Die Belagerung von Krishnapur

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IV

Dunkle Ringe hatten sich um die Augen des Collectors gebildet und die Augen selbst starrten während der Abendandacht in der Kirche missmutiger denn je auf die anderen Mitglieder der Gemeinde; es gab Tage, an denen man ihn seinen Kopf während der Andacht unnatürlich still halten sah; es war, als wären seine Gesichtszüge in Stein gemeißelt, ohne eine Regung, außer den im Lüftchen der punkahs wehenden Koteletten. Es war offensichtlich, dass er Schlafprobleme hatte, denn bald beauftragte er einen der Diener, den Doktor um einen Schlaftrunk zu ersuchen. Dr. Dunstaple war zu dieser Zeit gerade abwesend, sodass Dr. McNab sich verpflichtet sah, den Collector zu behandeln. Er fand ihn in seinem Schlafzimmer, neben der geöffneten Fenstertür, die auf die Veranda führte.

Dr. McNab war erst kürzlich nach Krishnapur gekommen. Seine Frau war ein paar Jahre zuvor an irgendeinem anderen Standort in Indien gestorben; sonst wusste man nicht viel über ihn, außer dem, was Dr. Dunstaple in Form amüsanter Anekdoten über seine medizinischen Verfahren lieferte. Sein Benehmen war förmlich und zurückhaltend; obwohl noch recht jung, sah er aus wie ein Mann mittleren Alters, gezeichnet von Melancholie, und wie viele düstere Menschen wirkte er diskret. Er hatte das Schlafzimmer des Collectors noch nie betreten und war beeindruckt von der Eleganz der Einrichtung: der Dicke des Teppichs, der Politur von Tischen und Schränken, der majestätischen Pracht der Schlafstätte des Collectors, eines von einem früheren Residenten geerbten Himmelbetts, das einem Mann, der sich an den bescheidenen charpoy* gewöhnt hatte, außergewöhnlich eindrucksvoll erschien.

Der Collector wandte sich kurz um, als Dr. McNab eintrat, und bat ihn, ans Fenster zu kommen, das einen hervorragenden Blick nach Südwesten bot, über den Stallhof, über die Cutcherry* hinweg auf die jüngst errichteten Befestigungsanlagen aus getrockneter, in der blendenden Nachmittagshitze backender Erde.

»Nun, McNab, was meinen Sie, werden die uns vor den Sepoys schützen, wenn sie uns hier angreifen, wie in Meerut?«

»Ich muss gestehen, ich habe keine Ahnung von militärischen Angelegenheiten, Mr. Hopkins.«

Der Collector lachte, aber auf eine humorlose Art. »Das ist eine kluge Antwort, McNab, aber vielleicht sind Sie besser in der Lage, den Geisteszustand eines Mannes zu beurteilen, der inmitten einer friedlichen Landschaft eine Festung baut. Doktor, mir ist sehr wohl bewusst, was wegen der Erdwälle da unten im Kantonnement über mich geredet wird.«

Dr. McNab runzelte die Stirn, blieb aber stumm. Sein Blick, der auf das Gesicht des Collectors geheftet war, fiel auf die Finger seiner rechten Hand, die sich in Anbetracht der ansonsten ruhigen und gebieterischen Haltung eines Staatsmanns, der für sein Portrait posiert, zu fest um den Ärmelaufschlag seines Gehrocks klammerten.

»Wenn sich am Ende keine Unruhen entwickeln, werden Sie sicher ziemlich dumm dastehen, Mr. Hopkins«, sagte er, dann fügte er grimmig hinzu: »Aber vielleicht ist es Ihre Pflicht.«

Der Collector schien einen Augenblick überrascht. »Sie haben ganz recht, McNab. Es ist meine Pflicht. Ich habe eine Pflicht gegenüber den Frauen und Kindern, die meinem Schutz anbefohlen sind. Abgesehen davon bin ich Familienvater … ich muss daran denken, meine eigenen Kinder zu beschützen. Vielleicht denken Sie, dass ich mir zu wenig Gedanken über meine Kinder mache? Vielleicht denken Sie, dass ihr Wohlergehen mir nicht genug am Herzen liegt?« Er starrte McNab misstrauisch an.

»Mr. Hopkins, ich weiß nichts über Ihr Privatleben.« Das stimmte beinah, aber nicht ganz. Gerade eben war McNab den Kindern des Collectors begegnet, gleich einer Brut in Samt, die unter Aufsicht ihrer ayah durch einen Gang der Residenz geführt wurde. Und er hatte sich erinnert, gehört zu haben, es geschehe auf Anordnung des Collectors, dass die Seinen weiterhin Samt, Flanell und Wolle trugen, während alle anderen Kinder im Kantonnement bei dem heißen Wetter in Baumwolle oder Musselin gekleidet waren. Sogar als Kinder, so schien es, hatten sie in der Gemeinschaft eine Stellung zu wahren. Nur an den heißesten Tagen, wenn er zufällig bemerkte, wie rotgesichtig seine Sprösslinge geworden waren, mochte der Collector erwägen, Sommerkleidung zu erlauben.

»Ich kann Ihnen versichern, Dr. McNab, dass ich von meinen Kinder genauso geliebt werde, wie Väter schon immer geliebt worden sind«, sagte der Collector, als läse er McNabs Gedanken.

Der Doktor schüttelte beruhigend den Kopf, um anzudeuten, dass es ihm nie in den Sinn gekommen wäre, etwas anderes zu denken, doch der Collector beachtete ihn nicht; stattdessen nahm er ein ledergebundenes Heft vom Tisch und hielt es überschwänglich in die Höhe. »Sehen Sie, meine Töchter bringen mir ihre Tagebücher zu lesen, damit ich ihr Leben überwachen kann … Ich verlange es von ihnen, wie jeder rechtschaffene Vater es täte. Alle Sonntagabende lese ich ihnen und meinen jüngeren Kindern eine Predigt von Arnold oder Kingsley vor, wie jeder gute Vater. O ja, ich habe sogar meinen Hausdiener, Vokins, durch Abhören des Katechismus auf die Firmung vorbereitet! Ich glaube, Sie können mir kaum vorwerfen, die Pflichten gegenüber meinem Haushalt zu vernachlässigen …«

»Es käme mir nie in den Sinn, Ihnen das oder sonst etwas vorzuwerfen«, sagte der Doktor leise.

»Was? Was sagen Sie? Nein, natürlich würden Sie mir solche Dinge nicht vorwerfen. Warum sollten Sie? Aber sagen Sie mir, glauben Sie an Gott, McNab?«

»Eija, natürlich, Mr. Hopkins.«

»Ich dachte nur, weil mir auffiel, dass Sie nicht am Sakrament teilnehmen. Nein, glauben Sie bitte nicht, ich wollte in ihren Glaubensüberzeugungen herumschnüffeln. Ich war nur neugierig, weil ich hier ein Buch von meiner Frau habe … Ich fand es neulich abends … Ich vermute, sie hat es absichtlich neben meinem Bett gelassen. Es ist Kebles The Christian Year, ein Band mit Gedichten zu religiösen Themen, vielleicht kennen Sie es …? Hier, ich lese Ihnen ein paar Zeilen vor … Lassen Sie mich sehen, ja, das wäre was:

›Herr, schwach zu Deinen Füßen liege ich danieder,

mein Aug’ geneigt über Deine Wunden,

die blutströmenden Wunden Dein, erschöpften Auges,

dürrer Erde gleich, des österlichen Himmels harrend.‹«

Er legte eine Pause ein und starrte McNab fragend an, der wieder keine Antwort gab, wusste er doch nicht einmal, worauf er hätte antworten sollen.

»Ich habe immer gedacht, an Gott zu glauben«, fuhr der Collector nach einer Weile fort, während seine dunkel umringten Augen McNabs Blick suchten, »aber ich stelle fest, dass so viel Schwärmerei mich abstößt. Offenbar gibt es solche, die auf ganz andere Weise an Ihn glauben als ich. Und doch, vielleicht haben sie recht?«

»Jeder Mensch kann nur auf seine eigene Weise glauben, Mr. Hopkins. Mehr kann sicher nicht von ihm erwartet werden. So scheint es mir zumindest.«

»Hervorragend, McNab. Was für ein feinsinniger Philosoph Sie sind, wahrhaftig. Jeder auf seine Weise, sagen Sie. Genau. Und jetzt sollte ich Sie zu Ihren Pflichten zurückkehren lassen.« Und während er McNab an die Tür begleitete, lachte er, als wäre er in bester Laune.

An der Tür jedoch gab es eine kurze Verwirrung, denn als McNab sich ihr näherte, öffnete sie sich genau derselben Kinderschar, die er eben gesehen hatte. Nun geschrubbt und gekämmt, waren die Kinder von ihrer ayah durch den Außengang geführt worden, um ihrem Vater zur Teezeit präsentiert zu werden. Der Collector streckte die Arme nach der jüngsten seiner Töchter aus, Henrietta, fünf Jahre alt, aber sie schreckte in die Röcke ihrer ayah zurück. Als McNab sich verabschiedete, musste er so tun, als hätte er diesen kleinen Zwischenfall nicht bemerkt.

In Krishnapur war alles ruhig geblieben, nachdem die Neuigkeiten aus Meerut bekannt geworden waren, aber es hatte dennoch eine Reihe kleiner Anzeichen von Aufruhr gegeben. Während der Collector mit dem Magistrate darüber diskutierte, ob die Ladies in die Sicherheit der Residenz gebracht werden sollten, erreichte sie die Nachricht aus Captainganj, dass General Jackson später vorbeikommen werde, um eine ausstehende Cricket-Partie zwischen den Captainganj-Offizieren und den Zivilbeamten zu besprechen. Diese Nachricht wurde von einem havildar* überbracht, der dem General vorausgeritten war und außerdem etwas Unheilvolleres mitzuteilen hatte: Am Vorabend seien Feuer in den Linien der Eingeborenentruppen ausgebrochen.

»Vielleicht ist die Cricket-Partie nur eine List, ein Vorwand, um keinen Verdacht zu erregen.«

Der Magistrate antwortete nicht und der Collector wünschte, er würde wenigstens einmal diese sardonisch erhobene Augenbraue senken.

»Ich hoffe, der alte Knabe hat nicht angefangen, endgültig abzudriften.«

Gegenwärtig verkündete dröhnender Hufschlag die Ankunft des Generals, und die beiden Männer traten ans Fenster, um zu beobachten. General Jackson kam mit einer Eskorte von einem halben Dutzend eingeborener Kavalleristen, sowars* genannt, die von ihren Pferden abgesessen waren und ihm jetzt auf den Boden halfen. Wie kaum anders zu erwarten bei einer Armee, in der Beförderungen strikt nach Dienstalter erfolgen, war der General ein älterer Mann, gut über siebzig. Obendrein war er korpulent und von kleiner Statur, sodass er nicht mehr mit einem Satz in den oder aus dem Sattel springen konnte, wie es einst seine Art gewesen war; ihn dieser Tage in den oder aus dem Sattel zu heben, war keine leichte Aufgabe. Zu beiden Seiten seines Pferdes verteilt, umfassten die sowars die Kniehosen des Generals mit festem Griff und hoben ihn, unwirsch mit den Beinen strampelnd, um seine Stiefel aus den Steigbügeln zu befreien, in die Luft. Sobald er hoch genug war, wurde das Pferd vorwärts abgeführt und er auf den Boden herabgelassen. Nun, da er sich steif in Richtung des Portikus bewegte, bemerkten die beiden Männer ahnungsvoll, dass er statt eines Gehstocks einen Cricketschläger in der Hand hielt. Wissend, dass sein Gedächtnis nicht mehr ganz so war wie früher, nahm der General oft einen Gegenstand als Eselsbrücke mit; so mochte er, wenn er gekommen war, um über Pferde zu reden, eine Reitgerte bei sich haben, wenn es ums Schießwesen ging, mochten ein paar Musketenkugeln in seiner Tasche klimpern.

 

»Auf dem Basar ging heute Morgen ein neues Gerücht um«, sagte der Magistrate, als der General aus dem Blickfeld verschwand. »Sie sagen, weil so viele Briten auf der Krim getötet worden seien, gebe es in England niemanden mehr zum Heiraten für die Memsahibs. Darum sollten sie hierher gebracht und zwangsweise mit eingeborenen Landbesitzern verheiratet werden. Auf diese Weise würden ihre Kinder und das Land, das sie besitzen, christlich.«

Der Collector runzelte die Stirn. »Beten wir, dass der General nicht mehr so herzhaft optimistisch ist wie vor Meerut.«

Kaum hatte er zu Ende gesprochen, wurde der General angekündigt und in die Bibliothek geführt, wo der Collector und der Magistrate ihn erwarteten.

Im Näherkommen schwang er fröhlich seinen Cricketschläger und sagte: »Also, Hopkins, zu dieser Cricket-Partie. Meiner Ansicht nach sollte die lieber bis nach dem Monsun warten … Wie es jetzt ist, ist es viel zu heiß. Was meinen Sie? Ich weiß, Ihre Jungs wollen die Revanche, aber sie müssen einfach warten …«

Der Magistrate sah an dem verzweifelten Ausdruck, der flüchtig zwischen den Koteletten des Collectors erschien, dass sie beide dasselbe dachten: Der General war tatsächlich gekommen, um über eine Cricket-Partie zu reden.

»Moment mal, General, wir sind zu besorgt wegen der Feuer letzte Nacht, um über Cricket nachzudenken.«

»Feuer?«

»Die Feuer bei den Eingeborenentruppen von Captainganj letzte Nacht. Wir fürchten, das könnte das Zeichen einer bevorstehenden Meuterei sein.«

»Ach ja, ich weiß, was Sie meinen«, sagte der General verhalten. »Aber lassen Sie sich davon nicht beunruhigen … Das Werk von ein paar Unzufriedenen.«

»Aber General, im Lichte von Meerut …« Der Collector wollte diskutieren, ob die Eingeborenenregimenter nicht entwaffnet werden könnten. Schon jetzt, glaubte er, wäre das ein riskanter Plan, aber bald würde er unmöglich sein.

Der General indes reagierte auf diesen Vorschlag, für den er keinen Grund auf Erden sehen konnte, zuerst erstaunt, dann mit Hohn und Entrüstung. Er weigerte sich, zu akzeptieren, dass die Feuer Unzufriedenheit bei den Sepoys anzeigten, und sagte es dementsprechend heftig … im Stillen jedoch dachte er, man könne es Hopkins und Willoughby in gewisser Weise kaum verübeln, denn sie waren schließlich Zivilisten, die ihre Zeit wie alle Zivilisten mit belangloser Haarspalterei oder mit »Unken« verbrachten … Da waren sie nun, in vielen Dingen anständige Kerle, aber Unkenrufer ohnegleichen.

»Warum sollten die Sepoys ihre eigenen Quartiere angreifen, wenn sie auf Meuterei bedacht wären?«, fragte er. »Sie hätten die britischen Bungalows in Brand gesteckt, wenn es das wäre, worauf sie aus sind. Und Meerut, das ist verdammt weit weg von Captainganj, wenn Sie mir den Ausdruck verzeihen. Besondere Umstände, das auch, sollte mich nicht wundern. Kann mich doch hier nicht drum kümmern, was in China passiert! Sehen Sie doch, Hopkins, vorausgesetzt, ihr hier in Krishnapur benehmt euch normal, ohne Angst zu zeigen, geht alles in Ordnung … Aber es wird des Teufels sein, unsere Männer in Captainganj unter Kontrolle zu halten, wenn ihr hier Panik schürt und Erdwälle grabt …«

Auf seinem Weg zur Residenz hatte er einen verächtlichen Blick auf die Befestigungsanlagen des Collectors geworfen. »Rekrutieren Sie Mohammedaner als zusätzliche Polizei, wenn Sie möchten. Die sind zuverlässiger als Hindus oder eingeborene Christen, aber schüren Sie keine Panik.«

Der Collector errötete, getroffen von der spöttischen Anspielung des Generals auf seine »Erdwälle«; dann, nach kurzem Zögern, fragte er: »Wie viele englische Truppen haben Sie in Captainganj außer den Offizieren der Eingeborenenregimenter?«

Einen Augenblick schien es, als würde der General die Antwort verweigern. »Kleinkram, Reste von zwei oder drei Kompanien, die auf dem Weg nach Umballa zurückgeblieben sind … vierzig oder fünfzig Mann vielleicht.«

»General«, sagte der Collector in einem beschwichtigenden Ton, »ich wüsste gern, ob Sie etwas dagegen einzuwenden haben, wenn Frauen und Kinder hier hereingebracht werden?«

»Mein lieber Hopkins, entweder zeigen wir Zuversicht, dass die Eingeborenen sich anständig benehmen, oder wir verschanzen uns alle. Beides zugleich können wir kaum machen.« Der General unterbrach, außer sich. Normalerweise hätte diese Diskussion ihn zu einem fürchterlichen Wutausbruch gereizt, doch irgendwann, während er in der Bibliothek auf und ab gegangen war, hatte sich seine Hand um ein Buch geschlossen. Und dieses Buch brachte ihn in einige Bedrängnis, weil er sich beim besten Willen nicht mehr erinnern konnte, ob es in seiner Hand war, um ihn an etwas zu erinnern, oder nicht. Er hatte einen verstohlenen Blick auf den Titel geworfen, der Missionarische Helden hieß und ihm nichts sagte.

»Vorausgesetzt, die Zivilisten in Krishnapur fangen nicht an, Angst zu zeigen, kann ich garantieren, dass meine Männer loyal bleiben. Ich habe die Lage vollständig unter Kontrolle«, erklärte er, wenn auch weniger selbstsicher als zuvor.

»Trotzdem, General, wir können die Feuer in Captainganj nicht einfach ignorieren. Das wäre die größte Torheit überhaupt.«

»Wir werden die Übeltäter zur Rechenschaft ziehen!«, rief der General plötzlich in einem solchen Ausbruch von Zuversicht, dass sogar der Collector einen Moment ermutigt schien.

Eine Woche der Unschlüssigkeit verging. Es kamen Nachrichten von einem Massaker in Delhi, aber immer noch zögerte der Collector mit dem Befehl, Frauen und Kinder in die Residenz zu bringen; er sah ein, dass etwas Wahres an dem war, was der General über das Zeigen von Angst gesagt hatte; auf der anderen Seite fuhr er heimlich fort, trotz der Missbilligung des Generals Pulver und Vorräte zur Lagerung in der Residenz zu sammeln. Was er am nötigsten brauchte, waren Kanonen und Musketen, oder, besser noch, Gewehre … aber um so etwas konnte er Captainganj nicht bitten, ohne einen fatalen Bruch mit dem alten General zu riskieren.

Unterdessen gaben jene im Kantonnement, die dem General folgten und für eine »Zurschaustellung von Zuversicht« plädiert hatten, weiterhin diese Empfehlung ab … was in Meerut schiefgegangen war, erklärten sie, sei zweifellos, dass die Europäer angefangen hätten zu »unken«, versucht hätten, Konzessionen zu machen. Die Verteidigungsmaßnahmen des Collectors könnten, abgesehen davon, dass sie lächerlich und inadäquat seien, durchaus die Gefahr heraufbeschwören, vor der sie angeblich schützen sollten! Gleichzeitig wurde von der eher ängstlichen Gegenfraktion im Kantonnement eine andere Frage gestellt, nämlich: Was sollte es, eine Zuversicht vorzutäuschen, die niemand empfand und die in den Augen der Eingeborenen ziemlich haltlos erscheinen musste?

Wahrscheinlich aber konnte sich die Mehrheit der Leute im Kantonnement nicht entscheiden, welches der beste Weg sei. Während das »zuversichtliche« Lager Ruhe und Gleichgültigkeit empfahl und das »nervöse« Lager ganz fürs Verschwinden in der Residenz war, stimmte die Mehrheit bald für dies, bald für jenes, und manchmal sogar für beides zugleich … ein ruhiges und zuversichtliches Verschwinden in der Residenz.

Fleury war im Prinzip ganz fürs Verschwinden, wenn es das war, was alle wollten … aber er wusste so wenig über das Land, dass er nicht in der Lage war, richtig einzuschätzen, ob oder wann es Zeit zum Verschwinden wäre. Er hatte nicht das geringste Gespür für Gefahr. Was dazu führte, dass er sich in Ermanglung dessen eher im »zuversichtlichen« Lager wiederfand … wenn auch zugleich jederzeit bereit, beim ersten Anzeichen von Unruhe seine Beine in die Hand zu nehmen und in der Residenz zu verschwinden.

Der Collector bedauerte die feindselige Stimmung, die sich im Kantonnement zwischen den beiden Fraktionen entwickelte. »Schließlich«, dachte er, »wollen wir alle das Gleiche: Sicherheit für unser Leben und unser Eigentum … warum um Himmels willen sollten wir einander an die Gurgel gehen? Warum bestehen die Leute darauf, ihre Ideen und Meinungen so grimmig zu verteidigen, als ginge es um die Ehre? Was ist leichter, als eine Idee zu ändern?« Der Collector selber jedoch rückte keinen Zollbreit von seiner Überzeugung ab, dass die einzige und letzte Zuflucht hinter seinen Erdwällen lag. Zwischen den beiden Lagern begannen Fehden auszubrechen, verschärft durch die ständig zunehmende Hitze. Sie bezichtigten sich gegenseitig, das Leben von Unschuldigen, von Frauen und Kindern zu gefährden. Während die einen kaum eine Gelegenheit ausließen, unbewaffnet und wehrlos inmitten des Gedränges auf dem Basar herumzutrödeln, wagten sich die anderen keinen Schritt vor ihre Bungalows, es sei denn mit klirrenden Waffen.

In einer ersten und letzten Anstrengung, die Gemeinschaft auf demokratische Weise zu führen, verbrachte der Collector diese Tage damit, Maßnahmen zu ersinnen, die Unbekümmertheit mit Verteidigungszwecken verbanden. In diesem Geist ließ er an einem ungeschützten Stück der Umwallung des Gebäudekomplexes eine Reihe schwerer Steingefäße aufstellen und mit Blumen bepflanzen, die in der Hitze prompt verwelkten. Als Nächstes erklärte er, er wolle an einer anderen Schwachstelle des Perimeters eine Steinmauer, um den Crocketrasen gegen das blendende Licht der Abendsonne abzuschirmen. Während sie gebaut wurde, zeigte er einen plötzlichen Überschwang väterlicher Milde, indem er in Gesellschaft seiner schmachtenden älteren Töchter verbissen Bälle durch Tore schlug. Seine Töchter waren zu ihren besten Zeiten nicht gut im Crocket, aber jetzt, auf diesem glühenden Stück sonnengebackener Erde … Also gewann der Collector unermüdlich ein Spiel nach dem anderen, weil es seine Pflicht war … und seine Töchter verloren ein Spiel nach dem anderen, weil sie schwach waren.

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