Mein Leben - Meine Musik

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From the series: Musiker-Biographie
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Pete Seeger war der beste Entertainer, den ich je erleben durfte, und außerdem ein unglaublicher Musiker! Wenn er eine Geschichte erzählte, dann bewegte er seinen hageren Körper hin und her. Und wenn aus seinem Mund „Michael, row the boat ashore …“ erklang, dann befand man sich gemeinsam mit Pete in ebendiesem Boot. Dann brachte er das Publikum noch dazu, ihn dreistimmig zu begleiten. Man dachte sich anschließend: „Verdammt, wie haben wir das alle nur eine ganze Stunde lang hinbekommen?“ Ich habe nie einen anderen erlebt, der das vermocht hätte. Keinen einzigen. Ich hab es ja selbst ein paar Mal versucht! Ich habe Frank, Sammy, Dino, Elvis und wie sie alle heißen gesehen – aber Pete Seeger verfügte über eine ganz besondere Qualität als Entertainer. Pure Magie! Es war authentisch und ging ihm mühelos von der Hand.

Ungefähr zu dieser Zeit, als ich ihn live sah, musste Peter vor dem Komitee für unamerikanische Umtriebe erscheinen. Er stellte sich seinen Angreifern aber entgegen und ließ sie wissen: „Ich habe das Recht auf meine Überzeugungen.“ Und diese Art von Haltung und Gesinnung wurde auch durch seine Musik befördert. So erreichte er die Leute viel besser als mit flammenden Appellen, was vor allem auf unbedarfte Kids wie mich zutraf. Da gab es also Menschen, die für eine Überzeugung eintraten und sogar starben, die Gutes für mich bewirken würde? Und wenn nicht genug Leute dafür einträten, würde ich nicht in Freiheit leben können? Das sprach mich alles sehr an. Ich liebte Pete und lernte so viel von ihm. Er spielte gerne Songs, die Botschaften vermittelten, doch verlor er auch nie aus den Augen, dass es auch darum ging, einfach miteinander zu singen und Spaß zu haben.

Was Folk-Musik betraf, so konnte man aus einem großen Repertoire schöpfen, und beileibe nicht alles war durchtränkt von Traurigkeit.

Aber obwohl ich auf Rock ’n’ Roll abfuhr, saugte ich auch diese Musik­richtung auf und fuhr total darauf ab. Auch wenn es mir damals nicht bewusst war, hat mich Pete mehr beeinflusst als die ganzen Rock ’n’ Roller.

Folk, Rock, Blues, Country – ich machte da keine Unterschiede. Ich war jung und für alles offen. So wollte ich auch etwa später einmal „Both Sides Now“ von Joni Mitchell mit Creedence covern. Ich liebte diese Nummer und dachte mir: „Mann, in meinem Stil und mit einer Rock ’n’ Roll-Band würde das sicher cool klingen.“ Leider wurde nichts daraus.

Ich bin auch heute noch so. Sobald ich einmal loslege, kann man mich nur mehr schwer bremsen. Ich habe noch gar nicht Songs wie „The Slummer the Slum“ von den 5 Royales oder „I Confess“ von den Four Rivers erwähnt. Letzteren coverte ich in den Achtzigerjahren, obwohl ich auf eine tiefere Tonart zurückgreifen musste. Nur Wahnsinnige kennen diese Nummer – und, jawohl, ich bin so ein Wahnsinniger.

Dann gab es da noch „Henrietta“ von Jimmy Dee and the Offbeats. Das war eine wilde Rockabilly-Nummer. „The Offbeats“ war ein herrlich blödsinniger Name. Schon ziemlich punkig, wenn man so will: „Wir sind beschissen! Erschießt uns doch!“ Der Song erschien 1958 auf dem Label Dot Records.

Der Bandname, das Label, das Plattencover, der Sound und die Abfolge der Songs – all diese kleinen Details waren mir sehr wichtig. Ein Album wurde durch diese Dinge nur noch mysteriöser für mich. Es fesselte einen und offenbarte sich schrittweise. Das ist etwas, was ich heutzutage an der Musik vermisse.

Das bringt mich zum Unterricht von Mrs. Starck. In der siebten und achten Klasse, als ich die Portola Junior High besuchte, belegte ich nämlich einen Kurs für Musikliebhaber bei eben jener Dame. Ihre Stunden umfasste Musikgeschichte, und auch Instrumente – in erster Linie Rhythmusinstrumente – kamen zum Einsatz. Ich war ein großer Fan dieser Stunden. Mrs. Starck hatte ihre Haare zu einem Zopf gebunden und trug Perlen. Sie hatte etwas von einem Beatnik und war hinreißend. Wir lernten etwas über Mozart und Beethoven, wobei mich der Umstand, dass Beethoven taub war, schwer faszinierte. Sogar Boogie-Woogie – Meade Lux Lewis, Albert Ammons und solche Leute – kamen in ihrem Unterricht zur Sprache. Mrs. Starck begegnete all diesen Themen mit großer Ernsthaftigkeit. Für sie war alles echte Musik, und Boogie-Woogie durfte ruhig im selben Atemzug mit Beethoven genannt werden. Das war richtig cool. Wir erfuhren sogar ein wenig über das Musikbusiness, etwa über die Bedeutung von Verträgen und dass diese oft unfair waren. Da hätte ich wohl ein bisschen besser aufpassen sollen.

Eines Tages wandte sich Mrs. Starck an mich: „John, du sammelst doch Schallplatten. Warum bringst du nicht ein paar von deinen Favoriten mit, damit wir sie uns anhören können und du uns erklären kannst, warum sie dir gefallen.“ Ich fand das so cool von ihr. In der nächsten Musikstunde spielte ich der Klasse „I’m Walkin’“ von Fats Domino vor. Ich liebte Fats, und es gefiel mir ungemein, wie sich dieser Song einfach seine Zeit zu nehmen schien. Außerdem brachte ich noch „Boppin’ the Blues“ von Carl Perkins mit. Möglicherweise auch „Henrietta“.

Mrs. Starck war sehr tolerant und eine große Inspiration. Statt mich daran zu hindern, am Klavier Rock ’n’ Roll zu spielen – und ich bin mir sicher, dass das damals noch ziemlich abscheulich klang ‒, ermutigte sie mich und vermittelte mir das Gefühl, dies sei die coolste Sache auf der Welt.

Am Ende des Schultages hatten wir üblicherweise Sportunterricht, der ganz in der Nähe ihres Klassenzimmers stattfand. Also stahl ich mich eines Tages aus dem Turnsaal davon, um mich ins Musikzimmer zu schleichen. Das war in der achten Klasse. Ich weiß nicht, woher ich die Chuzpe nahm, aber ich setzte mich ans Klavier und spielte einfach drauflos. Ich bin nämlich eigentlich ein sehr scheuer Typ. Plötzlich umstanden mich ein paar Kids. Ich spielte einige Sachen, die ich mir zu Hause beigebracht hatte: „Do You Want to Dance“ und eine paar Instrumentalstücke, die ich auf den schwarzen Tasten in Fis spielte. Das erinnerte an eine Art bluesigen Boogie-Woogie. Nachdem sich das ein paar Tage hintereinander wiederholt hatte, trat ich bereits vor einem richtigen kleinen Publikum auf. Eines Tages kreuzte auch Doug Clifford auf. Er ließ mich wissen, dass er Schlagzeug spiele und sogar seine eigene Ausrüstung besitze, weshalb wir vereinbarten, uns zusammenzutun.

Als ich schließlich bei ihm vorbeikam, stand da eine Snare-Drum auf einem Blumentopfständer und daneben ein einzelnes Becken. Das war alles. Ein wenig später organisierte sich Doug noch eine Hi-Hat von einem gewissen Rich Knapp, der das Ding im Werkunterricht angefertigt hatte. Das Ding mochte zwar selbst gebastelt sein, doch es funktionierte. Und so begannen wir, gemeinsam zu musizieren – ich mit meiner kleinen Gitarre und meinem Verstärker und Doug mit seiner Blumentopf-Trommel und dem Becken.


ICH ERINNERE MICH NOCH an einen Ausflug mit meinem Vater nach Montana im Sommer nach der neunten Klasse. Ich hatte meine Gitarre, eine Silvertone, mit dabei und spielte auf dem Rücksitz des Autos vor mich hin. Ich versuchte mich an „Red River Valley“ in einer Moll-­Tonart, wodurch es ein wenig bluesiger oder folkiger klang. Auch meinem Dad fiel das auf. Es war so verdammt heiß, dass das Kunststoff-Griffbrett der Gitarre sich aufwölbte wie eine schmelzende Kerze. Es müssen über 40 Grad gewesen sein, aber mir war das egal. Ich hatte meine Gitarre und befand mich in einer Zauberwelt, in der ich einem geheimen Schamanen-Pfad folgte. Anders kann ich das gar nicht beschreiben. Heute habe ich genau die gleiche Verbindung zur Musik. Ich hatte schon bei meiner Geburt ein Liedchen auf den Lippen. Ich wollte mich musikalisch ausdrücken und wusste, dass ich mich sonst nicht komplett fühlen würde.

Die erste Gitarre, die wir zu Hause hatten, war eine alte Stella, die stabil wie ein ’48er Ford gebaut war. Wir Jungs spielten gerne im Haus Baseball, und die Stella war unser Schläger! Allerdings weiß ich nicht, ob sie meinem Dad oder meiner Mom gehörte, weil sie niemand spielte. Mein Dad dürfte ein paar Griffe gekannt haben, doch als ich mich ernsthaft dafür zu interessieren begann, war er schon seit Jahren außer Haus.

Meine Mom und ich nahmen die akustische Stella zu den Gitarrenstunden bei Barry Olivier mit und spielten abwechselnd darauf. Barry schlug uns jedoch eine Gitarre mit Nylon-Saiten vor, was tatsächlich besser für uns war. Der Gruppenunterricht, an dem außer mir nur Erwachsene teilnahmen, umfasste ungefähr zwei Mal sechs Wochen und erwies sich als Gottesgeschenk. Barry war ein so charismatischer Mensch und generell sehr aufrichtig. Und ich war wie ein Schwamm, der alles aufsaugte.

Entweder meine Mom oder Barry empfahlen mir, mir ein Exemplar von The Burl Ives Song Book zu besorgen. Ganz hinten waren eine Reihe von Akkorden grafisch dargestellt. Das half immens weiter. Eines Abends, als wir zu unserer Folk-Gitarrenstunde fuhren, war auch mein jüngerer Bruder Dan bei uns im Wagen. Ich spielte „S & J Blues“ auf der Gitarre, und Dan sagte: „Wow, du spielst ja wie ein Profi.“

Zu Hause hatten wir auch ein altes Klavier, auf dem ich selbstverständlich auch herumhämmerte. Mann, war das Ding verstimmt! Manchmal drückte ich Reißzwecken in die kleinen Hämmer, damit es sich mehr nach Honky-Tonk anhörte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendein Jugendlicher dafür heute noch die Geduld aufbrächte. Wir besaßen den Bob-Fina-Song „Bumble Boogie“ auf 78er-Single. Ich spielte diese Platte allerdings gerne langsamer ab, um so herauszufinden, was Bob Fina da genau spielte. So lernte ich schrittweise, dass da ein System dahintersteckte. Ich ließ einfach nicht locker, bis ich selbst eine präsentable Version von „Bumble Boogie“ spielen konnte. Vermutlich setzte ich mich zu Highschool-Zeiten noch am intensivsten mit dem Klavier auseinander. Ich ging der Sache aber nie wirklich ernsthaft nach und wurde nie wirklich gut an Keyboards, obwohl ich immerhin „Great Balls of Fire“ und „Whole Lot of Shakin’ Going On“ draufhatte. Das Intro zu dieser Nummer ist immer noch einer coolsten Klavier-Parts, die es gibt.

 

Der Jazz-Pianist Earl Grant trat um 1958 mit einer Version von „Fever“ im Fernsehen auf, woraufhin ich mir die Single kaufte. Auch Little Willie John und Peggy Lee hatten den Song schon aufgenommen, doch auf dem Klavier klang er nicht weniger frisch als etwa „What’d I Say“ oder „Whole Lot of Shakin’“. Die Nummer startete mit einem richtig coolen Riff, und als die Performance vorüber war, setzte ich mich ans Klavier, um den Song nachzuspielen – so gut ich das eben konnte. Ich wusste nicht, in welcher Tonart Earl Grant „Fever“ interpretiert hatte, doch hielt ich mich in erster Linie an die schwarzen Tasten, vermutlich in H- oder Fis-Dur. Um zwischen zwei Töne zu kommen, schlug er zwei verschiedene Töne an – einen Triller oder so. Das war alles neu für mich. „Fever“ bescherte mir zweifelsohne orgasmische musikalische Freuden! Eineinhalb Stunden lang spielte ich den Song immer und immer wieder, bis ich ihn total ausgereizt hatte. Ich schwebte in völlig anderen Sphären.

Heutzutage kann ein Jugendlicher solche Sounds einfach auf dem Computer erzeugen, aber damals, in der analogen Welt, musste man eben einfach irgendwie anders dahinterkommen. Früher Rock ’n’ Roll war, was die Gitarre angeht, oft so einfach gestrickt, dass man sich die Songs selbst beibringen konnte. Ich lernte anhand von Schallplatten auch, wie Bands zusammenspielten, wie ihre Musik arrangiert war. Das klingt vielleicht offensichtlich, aber bis ich mich mit Musikinstrumenten zu beschäftigen begann, war es so, als sprudelte die Musik, die im Radio lief, einfach nur irgendwie aus dem Lautsprecher. Ich musste erst begreifen, worin ihr Geheimnis bestand und warum wie dieser Typ welche Note spielte.

Ich erinnere mich, dass ich mich etwa an Ernie Freemans Instrumentalstück „Lost Dreams“ versuchte. Der Schlagzeug-Sound war einfach so energiegeladen. Als wäre der Song erst am Tag zuvor eingespielt worden. Mir stand eine elektrische Gitarre zur Verfügung, die mein Bruder Tom bei Leo’s Music ausgeliehen hatte. Ich saß am Piano und spielte die Melodie mit der linken Hand, schlug mit der rechten ein oder zwei Gitarrensaiten an und betätigte mit dem Fuß das Pedal von Dougs Hi-Hat. Das machte Spaß, keine Frage! So erzeugte ich Sounds, die nach „Lost Dreams“ klangen, nur war das nun ich, der da spielte, und keine Platte. Für einen Augenblick verstand ich, wie sich, sagen wir, Jerry Lee Lewis gefühlt haben muss, als alle zu ihm sagten: „Jerry Lee, du bist doch durchgeknallt! Was machst du da bloß?“ Denn genau so erging es auch mir.

Ich spielte also den Song gerade auf drei Instrumenten, als meine Mom zur Tür hereinkam und sagte: „Ach, Johnny! Was machst du da bloß?“ Als ob ich nicht mehr alle Tassen im Schrank hätte. Ich dachte mir nur: Yeah, okay. Ich mache wohl was richtig!

Meine Mom stand nicht auf Rock ’n’ Roll. Sie fand Elvis irgendwie daneben. Vermutlich machte sie sich Gedanken, ob das alles noch akzeptabel sei. Einmal besuchte sie mit ein paar Freundinnen das Jazz-Festival in Monterey. Als sie zurückkehrte, schwärmte sie ohne Ende von einem Songs, den einer der Jazzer gespielt hatte: „Ich glaube, er hieß ‚Give Me One More Time‘.“ Ich brachte es nicht übers Herz, ihr zu sagen: „Mom, das war Ray Charles mit ‚What’d I Say‘ und das ist Rock ’n’ Roll!“ Aber wisst ihr was? Sie ließ mich ungestört auf das Piano eindreschen, ohne irgendwelche Fragen zu stellen.

Mein Bruder Tom war vier Jahre älter als ich und konnte in Kreisen verkehren, für die ich noch viel zu jung war – etwa mit Musikern, die in einer ganz anderen Liga als ich spielten. Da gab es diesen Song, „Do You Want to Dance“ von Bobby Freeman, der einen besonderen Platz in der Mythologie von uns Fogerty-Brüdern einnehmen sollte. Es ist eine ganz schlichte, simple Nummer: etwas Klavier, ein wenig Bongos. Vielleicht ein bisschen Kontrabass und Gitarre – aber das war es dann auch schon. Nicht einmal ein richtiges Schlagzeug. Auf jeden Fall aber eine wunderbare Performance, ein richtig cooles Rock ’n’ Roll-Arrangement. Abgesehen davon stammte Bobby wie wir aus der Bay Area, und Tom kannte seinen Pianisten, Richard Dean. Toms Stimme erinnerte stark an jene Bobby Freemans. Wir hatten ein paar Bongos bei uns herumliegen, und so spielten wir den Song gerne gemeinsam. Tom haute in die Tasten und sang, während ich ihn an den Bongos begleitete. Er spielte bereits ein paar Jahre länger als ich. Da Bongos ziemlich einfach zu spielen sind, lernte ich den Song so gut, dass es wie auf Platte klang. Tom sang den Song bis spät in die Nacht hinein – bis um 2 Uhr oder so. Ganz egal, wie gut er das auch tat, unser Nachbar beschwerte sich trotzdem. Tom hatte eine richtig gute, entspannte Stimme mit einem großen Umfang, so wie Bobby Freeman oder Ritchie Valens. Er war wie geschaffen für solche Nummern. Tom hätte eine weiße Doo-Wop-Formation in der Art der Crests oder auch Randy and the Rainbows anführen und Songs wie „Sixteen Candles“ singen können. Eine Zeit lang tat er sich tatsächlich mit einer Gruppe namens Spider Webb and the Insects zusammen. Das waren etwas ältere Typen, die sich von einem Saxofonisten begleiten ließen. Sie kamen zu uns zu Besuch und trugen einen Song mit Tom vor, nämlich „Donna“, den Hit von Ritchie Valens. Ich wünschte, davon gäbe es eine Aufnahme, obwohl ich es immer noch in meinem Kopf hören kann, wie Tom sang und der Saxofonist die Parts, die üblicherweise die Gitarre spielte, beisteuerte. Sogar unsere Mom fand das cool. Die Insects befanden sich in Begleitung von ein paar Mädels. Das waren richtige Rock ’n’ Roll-Girls in verführerisch engen Klamotten, die quasi als Aufputz für die Jungs herhielten. Das wiederum gefiel meiner Mom weniger, was sie die Band auch wissen ließ. Obwohl ich noch sehr jung war, konnte ich spüren, dass da mit diesen Hühnern was im Busch war. Ich glaube, dass meiner Mutter genau das unangenehm war.

Der musikalische Zeitvertreib mit Tom war einfach magisch. Einmal fuhren wir in seinem rot-weißen ’56er Bel-Air-Kombi, als er bereits verheiratet war und ein paar Kinder hatte. Wir rollten dahin, und plötzlich setzte der Riff zu „When Will I Be Loved“ von den Everly Brothers im Radio ein. Wir sahen uns nur kurz an, und unsere Gesichter schienen zu sagen: „Wir sind wohl gerade gestorben und direkt im Himmel gelandet!“ Genau so erging es uns auch, als wir zum ersten Mal „Satisfaction“ hörten. Wir sitzen im Auto, und von einem Moment auf den anderen kommt da dieser Riff um die Ecke gebogen: daaah daaah da da daaah! Wir erlebten zusammen viele solcher Augenblicke. Tom und ich standen eben beide irrsinnig auf Musik und teilten sie brüderlich miteinander.

Mit zwölf oder dreizehn war es ein logischer Schritt, mir eine E-Gitarre zuzulegen und selbst Rock ’n’ Roll zu machen. Die Gitarre kaufte ich bei Sears, eine Silvertone von Danelectro für 39,95 Dollar. Sie hatte nur einen Tonabnehmer – zwei wären nämlich teurer gewesen. Mein erster Verstärker hatte fünf Watt und kostete ebenfalls 39,95 Dollar. Meine Mom half mir bei der Finanzierung, aber ich versprach, mit meinem Geld als Zeitungsbote zu bezahlen, und hielt auch Wort. Im Preis inbegriffen war ein leichter Gitarrenkoffer mit einer Oberfläche aus Alligatorenleder. Später verscherbelte ich die Danelectro für fünf Mäuse an einen Mitschüler. Ich glaube, dass er mich auch bezahlte. Dennoch hätte ich das Ding behalten sollen.

Sobald ich mit ein paar Akkorden zurechtkam, wagte ich auch, mich an „Endless Sleep“ von Jody Reynolds zu vergehen. Welche Niederlage! Obwohl niemand sonst zugegen war, hatte ich mich doch vor mir selbst blamiert. Schließlich gehört dieser Song zu meinen absoluten Lieblingsnummern. Der unheimliche Titel spricht Bände: „Wow, er singt über Selbstmord!“ Auf dieser Scheibe ertönt ein bummmm bummmm ba-haauuum, das sich irgendwo im unteren Tonumfang der Gitarre abspielt – ein echt tiefes E, wie es gar nicht noch tiefer ginge. Ich vermutete, dass dieser Sound mithilfe eines Whammy-Hebels oder einer Bassgitarre, auf deren Hals jemand nach oben rutschte, erzeugt wurde. Ich hatte zwar weder das eine noch das andere, doch wusste ich, wie man ein E anschlug. Sobald ich das tat, wurde mir klar, dass das ja tatsächlich wie „Endless Sleep“ klang. Also hing ich zu Hause ab und spielte denselben Riff immer und immer wieder, wahrscheinlich eine Stunde lang. Schließlich spielte ich ja nun zum ersten Mal in meinem Leben einen Song auf einer E-Gitarre. „Das funktioniert ja tatsächlich! Das gefällt mir! Ich spiele es gleich noch einmal!“

Zum ersten Mal spielte ich meine Silvertone vor Publikum im Rahmen einer Weihnachtsaufführung, als ich die achte Klasse besuchte. Mrs. Starck erlaubte mir, ein oder zwei der Lieder, die wir vortrugen, zu begleiten. Ich weiß gar nicht mehr, was das für Stücke waren, vermutlich irgendetwas Weihnachtliches. Immerhin erinnere ich mich noch, dass ein D-Moll- sowie ein G-Akkord darin vorkamen.

Damals war es schon ziemlich revolutionär für eine Schule, eine Vorführung für die Eltern zu organisieren, bei der eines der Kinder E-Gitarre spielte. Doch keine Angst: Allzu laut war ich damals noch nicht.

Das war auch die Gitarre, die ich spielte, als ich Doug kennenlernte. Entweder ging ich mit ihr zu ihm rüber, oder er kam zu einer Jam-Session zu mir. Mir gefiel Dougs Enthusiasmus. Er hatte Energie und war sympathisch. Alles war ganz unkompliziert und entspannt, schließlich standen wir beide auf Rock ’n’ Roll. Wir lebten in ähnlichen finanziellen Verhältnissen. Ungefähr zu jener Zeit trennten sich auch seine Eltern, weshalb er dieselben Dinge durchmachte.

Ich konnte Songs wie „Ooby Dooby“ von Roy Orbison sowie die B-Seite dazu, „Go Go Go“, spielen, und langsam erarbeiteten wir uns ein kleines Repertoire. Manchmal sang ich auch – Sachen wie „The Battle of New Orleans“ oder auch „Hully Gully“. Außerdem machte ich mir darüber Gedanken, welche anderen Kinder auch musizierten, um unseren Sound voller zu machen. Wir einigten uns schließlich auf Stu Cook fürs Piano, den Doug mir gegenüber in Mrs. Starcks Klasse erwähnt hatte. Stu war clever und mochte dieselbe Musik wie Doug und ich. Zwar wusste er damals noch nicht viel über das Instrument, für das er vorgesehen war, doch erklärte er sich bereit, es zu erlernen; deshalb wollten wir ihm eine Chance geben. Stu lebte nach unseren Maßstäben im Wohlstand. Er wohnte in einem Haus, oben in den Hügeln über El Cerrito, und hatte sein eigenes Spielzimmer mitsamt Piano. Außerdem wohnte sein Dad bei ihm zu Hause. Er war Anwalt, seine Kanzlei vertrat unter anderem auch das Football-Team der Oakland Raiders. Doug lebte hingegen unweit von mir in einer Wohnung.

An der El Cerrito High gab es drei Schülergruppen: „Delmar“, die „49ers“ und die „Saxons“. Zu Delmar gehörten die adretten Kids. Die 49ers waren die Sportler. Und die Saxons waren nicht einfach nur Greaser, nein, in ihren Reihen tummelten sich die echt fiesen Jungs, die Bad-Boys. Als ich noch die Junior High besuchte, wurde mir die Ehre zuteil, mich Delmar anzuschließen, denn damals war ich gerade ein Einser-Schüler. Auch Stu und Doug waren bei Delmar, doch irgendwann kam es zu einem Eklat um Stu, der daraufhin bei den Saxons unterkam. Er ließ sich nämlich ein Tattoo stechen, was 1962 einen ziemlichen Aufruhr verursachte. Ich glaube, dass er es sich später entfernen lassen wollte.

Das Problem mit Stu war, dass er irgendwann ungeduldig wurde. Wie sagt man noch mal? Ach ja, er wurde schwierig. Er regte sich über irgendetwas auf und wurde sauer. Irgendwann brachte ich das dann zur Sprache. Zuerst hatten wir noch in seinem Spielzimmer zusammen musiziert, als er sich plötzlich weigerte, etwas auszuprobieren: „Das ist keine gute Idee, das wird nicht funktionieren. Bla, bla, bla.“ Im Prinzip ging es darum, dass er einen Part nicht spielen konnte, weshalb er den Part schlechtredete, anstatt sich einzugestehen, dass er davon überfordert war.

Als es mir dann zu bunt wurde, sagte ich: „Du bist die Art von Typ, der am Spielfeldrand steht und nicht einmal versuchen will, mitzuspielen. Dieser Typ ist weder der Coach, noch spielt er mit. Er steht einfach nur da und ruft: ‚Das wird nie funktionieren. Warum versucht ihr das überhaupt?! Mann, das ist scheiße!‘“

Diese Ansprache hielt ich sogar öfter als nur ein Mal, weil sich im Verlauf der Jahre herausstellte, dass Stu eben so tickte. Bei Creedence war er genau diese Art von Typ. Stu konnte einem echt auf die Pelle rücken. Ich war zu schüchtern dafür – oder auch einfach nur zu höflich.

 

Ich schlug den Namen Blue Velvets für unsere Band vor. Und ich wäre der Anführer, der Bandleader ‒ obwohl ich das mit ironischem Unterton sage. Als Doug und ich nämlich anfingen, uns zu unterhalten, sagte ich mir: Schließe ich mich nun seiner Band an? Und dann: Nein, nein – er schließt sich meiner Band an! Irgendwann wurde aber doch recht deutlich, dass ich die Richtung vorgab. Musik war mehr mein Ding. Außerdem schrieb ich etliche Instrumentalstücke. Und wir waren eine Instrumental-Gruppe, das war unser Konzept. Ab und an sang ich vielleicht mal was wie „Hully Gully“, aber in erster Linie coverten wir Instrumental-Hits von Leuten wie Duane Eddy, Bill Doggett, Link Wray, den Ventures, Freddie King oder Johnny and the Hurricanes.

Die Blue Velvets waren gerade mal ein Trio – Gitarre, Drums, Piano. Deshalb entwickelten wir vielleicht auch nicht sonderlich Druck, aber damals gab es auch nicht wirklich viele kleine Bands, die bereits ein festes Gefüge aufwiesen. Vielleicht hatten Johnny and the Hurricanes einen Bassisten, aber auf lokaler Ebene kam das recht selten vor. Abgesehen davon waren wir die einzige Rock ’n’ Roll-Band an unserer Schule. Doug, Stu und ich spielten von der achten Klasse bis zum Ende der Highschool als Band zusammen. Niemand sonst außer uns hatte die Courage, sich hinzustellen und zu sagen: „Wir sind eine Band!“ Zwar galten wir als coole Jungs, doch man hielt uns auch für ein wenig verschroben. Als die Beatles schließlich durchstarteten, gab es plötzlich 100 Bands an unserer Schule, aber vorerst waren wir die einzige.

Ich glaube, dass die Blue Velvets zum allerersten Mal Ende 1959 bei einer „Sock Hop“-Tanzveranstaltung an der Portola Junior High auftraten. Vermutlich spielten wir fünf Instrumentals. Ich weiß noch, dass wir mindestens eine Nummer spielten, die ich geschrieben hatte. Es war ein langsamer Song, wie eine instrumentale Version von Doo-Wop, diese Art von Akkorden eben. Ein weiterer Songs, den wir an diesem ersten Abend spielten, war „Bulldog“ von den Fireballs, den wir auf dem Weg zur Party im Auto gehört hatten. Als ich dann in der Schule meine Gitarre zur Hand nahm, sagte ich zu den anderen: „Folgt mir einfach, es ist ein 12-taktiger Blues.“ Eigentlich ist es nicht mein Stil, irgendwen – geschweige denn meine eigene Band – mit unbekanntem Material zu konfrontieren, aber dieses eine Mal war ich nicht mehr zu bremsen. Und das bei unserem ersten Auftritt! Ich dachte ganz praktisch und wollte auch niemandem weismachen, ich sei Duane Eddy oder so. Nein, vielmehr war es: „Wozu bin ich hier? Ich wurde angeheuert, um auf einer Tanzveranstaltung zu spielen. Dann spiele ich besser mal was Tanzbares.“ Daran hielt ich mich im Verlauf der Jahre, sogar als ich auf den großen Bühnen der Welt auftrat. Ich entschied mich, Musik zu spielen, die einen dazu brachte, den eigenen Körper in Bewegung zu versetzen.

Mit der Zeit ergaben sich diverse Möglichkeiten für die Blue Velvets, und dieser Typ namens Bob – seinen Nachnamen habe ich vergessen – nahm uns unter seine Fittiche. Er gehörte zum El Cerrito Boys Club, den wir fortan repräsentierten, wenn wir über die gesamte Bay Area verteilt – in Pleasanton, San Leandro und Oakland etwa – unsere Gigs absolvierten. Da wir ja noch Kids waren, fuhr uns Bob mitsamt unserer Ausrüstung durch die Gegend. Er war ein echt guter Kerl und half uns sehr. Es ist mir später leider nie gelungen, ihn ausfindig zu machen, was ich sehr schade finde.

Die Blue Velvets erhielten also die Möglichkeit, oft und regelmäßig aufzutreten. Das war eine gute Schule. Wir studierten drei, vier Songs ein und kamen weit herum. Als wir irgendwo in Nordkalifornien gastierten, sprach mich zum ersten Mal James Powell an. Ihm gefiel meine kleine Band. Er sagte: „Ich habe vor, eine Platte aufzunehmen, und suche nach einer Band, die mich darauf begleitet.“ Ich war zwar erst 14, doch anders als manch anderer Musiker verfügte ich schon seit jeher über einen besonderen Antrieb. Wenn dir etwas direkt in den Schoß fällt, dann sagst du gefälligst: „Yeah, Mann – auf jeden Fall mache ich das!“ Oder etwa nicht?

Heutzutage kann jeder Jugendliche auf seinem iPhone sein eigenes Album aufnehmen. Auf diese Weise ist eine gewisse Romantik verloren gegangen. Damals hieß es: „Mom, wir werden eine Schallplatte aufnehmen!“ Es war fast unvorstellbar, eine Aufnahme zu machen. Es einfach nur sagen zu können – wie cool war das denn?

James war ein schwarzer Typ und ein richtig guter Sänger. Ich glaube, er war 25 oder so und hatte da diesen Song, „Beverly Angel“. Eine klassische Doo-Wop-Nummer, ein echt cooler Track. Außerdem hatte er noch ein paar andere – jeder Titel war ein Mädchenname. Also probten wir, und ich weiß gar nicht mehr, wie oft James zu mir nach Hause oder zu Stu ins Spielzimmer kam. James kannte diesen Typen, Joe Jarros, der seine eigene kleine Plattenfirma, Christy Records, am Start hatte. Er war ein Kleinunternehmer und betrieb das Label nebenher – er stand somit quasi für die unschuldige Seite des Rock ’n’ Roll-Geschäfts in seinen Anfangstagen.

Wir waren im Grunde genommen James’ Begleitband, doch dafür benötigten wir noch einen Bassisten. Ich hatte ein paar Mal auf dem Bass in Mrs. Starcks Musikzimmer gespielt. Sie hatte mit der Kreide Markierungen auf das Griffbrett gemacht, an denen ich mich orientieren konnte. Hey, es war wie ein Gitarre – nur größer!

Also beschloss ich, bei der Session mit James Powell den Bass zu spielen. Den Bass aus der Schule konnte ich mir zwar nicht ausborgen, aber auf meiner Zeitungstour gab es da diesen älteren Typen, der in einer Country-Band Bass spielte. Sie hatten jede Woche einen Gig in Oakland, der im Lokalfernsehen übertragen wurde. Ich freute mich immer sehr, wenn er zu Hause war, weil wir uns dann über Musik unterhielten und er mich stets ermunterte. Ein cooler Typ.

Eines Tages brachte ich ihm also seine Zeitung und erzählte ihm, wir hätten die Möglichkeit, eine Platte aufzunehmen. „Was du nicht sagst!“, antwortete er ganz begeistert. Also bat ich ihn, mir seinen Kontrabass auszuleihen. „Klar doch, Mann. Wenn ich nicht zu Hause bin, sprich einfach mit meiner Frau. Das Ding steht in der Garage.“

James hatte einen Anhänger gemietet. Schließlich war so ein Bass riesig. Deshalb wurde auch der Fender Precision erfunden, damit man sich all diese Scherereien erspart. Ich kreuzte also beim Haus dieses Typen auf, und natürlich war er nicht da. Seine Frau warf einen Blick auf James und auf mich – und ich war ja auch nur ein Junge, der Zeitungen austrug. Ich bin mir nicht sicher, ob sie die Situation verstand, aber sie ließ uns den Bass schließlich mitnehmen. So fuhren wir also mit diesem Ungetüm von Musikinstrument im offenen Anhänger über die Bay Bridge zu Coast Recorders, einem Studio in San Francisco.

Wir hatten bereits gemeinsam mit Tom ein kleines Demo aufgenommen, und zwar im Dick Vance Recording Studio. Dieser Raum war so klein gewesen, dass wir ein Fenster hatten öffnen müssen, damit Doug sich auf das Fensterbrett setzen konnte, von wo aus er dann sein Schlagzeug spielte. Wenn ich mich nicht irre, nahmen wir dort zwei Songs auf, zu denen Tom den Gesang beisteuerte. Alles, was wir bekamen, war eine Schellack-Platte. Der Typ presste sie gleich im Studio. Ein einzige Kopie, das war alles. Ich erinnere mich auch noch daran, dass Tom mit dem Lautstärkeregler an meiner Gitarre spielte, um einen Vibrato-Effekt zu erzielen. Ich spielte, und Tom bewegte den Regler rasch hin und her.Coast Recorders dagegen war ein richtiges Aufnahmestudio. Als wir eintraten, trafen wir auf Monk Montgomery, den Bruder von Wes Montgomery. Monk war einer der ersten Jazz-Bassisten, die auf ein elektrisches Instrument umstiegen. Ich dachte mir nur: Wow, die Oberliga!