Dichtung und Wahrheit

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Indessen mochte ihm meine die Bibel nach allen Seiten durchkreuzende, kindische Lebhaftigkeit doch ziemlich ernsthaft und einiger Nachhülfe wert geschienen haben. Er verwies mich daher nach einiger Zeit auf das große englische Bibelwerk, welches in seiner Bibliothek bereitstand, und in welchem die Auslegung schwerer und bedenklicher Stellen auf eine verständige und kluge Weise unternommen war. Die Übersetzung hatte durch die großen Bemühungen deutscher Gottesgelehrten Vorzüge vor dem Original erhalten. Die verschiedenen Meinungen waren angeführt, und zuletzt eine Art von Vermittelung versucht, wobei die Würde des Buchs, der Grund der Religion und der Menschenverstand einigermaßen neben einander bestehen konnten. So oft ich nun gegen Ende der Stunde mit hergebrachten Fragen und Zweifeln auftrat, so oft deutete er auf das Repositorium; ich holte mir den Band, er ließ mich lesen, blätterte in seinem Lucian, und wenn ich über das Buch meine Anmerkungen machte, war sein gewöhnliches Lachen alles, wodurch er meinen Scharfsinn erwiderte. In den langen Sommertagen ließ er mich sitzen, solange ich lesen konnte, manchmal allein; nur dauerte es eine Weile, bis er mir erlaubte, einen Band nach dem andern mit nach Hause zu nehmen.

Der Mensch mag sich wenden wohin er will, er mag unternehmen was es auch sei, stets wird er auf jenen Weg wieder zurückkehren, den ihm die Natur einmal vorgezeichnet hat. So erging es auch mir im gegenwärtigen Falle. Die Bemühungen um die Sprache, um den Inhalt der Heiligen Schriften selbst endigten zuletzt damit, daß von jenem schönen und viel gepriesenen Lande, seiner Umgebung und Nachbarschaft, sowie von den Völkern und Ereignissen, welche jenen Fleck der Erde durch Jahrtausende hindurch verherrlichten, eine lebhaftere Vorstellung in meiner Einbildungskraft hervorging.

Dieser kleine Raum sollte den Ursprung und das Wachstum des Menschengeschlechts sehen; von dorther sollten die ersten und einzigsten Nachrichten der Urgeschichte zu uns gelangen, und ein solches Lokal sollte zugleich so einfach und faßlich, als mannigfaltig und zu den wundersamsten Wanderungen und Ansiedelungen geeignet vor unserer Einbildungskraft liegen. Hier zwischen vier benannten Flüssen war aus der ganzen zu bewohnenden Erde ein kleiner, höchst anmutiger Raum dem jugendlichen Menschen ausgesondert. Hier sollte er seine ersten Fähigkeiten entwickeln, und hier sollte ihn zugleich das Los treffen, das seiner ganzen Nachkommenschaft beschieden war, seine Ruhe zu verlieren, indem er nach Erkenntnis strebte. Das Paradies war verscherzt; die Menschen mehrten und verschlimmerten sich; die an die Unarten dieses Geschlechte noch nicht gewohnten Elohim wurden ungeduldig und vernichteten es von Grund aus. Nur wenige wurden aus der allgemeinen Überschwemmung gerettet; und kaum hatte sich diese greuliche Flut verlaufen, als der bekannte vaterländische Boden schon wieder vor den Blicken der dankbaren Geretteten lag. Zwei Flüsse von vieren, Euphrat und Tigris, flossen noch in ihren Betten. Der Name des ersten blieb; den andern schien sein Lauf zu bezeichnen. Genauere Spuren des Paradieses wären nach einer so großen Umwälzung nicht zu fordern gewesen. Das erneute Menschengeschlecht ging von hier zum zweitenmal aus; es fand Gelegenheit, sich auf alle Arten zu nähren und zu beschäftigen, am meisten aber große Herden zahmer Geschöpfe um sich zu versammeln und mit ihnen nach allen Seiten hinzuziehen.

Diese Lebensweise sowie die Vermehrung der Stämme nötigte die Völker bald, sich von einander zu entfernen. Sie konnten sich sogleich nicht entschließen, ihre Verwandten und Freunde für immer fahren zu lassen; sie kamen auf den Gedanken, einen hohen Turm zu bauen, der ihnen aus weiter Ferne den Weg wieder zurück weisen sollte. Aber dieser Versuch mißlang wie jenes erste Bestreben. Sie sollten nicht zugleich glücklich und klug, zahlreich und einig sein. Die Elohim verwirrten sie, der Bau unterblieb, die Menschen zerstreuten sich; die Welt war bevölkert, aber entzweit.

Unser Blick, unser Anteil bleibt aber noch immer an diese Gegenden geheftet. Endlich geht abermals ein Stammvater von hier aus, der so glücklich ist, seinen Nachkommen einen entschiedenen Charakter aufzuprägen, und sie dadurch für ewige Zeiten zu einer großen, und bei allem Glücks- und Ortswechsel zusammenhaltenden Nation zu vereinigen.

Vom Euphrat aus, nicht ohne göttlichen Fingerzeig, wandert Abraham gegen Westen. Die Wüste setzt seinem Zug kein entschiedenes Hindernis entgegen; er gelangt an den Jordan, zieht über den Fluß und verbreitet sich in den schönen mittägigen Gegenden von Palästina. Dieses Land war schon früher in Besitz genommen und ziemlich bewohnt. Berge, nicht allzu hoch aber steinig und unfruchtbar, waren von vielen bewässerten, dem Anbau günstigen Tälern durchschnitten. Städte, Flecken, einzelne Ansiedelungen lagen zerstreut auf der Fläche, auf Abhängen des großen Tals, dessen Wasser sich im Jordan sammeln. So bewohnt, so bebaut war das Land, aber die Welt noch groß genug, und die Menschen nicht auf den Grad sorgfältig, bedürfnisvoll und tätig, um sich gleich aller ihrer Umgebungen zu bemächtigen. Zwischen jenen Besitzungen erstreckten sich große Räume, in welchen weidende Züge sich bequem hin und her bewegen konnten. In solchen Räumen hält sich Abraham auf, sein Bruder Lot ist bei ihm; aber sie können nicht lange an solchen Orten verbleiben. Eben jene Verfassung des Landes, dessen Bevölkerung bald zu- bald abnimmt, und dessen Erzeugnisse sich niemals mit dem Bedürfnis im Gleichgewicht erhalten, bringt unversehens eine Hungersnot hervor, und der Eingewanderte leidet mit dem Einheimischen, dem er durch seine zufällige Gegenwart die eigne Nahrung verkümmert hat. Die beiden chaldäischen Brüder ziehen nach Ägypten, und so ist uns der Schauplatz vorgezeichnet, auf dem einige tausend Jahre die bedeutendsten Begebenheiten der Welt vorgehen sollten. Vom Tigris zum Euphrat, vom Euphrat zum Nil sehen wir die Erde bevölkert, und in diesem Raume einen bekannten, den Göttern geliebten, uns schon wert gewordnen Mann mit Herden und Gütern hin und wider ziehen und sie in kurzer Zeit aufs reichlichste vermehren. Die Brüder kommen zurück; allein gewitzigt durch die ausgestandene Not, fassen sie den Entschluß, sich von einander zu trennen. Beide verweilen zwar im mittägigen Kanaan; aber indem Abraham zu Hebron gegen den Hain Mamre bleibt, zieht sich Lot nach dem Tale Siddim, das, wenn unsere Einbildungskraft kühn genug ist, dem Jordan einen unterirdischen Ausfluß zu geben, um an der Stelle des gegenwärtigen Asphaltsees einen trocknen Boden zu gewinnen, uns als ein zweites Paradies erscheinen kann und muß; um so mehr, weil die Bewohner und Umwohner desselben, als Weichlinge und Frevler berüchtigt, uns dadurch auf ein bequemes und üppiges Leben schließen lassen. Lot wohnt unter ihnen, jedoch abgesondert.

Aber Hebron und der Hain Mamre erscheinen uns als die wichtige Stätte, wo der Herr mit Abraham spricht und ihm alles Land verheißt, so weit sein Blick nur in vier Weltgegenden reichen mag. Aus diesen stillen Bezirken, von diesen Hirtenvölkern, die mit den Himmlischen umgehen dürfen, sie als Gäste bewirten und manche Zwiesprache mit ihnen halten, werden wir genötigt den Blick abermals gegen Osten zu wenden, und an die Verfassung der Nebenwelt zu denken, die im ganzen wohl der einzelnen Verfassung von Kanaan gleichen mochte.

Familien halten zusammen; sie vereinigen sich, und die Lebensart der Stämme wird durch das Lokal bestimmt, das sie sich zugeeignet haben oder zueignen. Auf den Gebirgen, die ihr Wasser nach dem Tigris hinuntersenden, finden wir kriegerische Völker, die schon sehr frühe auf jene Welteroberer und Weltbeherrscher hindeuten, und in einem für jene Zeiten ungeheuren Feldzug uns ein Vorspiel künftiger Großtaten geben. Kedor Laomor, König von Elam, wirkt schon mächtig auf Verbündete. Er herrscht lange Zeit: denn schon zwölf Jahre vor Abrahams Ankunft in Kanaan hatte er bis an den Jordan die Völker zinsbar gemacht. Sie waren endlich abgefallen, und die Verbündeten rüsten sich zum Kriege. Wir finden sie unvermutet auf einem Wege, auf dem wahrscheinlich auch Abraham nach Kanaan gelangte. Die Völker an der linken und untern Seite des Jordan werden bezwungen. Kedor Laomor richtet seinen Zug südwärts nach den Völkern der Wüste, sodann sich nordwärts wendend schlägt er die Amalekiter, und als er auch die Amoriter überwunden, gelangt er nach Kanaan, überfällt die Könige des Tals Siddim, schlägt und zerstreut sie, und zieht mit großer Beute den Jordan aufwärts, um seinen Siegerzug bis gegen den Libanon auszudehnen.

Unter den Gefangenen, Beraubten, mit ihrer Habe Fortgeschleppten befindet sich auch Lot, der das Schicksal des Landes teilt, worin er als Gast sich befindet. Abraham vernimmt es, und hier sehen wir sogleich den Erzvater als Krieger und Helden. Er rafft seine Knechte zusammen, teilt sie in Haufen, fällt auf den beschwerlichen Beutetroß, verwirrt die Sieghaften, die im Rücken keinen Feind mehr vermuten konnten, und bringt seinen Bruder und dessen Habe nebst manchem von der Habe der überwundenen Könige zurück. Durch diesen kurzen Kriegszug nimmt Abraham gleichsam von dem Lande Besitz. Den Einwohnern erscheint er als Beschützer, als Retter, und durch seine Uneigennützigkeit als König. Dankbar empfangen ihn die Könige des Tals, segnend Melchisedek der König und Priester.

Nun werden die Weissagungen einer unendlichen Nachkommenschaft erneut, ja sie gehen immer mehr ins Weite. Vom Wasser des Euphrat bis zum Fluß Ägyptens werden ihm die sämtlichen Landstrecken versprochen; aber noch sieht es mit seinen unmittelbaren Leibeserben mißlich aus. Er ist achtzig Jahr alt und hat keinen Sohn. Sara, weniger den Göttern vertrauend als er, wird ungeduldig: sie will nach orientalischer Sitte durch ihre Magd einen Nachkommen haben. Aber kaum ist Hagar dem Hausherrn vertraut, kaum ist Hoffnung zu einem Sohne, so zeigt sich der Zwiespalt im Hause. Die Frau begegnet ihrer eignen Beschützten übel genug, und Hagar flieht, um bei andern Horden einen bessern Zustand zu finden. Nicht ohne höheren Wink kehrt sie zurück, und Ismael wird geboren.

 

Abraham ist nun neunundneunzig Jahr alt, und die Verheißungen einer zahlreichen Nachkommenschaft werden noch immer wiederholt, so daß am Ende beide Gatten sie lächerlich finden. Und doch wird Sara zuletzt guter Hoffnung und bringt einen Sohn, dem der Name Isaak zuteil wird.

Auf gesetzmäßiger Fortpflanzung des Menschengeschlechts ruht größtenteils die Geschichte. Die bedeutendsten Weltbegebenheiten ist man bis in die Geheimnisse der Familien zu verfolgen genötigt; und so geben uns auch die Ehen der Erzväter zu eignen Betrachtungen Anlaß. Es ist, als ob die Gottheiten, welche das Schicksal der Menschen zu leiten beliebten, die ehelichen Ereignisse jeder Art hier gleichsam im Vorbilde hätten darstellen wollen. Abraham, so lange Jahre mit einer schönen, von vielen umworbenen Frau in kinderloser Ehe, findet sich in seinem hundertsten als Gatte zweier Frauen, als Vater zweier Söhne, und in diesem Augenblick ist sein Hausfriede gestört. Zwei Frauen neben einander sowie zwei Söhne von zwei Müttern gegen einander über vertragen sich unmöglich. Derjenige Teil, der durch Gesetze, Herkommen und Meinung weniger begünstigt ist, muß weichen. Abraham muß die Neigung zu Hagar, zu Ismael aufopfern; beide werden entlassen und Hagar genötigt, den Weg, den sie auf einer freiwilligen Flucht eingeschlagen, nunmehr wider Willen anzutreten, anfangs, wie es scheint, zu des Kindes und ihrem Untergang; aber der Engel des Herrn, der sie früher zurückgewiesen, rettet sie auch diesmal, damit Ismael auch zu einem großen Volk werde, und die unwahrscheinlichste aller Verheißungen selbst über ihre Grenzen hinaus in Erfüllung gehe.

Zwei Eltern in Jahren und ein einziger spätgeborner Sohn: hier sollte man doch endlich eine häusliche Ruhe, ein irdisches Glück erwarten! Keineswegs. Die Himmlischen bereiten dem Erzvater noch die schwerste Prüfung. Doch von dieser können wir nicht reden, ohne vorher noch mancherlei Betrachtungen anzustellen.

Sollte eine natürliche allgemeine Religion entspringen, und sich eine besondere geoffenbarte daraus entwickeln, so waren die Länder, in denen bisher unsere Einbildungskraft verweilt, die Lebensweise, die Menschenart wohl am geschicktesten dazu; wenigstens finden wir nicht, daß in der ganzen Welt sich etwas ähnlich Günstiges und Heitres hervorgetan hätte. Schon zur natürlichen Religion, wenn wir annehmen, daß sie früher in dem menschlichen Gemüte entsprungen, gehört viel Zartheit der Gesinnung: denn sie ruht auf der Überzeugung einer allgemeinen Vorsehung, welche die Weltordnung im ganzen leite. Eine besondre Religion, eine von den Göttern diesem oder jenem Volk geoffenbarte, führt den Glauben an eine besondre Vorsehung mit sich, die das göttliche Wesen gewissen begünstigten Menschen, Familien, Stämmen und Völkern zusagt. Diese scheint sich schwer aus dem Innern des Menschen zu entwickeln. Sie verlangt Überlieferung, Herkommen, Bürgschaft aus uralter Zeit.

Schön ist es daher, daß die israelitische Überlieferung gleich die ersten Männer, welche dieser besondern Vorsehung vertrauen, als Glaubenshelden darstellt, welche von jenem hohen Wesen, dem sie sich abhängig erkennen, alle und jede Gebote ebenso blindlings befolgen, als sie, ohne zu zweifeln, die späten Erfüllungen seiner Verheißungen abzuwarten nicht ermüden.

So wie eine besondere geoffenbarte Religion den Begriff zum Grunde legt, daß einer mehr von den Göttern begünstigt sein könne als der andre, so entspringt sie auch vorzüglich aus der Absonderung der Zustände. Nahe verwandt schienen sich die ersten Menschen, aber ihre Beschäftigungen trennten sie bald. Der Jäger war der freieste von allen; aus ihm entwickelte sich der Krieger und der Herrscher. Der Teil, der den Acker baute, sich der Erde verschrieb, Wohnungen und Scheuern aufführte, um das Erworbene zu erhalten, konnte sich schon etwas dünken, weil sein Zustand Dauer und Sicherheit versprach. Dem Hirten an seiner Stelle schien der ungemessenste Zustand sowie ein grenzenloser Besitz zuteil geworden. Die Vermehrung der Herden ging ins Unendliche, und der Raum, der sie ernähren sollte, erweiterte sich nach allen Seiten. Diese drei Stände scheinen sich gleich anfangs mit Verdruß und Verachtung angesehn zu haben und wie der Hirte dem Städter ein Greuel war, so sonderte er auch sich wieder von diesem ab. Die Jäger verlieren sich aus unsern Augen in die Gebirge, und kommen nur als Eroberer wieder zum Vorschein.

Zum Hirtenstande gehörten die Erzväter. Ihre Lebensweise auf dem Meere der Wüsten und Weiden gab ihren Gesinnungen Breite und Freiheit, das Gewölbe des Himmels, unter dem sie wohnten, mit allen seinen nächtlichen Sternen ihren Gefühlen Erhabenheit, und sie bedurften mehr als der tätige gewandte Jäger, mehr als der sichre sorgfältige hausbewohnende Ackersmann des unerschütterlichen Glaubens, daß ein Gott ihnen zur Seite ziehe, daß er sie besuche, an ihnen Anteil nehme, sie führe und rette.

Zu noch einer andern Betrachtung werden wir genötigt, indem wir zur Geschichtsfolge übergehen. So menschlich, schön und heiter auch die Religion der Erzväter erscheint, so gehen doch Züge von Wildheit und Grausamkeit hindurch, aus welcher der Mensch herankommen, oder worein er wieder versinken kann.

Daß der Haß sich durch das Blut, durch den Tod des überwundenen Feindes versöhne, ist natürlich; daß man auf dem Schlachtfelde zwischen den Reihen der Getöteten einen Frieden schloß, läßt sich wohl denken, daß man ebenso durch geschlachtete Tiere ein Bündnis zu befestigen glaubte, fließt aus dem Vorhergehenden; auch daß man die Götter, die man doch immer als Partei, als Widersacher oder als Beistand, ansah, durch Getötetes herbeiziehen, sie versöhnen, sie gewinnen könne, über diese Vorstellung hat man sich gleichfalls nicht zu verwundern. Bleiben wir aber bei den Opfern stehen, und betrachten die Art, wie sie in jener Urzeit dargebracht wurden, so finden wir einen seltsamen, für uns ganz widerlichen Gebrauch, der wahrscheinlich auch aus dem Kriege hergenommen, diesen nämlich: die geopferten Tiere jeder Art, und wenn ihrer noch so viel gewidmet wurden, mußten in zwei Hälften zerhauen, an zwei Seiten gelegt werden, und in der Straße dazwischen befanden sich diejenigen, die mit der Gottheit einen Bund schließen wollten.

Wunderbar und ahndungsvoll geht durch jene schöne Welt noch ein anderer schrecklicher Zug, daß alles, was geweiht, was verlobt war, sterben mußte: wahrscheinlich auch ein auf den Frieden übertragener Kriegsgebrauch. Den Bewohnern einer Stadt, die sich gewaltsam wehrt, wird mit einem solchen Gelübde gedroht; sie geht über, durch Sturm oder sonst; man läßt nichts am Leben, Männer keineswegs, und manchmal teilen auch Frauen, Kinder, ja das Vieh ein gleiches Schicksal. Übereilter und abergläubischer Weise werden, bestimmter oder unbestimmter, dergleichen Opfer den Göttern versprochen; und so kommen die, welche man schonen möchte, ja sogar die Nächsten, die eigenen Kinder, in den Fall, als Sühnopfer eines solchen Wahnsinns zu bluten.

In dem sanften, wahrhaft urväterlichen Charakter Abrahams konnte eine so barbarische Anbetungsweise nicht entspringen; aber die Götter, welche manchmal, um uns zu versuchen, jene Eigenschaften hervorzukehren scheinen, die der Mensch ihnen anzudichten geneigt ist, befehlen ihm das Ungeheure. Er soll seinen Sohn opfern, als Pfand des neuen Bundes, und, wenn es nach dem Hergebrachten geht, ihn nicht etwa nur schlachten und verbrennen, sondern ihn in zwei Stücke teilen, und zwischen seinen rauchenden Eingeweiden sich von den gütigen Göttern eine neue Verheißung erwarten. Ohne Zaudern und blindlings schickt Abraham sich an, den Befehl zu vollziehen: den Göttern ist der Wille hinreichend. Nun sind Abrahams Prüfungen vorüber: denn weiter konnten sie nicht gesteigert werden. Aber Sara stirbt, und dies gibt Gelegenheit, daß Abraham von dem Lande Kanaan vorbildlich Besitz nimmt. Er bedarf eines Grabes, und dies ist das erstemal, daß er sich nach einem Eigentum auf dieser Erde umsieht. Eine zweifache Höhle gegen den Hain Mamre mag er sich schon früher ausgesucht haben. Diese kauft er mit dem daran stoßenden Acker, und die Form Rechtens, die er dabei beobachtet, zeigt, wie wichtig ihm dieser Besitz ist. Er war es auch, mehr als er sich vielleicht selbst denken konnte: denn er, seine Söhne und Enkel sollten daselbst ruhen, und der nächste Anspruch auf das ganze Land, sowie die immerwährende Neigung seiner Nachkommenschaft, sich hier zu versammeln, dadurch am eigentlichsten begründet werden.

Von nun an gehen die mannigfaltigen Familienszenen abwechselnd vor sich. Noch immer hält sich Abraham streng abgesondert von den Einwohnern, und wenn Ismael, der Sohn einer Ägypterin, auch eine Tochter dieses Landes geheiratet hat, so soll nun Isaak sich mit einer Blutsfreundin, einer Ebenbürtigen, vermählen.

Abraham sendet seinen Knecht nach Mesopotamien zu den Verwandten, die er dort zurückgelassen. Der kluge Eleasar kommt unerkannt an, und um die rechte Braut nach Hause zu bringen, prüft er die Dienstfertigkeit der Mädchen am Brunnen. Er verlangt zu trinken für sich, und ungebeten tränkt Rebekka auch seine Kamele. Er beschenkt sie, er freiet um sie, die ihm nicht versagt wird. So führt er sie in das Haus seines Herrn, und sie wird Isaak angetraut. Auch hier muß die Nachkommenschaft lange Zeit erwartet werden. Erst nach einigen Prüfungsjahren wird Rebekka gesegnet, und derselbe Zwiespalt, der in Abrahams Doppelehe von zwei Müttern entstand, entspringt hier von einer. Zwei Knaben von entgegengesetztem Sinne balgen sich schon unter dem Herzen der Mutter. Sie treten ans Licht: der ältere lebhaft und mächtig, der jüngere zart und klug; jener wird des Vaters, dieser der Mutter Liebling. Der Streit um den Vorrang, der schon bei der Geburt beginnt, setzt sich immer fort. Esau ist ruhig und gleichgültig über die Erstgeburt, die ihm das Schicksal zugeteilt; Jakob vergißt nicht, daß ihn sein Bruder zurückgedrängt. Aufmerksam auf jede Gelegenheit, den erwünschten Vorteil zu gewinnen, handelt er seinem Bruder das Recht der Erstgeburt ab, und bevorteilt ihn um des Vaters Segen. Esau ergrimmt und schwört dem Bruder den Tod, Jakob entflieht, um in dem Lande seiner Vorfahren sein Glück zu versuchen.

Nun, zum erstenmal in einer so edlen Familie, erscheint ein Glied, das kein Bedenken trägt, durch Klugheit und List die Vorteile zu erlangen, welche Natur und Zustände ihm versagten. Es ist oft genug bemerkt und ausgesprochen worden, daß die Heiligen Schriften uns jene Erzväter und andere von Gott begünstigte Männer keineswegs als Tugendbilder aufstellen wollen. Auch sie sind Menschen von den verschiedensten Charaktern, mit mancherlei Mängeln und Gebrechen; aber eine Haupteigenschaft darf solchen Männern nach dem Herzen Gottes nicht fehlen: es ist der unerschütterliche Glaube, daß Gott sich ihrer und der Ihrigen besonders annehme.

Die allgemeine, die natürliche Religion bedarf eigentlich keines Glaubens: denn die Überzeugung, daß ein großes, hervorbringendes, ordnendes und leitendes Wesen sich gleichsam hinter der Natur verberge, um sich uns faßlich zu machen, eine solche Überzeugung dringt sich einem jeden auf; ja wenn er auch den Faden derselben, der ihn durchs Leben führt, manchmal fahren ließe, so wird er ihn doch gleich und überall wieder aufnehmen können. Ganz anders verhält sich's mit der besondern Religion, die uns verkündigt, daß jenes große Wesen sich eines Einzelnen, eines Stammes, eines Volkes, einer Landschaft entschieden und vorzüglich annehme. Diese Religion ist auf den Glauben gegründet, der unerschütterlich sein muß, wenn er nicht sogleich von Grund aus zerstört werden soll. Jeder Zweifel gegen eine solche Religion ist ihr tödlich. Zur Überzeugung kann man zurückkehren, aber nicht zum Glauben. Daher die unendlichen Prüfungen, das Zaudern der Erfüllung so wiederholter Verheißungen, wodurch die Glaubensfähigkeit jener Ahnherren ins hellste Licht gesetzt wird.

Auch in diesem Glauben tritt Jakob seinen Zug an, und wenn er durch List und Betrug unsere Neigung nicht erworben hat, so gewinnt er sie durch die dauernde und unverbrüchliche Liebe zu Rahel, um die er selbst aus dem Stegreife wirbt, wie Eleasar für seinen Vater um Rebekka geworben hatte. In ihm sollte sich die Verheißung eines unermeßlichen Volkes zuerst vollkommen entfalten; er sollte viele Söhne um sich sehen, aber auch durch sie und ihre Mütter manches Herzeleid erleben.

Sieben Jahre dient er um die Geliebte, ohne Ungeduld und ohne Wanken. Sein Schwiegervater, ihm gleich an List, gesinnt wie er, um jedes Mittel zum Zweck für rechtmäßig zu halten, betriegt ihn, vergilt ihm, was er an seinem Bruder getan: Jakob findet eine Gattin, die er nicht liebt, in seinen Armen. Zwar, um ihn zu besänftigen, gibt Laban nach kurzer Zeit ihm die geliebte dazu, aber unter der Bedingung sieben neuer Dienstjahre; und so entspringt nun Verdruß aus Verdruß. Die nicht geliebte Gattin ist fruchtbar, die geliebte bringt keine Kinder; diese will wie Sara durch eine Magd Mutter werden, jene mißgönnt ihr auch diesen Vorteil. Auch sie führt ihrem Gatten eine Magd zu, und nun ist der gute Erzvater der geplagteste Mann von der Welt: vier Frauen, Kinder von dreien, und keins von der geliebten! Endlich wird auch diese beglückt, und Joseph kommt zur Welt, ein Spätling der leidenschaftlichsten Liebe. Jakobs vierzehn Dienstjahre sind um; aber Laban will in ihm den ersten, treusten Knecht nicht entbehren. Sie schließen neue Bedingungen und teilen sich in die Herden. Laban behält die von weißer Farbe, als die der Mehrzahl; die scheckigen, gleichsam nur den Ausschuß, läßt sich Jakob gefallen. Dieser weiß aber auch hier seinen Vorteil zu wahren, und wie er durch ein schlechtes Gericht die Erstgeburt und durch eine Vermummung den väterlichen Segen gewonnen, so versteht er nun durch Kunst und Sympathie den besten und größten Teil der Herde sich zuzueignen, und wird auch von dieser Seite der wahrhaft würdige Stammvater des Volks Israel und ein Musterbild für seine Nachkommen. Laban und die Seinigen bemerken, wo nicht das Kunststück, doch den Erfolg. Es gibt Verdruß; Jakob flieht mit allen den Seinigen mit aller Habe, und entkommt dem nachsetzenden Laban teils durch Glück, teils durch List. Nun soll ihm Rahel noch einen Sohn schenken; sie stirbt aber in der Geburt: der Schmerzensohn Benjamin überlebt sie, aber noch größern Schmerz soll der Altvater bei dem anscheinenden Verlust seines Sohnes Joseph empfinden.

 

Vielleicht möchte jemand fragen, warum ich diese allgemein bekannten, so oft wiederholten und ausgelegten Geschichten hier abermals umständlich vortrage. Diesem dürfte zur Antwort dienen, daß ich auf keine andere Weise darzustellen wüßte, wie ich bei meinem zerstreuten Leben, bei meinem zerstückelten Lernen dennoch meinen Geist, meine Gefühle auf einen Punkt zu einer stillen Wirkung versammelte; weil ich auf keine andere Weise den Frieden zu schildern vermöchte, der mich umgab, wenn es auch draußen noch so wild und wunderlich herging. Wenn eine stets geschäftige Einbildungskraft, wovon jenes Märchen ein Zeugnis ablegen mag, mich bald da- bald dorthin führte, wenn das Gemisch von Fabel und Geschichte, Mythologie und Religion mich zu verwirren drohte, so flüchtete ich gern nach jenen morgenländischen Gegenden, ich versenkte mich in die ersten Bücher Mosis und fand mich dort unter den ausgebreiteten Hirtenstämmen zugleich in der größten Einsamkeit und in der größten Gesellschaft.

Diese Familienauftritte, ehe sie sich in eine Geschichte des israelitischen Volks verlieren sollten, lassen uns nun zum Schluß noch eine Gestalt sehen, an der sich besonders die Jugend mit Hoffnungen und Einbildungen gar artig schmeicheln kann: Joseph, das Kind der leidenschaftlichsten ehelichen Liebe. Ruhig erscheint er uns und klar, und prophezeit sich selbst die Vorzüge, die ihn über seine Familie erheben sollten. Durch seine Geschwister ins Unglück gestoßen, bleibt er standhaft und rechtlich in der Sklaverei, widersteht den gefährlichsten Versuchungen, rettet sich durch Weissagung, und wird zu hohen Ehren nach Verdienst erhoben. Erst zeigt er sich einem großen Königreiche, sodann den Seinigen hülfreich und nützlich. Er gleicht seinem Urvater Abraham an Ruhe und Großheit, seinem Großvater Isaak an Stille und Ergebenheit. Den von seinem Vater ihm angestammten Gewerbsinn übt er im großen: es sind nicht mehr Herden, die man einem Schwiegervater, die man für sich selbst gewinnt, es sind Völker mit allen ihren Besitzungen, die man für einen König einzuhandeln versteht. Höchst anmutig ist diese natürliche Erzählung, nur erscheint sie zu kurz, und man fühlt sich berufen, sie ins einzelne auszumalen.

Ein solches Ausmalen biblischer, nur im Umriß angegebener Charaktere und Begebenheiten war den Deutschen nicht mehr fremd. Die Personen des Alten und Neuen Testaments hatten durch Klopstock ein zartes und gefühlvolles Wesen gewonnen, das dem Knaben sowie vielen seiner Zeitgenossen höchlich zusagte. Von den Bodmerischen Arbeiten dieser Art kam wenig oder nichts zu ihm; aber »Daniel in der Löwengrube«, von Moser, machte große Wirkung auf das junge Gemüt. Hier gelangt ein wohldenkender Geschäfts- und Hofmann durch mancherlei Trübsale zu hohen Ehren, und seine Frömmigkeit, durch die man ihn zu verderben drohte, ward früher und später sein Schild und seine Waffe. Die Geschichte Josephs zu bearbeiten war mir lange schon wünschenswert gewesen; allein ich konnte mit der Form nicht zurecht kommen, besonders da mir keine Versart geläufig war, die zu einer solchen Arbeit gepaßt hätte. Aber nun fand ich eine prosaische Behandlung sehr bequem und legte mich mit aller Gewalt auf die Bearbeitung. Nun suchte ich die Charaktere zu sondern und auszumalen, und durch Einschaltung von Inzidenzien und Episoden die alte einfache Geschichte zu einem neuen und selbstständigen Werke zu machen. Ich bedachte nicht, was freilich die Jugend nicht bedenken kann, daß hiezu ein Gehalt nötig sei, und daß dieser uns nur durch das Gewahrwerden der Erfahrung selbst entspringen könne. Genug, ich vergegenwärtigte mir alle Begebenheiten bis ins kleinste Detail, und erzählte sie mir der Reihe nach auf das genauste.

Was mir diese Arbeit sehr erleichterte, war ein Umstand, der dieses Werk und überhaupt meine Autorschaft höchst voluminos zu machen drohte. Ein junger Mann von vielen Fähigkeiten, der aber durch Anstrengung und Dünkel blödsinnig geworden war, wohnte als Mündel in meines Vaters Hause, lebte ruhig mit der Familie und war sehr still und in sich gekehrt, und, wenn man ihn auf seine gewohnte Weise verfahren ließ, zufrieden und gefällig. Dieser hatte seine akademischen Hefte mit großer Sorgfalt geschrieben, und sich eine flüchtige leserliche Hand erworben. Er beschäftigte sich am liebsten mit Schreiben, und sah es gern, wenn man ihm etwas zu kopieren gab; noch lieber aber, wenn man ihm diktierte, weil er sich alsdann in seine glücklichen akademischen Jahre versetzt fühlte. Meinem Vater, der keine expedite Hand schrieb, und dessen deutsche Schrift klein und zittrig war, konnte nichts erwünschter sein, und er pflegte daher, bei Besorgung eigner sowohl als fremder Geschäfte, diesem jungen Manne gewöhnlich einige Stunden des Tags zu diktieren. Ich fand es nicht minder bequem, in der Zwischenzeit alles, was mir flüchtig durch den Kopf ging, von einer fremden Hand auf dem Papier fixiert zu sehen, und meine Erfindungs-und Nachahmungsgabe wuchs mit der Leichtigkeit des Auffassens und Aufbewahrens.

Ein so großes Werk als jenes biblische prosaisch-epische Gedicht hatte ich noch nicht unternommen. Es war eben eine ziemlich ruhige Zeit, und nichts rief meine Einbildungskraft aus Palästina und Ägypten zurück. So quoll mein Manuskript täglich um so mehr auf, als das Gedicht streckenweise, wie ich es mir selbst gleichsam in die Luft erzählte, auf dem Papier stand, und nur wenige Blätter von Zeit zu Zeit umgeschrieben zu werden brauchten.