Didaktik /Methodik Sozialer Arbeit

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1.2.3 Didaktik – ein Modell

Noch einen letzten, dritten Begriff gilt es im Zusammenhang mit Didaktik zu klären: Was versteht man unter einem Modell?


Sehen Sie einen Unterschied zwischen einer Theorie und einem Modell?

Modell

Vorform

Unter einem Modell versteht man eine Reduzierung einer komplexen Theorie auf ihre wesentlichen Strukturen. Da eine Theorie eher abstrakt ist, versuchen Modelle theoretische Aussagen für die Praxis durchschaubar, verständlich und brauchbar zu übersetzen. Modelle sind demnach eine Vorform einer Theorie. Sie enthalten einerseits Elemente, die noch nicht zu einer Theorie verknüpft sind, die aber zur Hypothesenbildung herangezogen werden können. Andererseits reduzieren Modelle die Komplexität von Handlungszusammenhängen auf einige bedeutsame Elemente. Sie vereinfachen die Wirklichkeit und können Handeln somit vorbereiten.

Mittlerrolle

Modelle nehmen somit sowohl in Bezug auf die Theoriebildung als auch im Hinblick auf die Praxis eine Mittlerrolle ein (Kron et al. 2014). Ihnen kommt eine besondere Bedeutung für praktisches Handeln zu.

Das Verhältnis von Theorie, Modell und Praxis kann man folgendermaßen darstellen:

Wissenschaft – Theorie – Modell – Praxis

1.3 Zusammenfassung: Anregung für eine Didaktik Sozialer Arbeit

Die bisherigen Ausführungen will ich zusammenfassen und die Frage beantworten, ob eine Didaktik Sozialer Arbeit eine Wissenschaft ist und ob man von einer Theorie oder eher von einem Modell sprechen sollte.


Soziale Arbeit ist eine Handlungswissenschaft, die auf sozialwissenschaftlichen Theorien basiert.

Didaktik als Teildisziplin

Soziale Arbeit versteht sich als eigenständige, wissenschaftliche Disziplin. Sie steht in Kooperation mit Nachbardisziplinen wie z.B. Philosophie, Anthropologie, Psychologie, Soziologie, Pädagogik u.a.m. Diese Nachbardisziplinen haben in Bezug auf eine relativ junge Didaktik Sozialer Arbeit wichtige Forschungsergebnisse erarbeitet, an denen sich die Didaktik Sozialer Arbeit orientieren kann bzw. sollte.


Unter Didaktik versteht man kurz gefasst: Didaktik ist die Wissenschaft vom Lehren und Lernen.

Es gibt viele didaktische Theorieansätze. Theorien sind sehr abstrakt formuliert und daher oft schwer verständlich. PraktikerInnen stehen ihnen recht skeptisch gegenüber. Eine Mittlerrolle zwischen Theorie und Praxis nehmen Modelle ein. Sie vereinfachen die Erkenntnisse einer Theorie und können Handeln in der sozialen Praxis vorbereiten.

In Bezug auf unser Thema Didaktik Sozialer Arbeit führen uns all diese Überlegungen über Wissenschaft, Theorie und Modell zu dem Ergebnis:

1.Didaktik ist eine Wissenschaft. Jede Lehre, die ein System, d.h. ein nach Prinzipien geordnetes Ganzes von Erkenntnissen ist, nennt man Wissenschaft.

offenes, theoretischpraktisches Modell

2.Didaktik Sozialer Arbeit kann man (noch nicht) als Theorie bezeichnen, sondern eher als ein offenes, theoretisch-praktisches Modell. Wenn im Folgenden von Didaktik Sozialer Arbeit gesprochen wird, ist damit stets gemeint: Didaktik Sozialer Arbeit ist ein offenes, vorläufiges Theorie-Praxis-Modell.


Kron, F., Jürgens, E., Standop, J. (2014): Grundwissen Didaktik. 6., überarbeitete Aufl. Reinhardt, München

Martin, E. (2005): Didaktik der sozialpädagogischen Arbeit. 6., vollständig überarbeitete Aufl. Juventa, Weinheim und München

Petersen, W.H. (2001): Lehrbuch allgemeine Didaktik. 6., völlig veränderte Aufl. Oldenbourg, München

Schilling, J., Klus, S. (2018): Soziale Arbeit. 7., aktualisierte Aufl. Reinhardt, München


1.Frage: Was versteht man unter Sozialer Arbeit?

2.Frage: Was versteht man unter Konvergenz?

3.Frage: Was besagt das griechische Wort „didaskein“ und wie könnte eine erste Definition von Didaktik lauten?

4.Frage: Was ist das Grundanliegen einer Wissenschaft?

5.Frage: Was ist das Wesen einer Theorie?

6.Frage: Gibt es die Theorie einer Didaktik Sozialer Arbeit?

7.Frage: Was versteht man unter einem Modell?

8.Frage: Worin besteht der Unterschied zwischen einer Theorie und einem Modell?

2 Klassische Theorien der Didaktik

2.1 Geschichtlicher Überblick, Auswahl von Theorieansätzen

Die Geschichte der Didaktik lässt sich bis in das Jahr 3000 v. Chr. zurückverfolgen, bis ins alte Reich der Ägypter und ins sumerische Reich der babylonischen Hochkultur.

Homer Aristoteles

Das Wort Didaktik taucht in der Epoche der homerischen Erziehung (8. Jh. v. Chr.) in seinem jetzigen Verständnis auf. Die Anfänge der Didaktik liegen somit in der Zeit des Homer.

Comenius

Aristoteles (300 v. Chr.) fasste die verschiedenartigsten bildungstheoretischen Ansätze seiner Zeit zusammen und legte eine Systematik für das allgemeinbildende und fachliche Unterrichtswesen seiner Zeit vor (Aschersleben 1983, 9–22). Im Mittelalter waren es vor allem St. Viktor (1141), Ratke (1571–1635) und Comenius (1592–1670), die eine Unterrichtslehre entwickelt haben. Die Didaktik von Comenius gilt in ihren Aussagen immer noch und wartet auf ihre Verwirklichung. Er schreibt z.B. über die Aufgabe einer Didaktik (1657):

„Erstes und letztes Ziel unserer Didaktik soll es sein, die Unterrichtsweise aufzuspüren und zu erkennen, bei welcher die Lehrer weniger zu lehren brauchen, die Schüler aber dennoch mehr lernen; und bei der in den Schulen weniger Lärm, Überdruss und unnütze Mühe zugunsten von Freiheit, Vergnügen und wahrhaftem Fortschritt herrscht.“ (Gudjons 2015, 8)

Obwohl Didaktik eine lange Tradition hat, hat sie sich dennoch erst seit ca. den 1930er Jahren von der praktischen Erziehungslehre zur Wissenschaft entwickelt und ist als recht junge Wissenschaft zu verstehen.

Wenn es hier um didaktische Theorien im Handlungsfeld Sozialer Arbeit geht, muss man allerdings zunächst festhalten:

1.Die didaktischen Theorien beziehen sich weitestgehend auf das Lehren und Lernen in der Schule, sind also Schul-Didaktiken.

2.Nach Kron gibt es nahezu 50 verschiedene didaktische Theorieansätze. D.h., es gibt nicht die Didaktik, die didaktischen Ansätze sind offene Systeme und in ihrer Entwicklung nicht abgeschlossen.

3.Die Situation der Didaktik als wissenschaftliche Disziplin an den deutschen Hochschulen kritisiert Reich:

„Gab es noch in den 70er-Jahren zahlreiche didaktische und fachdidaktische Lehrstühle an Universitäten, die in eigenen Bereichen angesiedelt waren und teilweise einen umfangreichen Kontakt zur Praxis unterhielten, so schrumpfte dieser Anteil durch die Neuorganisation der Universitäten, den Abbau von Pädagogischen Hochschulen immer mehr zusammen. Im Zuge von Stelleneinsparungen verringerten sich didaktische Stellen an Universitäten. Einstmals aufgebaute hochschuldidaktische Zentren wurden wieder aufgelöst.“ (Reich 2012, 67)

4.Im Vergleich zu den zahlreichen Theorieansätzen der Allgemeinen Didaktik bzw. der Schuldidaktik steht man in der Diskussion um eine Didaktik Sozialer Arbeit noch am Anfang.

Obwohl seit der Gründung der Fachhochschulen (Hochschulen) das Fach Didaktik eingeführt wurde, gibt es immer noch keine allgemein anerkannte Didaktik Sozialer Arbeit. Ich bin sicher, dass viele Kollegen für ihre Lehrveranstaltungen und für Soziale Arbeit ein didaktisches Modell entwickelt haben, aber bisher nicht die Zeit oder (vielleicht) auch den Mut gefunden haben, diese der Fachöffentlichkeit zur Diskussion zu stellen.

relevante Literatur

Die relevante Literatur (einschließlich der vergriffenen Titel) zum Thema Didaktik Sozialer Arbeit kann man (nach ihrem Erscheinungsjahr) vollständig aufzählen:

■Weinschenk, R. (1976): Didaktik und Methodik für Sozialpädagogen (vergriffen)

■Belardi, N. et. al. (1980): Didaktik und Methodik sozialer Arbeit

■Martin, E. (1989/2005): Didaktik der sozialpädagogischen Arbeit

■Schilling, J. (1993/2020): Didaktik/Methodik Sozialer Arbeit

■Gorges, R. (1996): Didaktik. Eine Einführung für soziale Berufe (vergriffen)

■Buchka, M. (2003): Grundlagen und Grundfragen einer Didaktik-Methodik sozialpädagogischer Praxis. In: Bardy, E. et. al.: Pädagogik (vergriffen)

 

■Sommer, B. (2009): Didaktische Überlegungen als Grundlage und Orientierungshilfe für sozialpädagogisches Handeln

Es stellt sich hier nun jedoch die schwere Frage: Welche der vielen Theorieansätze wähle ich aus? Da Soziale Arbeit ein sehr breitgefächertes, differenziertes Arbeitsfeld mit unterschiedlichen Problemlagen und Zielgruppen ist, kann man aus vielen Theorieansätzen für eine Didaktik Sozialer Arbeit Anregungen erhalten. Fast jeder Ansatz enthält mögliche Informationen für eine Didaktik Sozialer Arbeit.

Im Gegensatz zur Didaktik Sozialer Arbeit gibt es im Bereich Schuldidaktik weitreichende Forschung und daraus resultierende Erkenntnisse. Es ist nun also die Aufgabe, aus diesen Erkenntnissen all jene herauszufiltern, die für die Didaktik sozialer Arbeit adaptiert werden können, und so aus der Forschung der Schuldidaktik zu lernen.

Für mein Vorhaben, eine vorläufige, offene Didaktik (Modell im Kontext) Sozialer Arbeit zu entwerfen, werde ich aus der Fülle der Theorieansätze vier auswählen und diese etwas ausführlicher darstellen, um zu eruieren, was sie für eine Didaktik Sozialer Arbeit an Erkenntnisgewinn und Förderung von Handlungskompetenzen beitragen können. Dabei gilt es, auf bestimmte Aspekte zu achten, die für eine Didaktik Sozialer Arbeit relevant sein könnten.

Obwohl ich hier nur vier Theorieansätze vorstelle, bedeutet dies keineswegs, dass Forschungsergebnisse weiterer Theorieansätze wie z.B. Curriculare Didaktik, Kritisch-kommunikative Didaktik, Schülerorientierte Didaktik u.a. nicht auch berücksichtigt werden.

Ich wähle beispielhaft zwei bereits klassisch zu nennende Didaktiken und zwei Didaktiken eher neueren Datums aus:

klassische Theorien

1.Klassische Theorien der Didaktik

–bildungstheoretische Didaktik von Wolfgang Klafki

–lerntheoretische Didaktik von Wolfgang Schulz

neuere Theorien

2.Neuere Theorien der Didaktik

–konstruktivistische Didaktik von Kersten Reich u.a.

–neuro-biologische Didaktik von Ulrich Herrmann u.a.

Anhand dieser ausgewählten didaktischen Theorieansätze können sich LeserInnen ein Bild machen, mit welchen Themen sich die Forscher beschäftigen und zu welchen Forschungsergebnissen sie gelangen.

2.2 Bildungstheoretische Didaktik von Wolfgang Klafki (1927–2016)

2.2.1 Theoretische Überlegungen


Ich habe zwei Fragen an Sie:

1.Gibt es (gab es) in Ihrem Studium das Fachgebiet Didaktik (Sozialer Arbeit)?

2.Wurde Ihnen in Ihrem Studium die klassische Didaktiktheorie von Wolfgang Klafki vorgestellt?

Kron gibt einen Überblick über die bildungstheoretische Didaktik, die er eher Didaktik von einem bildenden Lernen nennen möchte.

„Der Bildungsbegriff hat seine Wurzeln in einem komplexen Zusammenhang z.B. von Theorien, Modellen, Ideologien, Anthropologien über das Verhältnis des Menschen zur Welt. […] Das Zentrum des Bildungsbegriffes ist durch die Einzigartigkeit des Menschen bezeichnet. […] Das Ziel dieser individuellen geistigen Tätigkeit liegt in der Entwicklung einer wertvollen und unverwechselbaren Persönlichkeit.“ (Kron et al. 2014, 66)

Unter Bildung, ein zentraler Begriff der von Klafki entworfenen Didaktik, versteht er:

Bildung

„Bildung nennen wir jenes Phänomen, an dem wir – im eigenen Erleben oder im Verstehen anderer Menschen – unmittelbar der Einheit eines objektiven (materialen) und eines subjektiven (formalen) Momentes innewerden. […] Bildung ist der Inbegriff von Vorgängen, in denen sich die Inhalte einer dinglichen und geistigen Wirklichkeit erschließen, und dieser Vorgang ist – von der anderen Seite her gesehen – nichts anderes als das Sich-Erschließen bzw. Erschlossenwerden des Menschen für jene Inhalte und ihren Zusammenhang als Wirklichkeit.“ (Klafki 1967. In: Gorges 1996, 47)

drei Aspekte

Bildung hat nach Vorstellung von Klafki drei Aspekte :

■materialer Aspekt: Dieser Aspekt der Bildung beschreibt die Objektseite. Aus der Fülle der Kulturgüter werden diejenigen ausgewählt, die einen Bildungsgehalt besitzen:

„Bildung ist in dieser Sicht der Prozess, in dem Kulturgüter – sittliche Werte, ästhetische Gehalte, wissenschaftliche Erkenntnisse usf. – in ihrem objektiven So-Sein in eine menschliche Seele Eingang finden.“ (Klafki 1967, 28. In: Gorges 1996, 45)

■formaler Aspekt: Bei diesem Aspekt geht es um das Subjekt des Bildungsprozesses, um dessen Formung.

„Das Wesentliche der Bildung ist nicht Aufnahme und Aneignung von Inhalten, sondern Formung, Entwicklung, Reifung von körperlichen, seelischen und geistigen Kräften.“ (Klafki 1967, 33. In: Gorges 1996, 45)

■kategorialer Aspekt: Materiale und formale Bildung dürfen nicht getrennt voneinander gesehen werden, sondern stehen in wechselseitiger Beziehung, sie bilden eine Einheit. Die Zusammenführung der beiden Aspekte der Bildung zu einem ganzheitlichen Konzept bezeichnet Klafki als kategoriale Bildung. Mit dieser Zusammenfassung der beiden ersten Aspekte zur kategorialen Bildung entwirft Klafki einen neuzeitlichen Bildungsbegriff.

Grundformen

Um die Bildungsinhalte in ein Lehr-Lern-Prozess zu überführen, entwickelt Klafki sieben Grundformen, die er als das „Elementare“ bezeichnet. Die Grundformen sind:

■das Formale,

■das Exemplarische,

■das Typische,

■das Klassische,

■das Repräsentative,

■die einfachen Zweckformen und

■die einfachen ästhetischen Formen (Klafki 1985 In: Kron et al. 2014).

Kron gewinnt aus den Überlegungen zu den elementaren Formen wichtige Einsichten:

1.„Alle Grundformen sind durchwirkt von der Didaktik des Verhältnisses vom Besonderen zum Allgemeinen und umgekehrt.

2.Die sieben Grundformen machen die Binnenprozesse individueller, kultureller Tätigkeiten aus und sie weisen zugleich auf die inhaltlich kulturelle Bestimmung dieser Prozesse hin. Sie repräsentieren die unterschiedlichsten Bildungsbereiche, und sie führen zugleich zu jenen fundamentalen Einsichten und Erlebnissen, die den Menschen zu einer kulturell handlungsfähigen und verantwortlichen Persönlichkeit werden lassen. Der Zusammenhang zu Enkulturation, Sozialisation, Erziehung und Unterricht ist hier augenfällig.

3.Damit sind die Bildungsinhalte bzw. -gehalte und mit ihnen der Lehrplan und/oder das Curriculum in das Zentrum didaktischer Diskussionen gerückt.

4.Die Beschreibung und Bestimmung der Grundformen zeigt eine Konkretion, die bereits auf die Umsetzung in die Praxis und damit auf die Modell- und Konzeptbildung hindeutet.

5.Die Grundformen bleiben in inhaltlicher und struktureller Hinsicht zwar auf das Verhältnis vom Allgemeinen zum Besonderen bezogen, sie müssen aber auch in genetischer Hinsicht betrachtet und verstanden werden. Daher haben sie ihren tragenden Grund im Wechselspiel der doppelten Erschließung im Bildungsprozess. Damit ist eine didaktische Relevanz, die – neben der Relevanz der Inhalte – auf die konstitutive Rolle der Entwicklung der Individuen im Bildungsprozess hinweist, ein Bezug, der auch für das Lernen, die Interaktion und die Konstruktion gilt.

6.Daher sind die sieben Grundformen sowohl auf die Kulturinhalte und ihre Bewertung als Kultur- und Bildungsgüter als auch auf Erfahrung und Entwicklung der Lerner bezogen; denn nur die Lernenden sind die produktiven Stellen im System organisierter Bildungsprozesse. Nur mit und in ihnen kann Kultur lebendig werden bzw. Enkulturation stattfinden.“ (Kron et al. 2014, 75)

2.2.2 Didaktische Überlegungen

Das bildungstheoretische Modell von Wolfgang Klafki ist das älteste unter den verbreiteten Didaktiken. Zum ersten Mal in der Moderne wird eine Definition der Didaktik von Klafki im Jahr 1961 vorgetragen, die er zehn Jahre später so formuliert:

Definition

1.„Didaktik als Wissenschaft und Lehre vom Lehren und Lernen überhaupt.

2.Didaktik als Wissenschaft vom Unterricht […] bzw. Allgemeine Unterrichtslehre.

3.Didaktik als Theorie der Bildungsinhalte, ihrer Struktur und Auswahl […] bzw. der Lehr- und Lernziele und der ihnen zuzuordnenden Lehr- und Lerninhalte und Aufgaben.

4.Didaktik als Theorie der Steuerung von Lernprozessen.“ (Klafki. In: Pädagogisches Lexikon 1971, Sp. 225)

Nach Klafki ist Didaktik eine Handlungswissenschaft.

zwölf Bestimmungen

Für das konkrete Handeln entwickelte Klafki zwölf Bestimmungen zur Struktur des didaktischen Problemfeldes:

1.Primat der Zielentscheidungen

2.Bestimmung des Verhältnisses der Zieldimension zu den Themen

3.Bestimmung der Themen und der Thematik in Bezug auf die Interessen und Lernbedürfnisse der SchülerInnen

4.Herausarbeiten und Akzeptanz der in den vorgenannten thematischen Doppelperspektiven liegenden Unterschiedlichkeiten der Interpretation bei Lehrenden und Lernenden

5.Differenzierung der Themen hinsichtlich der unterschiedlichen Interessen

6.Bedenken der Interaktionszusammenhänge

7.Dabei werden die in den Beziehungen vermittelten Norm- und Wertorientierungen, wie sie in Sozialisationsprozessen stets implizit sind, ausdrücklich gemacht.

8.Bestimmung der Formen des Lernens

9.Bestimmung der Rollen, die die Lernenden bei der Mitbestimmung, Mitplanung, Durchführung und Ausführung der Lehr- und Lernprozesses einnehmen sollen

10.Bestimmung der Vielfalt der Medien

11.Offenlegung des Funktionszusammenhanges zwischen Unterrichtsmethoden und Inhalten, Medien und Zielen, wobei die Beziehungsdimension im Vordergrund des Nachdenkens steht

12.Bedenken der durch die Vermittlungsprozesse herbeigeführten Leistungen einschließlich ihrer Kritik (Klafki 1985; Kron et al. 2014).

Diese zwölf Bestimmungen bilden die Grundlage für ein Planungskonzept, das er „vorläufiges“ Perspektivschema nennt (Abbildung 2).


Abb. 2: Struktur- und Verlaufsmodell nach Klafki 2007

2.2.3 Zusammenfassung: Anregung für eine Didaktik Sozialer Arbeit


Nach diesem kurzen Überblick über den theoretischen und didaktischen Ansatz von Klafki stellt sich die Frage: Finden sich darunter Aspekte, die auch für eine Didaktik Sozialer Arbeit relevant sein könnten. Wie ist Ihre Meinung?

kritisch-konstruktive Didaktik

Drei Aspekte der bildungstheoretischen bzw. kritisch-konstruktiven Didaktik haben für eine Didaktik Sozialer Arbeit besondere Relevanz:

1.der Bildungsbegriff,

2.das Perspektivschema zur Planung mit den vier Schritten:

–Bedingungsanalyse,

–Begründungszusammenhang des Themas,

–Methoden, Medien und

–Überprüfbarkeit.

3.die konstruktiv–kritische Didaktik: Im Unterricht geht es um Selbstbestimmung und Solidarität als übergreifende Zielvorstellung. In den Zielsetzungen werden auch die Dimensionen der rationalen Diskursfähigkeit, der Emotionalität und der Handlungsfähigkeit berücksichtigt.

Eine Didaktik Sozialer Arbeit wird diese und andere Überlegungen von Klafki als Anregung verstehen, sie aufnehmen und entsprechend dem Selbstverständnis Sozialer Arbeit modifizieren.

2.3 Lerntheoretische Didaktik von Paul Heimann (1901–1967) und Wolfgang Schulz (1946–1993)

 

2.3.1 Vom Berliner zum Hamburger Modell


Auch hier habe ich die Frage an Sie: Haben Sie in Ihrem Studium etwas über die lerntheoretische Didaktik von Paul Heimann bzw. Wolfgang Schulz erfahren?

Paul Heimann

Die lerntheoretische Didaktik entstand aus der Situation, als Paul Heimann (Pädagogische Hochschule Berlin) den Auftrag erhielt, das alte Praktikum der Lehrer durch ein neues Didakticum abzulösen und dafür ein Modell zu entwickeln. Heimann entwarf ein Modell für die systematisch-kritische Beobachtung von Unterricht. Dieses Modell der Unterrichtsanalyse änderte Wolfgang Schulz später zur Unterrichtsplanung.

Berliner Modell

Lernen

Das von Heimann, Otto und Schulz entwickelte Modell ist als Berliner Modell bekannt und versteht sich als Gegenposition zur bildungstheoretischen Didaktik. Es ist ein an wertfreien, empirisch-positivistischen Methoden orientiertes Modell. Im Zentrum steht nicht die Bildung, sondern das Lernen. Wichtige Erkenntnisse der Lernpsychologie/pädagogischen Psychologie wie Sozialisationsforschung bilden die Grundlage für die lerntheoretische Didaktik von Heimann/Schulz.

Interdependenz

Die lerntheoretische Didaktik geht von einem weiten Begriff der Didaktik aus. In dem Berliner Modell werden sechs Strukturelemente miteinander verbunden, die sich wechselseitig bedingen. Bedingungsfelder sind anthropologische und sozio-kulturelle Bedingungen, Entscheidungsfelder sind Ziele, Inhalte, Methoden und Medien. Methoden und Medien werden als didaktische Momente gesehen. Wenn man über Ziele im Unterricht nachdenkt, kann man nicht über Ziele an sich nachdenken, sondern stets im Zusammenhang mit den Wegen und deren Umsetzung. Insofern spricht man in der Berliner Schule von der Interdependenz der Strukturelemente und nicht wie Klafki von einer Nachrangigkeit der Methoden und Medien. Die Interdependenzthese ist das Kernstück der Berliner Didaktik.

Ziele, Inhalte, Methoden, Medien sind aus ihrer Wechselseitigkeit heraus zu verstehen. Methodische Überlegungen müssen die Intentionen und Inhalte genauso einschließen wie umgekehrt.

2.3.2 Hamburger Modell von Wolfgang Schulz

Hamburger Modell

zehn Elemente

Wolfgang Schulz, ein Schüler von Heimann, arbeitete zunächst in Berlin. Nach dem Tod von Heimann (1963) hat Wolfgang Schulz die lerntheoretische Didaktik weiter überarbeitet. Von 1964 an begann er, das Berliner-Modell selbstständig weiter zu entwickeln. Einige Jahre später wird Schulz auf eine Professur nach Hamburg berufen, von da an arbeitete er an einem eigenständigen theoretischen Ansatz, den er das Hamburger Modell nannte. Grundlage seines Modells, das er im Gegensatz zu Heimann lehrtheoretische Didaktik nennt, ist wie schon bei Heimann die Lerntheorie. Kron zeigt auf, dass der Theorie-Entwurf von Schulz zehn Elemente aufweist.

Grundorientierung

„Die ersten fünf Elemente hat Schulz z.T. noch mit Heimann gemeinsam entwickelt; die nachfolgenden sind aus einer eigenständigen Entwicklung erwachsen. Ihre Grundorientierung kann als gesellschaftskritisch bezeichnet werden.“ (Kron et al. 2014, 93)

1.Element: Grundlagen didaktischer Theoriebildung sind die erfahrungswissenschaftlichen Forschungen und die eigene Praxis.

2.Element: Ausgang und Ziel aller Forschungs- und Theoriebemühungen bleibt der Unterricht und seine Bedingungszusammenhänge.

3.Element: Zweck der Forschungen und Theoriebildungen ist die Analyse und Planung von Unterricht.

4.Element: Die Grundstruktur des Berliner Modells bleibt erhalten, wird aber hinsichtlich des emanzipatorischen Interesses vertieft.

5.Element: Die grundlegende Legitimation eines aufgeklärten Unterrichts wird weiter in der Verantwortung des Lehrers bzw. der Lehrerin gesehen.

6.Element: Eine moderne Didaktik muss kritisch sein. Die kritische Intention des lehrtheoretischen Ansatzes ist in vierfacher Hinsicht zu sehen: in der Einbeziehung gesellschaftlicher Entwicklungen, in der Rezeption der kritischen Gesellschaftstheorien, in dem radikalen Ausgang von der Erziehungswirklichkeit und in der Einbeziehung erfahrungswissenschaftlicher Forschungsmethoden und -ergebnisse.

7.Element: Durch Einbeziehung kritischer Positionen entwickelt Schulz zentrale Lernziele: Kompetenz, Autonomie und Solidarität. Sie machen es dem Einzelnen möglich, die Widersprüche in dieser Welt auszuhalten und auch ihre teilweise Überwindung zu realisieren. Wenn SchülerInnen z.B. in fachlich-kognitiver und sozialaffektiver Hinsicht Kompetenz, Autonomie und Solidarität erfahren, kommen sie einen Schritt in Richtung Emanzipation voran.

8.Element: Didaktische Theorien müssen Ergebnisse der Sozialisationsforschung berücksichtigen.

9.Element: Anthropologisches Interesse kann man dort in den Unterricht einbringen, wo auch die gesellschaftliche Entwicklung berücksichtigt wird.

10.Element: Neben der Intentionalität bilden die Inhalte ein Grundkriterium. Daneben werden noch Verfahren und Medien genannt. Die vier Strukturmomente sind: Intentionen, Themen, Verfahren, Medien (Kron et al. 2014) (Abbildung 3)

Planungsmodell

Für Schulz ist Didaktik ein Handlungs- und Planungsmodell. Dieses enthält fünf Schritte:

1.Schritt: Aufstellen von Kriterien für die Planung wie z.B. Lebensorientierung, Wissenschafts- bzw. fachdidaktische Orientierung, Handlungsorientierung, Methodenorientierung, Orientierung an den individuellen und kollektiven Behinderungen von Lernprozessen, Orientierung an den Medien, Orientierung an den Orientierungsformen von Unterricht, Orientierung an Selbst- und Fremdkontrolle (Erfolgskontrolle).

2.Schritt: Strukturmomente für didaktisches Handeln: Verständigung der Lehrenden und Lernenden untereinander, Festlegung der Unterrichtsziele, Bestimmung der Ausgangslage, Festlegung der Vermittlungsvariablen, Bestimmung und Darlegung der Erfolgskontrolle, Herausarbeitung der institutionellen Bedingungen, Erkennen der gesellschaftlichen Widersprüche.

3.Schritt: Tätigkeit und Funktionen didaktischen Handelns: beraten, beurteilen, analysieren, planen, realisieren, verwalten und kooperativ handeln.


Abb. 3: Strukturzusammenhang von Unterricht und Strukturmodell für die Unterrichtsplanung von Schulz 1971

4.Schritt: Prinzipielle Überlegungen für die Planung: Zusammenhang von Erfahrungen und Intentionen (Zielen).

5.Schritt: Ebene der Planung (vier Ebenen): Perspektivplanung, Umrissplanung, Prozessplanung, Planungskorrektur.

Zwischen der lerntheoretischen Didaktik von Schulz und der bildungs-theoretischen Didaktik von Klafki besteht kein prinzipieller Unterschied mehr:

„Irgendwelche prinzipiellen oder wesentlichen Unterschiede zu der Position von Schulz sehe ich schon seit langem nicht mehr und nach den neuen Ansätzen schon gar nicht.“ (Klafki. In: Gudjons et al. 1981, 108)

Auch Schulz hat seit 1972 seine bisherige Position im Sinne einer kritischen Didaktik verändert:

„Die Didaktikdiskussion der letzten 10 Jahre hat gezeigt, dass es sinnvoll und notwendig ist, will man den Zusammenhang zwischen Zielen/Inhalten und Methoden/Medien nicht zerreißen, von einem weiten Didaktikbegriff auszugehen.“ (Schönberger 1987, 35)

2.3.3 Zusammenfassung: Anregung für eine Didaktik Sozialer Arbeit

Das didaktische Modell von Heimann und Schulz ist weit verbreitet und gilt als praktisches, griffiges Schema für die Unterrichtsplanung, aber nicht nur für den Schulbereich.


Auch hier stellt sich die Frage: Welche Aspekte der lerntheoretischen/lehrtheoretischen Didaktik könnten für eine Didaktik Sozialer Arbeit relevant sein? Tragen Sie einige Punkte zusammen!

Die lerntheoretische Didaktik geht von einer weitgefassten Definition von Didaktik aus. Dadurch bezieht sie ihre Ergebnisse nicht nur auf den schulischen Unterricht, sondern auf alle organisierten Lehr-Lern-Prozesse und damit wird sie auch für eine Didaktik Sozialer Arbeit relevant. Besonders die Überlegungen über Lernziele und das Entscheidungsmodell in seiner Einfachheit und Überschaubarkeit findet in der Sozialen Arbeit Beachtung und Anwendung. Gorges kommt zu dem Schluss seiner Ausführungen:

■„Unter den zahlreichen in der Fachliteratur vertretenen didaktischen Positionen […] haben die bildungstheoretische und die lerntheoretische Didaktik einen herausragenden Stellenwert.

■Ihre jeweilige Weiterentwicklung, die kritisch-konstruktive Didaktik und das Hamburger Modell können als besonders geeignete Theorieansätze für eine Didaktik Sozialer Arbeit angesehen werden.“ (Gorges 1996, 68)


Gudjons, H., Winkel, R. (Hrsg.) (2015): Didaktische Theorien. 13. Aufl. Bergmann + Helbig, Hamburg

Klafki, W. (2007): Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik. 6., neu ausgest. Aufl. Beltz, Weinheim, Basel

Kron, F./Jürgens, E./Standop, J. (2014): Grundwissen Didaktik. 6., überarbeitete Aufl. Reinhardt, München

Meinert, A., Meyer, H. (2007): Wolfgang Klafki. Eine Didaktik für das 21. Jahrhundert. Beltz, Weinheim

Peterßen, W.H. (2001): Lehrbuch Allgemeine Didaktik. 6., völlig veränderte, aktualisierte und stark erweiterte Aufl. Oldenbourg, München

Schulz, W. (1980): Unterrichtsplanung. Urban & Schwarzenberg, München, Wien

Schulz, W. (2015): Die lehrtheoretische Didaktik. In: Gudjons, H., Winkel, R. (Hrsg.): Didaktische Theorien. 14. Aufl. Westermann, Braunschweig


1.Frage: Welche Bücher über Didaktik Sozialer Arbeit gibt es und welche sind vergriffen?

2.Frage: Gibt es viele Theorieansätze von Didaktik?

3.Frage: Wie nennt Wolfgang Klafki die von ihm entwickelte Didaktik?

4.Frage: Welche drei Aspekte von Bildung nennt Klafki?

5.Frage: Welches sind die sieben Grundfragen eines Lehr-Lern-Prozesses?

6.Frage: Wie nennt Klafki die von ihm entworfene Didaktik?

7.Frage: Wie lauten die zwölf Bestimmungen zur Struktur eines didaktischen Problemfeldes?

8.Frage: Von wem wurde das Berliner Modell und von wem das Hamburger Modell einer Didaktik entworfen?

9.Frage: Wie lauten die zehn Elemente des didaktischen Modells von Schulz?

10.Frage: Wie lauten die fünf Planungsschritte nach Schulz?

11.Frage: Besteht zwischen der bildungstheoretischen Didaktik von Klafki und der lerntheoretischen Didaktik von Schulz ein grundlegender Unterschied?