Silex

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„Hey.“

Ich hatte ihn schon wieder nicht kommen gehört. Der Kerl musste echt auf leisen Sohlen unterwegs sein.

„Du hast gesagt“, fuhr ich zu ihm herum, „es sei gefährlich da draußen. Warum?“

„Ich hab hier ein paar Sachen für dich“, kam es von ihm, noch ehe ich komplett ausgesprochen hatte. „Ich dachte, du würdest vielleicht duschen gehen wollen.“

Oh, yeah, duschen!

„Cool, danke“, sagte ich freudig und vergessen war meine Frage von eben.

Der Raum wankte nur noch ein ganz klein wenig, als ich mich schnell in Bewegung setzte, um ihm die Sachen abzunehmen und er guckte mich noch nicht mal komisch an. Es musste echt so minimal gewesen sein, dass es ihm noch nicht mal aufgefallen war.

„Den Flur entlang und dann links.“

„Okay. Danke“, meinte ich und dann war ich auch schon verschwunden.

***

Ich hätte nie gedacht, dass sich eine Dusche so himmlisch anfühlen konnte, aber ich fühlte mich wirklich wie neu geboren danach. Die Sachen waren mir ein Bisschen groß – es waren Trainings-Sachen und deswegen mit Gummiband und zum Schnüren – aber immerhin besser als nichts. Vor allem rochen sie nicht nach Rauch. Mit einem Handtuch bewaffnet, mit dem ich versuchte mein Haar einigermaßen trocken zu rubbeln, kam ich aus dem Bad wieder heraus.

„Alles okay?“

Ich schaute ungläubig zu ihm auf, den Knauf der Badezimmertür in der einen, das Handtuch in der anderen Hand.

Ich: Hat der da etwa die ganze Zeit gestanden?

Anderes Ich: Nein, natürlich nicht! Der steht garantiert keine 20 Minuten lang neben der Tür und hört dir beim Duschen zu, Em.

„Mh-mh“, machte ich und wollte an ihm vorbei ins Wohnzimmer gehen.

Aber kurz bevor ich bei ihm ankam, nahm er seine Hände aus den Hosentaschen und stellte sich mitten in den Türrahmen. Seine blauen Augen sahen mich durchdringend an, während er die Arme vor der Brust kreuzte. Ich hörte auf mir die Haare trocken zu rubbeln und fror ein. Super… Und was hab ich jetzt schon wieder falsch gemacht?

„Wie geht es dir?“

Jetzt echt? Ich rollte mit den Augen und fing wieder an meine Haare zu frottieren. Schon wieder? Ich versuchte nun doch an ihm vorbei zu kommen, aber er griff mit einem mahnenden „Emily“ nach meinem Arm und ließ mich zwei, drei Schritte zurückgehen, so dass ich wieder direkt vor ihm stand. Ich hatte keinen Plan, ob es war, weil ich die Augen gerollt hatte, weil ich ihm nicht geantwortet hatte, oder aber, weil ich versucht hatte seiner Frage sprichwörtlich aus dem Weg zu gehen.

„Alles super“, gab ich trotzig von mir, „wunderbar, in bester Verfassung. Was genau willst du denn hören?“

Er nahm zwar seine Hand von meinem Arm und seufzte, nahm seinen missbilligenden Blick aber nicht von mir.

„Man hat dich in meine Obhut gegeben und-“

Ich schnaubte. In seine Obhut gegeben? Wohl eher: Er hat mich in seine Obhut gebracht. Eigenhändig. Doch das verächtliche Schnauben meinerseits war wohl mal wieder zu viel. Etwas, das man einem Sentinel gegenüber eben nicht machte. Seine Gesichtszüge verhärteten sich und ich dachte nur: Klasse, Em, ganz super! Ich hatte den Mund geöffnet, um ihm zu sagen, dass man mich eben nicht in seine Obhut gegeben hatte, aber ein Blick in sein Gesicht genügte und ich presste die Arme um meinen Körper – das Handtuch achtlos an meiner Seite – und starrte gen Boden. Meine Lippen presste ich vorsichtshalber fest aufeinander, damit ich nicht doch noch etwas sagte, das ich später bereuen würde.

„Man hat dich in meine Obhut gegeben“, wiederholte er mit Nachdruck, „und deshalb ist es meine Pflicht sicherzustellen, dass es dir gut geht.“

„Mir geht es gut“, murmelte ich gen Boden und versuchte meine Stimme nicht gereizt klingen zu lassen.

Was nicht so hundertprozentig funktionierte. Ich mochte es nicht, wie er mich behandelte. Ich war kein kleines Kind mehr, das man babysitten musste! Ja, ich war ihm dankbar, dass er mich da raus geholt hatte. Natürlich. Aber warum musste er sich jetzt so aufspielen? Ich stand aufrecht und war auch nicht am Zittern und die Suppe von vorhin war auch nicht wieder hochgekommen. War doch alles bestens! Das konnte er doch wohl bitte mit eigenen Augen sehen!

Außerdem machte es mich wahnsinnig, dass er andauernd nachbohrte und mir Fragen stellte, ich ihm aber keine stellen durfte. Warum hatte er das Recht dazu, ausweichend zu werden und wenn ich das machte, dann wurde er sofort sauer?

„Definiere gut.“

Seine Stimme klang kalt und ich konnte nicht nachvollziehen, warum er immer noch so sauer war. Ich meine, immerhin hatte ich ihm geantwortet. Ich fand, er hatte nicht das Recht dazu, jetzt noch so zu reagieren. Okay… dachte ich und versuchte mich mit einem tiefen Atemzug zur Ruhe zu zwingen. Vielleicht kann ich alles wieder gut machen, wenn ich einfach mal ein Bisschen angriffslustig werde. Vorhin hat das ja immerhin auch gut funktioniert.

„Naja, also gut ist, wenn es einem an nichts mangelt. Es ist das Gegenteil von-“

„Emily, verdammt!“ brüllte er plötzlich und schlug mit der Hand gegen den Türrahmen, so dass ich zusammenzuckte.

Okay, keine gute Idee! Ich zog es dann doch vor, wieder gen Boden zu blicken, direkt auf seine dunklen Schnürschuhe, konnte seinen zornigen Blick aber trotzdem ziemlich deutlich auf mir spüren. Überdeutlich, um genau zu sein, und mein Magen zog sich krampfhaft zusammen.

„Sorry“, wisperte ich und es klang wie eine Frage.

Ich hörte ihn laut durchatmen, so wie ich eben. So, als müsste er sich zur Ruhe zwingen. Wieso machst du das eigentlich? Man soll einen Sentinel niemals zornig machen. Man, Emily, das hat man dir schon eingetrichtert, da konntest du noch nicht mal richtig stehen! Und jetzt das hier!

„Ehrlich, es… es tut mir leid.“

Jetzt war es an ihm verächtlich und wütend zu schnauben und ehe ich mich versah, hatte er sich auch schon abgewandt und war davon gegangen. Okay… Ich sah auf, als er gerade im Wohnzimmer verschwand. Ich hob das Handtuch auf, das mir bei seiner kleinen gegen-den-Türrahmen-Schlag-Aktion aus der Hand gefallen war und blieb dann doch unschlüssig stehen. Sollte ich hinter ihm her gehen? Sollte ich mich bei ihm entschuldigen? Du hast dich gerade bei ihm entschuldigt, schaltete sich mein Kopf ein. Zwei Mal. Aber nicht hinter ihm herzugehen, das fühlte sich irgendwie auch nicht richtig an. Allerdings wusste ich auch nicht, wie ich ihn sonst noch besänftigen sollte, wenn es Entschuldigungen an sich schon nicht brachten. Genauso gut hätte ich auch wieder zurück in mein – sein! – Zimmer gehen können. Ich hatte keinen Plan, ob wir jetzt die Zimmer getauscht hatten. Ich meine, nach der Aktion mit dem Glas und der Scherbe in meiner Hand, da hatte er mich in sein Zimmer gebracht. Aber hieß das jetzt, dass das mein Zimmer war? Oder aber nur, dass es vorübergehend mein Zimmer war? Eben nur für so lange, bis das Wasser auf dem Bett wieder getrocknet war. Und das war es mittlerweile garantiert.

Andererseits sah es auch nicht so aus, als wäre er momentan sonderlich gut auf mich zu sprechen. Also zog ich es dann doch vor, mich auf mein/sein Zimmer zurückzuziehen. Dort tigerte ich dann erst einmal ein paar Minuten wie so ein Panther im Käfig auf und ab, bis ich mir dann eingestehen musste, dass das auch irgendwie nichts brachte. Weder der Knoten in meinem Inneren, noch das eigentliche Problem ließen sich dadurch lösen. Außerdem fingen meine Beine bald wieder an zu zittern, als die Erschöpfung abermals von meinem Körper Besitz ergreifen wollte.

Ich ließ mich auf dem Bett nieder und fuhr mir mit zittrigen Händen über das Gesicht und wusste nicht so recht, was ich jetzt machen sollte. Unterschwellig hatte ich irgendwie erwartet und gehofft, dass einfach gleich die Tür aufgehen und er hereinkommen würde. Mit einem dieser leichten, schiefen Grinsen auf dem Gesicht, das sein Grübchen erscheinen ließ. Dass alles wieder gut wäre und er mir verziehen hätte. Aber Pustekuchen! Aber was, bitte schön, sollte ich denn noch machen? Ich hatte mich entschuldigt! Zwei Mal!

Energisch erhob ich mich – das Zimmer drehte mal wieder seine Runden um mich herum, kam aber schnell wieder zum Stehen – und begab mich an den Schreibtisch, der vor dem Fenster stand. Ich suchte nach einem Stift und einem Blatt Papier und hatte dann auch schnell Schreibunterlagen gefunden. Ich starrte aus dem Fenster, mich wieder mal fragend, was, um Himmelswillen, da draußen eigentlich gefährlich für mich sein sollte, und riss dann meinen Blick von den Bäumen los. Ich starrte auf das Blatt Papier vor mir und kaute an dem Stift herum, doch irgendwie und mit irgendetwas musste ich ja anfangen.

Matt,

Du wolltest wissen, wie es mir geht – ich will es Dir sagen. Ich bin etwas erledigt und wenn ich schnell aufstehe, dann dreht sich alles. Das legt sich aber schnell wieder. Doch am Meisten bin ich verwirrt und verärgert.

Verwirrt, weil ich Deine Reaktion nicht verstehe: Ich weiß nicht, was genau ich gemacht habe, um Dich derart zu verstimmen. Verärgert bin ich, weil ich alles gemacht habe, was Du von mir verlangt hast. (Ich bin freiwillig zurückgekommen, nur so ganz nebenbei! Ich habe mich entschuldigt – zwei Mal!) Und dennoch bist Du immer noch so wütend auf mich... Das verstehe ich nicht und ich finde, Du reagierst über.

Ich weiß, dass ich mich hier jetzt gerade ziemlich weit aus dem Fenster lehne, indem ich Dir das hier schreibe. Ich weiß auch, dass es mir nicht zusteht, `so´ mit Dir zu reden, aber ich finde, Du hast auch kein Recht, mich `so´ zu behandeln. Ich bin kein kleines Kind mehr und kann die Wahrheit ertragen (und alles, das mit ihr kommt).

 

Du kannst mir nicht einfach sagen, es sei gefährlich da draußen. Ich will wissen warum! Außerdem will ich wissen, warum Du ausgerechnet `mich´ da raus geholt hast. Warum `mich´ und keinen anderen?

Woher wusstest Du überhaupt, dass du `mich´ retten musstest? (Wir haben uns vorher noch nie gesehen – vielleicht hast Du auch die Falsche gerettet…) Was meintest Du mit `Order von ganz oben´? Und woher wusstest Du überhaupt, dass das Internat in Flammen stand – noch vor der Feuerwehr und der Polizei? (So ganz ohne Antworten Deinerseits muss ich davon ausgehen, dass Du damit etwas zu tun hattest…)

Fass mich bitte nicht mit Samthandschuhen an! Ich kann die Wahrheit ertragen und ich finde, die bist Du mir schuldig. Du kannst nicht von mir erwarten, dass ich Dir Rede und Antwort stehe, wenn Du im Gegenzug es nicht auch tust.

Emily

Ich überflog den Brief noch einmal, faltete ihn dann zusammen, atmete einmal tief durch und machte mich dann auf den Weg ins Wohnzimmer. Ich hörte schon von weitem, dass er dabei war das Feuer zu schüren – eine Tätigkeit, die er eigentlich gar nicht hätte machen müssen. Er hätte einfach, so wie vorhin, einfach nur dran denken müssen und das Feuer hätte ihm gehorcht. Aber wahrscheinlich brauchte er irgendeine Aktivität, um wieder runter zu kommen. Irgendetwas, an dem er seinen Frust abreagieren konnte.

Er hockte dann auch wirklich vor dem Kamin, den Rücken zu mir, und machte keinerlei Anstalten sich zu mir umzudrehen. Er ignorierte mich einfach komplett. Innerlich konnte ich mich nicht entscheiden, ob mich das noch fuchsiger machen oder aber ich lieber doch auf dem Absatz kehrtmachen sollte, weil ich so langsam aber sicher wieder Angst vor ihm bekam. Wenn er sich mir nicht widmen wollte, dann musste ich ihn echt ziemlich auf die Palme gebracht haben.

Aber er hatte es im Gegenzug auch getan und sein jetziges Verhalten spiegelte sein vorheriges nur all zu gut. Die Wut gewann die Oberhand, weil ich fand, dass er kein Recht dazu hatte, mich einfach so links liegen zu lassen. Also räusperte ich mich. Er drehte sich zwar nicht um, doch ich sah wie seine Schultern sich anspannten. Es schien fast so, als würden sie noch breiter werden als sie ohnehin schon waren. Ich hatte nicht das Bedürfnis mit seinem Rücken zu sprechen, also wartete ich. Irgendwann würde er sich schon zu mir umdrehen. Er konnte ja wohl nicht bis ans Ende aller Tage vor dem Kamin hocken bleiben.

Ich starrte ihn an, so als könnte ich Löcher in seinen Rücken brennen – hätte ich meine vollen Kräfte gehabt und wäre nicht so erledigt gewesen, dann hätte das sogar funktioniert. Nach einer gefühlten Ewigkeit sah ich, wie sein Brustkorb sich aufblähte, als er tief einatmete. Dann legte er den Schürhaken langsam beiseite und fuhr sich mit der rechten Hand durch sein dunkles Haar und erhob sich.

„Was willst du?“ fragte er.

Jetzt

„Kommst du?“ durchbrach Chases Stimme die Erinnerung.

Sie waren jetzt anders als das erste Mal. Nicht mehr so transparent. Sie waren lebendig und richtig farbig und mein Magen befand sich wieder in meinen Kniekehlen. Genauso wie damals.

„Was? Ja, “ sagte ich zerstreut und erhob mich.

Chase lehnte sich nur ein wenig vor, um einen Blick in meine Tasse zu werfen und sein Mund wurde zu einer einzigen weißen Linie, als er sah, dass ich meinen Kaffee gar nicht angerührt hatte. Aber ich bekam gerade nichts runter. Ich zog mir nur schnell meine Jacke über und schnappte mir meinen Rucksack.

„Das nächste Mal zahle ich.“

„Ts“, machte er nur, während er sich seiner Jacke widmete, „womit denn bitte schön? Du hast kein Geld dabei.“ Ich deutete nur mit meinem Zeige- und Mittelfinger auf meine Augen und er verstand auch so. „Was, wenn dich jemand sieht?“ meinte er und fasste mich am Arm, als ich an ihm vorbeiging. Sein Griff war fest und er lehnte sich etwas zu mir herunter und senkte seine Stimme, so dass die restlichen Gäste des Cafés es nicht hörten: „Untertauchen heißt unsichtbar werden. Wir dürfen nicht auffallen, Emily. Besonders nicht als das, was wir eigentlich sind.“

Und damit führte er mich dann auf die Straße hinaus, die mittlerweile schon grau-blau war. Es würde nicht mehr lange dauern und die ersten Sonnenstrahlen würden am Himmel erscheinen. Also, nicht, dass man sie sehen würde. Es war wolkenverhangen und grau und während wir in dem Café gesessen hatten, hatte es zu nieseln angefangen und die Scheinwerfer der Autos – die jetzt zahlreich auf der Straße fuhren – spiegelten sich blendend auf der nassen Fahrbahn wieder. Am liebsten hätte ich kehrt gemacht und wäre schnurstracks ins Café zurückmarschiert. Aber Chase hatte Recht. Wir mussten weg. Mussten Distanz zwischen uns und das St. Michaels bringen. Je näher wir waren, desto eher würden die Gardisten uns finden. Außerdem war es nur eine Frage der Zeit, bis die Seleiki herausfanden, dass ich mich dort aufhalten sollte – deswegen ja meine zwei Kletten, Clemens und Anna. Je mehr Abstand wir also zwischen uns und Chases Zuhause brachten, desto sicherer waren wir vor den Gardisten und den Seleiki. Andererseits: Rannten wir nicht gerade schnurstracks in die Arme der Seleiki? Wer wusste schon, aus welcher Richtung sie kommen würden?

Gott, wie einfach doch meine Probleme noch vor ein paar Tagen waren, dachte ich und schnaufte lachend durch die Nase.

„Was?“ hakte Chase irritiert nach und hielt in der Bewegung inne.

Er war gerade dabei, seine Kapuze gegen die Nässe und die Kälte hochzuziehen.

„Nichts“, winkte ich ab und er schüttelte nur den Kopf.

Es schien fast Jahre her zu sein, dass ich so simple Probleme wie das mit dem Brief und mit Matt und dem Internat gehabt hatte. Und nur, um mich nicht der jetzigen Situation und all ihren Gefahren zu stellen, hing ich der Erinnerung an den Brief und Matt nach.

Damals

„Was willst du?“ fragte Matt wütend.

Ich hätte seinen Zorn echt mit bloßen Händen anfassen können und das ließ mir einen Schauer über den Rücken laufen. Es kostete mich einiges an Überwindung standhaft zu bleiben, als er sich umdrehte und seine blauen Augen mich förmlich erdolchten. Ich war irgendwie froh, das alles aufgeschrieben zu haben – ich hätte jetzt gerade garantiert kein einziges Wort über die Lippen bringen können. Und so streckte ich ihm einfach nur wortlos meine Hand entgegen. Der Brief zitterte leicht in meinen Fingern, aber daran konnte ich jetzt auch nichts ändern. Er ignorierte ihn einfach, komplett, und starrte mich nur weiterhin an. Jetzt nimm endlich den bescheuerten Brief, flehte ich ihn an.

Es schien eine halbe Ewigkeit zu dauern, bis er endlich einmal die Augen von meinem Gesicht nahm und einen Blick auf das Papier in meiner zitternden Hand warf. Sein Blick flog wieder zu meinem Gesicht zurück, so als würde er fragen wollen Was soll ich damit?. Ich hielt nur weiter den Arm ausgestreckt, der so langsam aber sicher schwer wurde. Doch ich blieb standhaft und dann setzte er sich endlich in Bewegung und ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht vor ihm zurückzuweichen. Er blieb etwa einen Meter vor mir stehen und blickte auf mich herab – momentan schien ich ihn nicht im Mindesten zu amüsieren. Eher genau das Gegenteil. Und als er dann endlich nach meinem Brief griff, da war es zackig und schnell, so als würde es ihn ärgern, dass er es tat.

Kapitel 3

Damals

Er wandte sich wieder von mir ab und ließ sich auf das Sofa nieder, auf dem ich vorhin gelegen hatte. Und ich wusste nicht, wohin mit mir. Sollte ich da bleiben, so dass er gleich darüber sprechen konnte? Denn irgendetwas sagen würde er garantiert. Oder sollte ich doch besser gehen? Ihn alleine lassen, so dass er erst einmal Zeit hatte, meinen Brief zu lesen und sich Gedanken darüber zu machen. Wenn ich blieb, dann hieß das vielleicht, dass er sich genötigt fühlte, sofort zu antworten. Vielleicht wäre es gut, wenn er seine Gedanken erst mal sammeln und ordnen könnte.

Ich war schon dabei mich abzuwenden, als ein mahnendes Geräusch von ihm mich wieder herumfahren ließ. Seine Stirn hatte sich gekräuselt, als er unter seinem schwarzen Haarschopf zu mir aufschaute. Seine Gesichtszüge waren starr und kalt und furchteinflößend. Shit!, durchzuckte es mich. Der Brief war anscheinend doch keine so gute Idee gewesen. Ich fragte mich, wo er jetzt wohl gerade war. Fertig gelesen hatte er ihn auf jeden Fall noch nicht.

„Setz dich.“

Es klang nicht nach einer Bitte. Mit Wackelpudding-Beinen setzte ich mich in Bewegung und setzte mich auf die Couch, die ihm gegenüber stand. Möglichst weit weg von ihm. Seine Augen verfolgten mich, sein Kopf blieb aber unbeweglich und ich flehte innerlich, dass er sich doch bitte endlich wieder dem Brief widmen würde. Oder noch besser: Schmeiß ihn einfach ins Feuer, Matt. Schmeiß ihn einfach weg. Ist egal. Aber als ich mich gesetzt hatte, da wanderten seine Augen, nachdem sein Blick mich noch kurz an Ort und Stelle festgenagelt hatte, wieder zu meinem Brief zurück.

Ich hatte eigentlich erwartet, dass mein Körper sich jetzt entspannen würde, jetzt da sein Blick sich nicht mehr in mich reinbohrte, aber Pustekuchen! Irgendwie machte das alles nur noch schlimmer. Shit, was genau hab ich doch gleich noch mal geschrieben? Ich versuchte mich daran zu erinnern, aber mein Kopf war wie leergefegt. Ich wagte einen Blick zu ihm rüber, aber er war immer noch in meinen Brief vertieft, sein Gesicht unlesbar. Angespannt war er, das war das einzige, das ich erkennen konnte. Dass er das, was darin stand, nicht gut fand, das war auch offensichtlich, aber wie verärgert er darüber jetzt genau war, das konnte ich nicht erkennen.

Vielleicht – hoffentlich! – war es nur flüchtig, so wie wenn man sich eben ärgert, wenn man zum Beispiel den Bus verpasst, aber weiß, dass der nächste eh schon in fünf Minuten kommt. Vielleicht war er aber auch so wütend, wie wenn man über eine Stunde lang auf jemanden wartet und sich Sorgen macht, weil man denkt, dem anderen wäre irgendwas zugestoßen. Und wenn ich richtig Pech hatte, dann war er fuchsteufelswild, so wie wenn man herausfindet, dass der andere irgendetwas Verbotenes und Lebensgefährliches gemacht hat – so Trainhopping oder so etwas.

Ich sog scharf die Luft ein, als seine Augen plötzlich zu mir zurückflogen. Sein Mund war eine einzige dünne, helle Linie und seine Nasenlöcher blähten sich auf. Und seine Augen… Ich wollte wegschauen, konnte es aber nicht. Okay, nicht nur so ein Bisschen wütend, stellte ich fest und zuckte zusammen, als er den Brief in der Hand zusammenknüllte und das Papier so komisch raschelte. Es war, als würde er nicht den Brief, sondern mich zusammenfalten. Einfach so, mit nur einer Hand. Fuchsteufelswild schien es irgendwie auch nicht so hundertprozentig zu treffen. Aber eine Steigerung von fuchsteufelswild kannte ich nicht. Fuchsteufelswild-hoch-zwei? Er wandte kurz den Blick von mir ab – ich kann wieder atmen, hey – und warf den zusammengeknüllten Papierhaufen ins Feuer, wo die Flammen sofort gierig nach ihm griffen. Doch dann flog sein Blick zu mir zurück und die Luft blieb mir im Halse stecken.

„Nur zu deiner Information“, gab er leise und aggressiv von sich, „ich hab das Feuer nicht gelegt.“

Das hab ich auch nicht gesagt, setzte ich mich gedanklich zur Wehr. Ich hab nur gesagt, dass ich das `annehmen´ muss, weil du mir ja nichts sagst! Aber ich hielt den Mund, senkte den Kopf und starrte auf meine im Schoß zu Fäusten geballten Hände. Er schnaubte kurz verächtlich und aufgebracht und raunte dann: „Das ist echt unglaublich!“

Ich wäre am liebsten noch mehr in die Couch reingekrochen, als er sich erhob und um den Tisch herum auf mich zukam. Ich presste mich noch mehr in die Kissen hinein, aber das verdammte Ding wollte mich einfach nicht verschlucken. Der Erdboden tat sich auch nicht auf. Und er kam immer weiter auf mich zu.

„Lass dir gesagt sein, Kleine“, spuckte er leise hervor, während er sich langsam zu mir herunterbeugte und sich mit der linken Hand auf der Armlehne des Sofas abstützte, „warum ich dich so behandelte.“

Sein Atem strich mir über die Stirn und die Wange und sein Gesicht schwebte keine ganze zehn Zentimeter vor, beziehungsweise über mir. Er ragte über mir auf wie so eine gestaltgewordene Übermacht. Eine Flutwelle, die gleich über mir zusammenbrechen würde. Und ich konnte nicht anders, ich kniff die Augen zusammen. Frei nach dem Motto, wenn ich dich nicht sehe, siehst du mich auch nicht.

 

„Ich behandele dich so, weil du dich kindisch aufführst.“ Er hatte das Wort bestimmt mit Absicht gewählt. Das Kleine eben garantiert auch. „Du meinst, du bist ja schon ach so erwachsen, aber alles was du tust ist töricht und nicht durchdacht. Du schreibst, du bist freiwillig zurückgekommen? Ja, das ist auch besser so. Du hast ja keine Ahnung, was ich mit dir angestellt hätte, wenn ich dich eigenhändig wieder hierher hätte zurückbringen müssen, meine Liebe.“ Nein, und das ist wahrscheinlich auch besser so… Man, verdammt, ich hätte diesen bescheuerten Brief niemals schreiben sollen! Der hat alles nur noch schlimmer gemacht! Ich hätte einfach- „Hör mir zu, verdammt“, fuhr er mich leise an und seine Finger bohrten sich plötzlich in mein Kinn.

Ich hatte schlagartig die Augen aufgerissen und erschrocken die Luft eingesogen. Seine blauen Augen waren wieder von schwarzen Haarsträhnen in mehrere Teile zerschnitten und ich konnte nichts anderes tun, als zu ihm empor zu starren. Ich wagte noch nicht mal mich zu rühren. Geschweige denn zu atmen.

„Ich habe dir schon gesagt, dass es mir nicht obliegt, dir auch nur irgendetwas darüber zu sagen, warum ich dich da raus geholt hab. Und was Order von ganz oben heißt, das weißt du ganz genau. Befehle zu befolgen und sich daran zu halten, das heißt es, erwachsen zu sein. Aber davon verstehst du nichts!“

Damit stieß er mein Kinn grob von sich und richtete sich abrupt wieder auf. Ich fühlte mich, als hätte er mir gerade ins Gesicht geschlagen und das, obwohl er gar nicht handgreiflich geworden war. Ich schämte mich für die Tränen, die mir plötzlich über die Wangen liefen, schienen sie doch seine Worte zu unterstreichen. Ich wäre gerne vor ihm geflüchtet, hätte mich irgendwo verkrochen, mich vor ihm versteckt, aber er stand immer noch vor mir und versperrte mir den Weg. Also blieb mir nichts anderes übrig, als da zu sitzen und leise vor mich hin zu heulen und mich zu schämen.

„Hey“, hauchte er dann plötzlich sanft, nachdem er einmal leise geseufzt hatte.

Sein Gesicht tauchte vor mir auf, als er sich vor mich hinhockte – nur am Rande meiner Sicht, weil ich es nicht fertig brachte, zu ihm hoch zu schauen, sondern lieber meine Hände anschaute. Seine eine Hand berührte plötzlich mein Knie und ich zuckte zusammen.

„Shhht“, machte er, nahm seine Hand aber zumindest wieder weg.

Ich spürte seinen Blick auf mir, doch vorerst sagte er gar nichts mehr. Seine rechte Hand lag neben meinem Oberschenkel, aber ansonsten weigerte ich mich irgendetwas von ihm anzuschauen. Innerlich war ich geteilter Meinung: Einerseits war ich heilfroh, dass er nicht mehr sauer zu sein schien und mich zurechtwies und mir die Hölle heiß machte. Aber andererseits hatte ich das Gefühl, dass mein Tränenausbruch ihn zwar besänftigt, aber auch das bescheuerte Bild, das er von mir hatte, geradezu bestätigt hatte. Und so schämte ich mich noch mehr.

„Shhht“, machte er wieder, als ich lauter zu Schluchzen anfing, „ist okay. Ich bin nicht sauer auf dich. Nicht mehr.“

Seine rechte Hand bewegte sich plötzlich und verschwand aus meinem Blickfeld. Gleich darauf spürte ich sie auf meiner Schulter. Ich brachte es irgendwie fertig, nicht aus der Haut zu fahren – nicht komplett jedenfalls – und entspannte mich sogar ein ganz klein wenig, als er anfing mir über den Arm zu streichen. Ich hörte und sah aus dem Augenwinkel, wie er sich umsetzte, dann kam seine linke Hand vorsichtig auf mich zu und er legte mir seine Finger unter das Kinn und hob es sachte an.

Als sich unsere Blicke trafen stellte ich fest, dass er – Gott sei Dank! – wirklich nicht mehr wütend zu schein schien. Ganz im Gegenteil: Er schien besorgt, ja fast so, als würde es ihm leid tun. Seine eben noch so zornigen Augen waren jetzt plötzlich ganz warm und entschuldigend und sein Gesicht so mehr oder weniger entspannt.

„Mh?“ machte er leise, so als wollte er mich fragen, ob ich okay sei.

Er spannte kurz die Muskeln um seinen Mund herum an, so dass wieder dieses Grübchen auftauchte – also, nicht, dass er lächelte, eher so, als würde er sich selbst schelten, dass er mich gerade so zusammengeschissen hatte, dass ich jetzt heulte. Seine Augen suchten nach Anzeichen dafür, dass ich okay war. Wahrscheinlich war er es nicht gewohnt, dass man vor ihm in Tränen ausbrach. Und dass ich es jetzt gerade getan hatte, das schien ihm das Herz zu brechen.

„Okay?“ vergewisserte er sich.

Ich brachte es nicht fertig, ihm direkt in die Augen zu sehen, nickte aber und hörte ihn erleichtert ausatmen. Im nächsten Augenblick hatte ich seine Hand im Nacken und er zog mich an sich heran. Ich war so verblüfft, dass ich für einen kurzen Moment ganz stocksteif da saß. Ich löste mich dann aber aus der Starre und legte langsam und vorsichtig die Arme um ihn. Er roch nach dem Rauch des Kaminfeuers, merkte ich, und die Erinnerungen kamen zwar wieder hoch, aber die Emotionen dazu fehlten. Und irgendwie war ich ihm dafür unendlich dankbar und drückte mich noch fester an ihn. Er strich mir sachte über den Rücken und löste sich dann vorsichtig aus der Umarmung, wobei er seine eine Hand auf meiner Schulter liegen ließ.

„Okay?“ hakte er abermals nach, mit einem schiefen Grinsen auf dem Gesicht. Meine Kehle fühlte sich heiser und geschwollen an und ich beließ es vorsichtshalber bei einem Nicken. Sein halbes Grinsen weitete sich aus und er wischte mir sanft die Tränen vom Gesicht. „Und jetzt hör auf zu weinen, mh“, wisperte er dabei und sah mich fast flehend an.

„Ich bin eigentlich nicht so eine Heulsuse.“

Also nicht immer jedenfalls…

„Ich weiß“, grinste er und lehnte sich zurück, als er mit dem Fortwischen meiner Tränen fertig war.

Und woher, bitte schön, willst du das wissen? Doch ich sagte gar nichts als er sich erhob, sondern sah ihm nur dabei zu. Vielleicht war das mit der Heulerei doch gar nicht so schlecht, überlegte ich. Ich meine, immerhin ist er voll schnell von 180 wieder auf 0 runtergekommen… Doch dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck langsam und wurde eher freundlich tadelnd, als er von da oben auf mich hinabschaute.

„Du bist also erledigt und dir ist schwindelig?“ hakte er mit einer hochgezogenen Augenbraue nach und seine Stimme hatte wieder etwas von der Fürsorglichkeit von eben verloren.

„Nur, wenn ich schnell aufstehe“, wisperte ich und schaute schon wieder zu meinen Händen.

„Na, komm“, hörte ich ihn sagen und seine Hand tauchte in meinem Blickfeld auf.

Was zum Teufel… Ich blickte fragend zu ihm auf, doch er nickte nur zu seiner ausgestreckten Hand und schloss und öffnete sie einmal auffordernd. Und was soll das jetzt werden?, fragte ich mich, während ich zögerlich meine Hand in seine legte. Er zog mich hoch und prompt tanzte das Zimmer wieder um mich herum.

„Zu schnell?“ wollte er wissen, als ich die Augen schloss.

Ich nickte nur und spürte im nächsten Augenblick, wie er mir eine Hand auf den Rücken legte, um mich zu stabilisieren. Sein Daumen strich sachte hoch und runter und ich konnte echt nicht nachvollziehen, wie er mir eben noch den Kopf hatte abreißen wollen und jetzt schon wieder so freundlich und fürsorglich sein konnte.

„Wieder besser?“ meinte er, als ich die Augen wieder öffnete. Ich nickte und das Zimmer blieb, wo es war. „Na, komm.“

Und damit nahm er mich dann mit, aus dem Wohnzimmer heraus und in die Küche. Sobald ich durchschaut hatte, wohin er mich bringen wollte, wollte ich meine Hand aus seiner ziehen, aber genau in dem Moment packte er fester zu. So, als hätte er es gewusst. Ich starrte zu ihm auf und er hatte ein Gesichtsausdruck drauf, der besagte Wage es bloß nicht, meine Liebe. Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Seine Stimmungsschwankungen waren echt das reinste Mysterium für mich. Wieso musste er immer alles kaputt machen?

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