Der Tote von Trévarez

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„Hatte ihr Freund Feinde oder bekam er in letzter Zeit Drohungen?“

„Feinde? Richtige Feinde hat er meines Erachtens nach nicht gehabt. Wie ich schon gesagt habe, er ist als ein sehr seriöser Immobilienhändler bekannt und seine Kunden sind überwiegend zufrieden mit ihm gewesen. Neider dürfte es bestimmt gegeben haben, zumal er ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann gewesen ist. Von Drohungen hat er mir nichts erzählt. Ich bin mir sicher, dass er mit mir darüber gesprochen hätte.“

Paul notierte sich immer wieder die eine oder andere Aussage von Monsieur Guillem. Auch der Hinweis, dass Monsieur Courtain auf der Île de Bréhat gewesen war, stand in seinem Notizbuch. Paul sah von seinem Büchlein auf und blickte Guillem an.

„Sie sagen, Monsieur Guillem, dass ihr Freund auf der Île de Bréhat gewesen ist. Wissen Sie noch, wann das genau gewesen ist?“

„Da muss ich nachsehen, ich habe es mir in meinem Kalender notiert, weil ich hin und wieder Termine mit zukünftigen Bauherren gemeinsam mit Robert gemacht habe.“

Monsieur Thierry Guillem zog eine Schublade auf und entnahm ihr ein schwarzes, in Leder eingebundenes Kalendarium und schlug es auf.

„Wie Sie sehen, bin ich noch altmodisch. Ich schreibe meine Termine immer noch in meinen Kalender anstatt alles in mein Smartphone zu tippen.“

„Kommt mir irgendwie bekannt vor“, sagte Ewen und grinste. Auch er war kein Freund der modernen Technik, obgleich er sie durchaus nutzte.

„So, da haben wir es ja schon. Robert ist vom 12ten bis zum 15ten April auf der Insel gewesen.“

Paul notierte das Datum in sein Notizbuch.

„Nachdem er von dort zurückgekommen ist, hat er Ihnen gegenüber von irgendeinem besonderen Ereignis berichtet?“

Paul sah sein Gegenüber an und wartete auf eine Antwort.

„Nein, er hat nur gesagt, dass die Tage zu schnell vorbeigegangen sind. Ich glaube, er wäre gerne noch einige Tage geblieben aber wir haben bereits Geschäftstermine verabredet gehabt.“

„Monsieur Guillem, Sie kennen doch bestimmt die Handynummer ihres Freundes, können Sie uns die geben?“

„Natürlich kenne ich seine Nummer.“ Thierry Guillem gab den Kommissaren die Nummer.

„Kennen Sie auch sein Autokennzeichen?“

„Sein Kennzeichen kenne ich nicht, aber Robert hat einen 530er BMW gefahren, schwarz metallic.“

Ewen sah Paul an, als wollte er ihn fragen, ob er weitere Auskünfte von Monsieur Guillem haben wollte. Als Paul den Kopf schüttelte, erhob sich Ewen von seinem Stuhl.

„Haben Sie vielen Dank für ihre Auskünfte. Wir werden uns jetzt erst einmal die Wohnung und die Büroräume ihres Freundes ansehen. Sollten wir weitere Fragen haben, dann rufen wir Sie an.“

Ewen und Paul reichten Thierry Guillem die Hand und verabschiedeten sich.

Im Dienstwagen fragte Ewen seinen Kollegen nach der Frage zu Bréhat.

„Du hast nach einem Ereignis auf Bréhat gefragt, gibt es einen besonderen Grund dafür, Paul?“

„Nicht wirklich, ich kann mich nur erinnern, dass im Ouest France vor einigen Monaten ein kurzer Bericht über den Tod eines jungen Mädchens gestanden hat. Ich muss nachsehen wann der Bericht genau erschienen ist. Der Bericht ist mir eingefallen, als Monsieur Guillem von der Île de Bréhat gesprochen hat. Es könnte ja vielleicht einen Zusammenhang mit dem verunglückten Mädchen geben, ist aber wahrscheinlich sehr weit hergeholt.“

„Ausschließen kann man nichts. Wir sollten uns das schon genauer ansehen.“

Paul Chevrier und Ewen Kerber fuhren zurück nach Quimper. Die Wohnung von Robert Courtain war ihr nächstes Ziel. Jetzt, da sie wussten, um wen es sich bei dem Toten handelte, war das weitere Vorgehen klar. Sie mussten sich die Wohnung und das Büro von Courtain ansehen, um eventuelle Hinweise oder Spuren zu finden, die auf den Mörder hindeuteten. Paul rief auf der Fahrt nach Quimper Dustin an und bat ihn, mit seiner Mannschaft in die Rue Charles Chasse zu kommen.

Nach zwanzig Minuten stellten die Kommissare ihren Wagen vor dem Haus von Robert Courtain ab und stiegen aus. Das Grundstück schien recht groß zu sein, Ewen schätzte es auf 3000 m2. Das Wohnhaus lag gute 60 Meter von der Straße entfernt. Ewen und Paul folgten dem Kiesweg bis zur Haustür. Sicherheitshalber klingelten sie und warteten, ob sich etwas im Haus regte. Alles blieb still.

„Guillem hat uns ja bereits gesagt, dass Courtain alleinstehend ist“, meinte Paul.

„Hast du dein Werkzeug in der Tasche?“

Ewen bezeichnete die Sammlung von verschiedenen Dietrichen, die Paul meistens in der Tasche seines Jacketts mitführte, als Werkzeuge.

„Klar, habe ich immer dabei.“ Er holte die kleine Sammlung aus seiner Tasche und versuchte, das Schloss an der Haustür zu öffnen. Paul war ganz geschickt darin und brauchte nicht sehr lange, bis das Schloss mit einem Knacken aufsprang. Die Haustür öffnete sich und die beiden Kommissare betraten den Hausflur von Robert Courtain.

Das Haus schien von außen nicht sehr groß zu sein. Jetzt, nachdem sie im Hausflur standen, erschien es Ewen deutlich größer. Der Flur war lichtdurchflutet. Nicht nur durch die große Scheibe der Tür, sondern auch durch ein bis zur Decke reichendes Fenster auf der gegenüberliegenden Seite, konnte das Tageslicht ungehindert eindringen. Links und rechts sah Ewen auf Zimmertüren.

„Ich übernehme die linke Seite und du die rechte?“, fragte er Paul, der bereits dabei war seine Latex-Handschuhe überzustreifen.

„Mach ich“, sagte er zu Ewen und ging sofort in das erste Zimmer. Ewen betrat das Zimmer vor ihm. Es schien eine Bibliothek zu sein. An drei Seiten des Raumes standen übervolle Bücherregale. Es schien keine besondere Ordnung zu herrschen. Romane und Sachbücher waren übereinander gestapelt. Dazwischen entdeckte Ewen Zeitschriften über französische Immobilien, und veraltete Nachrichtenmagazine. Der Raum machte keinen sehr gepflegten Eindruck. Ein großer Ohrensessel stand unmittelbar neben dem Fenster und daneben stand ein kleines Beistelltischchen, auf dem ebenfalls Bücher, Zeitschriften und allerlei Krimskrams lagerten. Ewen sah sich die verschiedenen Regalinhalte an, in der Hoffnung etwas Brauchbares zu finden, dass ihm einen Hinweis geben konnte, in welche Richtung er die Recherchen zu führen hatte. Aber er wurde nicht fündig. Er wollte den Rest der Spurensicherung überlassen. Vielleicht konnte Dustin ja Fingerabdrücke sicherstellen, die nicht von Monsieur Courtain stammten. Er verließ den Raum und ging auf den zweiten Raum direkt daneben zu. Der Raum schien sein Schlafzimmer zu sein. Ein großes Bett stand mitten im Raum. Das Fenster reichte bis zur Deck und ließ viel Licht herein. Für Ewen stand fest, dass Courtain sein Haus nach seinen eigenen Vorstellungen umgebaut hatte. Das Gebäude schien deutlich älter zu sein als die Fensteröffnungen. Ewen trat an den großen Wandschrank und schob die Schiebetür auf. Fein säuberlich hingen circa zehn verschiedene Jacketts und zahlreiche Anzüge auf der Stange. Entgegen seines ersten Eindrucks aus der Bibliothek war das Schlafzimmer in einem aufgeräumten und ansprechenden Zustand.

„Ewen“, rief Paul aus dem gegenüber liegendem Zimmer.

Ewen ging zu Paul, um zu sehen was er wohl gefunden haben konnte.

„Sieh dir das an! Im Papierkorb habe ich dieses Schreiben gefunden.“

Paul reichte es Ewen und der las:

Ich erwarte die nächste Zahlung von 10.000 € am Samstagabend. Ort der Übergabe erfahren Sie noch. Seien Sie pünktlich und keine Verzögerungen wie beim letzten Mal.

„Mir scheint unser Toter hat jemanden erpresst und der Erpresste hat sich des Erpressers entledigt“, meinte Paul, nachdem auch Ewen die wenigen Zeilen gelesen hatte.

„Könnte sein, aber wieso wirft der Mann den Erpresserbrief in den Papierkorb? Ich würde ein solches Beweisstück niemals behalten.“ Ewen war verunsichert über den Fund.

„Vielleicht war es nur der erste Entwurf, und er hat danach einen zweiten geschrieben der ihm besser gefallen hat und ist nicht mehr zum Entleeren des Papierkorbes gekommen.“

„Hast du seinen Computer gefunden? Der Brief ist auf einem Computer geschrieben und danach ausgedruckt worden.“

„Hier auf dem Schreibtisch steht ein Notebook. Wir nehmen es mit und lassen es untersuchen. Vielleicht findet sich ja die Datei. Robert findet bestimmt etwas, auch wenn es gelöscht worden ist.“

Robert Gallic war ihr Experte für alles was mit Elektronik zu tun hatte. Robert Gallic gehörte zum Urgestein der police judiciaire von Quimper. Er leitete die Abteilung seit 15 Jahren und kannte sich mit technischen Fragestellungen bestens aus. Wenn es etwas zu finden gab, dann würde er es finden.

Es klingelte an der Haustür, während die beiden Kommissare immer noch im Büro standen und den Brief aus dem Papierkorb betrachteten.

Paul ging zur Tür und öffnete den Kollegen. Dustin und seine Mannschaft waren eingetroffen und begannen mit ihrer akribischen Arbeit, der Suche nach Fingerabdrücken, verräterischen Unterlagen, Waffen und was eben sonst alles eine Rolle spielte bei der Lösung eines Mordes.

Ewen begrüßte seinen Freund Dustin Goarant.

„Dustin, so wie es aussieht, könnte unser Opfer ein Erpresser gewesen sein. Seht euch bitte alles an, was uns hier weiterbringen kann. Ich denke vor allem an Zeitungen, aus denen Buchstaben ausgeschnitten worden sind, Mails, Kontoauszüge und so weiter. Auch wenn dieser Entwurf“, Ewen hob den Plastikbeutel in den er den Brief gesteckt hatte hoch, „mit dem Computer geschrieben worden ist, so könnte es ja vielleicht auch andere Erpresserbriefe gegeben haben. Aber du weißt ja wonach du suchen musst.“

„Nett von dir, Ewen, dass du mir das zutraust. Ich habe schon gedacht, dass du vergessen hast, dass ich seit vielen Jahren meinen Beruf ausübe.“

 

„Ich kann es einfach nicht lassen, Dustin, immer wieder ertappe ich mich dabei dich belehren zu wollen. Nimm mich einfach nicht so ernst wenn ich dir solche Belehrungen gebe.“

Dustin musste grinsen, nickte Ewen aber zu und meinte dann nur noch:

„Das kostet dich beim nächsten Mal trotzdem ein Glas Wein, mein Lieber.“ Dann machte er sich an die Arbeit.

Paul hatte sich das Notebook unter den Arm geklemmt, nachdem er sich vorsichtig in den weiteren Räumen umgesehen hatte und verließ nun mit Ewen das Haus.

„Wenn Courtain wirklich jemanden erpresst hat, dann müssten wir doch entweder in seinen Mails oder in der Liste seiner gewählten Telefonnummern einen Hinweis auf die Übergabe finden und damit auf den, der von ihm erpresst worden ist, hingewiesen werden.“

„Könnte sein, Paul, was aber, wenn Courtain die Information von einer öffentlichen Telefonzelle aus, oder mit einem durch die Post übermittelten Brief, oder eine direkt in den Briefkasten des Empfängers eingeworfene Nachricht, dem Erpressten zukommen gelassen hätte? Dann würden wir nichts finden. Als Erpresser mit etwas Überlegung würde ich niemals eine solche Benachrichtigung elektronisch übermitteln. Es sei denn aus einem Internet-Café.“

„Du denkst schon wieder an deinen alten Möwenspur Fall?“

„Kam mir jetzt nur so in den Sinn. Ein Internet-Café wäre schon etwas anonymer, als das eigene Telefon oder der eigene Computer. Der Zufall müsste schon sehr groß sein, wenn dort jemand einem über die Schulter sieht und die Nachricht liest.“

Ewen und Paul trafen im Kommissariat ein und gingen in Ewens Büro. Paul machte noch einen Abstecher zu Robert Gallic und übergab ihm das aus dem Haus von Courtain mitgenommene Notebook. Als er zu Ewen ins Büro kam hatte der die Erkenntnisse des Tages bereits an seiner Pinnwand angebracht und das Kennzeichen des BMW von Robert Courtain herausgesucht.

„Was ist denn mit dem Hinweis von Thierry Guillem, dass sein Freund auf der Île-de-Bréhat gewesen ist? Ich habe mir das notiert, weil mir ein Bericht im Ouest France in Erinnerung ist. Wenn ich mich richtig erinnere, dann ist ein Mädchen auf der Insel vor einigen Wochen ums Leben gekommen. Die Polizei ist von einem Unfall ausgegangen. Wenn aber jetzt Courtain jemanden erpresst hat, dann könnte es schon sein, dass er etwas gesehen hat.“

„Wir können zweierlei machen“, meinte Ewen und schien zu überlegen.

„Wir sollten uns die Protokolle von dem Vorfall auf Bréhat kommen lassen und das Datum des Vorfalls mit der Zeit des Aufenthaltes von Courtain vergleichen. Schließlich wäre es noch interessant zu wissen wer sonst seinen Aufenthalt auf der Insel verbracht hat. Das werden zwar eine Menge Leute gewesen sein, aber wenn gleichzeitig mit Courtain andere Einwohner aus dem Großraum von Quimper auf der Insel gewesen wären, dann könnten wir uns diejenigen doch ansehen. Was meinst du dazu?“

„Finde ich grundsätzlich gut, aber du bist dir darüber im Klaren, dass wir vielleicht viele Personen überprüfen müssen?“

„Bin ich mir, Paul, aber das machen wir erst morgen. Ich mache jetzt Schluss für Heute.“

Paul sah auf die Uhr und stellte fest, dass sie schon wieder bis kurz vor 20 Uhr im Büro waren. Ihn erwartete niemand, aber Carla wäre bestimmt erfreut, wenn sie Ewen noch vor dem Schlafengehen zu Gesicht bekäme.

„Bis Morgen, Ewen“, sagte Paul und verabschiedete sich von seinem Kollegen.

Kapitel 5

Ewen Kerber fühlte sich ausnahmsweise entspannt, obgleich er seinen Fall noch nicht gelöst hatte. Ruhig lenkte er seinen Citroën durch den Verkehr von Quimper. Der übliche Feierabendstau war schon vorbei und er kam gut durch die Innenstadt. Er stellte seinen Dienstwagen in der Einfahrt ab und ging gemütlich zur Eingangstür. Bevor er seinen Hausschlüssel aus der Tasche ziehen konnte, wurde die Tür bereits von Carla geöffnet.

„Guten Abend, Liebling“, begrüßte sie ihren Mann. Ich war gerade dabei ein paar frische Blumen zu schneiden. Ich bin sofort bei dir.“

Sie gab Ewen einen Kuss und ging an ihm vorbei in den Vorgarten zu den langen Reihen der Rosen, die schon seit vielen Jahren hier wuchsen und bereits von Ewens erster Frau gepflanzt worden waren. Carla hegte und pflegte die Rosen sorgfältig und die Rosen dankten es ihr, mit ihrem betörenden Geruch und ihrer fast ununterbrochenen Blütezeit. Nach wenigen Minuten kehrte sie ins Haus zurück und hatte fünf Rosen in der Hand.

Nie war es eine gerade Zahl an Blumen, stellte Ewen immer wieder fest. Schon seine erste Frau hielt sich an dieses ungeschriebene Gesetz, dass man immer eine ungerade Zahl an Blumen verschenkte oder in die Vase stellte. Ewen leuchtete nicht ein warum das so sein musste.

„Dein Aperitif steht auf der Terrasse mein Schatz“, rief sie Ewen zu, als sie sich auf den Weg in die Küche machte, um die gerade frisch geschnittenen Rosen in eine vorbereitete Vase zu stellen.

Ewen war automatisch auf die Terrasse gegangen und hatte sich bereits in seinen Sessel gesetzt, das Weinglas mit dem gekühlten Rosé gefüllt und den danebenliegenden Ouest France in die Hand genommen. Einzig die amuses gueules, die sonst auch auf dem Tisch standen, fehlten heute. Nicht, dass Ewen ein Macho-Typ war, er war aber ein ausgesprochener Gewohnheitsmensch. Bevor er Carla noch nach kleinen Häppchen zum Aperitif fragen konnte, trat sie bereits auf die Terrasse mit einem Teller voller erwarteter Köstlichkeiten.

„Ich habe heute etwas anderes gemacht, Ewen, du wirst auf deine Paté aux pommes verzichten müssen. Ich habe Galettes Bretonnes mit Roastbeef gemacht.“

„Oh, Galettes mit Roastbeef? Das ist neu, die habe ich noch nicht probiert.“

Ewen war gespannt auf die Galettes. Crêpes und Galettes mochte er durchaus. Er besuchte regelmäßig mit Carla eine gute Crêperie. Er mochte vor allem die Crêpes-complète, die mit Käse, Schinken, Ei und manchmal noch mit Kartoffeln gefüllt waren. Dazu genossen sie gerne einen guten bretonischen Cidre. Aber jetzt gab es nicht eine ganze Galette, sondern kleine geschnittene Streifen.

„Versuch doch bitte einmal und sag mir, wie sie dir schmecken.“ Carla hielt Ewen den Teller hin. Er nahm sich ein Scheibchen und biss hinein. Es schmeckte köstlich.

„Die sind ja wunderbar gefüllt! Wie hast du das gezaubert?“ Ewen griff erneut zum Teller und nahm sich eine zweite Scheibe.

„Ach, das ist gar nicht viel Arbeit gewesen. Ich habe eine Mischung aus Frischkäse, Meerrettich und etwas klein geschnittener Kresse hergestellt, mit Salz, Pfeffer und etwas Piment d´Espelette gewürzt. Dann brauchte ich nur noch die Galettes mit dem Käse zu bestreichen, habe das Roastbeef daraufgelegt und etwas Sel de Guérant und einige Spritzer Zitrone hinzugefügt. Dann habe ich die Galettes eingerollt, sie mit Frischhaltefolie umwickelt und zwei Stunden kaltgestellt. Danach brauchte ich sie nur noch in kleine Häppchen zu schneiden. Du siehst es geht ganz schnell.“

„Und schmeckt einfach köstlich zu einem Rosé.“

Ewen war wieder einmal von Carla überrascht worden. Sie brachte es fertig, immer wieder eine neue Köstlichkeit zuzubereiten.

Nach dem Abendessen blieben sie noch auf der Terrasse sitzen und genossen zusammen ein Glas Bordeaux.

Kapitel 6

Am nächsten Morgen fuhr Ewen gegen neun Uhr ins Büro. Paul Chevrier stand mit Dustin auf dem Gang, vor den Büroräumen auf der zweiten Etage des Kommissariats.

„Bonjour Paul, Bonjour Dustin, begrüßte er seine Kollegen. Gibt es etwas Neues?“

Dustin wandte sich an Ewen und nickte.

„Ja und nein, wir haben bei Robert Courtain nicht viel gefunden. Entweder hat der Mann alles sofort beseitigt, oder die Erpressung ist nicht von ihm ausgegangen.“

„Dustin, das geht mir jetzt zu schnell. Du willst sagen, dass ihr keinerlei Hinweise darauf gefunden habt, dass der Mann Erpresserbriefe geschrieben hat? Nur den einen, den Paul im Papierkorb gefunden hat? Wenn er so vorsichtig gewesen ist, warum wirft er dann ausgerechnet den letzten Brief in den Papierkorb? Das ist doch wie auf den Präsentierteller gelegt.“

„Darüber habe ich gerade mit Paul gesprochen. Wenn Courtain wirklich die Briefe verfasst hat, und stets darauf geachtet hat keinerlei Spuren in seinem Haus zu behalten, warum hat er dann diesen Brief in den Papierkorb geworfen? Ich neige dazu zu behaupten, dass der Brief dort deponiert worden ist.“

„Deponiert? Aber von wem? Habt ihr Spuren eines Einbruchs finden können?“

„Spuren einer gewaltsamen Öffnung der Haustür oder eines Fensters haben wir nicht gefunden. Wenn jemand den Erpresserbrief absichtlich in den Papierkorb von Courtain gelegt hat, dann musste er einen Hausschlüssel gehabt haben.“

„Wer käme da in Frage? Vielleicht sein Freund, Thierry Guillem? Der hat uns gesagt, dass Robert Courtain keinerlei Verwandte hat. Er hat auch nicht mit einer Frau zusammengelebt. Dann bleibt doch nur er übrig.“

„Guillem hat ihn aber als vermisst gemeldet.“ Paul sah Dustin und Ewen fragend an.

„Warum hat er ihm dann den Brief untergeschoben und seinen Freund damit belastet? Die Spur führt so doch unweigerlich in seine Richtung.“

„Stimmt schon, aber vielleicht hat er nicht daran gedacht weitere Spuren zu legen.“

„Wir werden es wohl überprüfen müssen. Es wäre natürlich auch möglich, dass Courtain nur nicht mehr dazu gekommen ist, die verräterischen Spuren zu vernichten.“

„Wir haben keinen Hausschlüssel bei ihm gefunden. Der Mörder könnte durchaus mit Hilfe des Schlüssels von Courtain in sein Haus gelangt sein und den Brief in den Papierkorb gesteckt haben. Wir müssen zuerst zu 100 Prozent ausschließen können, dass er nicht der Erpresser gewesen ist. Ich kümmere mich sofort um die Frage seines Aufenthaltes auf der Île-de-Bréhat.“

„Wir haben uns auch sein Büro angesehen“, fuhr Dustin mit seinem Bericht fort.

„Auf dem Schreibtisch haben wir einen Notizzettel mit einigen Buchstaben und Ziffern und dem Wort Samstag gefunden. Vielleicht werdet ihr ja schlau daraus.“

Dustin reichte Ewen einen kleinen Zettel auf dem Stand lediglich:

Samstag 22 n E P T

Sig 200.000

„Ich habe dir einige Aktenordner die wir gefunden haben in dein Büro gelegt. Vielleicht findest du ja etwas Bedeutungsvolles.“ Damit verabschiedete sich Dustin von Ewen.

Auch Paul verließ seinen Kollegen und ging in sein Büro. Das Fehlen von weiteren Hinweisen kam Ewen schon seltsam vor. Üblicherweise fand sich immer irgendeine Kleinigkeit. Ewen öffnete seine Bürotür und trat ein, legte sein Jackett über den Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch und ging zum Telefon. Er wählte die Nummer von Robert Gallic, der sich mit dem Notebook von Courtain beschäftigen sollte.

„Bonjour Robert, hast du schon etwas finden können auf dem Notebook?“

„Bonjour Ewen, du hast es aber eilig. Normalerweise fragst du zuerst wie es mir geht. Spaß beiseite, ich habe mir das Notebook von Courtain angesehen. Er hat eine ganze Menge an Emails und erstaunlich viele Bilder auf dem Rechner. Ich vermute, dass er das Fotografieren als Hobby betrieben hat. Natürlich habe ich noch nicht alle Fotos ansehen können. Die Emails sind größtenteils geschäftlicher Natur gewesen. Ich habe noch nichts gefunden, dass in irgendeiner Weise mit einem Verbrechen zusammenhängen könnte. Allerdings, wie ich schon gesagt habe, bin ich noch nicht mit allem fertig.“

„Danke Robert, du informierst mich, falls du doch noch etwas finden solltest.“

Damit legte Ewen den Hörer auf und starrte auf seinen Schreibtisch, auf dem noch immer die Berichte des Pathologen und der Spurensicherung vom Tatort lagen, ebenso die Ordner von denen Dustin gerade gesprochen hatte. Ewen sah sich den Bericht des Pathologen an. Der Mann war mit einer Waffe vom Kaliber 9 mm erschossen worden. Das Projektil war bereits von Yannick an die Kriminaltechnik übergeben worden. Er schlug den Bericht der Spurensicherung auf.

Dustin hatte einen Zigarettenstummel aus Ägypten gefunden, der Marke Cleopatra, die es in Frankreich nicht zu kaufen gab. Sie mussten überprüfen, ob in den letzten Monaten eine Person, die auf irgendeine Weise mit dem Fall in Verbindung stehen konnte, in Ägypten gewesen war. Ewen stand auf und ging an seine Pinnwand. Wer war bis jetzt in diesem Fall als Zeuge oder Beteiligter verhört worden?

 

Da war zuerst einmal das Ehepaar, das den Toten gefunden hatte. Christophe und Pascale Kerdiles. Dann war da der Freund des Toten, Thierry Guillem. Der Bewohner des Hauses, das unmittelbar am Zaun zum Park von Trévarez lag. Der Mann hieß David Roudaut und der Verwalter des Parks hieß Yann Gloaguen. Die anderen Angestellten des Parks wurden noch überprüft. Vor allem wollten sie nach deren Alibis und den Schlüsseln zum Park fragen. Die Kollegen hatten die Überprüfung noch nicht abgeschlossen. Die Frau, Nicole Bihan, hatte er zwar ebenfalls notiert, aber Ewen war sicher, dass er die Frau ausschließen konnte. Sie hatte ihren Mann, Guy Bihan, als vermisst gemeldet. Der Mann hatte wohl nichts mit dem Fall zu tun. Wenigstens ging Ewen jetzt erst einmal davon aus.

Ewen war immer noch mit den Eintragungen auf seiner Pinnwand beschäftigt, als Paul erneut in sein Büro trat.

„Ein erstes Ergebnis zu unserer Frage nach dem Aufenthalt von Courtain auf der Insel Bréhat habe ich. Aber die Antwort wird uns nicht weiterbringen. Courtain ist vom 12. bis zum 15. April auf der Insel Bréhat gewesen, das hat uns sein Freund gesagt. Sein Aufenthalt ist also eine Woche nach dem Unfall, von dem ich gelesen habe, gewesen. Das Mädchen, das dort ums Leben gekommen ist, hieß übrigens Martine Le Sann. Die Unterlagen über den Unfall habe ich bereits angefordert.“

Ewen schrieb den Namen sofort an die Pinnwand. Allerdings schrieb er ihn nicht unmittelbar neben den Toten.

„Wir müssen uns dann um weitere Besucher kümmern, die zu der angegebenen Zeit auf der Insel gewesen sind. Vielleicht irren wir uns und vergeuden unsere Zeit damit, aber wir sollten nichts ungeprüft lassen.“

„Ewen, wir haben ein wenig Glück. Ich habe vorhin erfahren, dass die Erfassung der Hotelgäste inzwischen zum größten Teil elektronisch abläuft. Damit können wir die Übernachtungslisten recht schnell durchforsten. Ich mache mich wieder an die Arbeit.“

Während Paul sich um eine eventuelle Spur auf Bréhat kümmerte, machte Ewen sich daran Courtains Umfeld genauer zu betrachten. Dustin und seine Mitarbeiter hatten eine ganze Menge an Unterlagen mitgebracht, die es noch zu durchforsten galt. Ordner von ehemaligen Kunden und der dazugehörigen Korrespondenz, Kontoauszüge, diverse Schreiben an Behörden, Urkunden, Verträge und ein von Courtain als Persönliche Ablage bezeichneter Ordner. Ewen sah sich diesen Aktenordner zuerst an.

Versehen mit einem alphabetischen Register waren die Briefe und Rechnungen sortiert abgelegt. Auf den ersten Seiten war nichts Interessantes zu finden. Unter dem Buchstaben A lagen verschiedene Briefe von einem Alain, der vermutlich ein alter Freund von Courtain gewesen war. Die Briefe enthielten detaillierte Schilderungen von Reisen nach Südostasien und Australien und trugen ein Datum, das bereits einige Jahre zurücklag. Ewen blätterte weiter. Die Buchstaben B und C enthielten lediglich ältere Rechnungen von Möbelgeschäften. Als Ewen den Buchstaben D erreichte, fand er eine Reihe von Unterlagen, die sich von den übrigen unterschieden. Ein David hatte ihm einen Schuldschein unterschrieben über einen Betrag von 70.000 Euro. Ewen gelang es nicht die Unterschrift zu entziffern. So wusste er nur, dass ein gewisser David Geld von Courtain erhalten hatte. Als nächstes war ein Blatt abgeheftet, dass eine Skizze von einem Grundstück mit einem Haus enthielt und darüber stand Kermorbras. Mit roter Farbe war der Grundriss eines wohl geplanten Gebäudes aufgezeichnet, dessen Kanten aber das Grundstück bei weitem überschritten. Auf dem links oben eingezeichnetem Grundstück stand das Wort erworben. Auf der rechten Seite stand nur ein großes Fragezeichen. Für Ewen sah es so aus, als war hier der Bau eines größeren Gebäudes geplant und dazu wurden weitere Grundstück benötigt. Das Fragezeichen stand vielleicht für einen Besitzer, der seinen Grund nicht verkaufen wollte oder dessen Name unbekannt war. Immerhin gab es hier einen Anhaltspunkt für seine Ermittlungen. Gut möglich, dass Courtain den Besitzer zwingen wollte zu verkaufen und dieser ausgerastet war und ihn erschossen hatte. Aber warum im Park von Trévarez um 22 Uhr? Ewen hatte nun doch wieder Zweifel an seiner neuen Theorie. Er blätterte weiter und fand eine detaillierte Übersicht über Grundstückskäufe der letzten Wochen und die Lage der Grundstücke passte zu der Seite mit dem Grundriss des Gebäudes. Alle Verträge trugen auf dem rechten oberen Rand den Vermerk David. Die Grundstücke lagen alle in der Umgebung von Douarnenez, im Lieu dit Les Roches Blanches. Als Käufer für die Grundstücke war immer Robert Courtain eingetragen. Ewen vermutete, dass ein Mitarbeiter, Kollege oder Freund, die Käufe für ihn getätigt hatte.

Dieser David schien sein ganzes Vertrauen zu genießen. Immerhin ging es um größere Summen. Eine schnelle Addition der einzelnen Verträge ergab bereits 700.000 €. War dies vielleicht eine Gegenleistung für die geschuldeten 70.000 €? Seltsam war schon, dass die geschuldete Summe ungefähr 10% der Kaufsumme entsprach. Sollte David seine Schulden abgearbeitet haben? David? Der Name war doch schon aufgetaucht bei den Ermittlungen. Ewen trat an die Pinnwand und sah sich die Eintragungen an. Der Name David Roudaut stach im sofort ins Auge. Der Mann hatte doch sein Haus unmittelbar hinter dem Zaun von Trévarez. Wenn das ein Zufall war. Ewen wollte den Mann unbedingt nochmals aufsuchen. Bei dem ersten Gespräch am Sonntag, gleich nachdem er den Toten Courtain gesehen hatte, hatte er ein erstes Gespräch mit Roudaut geführt. Zu dem Zeitpunkt hatte er aber noch nicht gewusst, wer der Tote war.

Jetzt war Ewen sicher, dass diese Verträge etwas mit seinem Fall zu tun hatten. Er wollte sich diesen David und den Ort des Projektes Kermorbras genauer ansehen, um feststellen zu können, ob bereits Arbeiten begonnen hatten. Die weiteren Abheftungen schienen keine Relevanz zu haben. Unter T fand er dann aber wieder ein Papier, dass seine Aufmerksamkeit erregte. Darüber stand Thierry und es enthielt eine handschriftliche Abmachung über die Erstellung von Plänen für ein Projekt mit Namen Kermorbras. Ewen, als echter Bretone, sprach noch die alte bretonische Sprache. Für ihn war die Übersetzung des Namens damit einfach. Ker bedeutete Haus oder Ort, mor Meer und bras groß. Das Projekt hieß also Haus Ozean. Die auf das Papier gekritzelte Bausumme deute eine ungefähre Investition von zehn Millionen an. Ewen sah sich die einzelnen Papiere, die er unter den Buchstaben D und T gefunden hatte, nochmals an. Dann nahm er sie heraus und heftete sie an die Pinnwand. Bei dem Namen Thierry musste es sich um den Mann handeln, mit dem sie bereits gesprochen hatten.

Thierry Guillem war Architekt und mit Courtain befreundet gewesen. Es brauchte keinen großen kriminalistischen Instinkt, um zu dem Schluss zu kommen, dass die drei Personen zusammen den Bau eines großen Gebäudekomplexes geplant hatten. Thierry Guillem, Robert Courtain und ein gewisser David, Nachname noch unbekannt, hatten zusammengearbeitet. Die Finanzierung schien Courtain sicherzustellen. Hatte dieses Projekt etwas mit der Ermordung von Courtain zu tun? Ewen schien es nicht ausgeschlossen. Geld war häufig ein Motiv für Mord.

Als Paul zurück in sein Büro kam, stand Ewen immer noch an der Pinnwand, die jetzt um einige Papiere aus dem Ordner reicher war.

„Ich habe inzwischen alle Übernachtungen auf der Insel gefunden. Die Liste ist ein wenig länger. Zu der Zeit des Unfalls sind 85 Personen als Übernachtungsgäste auf der Insel gewesen. Davon sind 30 in den Hotels untergebracht gewesen. Das Hotel Belle-Vue ist mit 26 Personen besetzt gewesen. Somit sind gerade einmal vier in einem weiteren Hotel untergebracht worden. Die Übernachtungen in den Gîtes habe ich noch nicht im Einzelnen betrachtet. Natürlich haben wir nicht die Möglichkeit einen Tagesgast zu finden, der mit der Fähre auf die Insel gefahren ist und am Abend wieder zurück aufs Festland gefahren ist.“