Stolz und Vorurteil

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Möglichst nicht die Familienehre zu verletzen, von den anerkannten Werten abzuweichen oder den Einfluss von Pemberley zu verspielen, das sind starke Impulse. Außerdem besitzt er brüderlichen Stolz, sogar so etwas wie brüderliche Liebe, und beides macht ihn zu einem sehr verständnisvollen und besorgten Vormund seiner Schwester, und deshalb werden Sie auch überall hören, wie man sein Lob als fürsorglichsten und besten aller Brüder in lauten Tönen singt.« »Was für ein Mädchen ist Miss Darcy?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich wäre froh, wenn ich sie als liebenswürdig bezeichnen könnte. Es tut mir weh, einem Mitglied der Familie Darcy Schlechtes nachzusagen. Aber sie ist ihrem Bruder zu ähnlich – stolz, überstolz. Als Kind war sie anhänglich und reizend, und sie hing sehr an mir. Stunde um Stunde habe ich damit verbracht, mit ihr zu spielen. Aber jetzt bedeutet sie mir nichts mehr. Sie ist hübsch, ungefähr fünfzehn oder sechzehn und angeblich sehr gebildet. Seit dem Tod ihres Vaters wohnt sie in London bei einer Dame, die mit ihrer Erziehung beauftragt ist.«

Nach vielen Pausen und vielen Abschweifungen konnte Elizabeth sich nicht beherrschen und kam noch einmal auf die eigentliche Unterhaltung zurück.

»Ich wundere mich über seine Freundschaft mit Mr. Bingley!

Wie kann ein anscheinend so umgänglicher und wirklich liebenswerter Mensch wie Mr. Bingley auf so vertrautem Fuß mit solch einem Mann stehen? Sie passen doch gar nicht zueinander.

Kennen Sie Mr. Bingley?«

»Nein, gar nicht.«

»Er ist verträglich, liebenswert und charmant. Er muss sich in Mr. Darcy täuschen.«

»Wahrscheinlich – aber wenn Mr. Darcy will, kann er sehr für sich einnehmen. Talent genug dazu hat er. Er ist ein unterhaltsamer Freund, wenn es ihm der Mühe wert erscheint. Unter seinesgleichen benimmt er sich völlig anders als gegenüber weniger Wohlhabenden. Seinen Stolz gibt er nie auf, aber unter reichen Leuten ist er tolerant, gerecht, aufrichtig, einsichtig, anständig und vielleicht umgänglich – Geld und Geltung imponieren ihm.«

Kurz darauf brach die Whistpartie ab, die Spieler scharten sich um den anderen Tisch, und Mr. Collins setzte sich zwischen seine Cousine Elizabeth und Mrs. Philips. Diese stellte die üblichen höflichen Fragen nach seinem Abschneiden beim Spiel.

Es war nicht allzu gut, er hatte ständig verloren. Aber als Mrs. Philips ihn deshalb zu bedauern begann, versicherte er ihr feierlich und gemessen, es sei nicht der Rede wert. Geld spiele für ihn keine Rolle, und er bat sie, sich nicht unnütz zu beunruhigen.

»Ich weiß, Madam«, sagte er, »wenn man sich an den Kartentisch setzt, muss man zum Risiko bereit sein – und glücklicherweise befinde ich mich nicht in Umständen, die den Verlust von fünf Shilling zur Tragödie machen. Zweifellos dürfen sich nicht alle Menschen so glücklich schätzen, aber dank Lady Catherine de Bourgh bin ich der Notwendigkeit enthoben, mich um Kleinigkeiten zu sorgen.«

Mr. Wickham wurde aufmerksam, und nach einigen kurzen Blicken auf Mr. Collins fragte er Elizabeth leise, ob ihr Verwandter mit der Familie de Bourgh engere Beziehungen habe.

»Lady Catherine de Bourgh«, antwortete sie, »hat ihn vor Kurzem als Gemeindepfarrer eingesetzt. Ich weiß nicht, wie sie auf ihn aufmerksam geworden ist, aber jedenfalls kennt sie ihn noch nicht lange.«

»Sie wissen natürlich, dass Lady Catherine de Bourgh und Lady Anne Darcy Schwestern waren; folglich ist sie die Tante des jetzigen Mr. Darcy.«

»Nein, ich hatte keine Ahnung davon. Ich kenne Lady Catherines Familienverhältnisse gar nicht. Bis vorgestern hatte ich von ihrer Existenz noch nie gehört.«

»Ihre Tochter, Miss de Bourgh, erbt ein riesiges Vermögen, und es wird allgemein angenommen, dass sie und ihr Vetter ihren Besitz vereinigen werden.«

Diese Auskunft brachte Elizabeth zum Lächeln, als sie an die arme Miss Bingley dachte. Umsonst waren all ihre Anstrengungen, umsonst und nutzlos ihre Zuneigung zu seiner Schwester und ihre Lobhudeleien für ihn, wenn er schon einer anderen versprochen war.

»Mr. Collins«, sagte Elizabeth, »ist von Lady Catherine und ihrer Tochter begeistert, aber aus einigen Andeutungen/die er über ihre Hoheit gemacht hat, entnehme ich, dass seine Dankbarkeit ihn blind macht und sie eine arrogante, eingebildete Person ist, obwohl sie sich seiner angenommen hat.«

»Beides in hohem Maße, glaube ich«, sagte Wickham. »Ich habe sie zwar viele Jahre lang nicht gesehen, aber ich erinnere mich, dass ich sie nie mochte und ihr Benehmen diktatorisch und unverschämt fand. Sie hat den Ruf, ausgesprochen vernünftig und klug zu sein; aber ich glaube, ihre angeblichen Fähigkeiten rühren zum Teil von Rang und Vermögen, zum Teil von ihrem autoritären Gehabe und der Rest vom Stolz ihres Neffen, der sich einbildet, dass alle, die mit ihm verwandt sind, die Klugheit mit Löffeln gegessen haben.«

Elizabeth gab zu, dass er den Sachverhalt einleuchtend erklärt hatte, und sie unterhielten sich angeregt, bis das Essen dem Kartenspiel ein Ende machte und Mr. Wickhams Aufmerksamkeit auch den anderen Damen gehörte. Bei dem Lärm an Mrs. Philips‘ Tafel war an Unterhaltung zwar nicht zu denken, aber alle beobachteten seine Umgangsformen mit Genugtuung. Was er sagte, sagte er geschickt; was er tat, tat er mit Eleganz. Den ganzen Heimweg beschäftigte sich Elizabeth in Gedanken weiter mit ihm. Sie konnte an nichts anderes als an Mr. Wickham und das Gespräch mit ihm denken, aber sie kam nicht einmal dazu, auch nur seinen Namen zu erwähnen, denn weder Lydia noch Mr. Collins hielten auch nur einen Augenblick den Mund. Lydia redete hemmungslos von den Lotterielosen und mit welchen Nummern sie gewonnen oder verloren hatte, und Mr. Collins würdigte Mr. und Mrs. Philips’ Zuvorkommenheit und erklärte wiederholt, der Geldverlust beim Whist mache ihm gar nichts aus; er zählte die Gänge beim Essen auf, befürchtete mehrfach, seinen Cousinen den Platz wegzunehmen und hatte überhaupt mehr zu erzählen als er bis zur Ankunft der Kutsche in Longbourn an den Mann bringen konnte.


Kapitel 17

Am nächsten Tag erzählte Elizabeth Jane, worüber sie sich mit Mr. Wickham unterhalten hatte. Jane hörte mit Erstaunen und Sorge zu. Sie wollte einfach nicht glauben, dass Mr. Darcy Mr. Bingleys Freundschaft so wenig verdiente; und doch war sie nicht der Mensch, die Glaubwürdigkeit eines so liebenswürdig auftretenden jungen Mannes wie Wickham anzuzweifeln. Schon die Möglichkeit einer so lange erduldeten schlechten Behandlung genügte, um all ihre zärtlichen Gefühle zu wecken; und deshalb blieb ihr nichts anderes übrig, als beide für Ehrenmänner zu halten, beider Verhalten zu verteidigen und alles, was nicht anders zu erklären war, auf Irrtümer und Missverständnisse zurückzuführen.

»Bestimmt sind beide getäuscht worden«, sagte sie, »auf die eine oder andere Weise, die wir uns nicht ausmalen können. Irgendwelche Leute könnten daran interessiert gewesen sein, sie gegeneinander auszuspielen. Kurz, wir können uns unmöglich die Gründe und Umstände ihrer Entfremdung voneinander vorstellen, ohne dem einen oder dem anderen die Schuld zu geben.«

»O ja, gewiss doch – und wie, meine liebe Jane, willst du nun noch Ausreden für die Leute finden, die sie vermutlich gegeneinander ausgespielt haben? Du wirst auch sie freisprechen müssen, sonst müssen wir doch noch schlecht von jemandem denken.«

»Lach du ruhig, aber meine Meinung wirst du damit nicht ändern. Liebste Lizzy, überleg doch mal, in was für ein schlechtes Licht es Mr. Darcy rückt, wenn er den Günstling seines Vaters so behandelt, ihn, für den sein Vater versprochen hatte zu sorgen.

Unmöglich. Auch wer keine menschlichen Gefühle hat und gar nichts auf sich hält, könnte das nicht fertigbringen. Können seine besten Freunde sich so in ihm täuschen? – Ausgeschlossen!«

»Ich kann mir viel eher vorstellen, dass er Mr. Bingley hinters Licht geführt hat, als dass Mr. Wickham die Geschichte, die er mir gestern Abend erzählt hat, erfunden haben sollte; Namen, Fakten, alles erzählt ohne Aufschneiderei. Wenn es nicht stimmt, soll Mr. Darcy widersprechen. Und außerdem, die Wahrheit steht ihm in den Augen geschrieben.«

»Es ist schwer zu sagen – es ist so verwirrend. Was soll man bloß davon halten?«

»Entschuldige bitte, man weiß genau, was man davon halten soll.« Aber Jane war sich nur in einem Punkt sicher: Wenn Mr. Bingley tatsächlich hinters Licht geführt worden war, dann war er zu bedauern, wenn die Affäre bekannt werden sollte.

Die beiden jungen Damen wurden aus dem Garten, wo dieses Gespräch stattfand, ins Haus gerufen, weil einige der Personen, von denen gerade die Rede war, zu Besuch gekommen waren: Mr. Bingley und seine Schwestern wollten sie persönlich zu dem lange erwarteten Ball in Netherfield einladen, der am kommenden Dienstag stattfinden sollte. Die beiden Damen waren entzückt, ihre liebe Freundin wiederzutreffen, hatten sie angeblich eine Ewigkeit nicht mehr gesehen und fragten wiederholt, wie es ihr seid der Trennung ergangen sei. Dem Rest der Familie schenkten sie nur wenig Aufmerksamkeit. Mrs. Bennet vermieden sie soweit möglich, zu Elizabeth sagten sie kaum etwas und zu den anderen gar nichts. Dann gingen sie wieder, indem sie so schnell von ihren Sitzen aufsprangen, dass ihr Bruder ganz überrascht war, und hinausstürzten, als ob sie Mrs. Bennets Höflichkeiten entgehen wollten.

Die Aussicht auf den Ball in Netherfield war für alle weiblichen Mitglieder der Familie äußerst erfreulich. Mrs. Bennet bildete sich ein, er werde ihrer ältesten Tochter zu Ehren veranstaltet, und fühlte sich besonders durch Mr. Bingleys persönliche Einladung statt einer formellen Karte geschmeichelt. Jane malte sich einen glücklichen Abend in der Gesellschaft ihrer beiden Freundinnen und mit den Aufmerksamkeiten ihres Bruders aus, und Elizabeth dachte mit Vergnügen daran, wie häufig sie mit Mr. Wickham tanzen und wie sie in Mr. Darcys Augen und Verhalten die Bestätigung von allem sehen würde.

 

Das von Catherine und Lydia vorhergesehene Vergnügen hing weniger von einem besonderen Ereignis oder einer bestimmten Person ab, denn obwohl beide wie Elizabeth den halben Abend mit Mr. Wickham zu tanzen vorhatten, war er auf keinen Fall für sie der einzige in Frage kommende Partner, und ein Ball war immerhin ein Ball. Und sogar Mary konnte ihrer Familie versichern, dass sie nicht abgeneigt war.

»Solange ich die Vormittage für mich habe«, sagte sie, »genügt mir das. Gelegentlich abendlichen Einladungen zu folgen, ist kein großes Opfer. Wir alle müssen der Gesellschaft unseren Tribut zahlen; und ich behaupte sogar, Erholungspausen und Zerstreuungen sind wünschenswert für jedermann.«

Der Anlass versetzte Elizabeth in solche Stimmung, dass sie Mr. Collins unbedingt fragen musste, obwohl sie sonst nur das Nötigste mit ihm sprach, ob er Mr. Bingleys Einladung anzunehmen beabsichtige, und wenn ja, ob er auch zu tanzen gedenke; und zu ihrer Überraschung erfuhr sie, er habe keinerlei Bedenken dagegen und schrecke diesbezüglich auch vor einem Verweis vom Erzbischof oder Lady Catherine de Bourgh nicht zurück.

»Ich bin keineswegs der Meinung, wie ich sagen darf, dass ein solcher Ball, von einem ehrenwerten jungen Mann und für ehrenwerte Leute veranstaltet, irgendwie zum Bösen ausschlagen könnte. Auch habe ich nichts dagegen, selbst zu tanzen, und hege die Hoffnung, im Laufe des Abends mit der Hand all meiner hübschen Cousinen belohnt zu werden; ganz besonders möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen, mich für die ersten beiden Tänze um Ihre Hand, Miss Elizabeth, zu bewerben – eine Auszeichnung, die meine Cousine Jane, wie ich hoffe, richtig verstehen und nicht Missachtung ihr gegenüber zuschreiben wird.«

Elizabeth merkte, dass sie sich ihr eigenes Grab gegraben hatte. Sie hatte sich vorgestellt, wie sie alle Tänze mit Mr. Wickham tanzen würde, und nun statt dessen Mr. Collins! Nie hatte eine übermütige Frage größeren Schaden angerichtet. Aber was sollte sie machen. Mr. Wickhams und ihr gemeinsames Glück wurde gewaltsam ein wenig hinausgeschoben, und sie machte Mr. Collins gegenüber gute Miene zum bösen Spiel.

Auch der Gedanke, dass mehr dahintersteckte, machte ihr seine Galanterie nicht erträglicher. Jetzt zum ersten Mal kam ihr der Verdacht, sie unter all ihren Schwestern sei ausersehen, im Pfarrhaus von Hunsford die Hausherrin zu spielen und auf Rosings am Kartentisch einzuspringen, wenn willkommenere Gäste nicht zu erwarten waren. Als sie seine wachsende Zuvorkommenheit ihr gegenüber wahrnahm und seine wiederholten Versuche hörte, ihr ein Kompliment für ihren Geist und ihre Lebhaftigkeit zu machen, da wurde Verdacht zur Gewissheit, und obwohl sie eher erstaunt als geschmeichelt über diese Wirkung ihres Charmes war, dauerte es nicht lange, bis ihre Mutter sie wissen ließ, dass die Möglichkeit ihrer Heirat ihr außerordentlich zusagte. Elizabeth tat, als ob sie den Wink nicht verstanden hätte, weil sie wusste; dass jede Antwort eine ernstliche Auseinandersetzung zur Folge haben müsste.

Vielleicht verzichtete Mr. Collins ja auf den Antrag, und jedenfalls war es sinnlos, über ihn zu streiten, ehe er gemacht worden war.

Ohne die Vorbereitungen für den Ball in Netherfield und die Unterhaltungen darüber wären die jüngeren Misses Bennet in diesen Tagen in einem beklagenswerten Zustand gewesen, denn vom Tag der Einladung bis zum Ball selbst regnete es ununterbrochen, dass sie nicht ein einziges Mal nach Meryton gehen konnten. Keine Tante, keine Offiziere, kein Klatsch als Ablenkung, und sogar die Schuhrosen für den Ball mussten per Boten besorgt werden. Selbst Elizabeths Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt bei diesem Wetter, das den Fortschritt ihrer Bekanntschaft mit Mr. Wickham zum Stillstand brachte; und nur das Fest am Dienstag machte den Freitag, Samstag, Sonntag und Montag für Kitty und Lydia erträglich.


Kapitel 18

Der Gedanke, dass Mr. Wickham möglicherweise gar nicht anwesend wäre, kam Elizabeth erst, als sie den Salon in Netherfield betrat und ihn in dem Haufen roter Uniformen nicht entdecken konnte. Sie war so sicher gewesen, ihn hier zu treffen, obwohl bestimmte Vorfälle sie doch eigentlich hätten warnen müssen. Sie hatte auf ihre Garderobe mehr Sorgfalt als sonst verschwendet und sich in der Hoffnung, dass nur ein Abend dazu nötig sein werde, in bester Stimmung auf die Enträtselung der verbleibenden Geheimnisse seines Herzens vorbereitet. Aber nun konnte sie sich des schrecklichen Verdachts nicht erwehren, dass die Bingleys ihn Mr. Darcy zu Gefallen gar nicht eingeladen hatten, und obwohl das nicht ganz der Fall war, wurde seine Abwesenheit von seinem Freund Mr. Denny bestätigt, an den sich Lydia sofort gewandt hatte und der ihnen erzählte, Wickham habe geschäftlich am Tage zuvor nach London reisen müssen und sei noch nicht zurück. Mit einem vielsagenden Lächeln fügte er hinzu:

»Ich glaube nicht, dass ihn seine Geschäfte gerade jetzt abgerufen hätten, wenn er nicht einem gewissen Herrn hier hätte aus dem Wege gehen wollen.«

Lydia hörte nicht mehr zu, aber Elizabeth waren seine Worte nicht entgangen, und da sie ihnen entnahm, dass Darcy nicht weniger schuldig an Wickhams Abwesenheit war, als ihre erste Vermutung nahegelegt hatte, steigerte sich ihre Abneigung gegen ihn durch die akute Enttäuschung so, dass sie nur mit Mühe einigermaßen auf die höflichen Fragen antworten konnte, die er ihr unmittelbar danach stellte. Verständnis, Nachsicht und Geduld mit Darcy war Verrat an Wickham. Sie nahm sich fest vor, nicht mit ihm zu sprechen und wandte sich mit einem Maß an Gereiztheit von ihm ab, das sie nicht einmal im Gespräch mit Mr. Bingley ganz unterdrücken konnte, dessen blinde Parteilichkeit sie ärgerte.

Aber schlecht gelaunt zu sein, war Elizabeth nicht gegeben, und obwohl ihre eigenen Erwartungen an den Abend grausam zerstört worden waren, hing sie der Enttäuschung nicht lange nach. Sie erzählte Charlotte Lucas, die sie seit einer Woche nicht gesehen hatte, ihr Pech und wandte sich dann ihrem verschrobenen Vetter zu, um Charlotte auf ihn aufmerksam zu machen.

Doch die ersten beiden Tänze stürzten sie in neues Unglück; sie waren eine Qual. Mr. Collins bewegte sich linkisch und gravitätisch, entschuldigte sich, anstatt sie zu führen, tanzte in die falsche Richtung, ohne es zu merken, und überantwortete sie all der Schande und dem Missvergnügen, die ein schlechter Tänzer seiner Partnerin bereitet. Sie jubelte innerlich, als sie ihn endlich los war.

Dann tanzte sie mit einem Offizier und konnte sich beim Gespräch über Wickham erholen, denn sie erfuhr, dass er bei allen beliebt war. Nach diesem Tanz kehrte sie zu Charlotte zurück und war mitten in einer Unterhaltung mit ihr, als sie sich plötzlich von Mr. Darcy angesprochen sah, der sie mit seiner Aufforderung so überraschte, dass sie sie annahm, ohne zu wissen, was sie tat. Er ging gleich wieder weg, und sie hatte Zeit, sich über ihre eigene Geistesabwesenheit zu ärgern. Charlotte versuchte, sie zu trösten:

»Du findest ihn bestimmt ganz nett.«

»Um Himmels willen! Das wäre das größte Unglück! Einen Mann nett finden, den man um jeden Preis hassen möchte!

Wünsch mir nur das nicht.«

Aber als der Tanz begann, kam Darcy und forderte sie auf, und Charlotte konnte sie nur noch flüsternd warnen, nicht so einfältig zu sein und sich aus Vorliebe für Wickham bei einem Mann unbeliebt zu machen, der zehnmal so reich war. Elizabeth gab keine Antwort und stellte sich auf. Sie staunte über die Würde, zu der sie als Darcys Partnerin aufgestiegen war, und las in den Blicken ihrer Nachbarn, dass sie das gleiche dachten.

Einige Zeit sagten beide kein Wort; Elizabeth begann sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass ihr Schweigen die beiden Tänze lang dauern würde, und war entschlossen, es nicht zu brechen, bis ihr plötzlich einfiel, dass es eine größere Strafe für ihn sein würde, ihn zum Reden zu zwingen, und sie machte eine kurze Bemerkung über den Tanz. Er antwortete und schwieg wieder. Nach einer Pause von einigen Minuten redete sie ihn zum zweiten Mal an:

»Sie sind nun dran, etwas zu sagen, Mr. Darcy, ich habe etwas über den Tanz gesagt, und Sie müssen nun etwas über die Größe des Raumes oder die Zahl der Paare sagen.«

Er lächelte und versicherte ihr, er werde sagen, was immer sie wolle.

»Sehr schön. Die Antwort genügt fürs erste. Nach einem Weilchen kann ich dann vielleicht sagen, dass private Bälle viel amüsanter als öffentliche sind. Aber erst dürfen wir schweigen.«

»Folgen Sie immer einem bestimmten Schema, wenn Sie sich beim Tanzen unterhalten?«

»Manchmal. Man muss doch irgendetwas sagen. Es macht einen schlechten Eindruck, wenn wir eine halbe Stunde schweigen. Aber man sollte das Gespräch so einrichten, dass manche Leute nur so wenig wie möglich zu sagen brauchen.«

»Wollen Sie damit sich oder mir einen Gefallen tun?« »Uns beiden«, sagte Elizabeth verschmitzt, »mir ist die Ähnlichkeit zwischen uns schon länger aufgefallen. Wir sind beide unsozial und schweigsam, am Sprechen nicht interessiert, es sei denn, wir bilden uns ein, etwas hervorzubringen, was die ganze anwesende Gesellschaft in Erstaunen versetzt und der Nachwelt als aufsehenerregendes Bonmot überliefert werden kann.«

»Aber das trifft doch auf Ihre Person nicht zu«, sagte er, »wie ähnlich es mir sieht, kann ich nicht sagen. Sie halten es sicher für gut getroffen.«

»Es entzieht sich mir, meine eigene Darbietung zu beurteilen.«

Er gab keine Antwort, und sie schwiegen weiter, bis sie durchgetanzt waren, dann fragte er sie, ob sie und ihre Schwestern oft nach Meryton gingen. Sie bestätigte es und konnte der Versuchung nicht widerstehen hinzuzufügen:

»Als Sie uns neulich dort trafen, hatten wir gerade eine neue Bekanntschaft gemacht.«

Die Wirkung war ungeheuer. Er setzte eine noch hochmütigere Miene auf, sagte aber kein Wort, und so konnte Elizabeth, obwohl sie sich über ihre Schwäche ärgerte, nicht fortfahren.

Schließlich machte er wieder den Mund auf und sagte forciert:

»Mr. Wickham ist durch seine gewinnenden Manieren geschickt darin, Freundschaften anzuknüpfen, ob sie auch dauern, ist eine andere Frage.«

»Er hat das Pech gehabt, Ihre Freundschaft zu verlieren«, erwiderte Elizabeth mit Nachdruck, »und zwar auf eine Weise, die er vermutlich sein Leben lang nicht verschmerzen wird.«

Darcy gab keine Antwort und hatte offenbar das Bedürfnis, über etwas anderes zu sprechen. In diesem Augenblick näherte sich ihnen Sir William Lucas, der sich bemühte, durch die Tanzenden hindurch auf die andere Seite des Saales zu kommen.

Aber als er Mr. Darcy erkannte, blieb er stehen und beglückwünschte ihn mit einer tiefen Verbeugung zu seinen Tanzkünsten und seiner Partnerin.

»Es hat mir große Freude gemacht, lieber Mr. Darcy. Solche guten Tänzer sieht man selten. Da merkt man doch gleich, dass Sie zu den ersten Kreisen gehören. Aber gestatten Sie mir auch die Bemerkung, dass Ihre hübsche Partnerin Ihnen alle Ehre antut und dass ich hoffe, Sie werden dieses gemeinsame Vergnügen noch oft haben, vor allem, wenn ein gewisses wünschenswertes Ereignis, meine liebe Miss Eliza« – er warf einen Blick auf ihre Schwester und Bingley –, »eintritt. Wie wird es Glückwünsche regnen. Ich baue auf Sie, Mr. Darcy, aber bitte, lassen Sie sich nicht in Ihrem betörenden Gespräch mit dieser jungen Dame stören, deren strahlende Augen mich schon vorwurfsvoll ansehen.« Darcy hörte diesen letzten Teil kaum noch, aber Sir Williams

Anspielung auf seinen Freund übte eine große Wirkung auf ihn aus, und er richtete seine Augen mit einem nachdenklichen Blick auf Bingley und Jane, die miteinander tanzten. Aber dann fasste er sich wieder, wandte sich seiner Partnerin zu und sagte:

»Ich habe durch Sir Williams Unterbrechung ganz vergessen, worüber wir sprachen.«

»Ich glaube, wir haben gerade gar nichts gesagt. Sir William konnte im ganzen Saal kaum ein Paar unterbrechen, das sich weniger zu sagen hat. Wir haben schon zwei oder drei Themen ohne Erfolg probiert, worüber wir uns nun noch unterhalten wollen, weiß ich beim besten Willen nicht.«

 

»Wie war‘s mit Büchern?«

»Bücher – o nein! Ich bin sicher, wir lesen nie dieselben Bücher, jedenfalls nicht mit denselben Empfindungen.«

»Wie schade. Aber wenn das so ist, dann haben wir wenigstens ein Thema gefunden. Wir können unsere verschiedenen Meinungen darüber austauschen.«

»Nein, ich kann im Ballsaal nicht über Bücher reden. Mein Kopf ist voll von anderen Dingen.«

»Sie gehen ganz im Augenblick auf, nicht wahr?«, sagte er mit einem zweifelnden Lächeln.

»Ja, immer«, sagte sie, ohne zu wissen, wovon sie redete, denn ihre Gedanken waren ganz woanders, wie aus ihrer plötzlichen Bemerkung hervorging:

»Ich erinnere mich, Mr. Darcy, dass Sie einmal gesagt haben, Sie seien unversöhnlich, wenn man einmal Ihre Achtung verloren habe. Sie sind hoffentlich sehr vorsichtig dabei, jemandem Ihre Achtung zu entziehen.«

»Das bin ich«, sagte er mit fester Stimme. »Und Sie lassen sich nicht durch Vorurteile blenden?«

»Ich hoffe nicht.«

»Wer seine Meinung niemals ändert, muss besonders darauf achten, auf Anhieb keine Fehlurteile zu fällen.«

»Darf ich wissen, worauf diese Fragen hinauslaufen?«

»Nur um ein besseres Bild von Ihrer Persönlichkeit zu bekommen«, sagte Elizabeth und bemühte sich, ihre trüben Gedanken abzuschütteln. »Ich versuche, Sie besser zu verstehen.«

»Mit oder ohne Erfolg?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich komme nicht recht weiter. Ich höre so verschiedene Urteile über Sie, dass ich weder ein noch aus weiß.«

»Ich glaube gerne«, antwortete er ernst, »dass man über mich verschiedene Dinge erzählt. Ich schlage deshalb vor, Miss Bennet, dass Sie sich Ihr Bild von mir nicht gerade jetzt machen, da ich befürchten muss, dass der Versuch weder Ihnen noch mir Ehre macht.«

»Aber wenn ich die Chance nicht wahrnehme, habe ich vielleicht nie wieder Gelegenheit dazu.«

»Es liegt mir völlig fern, Ihnen Ihr Vergnügen zu rauben«, antwortete er kühl. Sie sagte weiter nichts, und sie tanzten zum zweiten Mal durch die Reihe und trennten sich schweigend.

Beide waren unbefriedigt, wenn auch nicht im gleichen Maße, denn Mr. Darcy hatte immerhin so viel für Elizabeth übrig, dass er ihr bald verzieh und seinen Zorn jemand anderem zuwandte.

Nicht lange danach kam Miss Bingley auf Elizabeth zu und sagte höflich, aber von oben herab zu ihr:

»So, Miss Eliza, Sie sind also entzückt von George Wickham.

Ihre Schwester sprach von ihm und fragte mich tausend verschiedene Dinge. Der junge Mann scheint bei all seiner Redseligkeit vergessen zu haben, Ihnen zu erzählen, dass er der Sohn des alten Wickham ist, des Verwalters vom verstorbenen Mr. Darcy. Aber ich möchte Ihnen den freundschaftlichen Rat geben, nicht alle seine Behauptungen unbesehen zu glauben, denn dass Mr. Darcy ihn schlecht behandelt hat, ist zum Beispiel völlig aus der Luft gegriffen; im Gegenteil, er hat immer außerordentlich viel Nachsicht mit ihm gehabt, obwohl George Wickham sich ihm gegenüber schamlos benommen hat. Ich bin mit den Einzelheiten nicht vertraut, aber so viel weiß ich sicher: Mr. Darcy trifft keinerlei Schuld; schon George Wickhams Name ist ihm zuwider, und obwohl mein Bruder ihn von der Einladung an die Offiziere nicht gut ausnehmen konnte, war er doch außerordentlich froh, dass Mr. Wickham von sich aus darauf verzichtet hat, der Einladung zu folgen. Schon dass er hierher gekommen ist, ist eine Unverschämtheit, und ich frage mich, woher er den Mut dazu nimmt. Sie tun mir leid, Miss Eliza, dass Ihr Schwarm sich nun als Sünder herausstellt, aber wenn man seine Herkunft bedenkt, konnte man wirklich kaum etwas anderes erwarten.«

»Seine Sünden scheinen in Ihren Augen ausschließlich in seiner Herkunft zu bestehen«, sagte Elizabeth wütend, »denn bisher haben Sie ihm nur vorgeworfen, der Sohn von Mr. Darcys Verwalter zu sein und das, seien Sie überzeugt, hat er mir selbst erzählt.«

»Entschuldigen Sie bitte«, erwiderte Miss Bingley und wandte sich höhnisch lachend ab.

»Entschuldigen Sie meine Einmischung, es war nur gut gemeint.«

»Unverschämtes Frauenzimmer!«, sagte Elizabeth zu sich selbst, »du irrst dich, wenn du glaubst, du kannst mich mit so erbärmlichen Unterstellungen gegen ihn einnehmen. Ich sehe darin nichts als deine absichtlich vorgeschobene Naivität und Mr. Darcys Bösartigkeit.« Dann suchte sie ihre Schwester, die unterdessen Mr. Bingley über dasselbe Thema ausgefragt hatte.

Jane kam ihr mit einem so viel Wohlbefinden ausstrahlenden Lächeln, mit einem so glücklichen Ausdruck entgegen, dass daraus unverkennbar ihre volle Zufriedenheit mit den Ereignissen des Abends sprach. Elizabeth durchschaute sie sofort, und alles, auch ihr Eintreten für Wickham und ihre Abneigung gegen seine Feinde, traten hinter der Hoffnung zurück, dass Jane auf dem besten Weg war, ihr Glück zu machen.

»Ich möchte gerne wissen«, sagte sie ebenso lächelnd wie ihre Schwester, »was du über Mr. Wickham erfahren hast. Aber vielleicht warst du zu angenehm beschäftigt, um an dritte zu denken; in diesem Fall kannst du mit meiner Nachsicht rechnen.«

»Nein«, erwiderte Jane, »ich habe ihn nicht vergessen; aber ich kann dir nichts Erfreuliches sagen. Mr. Bingley kennt seine Geschichte nur zum Teil und weiß auch nicht, womit er Mr. Darcy eigentlich so tief beleidigt hat. Aber er verbürgt sich für das angemessene Verhalten, die Rechtschaffenheit und Ehre seines Freundes. Er ist überzeugt, Mr. Darcy hat sich mehr um Mr. Wickham bemüht, als er verdient hat, und ich muss leider sagen, dass nach seinen und den Aussagen seiner Schwester Mr. Wickham auf keinen Fall ein achtbarer junger Mann ist. Ich fürchte, er hat sehr unklug gehandelt und Mr. Darcys Sympathie zu Recht verloren.«

»Mr. Bingley kennt also Mr. Wickham nicht persönlich?«

»Nein, er hat ihn neulich in Meryton zum ersten Mal gesehen.«

»Also beruht sein Urteil auf den Auskünften Mr. Darcys. Das reicht mir. Aber was sagt er von der Pfarrei?«

»Er erinnert sich an die Umstände nicht genau, obwohl er mehr als einmal von Mr. Darcy gehört hat, dass ihre Übertragung an Bedingungen gebunden war.«

»Ich zweifle nicht an Mr. Bingleys gutem Willen«, sagte Elizabeth erregt, »aber nimm nur nicht übel, dass ich mich auf bloße Informationen aus zweiter Hand nicht verlasse. Mr. Bingley hat seinen Freund gut verteidigt, vermute ich, aber da er mit der Angelegenheit nur zum Teil vertraut ist und sein Wissen nur von seinem Freund hat, kann ich mein Urteil über beide nicht ändern.«

Dann gingen sie zu einem für beide dankbareren Thema über, wo es keine Differenzen geben konnte, und Elizabeth hörte mit Freude von Janes glücklichen, wenn auch bescheidenen Hoffnungen auf Mr. Bingleys Liebe und bestärkte sie, so gut sie konnte. Als Mr. Bingley selbst zu ihnen brat, zog sich Elizabeth zu Miss Lucas zurück, auf deren Fragen, wie sie mit ihrem letzten Partner zurechtgekommen sei, sie kaum geantwortet hatte, als Mr. Collins auf sie zukam und ihnen mit großer Begeisterung erzählte, er habe gerade das Glück gehabt, eine sehr wichtige Entdeckung zu machen.

»Ich habe«, sagte er, »durch einen einzigartigen Zufall herausgefunden, dass sich in dieser Minute hier im Saal ein naher Verwandter meiner Gönnerin befindet. Ich hörte zufällig, wie jener Herr selbst gegenüber der jungen Dame, die die Pflichten der Hausherrin wahrnimmt, den Namen seiner Cousine Miss de Bourgh und ihrer Mutter Lady Catherine erwähnte. Wie wunderbar sich solche Dinge ereignen. Wer hätte das für möglich gehalten, dass ich bei diesem Fest vielleicht einen Neffen Lady Catherine de Bourghs treffen würde! Wie dankbar bin ich, diese »Entdeckung noch so rechtzeitig gemacht zu haben, dass ich mich ihm vorstellen kann, was ich auf der Stelle tun werde, und ich hege die Hoffnung, dass er mir nachsieht, es nicht früher getan zu haben. Meine völlige Unkenntnis ihrer verwandtschaftlichen Beziehungen muss mir zur Entschuldigung gereichen.«

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