Das geheimnisvolle Merkmal

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Man konnte bei dem Drogenkonsum der vier Freunde nicht von einer Drogenabhängigkeit reden, da sie nur Marihuana rauchten und dies nicht ständig. In letzter Zeit war jedoch ihr Anführer Willy einem größeren Drogenkonsum verfallen. Willy war auch der Versorger der Drogen, die er sich bei einem Händler in Berlin erstand. Seine Freunde kannten diese Beziehung nicht und hatten Willy auch niemals zu einer diesbezüglichen Auskunft gedrängt. Beate und die beiden anderen Jungs der Gruppe – Steffen und Volkmar – waren mit dem vermehrten Genuss von Drogen von Willy nicht einverstanden und hatten ihm dies bereits mehrmals deutlich gesagt. Willy beließ es bei kurzen Antworten und versuchte nicht seine Freunde ebenfalls zu erhöhtem Drogengenuss anzuregen.

Auch am heutigen Abend war der Barackenraum wieder völlig verräuchert (Haschisch) und die Jugendlichen gaben sich ihren Träumen hin. Während des Genusses der Droge wurde wenig gesprochen und nur leise Musik gehört, so dass sie sich total ihren träumerischen Eindrücken hingeben konnten. Der Drogengenuss, außer Willy, war gering, so dass man prinzipiell noch nicht von einer Drogenabhängigkeit sprechen konnte. Während der Nacht beziehungsweise in den frühen Morgenstunden verließen die Freunde einzeln die Baracke und gingen am folgenden Tag ihren Tätigkeiten nach und niemand ihrer Bekannten ahnte von ihrem nächtlichen Trip. Die Gruppe der vier Jugendlichen hatte außer ihren gemeinsamen Drogentrips und den damit zusammenhängenden Treffen keinen Kontakt und ging getrennte Wege. Ihre Vereinbarungen zu den nächsten Treffen erfolgte über Handy, wobei es jedem Jugendlichen offenstand außerhalb der vereinbarten Treffen ihr Domizil aufzusuchen. Jeder von ihnen hatte den entsprechenden Schlüssel. Diese Möglichkeit hatte Willy in letzter Zeit mehrmals wahrgenommen, was seine Freunde nicht sehr wohlwollend zur Kenntnis nehmen mussten. Eine Aussprache über seinen gesteigerten Drogenkonsum lehnte Willy kategorisch ab. Seine Freunde wunderten sich darüber, dass Willy auf Arbeit keine Probleme hatte und alle Aufgaben termin- und qualitätsgerecht erledigte. Auf die Frage, woher Willy die entsprechenden Drogen bezog, bekamen seine Freunde ebenfalls keine Antwort. Willy hatte sich jedoch einmal in seinem Rausch auf bestimmte Fragen mit Berlin geantwortet.

3

Im Polizeipräsidium Brandenburg traf sich die seit einiger Zeit eingesetzte Einsatzgruppe für spezielle Aufgaben zu ihrer morgendlichen Dienstberatung. Die Sonderabteilung für spezielle Aufgaben war vom Polizeipräsidenten eingesetzt worden, um andere Dezernate zu entlasten. Der Sonderabteilung wurden Aufgaben übertragen, welche von anderen Dezernaten bereits teilweise bearbeitet waren und noch zu keinem Ziel geführt hatten.

Zur Sonderabteilung gehörten vier ausgewählte Mitarbeiter, welche von anderen Dezernaten abgezogen worden waren. Die Abteilung unterstand direkt dem Polizeipräsidenten und konnte in Abstimmung mit ihm jederzeit weitere Mitarbeiter beantragen. Sie arbeiteten in zwei miteinander verbundenen Diensträumen und mussten alle anzufertigenden Protokollen selbst erstellen, was mittels der neuen Computertechnik und verhältnismäßig geringen Protokollen durchaus vertretbar war. Der Leiter dieser Abteilung war Torsten Fleischer, der bis zu seiner Einsetzung als Abteilungsleiter im Morddezernat gearbeitet hatte und Vertreter von Hauptkommissar Klaus Ullmann war. In besonderen Fällen, wie zum Beispiel bei der Erstellung von Graphiken, größeren Tabellen oder Entscheidungsvorlagen für den Polizeipräsidenten, durfte Torsten Fleischer in Abstimmung mit seinem ehemaligen Vorgesetzten Kommissar Ullmann, die Hilfe von dessen Sekretärin, Frau Schneider, in Anspruch nehmen. Die Zusammenarbeit von Torsten Fleischer mit seinen ehemaligen Kollegen war immer noch bestens und Frau Schneider half ihm gern.

Ein wesentlicher Vorteil der neuen Abteilung war deren Zusammensetzung von Mitarbeitern aus unterschiedlichen Dezernaten, so dass jeder Mitarbeiter eine Beurteilung aus unterschiedlicher Sichtweise einbrachte. Die neue Abteilung wurde von den übrigen Mitarbeitern des Polizeipräsidiums scherzweise als »Spezies« bezeichnet. Torsten Fleischer hatte die neue Aufgabe gern angenommen, obwohl ihm die Trennung von seiner bisherigen Abteilung nicht leicht gefallen war. Unter der Berücksichtigung, dass es zwischen seiner neuen Abteilung und seiner ehemaligen Arbeit eine Reihe von gemeinsamen Schnittpunkten gab, hatte er sich zur Übernahme der komplizierten Aufgabe entschlossen. Bei der Zusammensetzung der Sonderabteilung konnte er ein gewichtiges Wort mitreden und seine Vorstellungen einbringen. Torsten Fleischer scheute sich nicht, seinen bisherigen Vorgesetzten Klaus Ullmann um Rat zu fragen. Die beiden hatten während ihrer gemeinsamen Zeit im Morddezernat gut zusammengearbeitet und mit der Zeit ein freundschaftliches Verhältnis aufgebaut.

Hauptkommissar Klaus Ullmann hatte seiner Ernennung zum Leiter der Sonderabteilung zugestimmt und ihm viel Erfolg gewünscht. In den letzten Wochen konnte die Abteilung wesentlich zur Lösung eines komplizierten Falles im Bereich des Sexualverbrechens beitragen. Gegenwärtig war die Abteilung mit der Aufklärung einer Diebstahlserie beschäftigt. Seit einigen Monaten gab es verschiedene Hinweise auf Diebstähle, welche meistens in Einkaufsstätten geschahen. Seitens der Geschädigten gab es jedoch leider keine bzw. unterschiedliche Aussagen zu den möglichen Dieben, sowohl was die Anzahl als auch das Aussehen der Personen betraf. In einigen Fällen war von zwei, in anderen Fällen von drei Dieben die Rede. Gleichzeitig gab es auch Hinweise, dass eine weibliche Person an den Diebstählen beteiligt war. Übereinstimmung gab es nur bei der Beschreibung des Alters der Diebe und ihrer guten Kleidung, wobei niemand exakt sagen konnte, die Diebe bei ihren Raubzügen beobachtet zu haben.

»Guten Morgen«, begrüßte Torsten seine Mitarbeiter, die seinen Gruß erwiderten.

»Der Polizeipräsident hat mir gestern nahe gelegt, den Diebstahlsfall möglichst schnell zu Ende zu bringen. Die Diebstähle sind offensichtlich zum Gesprächsstoff in höheren Kreisen geworden.«

»Die Hinweise sind sehr dürftig«, entgegnete Karl.

»Dem kann ich nur zustimmen«, stimmte Paul zu.

»Ich weiß. Deshalb müssen wir als nächstes die uns allen bekannten Fakten nochmals durchleuchten und bewerten«, legte Torsten fest.

»Die Diebstähle haben in den letzten Wochen deutlich nachgelassen«, resümierte Karl.

»Ich denke, dass könnte auf die Jahreszeit zurückzuführen sein«, mutmaßte Horst.

»Wie kommst du darauf?«, fragte Torsten.

»Ich denke Diebstähle fallen unseren Tätern in den Sommermonaten, auf Grund der leichten Bekleidung, wesentlich schwerer. Mit der sommerlichen Bekleidung lassen sich gestohlene Gegenstände bedeutend schlechter verstecken.«

»Das kann stimmen. Leider haben wir bis jetzt keine verlässliche Personenbeschreibung. Wir haben lediglich eine verschwommene Aufnahme einer Videokamera aus einem Lebensmittelmarkt. Auf dem Foto sind die Gesichter der drei möglichen Diebe durch Kapuzen bedeckt. Den Figuren der Diebe nach zu urteilen, handelt es sich vermutlich um zwei männliche und eine weibliche Person in jugendlichem Alter. Gestohlen wurden überwiegend Lebensmittel und alkoholische Getränke in verhältnismäßig kleinen Mengen. Die bisher bekannten Diebstähle wurden in kleineren Einkaufsstätten verübt, welche zum Großteil keine Videoüberwachung hatten. Wir müssen demnach davon ausgehen, dass die Diebe ihre Ziele vor ihren Raubzügen besichtigt haben.«

»Es gibt auch eine Meldung, dass elektronische Geräte gestohlen wurden«, warf Karl ein.

»Das stimmt, aber diese Meldung ist einmalig. Diese Tatsache verwundert mich ebenfalls, weil sie nicht in das Gesamtbild der Diebstahlserie passt. Ich gehe deshalb davon aus, das die Täter nicht mit den gestohlenen Dingen handeln und sie zum Weiterverkauf benutzen, sondern nur zu ihrem täglichen Verbrauch stehlen, was unsere Ermittlungen erheblich erschwert. Ich habe mir die vollständigen Unterlagen aus allen Dezernaten zukommen lassen, welche sich in letzter Zeit mit Diebstählen beschäftigt haben. Leider geben diese Unterlagen keine Hinweise auf unsere möglichen Täter. Die sonst vorliegenden Straftaten weisen alle eine andere Vorgehensweise auf. Die uns bekannten Diebe wurden von unseren Mitarbeitern durchleuchtet und kommen für die uns zur Bearbeitung vorliegende Serie nicht in Frage, da sie für die einzelnen Straftaten Alibis nachweisen können. Die Diebstähle wurden bisher immer in verschiedenen Einrichtungen durchgeführt. Den Angestellten der Einrichtungen ist der Diebstahl stets erst nach Ladenschluss bei der Warenüberprüfung aufgefallen, wobei selbst dabei keine verlässlichen Aussagen vorliegen, da die ausgestellte Ware in einigen Fällen nicht täglich überprüft wird und somit der Zeitpunkt des Diebstahles nicht konkret ermittelt werden konnte. Zu den Personen konnten die Angestellten ebenfalls keine Aussage treffen, da in den meisten Einrichtungen zu wenig Personal vorhanden ist und diese mit den Kassentätigkeiten voll ausgelastet sind. Die Erstellung eines Phantombildes ist somit nicht möglich. Eine Mitteilung zur Mithilfe der Bevölkerung durch die Presse macht keinen Sinn, da die bekannten Fakten zu dürftig sind«, endete Torsten

»Demzufolge stehen wir vor dem Nichts«, schlussfolgerte Karl.

»Das erschwert uns den Anfang«, stimmte Paul zu.

»Was schlägst du vor, wo sollen wir ansetzen?«, fragte Horst.

»Ich habe vom Gesamtvorgang für euch Kopien anfertigen lassen und diese in einem Hefter zusammengefasst. Ich bitte euch diesen Hefter gründlich durchzulesen, vielleicht findet ihr einen Ansatzpunkt zur Ermittlung der Täter«, legte Torsten fest.

 

»Ich schlage vor, wir befragen uns in den bekannten Diebeskreisen. Vielleicht ist jemanden die Tätigkeit einer neuen Diebesbande bekannt, in diesen Kreisen spricht sich die Arbeit einer neuen Bande schnell herum, schon aus Konkurrenzgründen«, schlug Paul vor.

»Kennst du bestimmte Personen?«, fragte Torsten.

»Ich denke, ich habe nicht umsonst jahrelang im Dezernat Diebstahl gearbeitet.«

»Gut, dann kannst du heute die Befragung beginnen«, stimmte Torsten zu.

»Irgendwelche Spuren gibt es nicht?«, wollte Paul wissen.

»Absolut nichts.«

»Haben die Diebe Werkzeuge benutzt?«, fragte Horst.

»Ist in keinem Fall bekannt«, antwortete Torsten.

»Wie wir diesen Fall lösen sollen, ist mir ein Rätsel«, knurrte Horst.

»Bis jetzt haben wir alle Fälle gelöst. Keinen Pessimismus bitte«, entgegnete Torsten.

»Ich bin nicht pessimistisch, aber hier sehe ich im Moment keinen Anfang.«

»Uns wird nur viel Kleinarbeit und viel Lauferei verbunden mit unzähligen Gesprächen weiterhelfen.«

»Da kommen wir wenigstens an die Luft«, schmunzelte Horst.

»Ich werde mich mit der KTU in Verbindung setzen, vielleicht können sie die Aufnahme der Videokamera nochmals überprüfen und ein genaueres Bild entstehen lassen, mit dem wir die Geschädigten befragen können. Diese Leute vollbringen gelegentlich wahre Wunder, wenn es um das Filtern von verschwommenen Bildern geht«, legte Torsten fest.

»Willst du zusätzliches Personal beantragen?«, fragte Horst.

»Nein, dazu ist der verursachte Schaden durch die Diebstähle zu gering.«

»Wahrscheinlich würde unser Präsident auch nicht zustimmen.«

»Ganz recht. Die Aufgabe unserer Abteilung besteht darin, bisher ungeklärte Fälle zum Abschluss zu bringen und damit andere Dezernate zu entlasten. Wir können nur in besonders schweren Fällen zusätzliches Personal beantragen. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass wir zu anderen Dezernaten abgestellt werden, um diese Mitarbeiter während der laufenden Ermittlungen zu unterstützen«, sprach Torsten.

»Ich werde nochmals in das Geschäft gehen, wo die Elektrogeräte gestohlen wurden«, schlug Karl vor.

»Was versprichst du dir davon?«, fragte Paul.

»In den Geschäften müssen auf jeden Fall die Gerätenummern bekannt sein, dass kann uns später bei der eventuellen Auffindung der Geräte helfen.«

»Gute Idee. Bei der möglichen Ergreifung der Täter können wir sie damit festnageln.«

Der Leiter der Sonderabteilung, Torsten Fleischer, beendete die heutige Dienstberatung und seine Mitarbeiter beschäftigten sich mit den ihnen übertragenen Aufgaben. Torsten verließ das Zimmer und begab sich zu seiner ehemaligen Arbeitsstelle, dem Morddezernat. Im Vorzimmer begrüßte ihn die Sekretärin Frau Schneider sehr herzlich, denn die beiden hatten während ihrer gemeinsamen Zeit ein freundschaftliches Arbeitsverhältnis zueinander. Sie lächelte Torsten an und fragte: »Möchten sie eine Tasse Kaffee haben?«

»Wenn sie Kaffee haben gern, aber nicht erst kochen.«

»Kaffee ist bei uns stets vorrätig.«

»Wie in guten alten Zeiten.«

»Ich freue mich für sie, dass sie eine gehobene Stellung bekommen haben.«

»Ist der Chef da?«, fragte Torsten.

»Ja.«

»Kann ich ihn sprechen?«

»Für sie hat der Hauptkommissar immer Zeit. Er hat mich extra angewiesen bei Rückfragen von ihnen sofort durchzustellen, wenn es die Situation erlaubt. Sie waren sein besonderer Schützling und er hat eine sehr hohe Meinung von ihrer Auffassungsgabe.«

»Danke, Frau Schneider«, erwiderte Torsten.

»Wie gefällt ihnen ihre neue Arbeit?«

»Bis jetzt gab es noch keine unlösbaren Aufgaben.«

»Sind sie mit ihren Kollegen zufrieden?«

»Ja, es sind bewährte Berufskollegen. Unsere Zusammenarbeit läuft bis jetzt reibungslos und die erforderlichen Abstimmungen verlaufen gut«, antwortet Torsten.

»Kommissar Ullmann hat mir gesagt, dass ich bei Bedarf sofort für sie schreiben soll. Ich kann ihnen versichern, dass ich dies gern erledige, notfalls mit Überstunden.«

»Wir werden sie nur in dringenden Fällen in Anspruch nehmen«, Frau Schneider.

»Ich kann es nur wiederholen, Herr Fleischer, ich helfe ihnen gern.«

»Wie hat sich meine Nachfolgerin eingearbeitet?«, wollte Torsten wissen.

»Frau Meister ist eine freundliche Kollegin und Kommissar Ullmann ist bis jetzt mit ihr zufrieden. Sie hat in Greifswald ebenfalls in der Mordkommission gearbeitet und eine gute Beurteilung bekommen. Kommissar Ullmann lässt sie bereits selbstständig arbeiten und Protokolle ausarbeiten, was ein sicheres Zeichen seiner Zufriedenheit ist. Im Augenblick ist sie zu einer Befragung außerhalb des Hauses. Frau Meister kann auch mit den anderen Kollegen des Hauses gut zusammenarbeiten, wobei ihr ihre große Erfahrung zu Gute kommt. Sie ist prinzipiell beliebt«, fasste Frau Schneider zusammen.

»Ich habe bis jetzt auch nur Gutes von ihr gehört. Ist Jana anwesend?«

»Ja, sie ist beim Chef. Ich werde sie bei ihm anmelden.«

»Lassen sie, Frau Schneider. Ich will ihn überraschen.«

»Unangemeldet darf von anderen Abteilungen niemand zu ihm, dass wissen sie.«

»Ja.«

»Gehen sie schon in sein Zimmer, sie bilden eine Ausnahme«, lächelte Frau Schneider.

Torsten Fleischer klopfte an die Tür seines ehemaligen Chefs und zugleich seines Vorbildes und betrat nach kurzem Zögern den Raum.

»Hallo, Torsten«, kam der freudige Ausruf von Hauptkommissar Klaus Ullmann.

»Sei gegrüßt, Torsten«, rief Jana Schubert, die ehemalige Praktikantin der Abteilung.

»Ich dachte, ich besuche euch mal kurz«, erwiderte Torsten.

»Wir freuen uns immer, wenn du zu uns kommst.«

»Ich wollte dir, Jana, nachträglich noch zu deiner bestandenen Prüfung gratulieren.«

»Danke Torsten.«

»Du bist jetzt sozusagen eine echte Polizistin.«

»Du wusstest, dass ich Jana sofort in unsere Abteilung übernehme. Sie ist eine gute und zuverlässige Mitarbeiterin und kann teilweise gewisse Ermittlungen selbstständig durchführen. Ich freue mich, dass sie mein Angebot in unserem Dezernat ihre Tätigkeit aufzunehmen, angenommen hat.«

»Es war mein Ziel, in diesem Dezernat zu arbeiten«, gestand Jana.

»Es war eine schöne Zeit bei euch und ich konnte viel lernen«, räumte Torsten ein.

»Es freut mich, dass du die Verbindung zu uns, auch über die eventuelle berufliche Zusammenarbeit hinaus, nicht abbrechen willst«, sprach der Kommissar.

»Was bearbeitet ihr gegenwärtig?«, wollte Torsten wissen.

»Wir bearbeiten einen ungelösten Fall, welcher einige Zeit zurückliegt. Leider sind die bisherigen Erkenntnisse sehr dürftig und erschweren die Lösung.«

»Habe ich an dem Fall mitgewirkt?«, fragte Torsten.

»Nein, der Fall liegt noch länger zurück«, erwiderte Ullmann.

Frau Schneider brachte den Kaffee in das Büro des Hauptkommissars und setzte sich, nachdem sie ihrem Vorgesetzten eine Mappe übergeben hatte, mit zu ihnen. Sie wies den Kommissar daraufhin, dass in zwanzig Minuten die wöchentliche Abstimmung aller Dezernatsleiter beim Polizeipräsidenten beginnt.

»Bist du bei dieser Abstimmung anwesend?«, fragte Ullmann Torsten.

»Nein«, kam die knappe Antwort.

»In besonderen Fällen wird er dich sicherlich dazu nehmen«, mutmaßte Ullmann.

»Gegenwärtig haben wir keinen besonders brisanten Fall.«

»An welchem Fall arbeitet ihr?«

»Eine Diebstahlserie.«

»Wie kommt ihr voran?«

»Eigentlich überhaupt nicht. Es gibt keine Personenbeschreibungen und die Taten werden immer in verschiedenen Einrichtungen begangen. Leider konnten wir noch kein Schema erkennen. Im Prinzip sind es nur kleinere Diebstähle, wobei es sich meist um Waren des täglichen Bedarfes handelt. Wir kennen nicht die Zusammensetzung der Gruppe und nicht ihre Mitgliederzahl. Die Aussagen der Betroffenen sind nichtsagend und helfen uns nicht entscheidend weiter.«

»Habt ihr Fotos von den Tätern?«

»Leider nur ein verschwommenes einer Videokamera.«

»Warst du schon bei der KTU?«

»Bin ich auf dem Weg.«

»Sind auch Frauen in der Gruppe?«, fragte Jana.

»Wissen wir nicht exakt, ist jedoch möglich.«

»Wie hoch ist der finanzielle Schaden?«, erkundigte sich Ullmann.

»Im Prinzip gering. Pro Diebstahl ungefähr 200 bis 300 Euro.«

»Das ist nicht viel«, staunte Ullmann.

»Sag ich doch. Der bisherige Gesamtschaden mit einem einmaligen Diebstahl von Elektrogeräten beträgt geschätzt ungefähr 8.000 bis 10.000 Euro. Wir müssen den Anzeigen dennoch mit aller Konsequenz nachgehen, denn die Geschädigten fordern mit Recht eine Aufklärung und die Verhinderung weiterer Diebstähle«, erwiderte Torsten.

»Du schaffst das schon«, sagte Kommissar Ullmann überzeugt.

»Wie macht sich denn meine Nachfolgerin, wenn ich fragen darf«, sagte Torsten.

Der Hauptkommissar Klaus Ullmann und Jana Schubert wechselnden Blicke und es war deutlich zu spüren, dass sie eine Beurteilung ungern sagen wollten. Torsten schaute zu Frau Schneider, die ihm mit einem Lächeln zunickte.

»Du weißt, dass ich ungern über meine Arbeitskollegen gegenüber Nichtmitgliedern der Abteilung spreche und ich habe es auch meinen Unterstellten gesagt. Meine Einstellung hat sich nicht geändert, du kennst sie ja noch. Ganz kurz kann ich dir sagen, dass ich mit ihrer Arbeit zufrieden bin und die Zusammenarbeit mit Jana und Frau Schneider ist auch gut. Vielleicht lernst du sie bei einer Bearbeitung eines gemeinsamen Falles kennen, dann kannst du selbst deine Einschätzung treffen. Das muss dir als Auskunft über unsere neue Mitarbeiterin Hannelore Meister genügen«, schmunzelte Ullmann.

»Entschuldige ich wollte dich nicht in Bedrängnis bringen. Du weißt, ich kann manchmal sehr neugierig sein«, gab Torsten mit einem Lächeln zurück.

»Du entschuldigst mich bitte, ich muss zum Polizeipräsidenten«, sagte Ullmann und erhob sich.

»Ich gehe jetzt zur KTU. Also dann bis demnächst«, sagte Torsten und verabschiedet sich von Jana Schubert und Frau Schneider.

4

Beate war von der Arbeit gegen Mittag aufgeregt nach Hause gekommen und war froh, dass ihre Mutti zu Hause war. Beates Arbeitszeit endete täglich achtzehn Uhr und sie ging danach meistens direkt nach Hause, daher war ihre Mutti überrascht, dass Beate bereits nach Hause kam. Ihre Mutti arbeitete im Pflegeheim und war im Schichtbetrieb tätig, so dass sie oft Nachtschicht leistete. Sie war eine körperlich robuste Frau und konnte daher die schwere Arbeit im Pflegeheim gut bewältigen. Bei ihren Arbeitskollegen und den von ihr betreuten Patienten war sie sehr beliebt, wobei sie sehr konsequent auftrat. Auf Grund des geringen Personals im Pflegeheim, was in der ständigen Reduzierung des Personals begründet war, musste sie oft Überstunden leisten. Diese Vielzahl an Überstunden gefiel ihr nicht, weil die gemeinsamen Stunden mit ihrer geliebten Tochter deshalb zu kurz kamen und sie ihre Probleme nicht besprechen konnten.

Beate liebte ihre Mutti über alles und die Stunden mit ihr waren stets ein Lichtblick in ihrem Leben. Beate benötigte gegenwärtig keine ständige Betreuung mehr, aber die Gespräche mit ihrer Mutti gaben ihr stets Halt. Beate war vor zirka vier Jahren von ihrem Vater missbraucht worden. Sie hatte ihren Vater sehr geliebt und er war bis zu diesem Zeitpunkt immer gut zu ihr gewesen. Sie hatte viel von ihrem Vater gelernt, der jeder Zeit für sie dagewesen war und ihr immer beigestanden hatte, sowohl beim Erlernen des Schulstoffes als auch beim Umgang mit ihren Mitmenschen. Sie hatten viele Wanderungen in die Natur und Besichtigungen von Gebäuden unternommen und ihr Vater hatte sie stets auf Besonderheiten hingewiesen. Sie war stolz auf ihren Vater, der auch in seiner beruflichen Tätigkeit eine angesehene Persönlichkeit war. Er hatte ihr viele Kleinigkeiten des Lebens beigebracht und sie prinzipiell, nach seiner Meinung, gut auf das Leben vorbereitet.

Besonders gern erinnerte sie sich an die gemeinsamen Ausflüge mit ihren Eltern und den damit verbundenen schönen gemeinsamen Stunden, in denen sie eine glückliche Familie waren. Beate hatte lange gebraucht, um die Geschehnisse des Missbrauches durch ihren Vater zu bewältigen. Sie konnte zum heutigen Zeitpunkt nicht mehr begreifen, wie und warum ihr Vater zu solch einer Straftat gegenüber seiner Tochter fähig gewesen ist. Beate konnte damals die Situation nicht begreifen und mit niemanden darüber sprechen, zumal es der Vater ihr verboten hatte. Beate war vor dem Missbrauch durch ihren Vater ein vorbildliches Schulkind und hatte in allen Fächern gute bis sehr gute Noten. Sie war sowohl bei ihren Mitschülern als auch beim Lehrkörper sehr beliebt und zugleich die Klassensprecherin. In ihrer Freizeit hatte sie sich oft mit ihren Mitschülern zu gemeinsamen Unternehmungen getroffen und ihre Meinung war stets gefragt. Ihre Eltern hatten bei ihrer Erziehung wenige Probleme und freuten sich, dass ihre Tochter bei all ihren Freunden und Bekannten beliebt war. Beate selbst war sich sicher, dass ihre Eltern eine gute Ehe führten und immer für sie dagewesen sind. Eines Tages stellte sich im Verhalten von Beate eine entscheidende Wendung ein. Ihre schulischen Leistungen hatten sich rapide verschlechtert und ihre Teilnahme am Unterricht ließ deutlich nach. Von ihren Freunden und Bekannten zog sich Beate immer stärker zurück und niemand konnte sich die extreme Veränderung am Verhalten von ihr erklären. Der strahlende Glanz ich ihren Augen war verschwunden und hatte einem völlig teilnahmslosen Blick Platz gemacht. Sie zog sich mit zunehmender Zeit immer mehr in ihre eigene Welt zurück und beantwortete Fragen nach ihrer Veränderung mit beharrlichem Schweigen. Beate kam mit dem Missbrauch durch ihren Vater psychisch nicht zurecht und fand selbst keine Antwort auf das plötzlich veränderte Verhalten ihres Vaters. Sie konnte und wollte mit dieser Problematik mit niemandem sprechen und versuchte allein mit der Situation zu leben.

 

Es geschah eines Nachts, als ihre Mutti zur Nachtschicht im Pflegeheim war, als ihr Vater zu ihr ins Zimmer kam und sie mit vielen tröstlichen Worten missbrauchte. Sie begriff nicht, was geschah und schämte sich dafür, sowohl für sich als auch für ihren Vati, welchen sie sehr liebte. Der Missbrauch ging über mehrere Monate in unregelmäßigen Abständen, in Abhängigkeit des Dienstes ihrer Mutti. Das völlig veränderte Verhalten von Beate wurde mit jedem Tag schlimmer, so dass die Klassenlehrerin die Mutti von Beate zu einer Aussprache in die Schule bat. In dieser Aussprache konnten sich beide das veränderte Verhalten von Beate nicht erklären, aber die Mutter versprach, sich intensiv mit Beate auszusprechen. Die Mutter von Beate unterhielt sich lange mit ihrem Mann, welcher versprach, sich zukünftig intensiver um ihre Tochter zu kümmern.

Der seelische Zustand ihrer Tochter änderte sich nicht und ihre Mutter fand keine Erklärung für ihren Zustand, zumal sich das Verhalten ihres Mannes ihr gegenüber ebenfalls veränderte. Im Laufe der nächsten Tage kam der Mutter der schreckliche Verdacht eines eventuellen Missbrauches ihrer Tochter durch ihren Mann. Sie vertrieb diesen Gedanken jedoch immer wieder, da sie ihren Mann einer solchen schweren Straftat nicht für fähig hielt. Eines Tages entschloss sich die Mutter von Beate diese Möglichkeit zu überprüfen und ging wie stets jeden Arbeitstag ins Pflegeheim, wo sie sich jedoch nach kurzer Zeit krank meldete und nach Hause ging. Als sie das Zimmer von Beate betrat, wurde ihr schlimmer Verdacht leider bestätigt. Sie war sehr erschrocken, weil das für sie Unglaubliche tatsächlich geschehen war. Sie stellte ihren Mann zur Rede, der das Geschehene zunächst verniedlichen wollte, aber nach den hartnäckigen Fragen seiner Frau den mehrmaligen Missbrauch seiner Tochter gestand. Beates Mutter zeigte noch in der gleichen Nacht ihren Mann des Missbrauches an ihrer Tochter an und er wurde sofort in Untersuchungshaft überführt.

Ihr Vater war ein sehr gebildeter Mann und hatte Medizintechnik studiert und anschließend seinen Doktortitel abgelegt. Der Vater wurde zu einer Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, wobei sein umfassendes Geständnis zu dieser geringen Haftstrafe führte. Während seiner Haftstrafe war er in psychologischer Behandlung und konnte seine schlimme Tat an seiner Tochter selbst nicht verstehen. Beate wurde in eine psychiatrische Klinik eingewiesen und die Ärzte und Betreuer der Klinik hatten viel Mühe, ihren seelischen Zustand wieder in das Gleichgewicht zu bringen. Sie gaben sich alle Mühe und nach einigen Monaten stellten sich erste Erfolge ein und Beate sprach wieder mit ihnen, nachdem sie wochenlang geschwiegen hatte und nur vor sich hin gestarrt hatte. Ihre Mutter besuchte sie so oft sie konnte und freute über jeden kleinen Fortschritt. Beate konnte schließlich nach ungefähr einem Jahr aus der Klinik entlassen werden, wobei sie sich monatlich in der Klinik vorstellen sollte, um ihr Verhalten im täglichen Leben zu beurteilen.

Beate war wieder gefestigt und gliederte sich gut in ihr Umfeld ein. In der Schule wurde sie wieder aufgenommen und begann wieder mit dem Lehrstoff vor ihrem Klinikaufenthalt. Die erste Zeit war für sie schwer, da sie neue Mitschüler hatte und von einigen mit blöden Bemerkungen zu den geschehenen Vorgängen angefeindet wurde. Beate war jedoch psychisch dermaßen gefestigt und wurde von den meisten Mitschülern unterstützt, so dass sie diese schwere Zeit gut überstand. Sie entwickelte sich weiter gut und konnte die 10. Klasse mit guten Noten abschließen.

Die Aufnahme eines Lehrverhältnisses lehnte sie jedoch ab und wollte dafür sofort arbeiten und Geld verdienen, um sich selbst etwas aufzubauen und sich finanziell unabhängig zu machen. Außerdem wusste Beate, dass ihre Mutti selbst große finanzielle Probleme hatte, da der Verdienst im Pflegeheim gering war und der Verdienst ihres Vaters auf Grund seiner Gefängnisstrafe in der Familienkasse fehlte. Sie wollte ihrer Mutti nicht auf der Geldbörse liegen, sondern wollte sie selbst unterstützen. Ihre Mutti war mit dieser Entscheidung einverstanden und gleichzeitig stolz auf ihre Tochter. Sie unterstützte sie bei der Arbeitssuche und war glücklich, als es mit der Anstellung in der Boutique klappte.

»Wieso bist du jetzt schon zu Hause?«, fragte Beate ihre Mutti.

»Bitte frag nicht?«, kam die leise Antwort.

»Du hast mir versprochen, stets die Wahrheit zu sagen«, antwortete die Mutter.

»Das tu ich auch.«

»Also wieso bist schon da. Bist du krank?«

»Nein.«

»Ich will jetzt wissen, was geschehen ist.«

»Vati war in der Boutique«, gestand Beate.

»Was wollte er?«

»Er wollte sich entschuldigen.«

»Da gibt es nichts zu entschuldigen.«

»Ich weiß.«

»Was hast du gesagt?«, fragte aufgeregt die Mutti.

»Er soll gehen und mich nicht mehr besuchen.«

»Was hat er getan?«

»Er hat versucht, mir sein damaliges Verhalten zu erklären.«

»Willst du ihm verzeihen?«

»Nein.«

»Hast du den Eindruck, dass er sich geändert hat?«, wollte die Mutter wissen.

»Kann ich nicht beurteilen«:

»Wie lange war er bei dir?«

»Nur einige Minuten.«

»Seit wann ist er auf freiem Fuß?«

»Hat er nicht gesagt.«

»Wo wohnt er?«

»Keine Ahnung.«

»Willst du ihn wiedertreffen«, erkundigte sich die Mutter.

»Habe ich noch nicht entschieden. Er hat nichts gesagt, dass er mich wieder besucht. Glücklicherweise bin ich über das Geschehene völlig hinweg.«

»Das ist gut und ich bin sehr stolz auf dich, meine Beate«, lächelte freudig die Mutter.

»Vielleicht sollten wir uns zu dritt unterhalten«, sagte ruhig Beate.

Die Mutter schaute ihre Tochter mit ungläubigem Blick an und konnte diese Worte nicht recht einordnen. Sie hatte den Eindruck, dass ihrer Tochter die Aufarbeitung der Geschehnisse besser gelungen war, als ihr selbst. Ihr Mann hatte ihr aus der Haftanstalt anfangs drei Briefe geschrieben, welche sie ungeöffnet ließ und nicht beantwortet hatte. Danach hatte ihr Exmann, von dem sie sich noch während des Prozesses hatte scheiden lassen, den Schriftverkehr eingestellt. Auf den Vorschlag der Tochter wusste die Mutter keine eindeutige Antwort und wollte sich nicht sofort entscheiden. Beate konnte das Verhalten ihrer Mutti richtig einschätzen und wollte sie nicht bedrängen.