Das große Geschäft

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Von Kindheit an werden von uns Menschen die jeweils kulturspezifisch vorgegebenen Auffassungen mit erlernt, die ein grobes Raster für all die Gerüche vorgeben, die gesellschaftlich als wohlriechend oder eben stinkend und ekelig gelten können. Sie unterliegen dem historischen Wandel. Alain Corbin schreibt in seiner überwiegend aus französischen Quellen gespeisten Geschichte des Geruchs, menschlicher und tierischer Kot hätte früher in gewissen Kreisen als wohlriechend und sogar heilsam gegolten. Dass insbesondere die Ausgasung der eigenen Exkremente in aller Regel nicht als Gestank wahrgenommen wurde und wird, bestätigt Michel de Montaigne (1533 – 1592). In seinen Essais zitiert der Philosoph eine bezeichnende Überlieferung aus dem Altertum: »Unser liebster Duft, was ist es? / ​Der Gestank des eigenen Mistes!«33

Dass das Odeur der eigenen Exkremente und Winde in aller Regel keine Ekelgefühle erregt, die Düfte der Ausscheidungen von Mitmenschen im Zweifelsfall aber sehr wohl, gehört offenbar seit ehedem zur (ontologischen) Begleiterscheinung des kleinen und großen Menschengeschäfts. In einem düsteren Männer-WC las ich vor Jahren den Kommentar: »Eigenlob stinkt, aber hier riecht’s auch nicht nach Flieder.«

00 3 Vom Winde verweht

Über einen verachtenswerten Mensch heißt es: Er ist keinen Furz wert; über einen Choleriker: Jeder Furz kommt ihm in die Quere. Vom Kirchenpersonal ist überliefert: Luft ist Luft, sagte der Pfaffe, und ließ einen streichen. Angeberische Mitmenschen müssen mit der Warnung rechnen: Man muss nicht stärker furzen wollen, als der Arsch vermag. Und ich? Hei is ’n Dichter! seggt de Buer, hei makt ut’n Furz ’n Dunnerschlag. Nun mal sachte. Ich thematisiere in diesem Kapitel die Darmwinde, weil sie seit Menschengedenken eng mit den toilettenkulturellen Gegebenheiten verbunden sind. In der gegenwärtig von Ratgeber-Traktaten durchsetzten Welt des WWW wird das umgehend nachvollziehbar, wenn etwa der Klick die wikihow.com wählt, wo auch Kinder und Jugendliche eine streng ins Auge genommene Zielgruppe für die Beherrschung des »leisen Furzens« sind. Die grafisch unterhaltsam aufgemachte – ellenlange – Unterweisung hebt so an:

»Auch wenn es als Kind natürlich immer großartig gewesen ist, möglichst laut zu furzen, wird dir in der Welt der Erwachsenen ein lauter Furz wohl keine Freunde verschaffen – und wohl kaum anziehend auf das andere Geschlecht wirken. Du solltest dich nicht dafür schämen, pupsen zu müssen, aber es gibt ein paar Tricks, wie du deine Flatulenzen verstecken und so leise wie möglich ablassen kannst. Sie werden unter Umständen natürlich immer noch furchtbar stinken, aber zumindest werden sie auch leise sein.«34

Unter den vielen, mich erheiternden Kniffen, »wie du leise furzen kannst« – vom laut eingestellten Klingelton des Handys bis zum Buchstapelumkippen als Übertönungsvarianten –, zählt nicht zuletzt der Hinweis: »Gehe ins Badezimmer. Der einfachste Weg, leise furzen zu können, ist, dich zu entschuldigen und dich ins Badezimmer zurückzuziehen. Drehe den Wasserhahn auf und lasse deinen Druck ab. Wenn du Angst hast, dass du dennoch gehört werden könntest, kannst du sogar die Spülung betätigen.«35 Auch vielen anderen einschlägigen Benimmratgebern zufolge soll der im Beisein von Mitmenschen sich ankündigende Flatus möglichst unhör- und nicht wahrnehmbar auf der Toilette bzw. im Badezimmer entfahren. Schon deshalb verdient er eine nähere kulturhistorische Betrachtung.

Es mag ja sein, dass die Wissenschaftler aller Fakultäten alles Mögliche im Griff haben oder zu haben glauben. Die Meteorologen zum Beispiel verstehen sich auf die ziemlich genaue Vorhersage von Stürmen und Orkanen, andere Fachleute auf Berechnungen sturmflutsicherer Deichbauten, Sprachforscher auf das Sprichwort: »Wo Wasser ist, da ist auch Wind, sagte jener, schlug sein Wasser ab und ließ einen streichen.« Zu den Winden, für die es weder eine zeitlich genaue Vorhersage, noch ein absolut wirksames Gegenmittel gibt, gehört der 2015 im Kino nachgerade explosiv zu allen Ehren gekommene Flatus bzw. Crepitus, auch Darmwind, Leibwind, Blähung, Furz oder Pups genannt.

In Doktor Proktors Pupspulver, der Verfilmung des gleichnamigen Kinderbuchs von Jo Nesbø, kommen die beiden Nachbarskinder Lise und Bulle groß raus und haben großen Spaß an den Experimenten eines eigenwilligen Tüftlers.36 Zu den Erfindungen des Doktor Proktor zählt nicht zuletzt das Pupspulver, das geruchlose, explosive Winde produziert. Es eignet sich dank menschlicher Fantasie sogar dazu, Leute raketenschnell durch die Gegend fliegen zu lassen. Lise wird von der zwölf Jahre alten Emily Glaister gespielt. Als sie in einem Interview gefragt wurde, ob das Pupspulver wirklich wirkt und ob sie während der Dreharbeiten auch pupsen musste, bekannte sie: »Nein, es hat nicht wirklich funktioniert. Aber ich denke, wenn man genug davon isst, dann kann man schon viel pupsen. Aber anders als im Film stinkt es trotzdem wie immer. Manchmal mussten wir wirklich pupsen, ja. Ansonsten haben sie das Geräusch aber auch einfach eingespielt. Oft mussten wir auch nur so tun, als ob wir pupsen, und dann noch passende Geräusche machen.« Eine Superpups-Empfehlung hatte die junge Schauspielerin auch in petto: »Also, ganz klar: Esst Bohnen! Das funktioniert wirklich gut. Das ist mein Tipp. Obwohl, wenn man viel Limonade trinkt, dann kann man auch gut pupsen. Zumindest hat das bei mir funktioniert.«37

Apropos Flatulenz. So bezeichnen die Mediziner die verstärkte Entwicklung von Gasen wie Methan, Kohlenstoffdioxid und Schwefelwasserstoff in Magen und Darm und deren mit spezifischen Gerüchen verbundenes rektales Entweichen (von lat. flatus = Wind). Wenn sie Meteorismus diagnostizieren, verbieten sich Scherze oder Weisheiten wie: »Besser einen Furz lassen, als den Arzt zu Rate ziehen«, denn dann geht es um eine übermäßige Ansammlung von Verdauungsgasen im Margen-Darmtrakt, die Blähsucht, die problematisch verlaufen kann. Etwa bei Menschen, die unter Obstipation (Verstopfung) oder Dyspepsie (Darmverschluss) leiden.

Über die Ursachen, das Fahrenlassen und Zurückhalten, den Geruch und alle sonstigen Begleitumstände des Flatus machen sich Menschen seit Langem so ihre Gedanken – nicht zuletzt der Begründer der Medizin als Wissenschaft, Hippokrates Kos (ca. 460– ca. 370 v. u. Z.). Das überlieferte Corpus Hippocraticum besteht aus rund sechzig Schriften. Sie wurden allerdings von unterschiedlichen Personen verfasst, und womöglich stammt keine dieser Schriften direkt von Hippokrates. Wie dem auch sei, in Johann Grimms Übersetzung aus dem Griechischen von 1837 klingen die frühen medizinischen Einkreisungsversuche belebend so:

»Der Körper der Menschen und der übrigen lebenden Wesen werden durch dreifache Nahrung ernährt, und diese sind namentlich: Speise, Trank, Luftgeist (die Lebensluft). Der Luftgeist innerhalb des Körpers wird Blähung, der außerhalb des Körpers Luft genannt. Diese übt auf Alles, was dem Körper zustößt, einen sehr großen Einfluß aus, und es ist wohl der Mühe wert, ihre Kraft in Betrachtung zu ziehen. Wind ist nämlich ein Wogen und Ausströmen der Luft. Wenn also eine Menge Luft einen starken Luftstrom erregt, so werden die Bäume durch die Gewalt des Luftgeistes mit der Wurzel aus der Erde gerissen, das Meer braust und schlägt Wellen, und die ungeheuren großen Lastschiffe werden in die Höhe geschleudert. Eine solche Kraft übt der Luftgeist also auf diese Gegenstände aus; wiewohl er mit den Augen nicht gesehen wird, so ist er doch der Vernunft sichtbar. […] Dieser Abhandlung muß ich sogleich hinzufügen, daß die Krankheiten wahrscheinlich kaum irgendwo andersher als aus der Luft entstehen, wenn dieser Luftgeist in zu großem oder in zu geringem Maße, oder zu dicht oder mit Miasmen [Verunreinigungen] geschwängert, in den Körper eindringt.«38

Blähungen und Winde wurden von den Hippokratikern auf den »Luftgeist« zurückgeführt. Gut, dass ihre pathologischen Vorstellungen nur mehr von historischem Interesse sind. Ihr Verständnis der Flatulenz ist schon deshalb mit Vorsicht zu genießen, weil sie zum Beispiel zur mit schwindender »Denkkraft« einhergehenden »heiligen Krankheit«, der Epilepsie, führen sollte. Der Darmwind ist von Flatologen inzwischen hinreichend erforscht. So wissen die Nachfolger des Hippokrates exakt zu sagen, in welchen Regionen des Darmes er entsteht: in der rechten (aufsteigenden) Seite des Dickdarms durch Gärung des Verdauungsbreis und in der linken (absteigenden) durch Fäulnis. Die sich dabei bildenden Wasserstoff- und Kohlendioxidgase treffen auf Sauerstoff- und Stickstoffgase, die durch das Essen oder Trinken begleitende Luftschlucken über den Magen in den Verdauungstrakt gelangt sind. Zwar gleicht kein Flatus dem anderen, aber rein statistisch besteht er aus sechzig Prozent Stickstoff, zwanzig Prozent Wasserstoff, fünfzehn Prozent Kohlendioxid und fünf Prozent Sauerstoff. Noch besser: Wissenschaftlich erwiesen ist, dass rund 99 Prozent dieser entweichenden Gase erstaunlicherweise anaromatisch sind, also geruchsfrei. Präziser: Nur ein Prozent der Fürze haben die fatale Neigung, wie stark auch immer übelriechend aus dem Rektum zu entweichen – übrigens mit Geschwindigkeiten zwischen 0,1 und 1,1 Meter pro Sekunde. Warum sie Gestank verbreiten, ist längst kein Rätsel mehr. Vor allem irreguläre Verdauungsprozesse sorgen für die Bildung flüchtiger Eiweißabbauprodukte wie Indol, Skatol und vor allem Schwefelwasserstoff, die genau die Bestandteile des Flatus bilden, die fachlich als »fötid« bezeichnet werden. Bei darmgesunden Menschen machen diese olfaktorisch intensiven Spurengase freilich nur ein Prozent der intestinalen Gasproduktion aus.

 

Erforscht ist nicht zuletzt, wie viele Fürze ein gesunder Mensch im statistischen Tagesmittel fahren lässt. Rund fünfzehn, wenn die Wissenschaftler nicht irren. Dabei variiert das abgegebene Gasvolumen individuell und je nach Beschaffenheit der von der Verdauung erfassten Nahrungsmasse; es beträgt zwischen 0,2 und gut zwei Litern täglich und wird in Ausstößen von durchschnittlich vierzig Millilitern entlassen.39

In einem wohl allseits bekannten, schlicht gereimten Gedicht wird eine bemerkenswerte These laut: Salomon der Weise spricht: / ​Laute Fürze stinken nicht, / ​aber die so leise zischen / ​und so still dem Arsch entwischen,/​Mensch, vor denen hüte Dich, / ​denn die stinken fürchterlich. Leise Fürze stinken mehr als laute? Einmal abgesehen vom zweifelhaften Wahrheitsgehalt dieser Aussage gibt es bereits in dem wichtigsten Prosawerk der deutschen Barockliteratur eine wunderbare Auseinandersetzung mit dieser duftenden Sache. Der 1668 erschienene Abentheurliche Simplicissimus Teutsch von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (1625 – 1676) spielt zur Zeit des für die Bevölkerung so fürchterlichen wie traumatisierenden Dreißigjährigen Krieges, der 1648 ein Ende gefunden hatte. Held des laut Titelblatt »überauß lustig und männiglich nutzlich« zu lesenden Romans ist der »seltsame« Vagant Simplicius, der bei einem Einsiedler aufgewachsen und im Jahr 1635 in der Gegend von Hanau festgenommen wird. Er wird von dem ihm gewogenen Gouverneur Ramsay als Page eingesetzt und von dessen Sekretär beschult. Am Ende des 27. Kapitels gerät Simplicus während einer Debatte mit dem Lehrer in eine Verlegenheit, die im 28. mit dem Erlernen einer »andere zierliche Kunst« einen versöhnlichen Abschluss findet. Wohlan:

»Der Secretarius mußte meiner lachen, und nahm die Mühe, mir eines und des andern Titel und alle Wort insonderheit auszulegen, ich aber beharrete darauf, daß die Titel nicht recht geben würden, es wäre einem viel rühmlicher, wenn er Freundlich tituliert würde, als Gestreng […]; das Wort Wohlgeborn sei eine ganze Unwahrheit, solches würde eines jeden Barons Mutter bezeugen, wenn man sie fraget’, wie es ihr bei ihres Sohns Geburt ergangen wäre? Indem ich nun dieses also belachte, entrann mir ohnversehens ein solcher grausamer Leibsdunst, daß beides ich und der Secretarius darüber erschraken; dieser meldet’ sich augenblicklich sowohl in unsern Nasen als in der ganzen Schreibstuben so kräftig an, gleichsam als wenn man ihn zuvor nicht genug gehöret hätte. ›Troll dich du Sau‹, sagt‹ der Secretarius zu mir, ›zu andern Säuen in Stall, mit denen du Rülp besser zustimmen, als mit ehrlichen Leuten konversieren kannst!‹ Er mußte aber sowohl als ich den Ort räumen, und dem greulichen Gestank den Platz allein lassen. Und also habe ich meinen guten Handel, den ich in der Schreibstub hatte, dem gemeinen Sprichwort nach auf einmal verkerbt.

Ich kam aber sehr unschuldig in dies Unglück, denn die ungewöhnlichen Speisen und Arzneien, die man mir täglich gab, meinen zusammengeschrumpelten Magen und eingeschnorrtes Gedärm wieder zurechtzubringen, erregten in meinem Bauch viel gewaltige Wetter und starke Sturmwind, welche mich trefflich quälten, wenn sie ihren ungestümen Ausbruch suchten; und demnach ich mir nicht einbildete, daß es übel getan sei, wenn man dies Orts der Natur willfahre, maßen einer solchen innerlichen Gewalt in die Läng zu widerstehen […], ließ ich ihnen Luft, und alles passiern, was nur fort wollte, bis ich erzähltermaßen mein Kredit beim Secretario verloren […].

Mein Herr hatte einen […] Pagen neben mir, welcher schon ein paar Jahr bei ihm gewesen, demselben schenkt ich mein Herz, weil er mit mir gleichen Alters war […]. Einsmals schwätzten wir im Bett lang miteinander, ehe wir entschliefen, und indem wir vom Wahrsagen redeten, versprach er mich solches auch umsonst zu lehren; hieß mich darauf den Kopf unter die Decke tun, denn er überredet’ mich, auf solche Weis müßte er mir die Kunst beibringen. Ich gehorchte fleißig, und gab auf die Ankunft des Wahrsager-Geistes genaue Achtung, potz Glück! derselbe nahm seinen Einzug in meiner Nasen, und zwar so stark, daß ich den ganzen Kopf wieder unter der Decken hervortun mußte. ›Was ists?‹ sagt’ mein Lehrmeister. Ich antwortet’: ›Du hast einen streichen lassen‹; ›Und du‹, antwortet’ er, ›hast wahrgesagt, und kannst also die Kunst am besten.‹ Dieses empfand ich für keinen Schimpf, denn ich hatte damals noch keine Gall, sondern begehrte allein von ihm zu wissen, durch was für einen Vorteil man diesen Kerl so stillschweigend abschaffen könnte? Mein Kamerad antwortet’: ›Diese Kunst ist gering, du darfst nur das linke Bein aufheben, wie ein Hund der an ein Eck brunzt, daneben heimlich sagen: Je pète, je pète, je pète, [ich platze] und mithin so stark gedrückt, als du kannst, so spazieren sie so stillschweigends dahin, als wenn sie gestohlen hätten.‹ ›Es ist gut‹, sagte ich, ›und wenns hernach schon stinkt, so wird man vermeinen, die Hund haben die Luft verfälscht, sonderlich wenn ich das linke Bein fein hoch aufgehoben werde haben.‹ Ach, dachte ich, hätte ich doch diese Kunst heute in der Schreibstuben gewußt.«40

Wie aber kommen die absolut nicht »stillschweigend« entweichenden Leibesdünste zustande – im »teutschen« Werk Simplicissimus gibt es dafür noch keine Erläuterung. Nun, im Normalbetrieb funktioniert die körperliche Gasverteilung hinreichend, sind die Gasdrücke im Darm so gering, dass das fachlich sogenannte sphinkterale Resonanzgeschehen ausbleibt. Fast Dreiviertel der Fürze bleiben bei gesunden Menschen schlicht stumm. Für hörbare Krepitationen sorgen schon leichte, unvermeidliche Ungleichgewichte im Verdauungstrakt, die je nach gegebener Kontraktionsstellung des Schließmuskels Töne produzieren. Letztere variieren je nach Spannung des Schließmuskels, dem Druck, mit der das Gas ausgestoßen wird, sowie dem Mengenvolumen.

Das Befinden gewiss nicht nur meines Organismus hängt immer auch von dem täglich ablaufenden Verdauungsvorgang ab; wenn er partout nicht reibungslos vonstattengeht, sinkt die Stimmung, sind womöglich das Aufsuchen des Arztes oder eine Darmspiegelung angezeigt. Nach einer mittelschweren Nahrungsaufnahme entstehen während des Verdauungsvorgangs immerhin bis zu fünfzehn Liter Darmgas. Diese gesamte Menge stößt jedoch kein Homo sapiens rektal aus. Täte Mensch es, wären konventionelle Kraftwerke überflüssig – reichten die eigenen Winde zur Energieerzeugung völlig aus … Der größte Teil des Darmgases wird über die Darmwand ins Blut diffundiert und über die Lungen abgeatmet. Übrigens ohne dabei einen schlechten Atem zu verursachen; der entsteht anders. Nur wenn sich bei heftig in Wallung geratenen Verdauungsprozessen das Gas so schnell entwickelt, dass die Resorption über den Atemweg an ihre Grenzen kommt, erfolgt plötzlich die rektale Abgabe, entfährt ein Furz. Wohlgemerkt: aus einem verdrießlichen Arsch kein fröhlicher. Und schon stellt sich die seit der Neuzeit in deutschen Landen gern in Rätseln ausgedrückte Frage:

Was ist ein Furz? (Ein unglücklicher Versuch, den Hintern zum Sprechen zu bringen.)

Was ist der Furz für ein Landsmann? (Ein Darmstädter.)

Was hat der Furz für eine Religion? (Er ist ein Quäker.)

Wie kann man den Furz am meisten ärgern? (Wenn man durch ein Sieb furzt, dann weiß er nicht, aus welchem Loch er hinaus soll.)

Was ist spitzer als die Nadel? (Der Furz, er geht durch die Hose und macht doch kein Loch.)

Die Flatulenz kann zuweilen mit dem ungewollten Abgang von Kot einhergehen, etwa in den Anfangsstadien einer Diarrhöe. Vom Volksmund wird dieses Syndrom »falscher Freund« genannt.

Wie sehr verpönt, störend, erwünscht, erheiternd und bejubelt (ich sage nur: abwarten) der die Menschheit von Beginn an treu begleitende Flatus auch immer war und ist – seit dem Aufkommen der Schrift hat er sich einen festen Platz in Texten aller Art erobert. Schon in den Überlieferungen des Altertums sind zahlreiche Anmerkungen zu den Leibwinden und ihren Auswirkungen zu finden – etwa von Aristophanes, Horaz, Martial und Sokrates. Von dem griechischen Philosophen Metrokles (400 – 300 v. u. Z.) wird erzählt, er habe sich in der Öffentlichkeit nicht mehr blicken lassen, nachdem ihm ein wohl gut hörbarer Furz entfahren war. Der römische Lexikograf und Grammatiker (des 2. Jahrhunderts) Sextus Pompeius Festus soll befunden haben, abgelebt sei der Mensch, der wegen des hohen Alters sich nicht bewegen, noch einen Furz lassen kann; der christliche Theologe Origenes (185–ca. 254) spottete über die Windverehrung der Alten und so weiter.

Fest steht, dass schon frühzeitig viele von Winden überraschte Individuen auf die Idee verfielen, aus der Not einfach eine Tugend zu machen. Darmwinde reinigen den Körper, hieß es prompt, sie stärken die Gesundheit und sorgen für Frohsinn. Im frühen Mittelalter hatte sich der Flatus auch in deutschen Landen insoweit emanzipiert, dass er Eingang in die Literatur finden konnte. Die Kanonisse und große Dichterin Hrotsvitha bzw. Roswitha (ca. 935 – 973), die im Kloster Gandersheim lebte, neigte zwar einem strengen Keuschheitsideal zu. Was sie während ihres Lebens in der stillen Studierstube in lateinischer Sprache etwa über Liebeskonflikte notierte, beinhaltete aber durchaus so einiges Verfängliches. In ihrer Legende Passio St. Gongolfi martyris kommt zudem ein nicht gerade atemfrischer Hauch zur Sprache. Eine Ehebrecherin, die ihren Gemahl (Gangolf) hatte ermorden lassen, bezweifelt wortreich Berichte, an seinem Grabe gäbe es wunderliche Vorgänge. Und die Erzählerin verdeutlicht, dass sie das nicht nur mit dem Mund tat:

Kaum war entfahren ihr das Wort,

So folgt ein Zeichen nach,

Wie es der Art entsprach

Des angeführten Körperteils:

Sie ließ in schändlichem Getön

Vernehmen einen Laut,

Den anzugeben graut

Dem schamhaft stummen Munde mein,

Und brachte fernerhin, so oft

Sie nur ein Wort verlor,

Auch dabei wieder vor

Unfehlbar diesen garst’gen Ton,

Auf daß sie, die nicht nach Gebühr

Die Scham bewahren wollte,

Zum Anlaß werden sollte

Unmäß’gen Lachens überall,

Indem sie ihre Lebenszeit

Bis hin zu ihrem Tod

An sich zu merken bot

Die Strafe ihres Lästermauls.41

Soweit die Moral der »schändlich« tönenden Geschicht’. Hrotsvitha von Gandersheim hatte der Sage von Gangolf und seiner bösen Frau wahrlich eine besondere Note hinzugefügt. Wobei der Hinweis auf den »schamhaft stummen Munde« insoweit für sich spricht, als er verdeutlicht, dass bereits im 10. Jahrhundert Peinlichkeitsschwellen auslagen. Die mittelhochdeutsche Literatur glänzt besonders durch das episch-didaktische Werk Der Ring von Heinrich Wittenwiler. Von ihm selbst ist wenig bekannt, höchstwahrscheinlich wirkte er Ende des 14. Jahrhunderts als adeliger Advokat und Hofmeister am Hof des Bischofs von Konstanz. Er beschreibt sehr sprachkräftig eine Bauernhochzeit, bei der gegen die gängige höfische Tischsitte nach allen Regeln der Kunst verstoßen wird. Fastnachtspiele und Schwänke, in denen Fressgier und Trunksucht der Bauern verspottet werden, hatten damals Hochkonjunktur. Und zwar obwohl bzw. weil die Ernährungssituation der meisten Bauern mehr als bescheiden war – und bei den häufig schlechten Ernten eher das Darben denn die Völlerei den Alltag bestimmte. Ein Auszug aus der »ungeheuerlichen Schlacht des Hochzeitsmahls« in der Übertragung von Rolf Bräuner lässt nun bestimmt keinen Wind verwehen:

Da sagte sich jeder: Eh ich sterbe

vor Hunger, so will ich vergessen

den Dreck, den Kot und die Reste fressen,

und wär es noch übler beschissen,

es bliebe nicht ein einziger Bissen! […]

Zur gleichen Zeit war Frau Hürel verwirrt,

ein Flöhlein hatte sich verirrt,

ausgerechnet zwischen den Beinen

und biß sie so, daß sie anfing zu greinen.

Da wollte sie sich niederbücken,

um das Flöhlein totzudrücken,

doch seht, die Haut war ihr zu kurz,

und ihr entfuhr ein gewaltiger Furz!

Um nicht die Schande zu offenbaren,

begann sie laut mit den Füßen scharren,

um die andern glauben zu machen,

daß ihre Füße so seltsam krachen.

 

Doch Henritze war viel zu schlau

und sprach: ›Das ist unpassend, gute Frau,

ihr kennt doch wohl das schöne Gedicht:

Kratzen und Furzen gleichen sich nicht.‹

Hüreln schmerzte der Spott im Ohr,

sie ließ einen großen Furz wie nie zuvor,

und dann noch drei, so warn’s schon vier,

den Schreiber brüllte sie an wie ein Stier …«42

Ich springe nun direkt ins Zeitalter der Reformation. Und schon scheint es auf, das berühmte Zitat: »Was rülpset und furzet ihr nicht, hat es euch nicht geschmacket?« Der deftige Tischspruch wird gemeinhin Martin Luther (1483 – 1546) untergeschoben, das Dumme ist nur, dass es dafür keinen Nachweis gibt. Aus seinem Munde kam er mit ziemlicher Gewissheit nicht. Wäre der Reformator und sprachmächtige Bibelübersetzer noch mit von der Partie, würde er wohl eher zu verstehen geben: »Wenn ich hier einen Furz lasse, dann riecht man das in Rom.«43 Nicht zu vergessen eine zielsichere Stelle aus einer seiner Auslegungen: »Aber jetzt haben wir Erkenntnis. Käm mich der Geist an, daß ich zum Grimmental laufen wollte, wollt ich einen Furz tun. Das ist Klugheit! Ich bin ein Mann, in Gottes Namen getauft. Ich will ein Mann bleiben.«44

Wenn nicht alles täuscht, lebt der in vielen Schriften vermittelte Eindruck, zu Zeiten Martin Luthers wäre es nachgerade ein Gebot der Höflichkeit gewesen, bei Tisch zu rülpsen und zu furzen, um damit zu hörbar zu bekunden, wie gut das Mahl gemundet hätte, munter fort. Spätestens seit dem Vorliegen von Hans Peter Duerrs materialreicher Studie Der Mythos vom Zivilisationsprozeß lässt sich diese Auffassung freilich nicht länger aufrechterhalten. In seiner (umstrittenen) Auseinandersetzung mit der Zivilisationstheorie von Norbert Elias (Über den Prozeß der Zivilisation) betont der Ethnologe: »Daß man zur Zeit der Reformation in Mitteleuropa ungehemmt furzen konnte, ist ganz und gar unwahrscheinlich.«45

Die Wissenschaft vom Darmwind kann rein historisch davon ausgehen, dass der Flatus schon im Mittelalter verpönt und schambehaftet war. So wurde laut der Frankfurter Zunftordnung von 1377 bestraft, wer »fruczte oder anders unhubisch (= unhöflich) were«, und in einer von Duerr zitierten spätmittelalterlichen Tischzucht heißt es: »Ist eyn gauch inn all meinn sinnen, / ​Im möchte wol eyn furtz entrinnen, / ​Es sei unden oder oben, / ​Dann es ist schamper und unreyn.«46 Selbst die Kinder hatten um 1518 ihre Winde unter Kontrolle zu halten, wie Aussagen des humanistischen Gelehrten Johannes Murmellius (1480 – 1517) nahelegen. Der nicht minder humanistische Joachim Camerarius der Ältere (1500 – 1574) stipulierte denn auch, »es sei völlig überflüssig, das Unterlassen des ›crepitus‹ pädagogisch anzumahnen, da selbst ein primitives Bauernweib eine solche Unflätigkeit bei ihrem Sohn nicht dulden würde«. Hans Peter Duerr ergänzt: »Denn ein öffentlicher Furz wurde nicht allein als Schamlosigkeit, sondern unter gewissen Umständen auch als bewußte Ehrabschneidung betrachtet. Als nämlich beispielsweise in der Grafschaft Lippe der Witwe eines Wildschützen im Beisein einer Frau ›ohn versehens‹ ein Wind entwich, beschimpfte die andere sie wüst und hob einen Stein auf, um die Unglückliche damit zu bewerfen.«47

Gewiss, in den Manierenbüchern und sogenannten Tischzuchten aus dem 16. und 17. Jahrhundert, die literaturhistorisch unter dem Begriff »Grobianismus« abgehandelt werden, wird nicht zuletzt das Furzen so dargestellt, als wäre es eine hemmungslos ausgeübte, mithin beklagenswerte Alltagsrealität. Allerdings ging es den Verfassern am Ende des Mittelalters – einer Zeit, zu der ein Verfall der Sitten befürchtet wurde – nicht um die Schilderung tatsächlichen Verhaltens, sondern vor allem um die nach Kräften satirisch überzogene Darstellung von verpöntem Fehlverhalten. Die grobianischen Schriften leben gleichsam davon, dass sie etwas als normal ausgeben, was im Alltagsleben als unanständig und für die Subjekte höchst peinlich empfunden wurde. Ein bezeichnendes Beispiel aus dem von Kaspar Scheidt (um 1520 – 1565) aus dem Lateinischen ins Deutsche übertragenen Grobianus von Friedrich Dedekind will ich nicht schuldig bleiben. In dem 1549 erschienenen Text möchte der Held nach einer Mahlzeit nicht nur nach Herzenslust furzen, er verteidigt es sogar, weil ein Unterdrücken gesundheitsschädlich sei (was es ja auch ist). Ein Auszug:

Da schlaff dann sanfft, und lig fein still,

Biß man das nachtmal nehmen will.

Im Schlaff laß fürtz in lufft hin stieben,

So wirt dichs gantze hausgsind lieben.

Wolt aber jemandt dich drum straffen,

Daß du mächst solch rumor im schlaffen,

Sprich, es ist nicht in meinem gwalt,

Daß ich die fürtz in henden halt,

Laß farn was nit hat lust zu pleiben,

Ich müß den unflat von mir treiben.

Und laß jm dann ein par darzu,

Daß er die naß verhalten thu. […]

Spricht, lantzmann wo hastu gelert,

Daß fartzen auff die gaß gehört?

Ey lieber (sprich) ist’s gefroren drauß?

Besser ein furtz dann ein aug auß,

Solt ich von eines fürtzleins wegen,

Kranck werden, ist mir nicht gelegen.

Besser ist dieser dampff hinweg,

Dann daß ich lang beim Doctor leg. […]

Will lieber grob sein und gesund,

Dann kranck und höflich alle stund.48

Dass ausgangs des Mittelalters die »groben unhöflichen Sitten« eines Grobian lediglich so etwas wie ein wenig frommer Wunsch waren, verdeutlichen viele offizielle Dokumente. So bedrohte 1530 etwa die Berner Schützenordnung jedem »schyeß-gesell«, der »furtzte«, mit der Abstrafung.49 Wie schlau die Bauern an der Schwelle der Neuzeit sein konnten, verrät Martin Montanus (ca. 1537 – 1566) in seinem »Büchlein« Wegkürtzer von 1557, laut Titelblatt »sehr lustig zu lesen«. Darin findet sich der längere Schwank: »Ein Baur läßt (mit Gunst zu melden) ein Furtz und spricht zum Teuffel, er soll ein Knopff daran machen.« Ich mache es kurz – das schafft natürlich selbst ein böser Teufel nicht …50

Der Flatus, der gern zum unpassenden Moment entweicht und in anderer Leute Nasen steigt, ist in vielen Anekdoten verewigt worden. In deutschen Landen stand zum Beispiel Friedrich der Große (1712 – 1786) im Mittelpunkt einer wahrlich donnernden. Sie lautet so: Bei einer Besichtigung fragt der Alte Fritz den einen Rekruten: »Was war Er von Beruf?« – »Schnellläufer, Majestät!« – »Nun, so hole Er mir den zurück!« und Friedrich ließ einen streichen. Sofort setzte sich der Soldat zu des Königs großem Erstaunen in Bewegung, kam nach einigen Minuten wieder zurück, stellte sich vor dem König stramm, ließ einen donnern und meldete: »Ausreißer zurückgeholt, Majestät!«51

Was Wunder, dass der herrlich »lachende Philosoph« Karl Julius Weber (1767 – 1832) um 1800 im Demokritos unkt: »In unsern Zeiten, wo das hypochonderhysterische Temperament Mode ist, und das ruhige ewige Sitzen zu Verstopfungen führt, trotz aller Einweihungen von unten und oben, ist der Deus Crepitus ein wahrer Hausdrache. Die Gedärme und Muskeln sind dadurch so schwach geworden, daß sie keine Blähung mehr zurückhalten, oft auch nicht mehr die Feuchtigkeiten aus Nasen und Blasen; viele können sich nicht einmal mehr neigen, ohne einen Ton von sich zu geben, wenn sie nicht mit einem kleinen Zäpfchen das Instrument vernageln, das allein pfeift. Eine ehrwürdige Dame ging nie in Gesellschaft ohne diesen Stöpsel; einst versah sich das Kammermädchen, nahm statt dessen das elfenbeinerne Pfeifchen, womit ihr die Dame zu pfeifen pflegte, und nun denke man sich den Jammer, als dies mitten in der Gesellschaft zu pfeifen anfing.«52

Wie weitsichtig Weber – im »Kapitel Pfui« – den gesellschaftlichen Begleitumständen der Flatulenz zu Leibe rückt, zeigen seine Überlegungen zum Brummen der Winde: »Es gibt ganze, halbe und Vierteloctaven, wie bei der Leier Amphions, förmliche Ronladen, Läufe und Octaven, und die Feuerwerkerkunst mag auch daher ihre Kunstausdrücke genommen haben. Es läßt sich unstreitig eine Art Musik dabei denken, deren Vervollkommnung vielleicht den Musikern künftiger Zeiten vorbehalten ist. Die Verschiedenheit des Tons hängt von eines Jeden Organ, oder besser Caliber ab, so gut als die gröbere oder feinere Stimme der beiden Geschlechter von einem größeren und kleineren, weitern oder engern Luftröhrenknopf. […] Ein geschickter Musiker hat bereits beobachtet, daß sich zweiundsechzig verschiedene Töne herausbringen lassen.«53