Schwester Elisabeth

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Schwester Elisabeth
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Johannes Hesse - Baron von Hessen-Nassau

Schwester Elisabeth

Das Tagebuch


Johannes Hesse - Baron von Hessen-Nassau

Tagebuch

der Gemeindeschwester

Elisabeth Diener

Die Erlebnisse und Abenteuer der Gemeindeschwester Elisabeth Diener während ihrer Dienstzeit in Eckardtshausen / Thüringen.


Meinen lieben Gemeinden gewidmet

und all denen, die mir nahe stehen.

Gar vieles ist da zu berichten

von Menschen, die zur Schwester flüchten,

von all den Großen und den Kleinen,

von allen denen, die da weinen.

Früh schellt die Glocke und zur Nacht,

stet´s muss die Schwester sein auf Wacht.

An sich darf sie schon gar nicht denken,

muss ihre Kraft den Nächsten schenken.

Verbände, Betten, Spritzen machen;

trotz Trübsal tönt oft frohes Lachen

Tritt unser Heiland segnend ein,

strahlt in die Herzen heller Schein

Die Schwester soll in Haus und Straßen

barmherzig sein ohn´ alle Maßen,

Sie hat doch schwarze Kleider an

Da sieht man jedes Fleckchen dran

Gesunde woll´n verstanden sein

Wie viel strömt auf die Schwester ein

Geduldig muss sie es versteh´n,

in Freud und Leiden mitzugeh´n.

So tut sie ihre Pflicht und weiß

sich selbst doch nur als schwaches Reis.

Sie, die im Dienst des Höchsten steht

fühlt dass er immer mit ihr geht.

Ihre Elisabeth Diener

Schwester Elisabeth Diener wurde im Jahre 1910 geboren. Sie starb im Jahre 1979 im Sophienstift in Weimar und fand ihre letzte Ruhestätte auf dem städtischen Friedhof von Weimar.

Sie wirkte insgesamt 27 Jahre in den Gemeinden Eckardtshausen, Etterwinden und Wackenhof.

Inhaltsverzeichnis

Impressum Seite 7

Tagebuch der Schwester Elisabeth Seite 8

Bild vom Abschiedsgottesdienst Seite 59

Allgemeine Information - Sophienhaus Weimar Seite 61

Allgemeine Information - Eckardtshausen Seite 62

Allgemeine Information - Wackenhof Seite 64

Allgemeine Information - Wilhelmsthal Seite 66

Allgemeine Information - Etterwinden Seite 68

Raum für Notizen Seite 70

Impressum

Herausgeber: Johannes Hesse - Baron von Hessen-Nassau

Bilder: Familie Bruno und Inge Linß,

Anita Wagner, Volkmar Schad,

Archiv Hesse

Text: Elisabeth Diener

Layout und Entwurf: Johannes Hesse - Baron von Hessen-Nassau

Copyright©2014 - Alle Rechte vorbehalten

Wenn ich von meiner Gemeindearbeit erzählen will, muss ich weit zurückgreifen; es ist mir noch alles in lebendiger Erinnerung, als sei ich eben erst in mein Dörfchen Eckardtshausen eingezogen. Ihr, meine lieben Eckardtshäuser, und Ihr Lieben in Etterwinden, dazu gehört ja auch der Wackenhof und Wilhelmsthal. Hätten wir denn damals gedacht, dass wir 27 Jahre zusammen leben sollten, fest aneinander gekettet in Freud und Leid, bei Frost und Hitze, immer unzertrennlich, immer sprungbereit ?

Nachdem ich vier Wochen da war, habe ich erst meine Sachen ausgepackt, ich wollte nicht in diesem, und nun seid nicht böse, wenn ich wieder einmal „Drecknest“ sage, bleiben, und wie habe ich doch „mein Drecknest“ liebgewonnen.

Es war am 1. Mai 1928, als ich die Schwesternstation Eckardtshausen mit den angeschlossenen Gemeinden Etterwinden, Wilhelmsthal und Wackenhof übernommen habe. Eckardtshausen war bekannt als eine schwierige Station, weit abgelegen, und hatte daher dauernd Schwesternwechsel. Zur damaligen Zeit wollte man die dort arbeitende Schwester behalten und von einer „Neuen“ nichts wissen.

Unsere Frau Oberin Margarete Busch ließ mich zu sich kommen. In ihrer liebenswürdigen Art bat sie mich, die Station Eckardtshausen zu übernehmen und zu halten.

Unser guter, nun heimgegangener Pfarrer Gießen sagte zu mir: „Schwester Elisabeth, wenn Sie die Station nicht halten können, dann wird sie aufgelöst. Ich habe gedacht, der Himmel stürzt über mir ein und doch antwortete ich: „An mir soll‘ s nicht liegen. Nun wurden die Sachen gepackt, und auf nach Eckardtshausen. Der Herr Pfarrer hatte mich bereits telegrafisch angemeldet, ich mich noch einmal schriftlich beim Bürgermeister. Herr Pfarrer sagte, die Schwestern, die so weit vom Bahnhof abgelegen wohnen, werden meist mit dem Pferdegeschirr abgeholt. So hatte ich also noch eine schöne Landpartie in Aussicht. Und während ich jetzt schreibe, erlebe ich in Gedanken alles noch einmal, trotzdem es bereits 27 Jahre zurückliegt.

Heute kann ich darüber lachen, damals lag mir das Heulen näher. Ich kam gegen 4 Uhr nachmittags auf dem Bahnhof in Förtha, zu jener Zeit noch Epichnellen, an: Es war kein Pferdegeschirr zu sehen. Plötzlich entdeckte ich einen älteren Herrn und ein junges Mädchen, jeder mit einem Handwagen versehen. Es war der Gemeindediener Gustav Manß, und Hedwig Köhler, die Tochter meines künftigen Hauswirts. Beide kamen auf mich zu und fragten mich, ob ich die „neue Schwester“ sei. Ich bestätigte das, ausweisen brauchte ich mich nicht, und nun ging‘s hinauf nach Eckardtshausen.

Ja, hinauf mussten wir, denn Eckardtshausen liegt so ungefähr in gleicher Höhe mit der Wartburg. Die Koffer wurden in beiden Handwagen gut verstaut, und auf Schusters Rappen ging es vorwärts. Viel gesprochen haben wir nicht. Mir waren alle Felle weg geschwommen, und ich verstand auch die Eckardtshäuser Sprache noch nicht. Als wir so ungefähr eine halbe Stunde durch Pfützen und Schlamm gewandert waren, ich mit vornehmen Stadtschuhen, (ich kam zum ersten Mal auf´s Land als Schwester), fragte ich schüchtern: „Wann kommt denn Eckardtshausen ?“ Man tröstete mich: „Bald sehen Sie den Kirchturm.“

Noch eine Viertelstunde Weg, und ich sah in weiter Ferne wirklich den Kirchturm. Es wurde mir ganz leicht zu Mute, als ich die Kirche sah, denn dort holen wir uns Kraft für unseren Alltag. Nun hatten wir die Höhe erreicht. Ein wunderschönes Landschaftsbild bot sich meinen Augen. Nichts als Wälder im frischen Frühlingsgrün, saftige Wiesen, auf den Feldern sprossten die ersten Hälmlein, und die Lerchen jubilierten.

Es war, als ob sie mir zuriefen: „ Sei nicht so traurig, schau zu deinem Schöpfer auf und jubiliere mit!“ Und wirklich, mir wurde leichter ums Herz, und mein Schritt fester. Jetzt sind wir im Dörfchen angelangt. Mit kritischen Augen werde ich gemustert. Die Kleinen rennen nach Hause: „Mer hanse gesent, die neube Schwester ist da.“ Ja, die neue Schwester war da. Ich kam. mir vor wie ein Schulkind und nicht wie die neue Gemeindemutter, die ich ja nun werden sollte. Jetzt wurde ich auf die Schwesternstation in die Quergasse , genannt „die Pfütz“ geführt. Durch den dauernden Schwesternwechsel (es waren nicht immer Sophienhausschwestern hier tätig) war die Station sehr vernachlässigt. Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küche fand ich mit den nötigsten, zusammen gewürfelten Möbeln ausgestattet.

Zwei Katzen waren auch da, einen Küchenschrank hatte ich nicht, und so wurden mir meine kleinen Vorräte aufgefressen, bis ich es satt hatte und die Tiere weiter verschenkte. Hedwig, die mich von der Bahn abgeholt hatte, war immer dienstbereit. Sie hat mir dann auf der Station anderthalb Jahre treu geholfen.

Gustav Manß, unser guter, alter Pfarrkutscher, verabschiedete sich nun von mir und wünschte mir alles Gute. Wie treu hat er zu mir und meiner Station gehalten! Es ist mir ein Herzensbedürfnis, ihm und seiner lieben Frau Elise an dieser Stelle zu danken für alle Treue und Liebe. Wie eigen und sauber wurde in den siebenundzwanzig Jahren das Holz gehackt, vom Buchenholz bis zu den kleinen Splittern, das durfte kein anderer machen, und kaum einer konnte es so fein wie Gustav Manß. Ottilie und der Christian schafften es dann fort, und später meine lieben, treuen Glock‘s. Ich muss euch schon alle erwähnen und danke auch allen noch einmal recht herzlich.

Jetzt bin ich aber ganz abgeschweift und muss doch von den nächsten ersten Stunden berichten. Es war noch hell, ich überlegte, machst du erst Besuche oder machst du erst die Station sauber ? Ich habe mich fürs erste entschieden, und mein erster Weg führte mich zum Bürgermeister. Bis dahin musste ich mich natürlich durchfragen und wurde von Groß und Klein gemustert. Als mich die Leutchen sahen, meinten sie: „Nee, is das e klei Dingelcben, hat die e klei Mittchen.“ Ich musste immer erst fragen, was das bedeutet. Also, das heißt: dünn und eine schmale Mitte. Damals wog ich 54 Kilo, und ich wünschte, ich hätte mei klei Mittchen behalten und wäre nicht so rundlich geworden wie heute. (Aber das gehört ja eigentlich nicht hierher.)

Mit etwas Herzklopfen machte ich meinen Besuch beim Bürgermeister, er sah gar nicht so fürchterlich aus. Wir beide haben manche Freude und manches Leid geteilt. Es war der damalige Schneidermeister Konrad Radloff, der mir, und später sein Sohn und heute der Enkel, sämtliche Mäntel prima wie angegossen gearbeitet hat. Mit den Enkelsöhnen Kurt und Oswald wurden wir eine dicke Freundschaft Die Mutter des Bürgermeisters, die gute alte Madlen, kam herein, sie holte zwei Eier aus der Schürzentasche und sagte zu mir: „Schwaster, namse die zwei Eier“ Es ist Sitte, dass jede neue Schwaster zwei Eier von mir kriegt. Hoffentlich bleiben se nun bei uns.“ Wir hatten uns in den Jahren recht liebgewonnen.

 

Wenn sie am Sonntag Nachmittag mit der guten, alten Frau Gesell zu mir kam, musste ich Bohnenkaffee kochen und ihnen ein paar Lieder auf meinem Harmonium spielen. Dann zogen die lieben Altchen fröhlich heim. Warum ich nur immer abschweife ? Doch all die kleinen Erlebnisse fallen mir augenblicklich wieder ein.

Den nächsten Besuch machte ich im Lehrerhaus. Der kleine Hilmar mit seinem blonden Lockenköpfchen und dem blauen Kittelchen musterte mich sehr genau. Dann erst gab er mir freundlich lächelnd seine kleine Patschhand. Es wurde ein schönes Verhältnis mit beiden Lehrersfamilien Gramß und Scharf.

Den kleinen Hilmar habe ich oft am Abend Huckepack ins Bett hinaufgetragen, und dann musste ich mich an sein Bett setzen und singen. Später kam sein kleiner Vetter, der Alwin, dazu. Nun wollte jeder Bub ein Liedchen gesungen haben. Keiner durfte bevorzugt werden. Oft nahm ich mein Abendbrot mit, und wir haben dann in Gemeinschaft gegessen, und wenn die gute Helene etwas Besonderes hatte, musste ich davon kosten. Am besten schmeckte doch die Zitronencreme. Die Geburtstagsfeste waren am allerschönsten; dazu gehörte auch die Lehrerfamilie Hill aus Etterwinden. Dann tollte ich mit den Jungen im Garten herum, spielte mit ihnen Indianer, und schämte mich nicht, mit meinen zweiunddreißig Jahren so herumzutollen.

Doch nun wieder zurück zum ersten Abend ., Ich machte noch einen Besuch bei meinem Nachbar Christel Lieding in der Pfütz, er war damals zweiter Bürgermeister. Sehr lieb hat er mich nicht empfangen. Ich erwähnte schon, dass sie keine neue Schwester haben wollten. Er erklärte mir kurz und bündig: „Dass Sie‘ s wissen, Sie sind keine Schwester für‘s Pfarrhaus, sondern für die Gemeinde.“

Ich antwortete ihm freundlich, dass ich überall dahin gehe, wohin ich gerufen werde, und dass ich mir nichts verbieten lasse. In der Gemeinde soll er gesagt haben: „Die Neue hat aber Haare auf den Zähnen.“ Der gute Christel, wir sind treue Freunde geworden, und ich konnte alles mit ihm besprechen. Ich betreute dann seinen kleinen Nachkömmling, das Elschen, und trug Leid mit ihm um seinen prächtigen Ewald. Und dann durfte ich ihn bis zum Throne Gottes begleiten, es waren schwere Wochen und Nächte. In einer Gewitternacht haben wir beide zusammen zum letzten Male gebetet.

Wie oft sagte er zu mir: „Schwaster, beten Sie.“ Ich vergesse nicht einen ersten Pfingsttag: ich komme aus der Kirche, habe meine Noten mitgebracht, öffne leise das Klavier (seit Ewald‘s Tode durfte niemand mehr spielen) und spielte „0 heil‘ger Geist, kehr bei uns ein.“ Mit Tränen in den Augen singt mein Patient mit. Wir drücken uns wortlos die Hand. Solche Stunden sind Segensstunden im Leben einer Gemeindeschwester, sie spürt die Verbindung mit dem Vater im Himmel. Ich bin schon mitten im Erleben und doch erst ein paar Stunden in Eckardtshausen.

Jetzt geht´s auf Station; sie ist armselig und bedarf erst einmal einer gründlichen Reinigung. Wasser, Seife, Bürste müssen herhalten. Zuerst wird mit Hedwig die Matratze herausgeschafft, dann die langen Spinnweben mit ihren Besitzern hinausbefördert. Nachts um 12 Uhr bin ich fertig und lege mich reichlich müde zu Bett. Um 4 Uhr wache ich auf durch ein Blöken und Kettenrasseln. Ich wusste nicht, wo ich war, bis mir endlich zum Bewusstsein kam: daneben ist ja der Stall mit den Kühen. Beruhigt schlief ich noch etwas ein, wurde dann aber vollends wach, da ich nach Eisenach wollte.

Ich hatte mir vorgenommen, gleich am ersten Tag meinen Besuch in Eisenach auf dem Kreisamt bei der Kreisfürsorgerin und beim Landrat zu machen. Nun rüstete ich mich, ich hatte eine Stunde zur Bahn und eine Viertelstunde Bahnfahrt, und stellte mich meiner vorgesetzten Behörde vor. Hier wurden mir gute Ratschläge gegeben. Da Etterwinden ebenso groß ist, fast noch größer, als Eckardtshausen, sollte mir die Gemeinde ein Zimmer zur Verfügung stellen. Dann würde Etterwinden auch besser versorgt.

Als ich etliche Wochen in Eckardtshausen war, da sagte ich zum Bürgermeister: „Wenn Sie mich behalten wollen, dann bitte ich darum, dass meine Station frisch

gestrichen und tapeziert wird. Der Gemeinderat besichtigte die Wohnung und meinte, in diesen verräucherten Zimmern wolle er selbst nicht wohnen.

Bald sah die Wohnung freundlich und einladend aus. Ich ließ noch einige Möbelstücke anfertigen, vor allem einen Küchenschrank, der noch heute das Schmuckstück meiner kleinen Küche ist. Wie schwer war doch der Anfang ! Es wurde eine Gemeinderatssitzung in Etterwinden abgehalten, ich armes Geschöpf war auch dabei. Ganz offen wurde mir gesagt: „ wir wollen eine Schwaster, die Radfahren kann, sich zu jeder Zeit aufs Rad schwingt und hier sein kann.“ Ich konnte ja leider noch nicht Radfahren. Das zu lernen, war nun meine erste Aufgabe. Ein Rad war auf der Station, aber was für eins, viel zu hoch für mich.

Doch ich habe es gelernt. Alfred und Ewald Lieding haben mir das Radfahren beigebracht. Sie haben sicher viel Kraft gebraucht, um die Schwester mitsamt dem Rad zu halten. Auch Emilie Göpfert hat sich viel Mühe gegeben, mich übers Radfahren zu belehren. Wie oft ich gefallen bin und wie blitzblau meine Arme und Beine aussahen, das brauche ich wohl nicht zu berichten. In vier Wochen saß ich stolz im Sattel. Anstatt aber nun den Pfützen, den großen Kuhblattern und den Steinen auszuweichen, fuhr ich treu und brav mitten durch. Das war noch lange meine Schwäche, auch das Absteigen. Ich konnte nur abspringen, wenn ich das Rad zuvor auf die Erde geworfen hatte. Wie ich das fertig gebracht habe, weiß ich heute nicht mehr. Hörte ich hinter mir ein Auto, dann bin ich vor lauter Angst immer abgesprungen.

Sehr stolz war ich nun, als ich zum ersten Mal mit meinem Stahlross in Etterwinden beim Bürgermeister Langlotz abstieg. Ich sagte ihm freundlich: „Guten Tag“ und erklärte ihm strahlend:“ Also bitte Herr Bürgermeister, ich kann jetzt Radfahren, Sie können mich zu jeder Stunde rufen.“ Er machte ein etwas betroffenes Gesicht, da ich ihm seine eigenen Worte zurückgab. Aber wir beide sind bei allem Kampf noch heute zwei gute Freunde. Wir besprachen nun auch die Angelegenheit mit dem Zimmer.

Ich wurde sehr gut in der Gastwirtschaft bei Arno Börner und seiner lieben Frau Anna untergebracht. Hier habe ich anderthalb Jahre zwei- und auch dreimal in der Woche geschlafen. Dann wurde es der Gemeinde zu teuer, und das Zimmer wurde gekündigt. Das Kreisamt, und auch das Mutterhaus, wollten Etterwinden abhängen der Ort hing immer in der Luft. Die Gemeinde wurde vor mir ein Jahr lang von Ruhla aus versorgt, es wurde aber den Schwestern dort zu beschwerlich, über die Berge zu gehen. Meine Vorgängerinnen streikten oft wegen Etterwinden, da nur ein einsamer, beschwerlicher, für mich aber wunderschöner Waldweg die Verbindung zwischen den beiden Ortschaften herstellte. Ich wollte durchhalten.

Die alte Frau Reinemann nahm mich freundlich und unentgeltlich auf. Auch bei den netten Lehrersleuten Grenzdörfer wohnte ich eine Zeitlang, bis sie nach Eisenach versetzt wurden. In Eisenach sind beide zur gleichen Zeit auf tragische Weise bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen.

Die Station hatte nun ihr neues Kleid an - da bekam ich an einem strahlenden Sommer-Sonntag lieben Besuch aus Weimar. Ministerialrat Friedrich Stier, ein lieber Freund unseres Sophienhauses der auch der Spender praktischer Gegenstände für die hiesige Station war, besuchte mich mit seinen Kindern Gisela und Günther. Das war eine große Freude. Der Bauer Wilhelm Stegmann spannte die besten Pferde vor einen prächtigen Landauer und holte unseren Besuch vom Bahnhof Epichnellen ab. Lisbeth Köhler und ich saßen stolz in der wirklich vornehmen Kutsche, und so fuhren wir erwartungsvoll unseren Gästen entgegen. Es war eine herrliche Fahrt in das friedvolle Land hinein, das in Wald und Bergen eingebettet liegt. Schöne Aufnahmen wurden unterwegs gemacht. Wir verlebten einen wundervollen Tag der für mich am Abend mit einer Wanderung bis zur „Hohen Sonne“ endete.

Hier trennte ich mich von meinem Besuch, der nun nach Eisenach zum Bahnhof wanderte. Gisela war dann des Öfteren in ihren Ferien in Eckardtshausen. Sie tollte mit unseren Kindern, besonders mit Lisbeth auf den Wiesen umher, und oft begleitete sie mich auf meinen Dienstwegen durch den Wald nach Etterwinden. Sie erholte sich immer prächtig in der Landluft. Beim Abschied sagte sie einmal zu mir: „Wenn ich nach Weimar komme, muss Vati eine Kuh kaufen, und dann ziehe ich für immer nach Eckardtshausen.“

Es ist aber nichts daraus geworden. Gisela ist inzwischen mit einem Arzt verheiratet. Ob sie wohl manchmal an die frohen Stunden in Eckardtshausen zurück denkt? Bis heute verbindet mich ein Freundschaftsband mit dem lieben Haus Stier am Schönblick in Weimar.

Des Öfteren kamen Frau Oberin und Herr Pfarrer aus dem Mutterhaus nach Eckardtshausen zu Besuch. Das wurde ein besonderer Freudentag.

1932 wurde Herr Loth Bürgermeister in Etterwinden. Er hat mir ein nettes Zimmer zur Verfügung gestellt. Die gute Mutter Loth versorgte mich rührend, sie ist inzwischen heimgegangen. Noch heute schlafe ich auf der Hutweide, in dieser Friedensoase. Ob die Gemeinde ermessen kann, was die Familie in diesen dreiundzwanzig Jahren für die Gemeinde geleistet hat? Etterwinden ist immer mein Sorgenkind geblieben. Die Wege sind im Winter so beschwerlich durch Eis und Schnee. Oft bis zu den Knien im Schnee stapfend, suchte ich als Erste und Einzige mir Bahn. Kaum eine Frau hätte allein diesen Weg gewagt, aber ich wusste, einer ist über mir, der mir nahe ist. Außerdem hatte ich meine Etterwinder liebgewonnen, sie brauchten mich und ich wollte ihnen treu bleiben.

Im Sommer ist es dann wieder leichter für mich mit dem Fahrrad. Sehr schnell habe ich mich in meinen Gemeinden eingelebt. Eine treue und liebe Seele war Frau Therese Köhler, die Frau meines Hauswirts in der Pfütz. Aber wenn Adam geschimpft hat, habe ich kein Wort verstanden. Woher sollte ich wissen, dass der Bauch „der Büch“ heißt, die Agen, die „Eiben“, der Magen, der „Möhn“. Ich habe noch viel gefragt, allmählich kam ich dahinter, und heute spreche ich oft mit meinen Leuten platt.

Eine schöne Sitte ist es, wenn man in ein Haus kommt, wird man begrüßt: „Herzlich willkomm au“. Dass man da zu danken hatte, wusste ich nicht. Eines Tages sagte ein kleines Mädel zu mir: „Na, Du weeßt wohl nich, dass mer da Schön Dank au söt.“ Jetzt hatte ich es begriffen. Die Kinder machten mich auf vieles aufmerksam.

Gleich in den ersten Tagen, als ich da war, musste ich einem kleinen Burschen von fünf Jahren einen Einlauf machen. Darf ich´s sagen? lieber Kurt ? Nimm mir‘ s nicht übel, heute bist du selbst Vater und hast ein liebes, kleines Mädel, kurz und gut, voller Wut, hochrot im Gesicht, drehte er sich herum und sagte zu mir: „Du ale Schwaster, wenn de bloß erscht gestorb´n wärscht.“ Ich konnte vor Lachen kaum die Verordnung ausführen. Die Mutter wurde so verlegen, aber ich amüsierte mich köstlich darüber. Ach, in vielen Krankheitstagen und -nächten musste ich dort noch helfen. Die Kinder waren mir gegenüber immer offen, und unendlich viel Freude habe ich an ihnen gehabt. Immer habe ich so ein Trüppchen um mich, und sie tragen mir sogar oft meine Gemeindetasche.

Wie oft höre ich am Tage: „Tante Schwaster wo gehst a hin?“ Dann gehen sie ein Stückchen mit mir. Winke, winke, mach´s gut und fort sind sie. Die kleine Helga, die Tochter des jetzigen Bürgermeisters, liebt ihre Tante Schwaster ganz besonders, dazu kommt noch die Christel Trautmann und Friedchen Senf. Das ist so ein richtiges Kleeblatt. Wirklich scheu mir gegenüber sind die Kinder nicht.

Ich denke eben an Horndräbers Christel, sechs Jahre alt. Sie will mit der Mutti nach Dortmund zur Oma. Ich sage: „Christel, dort hast Du aber keine Tante Schwaster.“ Prompt antwortet sie mir: „Ach, dort gibt´s noch viel bildschönere Tante Schwastern.“ Die ganze Familie und ich sehen uns sprachlos an. Christel ist wieder daheim. Ich frage: „ Hast Du bildschönere Tanten Schwastern gesenn?“ Sie sagte: „Nicht ne einzige!“

Die Kleinen waren eifrige Sammler von Bildchen und Sprüchen, das sind sie auch heute noch. Da gab es so reizende Serien von Vogelfamilien, von Mäusen Blumen und anderem. Der kleine Heinz Regensburg aus Etterwinden schmückte den ganzen Küchenschrank mit solchen Bildern, die durfte keiner wegnehmen Als er einmal längere Zeit kein Bildchen von mir bekommen hatte, sagte er: „Na, Tante Schwaster, host wohl kei Geld mehr ?“ Später habe ich ihn dadurch enttäuscht, dass ich nicht in das neu gebaute Haus seiner Eltern eingezogen bin.

In der Kriegszeit trug ich mal weiße Strümpfe aus Schafwolle, mein Kleid war ja lang und die Gummiüberschuhe auch, ich dachte, man würde es nicht sehen, aber Lorchen Ihling hat es doch entdeckt. Vorwurfsvoll schaut sie mich an und sagt: „Tante Schwaster, Du siehst aus wie e gewehnliches Machen.“ Ich frage, warum? Darauf antwortet sie mir: ‚‘Weil Du wiße Strempf anhast.“ Du hast doch au wiße Strempf an, sag ich. Sie erwidert: „Das bin ich au, aber als Schwaster solche Strempf anzuziehen, na,na.“ Später hab ich dann die wißen Strempf grau gefärbt.

 

Bei Glatteis bringe ich die Eissporen an die Schuhe, die mir die stets hilfsbereiten Otto Stütz und Reinhold Döbel fabriziert haben. Das sieht der Rainer Schimke und sagt: „Na,Tante Schwaster, siehst aus wie e aler Droscbkengaul.‘‘ Da habe ich doch laut auf der Straße gelacht. Wenn Ottchen Andres „du teibes Getier, raff Dich heim“ sagte, habe ich mich stillschweigend wieder davon gemacht.

Einmal schlägt mich ein kleiner Lausbub mit der Gerte auf den Kopf und brüllt voller Wut: „Ich schmiss Dich Aas noch den Schadel in.“Das ist mir doch zu toll, ich renne hinterher und ziehe ihm den Hosenboden stramm, dann sage ich: „So, nun gehst du heim und söst´s deinem Vater.“ Der kleine Mann wollte sich rächen, ich hatte wochenlang eine böse Wunde an seiner Hand zu verbinden, wir hatten uns lange nicht angeguckt, bis er plötzlich zu mir sagte: „Ich bin au widder gut mit Dich.“

Ich fragte ihn: „Was hat denn dein Vater gesagt, dass ich Dir den Hosenboden stramm gezogen habe?“ Er antwortete, das wäre ganz Racht gewast“. Heute sind die kleinen Burschen längst verheiratet und haben wieder Kinder. So fühle ich mich selbst als Oma der vielen Kinder und habe sie alle liebgewonnen.

Von einem Jungen will ich noch berichten, es war Karl Malsch, der Sagte: „Vor kei Menschen han ich Angst, vor kei Pfarrer und vor kei Schulmeister, bloß vor der alen Schwaster, wenn die nur erscht e mal aussen Dorf naus wär.“ Das war vor fünfundzwanzig Jahren. Die Jungen sagten manchmal: „Jeden Dreck sieht se.“ Wie gerne habe ich mich mit um euren Dreck gekümmert, und so sind wir miteinander verwachsen in all den Jahren.

Im Sommer ist die Zahl der Unglücksfälle größer als im Winter. Sehr schwer waren oft die Verletzungen durch Maschinen und auf andere Weise. Ich denke an den letzten schweren Unfall: ein junger Traktorist lag am Bergesabhang im Graben, und der Traktor stürzte auf ihn. Allein auf weiter Flur stand ich vor diesem erschütternden Anblick. Zum Glück waren unsere Männer in Eckardtshausen an dem Vormittag mit dem Reinigen des Feuerteiches beschäftigt, und so hat alles geholfen mit Stangen und Winden, um den Verunglückten aus seiner furchtbaren Lage zu befreien.

Durch mehrere Injektionen erleichterte ich seine Schmerzen und Blutungen, sehr bald kam auch das Krankenauto, und wie durch ein Wunder ist der junge Mann noch am Leben.

Erschütternd war auch der Anblick des Sprengmeisters F. Hofmann, dem ein Arm beim Sprengen zerrissen und auch der Kopf schwer verletzt wurde. In solchen Momenten heißt es: Geistesgegenwart behalten; mancher Hilferuf wird zum himmlischen Vater geschickt. Ich sehe meinen treuen Freund Helmut vor mir, dem etliche Finger von der Holz - Sägemaschine abgeschnitten worden waren. Seine Augen schauten mich an wie die eines totwunden Rehes, und er sagte nur: „Tante Schwaster!“

Der tapfere Ernst Krauß kam noch zu mir gelaufen, auch seine Finger waren von der Maschine durchgesägt. Nach Anlegung des Verbandes musste ich ihm eine Zigarette anzünden. Wir sind eine große Familie, und wenn ein Glied leidet, dann leiden und helfen alle mit, die Gemeindemutter an der Spitze. Es würde ermüden, wenn ich alle die Unglücksfälle schildern wollte, die ich hier erlebt habe, und so wollen wir es mit den erwähnten genug sein lassen.

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