Roland Emmerich

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Obwohl dieses Betätigungsfeld Emmerich anfänglich irritierte, drehte er doch erste eigene Übungsfilme zusammen mit Ulrich Möller und Oswald von Richthofen. Mit Letzterem inszenierte er den aufwendigen Schwarzweiß-Film Franzmann, bei dem er auch seine Schwester Ute für eine kleine Rolle engagierte. Auf den 14. Internationalen Hofer Filmtagen wurde der Streifen uraufgeführt und später in den dritten Fernsehprogrammen ausgestrahlt.

Der inzwischen 27-jährige Filmstudent fühlte sich jedoch wie ein Außenseiter, weil er im Gegensatz zum Großteil seiner Kommilitonen nichts mit dem hyperintellektuellen, zuschauerfeindlichen Autorenkino anfangen konnte, sondern sich für große Unterhaltungsfilme Hollywood’scher Prägung interessierte. So verfiel er schließlich auf die Idee, als Abschlussarbeit für die HFF einen großen Ausstattungsfilm zu inszenieren, der vor allem durch eine ausgefeilte Optik überzeugen sollte. Dafür schwebte ihm ein Science-Fiction-Spektakel mit eindrucksvollen Tricks vor, so wie man das eigentlich von der Traumfabrik gewöhnt war.

Als Emmerich Mit-Studenten von seinem Vorhaben erzählte, erntete er nichts als Gelächter: Science-Fiction-Kino made in Germany? Das hielten die meisten für ein absolut absurdes Unterfangen. Aber genau diese ablehnende Haltung seiner Kommilitonen entfachte Emmerichs Ehrgeiz und spornte ihn noch mehr an. Es galt die Spötter und Zweifler eines Besseren zu belehren und so machte er sich daran, ein Drehbuch für ein Projekt mit dem Titel Das Arche Noah Prinzip zu schreiben. Obwohl auch ihm nur das übliche Abschlussfilm-Budget von 20.000 Mark zur Verfügung stand, ließ er sich nicht davon abhalten, das Unmögliche möglich zu machen und dieses ambitionierte Projekt zu realisieren, das, wie er von Beginn an wusste, um ein Vielfaches teurer werden würde. Er bemühte sich erfolgreich um Gelder von Filmfördergremien und bekam außerdem Unterstützung von Fernsehanstalten. So konnte er schließlich seinen ersten Spielfilm auf Zelluloid bannen. Am Ende kostete Das Arche Noah Prinzip rund eine Million Mark, sorgte bei der Berlinale für viel Aufsehen und wurde zu einem der erfolgreichsten Abschlussfilme in der Geschichte der HFF.

Interview mit Roland Emmerich:

„Neues Deutsches Kino – Nein, danke!“

Trügt der Eindruck oder haben Sie tatsächlich ganz andere Vorstellungen vom Medium Film als die Vertreter des Neuen Deutschen Kinos?

RE: Ich bin wesentlich jünger als die Regisseure des sogenannten Neuen Deutschen Films, was bedeutet, dass ich in eine andere Zeit hineinwuchs. Wenn ich in den politischen 1960er Jahren großgeworden wäre, hätte ich mich sicherlich für andere Filme interessiert. Man ist einfach immer ein Spiegelbild seiner Zeit. Bei mir war es auf der HFF so etwas wie ein Trotzverhalten. Ich wollte mich von dem distanzieren, was alle anderen gut fanden. Ich dachte einfach, nie solche Filme machen zu wollen wie die der verehrten Regisseure Werner Herzog, Alexander Kluge oder Wim Wenders. Selbstverständlich habe ich bei meinen Filmen auch viele Fehler gemacht und ärgerte mich nach dem Dreh über diese oder jene dramaturgische Unzulänglichkeit. Trotzdem bin ich froh, es damals riskiert zu haben, Unterhaltungsfilme zu drehen. Wichtig war mir allerdings etwas, das sich in dieser Zeit sonst niemand traute: Ich wollte von Anfang an selbst produzieren! Deshalb sorgte mein Vorgehen auch für sehr viel Aufmerksamkeit. Es war mir möglich und wichtig, schon frühzeitig bei der Finanzierung mitreden zu können. Dadurch verschaffte ich mir große Unabhängigkeit.

Haben Sie einen Bezug zum Oberhausener Manifest, in dem deutsche Regisseure Opas Kino für tot erklärten?

RE: Das ist alles inzwischen sehr weit weg für mich. Ich besitze überhaupt keinen Draht zu diesen jungen deutschen Filmemachern von einst. Allerdings bewundere ich die Allianz dieser Leute. Sie halten auch heute noch fest zusammen. Diese Allianz wünsche ich mir manchmal unter uns Jüngeren. Wir könnten sicher sehr viel mehr erreichen, würden wir uns besser untereinander austauschen und Verbindung zueinander halten. Das Forum des Regieverbandes ist dafür, aus meiner Sicht, völlig ungeeignet. Das müsste eher etwas sein, das auf privater Ebene abläuft, so etwas wie eine Selbsthilfegruppe. Das ist leider aber nicht der Fall.

Was für eine Stellung haben Sie bei den deutschen Filmemachern?

RE: Ich werde von Journalisten oft gefragt, was denn die arrivierten neuen deutschen Filmkollegen von mir halten würden. Aber genau besehen, sind das ja die alten deutschen Filmkollegen. Ich bin eine Art Repräsentant des neuen neuen deutschen Kinos. Die Regisseure der alten Garde habe ich bisher kaum kennengelernt. Aber diejenigen, die ich traf, meinten meist: „Das, was du machst, ist richtig.“

Waren Sie als Kind ein Kinofan?

RE: Ich war schon immer ein Filmfan. Als Kind bin ich sehr häufig ins Kino gegangen. Am liebsten mochte ich die Karl- May-Verfilmungen aus den 1960er Jahren. Mein persönlicher Rekord war, mir an einem Tag dreimal hintereinander Winnetou anzugucken. Auf der Filmhochschule wurden wir alle mal gefragt, welche Filme oder Regisseure wir bevorzugen würden. Während die meisten Kommilitonen Wim Wenders angaben, nannte ich Horst Wendlandts Winnetou-Filme. Überhaupt: Horst Wendlandt war ein Produzent, dessen Filme über Jahrzehnte hinweg großen Umsatz an der Kinokasse machten und mehr einspielten als die problembeladenen Autorenfilme.

Sie scheinen nicht nur eine Vorliebe für Unterhaltungsfilme, sondern auch für Visual Effects zu haben?

RE: Für Tricks begann ich mich schon während meiner Studienzeit auf der HFF zu interessieren. Ich schrieb Geschichten, die sich eben nur mit Visual Effects realisieren ließen. Deshalb setzte ich mich mit meinen Freunden zusammen und wir überlegten, wie wir dieses oder jenes auf die Leinwand bringen könnten. Wir bauten Raumschiff-Modelle und drehten drauflos. So erschlossen sich für uns nach und nach die Geheimnisse der Trick-Hexenküche. Es war einfach notwendig, alles über die Herstellung von filmischen Effekten in Erfahrung zu bringen, anders hätte ich Das Arche Noah Prinzip nicht machen können. Da der größte Teil der Handlung in einer Raumstation spielt, war mir bewusst, dass ich viele Dekorationen brauchen würde. Mir war allerdings nicht ganz klar, wie ich die Außenaufnahmen im All überzeugend verwirklichen könnte. Wir besorgten uns schließlich Fotos von der NASA und bastelten uns danach unser Raumschiff-Modell. Den Weltraum stellten wir mit einem durchlöcherten schwarzen Pappkarton her, der von hinten beleuchtet wurde. Die getrennt aufgenommenen Aufnahmen des Raumschiffs und die des Alls kombinierten wir durch eine Mehrfachbelichtung miteinander. Eine uralte Methode des Trickpioniers Georges Méliès. Das war ein ziemlich nervenaufreibender Prozess. Da wir alles In-camera drehten, mussten wir beim geringsten Fehler wieder von vorne anfangen.

Das Arche Noah Prinzip:

Aufbruch in neue Kinowelten

Die gigantische Raumstation Florida Arklab schwebt 189 Kilometer über der Erde. Ausgerüstet mit modernster High-Tech besteht ihre Aufgabe darin, Einfluss auf das Klima- und Wettergeschehen zu nehmen. Das Gemeinschaftsprojekt amerikanischer und europäischer Raumfahrtbehörden soll durch Wetter bedingte Naturkatastrophen verhindern. An Bord befinden sich Max Marek (Franz Buchrieser), ein Wissenschaftler, der diesem neuen Projekt skeptisch gegenübersteht, da es sich leicht für militärische Zwecke missbrauchen lässt, sowie sein Kollege, der Techniker Billy Hayes (Richy Müller), der in dieser Hinsicht weniger argwöhnisch ist. Er interessiert sich ausschließlich für seinen Job und will von Mareks Warnungen nichts wissen.

Als es jedoch eines Tages zu einem Putsch in Saudi-Arabien kommt, wird den beiden Astronauten auf Befehl der Bodenstation aufgetragen, ein Gebiet im Persischen Golf einer verstärkten Infrarotstrahlung auszusetzen. Auf diese Weise sollen die Radarstationen der Gegner blockiert werden, um US-Truppen den Einmarsch in das Land zu ermöglichen. Mareks Bedenken bestätigen sich durch diesen Vorfall: Aus Angst vor den schwerwiegenden klimatischen Folgen einer solchen Wettermanipulation entschließt er sich zu einem Sabotageakt: Ohne Hayes’ Wissen blockiert er das Computerprogramm. Doch der Eingriff bleibt nicht unbemerkt. Die Bodenstation schickt eine neue Crew ins All, um das Kommando über die Florida Arklab zu übernehmen. Kaum aber haben die Neuankömmlinge mit ihrem Space Shuttle angedockt, beginnt ein mörderischer Kampf ums Überleben …

Roland Emmerich wollte als Abschlussarbeit seines Studiums an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film etwas inszenieren, das in dieser Art in Deutschland in jener Zeit einmalig war: einen Science-Fiction-Thriller. Nicht nur, dass er, ganz gewitzter Geschäftsmann, dabei mit einer solch spektakulären Produktion geschickt auf sich aufmerksam und eine Marktlücke schließen konnte, ihm schwebte auch vor, diesem in Deutschland seit vielen Jahrzehnten vernachlässigten Genre zu neuer Popularität zu verhelfen. Längst war nämlich in Vergessenheit geraten, dass hierzulande während der Stummfilm-Ära die größten Meisterwerke des phantastischen Kinos entstanden waren. In den 1920er Jahren ließen viele deutsche Regisseure ihrer Phantasie freien Lauf und in ihren Filmen geheimnisvolle Märchen- und Zukunftswelten entstehen. Auf der Leinwand tummelten sich blutrünstige Vampire, übernatürlich begabte Verbrecher, teuflische Dämonen, künstliche Menschen. Friedrich Wilhelm Murnau schockierte das Publikum mit den beklemmend-faszinierenden Licht- und Schatteneffekten seines Blutsauger-Dramas Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens, während Regisseur Robert Wiene den expressionistischen Zelluloid-Albtraum Das Cabinett des Dr. Caligari kreierte und Fritz Lang das gigantische Zukunftsspektakel Metropolis erschuf.

 

Mit großer Verwunderung hatte Emmerich während seines Studiums zur Kenntnis genommen, dass die meisten seiner Kommilitonen sich um die Tradition des phantastischen Kinos nicht im geringsten kümmerten, sondern sich ausschließlich dem Neuen Deutschen Kino verpflichtet fühlten, obwohl dieses sich, seiner Meinung nach, längst überlebt hatte, zumal die meisten Produktionen dieser Art unter Ausschluss der Öffentlichkeit liefen. Emmerich seinerseits hielt nichts von den ichbezogenen Kinovisionen vieler seiner Kollegen, die sich von Fördertöpfen nährten und mit ihren Werken dem eigenen Ego schmeicheln wollten. Weil er schon früh das Selbstverständnis entwickelt hatte, eher ein Handwerker als ein Künstler zu sein, keimte in ihm die Vorstellung, ein publikumsorientiertes Kino zu erschaffen, das sich auch verpflichtet sieht, die eigenen Produktionskosten wieder einzuspielen.

Konfrontiert mit zahlreichen Berichten über Space-Shuttle-Flüge und Satellitenbildern in den Fernsehnachrichten, entwickelte er so die Idee zu seinem Aufsehen erregenden Debüt Das Arche Noah Prinzip. Bereits in der Entwicklungsphase stellte sich heraus, dass der Film die üblichen Dimensionen einer HFF-Abschlussarbeit sprengen würde. Dem jungen Regisseur wurde daher empfohlen, sich um Fördergelder zu bemühen. Und so reichte er denn sein Drehbuch beim Kuratorium Junger Deutscher Film ein, ohne sich jedoch große Hoffnungen zu machen, schließlich war sein Projekt zu aufwendig und zu ungewöhnlich: eine Pionierarbeit, die mit vielen Risiken verbunden war.

Ebenso außergewöhnlich wie das Projekt selbst war auch die Form des Drehbuchs. Emmerich hatte sich nicht an die Maßgaben gehalten, wie Scripts normalerweise verfasst zu sein hatten, sondern schrieb einfach einen Roman. Diese Form reflektierte seiner Meinung nach am besten den Stil des Films. Dazu legte er Skizzen des Raumschiff-Modells und Fotos von ersten Konstruktionen. Was letztlich das Kuratorium Junger Deutscher Film bewog, das Projekt zu fördern, liegt bis heute im Dunkeln. Ob dies aufgrund des außergewöhnlichen Themas oder der ungewöhnlichen Form des Buches geschah – Emmerich vermochte es nie in Erfahrung zu bringen.

Das Glück blieb ihm indes auch später bei diesem Projekt hold und er wurde nicht nur mit weiteren Fördergeldern unterstützt, sondern konnte zudem einen Co-Produzenten für seinen Film finden. Schließlich beteiligten sich an der Produktion auch noch das Bundesministerium des Inneren sowie die Filmförderungsanstalt. Emmerich und seiner Crew standen zu diesem Zeitpunkt damit 450.000 D-Mark zur Verfügung – immer noch zu wenig, um die Geschichte so auf die Leinwand zu bannen, wie sie sich der Regisseur vorgestellt hatte.

Dieser suchte derweil in München nach geeigneten Hallen, die er in ein Filmstudio verwandeln konnte. Doch sämtliche Versuche, dort einen geeigneten Drehort zu finden, schlugen fehl. Die Gebäude, die in Betracht gezogen wurden, entpuppten sich entweder als zu klein oder zu teuer.

Als die Location-Suche komplett in eine Sackgasse zu münden drohte, entschloss sich Emmerich, seine Sindelfinger Connection spielen zu lassen. Und tatsächlich fand sich in seiner alten Heimat innerhalb weniger Wochen eine für das Projekt perfekt geeignete Halle: eine ehemalige Waschmaschinenfabrik, die eigentlich abgerissen werden sollte. Für eine geradezu lächerliche Monatsmiete von 600 Mark konnte die Crew diese in ein Filmstudio umwandeln. Sie tauften das Gebäude DL-Studio – DL für Deadline –, um daran zu erinnern, dass das Gemäuer nach den Dreh­arbeiten abgerissen werden würde. Mit Unterstützung professioneller Schreiner, Maler und Zimmerleute arbeitete die junge Filmcrew unter Anleitung Emmerichs mehrere Monate an den aufwendigen Dekors der Florida Arklab. Die Inneneinrichtung wurde aus Styropor-, Holz- und Kunststoffteilen hergestellt. Des Weiteren besorgten sich die Filmbast­ler von verschiedenen Firmen ausrangierte Computer-Monitore, die geschickt in die Kulissen integriert werden konnten. Zahlreiche Lämpchen, die ringsum drapiert wurden, verstärkten den erstaunlich realistischen Eindruck einer Raumschiff-Kommandozentrale.

Bald schon war die 1.000 Quadratmeter große Halle vollgestopft mit Kulissen, Maskenräumen und Garderobe, Produktionsbüros und einem kleinen Trickstudio, in dem verschiedene Aufprojektionen von Weltraum-Dias eingerichtet wurden. Emmerich engagierte für seine ambitionierte Filmproduktion zahlreiche Kommilitonen der HFF, die sich mit Begeisterung in das Projekt stürzten: Egon Werdin übernahm die Kameraarbeit, Gabriele Walther die Produktionsleitung, Tomy Wigand den Schnitt. Seinem Schulfreund Hubert Bartholomae, der eigentlich mit dem Kinogeschäft bis dahin nichts zu tun gehabt hatte, übertrug er vertrauensvoll die Realisation der Visual Effects sowie die Komposition der Musik. Schon während die erste Drehbuch-Fassung entwickelt worden war, hatte der Elektrotechniker damit begonnen, den Sound zu diesem Science-Fiction-Film zu kreieren. Bartholomae war jedoch auch mit der Herstellung des Raumschiff-Modells betraut und bastelte dieses aus Cola-Dosen zusammen.

Im Herbst 1981 fiel dann endlich die erste Klappe. Zu diesem Zeitpunkt konnte die Crew nicht ahnen, welch brutaler Überlebenskampf ihr bevorstehen würde. Täglich 16 bis 18 Stunden musste das Team in der von Kunstnebel geschwängerten Luft des Studios zubringen, von Set zu Set wechseln, Kabel und Kameraschienen verlegen, Kulissen umbauen, Scheinwerfer neu einstellen. Abends erwartete die Mitglieder kein gemütliches Hotelzimmer, sondern ein Matratzenlager im Gebäude der Ortskrankenkasse. Statt einer Gage gab es Gulasch in der Kantine von Vater Emmerich, eine Auslagen-Erstattung sowie ein kleines Taschengeld. In den Genuss einer Entlohnung im üblichen Rahmen kamen nur die Schauspieler: der aus Österreich stammende Franz Buchrieser, der den kritischen Wissenschaftler Marek spielte und mit seinen 41 Jahren der Älteste des Teams war, sowie Richy Müller, der für die Rolle des Billy Hayes engagiert worden war.

Weil die Halle, in der Emmerich drehte, genau zwischen einer Hauptstraße und einer Bahnlinie lag, konnte nicht mit Originalton gedreht werden. Der Regisseur musste deshalb später alles im Tonstudio nachsynchronisieren lassen. Und auch die Arbeit mit dem Techniscope-Breitwandverfahren, in dem der Film gedreht wurde, stellte das Team vor eine große Herausforderung. Die Kamera-Crew hatte oft mit Schärfeproblemen zu kämpfen, weshalb viele Aufnahmen in den Müll wanderten. Als zusätzliches Problem erwies sich, dass kein einziges Kopierwerk in Deutschland in der Lage war, das Material zu entwickeln, weil dieses Verfahren eigentlich nur noch für Kung-Fu-Produktionen aus Hongkong zum Einsatz kam. Daher mussten die Filmrollen täglich zur Entwicklung nach Rom geschickt werden.

Die vielen Unzulänglichkeiten der Produktion und die ständig auftretenden technischen Probleme erforderten viel Nervenkraft und einen ausgeprägten Teamgeist. Die Begeisterungsfähigkeit der Mitarbeiter und die Gewissheit, an einem einzigartigen Pionierprojekt mitzuwirken, halfen der Crew schließlich aber über alle schwierigen Situationen hinweg. Am Set herrschte kreatives Chaos, das sich jedoch in ausschlaggebenden Momenten stets zu ordnen vermochte und so erstaunliche filmische Ergebnisse ermöglichte: Die vorgeführten Muster jedenfalls kamen sehr gut an.

Dennoch drohte dem Film das vorzeitige Aus. Die jungen Kinoenthusiasten hatten nicht damit gerechnet, dass die Produktion schon zu einem so frühen Zeitpunkt den Kostenrahmen sprengen würde, zumal in allen Bereichen gekonnt gespart worden war. Als sich mitten im Dreh dann herausstellte, dass das Budget aufgebraucht war, musste das Projekt gestoppt werden. Komplizierte Verhandlungen über neue Geldgeber waren die unerquickliche Folge, schließlich konnten die Filmemacher jedoch den Süddeutschen Rundfunk dazu bewegen, sich am Arche Noah Prinzip zu beteiligen.

Am Ende verschlang der Film 1,2 Millionen Mark. Doch der Aufwand hatte sich gelohnt. Emmerich, der drei Jahre lang diesen aufwendigen Film entwickelt und gedreht hatte, konnte sein Debüt auf den Internationalen Filmfestspielen von Berlin vorführen und erhielt viel Anerkennung. Zwar kritisierten zahlreiche Feuilletonisten inhaltiche Schwächen, wie u.a. die ihrer Meinung nach umständliche Rückblenden-Konstruktion; sie würdigten gleichzeitig aber auch die erstaunliche handwerkliche Perfektion, mit der der Film in Szene gesetzt worden war.

Emmerich indes, der von Interview zu Interview reiste, um seinen Erstling zu promoten, ruhte sich nicht auf seinen Lorbeeren aus, sondern steckte bereits mitten in den Vorbereitungen zu einem neuen Projekt. Wieder ging es um einen phantastischen Film – diesmal mit noch mehr Visual Effects …

Interview mit Roland Emmerich:

Von überraschenden Wendungen und dramaturgischen Kniffen

Wie entwickeln Sie die Idee zu einem neuen Film?

RE: Zuerst erarbeite ich ein grobes Schema des Films und versuche, die Grundidee klar zu formulieren. Das ist die erste Phase. Danach setze ich mich mit verschiedenen Leuten zusammen und versuche, ihnen zu erklären, welche Art von Film ich machen will. Daraufhin schreibe ich ein Treatment, eine dreißigseitige Abhandlung des Films, in der jede Szene beschrieben wird, jedoch ohne Dialoge. Der Film muss hier in seinem Ablauf so spürbar sein, wie er später auf die Leinwand kommen soll. Diese grobe Struktur ermöglicht dem Regisseur verschiedene Figuren und Handlungen umzubauen oder zu entfernen, ohne jedes Mal die Dialoge neu formulieren zu müssen. Es kann Monate dauern, bis man ein Treatment hat, aus dem man eine Drehbuchfassung entwickeln kann.

Wie wichtig ist das Drehbuch für Sie bei der Filmarbeit?

RE: Als ich noch auf der Filmhochschule war, habe ich nicht besonders auf das Drehbuch geachtet. Je erfahrener ich werde, desto deutlicher spüre ich jedoch, dass das Drehbuch 80 Prozent eines Films ausmacht. Wenn das Drehbuch nicht stimmt, funktioniert auch der Film nicht. Ein Script ist etwas wie der Koffer für die Reise. Ohne Koffer kann man nicht verreisen und ohne Drehbuch kann man keinen Film machen. Es gibt zwei wichtige Dinge für mich: erstens die Besetzung und zweitens das Drehbuch.

Wie strukturieren Sie Ihre Geschichten?

RE: Ich habe ein einfaches Rezept. Zuallererst muss ich wissen, welches Ziel ich mit meiner Geschichte verfolge und worauf ich eigentlich hinauswill. Gleichzeitig überlege ich mir, was der Ausgangspunkt und wie der Weg ist, um zum angestrebten Ende zu kommen. Ein Film zerfällt meistens in drei Akte. Im ersten Akt muss alles etabliert werden, die Geschichte, die Charaktere und der Konfliktstoff, alles muss eingeführt und entwickelt werden. Dafür stehen einem in der Regel 30 Filmminuten zur Verfügung. Der zweite Akt ist praktisch der Weg zum Ende. Die Menschen beginnen eine Reise von A nach B. Bei John Fords Westernklassiker Ringo – Höllenfahrt nach Santa Fé kommen die Charaktere im ersten Akt zusammen. Im zweiten begeben sie sich mit einer Postkutsche auf die Reise. Hier wird gleichzeitig in den dritten Akt übergeleitet. In ihm ist das Ziel beinahe erreicht, aber die Protagonisten müssen noch um das Ergebnis kämpfen.

Können Sie den vorher erwähnten Übergang vom ersten in den zweiten Akt erklären?

RE: In einem Film sollte es wenigstens zwei überraschende Wendungen geben. Im ersten Akt ist es der Moment, der die Geschichte überhaupt ins Rollen bringt, im zweiten muss sie den Schluss einleiten. Hier sollte der Zuschauer erkennen, dass es zur Haupt-Konfrontation des Films kommt. Nur durch einen Überraschungseffekt kann man zu etwas Neuem überleiten, sonst langweilt sich das Publikum. Einfaches Beispiel: Der Moment in E.T., in dem der Außerirdische todkrank wird. Das ist der Wendepunkt der Geschichte und die Überleitung zum Schluss. Jetzt kann der Kampf um sein Überleben beginnen. Die Frage, um die sich alles dreht: Schafft es E.T. wieder nach Hause oder stirbt er. Darum geht es im Schlussakt.

Welcher strukturelle Unterschied besteht zwischen Tragödie und Komödie?

RE: Keiner! Nehmen Sie Billy Wilders Komödie Manche mögen’s heiß. Auch sie passt ins Raster. Im ersten Akt geht es darum, dass zwei Männer gezwungen werden, sich als Frauen zu verkleiden. Im zweiten Akt reisen sie in ein Hotel, im dritten kommt es schließlich zum Höhepunkt, denn da treffen sich alle Figuren aus dem ersten Akt. Jeder bekommt den Mann oder die Frau, um die es geht. Erster und letzter Akt sind immer etwas kürzer, schneller und geballter als der Mittelteil, denn der Mittelakt trägt die Handlung und die Konfrontation zwischen den einzelnen Figuren.

 

Welche Tipps können Sie jemandem geben, der sein erstes Drehbuch schreibt?

RE: Wer sein erstes Drehbuch schreibt, sollte darauf achten, dass dessen Verfilmung keine 20 Millionen Dollar oder mehr kostet. Die Produzenten trauen einem das einfach nicht zu. Kleine, überschaubare Geschichten sind ein guter Anfang. Ein Kammerspiel wäre eine fruchtbare Übung, denn da lernt man sehr gut, mit Figuren umzugehen. Das kann ein Krimi, ein Horrorfilm oder eine Komödie sein. Wichtig ist immer: Man sollte sich gut auskennen in dem Sujet, über das man schreibt.

Ein berühmter Drehbuch-Autor und -Theoretiker, William Goldman, behauptet: Kinogeschichten sollten langsam beginnen.

RE: Darüber lässt sich streiten. Goldman ist ein Verfechter des alten – klassischen – Hollywood-Erzähl-Kinos. Er ist von den 1940er und 1950er Jahren geprägt. Wäre er nicht ein so erstklassiger Drehbuchautor, könnte er für den modernen Film gar keine Scripts mehr schreiben. Heutige Unterhaltungsfilme funktionieren meiner Meinung nach völlig anders als die der 1940er und 1950er Jahre. Der Anfang muss stark, sehr stark sein! Wenn in meinem Drehbuch nach den ersten zehn Seiten nichts Aufregendes, Fesselndes passiert, schmeißt es der Produzent sofort in den Müll. Er weiß, dass das Publikum sich langweilt, wenn in den ersten zehn Filmminuten, das entspricht zehn Drehbuchseiten, nichts Spannendes passiert. Man sollte also darauf achten, dass man nach diesen ersten zehn Minuten weiß, wer die Hauptfigur ist. Es können natürlich auch mehrere Hauptfiguren sein, was jedoch sehr schwierig ist. Aus diesem Grund arbeitet nahezu jeder moderne amerikanische Unterhaltungsfilm mit nur einer Hauptfigur. Man will den Zuschauer nicht überfordern. Ein vollkommener Blödsinn, wie ich finde, weil Filme mit mehreren Hauptfiguren oft die besseren und spannenderen sind. Ein großer Künstler in dieser Hinsicht war Alfred Hitchcock. Er präsentierte meist drei oder vier Hauptfiguren und führte sie gleichzeitig ein. Manchmal stellte er sie auch, wie in Psycho, nacheinander vor. Wobei er gerade in diesem Film extrem experimentierte, denn die eigentliche Hauptfigur dieses Thrillers ist die Mutter von Norman Bates, die jedoch erst am Ende auftaucht.

Manche Kritiker bemängeln an Psycho die Schlusssequenz, in der eine ausführliche Erklärung für Norman Bates’ psychotischen Zustand gegeben wird, als viel zu lang. Sind Sie auch dieser Meinung?

RE: Ich habe den Film zum ersten Mal mit 15 oder 16 Jahren im Fernsehen gesehen und den Schluss nicht als schlecht empfunden. Im Gegenteil: Mir gefiel es, dass man Norman Bates noch einmal in der Zelle sitzen sieht, wie er mit sich selbst redet. Im Grunde geht es beim Filmemachen immer darum, Bilder und Szenen zu erfinden, die für den Zuschauer unvergesslich bleiben. Dramaturgische Fehler können einem Film natürlich schaden. Bei Psycho jedoch sind sie bedeutungslos, weil die Bilder unbeschreiblich stark sind. Allein die Blicke verbreiten hier blanken Horror. Dramaturgisch gesehen ist Psycho ein klassisches Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte. Zu Beginn wird eine Hauptfigur eingeführt, kurze Zeit später wird sie umgebracht und verschwindet aus dem Film. Weitere Hauptpersonen suchen sie und folgen ihr auf die gleiche Weise. Das ist eigentlich eine ganz untypische Dramaturgie. Erst nach und nach wird dem Zuschauer klar, wer die eigentlichen Hauptpersonen sind. Nämlich Norman Bates, der Hotelbesitzer, und vor allem seine Mutter …

Wenn heute ein Produzent diese Story auf den Tisch bekäme, würde er sagen: „Diese Geschichte funktioniert nicht.“ Einem Erstlings-Regisseur würde er so etwas niemals zutrauen. Er würde ihn dazu bringen, einen Hauptcharakter einzuführen, der nicht umgebracht wird, sondern erlebt, wie um ihn herum Menschen von einem mysteriösen Killer getötet werden.

Wie ausgefeilt sind Ihre Drehbücher?

RE: Ich bin zuallererst Regisseur, deshalb sind meine Drehbücher keine Musterbeispiele. Mir ist die Diskussion um einen Stoff sehr wichtig, weshalb ich meine Scripts gerne anderen Leuten zu lesen gebe. Man sollte ein Drehbuch niemals verfilmen, ohne vorher mit anderen darüber gesprochen zu haben. Da es in Deutschland keine Drehbuch-Kultur wie in Amerika gibt, bin ich einfach dazu verdammt, mich selbst darum zu kümmern. Für mich als Unterhaltungs-Regisseur wäre es besser, mit guten Drehbuchautoren zusammenzuarbeiten. Ich bin eigentlich ein Mann des Bildes, der Umsetzung, der Organisation. Mein Problem ist aber, dass ich einen Film visuell von vornherein im Kopf habe, und das einem Drehbuchschreiber zu vermitteln, ist fast unmöglich. Ich kann schließlich nicht verlangen, dass er das schreibt, was ich im Kopf habe. Bei mir gibt es entweder eine Grundidee oder ein Gefühl, das mich dazu bringt, einen Film zu realisieren. Sollte sich daraus plötzlich etwas anderes entwickeln, weil ein Drehbuchautor das Ganze ändert, gäbe es keinen Grund mehr, diesen Film zu machen.

Besteht die Gefahr, dass ein Filmemacher vor lauter Regeln, die er beachten muss, keine Ideen mehr hat?

RE: Nein. Wer viel über Mathematik weiß, ist nicht unbedingt ein schlechter Mathematiker. Man kann am besten aus seinen eigenen Fehlern lernen. Was mich in diesem Kontext ärgert: Viele Kritiker wollen nicht respektieren, wie schwierig die Herstellung eines Films ist. Es ist erstaunlich, wie gern das übersehen wird. Der Schwierigkeitsgrad wird beim Filmemachen völlig ignoriert. Ich wundere mich manchmal über Fernsehsendungen, in denen Filme besprochen und kritisiert werden. Der Witz ist, dass diese Sendungen die gleichen Fehler begehen, wie die Filme, die sie kritisieren. Nicht selten können Sie eine Filmkritik von sechs Minuten Dauer angucken, ohne am Ende zu wissen, was eigentlich in dieser Zeit besprochen wurde. Ein Film muss in sechs Minuten wahnsinnig viel erzählen, sonst ist er nicht gut. Mir sind spontane Kritiken am liebsten. Wenn jemand nach der Vorstellung aus dem Kino kommt und meint: „Dieses hat mir gefallen, jenes nicht.“ In so einem Falle können Sie als Regisseur fragen: „Warum hat Ihnen das nicht gefallen?“ Und der Zuschauer antwortet: „Weil ich es unglaubwürdig fand.“ Dann können Sie weiter nachforschen, was er unglaubwürdig fand, und die Ursachen ermitteln. Oft sind es übrigens nur Kleinigkeiten, die einen Film in Misskredit bringen.