Weiße Rosen aus Névez

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Kapitel 6

Anaïk Bruel betrachtete die Aufzeichnungen an der Pinnwand, als Dustin ins Büro trat.

„Bonjour Anaïk“, grüßte er und ging auf sie zu.

„Bonjour Dustin“, erwiderte Anaïk.

„Hast du etwas Neues für mich?“, fragte sie Dustin.

„Habe ich Anaïk, und ich will es dir auch sofort sagen. Also, an dem Zigarettenstummel habe ich eine DNA-Spur gefunden. Yannick untersucht sie bereits. An dem Gurt, mit dem der Stein am Ast befestigt gewesen ist, habe ich einen halben Fingerabdruck und eine winzige Ölspur sichern können. Meine erste Analyse deutet darauf hin, dass der Gurt entweder aus einer Werft stammt, oder dass der Mörder etwas mit Schiffen zu tun hat. Es könnte also auch ein Fischer sein. Es handelt sich eindeutig um Schweröl, das auf Werften und Fischerbooten eingesetzt wird.“

„Interessant“, bemerkte Anaïk.

„Und woher könnte der Felsbrocken stammen?“

„Das gestaltet sich schwierig. Der Stein enthält sowohl Sandstein als auch Schiefer. Ich habe mir die Verbreitung dieses Gesteins angesehen. Die Geologen haben diese Zusammensetzung in der Südbretagne nur auf der Belle-Île und an einigen kleineren Küstenabschnitten zwischen Concarneau und Lorient gefunden. Vielleicht gelingt mir eine genauere Lokalisierung, dazu muss ich allerdings Vergleichsproben beschaffen, was entsprechend viel Zeit in Anspruch nehmen kann.“

„Hmmm, und wenn der Brocken aus der Gegend von Kerfany stammte?“ Anaïk dachte sofort wieder an Monsieur Audic. Eigentlich hatte sie ihn ausgeschlossen, sie war sich dennoch unsicher. Eine DNA-Analyse von Monsieur Audic würde ihr deutlich weiterhelfen. Am Zigarettenstummel hatten sie doch eine DNA gefunden, die könnten sie mit der von Monsieur Audic vergleichen. Er müsste zu einer freiwilligen Abgabe bereit sein, bei der derzeitigen Beweislage konnten sie ihn dazu nicht zwingen. In dem Moment betrat Monique das Büro.

„Gibt es Neuigkeiten?“

„Ja, Monique“, antwortete Anaïk und berichtete von den Ergebnissen, die Dustin ihr gerade präsentiert hatte. Dustin machte sich wieder auf den Weg in sein Labor.

„Wie gehen wir jetzt weiter vor?“, fragte Monique ihre Chefin, die mit ihren Gedanken schon wieder woanders zu sein schien.

„Ich denke gerade darüber nach. Im Moment können wir mit den Hinweisen von Dustin wenig anfangen. Wir haben keine Fingerabdrücke von Monsieur Audic, um sie mit dem Abdruck auf dem Gurt zu vergleichen. Wir wissen nicht, woher das Öl auf dem Gurt stammt. Wenn es eindeutig aus einer Werft käme, könnten wir uns Proben aus den einzelnen Werften besorgen, viele gibt es davon ja nicht im Großraum von Concarneau, eher kleinere Werkstätten, die sich auf die Instandsetzung von Booten spezialisiert haben, wenn ich von den hivernages, den Winterlagerstätten, absehe. Ob uns das weiterbringt? Ich habe auch Zweifel, dass uns das Wissen um die Herkunft des Felsbrockens helfen kann. Ich setze eher auf den Zigarettenstummel und auf den Zettel mit der Aufforderung in den Garten zugehen. Ich lasse den Zettel gerade von einem Experten untersuchen.“

„Hast du ihn zur forensischen Schriftuntersuchung gegeben?“

„Nein, die könnte uns ja nur die Echtheit bestätigen oder Aussagen über das Alter der Schrift oder die verwendete Tinte machen. Ich habe ihn einem Graphologen gegeben, der sich mit der psychologischen Untersuchung von Texten beschäftigt. Ich erhoffe mir, dadurch Aufschluss über die Persönlichkeitsstruktur der Person, die den Text geschrieben hat, zu erhalten. Ich habe von dem Graphologen gehört, dass er sowohl Persönlichkeits- als auch Sozialkompetenz aus Schriften herauslesen kann. Der Experte, mit dem ich telefoniert habe, ein Herr Paul Camoure, war sicher, dass er uns bei der Suche nach einem Profil unseres Täters helfen kann.“

„Hmmm, eine interessante Überlegung“, meinte Monique und dachte darüber nach.

„Wie lange wird es dauern, bis wir mit einem Ergebnis rechnen können?“

„Das konnte er mir nicht sagen, Monique, er wollte sich die Schriftprobe zuerst genau ansehen. Lass uns nach Kerfany fahren und klären, ob Monsieur Audic raucht“, sagte Anaïk und schnappte sich ihre Handtasche.

Sie hatten gerade das Büro verlassen, da klingelte ihr Handy.

„Bruel“, meldete sie sich.

„Madame Bruel, wir haben einen Anruf von einem Gendarmen, Marc Marson, aus Pont-Aven erhalten. Er hat uns einen Toten auf einem Parkplatz der Stadt gemeldet“, informierte sie der Kollege der Telefonzentrale.

„Wir fahren sofort hin, informieren Sie bitte auch Dustin Goarant und Yannick Detru. Wo genau finden wir diesen Parkplatz?“

„Der Platz liegt an der Rue des Abbès Tanguy“, antwortete der Kollege und legte auf.

„Wir haben wieder einen Toten, diesmal in Pont-Aven.“

„Das liegt nicht weit von Névez entfernt. Können die beiden Morde zusammenhängen?“, fragte Monique, während sie bereits die Treppe hinuntergingen.

„Möglicherweise, lass uns den Toten ansehen, bevor wir darüber spekulieren.“

Auch Dustin kam aus dem Gebäude und stieg mit seinem Kollegen in den Dienstwagen. Bestimmt würde sich Yannick auch bald auf den Weg machen. Die beiden Kommissarinnen fanden den Parkplatz in Pont-Aven auf Anhieb. Die Gendarmen hatten den Platz weiträumig abgesperrt und erwarteten die police judiciaire.

„Marson, Marc Marson, mein Name. Sie sind Madame la Commissaire?“

„Anaïk Bruel, Bonjour Monsieur Marson.“

Marson sprach bereits weiter.

„Madame Bruel, sind Sie die Nachfolgerin von Monsieur Kerber? Mit Monsieur Kerber haben wir einige Male zusammengearbeitet.“

„Sehr richtig, Monsieur Kerber ist mein Vorgänger gewesen. Das ist übrigens Madame Monique Dupont, meine Kollegin. Können Sie uns bitte zur Leiche führen?“

„Aber sicher, mein Kollege, Claude Ylian, bewacht die Leiche.“

Marcel Marson führte die beiden Kommissarinnen zur hintersten Reihe des Parkplatzes. Die Leiche eines älteren Mannes lag auf dem Boden, neben einem Audi A8. Yannick Detru war noch nicht in Pont-Aven eingetroffen, so konnten sie den Toten nur ansehen. Anaïk hatte Latexhandschuhe übergestreift und einen Schutz über ihre Schuhe gezogen. Vorsichtig kniete sie sich zu dem Leichnam. Der Mann trug klassische Bootsschuhe, einen feinen Leinenanzug, ein weißes Hemd, an dem der oberste Kopf offenstand, und einen edlen blauen Pullover. Neben der Leiche lag eine weiße Rose. Das beantwortete Moniques Frage. Die Morde hingen zusammen.

Anaïk erhob sich und trat neben Monique.

„Eindeutig ein Segler, ich tippe, dass es sich um einen Engländer handelt. Neben dem Leichnam liegt wieder eine weiße Rose.“

In diesem Augenblick trafen Yannick und Dustin am Tatort ein. Sie sahen Anaïk von der Leiche zurücktreten.

„Du hast hoffentlich nicht die einzigen Spuren vernichtet“, frotzelte Dustin, auch Yannick fühlte sich berufen einen Kommentar hinzuzufügen.

„Bin ich bereits unnötig hier, weil du die Todesursache schon kennst?“

„Hört mit euren Spielchen auf. Seht lieber zu, dass ich bald einen brauchbaren Anhaltspunkt für meine Nachforschungen erhalte“, gab Anaïk lächelnd zurück.

Yannick ging zur Leiche und sah sich den Mann genau an. Er brauchte nur wenige Minuten, dann stand die Todesursache fest. Er überprüfte noch die Körpertemperatur, um eine Aussage über den Todeszeitpunkt machen zu können, denn Anaïks erste Frage zielte meistens darauf ab. Er erhob sich und ging zu den Kommissarinnen.

„Der Mann ist mit einem stumpfen Gegenstand niedergeschlagen worden, ich denke, dass es sich um einen Baseballschläger oder etwas Ähnliches handelt. Daran ist er allerdings nicht gestorben, die Todesursache ist ein Kondom gewesen.“

„Ein Kondom? Wie kann man an einem Kondom sterben?“, fragte Monique.

„Indem man es jemandem in den Hals steckt. Der Mann ist an einem Kondom erstickt. Ich kann es erst entfernen, wenn ich ihn auf dem Tisch liegen habe“, meinte Yannick.

„Ein Toter, der mit einem Stein erschlagen wird, der an einem Ast befestigt war, ein zweiter Toter, der an einem Kondom erstickt ist, was sind das für Morde?“

Monique sah Anaïk fragend an. Die zuckte mit den Schultern und war sich in diesem Moment sicher, dass sie nicht mehr nach Kerfany fahren mussten, um Monsieur Audic zu fragen, ob er Raucher war. Monsieur Audic hatte kein Motiv für den Mord an diesem Engländer. Und die weiße Rose neben der Leiche zeigte deutlich, dass der Mord an beiden Toten von derselben Person ausgeführt worden ist.

„Wann ist der Tod eingetreten?“, fragte Anaïk. Yannick verzog seine Lippen zu einem leichten Lächeln.

„Auf die Frage habe ich gewartet“, meinte er und fuhr fort: „Ich schätze vor höchstens ein bis zwei Stunden.“

„Wir haben es mit einem Serienmörder zu tun!“, meinte Anaïk und sah mit Sorge in die Zukunft.

Kapitel 7

Mike Cornby trug seine Bootsschuhe, die er sonst nur beim Segeln anhatte. Seine lässige Bootskleidung tauschte er gleich mit seinem Leinenanzug, den er erst vor wenigen Wochen in London hatte anfertigen lassen. Sein Schneider war ein begnadeter Handwerker und fertigte ihm seine Kleidungsstücke auf Maß. Auch sein weißes Hemd war auf ihn zugeschnitten. Er ließ den obersten Kopf offen, das unterstrich sein lässiges Outfit. Über dem Hemd trug er einen feinen blauen Pullover. Sein Rendezvous konnte beginnen.

Sein Haus, ein riesiges Anwesen, lag etwas außerhalb von Pont-Aven, hoch über dem Fluss, mit herrlichem Blick über den Hafen und den Aven. Er bestieg seinen Audi A8 und fuhr zur Chocolaterie. Leise fluchte er vor sich hin, alle Parkplätze im Zentrum waren belegt. Er musste zwangsläufig auf den großen Platz oberhalb der Innenstadt fahren. Auch der Parkplatz hier oben war heute gut belegt. In der hintersten Reihe fand er eine Lücke. Vom Parkplatz war es nicht weit bis zur Chocolaterie an der Rue des Abbès Tanguy. Ein Blick auf seine Rolex zeigte ihm, dass er sich jetzt beeilen musste, wollte er das Mädchen nicht warten lassen.

 

Er hatte Yanice Lojou beim Besuch des neuen Museums von Pont-Aven kennengelernt. Sie hatte dort, zur Neueröffnung des komplett renovierten Gebäudes, eine Tätigkeit als Hostess angenommen. Er war zu nahe an ein Bild von Gauguin getreten, und sie hatte ihn darauf aufmerksam gemacht, dass er das Bild aus größerer Entfernung betrachten müsse, ansonsten löse er den Alarm aus. Das Mädchen war bildschön. Sie sei Studentin, hatte sie erklärt, als sie ins Gespräch gekommen waren. Er fragte sie, ob sie, als Entschuldigung für seinen faux pas, mit ihm eine Tasse Kaffee trinken würde. Das Mädchen lachte.

„Wenn ich mit jedem Besucher, den ich um einen größeren Abstand zu den Bildern bitten muss, eine Tasse Kaffee trinken gehe, kann ich meinen Arbeitsort ins Café verlegen.“

„Machen Sie eine Ausnahme und mir die Freude, Sie zu einer Tasse Kaffee einladen zu dürfen.“

Yanice zögerte mit ihrer Antwort. Dann sagte sie dem freundlichen Engländer zu. Heute ging es nicht, da hatte sie bereits etwas geplant. Sie verabredeten sich für den nächsten Tag in der Chocolaterie.

Mike Cornby betrat die Chocolaterie und sah sich in dem Raum um. Von Yanice war nichts zu sehen. Mike ging auf die linke Seite zu einem freien Tisch am Fenster und setzte sich so, dass er auf die Brücke über den Aven sehen konnte. Da Yanice am Nachmittag noch im Museum arbeitete, so hatte sie ihm gesagt, käme sie von dort.

Die Mauern des Hauses waren aus dickem Naturstein, das Gebäude hatte einige Jahrhunderte auf dem Buckel. Kleine runde Tische waren von halbrunden Ledersesseln umgeben und luden zum Verweilen ein. Sein Blick fiel auf die gegenüberliegende Wand. Auf einem Bord standen verschieden große Fläschchen mit diversen Schokoladepulvern für die Kakaozubereitung. Mike gefiel die Einrichtung, er fühlte sich an die eleganten Cafés in England erinnert. Die Bedienung trat zu ihm und fragte nach seinen Wünschen. Er bestellte eine Tasse Kaffee. Er blickte ungeduldig wartend durchs Fenster auf die Straße. Nach einer viertel Stunde sah er Yanice selbstsicher auf das Café zukommen. Sie war mit einem schwarzen T-Shirt und enganliegenden Jeans bekleidet. Ein Seidenschal war lässig um ihren Hals geschlungen. Ihre schulterlangen kastanienbraunen Haare wehten im Wind.

Yanice betrat das Café, sah sich um und kam dann zielstrebig auf ihn zu.

„Ich habe mich etwas verspätet, meine Chefin wollte mich unbedingt noch sprechen“, sagte sie entschuldigend und reichte Mike Cornby die Hand.

Mike erhob sich gentlemanlike und begrüßte Yanice herzlich.

„Bitte nehmen Sie doch Platz“, bat er und zeigte auf den freien Sessel neben sich.

„Ich setze mich gerne ans Fenster“, sagte Yanice und ging zu dem dritten Sessel, Mike gegenüber.

„Aber bitte“, meinte er und setzte sich wieder.

„Was darf ich für Sie bestellen?“

„Ich nehme eine Schokolade, mal sehen, welche mir heute schmecken könnte“, sagte sie, griff zur Getränkekarte und sah sich die Liste der diversen Geschmacksrichtungen an. Schnell entschied sie sich für eine dunkle Schokolade.

„Wie wäre es mit einem Stück Kuchen dazu?“, meinte Mike und zeigte auf die kleine Auslage an der Theke.

„Nein danke“, antwortete Yanice, „ich mag vor dem Abendessen nichts Süßes mehr zu mir nehmen.“

„Wir können hier gerne auch eine Kleinigkeit essen“, meinte Mike und griff bereits zur Karte.

Yanice lachte.

„Ich habe nur zu einem Kaffee ja gesagt, nicht zu einer Einladung zum Essen.“

„Schade, ich würde den Abend sehr gerne mit Ihnen verbringen“, antwortete Mike und lächelte sie an.

Yanice verstand genug. Dazu hatte sie keine Lust. Monsieur Cornby war ihr eindeutig zu alt. Er schien eine Menge Geld zu besitzen, stellte sie mit geschultem Blick auf seine maßgeschneiderte Kleidung fest. Sie behielt ihr Lächeln und lenkte das Gespräch in eine weniger verfängliche Richtung. Die Bedienung trat an den Tisch, und sie bestellte einen Kakao mit dunkler Schokolade.

„Erzählen Sie mir, was Sie den ganzen Tag in Pont-Aven treiben. Sie verbringen doch bestimmt Urlaub hier.“

„Oh nein, da muss ich Sie enttäuschen. Ich wohne hier und habe eine Yacht in Kerdruc. Ich besitze 60 Supermärkte in Old England, die mein Geschäftsführer vertrauensvoll führt. Ich kann mich den angenehmen Seiten des Lebens hingeben. Ich liebe das Segeln, Golfspielen und beschäftige mich mit den schönen Künsten. Mein Besuch im Museum bestätigt meine Liebe zur Kunst“, gab Monsieur Cornby an und lehnte sich entspannt in seinem Sessel zurück.

„Dann haben Sie Dauerurlaub? Ich studiere und arbeite oder jobbe nebenher, und das wird wohl noch eine Weile lang so bleiben. Nach meinem Studium sehe ich weiter.“

„Was studieren Sie denn?“, fragte Monsieur Cornby und zeigte sich interessiert.

„Sie werden es nicht glauben, ich studiere Mathematik.“

„Warum soll ich das nicht glauben?“ Er sah Yanice fragend an.

„Weil mir jeder sagt, dass Mathematik kein Fach für eine Frau ist. Aber ich liebe die Zahlen und den Umgang mit ihnen.“ Yanice lächelte.

„Was fasziniert Sie an der Mathematik? Ist es die Suche nach neuen Erkenntnissen oder der Spaß an der Rechnerei?“

„Vielleicht beides, schon als Kind habe ich die Mathematik geliebt. Ich bin kein Genie, das im Stande ist, sechsstellige Zahlen innerhalb von Sekunden im Kopf zu multiplizieren, mit kleineren Zahlen kriege ich das jedoch ganz gut hin. Aber zurück zu Ihnen, ist das Leben nicht langweilig ohne eine Aufgabe?“

„Nicht im Geringsten. Ich habe jede Menge Beschäftigung. Wie ich schon gesagt habe, ich spiele Golf, ich segle, ich besuche Museen und vieles mehr.“

Sie plauderten noch eine Weile, dann sah Yanice auf ihre Uhr. Langsam wurde es Zeit, dass sie sich auf den Heimweg machte.

„Ja, dann wünsche ich Ihnen weiterhin viel Spaß beim Segeln und Golfspielen. Ich bedanke mich für die Einladung, ich muss Sie jetzt verlassen. Ich habe noch eine Menge Arbeit zu erledigen.“

„Schade“, meinte Monsieur Cornby, „ich hätte gerne noch mehr Zeit in ihrer Gesellschaft verbracht. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg mit dem Studium. Vielleicht bekomme ich zu einem späteren Zeitpunkt die Gelegenheit, mit Ihnen einmal Essen zu gehen. Es gibt eine Reihe guter Restaurants in der Umgebung.“

„Die Hoffnung stirbt zuletzt“, meinte Yanice, verabschiedete sich von dem älteren Herrn und verließ das Lokal.

Monsieur Mike Cornby bezahlte die Rechnung und verließ wenige Minuten später auch das Café. Er ging die Rue des Abbés Tanguy hinauf zum Parkplatz. Er sah den Mann mit der Kapuze über dem Kopf nicht, der ihm im Abstand von vielleicht 20 Metern folgte. Der Mann trug eine Hülle auf dem Rücken, vielleicht eine Tasche für ein Stativ. Er trug einen langen schwarzen Mantel, für die Jahreszeit eher ungewöhnlich, und folgte Cornby in gleichbleibendem Abstand. Cornby stieg die wenigen Stufen zum Parkplatz hoch, für Fußgänger eine Abkürzung. Der Mann folgte. Es war später Nachmittag, dennoch hielt sich niemand auf dem Parkplatz auf, was dem Mann in seinem schwarzen Mantel sehr gelegen kam. Monsieur Cornby hatte seinen Wagen knapp erreicht, als der Mann sich ihm schnell näherte. Aus der Hülle zog er ein Eisenrohr. Bevor Cornby auch nur die geringste Chance hatte sich zu wehren, traf ihn die Stange am Kopf. Er sackte zusammen und blieb zwischen den Fahrzeugen liegen. Dann verlor er sein Bewusstsein.

Kapitel 8

Anaïk Bruel dachte über die beiden Morde nach. Sie mussten herausfinden, ob es eine Verbindung zwischen den beiden Opfern gab. Die meisten Morde waren Beziehungstaten, das wusste sie.

„Dustin, haben wir schon den Namen des Opfers?“

„Ja, den habe ich. Der Mann hieß Mike Cornby, ein Engländer und wohnte in London. Es war kein Raubmord. Sein Portemonnaie ist noch vorhanden. Ich habe darin mehr als 700 Euro gefunden.“

„Dann sollten wir sofort überprüfen, in welchem Hotel oder welcher Pension der Mann abgestiegen ist. Sicher verbringt er einige Tage Urlaub in der Region“, meinte Anaïk und sah zu Monique.

„Wenn es bei den beiden Morden einen Zusammenhang gibt, wie du vermutest Anaïk, dann könnte der Mann doch auch hier einen Zweitwohnsitz haben, wie unser erstes Opfer.“

„Hmmm, das müssen wir ebenfalls überprüfen, gute Idee Monique. Wir müssen auch herausfinden, was der Mann in den letzten Stunden gemacht hat, mit wem er gesprochen und wo er sich aufgehalten hat.“

„Wir könnten einen Aufruf in der Presse lancieren. Es finden sich bestimmt Zeugen, die uns dazu etwas sagen können“, antwortete Monique.

„Können wir machen. Aber zuerst würde ich die Kollegen aus Pont-Aven bitten, die Anwohner zu befragen. Vielleicht hat ja jemand etwas gesehen.“ Anaïk wandte sich um und suchte die beiden Gendarmen, die als erste am Tatort waren. Sie ging auf die Gendarmen Marson und Ylian zu.

„Monsieur Marson, wir benötigen ihre Unterstützung. Ich möchte, dass Sie die Anwohner befragen. Vielleicht hat jemand etwas beobachtet. Nach Einschätzung unseres Pathologen liegt die Tat höchstens zwei Stunden zurück. Können Sie die Befragung mit ihrem Kollegen erledigen, oder brauchen Sie weitere Unterstützung?“

„Das kriegen wir hin. Wir werden uns auf die Strecke zwischen dem Parkplatz und der Innenstadt beschränken, eventuell auch noch in den Geschäften und Bistros rund um den Aven nachforschen. Sollten wir nicht fündig werden, dann können wir einen Aufruf in der Presse starten.“

„Daran haben wir auch gedacht. Vielen Dank für ihre Unterstützung.“

Marson und Ylian machten sich sofort an die Arbeit. Mit ihren Handys nahmen sie ein Foto des Toten auf, so hatten sie bei der Befragung ein Bild bei sich. Anaïk und Monique verließen den Tatort und begannen mit den Nachforschungen nach seinem Aufenthalts- oder Wohnort in Pont-Aven. Das war vom Präsidium aus einfacher zu erledigen. Auf der Fahrt zurück nach Quimper besprachen sie ihr weiteres Vorgehen. Sollte Mike Cornby eine Wohnung oder ein Haus in Pont-Aven besitzen, müsste Dustin sich das ansehen.

Anaïk setzte sich an den Computer und verband sich mit dem Register der Steuerbehörde. Alle Besitzer einer Wohnung oder eines Hauses waren dort für die taxe foncière registriert. Sie tippte den Namen des Gesuchten in die Suchmaske, und sofort erschien sein Wohnort. Er besaß ein Haus in der Rue Auguste Brizeux. Anaïk griff zum Telefon und wählte Dustins Handynummer. Bestimmt war er noch am Tatort.

„Hallo Anaïk, du willst doch hoffentlich noch keine Ergebnisse vom Tatort erfahren?“

„Nein, ich gehe nicht davon aus, dass du jetzt schon erste Ergebnisse für mich hast. Wir haben die Adresse von Monsieur Cornby gefunden. Der Mann besitzt ein Anwesen in der Rue Auguste Brizeux, in Pont-Aven. Siehst du dir anschließend das Haus an?“

„Machen wir, sobald wir hier fertig sind. Wir haben seinen Hausschlüssel gefunden. Im Augenblick untersuchen wir sein Auto.“

„Danke Dustin, bis später.“ Anaïk legte auf. Sie trat an ihre Pinnwand, malte einen zweiten Kreis neben den von Paul Malencourt und schrieb den Namen Mike Cornby in die Mitte. Dann fügte sie alle bisherigen Erkenntnisse hinzu. Ein erster Vergleich mit Malencourt ergab keine Übereinstimmung der Details. Genau die benötigte sie aber, wenn die Morde zusammengehörten, und das zeigten die weißen Rosen neben den Leichen deutlich. Sie wollte Monique informieren, dass sie die Adresse von Monsieur Cornby gefunden hatte, da klingelte ihr Telefon.

„Marc Marson hier, Madame la Commissaire, wir haben eine erste Zeugin gefunden. Monsieur Cornby hat sich demnach unmittelbar vor seiner Ermordung in der Chocolaterie in Pont-Aven aufgehalten. Die Zeugin hat uns gesagt, dass er dort mit einer jungen Frau etwas getrunken hat. Die junge Frau hat das Café später alleine verlassen. Einige Minuten später ist Monsieur Cornby auch gegangen.“

„Das ist eine interessante Neuigkeit. Haben Sie vielen Dank. Vielleicht finden Sie noch heraus, um wen es sich bei der jungen Frau handelt.“

„Wir arbeiten daran, Madame la Commissaire.“ Marson legte auf.

Anaïk ging zur Pinnwand zurück und notierte die Information. Wer war die junge Frau und konnte sie etwas mit den Morden zu tun haben? Die Frage stellte sie sich, als Monique das Büro betrat.

 

„Ich habe gerade sämtliche Dateien nach Cornby durchsucht. Dabei bin ich darauf gestoßen, dass er eine Yacht besitzt, die in Kerdruc einen Liegeplatz hat. Unser erstes Opfer hatte ebenfalls eine Yacht in Kerdruc liegen. Das könnte die Verbindung sein, die wir suchen. Ich habe noch weitergestöbert und aufs Geratewohl den Namen Cornby in die Suchmaske des Ouest France eingegeben. Was meinst du kam dabei heraus?“

„Der Mann hatte einen Segelunfall?“

„Richtig, Anaïk, Mike Cornby hatte, genauso wie Malencourt, einen Segelunfall. Er hat einen unter der Wasseroberfläche gelegenen Felsen gerammt, daraufhin ist das Boot leckgeschlagen, und er ist in Seenot geraten. Die Seenotrettung der Trévignon hat ihn und seine Begleiter aus dem Wasser gefischt, alles wie bei unserem ersten Opfer!“

„Hmmm, du meinst, dass wir unseren Mörder unter den Rettern der SNSM finden könnten?“

„Nicht unbedingt, aber wir sollten uns dort jedenfalls einmal umsehen und die Alibis der aktiven Retter überprüfen. Es wäre doch denkbar, dass es jemanden unter den Mitgliedern gibt, der etwas gegen snobistische Freizeitskipper hat.“

„Wir sollten es überprüfen, aber ich bin der Meinung, dass die Menschen, die freiwillig ihr Leben aufs Spiel setzen und andere aus einer Seenot retten, die Geretteten anschließend nicht ermorden.“

„Ich bin grundsätzlich auch dieser Meinung, aber denk an die Feuerwehrmänner, die einen Brand legen, damit sie ihn anschließend löschen können.“

„Wir überprüfen es“, meinte Anaïk und aktualisierte die Pinnwand mit der möglichen Verbindung zwischen den beiden Verbrechen.

„Monique, wir sollten mit dem Hafenmeister in Kerdruc sprechen. Vielleicht kann der uns etwas über die beiden Yachtbesitzer erzählen, ob sie sich kannten und miteinander Kontakt hatten zum Beispiel.“

„Wir können das mit einem Besuch an der Trévignon verbinden. Von Kerdruc zur Pointe de Trévignon ist es nicht sehr weit.“

„Gut Monique, wir machen uns morgen sofort auf den Weg dorthin. Es ist schon wieder spät geworden“, meinte Anaïk und deutete auf die Uhr. Sie waren erst gegen 19 Uhr zur Leiche von Monsieur Cornby gerufen worden, und jetzt war es bereits nach 22 Uhr.

Anaïk hatte Brieg einen Anruf versprochen, sobald sie ihren Arbeitstag beendet hatte. Sie griff zu ihrem Handy und wählte seine Nummer.

„Na, konntest du dich nicht vom Büro trennen?“, fragte er anstelle einer Begrüßung. Sie hörte leichte Verärgerung aus seiner Stimme.

„Hallo Brieg, es tut mir leid, aber wir haben gegen 19 Uhr einen weiteren Mord gemeldet bekommen. Wir mussten sofort nach Pont-Aven fahren und uns die Leiche ansehen. Ich habe mich gerade vor einer Minute von Monique verabschiedet.“

„Ich wollte mit dir etwas Essen gehen, daraus wird jetzt wohl nichts mehr, oder?“

„Ich habe einen Mordshunger. Ich habe den ganzen Tag lang nichts gegessen. Wenn es dir nichts ausmacht, können wir uns gerne noch zum Essen treffen. Ich komme dir entgegen, und wir treffen uns zwischen Sainte-Marine und Concarneau?“

„Das ist nicht nötig, es reicht, wenn du nach Sainte-Marine kommst. Ich warte seit zwei Stunden vor deinem Haus“, antwortete Brieg und legte auf.

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