Stolz und Vorurteil

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Stolz und Vorurteil
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Kapitel 1

Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass ein Junggeselle im Besitz eines schönen Vermögens nichts dringender braucht als eine Frau. Zwar sind die Gefühle oder Ansichten eines solchen Mannes bei seinem Zuzug in eine neue Gegend meist unbekannt, aber diese Wahrheit sitzt in den Köpfen der ansässigen Familien so fest, dass er gleich als das rechtmäßige Eigentum der einen oder anderen ihrer Töchter gilt.

»Mein lieber Mr. Bennet«, sagte seine Gemahlin eines Tages zu ihm, »hast du schon gehört, dass Netherfield Park endlich vermietet ist?«

Das habe er nicht, antwortete Mr. Bennet.

»Doch, doch«, erwiderte sie, »Mrs. Long war nämlich gerade hier und hat es mir lang und breit erzählt.«

Mr. Bennet gab keine Antwort.

»Willst du denn gar nicht wissen, an wen?«, rief seine Frau ungeduldig.

»Du willst es mir erzählen; ich habe nichts dagegen, es mir anzuhören.« Das genügte ihr als Aufforderung.

»Stell dir vor, mein Lieber, Mrs. Long sagt, dass ein junger Mann aus dem Norden Englands mit großem Vermögen Netherfield gemietet hat; dass er am Montag in einem Vierspänner heruntergekommen ist, um sich den Besitz anzusehen, und so entzückt war, dass er mit Mr. Morris sofort einig geworden ist; noch vor Oktober will er angeblich einziehen, und ein Teil seiner Dienerschaft soll schon Ende nächster Woche im Haus sein.«

»Wie heißt er denn?«

»Bingley.«

»Ist er verheiratet oder ledig?«

»Na, ledig natürlich! Ein Junggeselle mit großem Vermögen; vier- oder fünftausend pro Jahr. Ist das nicht schön für unsere Mädchen!«

»Wieso? Was hat das mit ihnen zu tun?«

»Mein lieber Mr. Bennet«, erwiderte seine Frau. »Wie kannst du nur so schwerfällig sein! Du musst dir doch denken können, dass er eine von ihnen heiraten soll.«

»Ist er deshalb hierhergezogen?«

»Deshalb! Unsinn, wie kannst du nur so etwas sagen! Aber es könnte doch gut sein, dass er sich in eine von ihnen verliebt, und darum musst du ihm einen Antrittsbesuch machen, sobald er kommt.«

»Dazu sehe ich gar keine Veranlassung. Warum gehst du nicht mit den Mädchen hin, oder besser noch, schick sie allein, sonst wirft Mr. Bingley noch ein Auge auf dich; so hübsch wie sie bist du allemal.«

»Du schmeichelst mir, mein Lieber. Meine Schönheit – das war einmal, aber jetzt halte ich mir darauf nicht mehr viel zugute.

Wenn eine Frau fünf erwachsene Töchter hat, sollte sie nicht mehr von ihrer eigenen Schönheit reden.«

»In solchen Fällen ist ihre Schönheit oft auch nicht mehr der Rede wert.«

»Trotzdem, mein Lieber, du musst unbedingt Mr. Bingley besuchen, wenn er eingezogen ist.«

»Das ist mehr als ich versprechen kann.«

»Aber denk doch an deine Töchter. Was für eine Partie wäre das für eine von ihnen. Sogar Sir William und Lady Lucas wollen bei ihm vorsprechen, und zwar nur deshalb, denn im Allgemeinen machen sie neuen Nachbarn ja keine Besuche. Du musst einfach hingehen. Wie können wir ihn denn besuchen, wenn du nicht gehst.«

»Du hast zu viele Bedenken. Ich bin überzeugt, Mr. Bingley freut sich über euren Besuch. Ich gebe dir ein paar Zeilen mit meiner herzlichen Zustimmung mit, diejenige meiner Töchter zu heiraten, die ihm am besten gefällt. Allerdings muss ich ein gutes Wort für meine kleine Lizzy einlegen.«

»Das wirst du nicht tun. Lizzy ist keinen Deut besser als die anderen; wenn du mich fragst, ist sie bei Weitem nicht so hübsch wie Jane und bei Weitem nicht so vergnügt wie Lydia. Aber immer ziehst du sie vor.«

»Keine von ihnen ist besonders empfehlenswert«, antwortete er; »sie sind alle genauso albern und dumm wie andere Mädchen.

Nur begreift Lizzy etwas schneller als ihre Schwestern.«

»Mr. Bennet, wie kannst»du nur über deine eigenen Kinder so abfällig reden! Es macht dir Spaß, mich zu ärgern. Mit meinen armen Nerven hast du wohl gar kein Mitleid.«

»Du missverstehst mich, meine Liebe. Ich habe großen Respekt vor deinen Nerven. Sie und ich sind alte Freunde. Seit mindestens zwanzig Jahren höre ich dich von ihnen mit großer Besorgnis sprechen.«

»Oh, du ahnst ja nicht, was ich durchmache!«

»Ich hoffe, du wirst es überleben und noch viele junge Männer mit viertausend pro Jahr hierherziehen sehen.«

»Da du sie nicht besuchen willst, werden uns auch zwanzig nicht retten.«

»Sei überzeugt, meine Liebe, wenn zwanzig da sind, besuche ich sie einen nach dem anderen.«

In Mr. Bennet vereinigten sich Schlagfertigkeit, sarkastischer Humor, Gelassenheit und kauzige Einfalle zu einer so merkwürdigen Mischung, dass es seiner Frau auch in dreiundzwanzig Ehejahren nicht gelungen war, ihn zu begreifen. Ihr Gemüt war leichter zu durchschauen. Sie war eine Frau von geringer Einsicht, wenig Weltkenntnis und vielen Launen. Wenn sie unzufrieden war, glaubte sie, nervöse Zustände zu haben. Ihre Lebensbeschäftigung war die Verheiratung ihrer Töchter, Besuche und Neuigkeiten waren ihr Lebenstrost.


Kapitel 2

Mr. Bennet war einer der ersten, die Mr. Bingley ihre Aufwartung machten. Er hatte von Anfang an vorgehabt, ihn aufzusuchen, obwohl er seiner Frau bis zuletzt das Gegenteil versichert hatte; und bis zum Abend nach dem Besuch wusste sie auch nichts davon. Dann aber kam es folgendermaßen ans Licht: Mr. Bennet sah seiner zweiten Tochter beim Annähen eines Hutbandes zu und sagte plötzlich zu ihr: »Hoffentlich gefällt der Hut Mr. Bingley, Lizzy.«

»Wie sollen wir denn wissen, was Mr. Bingley gefällt«, sagte ihre Mutter pikiert, »wenn wir ihn nicht besuchen dürfen.«

»Aber vergiss nicht, Mama«, sagte Elizabeth, »dass wir ihm in Gesellschaft begegnen werden und Mrs. Long versprochen hat, ihn uns vorzustellen.«

»Mrs. Long wird nichts dergleichen tun. Sie hat selbst zwei Nichten und ist eine egoistische Heuchlerin. Ich halte gar nichts von ihr.«

»Ich auch nicht«, sagte Mr. Bennet, »und wie ich glücklicherweise sagen kann, werdet ihr auf die Gefälligkeit auch nicht angewiesen sein.«

Mrs. Bennet ließ sich zu keiner Antwort herab, aber da sie sich nicht beherrschen konnte, fing sie an, eine ihrer Töchter auszuschimpfen.

»Hör auf zu husten, Kitty, um Himmels willen! Nimm ein bisschen Rücksicht auf meine Nerven. Du trampelst auf ihnen herum.«

»Kittys Husten ist wirklich rücksichtslos«, sagte ihr Vater, »sie hustet zur falschen Zeit.«

»Ich huste ja schließlich nicht zum Vergnügen«, antwortete Kitty ärgerlich.

»Wann ist dein nächster Ball, Lizzy?«

»Morgen in vierzehn Tagen.«

»Ach, richtig«, rief ihre Mutter, »und Mrs. Long kommt erst am Tag vorher zurück, und deshalb kann sie ihn uns auch nicht vorstellen, denn sie kennt ihn selbst noch nicht.«

»Dann, meine Liebe, wirst du deiner Freundin zuvorkommen und das Vergnügen haben, Mr. Bingley ihr vorzustellen.«

»Ausgeschlossen, Mr. Bennet, ausgeschlossen, wenn ich ihn doch selbst nicht kenne. Du willst uns auf den Arm nehmen.«

»Deine Umsicht ehrt dich. Eine vierzehntägige Bekanntschaft ist natürlich nicht viel. Nach vierzehn Tagen kennt man einen Menschen ja kaum. Aber wenn wir es nicht wagen, wird es jemand anders tun; schließlich müssen auch Mrs. Long und ihre Nichten ihre Chance wahrnehmen, und deshalb wäre sie dir für diesen Liebesdienst sicher dankbar. Wenn du es also ablehnst, werde ich es in die Hand nehmen.« Die Mädchen starrten ihren Vater an. Mrs. Bennet sagte nur:

»Unsinn, Unsinn!«

»Darf ich auch den Sinn dieser so entschiedenen Ablehnung erfahren?«, rief er. »Hältst du die gesellschaftlichen Umgangsformen für Unsinn? Legst du gar keinen Wert auf eine korrekte Vorstellung? Da kann ich dir nicht ganz zustimmen. Was meinst du, Mary? Du bist doch eine grundgescheite junge Dame, liest gewichtige Bücher und machst dir Auszüge daraus.«

Mary hätte gerne etwas Tiefsinniges gesagt, aber es fiel ihr nichts ein.

»Wir wollen«, fuhr er fort, »während Mary ihre Gedanken zurechtlegt, zu Mr. Bingley zurückkehren.«

»Ich habe genug von Mr. Bingley!«, rief seine Frau.

»Das zu hören, bedaure ich. Aber warum hast du mir das nicht vorher gesagt? Wenn ich das heute Morgen gewusst hätte, hätte ich ihm meine Aufwartung gar nicht erst gemacht. Eine unglückliche Situation, aber da ich ihn nun schon einmal aufgesucht habe, lässt sich die Bekanntschaft nicht mehr umgehen.«

Das Erstaunen der Damen war ganz nach seinem Wunsch.

Mrs. Bennets Überraschung war vielleicht am größten, aber als der erste Freudentaumel vorüber war, erklärte sie, genau das habe sie die ganze Zeit erwartet.

»Wie nett von dir, mein lieber Mr. Bennet. Aber ich wusste, ich würde dich zu guter Letzt herumkriegen. Ich habe mir gleich gedacht, dass du deine Töchter zu sehr liebst, um dir solche Bekanntschaft entgehen zu lassen. Nein, wie mich das freut! Und es ist ein köstlicher Witz, dass du heute Morgen hingegangen bist und uns bis eben nichts davon gesagt hast.«

 

»Jetzt kannst du so viel husten, wie du willst, Kitty«, sagte Mr. Bennet und, erschöpft von den Gefühlsausbrüchen seiner Frau, verließ er mit diesen Worten das Zimmer.

»Was habt ihr doch für einen großartigen Vater, ihr Mädchen!«, sagte sie, als die Tür wieder geschlossen war. »Ich weiß gar nicht, wie ihr ihm seine Fürsorge je vergelten wollt – von meiner ganz zu schweigen. In unserem Alter ist es weiß Gott kein Vergnügen, jeden Tag neue Bekanntschaften zu machen; aber für euch tun wir ja alles. Lydia, mein Kind, du bist zwar die Jüngste, aber Mr. Bingley wird bestimmt auf dem nächsten Ball mit dir tanzen.«

»Na und!«, sagte Lydia beherzt, »davor habe ich gar keine Angst; ich bin zwar die Jüngste, aber auch die Größte.«

Den Rest des Abends verbrachten sie mit Überlegungen, wie bald er wohl Mr. Bennets Besuch erwidern würde und wann sie ihn zum Essen einladen sollten.


Kapitel 3

Trotz aller Fragen, die Mrs. Bennet mit Unterstützung ihrer fünf Töchter zu diesem Thema stellte, ließ sich ihr Mann keine befriedigende Beschreibung von Mr. Bingley entlocken. Dabei versuchten sie es mit allen Mitteln: Sie überfielen ihn mit unverhohlenen Fragen, mit listigen Unterstellungen und mit weit hergeholten Vermutungen. Aber er ließ sich trotz all ihrer Geschicklichkeit nicht in die Falle locken, und so mussten sie zu guter Letzt dankbar für die Informationen aus zweiter Hand sein, die ihnen ihre Nachbarin, Lady Lucas, gab. Ihr Bericht fiel ausgesprochen günstig aus. Sir William war entzückt von Mr. Bingley gewesen. Er war jung, sah hinreißend aus, war äußerst umgänglich, und um allem die Krone aufzusetzen, er hatte vor, zum nächsten Ball mit großer Gesellschaft zu kommen. Nichts hätte vielversprechender sein können. Gerne tanzen hieß schon halb verliebt sein; und so machte man sich lebhafte Hoffnungen, Mr. Bingleys Herz zu erobern.

»Wenn ich es nur erleben darf, dass eine meiner Töchter ihr Glück in Netherfield macht und die anderen ebenso gut verheiratet sind«, sagte Mrs. Bennet zu ihrem Mann, »dann bin ich wunschlos glücklich.«

Ein paar Tage später erwiderte Bingley Mr. Bennets Besuch und saß ungefähr zehn Minuten mit ihm in seiner Bibliothek.

Er hatte die Hoffnung gehegt, auch einen Blick auf die jungen Damen werfen zu dürfen, von deren Schönheit er schon so viel gehört hatte – aber er sah nur den Vater. Die Damen waren etwas glücklicher, denn sie konnten immerhin von einem Fenster im ersten Stock aus erkennen, dass er eine blaue Jacke trug und auf einem schwarzen Pferd ritt.

Eine Einladung zum Essen wurde bald darauf abgeschickt, und schon hatte Mrs. Bennet die Gänge geplant, die ihren Kochkünsten zur Ehre gereichen sollten, als eine Antwort eintraf, die alles hinausschob. Mr. Bingley hatte leider für den nächsten Tag eine Verpflichtung in London und konnte infolgedessen der Ehre ihrer Einladung nicht Folge leisten et cetera. Mrs. Bennet war sehr beunruhigt. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, was er wohl so kurz nach seiner Ankunft in Hertfordshire bereits in London zu tun haben könne, und hatte schon Befürchtungen, er werde nun in der Weltgeschichte herumschwirren, anstatt sich in Netherfield anzusiedeln, wie es sich gehörte. Lady Lucas dämpfte ihre Sorge etwas; sie brachte den Gedanken auf, er sei vielleicht nur nach London gefahren, um eine größere Gesellschaft zu dem Ball abzuholen; und bald folgte auch ein Bericht, demzufolge Mr. Bingley zwölf Damen und sieben Herren mitbringen wollte. Von der Überzahl der Damen waren die Mädchen nicht begeistert, aber sie wurden am Tag vor dem Ball mit der Nachricht getröstet, er werde statt zwölf nur sechs Damen mitbringen – seine fünf Schwestern und eine Cousine. Und als die Gesellschaft den Ballsaal endlich betrat, bestand sie insgesamt nur aus fünf Personen – Mr. Bingley, seinen beiden Schwestern, dem Mann der älteren und einem anderen jungen Mann.

Mr. Bingley sah gut aus und trat wie ein Gentleman auf; er hatte gewinnende Züge und ein offenes natürliches Benehmen.

Seine Schwestern waren vornehme Damen von ausgesprochen modischer Erscheinung. Sein Schwager, Mr. Hurst, sah wie ein Gentleman aus, aber das war auch alles. Sein Freund Mr. Darcy hingegen zog schnell die Aufmerksamkeit des Saales auf sich durch seine schlanke, große Gestalt, seine angenehmen Züge, seinen vornehmen Ausdruck und durch das Gerücht, das schon fünf Minuten nach seinem Eintritt in Umlauf war, er habe Einnahmen von zehntausend pro Jahr. Die Herren nannten ihn einen prächtigen Burschen, und die Damen waren sich einig, dass er wesentlich besser aussah als Mr. Bingley. Während der ersten Hälfte des Abends wurde er sehr bewundert, aber dann rief sein Benehmen Empörung hervor, welche die Woge seiner Beliebtheit abflauen ließ; man fand nämlich heraus, dass er stolz war, erhaben über die anwesende Gesellschaft und über die ihm erwiesene Freundlichkeit. Und nicht einmal sein riesiger Besitz in Derbyshire konnte ihn nun davor retten, abstoßende, widerliche Züge zu haben und seinem Freund nicht das Wasser reichen zu können.

Mr. Bingley hatte sich schnell mit allen wichtigen Leuten im Saal bekannt gemacht. Er war lebhaft und zugänglich, tanzte jeden Tanz, ärgerte sich, dass der Ball so früh zu Ende ging und spielte mit dem Gedanken an einen eigenen Ball bei sich in Netherfield. Solche liebenswerten Eigenschaften sprachen für sich. Welch ein Unterschied zwischen ihm und seinem Freund!

Mr. Darcy tanzte nur einmal mit Mrs. Hurst und einmal mit Miss Bingley, wollte keiner anderen Dame vorgestellt werden und verbrachte den Rest des Abends damit, im Saal umherzugehen und sich gelegentlich mit seinen Freunden zu unterhalten. Über seinen Charakter war das Urteil gefällt: Er war der hochmütigste, unangenehmste Mann der Welt, und alle hofften, er werde nie wieder an einem Fest teilnehmen. Ganz besonders heftig war Mrs. Bennet gegen ihn eingenommen. Er hatte eine ihrer Töchter geringschätzig behandelt, und deshalb steigerte sich ihre Abneigung gegen sein Benehmen im Allgemeinen zu ganz besonderem Widerwillen.

Wegen der Knappheit an Männern war Elizabeth gezwungen gewesen, zwei Tänze lang sitzenzubleiben. Einige Zeit stand dabei Mr. Darcy so nahe bei ihr, dass sie eine Unterhaltung zwischen ihm und Mr. Bingley mithören konnte, der ein paar Minuten vom Tanzen herübergekommen war, um auch seinen Freund dazu zu bewegen.

»Komm, Darcy«, sagte er, »ich finde, du musst tanzen. Ich kann es nicht leiden, wenn du so albern allein herumstehst. Du solltest wirklich lieber tanzen.«

»Das werde ich bestimmt nicht tun. Du weißt ja, wie schrecklich ich es finde, wenn ich meine Partnerin nicht gut kenne. Auf solch einem Fest wäre es mir ganz unerträglich. Deine Schwestern tanzen schon, und sonst gibt es keine Frau in diesem Saal, die aufzufordern nicht eine Strafe wäre.«

»Sei doch bloß nicht so wählerisch«, rief Bingley, »noch nie in meinem Leben habe ich so viele nette Mädchen getroffen wie heute Abend, Ehrenwort! Und einige von ihnen sind ausgesprochen hübsch.«

»Du tanzt mit dem einzigen hübschen Mädchen im Saal«, sagte Mr. Darcy, indem er der ältesten der Bennet-Schwestern nachsah.

»Ja, sie ist das schönste Mädchen, das ich je gesehen habe.

Aber eine ihrer Schwestern sitzt gerade hinter dir; sie ist doch auch sehr hübsch und obendrein sehr nett. Komm, meine Partnerin kann dich ihr vorstellen.«

»Welche meinst du?« Und er drehte sich zu Elizabeth um und sah sie an, bis er ihren Blick auffing. Dann sah er weg und sagte ungerührt: »Sie ist ganz passabel, aber nicht hübsch genug, um mich zu reizen. Im Übrigen habe ich gerade keine Lust, mit Mädchen zu tanzen, die andere Männer haben sitzen lassen. Geh lieber zurück zu deiner Tänzerin und labe dich an ihrem Lächeln.

Mit mir verschwendest du deine Zeit.«

Mr. Bingley folgte seinem Rat. Auch Mr. Darcy ging weg, und Elizabeth blieb mit nicht gerade warmherzigen Gefühlen ihm gegenüber zurück. Trotzdem erzählte sie die Geschichte sehr anschaulich ihren Freundinnen, denn sie hatte einen ausgeprägten Sinn für komische Situationen.

Der Abend ging für die ganze Familie vergnügt zu Ende. Mrs. Bennet freute sich über die Bewunderung der Gesellschaft von Netherfield für ihre älteste Tochter. Mr. Bingley hatte sogar zweimal mit ihr getanzt, und von seinen Schwestern war sie sehr zuvorkommend behandelt worden. Jane freute sich darüber genausosehr wie ihre Mutter, wenn auch mit mehr Zurückhaltung. Elizabeth nahm an Janes Freude teil. Mary hatte gehört, wie sie Miss Bingley gegenüber als das gebildetste Mädchen der ganzen Gegend bezeichnet wurde. Und Catherine und Lydia waren zum Glück während des ganzen Abends nicht einmal sitzen geblieben; mehr erwarteten sie bisher von einem Ball auch nicht. Alle kehrten deshalb in guter Laune zurück nach Longbourn, in das Dorf, wo sie als angesehenste Familie wohnten. Sie fanden Mr. Bennet noch auf. Mit einem Buch verging ihm die Zeit wie im Flug, und heute war sogar er neugierig auf die Ereignisse des Abends, der so großartige Erwartungen ausgelöst hatte. Er hatte eigentlich gehofft, der Neuankömmling werde für seine Frau eine Enttäuschung sein, aber er merkte bald, dass das Gegenteil der Fall war.

»Oh, mein lieber Mr. Bennet«, sagte sie beim Eintreten, »wir haben einen ganz reizenden Abend verbracht, es war ein ganz großartiges Fest. Wärst du nur dabei gewesen! Jane ist so bewundert worden, ganz unvergleichlich. Alle waren von ihrer Schönheit angetan, ganz besonders Mr. Bingley. Er hat zweimal mit ihr getanzt. Stell dir vor, mein Lieber, er hat tatsächlich zweimal mit ihr getanzt. Und sie war die einzige im Saal, die er zweimal aufgefordert hat. Zuerst bat er Miss Lucas. Ich war so ärgerlich, als er sie aufforderte. Aber er fand sie überhaupt nicht anziehend; na ja, wer tut das schon. Aber von Jane war er ganz hingerissen, als er sie tanzen sah. Er fragte also, wer sie sei, wurde ihr vorgestellt und bat sie um die beiden nächsten Tänze.

Die beiden dritten tanzte er mit Miss King und die beiden vierten mit Maria Lucas, und die beiden fünften wieder mit Jane, und die beiden sechsten mit Lizzy, und die sieb ...«

»Wenn er etwas Mitleid mit mir gehabt hätte«, rief ihr Mann ungeduldig, »hätte er nicht halb so viel getanzt. Um Gottes Willen, kein Wort mehr von seinen Partnerinnen. Hätte er sich nur beim ersten Tanz den Fuß verstaucht!«

»Oh, mein Lieber«, fuhr Mrs. Bennet fort, »ich bin entzückt von ihm. Er sieht ungewöhnlich gut aus, und seine Schwestern sind so charmant. Ich habe im Leben nichts Eleganteres als ihre Kleider gesehen. Ich bin sicher, die Spitze an Mrs. Hursts Kleid ...« Hier wurde sie wieder unterbrochen. Mr. Bennet verbat sich jede Beschreibung von weiblichem Putz. Sie sah sich deshalb gezwungen, das Thema von einer anderen Seite anzugehen, und erzählte mit viel Bitterkeit und allerlei Übertreibung vom haarsträubenden Benehmen Mr. Darcys.

»Aber ich sage dir«, fuhr sie fort, »es kann Lizzy ganz gleich sein, wenn sie seinen Ansprüchen nicht genügt, denn er ist ein widerlicher, abstoßender Mann, um den man sich gar nicht zu bemühen braucht. So hochnäsig und so eingebildet, es war nicht auszuhalten. Er stolzierte hierhin und dorthin und fand sich ganz unwiderstehlich. Dabei ist er nicht einmal zum Tanzen hübsch genug. Wärst du nur dabei gewesen, mein Lieber, du hättest ihm schon einen Dämpfer verpasst. Ich verabscheue ihn.«


Kapitel 4

Jane war bisher mit ihrem Lob für Mr. Bingley zurückhaltend gewesen, aber als sie mit ihrer Schwester allein war, erzählte sie Elizabeth, wie gut er ihr gefiel.

»Er ist genau, wie ich mir einen jungen Mann vorstelle«, sagte sie, »vernünftig, zugänglich, lebhaft; und so angenehme Umgangsformen sind mir noch nie begegnet – so viel Zwanglosigkeit bei einer so guten Kinderstube!«

»Und obendrein sieht er gut aus«, erwiderte Elizabeth, »auch das ist ja nicht unbedingt ein Nachteil. Es rundet seine Persönlichkeit ab.«

»Als er mich zum zweiten Mal aufforderte, fühlte ich mich sehr geschmeichelt. Ein solches Kompliment hatte ich nicht erwartet.«

»Wirklich nicht? Ich ja, aber da besteht eben ein großer Unterschied zwischen uns. Dich überraschen Komplimente immer, mich nie. Was sollte für ihn wohl näher liegen, als dich zum zweiten Mal aufzufordern? Er musste doch merken, dass du zehnmal so hübsch wie alle anderen Mädchen im Saal bist.

 

Dafür hat seine Galanterie keinen Dank verdient. Ja, er ist unbedingt liebenswürdig, und ich gestatte dir, ihn gern zu haben.

Du hast schon Dümmere gemocht.«

»Aber Lizzy!«

»Oh, du fällst im Allgemeinen viel zu leicht auf Leute herein. Ihre Fehler übersiehst du immer. In deinen Augen ist alle Welt liebenswürdig und gut. In meinem ganzen Leben habe ich dich noch von keinem Menschen Schlechtes sagen hören.«

»Ich möchte keinen voreilig verurteilen, aber ich sage immer ehrlich meine Meinung.«

»Ja, das stimmt; und das ist gerade das Wunder. Wie kann jemand mit deinem gesunden Menschenverstand auf die Albernheiten und Dummheiten anderer hereinfallen! Offenheit aus Berechnung kommt oft genug vor – man trifft sie überall. Aber offen zu sein ohne Angeberei oder Hintergedanken, Gutes in jedem zu finden, darin noch zu übertreiben und das Schlechte zu unterschlagen – das bringst nur du fertig. Womöglich findest du auch die Schwestern dieses Mannes sympathisch? Ihre Manieren sind mit seinen jedenfalls nicht zu vergleichen.«

»Natürlich nicht – jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Aber wenn man sich mit ihnen unterhält, gewinnen sie sehr. Miss Bingley soll bei ihrem Bruder wohnen und ihm den Haushalt führen; und ich müsste mich sehr irren, wenn wir an ihr nicht eine sehr charmante Nachbarin haben.«

Elizabeth hörte schweigend zu, war aber nicht überzeugt davon. Das Benehmen der Schwestern auf dem Ball erweckte jedenfalls nicht den Eindruck, als wollten sie allgemeinen Anklang finden; und da Elizabeth mit mehr Beobachtungsgabe und weniger Nachsicht ausgestattet war als ihre Schwester und sich in ihrem Urteil nicht durch eigene Interessen beirren ließ, fanden sie in ihren Augen wenig Gnade. Sie waren zwar vornehme junge Damen, reizend, wenn man ihnen schmeichelte, und umgänglich, wenn ihnen danach zumute war, aber im Grunde stolz und eingebildet. Sie waren ziemlich hübsch, erzogen in einer der besten Mädchenschulen Londons, hatten ein Vermögen von 20000 Pfund, gaben mehr aus als nötig, gingen gern mit Leuten von Rang um und hatten deshalb in jeder Hinsicht das Recht, viel von sich und wenig von anderen zu halten. Sie stammten aus einer angesehenen Familie im Norden Englands, und dieser Umstand hatte sich ihrem Gedächtnis tiefer eingeprägt, als dass ihr Vermögen und das ihres Bruders durch Geschäfte zusammengekommen war.

Mr. Bingley hatte ein Vermögen von beinahe 10 000 Pfund von seinem Vater geerbt, der eigentlich einen größeren Herrensitz hatte erwerben wollen, aber durch seinen Tod daran gehindert worden war. Auch Mr. Bingley hatte dies vor und suchte hin und wieder nach einer geeigneten Gegend dafür; aber da er nun mit einem angemessenen Haus versorgt war und die Freiheit des damit zusammenhängenden Jagdrechts genoss, fragten sich viele, die seine Unbeschwertheit am besten kannten, ob er nicht den Rest seines Lebens in Netherfield verbringen und den Kauf der nächsten Generation überlassen würde.

Seine Schwestern wollten unbedingt, dass er einen großen Besitz sein eigen nannte. Aber obwohl er sich jetzt nur als Pächter angesiedelt hatte, war Miss Bingley durchaus gewillt, an seiner Tafel die Rolle der Hausherrin zu übernehmen, und auch Mrs. Hurst, die eher einen Mann von Mode als von Vermögen geheiratet hatte, war nicht abgeneigt, sein Haus als ihres zu betrachten, wann immer sie Lust dazu verspürte. Mr. Bingley war erst knapp zwei Jahre volljährig, als er durch eine zufällige Empfehlung dazu verleitet wurde, sich Netherfield anzusehen.

Er sah sich den Besitz an, eine halbe Stunde lang auch von innen, war angetan von der Lage und den Wohnräumen, einverstanden mit dem, was der Besitzer zu seinem Lob vorbrachte, und nahm ihn sofort.

Zwischen ihm und Darcy bestand trotz des großen Gegensatzes ihrer Charaktere eine sehr feste Freundschaft. Seine Ungezwungenheit, Offenheit und Anpassungsfähigkeit zogen Bingley zu Darcy hin, obgleich dessen Anlagen keinen größeren Kontrast zu seinen eigenen bilden konnten, mit denen er doch nie unzufrieden schien. Zu Darcys Ansichten hatte er unbegrenztes Vertrauen und vor seiner Urteilskraft die größte Hochachtung. An Intelligenz war Darcy ihm überlegen. Bingley war zwar keineswegs dumm, aber Darcy war gescheit. Dennoch war er hochmütig, reserviert und anspruchsvoll, und sein Benehmen, wenn auch untadelig, war nicht entgegenkommend. In dieser Hinsicht war ihm sein Freund weit überlegen. Bingley konnte sicher sein, Sympathie zu finden, wo immer er erschien; Darcy erregte ständig Anstoß. Die Art und Weise, wie beide über den Ball in Meryton urteilten, war bezeichnend dafür.

Bingley hatte in seinem Leben nie angenehmere Leute oder hübschere Mädchen gesehen; alle seien außerordentlich freundlich und aufmerksam zu ihm gewesen; es habe weder Formalität noch Steifheit gegeben; er habe sich mit allen im Saal gleich gut verstanden; und was Miss Bennet betreffe, ein Engel könne nicht schöner sein. Umgekehrt hatte Darcy eine Ansammlung von Leuten von wenig Ansehnlichkeit und Geschmack erlebt. Keinem konnte er auch nur das geringste Interesse abgewinnen, und keiner war ihm aufmerksam oder freundlich begegnet. Er gab zu, dass Miss Bennet hübsch sei, aber sie lächle zu viel.

Mrs. Hurst und ihre Schwestern gaben ihm darin Recht – aber sie fanden Jane sympathisch und mochten sie gern. Sie nannten sie ein reizendes Mädchen und hatten nichts dagegen, sie näher kennenzulernen. So wurde denn Miss Bennet zum reizenden Mädchen erklärt, und ihrem Bruder stand es nach diesem Kompliment frei, von ihr zu halten, was er wollte.


Kapitel 5

Nur einen kurzen Spaziergang von Longbourn entfernt wohnte eine Familie, mit der die Bennets besonders gut befreundet waren. Sir William Lucas hatte früher ein Geschäft in Meryton betrieben, wo er ein ansehnliches Vermögen erworben hatte und als Bürgermeister nach einer Ansprache an den König geadelt worden war. Diese ehrenvolle Auszeichnung war ihm vielleicht zu Kopf gestiegen, jedenfalls flößten ihm seine Firma und sein Wohnsitz in einer Kleinstadt nun Widerwillen ein; er hatte beides aufgegeben und sich mit seiner Familie in ein Haus – seitdem Lucas Lodge genannt – sieben Meilen vor den Toren Merytons zurückgezogen, wo er sich seiner eigenen Bedeutung widmen und, unbehindert von Geschäften, ausschließlich freundlich zu allen Leuten sein konnte, denn obwohl sein neuer Rang seine soziale Stellung erhöht hatte, war er nicht hochmütig geworden, sondern im Gegenteil liebenswürdig zu jedermann. Seine Einführung bei Hof hatte ihn, der von Natur verträglich, freundlich und entgegenkommend war, galant gemacht.

Lady Lucas war eine gutmütige Frau, und ihre Klugheit hielt sich so in Maßen, dass sie für Mrs. Bennet eine unentbehrliche Nachbarin war. Sie hatten mehrere Kinder. Die älteste Tochter, eine vernünftige, kluge junge Frau von 27 Jahren, war Elizabeths beste Freundin. Dass die Töchter der beiden Familien sich trafen, um über einen Ball zu sprechen, lag auf der Hand; und am Morgen danach kamen die Damen von Lucas Lodge nach Longbourn, um ihre Eindrücke auszutauschen.

»Für dich fing der Abend großartig an, Charlotte«, sagte Mrs. Bennet mit höflicher Selbstbeherrschung zu Miss Lucas, »Du warst Mr. Bingleys erste Wahl.«

»Ja, aber anscheinend zog er seine zweite Wahl vor.«

»Oh, du meinst sicher Jane, weil er zweimal mit ihr getanzt hat. Es sah zwar so aus, als ob er sie wirklich anhimmelte – ja, ich glaube, das tat er wirklich – ich habe so etwas gehört, aber ich erinnere mich nicht, was – irgendetwas über Mr. Robinson.«

»Meinen Sie das Gespräch zwischen ihm und Mr. Robinson, das ich mitgehört habe? Habe ich es Ihnen nicht erzählt? Wie Mr. Robinson ihn fragte, ob ihm der Ball in Meryton gefalle und ob er nicht auch finde, dass es viele hübsche Mädchen hier gebe, und wen er am schönsten finde, und wie er auf die letzte Bemerkung sofort antwortete: » Na, Miss Bingley natürlich, keine Frage; daran gibt es nichts zu deuteln.«

»Was du nicht sagst! Das klingt ja wirklich sehr vielversprechend, das klingt, als ob ... aber, wer weiß, vielleicht wird ja gar nichts daraus. «

»Ich hatte mehr Glück beim Mithören als du, Eliza«, sagte Charlotte, »bei Mr. Darcy macht es sicher nicht so viel Spaß wie bei seinem Freund. Arme Eliza! Gerade nur passabel zu sein.«

»Bitte, rede Lizzy nicht ein, sich Gedanken über diese Flegelei zu machen, denn er ist ein so widerlicher Mann, dass es ein richtiges Unglück wäre, wenn er sie leiden möchte. Mrs. Long hat mir gestern Abend erzählt, dass er eine halbe Stunde neben ihr gesessen hat, ohne auch nur ein einziges Mal den Mund aufzumachen. «