Jane Austen: Emma (Neu bearbeitete deutsche Ausgabe)

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7. Kapitel

Schon der gleiche Tag, an dem Mr. Elton sich nach London begeben wollte, bot Emma erneut Gelegenheit, ihrer Freundin nützlich zu sein. Harriet war wie immer gleich nach dem Frühstück in Hartfield gewesen und nach einiger Zeit heimgegangen, um zum Dinner wieder da zu sein; sie kam zurück und kündigte, noch bevor ein Wort gesprochen worden war, durch ihren erregten, gehetzten Blick an, dass etwas Außerordentliches sich ereignet habe, das sie unbedingt erzählen müsse. Kurz darauf erfuhr Emma alles. Gleich nachdem sie in Mrs. Goddards Haus zurückgekehrt war, hatte sie erfahren, Mr. Martin sei vor einer Stunde da gewesen, habe, da er sie nicht zu Hause antraf und man nicht wusste, wann sie wiederkommen würde, ein kleines Päckchen von einer seiner Schwestern dagelassen und sei dann gegangen. Als sie das Päckchen öffnete, fand sie außer den beiden Liedern, die sie Elisabeth zum Abschreiben geliehen hatte, auch noch einen an sie gerichteten Brief; dieser Brief war von Mr. Martin und enthielt einen direkten Heiratsantrag. »Wer hätte das gedacht! Sie sei dermaßen überrascht, dass sie nicht wisse, was sie tun solle. Ja, ein wirklicher Heiratsantrag; dazu ein sehr netter Brief, sie fand ihn zum mindesten so. Und er schrieb so, als ob er sie wirklich sehr liebe – aber sie wusste nicht recht – deshalb sei sie so schnell wie möglich zu Miss Woodhouse gekommen, um sie zu fragen, was sie tun solle.«

Emma schämte sich beinah ihrer Freundin, weil diese so erfreut und so voller Zweifel zu sein schien.

»Auf mein Wort«, rief sie aus, »der junge Mann ist entschlossen, sich etwas nicht deshalb entgehen zu lassen, weil er nicht rechtzeitig zugegriffen hat. Er möchte eine möglichst günstige Verbindung eingehen.«

»Möchten Sie den Brief lesen?« rief Harriet aus. Sie las ihn und war überrascht. Der Stil des Briefes war viel besser, als sie erwartet hatte. Er enthielt nicht nur keine Grammatikfehler, die Satzkonstruktion hätte auch einem Gentleman keine Schande gemacht; die Sprache, obwohl einfach, war kraftvoll und ungekünstelt und die Gefühle, die er ausdrückte, sprachen außerordentlich für den Schreiber. Er war kurz, drückte aber gesunden Menschenverstand, warme Zuneigung, Großzügigkeit und Anstand, sogar Zartheit der Empfindung aus. Sie ließ sich Zeit damit, während Harriet mit einem ängstlichen »Nun, nun«, auf ihre Meinung wartete; sie sah sich endlich gezwungen, hinzuzufügen:

»Es ist ein sehr anständiger Brief, oder ist er vielleicht zu kurz?«

»Ja, wirklich ein sehr anständiger Brief«, fügte Emma etwas zögernd hinzu. – »Er ist so gut, Harriet, dass ich nach einigem Nachdenken annehmen muss, eine seiner Schwestern habe ihm dabei geholfen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass der junge Mann, mit dem ich dich unlängst sprechen sah, sich ohne fremde Hilfe so gewandt ausdrücken könnte – aber andererseits ist es nicht der Stil einer Frau; nein, bestimmt nicht, dazu ist er zu kraftvoll und klar – er findet eben, wenn er die Feder zur Hand nimmt, von selbst die richtigen Worte. Das ist bei manchen Menschen so. Ja, ich verstehe seine Denkweise. Energisch, entschlossen, bis zu einem gewissen Grad gefühlvoll, nicht ungeschliffen. Der Brief ist besser abgefasst, Harriet (indem sie ihn zurückgibt), als ich erwartet hatte.«

»Nun«, sagte Harriet, die noch immer auf Antwort wartete; »nun – und – und was soll ich tun?«

»Was du tun sollst! In welcher Hinsicht? Meinst du, in Bezug auf diesen Brief?«

»Ja.«

»Aber worüber bist du dir denn im Zweifel? Du musst ihn natürlich schnellstens beantworten.«

»Ja. Aber was soll ich schreiben? Liebe Miss Woodhouse, geben Sie mir doch bitte einen Rat.«

»Oh nein, nein; der Brief muss ganz deinen Stil aufweisen. Du wirst dich bestimmt richtig ausdrücken, und das ist das wichtigste. Deine Meinung muss klar zum Ausdruck kommen; keine Zweifel und Bedenken oder Äußerungen der Dankbarkeit und des Mitgefühls für den Schmerz, den du ihm zufügen musst, so erfordert es der Anstand. Ich bin sicher, dass dir das richtige einfallen wird. Ich brauche dir doch nicht vorzuschreiben, was du mit dem Anschein des Mitgefühls wegen seiner Enttäuschung zu sagen hast.«

»Sie meinen also, ich soll ihn abweisen?« sagte Harriet mit gesenktem Blick.

»Soll ihn abweisen! Meine liebe Harriet, wie meinst du das eigentlich? Bist du dir darüber im Zweifel? Ich dachte – aber verzeih, vielleicht habe ich mich getäuscht. Ich habe dich sicherlich missverstanden, wenn du dir über den Zweck deiner Antwort nicht klar bist. Ich hatte mir eingebildet, du wolltest mich nur wegen des Wortlauts befragen.«

Harriet schwieg. Emma fuhr etwas reserviert fort:

»Du hast also die Absicht, ihm eine günstige Antwort zukommen zu lassen, nehme ich an.«

»Nein, die habe ich durchaus nicht; das heisst, ich weiß nicht recht. – Was soll ich bloß tun? Was würden Sie mir raten? Bitte, liebe Miss Woodhouse, sagen Sie mir doch, was ich tun soll.«

»Ich werde dir keinen Rat geben, Harriet. Ich will damit nichts zu tun haben. Das ist eine Angelegenheit, wo du mit deinen Gefühlen selbst zurechtkommen musst.«

»Ich hatte keine Ahnung, dass er mich so gern hat«, sagte Harriet, indem sie den Brief betrachtete. Emma verharrte noch eine Zeitlang in Schweigen; aber als ihr aufging, dass die bestrickende Schmeichelei dieses Briefes zu eindrucksvoll sein könnte, fand sie es doch angebracht, schließlich zu sagen:

»Ich möchte grundsätzlich sagen, Harriet, wenn eine Frau schon zweifelt, ob sie einen Mann abweisen soll oder nicht, sie ihn unbedingt abweisen sollte. Wenn sie nicht sicher ist, ob sie ›Ja‹ sagen soll, kann sie mit gutem Gewissen nur ›Nein‹ sagen. Man darf in den Ehestand nicht mit zweifelnden oder lauen Gefühlen eintreten. Ich halte es für meine Pflicht als ältere Freundin, dir dies zu sagen. Aber glaube nicht, dass ich dich beeinflussen möchte.«

»Oh nein, dazu sind Sie bestimmt viel zu gütig – aber wenn Sie mir nur einen Rat geben würden, was ich am besten tun soll: nein, nein, das meine ich nicht. – Wie Sie schon sagten, sollte man ganz entschlossen sein und nicht zögern. – Es ist eine sehr ernste Angelegenheit. Es wird wahrscheinlich besser sein, ›Nein‹ zu sagen. Meinen Sie, ich sollte lieber ›Nein‹ sagen?«

»Nicht um alles in der Welt«, sagte Emma, huldvoll lächelnd, »möchte ich dich nach der einen oder anderen Seite beeinflussen. Du musst, was dein Glück betrifft, dein eigener bester Richter sein. Wenn du Mr. Martin wirklich allen anderen vorziehst und ihn für den geeignetsten Mann hältst, der dir je begegnet ist, warum solltest du dann zögern? Du errötest, Harriet. Denkst du nicht in diesem entscheidenden Moment an jemand anderen? Harriet, Harriet, betrüge dich nicht selbst, lass dich nicht von Mitleid und Dankbarkeit hinreißen. An wen denkst du in diesem Augenblick?«

Das waren günstige Zeichen. Anstatt zu antworten, wandte Harriet sich verwirrt ab und stand in Gedanken versunken beim Feuer; sie hatte zwar den Brief noch immer in der Hand, aber er wurde jetzt mechanisch und achtlos hin‐ und her gebogen. Emma wartete mit Ungeduld, aber nicht ohne große Hoffnung, auf das Ergebnis. Schließlich sagte Harriet etwas zögernd:

»Miss Woodhouse, da Sie mir Ihre Meinung nicht sagen wollen, muss ich die Sache eben selbst erledigen, so gut ich kann und ich habe mich jetzt schon fast entschieden und bin entschlossen, Mr. Martins Antrag abzulehnen. Meinen Sie, dass es das richtige ist?«

»Ganz das richtige, liebste Harriet. Während du dir noch im Zweifel warst, behielt ich meine Ansicht für mich, aber jetzt, wo du fest entschlossen bist, zögere ich nicht mehr mit meiner Zustimmung. Ich freue mich darüber, liebe Harriet. Es hätte mich betrübt, deine Freundschaft zu verlieren, denn das hätte deine Heirat mit Mr. Martin unweigerlich zur Folge gehabt. Ich erwähnte es nicht, solange du noch unentschlossen warst, um dich nicht zu beeinflussen; aber es hätte für mich den Verlust einer Freundin bedeutet. Ich hätte Mrs. Robert Martin von der Abbey Mill Farm doch nicht besuchen können. Nun bist du mir für immer sicher.«

Harriet hatte diese Gefahr nicht geahnt, aber der Gedanke daran traf sie mit voller Wucht.

»Sie hätten mich nicht besuchen können!« rief sie entgeistert aus. »Nein, das wäre natürlich unmöglich gewesen; aber daran hatte ich vorher gar nicht gedacht. Das wäre zu schrecklich gewesen. Was für ein glücklicher Ausweg! Liebe Miss Woodhouse, ich hätte auf das Vergnügen und die Ehre, mit Ihnen auf vertrautem Fuß stehen zu dürfen, um nichts auf der Welt verzichten mögen.«

»Harriet, es hätte mir tatsächlich großen Schmerz bereitet, dich zu verlieren, aber es wäre nicht anders gegangen. Du hättest dich von jeder guten Gesellschaft ausgeschlossen. Ich hätte die Freundschaft mit dir aufgeben müssen.«

»Du liebe Zeit! Wie hätte ich das je ertragen können? Es hätte mich schwer getroffen, nie mehr nach Hartfield kommen zu dürfen.«

»Du liebes, zärtliches Geschöpf! Du und nach Abbey Mill Farm verbannt sein! Du und auf immer auf die Gesellschaft ungebildeter Parvenus angewiesen! Ich möchte bloß wissen, woher der junge Mann die Selbstsicherheit nimmt, von dir so etwas zu verlangen. Er muss sehr viel von sich selbst halten.«

»Ich glaube eigentlich nicht, dass er eingebildet ist«, sagte Harriet, deren Gewissen sich gegen diesen Tadel sträubte, »er ist sehr gutmütig und ich werde ihm immer dankbar sein und große Achtung vor ihm haben. Aber das ist doch etwas ganz anderes als – und wissen Sie, obwohl er mich sicher gern hat, braucht man daraus nicht zu schließen, dass ich – und ich muss bestimmt zugeben, seit ich hierher zu Besuch komme, habe ich Menschen gesehen – und wollte man ihr Äußeres und ihre Manieren zum Vergleich heranziehen, dann ist dies gar nicht möglich, besonders einer von ihnen ist so gutaussehend und liebenswürdig. Mr. Martin ist aber trotzdem auch ein sehr angenehmer junger Mann und ich halte viel von ihm, er hängt so an mir und schreibt einen netten Brief – aber Sie verlassen, das könnte ich unter gar keinen Umständen tun.«

 

»Danke, danke, meine liebe kleine Freundin. Wir werden uns nicht trennen müssen. Eine Frau braucht einen Mann deshalb noch lange nicht zu heiraten, weil er sie darum bittet, an ihr hängt, oder einen annehmbaren Brief schreiben kann.«

»Oh nein, außerdem ist es ja nur ein sehr kurzer Brief.«

Emma fand dies von ihrer Freundin zwar geschmacklos, ließ es aber mit der Bemerkung »sehr richtig« durchgehen; »und es wäre doch für sie nur ein schwacher Trost zu wissen, dass ihr Mann trotz seiner bäurischen Manieren, die ihr täglich und stündlich auf die Nerven gehen müssten, einen anständigen Brief schreiben kann«.

»Oh ja, sehr. Wer macht sich schon viel aus einem Brief: Viel wichtiger ist, sich stets in angenehmer Gesellschaft wohlzufühlen. Ich bin fest entschlossen, ihn abzuweisen. Wie soll ich es formulieren?«

Emma versicherte sie, die Antwort würde nicht schwierig sein und riet dazu, den Brief sofort zu schreiben. Harriet stimmte in der Hoffnung auf ihre Unterstützung zu, und obwohl Emma immer wieder betonte, dass keine Hilfe nötig sein werde, wurde sie in Wirklichkeit bei der Abfassung jedes einzelnen Satzes gewährt. Ein nochmaliges Durchlesen seines Briefes, während die Antwort niedergeschrieben wurde, hatte eine derart besänftigende Wirkung, dass es notwendig wurde, sie mit ein paar entschlossenen Bemerkungen aufzurichten; aber der Gedanke, ihn unglücklich zu machen, stimmte sie traurig und sie musste oft daran denken, was seine Mutter und Schwestern wohl denken würden, und sie war so sehr darauf bedacht, nicht undankbar zu erscheinen, dass Emma glaubte, wäre der junge Mann in diesem Moment da gewesen, hätte er doch noch ihr Ja‐ Wort erhalten.

Der Brief wurde indessen geschrieben, versiegelt und abgeschickt. Die Angelegenheit war erledigt und Harriet war ihr sicher. Sie war den ganzen Abend ziemlich bedrückt; aber Emma konnte ihr ihr freundliches Bedauern nachsehen, und sie versuchte es ein paarmal dadurch zu mildern, dass sie von ihrer eigenen Zuneigung sprach und ein paarmal, indem sie den Gedanken an Mr. Elton vorbrachte.

»Man wird mich nie wieder nach Abbey Mill einladen«, wurde in reichlich kummervollem Tonfall geäußert.

»Nein, denn wenn sie es täten, wie könnte ich eine Trennung von dir ertragen, liebe Harriet? Du wirst in Hartfield viel zu sehr gebraucht, als dass man wegen Abbey Mill auf dich verzichten könnte.«

»Und ich werde bestimmt nie mehr den Wunsch haben, dorthin zu gehen; denn ich bin nur in Hartfield glücklich.«

Einige Zeit darnach: »Ich glaube, Mrs. Goddard wäre sehr überrascht, wenn sie wüsste, was vorgefallen ist. Miss Nash würde es bestimmt sein – denn sie hält ihre eigene Schwester für sehr gut verheiratet, obwohl der Mann bloß Weißwarenhändler ist.«

»Man kann von einer Schullehrerin nicht mehr Stolz und Kultiviertheit erwarten, Harriet. Miss Nash würde dich wahrscheinlich um diese Heiratschance beneiden. Selbst diese Eroberung wäre in ihren Augen schätzenswert. Und sie tappt in Bezug auf etwas Besseres für dich wahrscheinlich ganz im Dunkeln. Die Aufmerksamkeiten einer gewissen Persönlichkeit können unmöglich schon im Klatsch von Highbury Eingang gefunden haben. Wir sind bis heute, bilde ich mir ein, wohl die einzigen, denen sein Aussehen und seine Manieren etwas zu sagen haben.«

Harriet errötete, lächelte und sagte, sie wundere sich eigentlich, dass die Menschen sie so gern hätten. Der Gedanke an Mr. Elton war bestimmt ermutigend; aber dennoch tat ihr nach einiger Zeit wegen des abgewiesenen Mr. Martin das Herz wieder weh.

»Jetzt hat er wahrscheinlich meinen Brief bekommen«, sagte sie weich. »Ich möchte wissen, was sie alle tun – ob die Schwestern was davon merken – und wenn er unglücklich ist, dann werden sie es auch sein. Ich hoffe, dass er es sich nicht allzu sehr zu Herzen nimmt.«

»Wollen wir nicht jetzt lieber an unsere abwesenden Freunde denken, die mit etwas Angenehmerem beschäftigt sind«, rief Emma aus. »Vielleicht zeigt Mr. Elton in diesem Moment dein Bild der Mutter und den Schwestern und erzählt ihnen, um wie viel schöner das Original sei, und er wird ihnen, nachdem sie ihn fünf‐ oder sechsmal darnach gefragt haben, endlich deinen Namen, deinen lieben Namen nennen.«

»Mein Bild! Aber hat er das denn nicht in Bond Street gelassen?«

»Hat er das wirklich? Dann kenne ich Mr. Elton schlecht. Nein, meine liebe, kleine, bescheidene Harriet, verlass dich drauf, das Bild wird solange nicht nach Bond Street gelangen, ehe er nicht morgen sein Pferd besteigt. Es wird ihn den ganzen Abend begleiten, ihn trösten und entzücken. Es macht seiner Familie seine Absichten klar, es stellt dich ihnen vor und es wird bei allen Beteiligten die angenehmsten Empfindungen unseres Naturells hervorrufen, nämlich Neugierde und Voreingenommenheit zu deinen Gunsten. Wie heiter, angeregt und ahnungsvoll, wie beschäftigt wird ihre Phantasie sein!«

Harriet lächelte jetzt wieder, und das Lächeln wurde stärker und ausgeprägter.

8. Kapitel

Harriet schlief in dieser Nacht in Hartfield. Während der letzten Wochen hatte sie mehr als die Hälfte ihrer Zeit dort verbracht, weshalb man ihr schließlich ein eigenes Schlafzimmer angewiesen hatte, und Emma fand es in jeder Hinsicht am besten, sichersten und entgegenkommendsten, sie gerade jetzt so oft als möglich im Haus zu haben.

Sie musste am nächsten Morgen für eine oder zwei Stunden zu Mrs. Goddard gehen, man wollte dann vereinbaren, dass sie zu einem richtigen Besuch von einigen Tagen nach Hartfield zurückkehren solle.

Während ihrer Abwesenheit kam Mr. Knightley zu Besuch und saß eine Zeitlang mit Emma und ihrem Vater zusammen, bis Mr. Woodhouse, der schon vorher den Entschluss gefasst hatte, etwas spazieren zu gehen, sich von seiner Tochter überreden ließ, den Spaziergang nicht mehr länger aufzuschieben; und man brachte ihn schließlich, entgegen seinen Höflichkeitsskrupeln, durch Drängen soweit, Mr. Knightley zu diesem Zweck zu verlassen. Mr. Knightley, der so gar nichts Förmliches an sich hatte, bot mit seinen kurzen, knappen Antworten einen amüsanten Gegensatz zu den langatmigen Entschuldigungen und dem höflichen Zögern des anderen.

»Nun, ich glaube, falls Sie mich entschuldigen würden, Mr. Knightley, und nicht etwa denken, dass ich eine grobe Unhöflichkeit begehe, werde ich Emmas Rat befolgen und für ein Viertelstündchen ausgehen. Da die Sonne herausgekommen ist, wird es, glaube ich, besser sein, meine drei Runden zu machen, solange es noch schön ist. Ich bin wenig zuvorkommend, Mr. Knightley, aber wir Invaliden denken immer, wir könnten uns alles erlauben.«

»Aber Sir, behandeln Sie mich doch nicht wie einen Fremden.«

»Sie haben indessen in meiner Tochter einen ausgezeichneten Ersatz. Emma wird sich freuen, Sie unterhalten zu dürfen. Deshalb werde ich, denke ich, mich bei Ihnen entschuldigen, um meine drei Runden zu machen – meinen Winterspaziergang.«

»Sie könnten gar nichts Besseres tun, Sir.«

»Ich würde Sie gern um das Vergnügen Ihrer Begleitung bitten, Mr. Knightley, aber ich bin ein sehr langsamer Spaziergänger, und mein Tempo wäre für Sie etwas ermüdend, und außerdem haben Sie ja noch den langen Weg nach Donwell Abbey vor sich.«

»Danke, Sir, danke, ich will sowieso bald gehen; und je eher Sie gehen, desto besser. Ich werde Ihren Überzieher holen und Ihnen das Gartentor öffnen.«

Mr. Woodhouse war endlich gegangen; aber anstatt seinerseits sofort aufzubrechen, setzte Mr. Knightley sich wieder hin, offensichtlich zu einem weiteren Schwatz geneigt. Er begann von Harriet zu sprechen, und zwar mit mehr freiwilligem Lob, als Emma je von ihm gehört hatte.

»Ich kann ihre Schönheit nicht so beurteilen wie Sie, aber sie ist ein hübsches Geschöpfchen, und ich bin geneigt, von ihrer Charakterveranlagung sehr viel zu halten. Der Charakter hängt sehr von den Menschen ihrer Umgebung ab; aber in guten Händen kann sie sich zu einer wertvollen Frau entwickeln.«

»Ich freue mich, dass Sie so denken; und die guten Hände werden hoffentlich nicht fehlen.«

»Nun«, sagte er, »Sie warten wohl auf ein Kompliment, weshalb ich Ihnen sagen will, dass Sie sie vervollkommnet haben. Sie haben ihr das Schulmädchen‐Kichern ausgetrieben; sie macht Ihnen wirklich Ehre.«

»Danke, ich wäre sehr gekränkt, wenn ich nicht annehmen dürfte, ich sei ihr irgendwie nützlich gewesen; aber nicht alle bedenken einen mit Lob, wo sie es tun sollten. Sie überwältigen mich nicht allzu häufig damit.«

»Sie sagen, Sie erwarten sie heute Vormittag wieder?«

»Sie muss jeden Augenblick kommen, sie ist schon länger weg, als sie vorhatte.«

»Es muss wohl etwas passiert sein, das sie aufgehalten hat;

vielleicht einige Besucher.«

»Diese Highbury‐Klatschbasen! Was für lästige Geschöpfe!«

»Vielleicht findet Harriet nicht jeden lästig, den Sie dafür halten.«

Emma wusste, dies sei zu wahr, um zu widersprechen, und sagte deshalb nichts. Er fügte gleich darauf mit einem Lächeln hinzu:

»Ich maße mir nicht an, Zeit und Ort genau zu kennen, aber ich muss Ihnen erzählen, dass ich guten Grund habe zu glauben, Ihre kleine Freundin wird bald etwas für sie sehr Vorteilhaftes erfahren.«

»Tatsächlich! Wie das? Und welcher Art?«

»Von sehr ernsthafter, versichere ich Sie«, sagte er, noch immer lächelnd.

»Sehr ernst! Ich kann nur an eines denken: Wer ist in Harriet verliebt? Wer macht Sie zu seinem Vertrauten?«

Emma hoffte schon beinah, Mr. Elton habe eine Andeutung gemacht. Mr. Knightley war für viele Freund und Ratgeber, und sie wusste auch, dass Mr. Elton zu ihm aufschaute.

»Ich habe Grund anzunehmen«, erwiderte er, »dass Harriet Smith bald einen Heiratsantrag bekommen wird, und zwar von ganz unerwarteter Seite – von Robert Martin. Ihr Besuch in Abbey Mill in diesem Sommer scheint der Sache günstig gewesen zu sein. Er ist entsetzlich verliebt und hat die Absicht, sie zu heiraten.«

»Er ist sehr zuvorkommend«, sagte Emma; »aber ist er sicher, dass Harriet ihn heiraten will?«

»Nun, nun, er hat immerhin die Absicht, einen Antrag zu machen. Genügt das? Er kam vorgestern in die Abbey, um deswegen meinen Rat einzuholen. Er weiß, ich habe große Achtung vor ihm und seiner Familie, und ich glaube, er betrachtet mich als einen seiner besten Freunde. Er kam, um mich zu fragen, ob es etwa unklug sei, sich so früh zu binden, oder ob ich sie für zu jung hielte; kurzum, ob ich mit seiner Wahl überhaupt einverstanden sei, da er befürchte, sie könne vielleicht (besonders, seit Sie so viel aus ihr machen) gesellschaftlich über ihm stehen. Ich war von allem, was er sagte, sehr eingenommen. Ich habe nie jemand vernünftiger sprechen hören als Robert Martin. Er spricht stets sachlich offen, geradeaus und mit sehr guter Urteilsfähigkeit. Er hat mir alles erzählt; seine Lebensumstände und Pläne und was sie im Falle seiner Verheiratung zu tun beabsichtigen. Er ist ein vortrefflicher junger Mann, als Sohn wie als Bruder. Ich hatte keinerlei Bedenken, ihm die Heirat zu empfehlen. Er hat mir bewiesen, dass er es sich leisten kann; und ich war in diesem Fall überzeugt, er könne nichts Besseres tun. Ich pries auch die Schöne und er ging ganz beglückt von mir weg. Hätte er meine Meinung früher noch nicht geachtet, danach hätte er viel von mir gehalten; und er hat das Haus, glaube ich, mit dem Gedanken verlassen, ich sei der beste Freund und Ratgeber, den ein Mensch je hatte. Dies geschah vorgestern. Wir können wohl annehmen, dass er jetzt nicht viel Zeit verlieren wird, um mit der Dame zu sprechen, und da er offenbar noch nicht mit ihr gesprochen hat, ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie durch einen Besucher aufgehalten wurde, den sie durchaus nicht für lästig hält.«

»Bitte, Mr. Knightley«, sagte Emma, die während des größten Teils seiner Rede vor sich hingelächelt hatte, »woher wollen Sie wissen, dass Mr. Martin nicht schon gestern gesprochen hat?«

»Sicherlich«, erwiderte er erstaunt, »ich weiß es natürlich nicht ganz bestimmt; aber es ist anzunehmen. War sie nicht gestern den ganzen Tag bei Ihnen?«

»Langsam, langsam«, sagte sie, »ich will Ihnen für das, was Sie mir mitteilten, auch etwas erzählen. Er hat wirklich gesprochen – das heisst, geschrieben, und bekam einen Korb.«

 

Dies musste wiederholt werden, bevor es geglaubt wurde; und Mr. Knightley lief tatsächlich vor Erstaunen und Verärgerung rot an, als er sich in ungeheurer Entrüstung erhob und sagte:

»Dann ist sie ein größerer Dummkopf, als ich dachte. Was ist eigentlich mit dem albernen Mädchen los?«

»Oh, sieh mal an«, rief Emma aus, »es ist einem Mann immer unbegreiflich, wenn eine Frau einen Heiratsantrag zurückweist. Ein Mann bildet sich immer ein, eine Frau müsse für jeden bereit sein, der ihr einen Antrag stellt.«

»Unsinn! Ein Mann bildet sich derartiges nicht ein. Aber was soll das heißen? Harriet Smith würde Robert Martin zurückweisen! Wahnsinn, wenn es stimmen sollte, aber ich hoffe, Sie irren sich.«

»Ich sah ihre Antwort, nichts konnte klarer sein.«

»Sie sahen ihre Antwort! Sie haben diese auch verfasst. Emma, das ist Ihr Werk. Sie haben sie dazu überredet, ihn abzuweisen.«

»Und wenn ich es getan hätte (was ich allerdings keineswegs zugebe), hätte ich trotzdem nicht das Gefühl, unrecht gehandelt zu haben. Mr. Martin ist ein sehr achtbarer junger Mann, aber ich kann ihn nicht als Harriet ebenbürtig anerkennen; und ich bin eigentlich erstaunt, dass er es gewagt hat, an sie heranzutreten. Nach dem, was Sie mir erzählten, hatte er offenbar einige Zweifel. Es ist bedauerlich, dass er sie je überwunden hat.«

»Harriet nicht ebenbürtig!« rief Mr. Knightley laut und hitzig aus; fügte aber einige Augenblicke später weniger schroff hinzu:

»Nein, er ist ihr wirklich nicht ebenbürtig, denn er ist ihr sowohl an Verstand als an Lebensstellung überlegen. Emma, diese Vernarrtheit in das Mädchen macht Sie blind. Worin bestehen denn Harriet Smiths Ansprüche der Geburt, der Persönlichkeit oder Erziehung, auf eine bessere Verbindung als die mit Robert Martin? Sie ist die natürliche Tochter von Niemand‐weiß‐Wem, möglicherweise ohne gesicherte Versorgung und bestimmt ohne achtbare Verwandtschaft. Man kennt sie lediglich als bevorrechtigte Internatsschülerin einer Durchschnittsschule. Sie ist weder ein vernünftiges noch ein gebildetes Mädchen. Sie hat nichts Nützliches gelernt und ist zu jung und unkompliziert, um sich selbst etwas aneignen zu können. Sie kann in ihrem Alter noch keine Erfahrung haben; und wird sich mit ihrem bisschen Verstand wahrscheinlich nie soviel aneignen, um daraus Nutzen ziehen zu können. Sie ist hübsch und gutartig, das ist aber auch alles. Ich hatte nur seinetwegen Zweifel, ihm zu dieser Ehe zu raten, da sie ihm an menschlichen Werten unterlegen und deshalb eine schlechte Verbindung für ihn sei. Ich hatte das Gefühl, er könnte, was sein Glück betrifft, viel besser fahren und dass er in Bezug auf eine vernünftige Lebensgefährtin keine schlechtere Wahl treffen könnte. Aber ich konnte mit einem Verliebten nicht derart vernünftig sprechen und war geneigt, darauf zu vertrauen, dass sie mit ihrer gutartigen Veranlagung von liebenden Händen, wie den seinen angeleitet, sich noch gut entwickeln könnte. Ich war der Meinung, die Vorteile dieser Verbindung lägen alle auf ihrer Seite, und hatte nicht den geringsten Zweifel (noch habe ich ihn jetzt), dass sich ein allgemeines Geschrei erheben würde, was für ein Riesenglück sie hat. Ich war selbst Ihrer Befriedigung sicher. Ich musste sofort daran denken, dass es Ihnen nicht leid tun würde, wenn Ihre Freundin um solch einer guten Verbindung willen Highbury verließe. ›Selbst Emma mit all ihrer Voreingenommenheit zugunsten Harriets muss dieser Meinung sein.‹«

»Ich kann mich nur darüber wundern, dass sie so wenig von Emma wissen, um so etwas sagen zu können. Was! Einen Farmer (und mit all seinem Verstand und seinen Verdiensten ist Mr. Martin doch nicht mehr) als eine gute Verbindung für meine vertraute Freundin zu halten! Ich sollte es nicht bedauern, wenn sie Highbury wegen der Heirat mit einem Mann verließe, den ich nie als Bekannten empfangen könnte! Ich frage mich, wieso Sie mich solcher Gefühle für fähig halten. Ich versichere Sie, meine sind ganz anders. Ich finde Ihre Behauptung keineswegs fair. Sie sind Harriets Ansprüchen gegenüber ungerecht. Andere Menschen und auch ich würden sie besser einschätzen; Mr. Martin mag zwar von beiden der Reichere sein, aber er steht im gesellschaftlichen Rang zweifellos unter ihr. Der Kreis, in dem sie sich bewegt, ist dem seinen weit überlegen. Es wäre eine Erniedrigung.«

»Eine Erniedrigung ihrer Illegitimität und ihres Unwissens, mit einem respektablen, intelligenten Gentleman‐Farmer verheiratet zu sein?«

»Obwohl man sie wegen der Umstände ihrer Geburt im Sinne des Gesetzes als ›Niemand‹ bezeichnen kann, hält dies der Vernunft nicht stand. Sie soll nicht für das Unrecht anderer büßen müssen, indem man sie unter dem Niveau derer hält, mit denen sie aufgezogen wird. Es kann kaum einen Zweifel geben, dass ihr Vater ein Gentleman ist – und noch dazu ein reicher. Ihre finanzielle Zuwendung ist sehr großzügig; nie wurde ihr etwas für ihre Vervollkommnung oder ihr Wohlergehen vorenthalten. Es gibt für mich keinen Zweifel, dass sie die Tochter eines Gentleman ist, und niemand wird abstreiten können, dass sie mit Töchtern von Gentlemen verkehrt. Sie steht gesellschaftlich höher als Robert Martin.«

»Wer auch immer ihre Eltern sein mögen«, sagte Mr. Knightley, »wer auch immer sich ihrer annahm, hatte offenbar nicht die Absicht, sie in die sogenannte gute Gesellschaft einzuführen. Nachdem sie eine äußerst mittelmäßige Erziehung erhalten hat, überlässt man sie Mrs. Goddards Händen, um sich weiterzuhelfen, so gut es geht – kurzum, sich in Mrs. Goddards Lebenskreis zu bewegen und mit ihr bekannt zu sein. Ihre Freunde dachten offenbar, es sei gut genug für sie und das war es auch. Sie selbst hatte keinen höheren Ehrgeiz. Bevor Sie auf den Gedanken kamen, sie zur Freundin zu nehmen, dachte sie nicht im Traum daran, ihr eigenes Milieu abzulehnen, noch hatte sie irgendwelche darüber hinausgehenden Ambitionen. Sie war im Sommer bei den Martins unvorstellbar glücklich. Damals hatte sie noch kein Überlegenheitsgefühl. Wenn sie es jetzt hat, dann nur durch Sie. Sie sind Harriet Smith keine wahre Freundin gewesen, Emma. Robert Martin wäre nie soweit gekommen, hätte er nicht das Gefühl gehabt, dass sie ihm nicht abgeneigt ist. Ich kenne ihn sehr gut. Er hat zuviel echtes Empfinden, um sich einer Frau in unverbindlicher, selbstsüchtiger Leidenschaft zu nähern. Und was die Einbildung betrifft, so kenne ich keinen Menschen, der weiter davon entfernt wäre. Sie können sich darauf verlassen, er wurde ermutigt.«

Es war für Emma am bequemsten, auf diese Behauptung nicht direkt einzugehen; sie nahm lieber ihren eigenen Gedankengang in der Sache wieder auf.

»Sie sind Mr. Martin ein sehr warmherziger Freund; aber, wie schon gesagt, gegen Harriet ungerecht. Harriets Ansprüche, sich gut zu verheiraten, sind nicht so gering, wie Sie sie darstellen. Sie ist zwar kein kluges Mädchen, hat aber mehr gesunden Menschenverstand als Sie ahnen, und verdient es nicht, dass man von ihrer Intelligenz so geringschätzig spricht. Wir wollen dies indessen außer acht lassen und annehmen, sie sei genau so, wie Sie sie schildern, nur hübsch und gutmütig, dann lassen Sie mich sagen, da sie diese Eigenschaften in hohem Maße besitzt, sind diese für die Allgemeinheit durchaus keine unbedeutenden Empfehlungen, sie ist wirklich ein schönes Mädchen, und neunundneunzig von hundert Personen müssen sie dafür halten, und bis es sich herausstellt, dass Männer in Bezug auf Schönheit viel gleichgültiger sind, als man annimmt, bis sie sich in einen vielseitig gebildeten Geist anstatt in ein hübsches Gesicht verlieben, solange hat ein Mädchen von solcher Lieblichkeit wie Harriet die Gewissheit, bewundert und gesucht zu werden und die Möglichkeit, unter vielen ihre Auswahl zu treffen und infolgedessen ein Recht darauf, wählerisch zu sein. Ihre Gutmütigkeit ist ebenfalls kein geringer Anspruch, da sie in diesem Fall wirkliche echte Sanftheit des Temperaments und eine Bereitschaft einschließt, andere Leute nett zu finden. Ich müsste mich sehr irren, wenn nicht Ihr Geschlecht im allgemeinen solche Schönheit und ein derartiges Temperament für die höchsten Tugenden hält, die eine Frau besitzen kann.«