Die Zeit Constantins des Großen

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Keiner von den vielen Imperatoren erregt so sehr die Teilnahme der Nachwelt wie dieser im Verhältnis zu seiner Gesamtumgebung unbegreifliche Mensch, ein wahrer Sanct Ludwig des Altertums. Er geht unter an dem Bestreben, von den ausgearteten Missformen des Militärdespotismus aus wieder in die Bahn der Gerechtigkeit und der Milde einzulenken. Seiner jedenfalls ausgezeichneten Mutter Mammaea mag ihr Ruhm ungeschmälert bleiben; sein Verdienst ist aber doch das grössere, weil er mit selbständigem Geiste in der begonnenen Richtung vorwärts ging und unendlich vielen Versuchungen zum Despotismus zu widerstehen vermochte, aus reinem sittlichem Willen. Vor allem finden wir eine Hochachtung des Senates, die seit Marc Aurel unerhört gewesen war, sogar des politisch längst vergessenen Ritterstandes als einer »Pflanzschule für den Senat«. Ein Senatsausschuss und dann noch ein engerer Staatsrat von sechzehn Männern haben teil an der Regierung; endlich lässt man sich keine Mühe verdriessen, gute, gewissenhafte Leute für die Verwaltung zu erziehen und die emsigste Kontrolle zu üben Welche freilich auch ihre kleinliche Seite hatte. Man sehe, Hist. Aug., Al. Sev. 27, das Projekt eines Kleidermandates.. Ungerechte, bestechliche Beamte waren das einzige, was Alexander aus der Fassung bringen konnte. In Betreff der Soldaten machte er wohl kein Hehl daraus, dass das Schicksal des Staates auf ihnen ruhe, er stattete sie prächtig aus und hielt sie gut; allein wie er sich rühmen konnte, die Steuern vermindert zu haben, so wagte er es auch, eine meuterische Legion abzudanken.

Daneben werden freilich Dinge berichtet, welche mit diesen Lichtseiten kaum in Zusammenhang zu bringen sind. In der Armee gibt sich eine dauernde Gärung kund; die Gardepräfekten wechseln unter den gewaltsamsten Umständen; als der bedeutendste derselben, Ulpian, im Verlauf bedenklicher Unruhen ermordet wurde, musste der Kaiser es ungestraft hingehen lassen; wir erfahren bei diesem Anlass, dass Volk und Garde sich drei Tage lang in den Strassen von Rom blutig bekämpften und dass die Garde nur durch Brandstiftung die Bürger zum Frieden zwang. Die albernsten Menschen wagten als Usurpatoren gegen den trefflichen Fürsten aufzutreten; den einen, Ovinius, soll er wirklich mit ironischer Milde zum Mitregenten angenommen, ihm aber durch die Teilnahme an den Strapazen eines Feldzuges den Thron verleidet haben; ein anderer, den die Soldaten erhoben, lief ihnen davon; einen dritten, den Sklaven Uranius, musste der Kaiser, wie es scheint, bestrafen Zosim. I, 12.. Und als sollte Alexander, wie einst sein Vorbild Marc Aurel, von ganz besonderm Unglück heimgesucht sein, so entstand an der Ostgrenze ein neues kriegerisches Perserreich, das der Sassaniden, welche er nur mit zweideutigem Erfolge bekriegte; an der Rheingrenze aber waren die Germanen in drohender Bewegung. Das Gemüt des noch jugendlichen Fürsten soll sich allmählich verdüstert haben; man wollte eine Neigung zum Schätzesammeln an ihm bemerken, was etwa soviel bedeuten mag, dass die nächste Umgebung ihre Gier nach der Kriegskasse nicht mehr länger bemeistern mochte. Auf dem Feldzug am Rhein, unweit Mainz, ermordeten die Soldaten ihn und seine Mutter. Es ist ganz unnütz, auf die Motive dieser Tat, so wie sie angegeben werden, einzugehen; der Nachfolger eines Severus, Caracalla und Elagabal, wenn er alle gewalttätigen Beamten absetzen, den Soldaten Ernst zeigen und dennoch bei den gefährlichsten Anlässen Milde üben wollte, war er von vornherein einem gewaltsamen Untergang verfallen; die Verschwörung lag in der Zeit Aurel. Victor, Caes.: vitio temporum . . ., wir würden sagen: in der Luft. Alexander strebte vergebens nach Achtung in einem Jahrhundert, welches nur von Furcht wusste.

Sein vermutlicher Mörder, Maximin, bestieg den Thron, ein thracischer Hirt, Sohn eines Goten und einer Alanin, somit gänzlicher Barbar der Abstammung und überdies der Bildung nach (235–238). Aber die Armee, welche hier selbst die letzte Rücksicht beiseite liess, bestand auch aus lauter Barbaren von der Ostgrenze, denen gar nichts daran lag, ob ihr Kandidat von Antoninen abstammte, in hohen Ämtern sich gebildet hatte, Senator gewesen war oder nicht Man vergleiche hiemit Sueton., Vespas. c. 6, wie noch im J. 69 die empörten Legionen in Aquileia ihren Kaiser nur aus der Zahl der legati consulares wählen wollen.. Dafür war Maximin achthalb Fuss hoch, riesenstark und ein Korporal, wie vielleicht im ganzen römischen Heere kein zweiter.

Seine Herrschaft war, wenn nicht im Erfolg, so doch im Prinzip furchtbarer als die irgend eines Kaisers. Diese alte Welt mit ihren Denkmälern voll Schönheit, ihrem Leben voll Bildung reizt den Barbaren, der sich seines Ursprungs schämt, zu giftiger Wut; mit Milde hätte sich seine Usurpation ohnedies nicht behaupten lassen; Konfiskationen bedurfte er für seine Soldaten, und so geht nun der römische Kaiser auf planmässige Zernichtung römischen Wesens aus. Er selbst mochte sich in dem verhassten Rom nicht sehen lassen; seinen Sohn, der zuerst dort residieren sollte, behielt er dann doch bei sich in den Lagern am Rhein und an der Donau, von wo aus er das Reich regierte. Rom wurde mit Schrecken inne, dass eine Grenzarmee von Barbaren das Hauptquartier der Weltherrschaft sein könne, eine Armee, welche man sich dachte, wie die des Spartacus oder Athenion im Sklavenkriege. Der tiefste Grimm Maximins ging gegen alles, was vornehm, reich und gebildet war, namentlich gegen den Senat, von dem er sich verachtet glaubte und vor dessen Kurie er grosse Abbildungen seiner deutschen Siege aufstellen liess; aber auch das Volk der Hauptstadt, welches sonst der Hinrichtung des ganzen Senats würde zugesehen haben, musste durch Schmälerung der Zufuhr und Einziehung der Fonds für die öffentlichen Spiele auf das äusserste erbittert werden. Den Provinzialstädten ging es übrigens nicht besser; ihr städtisches Vermögen, wie das der einzelnen Reichen, wurde geraubt zur Bereicherung des Heeres. So nackt und unvermischt ist die Militärherrschaft im Abendlande nicht wieder aufgetreten.

Es folgte eine Zeit unbeschreiblicher Verwirrung, deren höchstes Interesse in dem kräftigen, entschiedenen Benehmen des vielverkannten Senates Vgl. besonders Hist. Aug., Gord. 13, Pupienus 1–3 u. 10, Maximin. 23 etc. liegt. Die Verzweiflung treibt zunächst in Afrika einen Aufstand von Bauern und Soldaten hervor, an dessen Spitze man zwei angesehene Römer, die Gordiane Vater und Sohn, zwangsweise stellt. Auf diese Nachricht hin erklärt sich auch der Senat gegen Maximin; dass unwürdige Mitglieder diesen zuerst insgeheim gefassten Beschluss dem Tyrannen verraten würden, konnte man vorauswissen; höchst gewagt waren auch die brieflichen Aufforderungen zum Abfall, welche der Senat an die Provinzen erliess; man musste es darauf ankommen lassen, ob neben den Gordianen noch andere Kaiser von andern Ländern und Provinzialheeren würden erhoben werden. Die Gefahr stieg auf das höchste, als ein Kommandant in Afrika, Capellianus (der im stillen selber nach der Herrschaft strebte), im Namen Maximins den jüngern Gordian besiegte, wobei dieser umkam und sein Vater sich erhängte. Jetzt ernannte der Senat eine Kommission von zwanzig kriegskundigen Mitgliedern und proklamierte dann aus eigenem Rechte zwei Kaiser, Pupienus und Balbinus (238). Der Moment muss überaus drohend und schrecklich gewesen sein; das Volk, welches die beiden Kaiser sogleich hatte ausrufen helfen, schlug sich dann doch wieder zu den Garden, welche im Ärger über die reine Senatswahl die Hinzufügung eines dritten Kaisers oder Kronprinzen verlangten und durchsetzten, des jüngsten Gordians nämlich, eines nahen Verwandten der beiden frühern. Bei der Konfusion aller Nachrichten, welche uns zum Beispiel einen Vernichtungskampf zwischen Garden, Gladiatoren und Rekruten mitten in Rom nur mit einem Wort berichten, lässt sich kein entschiedenes Urteil über diese Krisis fällen; doch scheint der Senat ausserordentliche Haltung und Mut bewiesen zu haben, weil er seine beiden Kaiser neben dem dritten, dem Schützling der Garden, behaupten konnte, während zugleich die ganze Verteidigung gegen den heranrückenden Maximin auf seinen Schultern ruhte, und seine Kommissäre überall in den Provinzen die Rüstungen leiten mussten. Allerdings kam diesen Bemühungen entgegen der Ingrimm der Provinzialen gegen den Wüterich, so dass dieser zum Beispiel Kärnten menschenleer und ohne alle Lebensmittel vorfand und bei seinem Einzug in das öde Haemona (Laibach) Hunderte von Wölfen zur Begleitung hatte. Seine Mauretanier und Kelten waren dadurch schon sehr verstimmt, als er vor Aquileia anlangte. Als sich diese Stadt unter Anleitung zweier Senatoren lange und verzweifelt verteidigte, schlug ihn sein darbendes Heer tot, um für sich Frieden mit den neuen Kaisern zu machen.

Ob man klug daran tat, alle oder die meisten dieser Truppen nach Rom zu führen, können wir nicht mehr entscheiden; sie wären in den Provinzen auch gefährlich gewesen. In Rom aber waren schon des Korpsgeistes wegen zwischen dem vorzugsweise germanischen Heere der Senatskaiser und dem des Maximin heftige Reibungen zu erwarten; ohnehin musste das letztere, nach Art mancher besiegten Heere und geschlagenen Parteien, seinem Missmut irgendwo Luft machen. Das Opfer hievon wurden die beiden Senatskaiser, nach deren Ermordung Soldaten und Pöbel den noch sehr jungen Gordian (238–244) in wildem Tumulte zum Augustus ausriefen. Der Senat war überwältigt, vergab sich aber, wie es scheint, durchaus nichts; Soldaten, welche in die Senatssitzung (damals auf dem Kapitol) eindrangen, wurden am Altar der Victoria durch Senatoren niedergehauen.

Das nächste war eine Palastregierung von Eunuchen und Intriganten um einen unerfahrenen Jüngling herum. Nach einiger Zeit nähert sich ihm ein grosser, ernster Mann, der Redner Misitheus, und weckt die edle Seite seiner Natur. Er wird, man weiss nicht wie, Vormund, Regent, auch Schwiegervater des Gordian, der ihm die beiden Präfekturen der Garde und der Hauptstadt überträgt. Die Stellung des Misitheus erinnert bis auf den Namen, den ihm der Senat gab – »Vater des Fürsten« Sein voller Titel Hist. Aug., Gord. 27: eminenti viro, parenti principum, praetorii praefecto et totius urbis, tutori rei publicae. – an die Atabeks der Seldschukensultane im zwölften Jahrhundert. Ob er sich irgend mit dem Senat ins Einvernehmen setzte, ist unbekannt; jedenfalls dauerte diese treffliche Regierung nicht lange. Auf einem sonst glücklichen Feldzuge wider die Perser erlag zuerst der Vormund dem Gifte des sogenannten Arabers Philipp; darauf machte dieser die Truppen durch eine künstliche Hungersnot schwierig, liess sich durch gewonnene Offiziere dem haltlosen Gordian als Mitregent aufdrängen und versagte ihm dann stufenweise jede Stellung, zuletzt auch das Leben.

 

Auf die Todesnachricht hin griff der Senat rasch ein; aber der von ihm ernannte Kaiser Marcus der Philosoph starb bald, ebenso ein gewisser Severus Hostilianus, der sich darauf irgendwie des Throns bemächtigt hatte Zonaras XII, 18 wird hier vor der Hist. Aug., Gord., 31 den Vorzug haben müssen. Vgl. auch Zosim. I, 19.. Nun erst erkannte man auch den Philipp (244–249) an, der inzwischen nach Rom gekommen war und die wichtigsten Senatoren durch geschmeidige Reden gewann. Man tut Philipp zu grosse Ehre an, wenn man ihn für einen arabischen Scheik hält; er war aus dem verrufenen Stamme der südlichen Syrer östlich vom Jordan.

Wenn die Herrschermacht nicht einen ganz verblendenden Reiz hätte, so könnte man diesen Menschen nicht begreifen, der da meinte, mit seinen geringen militärischen Gaben durch Verteilung der Hauptstellen an Verwandte und Vertraute das erschlichene Römische Reich bemeistern zu können. Während er in Rom das tausendjährige Säkularfest der Stadt feierte, brachen von mehrern Seiten die Barbaren ins Reich ein, und mindestens zwei Heere stellten neue Kaiser auf. In Syrien erhob sich gegen Philipps Bruder Priscus der Abenteurer Jotapian, der von Alexander dem Grossen abstammen wollte, ein Name, welchem man noch immer einen fast abergläubigen Kultus weihte Hist. Aug., XXX Tyr. 13. – Septim. Severus hatte das Grab Alexanders schliessen lassen, »damit niemand mehr dessen Leichnam sehe«. Dio Cass. LXXV, 13.. Gegen Philipps Schwiegersohn Severian in Mösien empörte sich Marinus, als in der Nähe die Goten einmarschierten.

Die bewusste, grosse Gefahr des Reiches rief nun noch einmal den Genius Roms wach. Die zweite Hälfte des dritten Jahrhunderts ist einer von den Zeiträumen, welche in der Wertschätzung gewinnen müssten, wenn wir die Persönlichkeiten und die Beweggründe ihres Handelns besser kennten, als uns die vorhandenen Quellen gestatten. Sind auch die leitenden Männer meist keine Stadtrömer, sondern Illyrier, das heisst aus den Gegenden zwischen dem Adriatischen und dem Schwarzen Meere, so hat doch römische Bildung und Tradition, namentlich in Betreff des Krieges, sie zu nochmaliger Rettung der alten Welt befähigt. Es war jetzt kein Vergnügen mehr, sondern ein verhängnisvolles Amt, römischer Imperator zu sein; ganz Unwürdige nehmen den Purpur meistens gezwungen, und auch die Bessern drängen sich nicht mehr dazu, sondern erkennen darin Pflicht oder Schicksal. Eine gewisse sittliche Erhebung ist nicht zu verkennen.

Mit Philipp war es angesichts jener grossen Gefahren bald vorbei. Er wandte sich ganz erschrocken an den Senat und bot seine Abdikation an; alles schwieg, bis der tapfere Decius sich zur Unterwerfung des Marinus erbot. Er führte sie durch, verlangte aber eilig seine Abberufung, weil er sah, dass bei der allgemeinen Verachtung gegen Philipp das Heer ihn bald würde zum Kaiser erheben wollen. Philipp willfahrte ihm nicht, und so geschah das Unvermeidliche Mit der dunkeln Darstellung des Ioh. Antiochenus (Fragm. 148) sind die bisherigen Annahmen über diese Ereignisse gar nicht zu vereinigen.. In oder nach einer Schlacht gegen Decius kam Philipp in Verona durch Soldaten um. Dass sein Bruder Priscus nachher noch Statthalter in Macedonien sein konnte, zeigt, dass Decius sich wegen des Geschehenen nicht zu schämen hatte. Priscus lohnte ihm in der Folge mit Verrat.

Decius (249–251) ist überhaupt ein Idealist, mit den Illusionen eines solchen. Seine gewaltige kriegerische Kraft im Dienst einer veredelten Senatsregierung Hist. Aug., Valerian. 1 u. 2. zu üben, altrömische Sitte und Religion und durch dieselbe die Macht des römischen Namens aufzufrischen und auf ewig festzustellen – das mochten seine Pläne sein. Damit hing allerdings zusammen, dass er die Christen verfolgte; sechzig Jahre später würde er vielleicht mit demselben Eifer versucht haben, die christliche Aufopferungsfähigkeit auf die Rettung des Reiches hinzulenken.

Dies Ziel seines Lebens zu erreichen, war ihm allerdings nicht beschieden; neben dem Einbruch der Barbaren an allen Grenzen wütete eine Hungersnot und eine Pest, welche im ganzen römischen Leben dauernde Veränderungen müssen hervorgebracht haben, weil ein alterndes Volkstum solche Schläge nicht so überdauert wie ein jugendliches. Der Lohn des Decius war ein glorreicher Untergang im Gotenkriege.

Auch jetzt behauptete der Senat sein Recht; neben dem von den Soldaten erhobenen Gallus ernennt er Aur. Vict., Epit. (251) seinen eigenen Kaiser, Hostilian, der indes bald an einer Krankheit starb. Als Gallus die Goten mit Tribut abkaufte, fand sich ein Feldherr bei den Donautruppen, der Mauretanier Aemilian, welcher seinen Soldaten von der »römischen Ehre« sprach Τὸ Ρωμαιων αξιωμα. Zosim. I, 22. und im Fall eines Sieges ihnen selbst den Tribut verhiess, der jetzt den Goten bezahlt würde; sie siegten wirklich und erhoben ihn dann zum Kaiser (253). Aber so weit wirkte schon die Denkweise des Decius, dass Aemilian nur der Feldherr des Senates heissen, diesem dagegen die Reichsregierung überlassen wollte Zonaras XII, 21..

Eine empfindliche Lücke in der Historia Augusta hindert uns an jeder bündigen Beurteilung der zunächst folgenden Ereignisse. Aemilian rückt nach Italien; Gallus, der gegen ihn ausgezogen, wird nebst seinem Sohne von den eigenen Truppen ermordet; aber einer seiner Generale, Valerian, aus den Alpen heranrückend, gewinnt auf ganz rätselhafte Weise das Heer des siegreichen Aemilian, welches seinen Kaiser tötet, »weil derselbe ein Soldat, aber kein Regent sei, weil Valerian besser zum Kaisertum passe, oder weil man den Römern einen neuen Bürgerkrieg ersparen müsse« Zosim. I, 29; Zonar. XII, 22.. Das Wahre schimmert durch; es sind offenbar nicht mehr meuterische Soldatenhaufen, welche hier handeln; das Entscheidende war ohne Zweifel eine Transaktion zwischen den höhern Offizieren der drei Heere. So allein war die Erhebung Valerians (253) möglich, vielleicht desjenigen Römers, der in bürgerlichen Ämtern wie im Kriege vor allen gleichmässig ausgezeichnet war; die Soldaten allein hätten entweder auf ihrem Aemilian beharrt oder einen schönen grossen Mann mit den Talenten eines Unteroffiziers auf den Thron erhoben.

Es nimmt aber die Kaiserwahl fortan überhaupt eine neue Form an. In den fortdauernden Barbarenkriegen seit Alexander Severus muss sich eine ausgezeichnete Generalität gebildet haben, in welcher man sich dem wahren Werte nach kannte und taxierte; Valerian aber erscheint, wenigstens als Kaiser, wie die Seele derselben Einen Teil dieses kaiserlichen Stabes lernt man Hist. Aug., Aurelian. 12 u. f. kennen, bei Anlass des feierlichen Kriegsrates in den Thermen zu Byzanz. Es waren darunter (trotz der Andeutung bei Aurel. Vict., Caes., sub Valeriano) mehrere von altrömischem Adel. Bei diesem Anlass sieht man wie der Kaiser das Konsulat an einen armen, aber tüchtigen General als eine Pfründe vergibt, ihm zur Bestreitung der Zirkusspiele aus der eigenen Schatulle nachhilft und einen reichen Römer zu seiner Adoption überredet.. Sein militärischer Briefwechsel, der mit Absicht in der Historia Augusta teilweise gerettet ist, beweist seine genaue Kenntnis der Personen und ihrer Talente und gibt uns eine hohe Idee von dem Manne, der einen Postumus, Claudius Gothicus, Aurelian und Probus erkannte und erhob. Wäre an den Grenzen Friede eingetreten, so hätte der Senat vielleicht im Sinne eines Decius und Aemilian einen regelmässigen Anteil an der Herrschaft ausgeübt; da aber die Einfälle der Barbaren auf allen Grenzen zugleich das Imperium gänzlich zu überwältigen drohten, da das wahre Rom für längere Zeit nicht mehr auf den sieben Hügeln an der Tiber, sondern in den tapfern Lagern römischer Feldherrn war, so musste auch die Staatsmacht mehr und mehr an die Generale kommen. Diese bilden fortan einen geharnischten Senat, der in alle Grenzprovinzen zerstreut ist. Eine kurze Zeit über geht freilich das Reich ganz aus den Fugen, und planlose Soldatenwillkür und provinziale Verzweiflung bekleidet bald da, bald dort den ersten besten mit dem Purpur; sobald aber der erste Stoss vorüber ist, besetzen die Generale den Thron mit einem aus ihrer Mitte. Wie sich da Berechnung und Überlegung mit Ehrgeiz und Gewaltsamkeit im einzelnen Falle abfinden mochten, was für geheime Schwüre den Verein enger verknüpften, lässt sich nur ahnen. Gegen den Senat zeigt man keine Feindschaft, im ganzen sogar Hochachtung, und es tritt später ein Augenblick ein, da der Senat sich der vollständigen Täuschung hingeben konnte, noch einmal der wahre Herr des Reiches geworden zu sein.

Doch es lohnt die Mühe, diese merkwürdigen Übergänge auch im einzelnen zu verfolgen.

Schon unter Valerian hatte der Abfall einzelner Gegenden begonnen, und als er vollends durch völkerrechtswidrige Treulosigkeit in die Gefangenschaft des Sassanidenkönigs Sapor geriet Was Zonaras 12, 23 erzählt, sieht ganz nach bösartiger Erfindung eines Zurückgesetzten aus; wie weit vollends dem Dionysius bei Euseb., Hist. eccl. VII, 23 über Macrian zu glauben ist, zeigt der Ton seiner Rede sattsam. (260), indes sein Sohn Gallienus mit dem Kriege gegen die Germanen beschäftigt war, trat die totale Verwirrung ein. Während Rom selbst durch einen Einfall sonst unbekannter Horden bedroht wurde, und der Senat eilends eine Bürgergarde aufstellen musste, fielen allmählich die östlichen Reichslande ab. Zunächst liess sich der Taugenichts und Vatermörder Cyriades von Sapor als römischer Thronprätendent vorschieben, bis sich als Retter des römischen Orientes zuerst Macrian (260) mit seinen Söhnen und mit seinem tapfern Präfekten Ballista erhob. Sapor musste fliehen, sein Harem wurde gefangen; die herrliche Verteidigung von Caesarea in Kappadocien dürfen wir hier nur mit einem Wort erwähnen Das Nähere bei Zonar. XII, 23.. Aber die Zersetzung des Reiches war noch im Wachsen; Feldherrn und höhere Beamte mussten sich fortwährend zu Kaisern erheben, nur um gegen andere Usurpatoren ihr Leben zu retten, welches sie dann doch bald einbüssten. So in Griechenland Valens mit dem Beinamen Thessalonicus und der von Macrian gegen ihn entsandte Piso; so nach einiger Zeit (261) Macrian selbst, als er gegen den damals noch gallienischen Feldherrn der Donaulande, Aureolus, zu Felde zog, welcher als Sieger ebenfalls von Gallienus abgefallen sein muss. An Macrians und seines Hauses Stelle trat im Osten (262) Odenathus, ein reicher Provinziale, dergleichen mehrere in dieser Zeit als Kaiser aufkommen, aber keiner mit so viel Talent und Erfolg wie dieser Patrizier von Palmyra, der von hier aus mit seiner heldenmütigen Gemahlin Zenobia ein grosses orientalisches Reich zu gründen vermochte Eine Zusammenstellung der Nachrichten über Zenobia und das palmyrenische Reich überhaupt bei G. Hoyns, Geschichte der sogenannten 30 Tyrannen, Göttingen 1852. Auch die Jahrzahlen bis auf Aurelian sind hier nach dieser Schrift angegeben.. Zenobia, die Enkelin der ägyptischen Ptolemäer, auch der berühmten Kleopatra, mit ihrer bunten Hofhaltung asiatischer Heerführer, herrschte später (267–273) für ihre Söhne bis nach Galatien und nach Ägypten hinein, also in Gegenden, wo früher die Generale des Gallienus geringere Usurpatoren mit Erfolg beseitigt hatten, nämlich im südöstlichen Kleinasien den Seeräuber Trebellian, den die unverbesserlich verwilderten Isaurier zu ihrem Herrn erhoben; in Ägypten aber den frühern Kommandanten von Alexandrien, Aemilianus, welcher, von einem Pöbelauflauf tödlich bedroht, sich zum Kaiser aufgeworfen (262–265), um der Verantwortung bei Gallienus zu entgehen.

In den Donaulanden haben wir Aureolus genannt, welchen Gallienus sogar eine Zeitlang als Herrscher anerkennen musste. Aber schon lange vorher (258) hatten die Donautruppen, um das Land besser gegen die Einfalle zu schützen, den Statthalter Ingenuus erhoben; Gallienus hatte diesen überwunden und furchtbare Strafe über die ganze Gegend verhängt; die nach Rache dürstenden Provinzialen hatten darauf den heldenmütigen Dacier Regillian (260) zum Kaiser gemacht, der von dem dacischen König Decebalus, dem berühmten Feinde Trajans, abstammen wollte; aus Furcht vor abermaliger Bestrafung durch den zu Zeiten sehr grausamen Gallienus liessen sie ihn wieder fallen. – Von einem Usurpator in Bithynien weiss man nicht einmal den Namen; auch in Sizilien herrschten namenlose Räuber (latrones). – Die merkwürdigste Reihe von Usurpatoren bietet jedoch der Westen dar, nämlich Gallien, welchem sich zeitweise auch Spanien und Britannien fügen. Hier erheben sich (seit 259) bei der unbeschreiblichen Landesnot durch die Barbaren schon gegenüber Valerian und dann gegenüber dem Sohn und den Generalen des Gallienus die gewaltigen Verteidiger des Landes, Postumus, Lollianus (oder Laelianus) und Victorinus; und zwar nicht als blosse Soldatenkaiser, sondern unter eifriger, fast regelmässiger Teilnahme der Provinzialen Thierry, Hist. de la Gaule, vol. 2, p. 350 et suiv.. Es bildet sich ein wahres transalpinisches Reich, dessen Notabeln den Senat des meist in Trier wohnenden Imperators ausmachen; weit entfernt, eine schon halb vergessene gallische, britannische oder iberische Nationalität als Panier zu erheben, wollen diese Lande ein okzidentalisches Römerreich sein und römische Bildung und Einrichtungen gegen die hereindringende Barbarei schützen; was sich von dem Reiche Zenobiens nicht in derselben Weise behaupten lässt. Merkwürdigerweise ist es aber auch im Abendlande eine Frau, Victoria, die Mutter Victorins, welche unter diesen Kaisern Adoptionen und Erbfolgen einleitet und als »Mutter der Lager«, ja, wie ein übermenschliches Wesen, über den Heeren waltet. Ihr Sohn und Enkel werden von ergrimmten Soldaten vor ihren Augen niedergemacht, und gleich darauf ist die Reue so gross, dass man ihr die Ernennung eines neuen Kaisers überlässt. Sie ernennt zuerst (267) den Soldaten zuliebe den starken Waffenschmied Marius, nach dessen Ermordung aber – höchst gewagterweise – einen Mann, den die Armee nicht kannte, ihren Verwandten Tetricus, dessen unmilitärische Regierung sich die Soldaten (seit 267) wenigstens bis zum plötzlichen Tode Victoriens Auf der Münze, welche ihre Apotheose verewigt, heisst sie IMPerator, so gut als Maria Theresia in Ungarn »König« hiess. gefallen liessen.

 

An das Ende dieser Reihe von Usurpationen gehört offenbar die des Celsus in Afrika, weil sie die am wenigsten berechtigte und in ihrem Erfolge die geringste war. Ohne den Grund oder Vorwand eines Barbarenangriffes rufen die Afrikaner (wahrscheinlich nur die Karthager) auf Anstiften ihres Prokonsuls und eines Generals den Tribun Celsus zum Kaiser aus; das mangelnde göttliche Recht musste der Mantel der »Himmlischen Göttin« ersetzen, den man aus dem berühmten Orakeltempel zu Karthago holte, um den Anmasser damit zu bekleiden. Auch hier spielt ein Weib die Hauptrolle; nach sieben Tagen wurde Celsus auf Anstiften einer Base des Gallienus ermordet, und sein Leichnam von Hunden zerrissen, worauf die Einwohner von Sicca aus Loyalität gegen den Kaiser bestanden. Dann kreuzigte man den Celsus noch in effigie.

Gallienus selber scheint sich in diese unerhörte, grösstenteils unverschuldete Lage keineswegs so gleichmütig und feige gefügt zu haben, wie die Historia Augusta uns will glauben machen. Einigen jener sogenannten »Dreissig Tyrannen« erteilt er wohl Caesaren- und Augusten-Titel, andere aber bekämpft er auf das äusserste. Die berüchtigte Indolenz muss ihn zeitweise befallen, aber auch plötzlich wieder verlassen haben; ein Zug nach Persien zur Befreiung seines Vaters aber, den man wohl von ihm verlangte, wäre unter jenen Umständen ein ganz undenkbares Unternehmen gewesen. Man kann sein Verhältnis zu den von ihm anerkannten Provinzialkaisern mit dem der Khalifen zu den abgefallenen Dynastien vergleichen, nur dass ihm nicht einmal Ehrengeschenke und Nennung im Kanzelgebet verblieben. Dafür behauptete er wenigstens Italien mit aller Anstrengung für sich allein; ausserdem blieben ihm mehrere der bedeutendsten Generale seines Vaters. Den Senat soll er geflissentlich vom Dienst, ja von blossen Besuchen in seiner Armee abgehalten haben, weil ihn selbst in diesen unparlamentarischen Zeiten die Furcht vor einer militärischen Senatsregierung verfolgte Aur. Vict., Caes..

Als Aureolus ihn auch in Italien angriff, brach er auf, zwang ihn, sich in Mailand zu konzentrieren und belagerte ihn hier. Schon war Aureolus in verzweifelter Lage, als Gallienus ermordet wurde (268). Der Täter war ein Oberst der dalmatinischen Reiter, die nächsten Urheber ein Gardepräfekt und ein General der Donautruppen; die eigentlichen Hauptpersonen aber waren (der spätere Kaiser) Aurelian, der mit Reiterei zum Belagerungsheer gestossen war, und der Illyrier Claudius, ein Günstling des Senates und zugleich einer der grössten Feldherrn seiner Zeit, der kein Geheimnis daraus zu machen pflegte, wenn die Schlaffheit des Gallienus ihm missfiel, und der wahrscheinlich deshalb abseits in Pavia seine Station hatte. Es soll ein förmlicher Rat dieser Generale über Leben und Tod des Gallienus gehalten worden sein, wobei auch die Reichsfolge des Claudius ihre Entscheidung müsste gefunden haben Den Wert des Aurelius Victor (Caesares) gegenüber den andern Quellen können wir hier nicht erörtern..

Alles wohl erwogen, wird sich in dieser ausserordentlichen Zeit ein solches Komplott teilweise entschuldigen lassen; es war ein Gericht von nicht ganz Unberufenen, welches hier seinen Spruch tat. Wenn das Reich wieder seine Einheit finden sollte, so musste die Persönlichkeit des Gallienus vom Kampfplatz abtreten, was gutwillig nie geschehen wäre, weil derselbe ohne kaiserliche Genüsse nicht leben konnte. Sodann mochte Claudius den bevorstehenden Goteneinfall, den schrecklichsten jenes Jahrhunderts, nahe voraussehen, und dies war eine Not, die kein Gebot kannte. Abgesehen davon standen, während Gallienus vor Mailand lag, bereits die Alamannen in Italien, deren Überwindung die nächste dringendste Tat des Claudius sein musste, nachdem in der Schlacht bei Pontirolo mit Aureolus rasch aufgeräumt worden war. In der Grabschrift des letztern sagt Claudius, er hätte ihn am Leben gelassen, wenn die Rücksicht auf sein vortreffliches Heer es gestattete Laut Ioh. Antiochenus, welcher wie diese Grabschrift dem Heer einen besondern Ingrimm gegen die Usurpation als solche zuschreibt, hieben die Soldaten den Aureolus, der sich bereits übergeben, in der Nähe des Claudius nieder.. Wir brauchen an der Aufrichtigkeit dieser Worte nicht zu zweifeln.

Claudius (268–270) konnte die Riesenarbeit der Herstellung des Reiches nur beginnen, und seine Partei in Gallien musste er vorerst im Stiche lassen; aber sein Gotensieg bei Naissus war doch diejenige Tat, welche hauptsächlich der alten Welt das Leben fristete. Seiner sonstigen hohen Regenteneigenschaften konnte das Reich kaum geniessen, weil er schon nach einem Jahre starb; es wäre aber ungerecht, sie zu bezweifeln, weil er das Unglück gehabt hat, in die Hände der Lobredner zu fallen. Seine wahre Lobrede liegt in dem Stolz der illyrischen Reiterei auf die Landsmannschaft mit ihm, in der mutigen Zuversicht zur Gegenwehr gegen die Barbaren, die sein Sieg auch einzelnen schwachen Städten und Provinzialbevölkerungen einflösste. Spanien war bereits von Tetricus abgefallen, um sich ihm in die Arme zu werfen.