Aber jedes Mal, wenn er sich zum Abschied dem See näherte, um daraus zu trinken, meldeten sich die Bewohner des Waldes lautstark.

Bald bemerkte Moses, dass ihn die regelmäßigen Besuche des Paradieses veränderten. Er war nicht mehr in der Lage, mit Waffen zu handeln und konzentrierte sich fortan auf seine Kundschaft, die ihr Vermögen sicher verstecken und steuerfrei vermehren wollte. Zwar machte ihm auch das keinen richtigen Spaß mehr, und er spürte zum ersten Mal in seinem Leben so etwas wie Gewissensbisse, aber er rechtfertigte seine Arbeit damit, dass er nur mit guten Kontakten und sehr viel Geld in der Lage sein würde, das Paradies dauerhaft zu schützen.

Im Jahr 1956 stand Moses auf dem Bahnsteig des Genfer Bahnhofs und wartete auf den Zug, mit dem er nach Bern reisen wollte. Da wurde er auf eine junge Frau aufmerksam, die weinend und völlig durchgefroren auf einer Bank saß. Sie weckte seine Anteilnahme und er ging auf sie zu. Moses konnte sehen, dass sie zusammenzuckte, als er vor ihr stand. Er sprach sie auf Französisch an.

„Kann ich Ihnen helfen?“

Sie gab ihm zu verstehen, dass sie kein Französisch sprach. Moses versuchte es auf Englisch und hatte damit Erfolg.

„Warum wollen Sie mir helfen? Sie kennen mich doch gar nicht.“

„Ich weiß es nicht. Normalerweise bin ich nicht sehr hilfsbereit.“ Die Antwort schien ihr zu gefallen und sie lockerte etwas ihre abweisende Körperhaltung.

„Wie wollen Sie mir denn helfen?“

„Sie sehen so aus, als ob Sie als erstes etwas Warmes zu essen und zu trinken benötigen, dann trockene Kleidung und später ein Dach über dem Kopf.“

„Und wenn es so wäre, was habe ich zu tun, damit Sie mir all dies zur Verfügung stellen?“

Ihre Körperhaltung war jetzt wieder völlig abweisend.

„Ich weiß es nicht. Aber nicht das, was Sie vermuten.“

Die junge Frau sah jetzt den vor ihr stehenden Mann genauer an.

Er hatte eine schwarze Hautfarbe mit einem leicht bläulichen Schimmer, den sie auf die besonderen Lichtverhältnisse auf dem Bahnsteig zurückführte. Er war mindestens zwanzig Jahre älter als sie, sehr groß und elegant gekleidet und hatte interessante Augen. Als sie an dieser Stelle ihrer Analyse angekommen war, fasste sie spontan den Entschluss, dem Fremden zu trauen. Sie erhob sich von der Bank und streckte ihm ihre rechte Hand entgegen.

„Ich heiße Lydia und nehme ihr freundliches Angebot an.“

Moses nahm die Hand und drückte sie vorsichtig. Er war zwar gewohnt, mit den größten Despoten dieser Welt umzugehen, aber mit jungen zierlichen Frauen hatte er keine große Erfahrung.

„Ich heiße Moses und bin mir sicher, dass wir gemeinsam etwas finden werden, wie Sie sich revanchieren können.“

Moses ging voran und die Frau folgte ihm. Vor dem Bahnhof ging er auf ein Taxi zu und hielt Lydia die Wagentür auf. Das Taxi brachte sie zu einem kleinen Lokal direkt am Genfer See. Der Wirt kannte Moses seht gut, und wenn er sich über dessen Begleitung wunderte, so verstand er es meisterhaft, dies zu verbergen. Er begegnete der jungen Frau mit dem größten Respekt. Moses hatte es auch nicht anders erwartet.

Nach der Vorspeise stand Moses auf, um zu telefonieren. Nach wenigen Minuten kam er zurück.

„Ich bin Junggeselle und habe mein häusliches Schicksal in die Hand von Alma gelegt. Sie ist eine wahre Perle, aber auch wahre Perlen werden leider älter. Sie ist jetzt schon weit über 70 Jahre alt und könnte etwas Unterstützung gebrauchen. Hätten Sie Interesse und Lust, Alma zu unterstützen?“

Das bejahte Lydia.

Nach dem Essen stand Moses Chauffeur vor der Tür, um ihn und die junge Frau nach Hause zu fahren.

Alma erwartete die beiden schon neugierig an der Haustür. Als Lydia ausstieg, wurde sie gleich von der Haushälterin in Empfang genommen.

Sie fand Lydia sofort sympathisch und nahm die junge Frau unter ihre Fittiche. Im Verlauf der nächsten Monate erfuhr Moses von Lydia, dass sie aus Ungarn stammte und nichts über den Verbleib ihrer Verwandten wusste, die ebenso wie sie vor den Russen aus Ungarn geflohen waren. Moses forschte über seine Kanäle nach und konnte der jungen Frau leider keine guten Nachrichten überbringen. Ihre Eltern und alle näheren Verwandten waren wahrscheinlich auf der Flucht umgekommen. Als die Frau hörte, dass keiner ihrer Lieben mehr lebte, brach sie zusammen. Alma und Moses kümmerten sich um sie, und nachdem die junge Frau das Krankenhaus verlassen hatte und wieder halbwegs zu Kräften gekommen war, machte ihr Moses nach Rücksprache mit Alma den Vorschlag, ihn zu heiraten. Nach anfänglichem Zögern sagte sie ja. Moses wusste, dass sie ihn nicht liebte, aber mit der Zeit kamen sich die beiden trotz des großen Altersunterschieds doch näher. Anfang der sechziger Jahre brachte Lydia im Abstand von 15 Monaten zwei Jungen zur Welt. Sie wurden auf die Namen Stanley und Olliver getauft. Beide hatten die Hautfarbe ihres Vaters und die Gesichtszüge ihrer Mutter. Die Jungen wuchsen auf, ohne genau zu wissen, womit ihr Vater sein Geld verdiente. Sie wussten nur, dass er ein sehr erfolgreicher Anlagenberater war.

Im Jahr 1960, dem „Afrika­Jahr“, wurden in Afrika viele Länder in die Unabhängigkeit entlassen, wobei die Grenzen zwischen den neu entstandenen Staaten von den ehemaligen Kolonialmächten ziemlich willkürlich gezogen wurden. Zu einer dauerhaften Befriedung des Kontinents und einer spürbaren Verbesserung der Lebensumstände der meisten Afrikaner trug dies nicht entscheidend bei. Vielmehr war in den meisten Fällen das Gegenteil der Fall. Schillernde Persönlichkeiten mit dem Hang, eine Diktatur zu installieren, wurden an die Macht gespült.

Einen dieser neuen Diktatoren lernte Moses Mitte der 60er Jahre persönlich kennen. Auf Empfehlung traf er sich mit dem Mann, der sich in seiner bescheidenen Art „L’Empereur“ nannte, zu einem vertraulichen Gespräch in Kairo. Kaiser Kabossa war erst vor kurzem mit der Unterstützung der Franzosen an die Macht gekommen. Frankreich hatte diesen Mann, einen ehemaligen Offizier der Fremdenlegion, unterstützt, seinen Vorgänger zu stürzen, weil jener den Interessen und Wünschen Frankreichs nicht genügend Aufmerksamkeit schenkte. Obwohl erst kurz im Amt, sah sich L‘Empereur schnell mit dem gleichen großen Problem konfrontiert, wie seine Kollegen-Diktatoren in anderen Ländern:

Wie und wo finde ich eine sichere und sehr diskrete Anlagemöglichkeit für mein schnell wachsendes Vermögen?

Die beiden trafen sich am nächsten Tag noch einmal, um die noch offenen Fragen von Monsieur Kabossa zu klären und dann zählte L‘ Emperieur zu Moses Smith‘ Kunden. Zurück in Genf beschäftigte sich Moses intensiv mit dem Land seines neuen Klienten und stellte erfreut fest, dass die Wüste, die die geheimnisvolle Felsformation und das Paradies umschloss, nach der Aufteilung Kolonialafrikas im Osten des Land lag, über das Kabossa herrschte. Jetzt hatte er ein Packend, wie er sein Paradies schützen konnte: Er würde seinem neuen Geschäftspartner diesen Teil des Staatsgebietes abkaufen. Moses wartete von nun an auf den passenden Zeitpunkt, um dem Diktator ein Geschäft vorzuschlagen.

Ein Jahr später verabredeten sich die beiden wieder in Kairo. L‘Empereur war mit dem bisherigen Verlauf der Geschäftsbeziehung sehr zufrieden, machte aber sofort deutlich, dass seine persönlichen Ausgaben in einem Umfang stiegen, den er sich selbst vorher nicht hatte vorstellen können.

„Monsieur Smith, haben Sie eine Idee, wie ich mein kleines Problem lösen kann?“

Moses hatte eine Idee, die er seinem Gesprächspartner sofort vorstellte.

„Ich möchte Ihnen ein Stück unbewohnter und nutzloser Wüste abkaufen.“

Der Diktator dachte zuerst an einen schlechten Scherz, aber als Monsieur Smith eine Zahl nannte, war dem an Geldmangel leidenden Diktator sofort klar, dass der Anlagenberater seines Vertrauens nicht scherzte.

„Warum wollen Sie denn dieses wertlose Stück Wüste unbedingt kaufen? Ich halte Sie für einen Profi und Profis verschenken nichts.“

„Monsieur L‘Empereur, ich kenne meine genaue Herkunft nicht, vermute aber, dass ich irgendwo in dieser Region geboren worden bin und möchte in aller Ruhe nach Spuren meiner Vorfahren suchen.“

„Das soll ich glauben, Monsieur Smith?“

„Das überlasse ich Ihnen, Monsieur. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Vor mir liegt ein Kartenausschnitt Ihres Landes, in den ich die von mir gewünschte Fläche eingezeichnet habe. Sie machen sich vor Ort ein eigenes Bild von dieser unbewohnten und wertlosen Wüste und wir sprechen dann anschließend nochmal über mein für Sie sehr lukratives Angebot.“

Man sah dem Diktator deutlich an, dass er Monsieur Smith, was dieses Stück Wüste anging, nicht über den Weg traute. Aber das Angebot war sehr verlockend.