Jack London – Gesammelte Werke

Text
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Font:Smaller АаLarger Aa

»Was hast du, Al­ter?« frag­te Bert. »Du siehst aus, als sei­en dir alle Fel­le weg­ge­schwom­men. Was ist los mit dir? Heraus da­mit!«

»Don­ner­wet­ter, ich den­ke dar­an, wo das Bett und al­les an­de­re für die hin­te­re Schlaf­kam­mer ist.«

»Das ist nicht da«, er­klär­te Sa­xon. »Wir ha­ben noch nichts be­stellt.«

»Dann muss ich mor­gen da­für sor­gen.«

»Wir brau­chen das Zim­mer nicht«, sag­te Sa­xon zu Bil­ly. »Und ich habe kei­ne Mö­bel da­für be­rech­net. Das Geld ist drauf­ge­gan­gen, um bes­se­re Tep­pi­che und einen bes­se­ren Herd zu kau­fen.«

Bil­ly, der zu ihr ge­tre­ten war, hob sie vom Stuhl auf und setz­te sie auf sei­nen Schoß.

»Das ist sehr recht, mein Mä­del­chen. Ich freue mich dar­über. Im­mer das Bes­te für uns. Und mor­gen Abend gehst du mit mir zu Sa­lin­ger und suchst ein Bett und einen Tep­pich aus und was sonst noch dazu ge­hört. Aber gut muss es sein. Kei­ne Kni­cke­rei.«

»Das kos­tet fünf­zig Dol­lar«, wand­te sie ein.

»Schön«, nick­te er. »Lass es fünf­zig Dol­lar kos­ten und nicht einen Cent we­ni­ger. Das Bes­te ist nicht gut ge­nug. Und was ha­ben wir von ei­nem lee­ren Zim­mer? Das ver­schan­delt uns das Haus. Sieh, von dem Au­gen­blick an, als ich die Mie­te be­zahl­te und den Schlüs­sel in die Tür steck­te, habe ich die­ses Nest­chen wach­sen und warm und be­hag­lich wer­den se­hen. Aber wenn dies Zim­mer hier leer und ohne Tep­pich da­steht, wer­de ich den gan­zen Tag nichts als den blo­ßen Fuß­bo­den se­hen. Ich wür­de mich be­tro­gen füh­len. Das Haus wür­de eine Lüge sein. Sieh nur die Gar­di­nen, die du drin­nen auf­ge­hängt hast, Sa­xon, da­mit die Nach­barn glau­ben, dass es mö­bliert sei. Sa­xon, die Gar­di­nen lü­gen. Das schickt sich nicht für uns.«

»Ihr könnt es ja ver­mie­ten«, schlug Bert vor. »Ihr wohnt dicht an der Bahn, und zwei Stra­ßen von hier ist eine Wirt­schaft.«

»Nicht um al­les in der Welt. Ich hei­ra­te Sa­xon nicht, um Zim­mer­her­ren zu be­kom­men. Wenn ich nicht für sie sor­gen kann – weißt du, was ich dann tue? Auf die Mole ge­hen und sa­gen: ›An dem geht nichts ver­lo­ren!‹ und mich mit ei­nem Stein um den Hals ins Was­ser plump­sen las­sen. Hab ich nicht recht, Sa­xon?«

Es wi­der­sprach ih­rer Vor­sicht und ih­rem ge­sun­den Men­schen­ver­stand, aber es ge­fiel ih­rem Stolz. Sie schlang die Arme um den Hals ih­res Liebs­ten und sag­te, ehe sie ihn küss­te:

»Du hast zu be­stim­men, Bil­ly. Was du sagst, soll gel­ten, heut und im­mer.«

*

Sa­rah war kon­ser­va­tiv. Ja, schlim­mer als das, sie war in ei­ner fes­ten Form er­starrt seit dem Au­gen­blick, als ihre Ver­liebt­heit vor­bei war, das heißt, seit sie ihr ers­tes Kind ha­ben soll­te. Die Form wa­ren die Vor­ur­tei­le und die Vor­stel­lun­gen, in de­nen sie von Kind auf er­zo­gen war. Der­ma­ßen war sie zum Ge­wohn­heits­tier ge­wor­den, dass die ge­rings­te Ver­än­de­rung im täg­li­chen Le­ben zu den Di­men­sio­nen ei­ner gan­zen Re­vo­lu­ti­on an­schwoll. Tom hat­te ver­schie­de­ne die­ser Re­vo­lu­tio­nen er­lebt, un­ter an­derm, so oft sie um­zo­gen. Nach dem drit­ten Um­zug hat­te er ge­nug, und seit­dem zog er nie mehr um.

So kam es, dass Sa­xon es auf­ge­scho­ben hat­te, von ih­rer Hoch­zeit zu re­den, bis es durch­aus not­wen­dig wur­de. Sie er­war­te­te eine Sze­ne, und die be­kam sie.

»Ein Bo­xer, ein He­rum­trei­ber, ein Tau­ge­nichts!« fauch­te Sa­rah, nach­dem sie alle Kala­mi­tä­ten er­schöpft hat­te, mit de­nen der Ver­lust von Sa­x­ons vier­ein­halb Dol­lar die Wo­che ihre und ih­res Man­nes Zu­kunft be­droh­te. »Ich möch­te wis­sen, was dei­ne Mut­ter sa­gen wür­de, wenn sie leb­te und sähe, dass du einen Tau­ge­nichts wie Bill Ro­berts hei­ra­test. Bill! Ach, dei­ne Mut­ter war viel zu vor­nehm, als dass sie einen Mann ge­hei­ra­tet hät­te, der Bill hieß. Und ich kann dir nur sa­gen, dass es jetzt kei­ne sei­de­nen St­rümp­fe und drei Paar Schu­he mehr ge­ben wird. Es dau­ert nicht lan­ge, und du wirst dich glück­lich prei­sen, wenn du in Lat­schen und baum­wol­le­nen St­rümp­fen zu fünf­und­zwan­zig Cent für zwei Paar her­um­lau­fen kannst.«

»Ach, ich habe kei­ne Angst. Bil­ly ist schon der Mann, mir die Schu­he zu ver­schaf­fen, die ich brau­che«, ant­wor­te­te Sa­xon und warf stolz den Kopf zu­rück.

»Du weißt nicht, wo­von du re­dest.« Sa­rah hielt inne und brach in La­chen aus – ein La­chen, das nicht den ge­rings­ten Hu­mor ent­hielt. »Pass nur auf, wenn erst Kin­der kom­men. Die kom­men heut­zu­ta­ge schnel­ler als Geld.«

»Aber wir wol­len kei­ne Kin­der ha­ben – we­nigs­tens nicht, bis wir un­se­re Aus­s­teu­er be­zahlt ha­ben.«

»So klug sind die jun­gen Leu­te heu­te – wie be­liebt? In mei­ner Ju­gend wa­ren die Mäd­chen zu ehr­bar, um et­was von sol­chen un­an­stän­di­gen Din­gen zu wis­sen.«

»Es ist das ers­te Mal, dass ich höre, dass klei­ne Kin­der et­was Un­an­stän­di­ges sind. Gott, Sa­rah, du mit dei­nen fünf musst ja sehr un­an­stän­dig ge­we­sen sein! Bil­ly und ich ha­ben be­schlos­sen, dass wir nicht an­nä­hernd so un­an­stän­dig sein wol­len. Wir wol­len nicht mehr als zwei ha­ben, einen Jun­gen und ein Mäd­chen.«

Tom hät­te fast laut ge­lacht, um des Frie­dens wil­len aber er­stick­te er sein La­chen in der Kaf­fee­tas­se. Sa­rah ließ sich kaum Zeit, Atem zu schöp­fen, als sie auch schon von ei­ner an­de­ren Sei­te an­griff.

»Und so schnell zu hei­ra­ten! Wel­che Eile! Wenn das nicht un­an­stän­dig ist, dann weiß ich nicht. Ich weiß nicht, wie jun­ge Mäd­chen heu­te dar­über den­ken. Aber das kommt da­von, wenn man Sonn­tags aus­rennt und tanzt und so et­was. So­viel Leicht­fer­tig­keit und Un­sitt­lich­keit habe ich noch nie ge­se­hen.«

Sa­xon war blass vor Zorn ge­wor­den. Wäh­rend aber Sa­rah in ih­rem Re­de­strom fort­fuhr, glück­te es Tom, mit sei­ner Schwes­ter zu ei­ner Ver­stän­di­gung zu ge­lan­gen, in­dem er sie durch eif­ri­ges Blin­zeln um Er­hal­tung des Frie­dens bat.

»Es stimmt ja al­les, Schwes­ter­chen«, trös­te­te er Sa­xon, als sie al­lein wa­ren. »Es hat nur kei­nen Zweck, mit Sa­rah dar­über zu re­den. Bill Ro­berts ist ein net­ter Kerl, ich weiß al­ler­lei von ihm. Du be­kommst einen gu­ten Mann, und du wirst si­cher glück­lich mit ihm wer­den.« Er senk­te die Stim­me, und sein Ge­sicht er­hielt plötz­lich einen al­ten, mü­den Aus­druck, als er ängst­lich fort­fuhr: »Nimm dir eine Leh­re an Sa­rah. Zan­ke dich nicht. Was du auch tust, zan­ke dich nicht. Ein Mann muss mal et­was sa­gen dür­fen. Män­ner ha­ben auch ein biss­chen Ver­stand, wenn Sa­rah es auch nicht glaubt. Sieh, Sa­rah hat mich im Grun­de un­ge­heu­er lieb, wenn sie es auch nicht mer­ken lässt. Hab du dei­nen Mann lieb und, Gott stra­fe mich, lass es ihn mer­ken. Mit Küs­sen und Strei­cheln kannst du ihn zu al­lem brin­gen, was du wünschst. Lass ihm nur hin und wie­der ein­mal sei­nen Wil­len, dann lässt er dir auch dei­nen. Du sollst ihn nur lieb­ha­ben und dich auf ihn stüt­zen – er ist kein Dumm­kopf – dann wirst du auf Hän­den ge­tra­gen wer­den.«

»Glaub mir, ich wer­de ihn schon lieb­ha­ben, Tom«, nick­te Sa­xon. »Und mehr als das, ich wer­de da­für sor­gen, dass Bil­ly mich liebt, und dass es da­bei bleibt. Und dann brau­che ich ihn we­der zu küs­sen noch zu strei­cheln, da­mit er tut, was ich wün­sche. Er wird es tun, weil er mich liebt. Ver­stehst du?«

»Du hast das rich­ti­ge Ende er­wi­scht, Sa­xon. Halt es fest, dann wird es schon ge­hen.«

Spä­ter, als sie sich den Hut auf­ge­setzt hat­te, um zur Plät­te­rei zu ge­hen, traf sie Tom an der Ecke war­tend.

»Weißt du, Sa­xon«, sag­te er schnell, »was ich dir vor­hin von Sa­rah sag­te – du ver­stehst mich doch – das fasst du doch nicht etwa so auf, als woll­te ich et­was Her­ab­set­zen­des von ihr sa­gen. Sie ist eine gute Frau und treu, und ihr Le­ben ist nicht leicht ge­we­sen. Je­der hat wohl sei­ne Pla­ge im Le­ben. Es ist ein Fluch, arm zu sein, das sage ich dir.«

»Du bist im­mer schreck­lich gut zu mir ge­we­sen, Tom. Ich wer­de das nie ver­ges­sen. Und ich weiß ja, dass Sa­rah es gut meint. Sie tut ihr Bes­tes.«

»Ich kann dir lei­der nichts zur Hoch­zeit schen­ken«, ent­schul­dig­te ihr Bru­der sich. »Sa­rah will nichts da­von hö­ren. Sie sagt, dass wir bei un­se­rer Hei­rat nichts von der Fa­mi­lie be­kom­men ha­ben. Aber ich habe doch et­was für dich. Ich glau­be nicht, dass du es ra­ten kannst.«

Sa­xon sah ihn er­war­tungs­voll an.

»Sieh, als du mir er­zähl­test, dass du hei­ra­ten woll­test, fiel es mir ein, und da schrieb ich an Bru­der Ge­or­ge und bat ihn dar­um. Und Gott stra­fe mich, wenn er es nicht um­ge­hend schick­te. Ich sag­te nichts da­von, denn ich wuss­te ja nicht, ob er es viel­leicht ver­kauft hät­te. Er ver­kauf­te ja die sil­ber­nen Spo­ren. Er brauch­te wohl Geld. Aber das – ich ließ es in die Werk­statt schi­cken – Sa­rahs we­gen – ver­stehst du – und dann brach­te ich es heim­lich ges­tern Abend her und ver­steck­te es im Holz­schup­pen.«

»Ach, et­was, das Va­ter ge­hört hat! Ach, was ist es?«

»Sein Sä­bel.«

»Den er trug, wenn er sein ro­tes Streitross ritt! Ach, Tom, ein schö­ne­res Ge­schenk hät­test du mir nicht ma­chen kön­nen. Lass uns zu­rück­ge­hen. Ich will ihn se­hen. Wir kön­nen durch die Hin­ter­tür hin­ein­kom­men. Sa­rah wäscht in der Kü­che – in der ers­ten Stun­de hängt sie das Zeug nicht auf.«

»Ich sprach mit Sa­rah da­von, dass du die alte Kom­mo­de, die Mut­ter ge­hört hat, ha­ben soll­test«, flüs­ter­te Tom, wäh­rend sie sich durch den en­gen Gang zwi­schen den Häu­sern hin­durch­sch­li­chen. »Aber sie setz­te sich auf die Hin­ter­bei­ne. Sie sag­te, dass Dai­sy eben­so gut mei­ne Mut­ter wie dei­ne ge­we­sen sei, wenn wir auch je­des sei­nen Va­ter ge­habt hät­ten, und dass die Kom­mo­de im­mer Dai­sys Fa­mi­lie und nicht der Ka­pi­tän Kits ge­hört hät­te, und dass sie mein sei, und was mein sei, dar­über hät­te auch sie zu ver­fü­gen.«

 

»Es ist schon al­les in Ord­nung«, be­ru­hig­te Sa­xon ihn. »Sie hat sie mir ges­tern Abend ver­kauft. Sie war­te­te mit blit­zen­den Au­gen auf mich, als ich heim­kam.«

»Ja, sie war den gan­zen Tag, nach­dem ich dar­über ge­re­det hat­te, auf dem Kriegs­pfad. Wie viel hast du ihr da­für ge­ge­ben?«

»Sechs Dol­lar.«

»Nepp. Sie ist nicht die Hälf­te wert«, brumm­te Tom. »Und die eine Sei­te ist ja ganz ent­zwei, und sie ist ur­alt.«

»Ich hät­te gern zehn Dol­lar da­für ge­ge­ben. Ich hät­te je­den Preis da­für be­zahlt. Sie ge­hör­te Mut­ter, weißt du. Sie stand im­mer in ih­rer Stu­be.«

Im Brenn­holz­schup­pen zog Tom den ver­bor­ge­nen Schatz her­vor und pack­te ihn aus. Zum Vor­schein kam ein ros­ti­ger Sä­bel mit ei­ner Stahl­schei­de von dem schwe­ren Typ, der in den Ta­gen des Bür­ger­krie­ges von den Ka­val­le­rie­of­fi­zie­ren ge­braucht wur­de. Da­ran hing eine mit­ge­nom­me­ne Schär­pe aus di­cker ro­ter Sei­de mit schwe­ren Sei­den­quas­ten. Sa­xon hät­te sie ih­rem Bru­der vor lau­ter Ei­fer fast aus den Hän­den ge­ris­sen. Sie zog die Klin­ge her­aus und drück­te den Stahl an ihre Lip­pen.

*

»Mein Gott, Bert! Du bist ja be­trun­ken!« rief Mary vor­wurfs­voll.

Zu viert sa­ßen sie am Tisch in ei­nem Zim­mer bei Bar­num. Das Hoch­zeits­mahl, das an sich recht ein­fach war, Sa­xon aber ver­schwen­de­risch er­schi­en, war so­eben be­en­det. Bert stand mit ei­nem Glas ka­li­for­ni­schen Rot­weins – von der Art, wie das Eta­blis­se­ment ihn für fünf­zig Cent die Fla­sche lie­fert – in der er­ho­be­nen Hand da und ver­such­te, eine Rede zu hal­ten. Sein Ge­sicht war rot, und sei­ne schwar­zen Au­gen glüh­ten wie im Fie­ber.

»Du hast ge­trun­ken, ehe du her­kamst«, fuhr Mary fort. »Das kann ich mit ei­nem hal­b­en Auge se­hen.«

»Geh zum Au­gen­arzt, mein Schatz«, ant­wor­te­te er. »Ber­tram weiß, was er tut. Und hier ist er nun auf­ge­stan­den, um ei­nem al­ten Ka­me­ra­den die Pfo­te zu drücken. – Bill, al­ter Jun­ge, ich grü­ße dich. Du bist jetzt ein ver­hei­ra­te­ter Mann, Bill, und das wirst du wohl blei­ben. Fer­tig mit den Ka­me­ra­den, kein Ur­laubs­schein mehr. Du bist in den Ha­fen ein­ge­lau­fen, du musst jetzt für dich sel­ber auf­pas­sen, ja, und dir eine Le­bens­ver­si­che­rung kau­fen und dich ge­gen Un­fall ver­si­chern und Ak­tio­när ei­nes Bau­ver­eins und ei­ner ge­gen­sei­ti­gen Dar­le­hens- und Be­er­di­gungs­kas­se wer­den –«

»Jetzt hör aber auf, Bert«, un­ter­brach Mary ihn. »Von Be­er­di­gung re­det man nicht bei ei­ner Hoch­zeit. Du soll­test dich schä­men.«

»Hal­lo, Mary, im­mer sach­te! Ich sag­te, was ich sag­te, weil ich es mein­te. Ich mei­ne nicht das­sel­be wie Mary. Was ich mei­ne – jetzt will ich euch sa­gen, was ich mei­ne. Ich sag­te Be­er­di­gungs­kas­se, nicht wahr? Nun, das tat ich nicht, um die Freu­de an die­ser fest­li­chen Zu­sam­men­kunft zu ver­der­ben. Das sei weit von mir –. Soll ich euch sa­gen, warum? Weil du, Bill, so eine ver­teu­felt hüb­sche Frau ge­kriegt hast, ja, Bill, so eine ver­teu­felt hüb­sche Frau ge­kriegt hast, ja, eben dar­um! Alle Ka­me­ra­den sind wild nach ihr, und wenn sie an­fan­gen, ihr nach­zu­lau­fen, was tust du dann? Du kriegst was zu tun. Und brauchst du kei­ne Be­er­di­gungs­kas­se, wenn sie in die Erde kom­men? Doch. Kurz, es war ein Kom­pli­ment, das ich dei­nem gu­ten Ge­schmack ma­chen woll­te, als Mary mich über­fiel.«

Sei­ne schim­mern­den Au­gen ruh­ten einen Au­gen­blick mit gut­mü­ti­gem Tri­umph auf Mary.

»Wer sagt, dass ich be­trun­ken bin? Ich? Kei­ne Spur! Ich sehe al­les in ei­nem kla­ren wei­ßen Licht. Und da sehe ich Bill, mei­nen al­ten Freund Bill, und ich sehe nicht zwei Bills, ich sehe nur den einen. Bil­ly ge­hör­te nie zu de­nen, die zwei Ge­sich­ter ha­ben. Bil­ly, al­ter Jun­ge, wenn ich dich als frisch­ge­ba­cke­nen Ehe­mann da sit­zen sehe, dann tut es mir leid – –« Er schwieg plötz­lich und wand­te sich zu Mary. »Geh nur nicht gleich in die Luft, al­tes Mä­del. Ich weiß, was ich sage. Bill, wenn ich dich hier sit­zen sehe, dann kann ich nicht an­ders, ich muss trau­ern.« Er sah Mary her­aus­for­dernd an. »Über mich sel­ber, wenn ich dich da sit­zen sehe und weiß, wel­chem Glück du ent­ge­gen gehst. Hör, was ich sage. Du bist ein klu­ger Sa­tan, Gott seg­ne die Frau­en­zim­mer! Du hast gut an­ge­fan­gen. Mach wei­ter so! Hei­ra­te, wer hei­ra­ten will, Gott mit ihm! Bill, ich grü­ße dich. Du bist der Mo­hi­ka­ner mit dem Skalp am Gür­tel. Und du hast eine Frau ge­kriegt, die eine rich­ti­ge Squaw ist. Min­ne­ha­ha, ich grü­ße dich. Ich grü­ße euch bei­de, und die Kin­der­chen mit. Der Teu­fel hole sie!«

Er trank das Glas aus und sank auf sei­nem Stuhl zu­sam­men, wo er sit­zen blieb und dem jun­gen Paar zu­blin­zel­te, wäh­rend die Trä­nen un­be­ach­tet über sei­ne Wan­gen roll­ten. Mary leg­te trös­tend ihre Hand auf die sei­ne, was ihm den Rest gab.

»Bei Gott«, schluchz­te er. »Ich habe Grund ge­nug zum Wei­nen. Ich ver­lie­re mei­nen bes­ten Freund. Es wird nie wie­der, wie es war – nie. Wenn ich an all den Spaß und all die fro­hen Stun­den den­ke, die Bil­ly und ich zu­sam­men ge­habt ha­ben, dann könn­te ich dich fast has­sen, Sa­xon, wie du da­sitzt und sei­ne Hand hältst.«

»Schon gut, Bert«, lach­te sie. »Sieh die an, de­ren Hand du hältst.«

»Ach, er hat nur einen An­fall«, sag­te Mary mit ei­ner Här­te, der doch ihre freie Hand wi­der­sprach, die trös­tend sein Haar strei­chel­te. »Er­man­ne dich jetzt, Bert. Es ist al­les in schöns­ter Ord­nung. Und jetzt ist Bil­ly an der Rei­he, dir auf dei­ne fei­ne Rede zu ant­wor­ten.«

Bert trank ein Glas Wein und kam schnell wie­der zu sich.

»Los, Bill«, rief er. »Jetzt bist du an der Rei­he.«

»Ich bin kein großer Red­ner«, brumm­te Bil­ly. »Was soll ich sa­gen, Sa­xon? Es hat kei­nen Sinn, zu er­zäh­len, wie glück­lich wir sind, denn das wis­sen sie.«

»Sag ih­nen, dass wir ge­den­ken, im­mer glück­lich zu blei­ben«, sag­te sie. »Dank ih­nen für alle gu­ten Wün­sche, und wir wol­len im­mer zu­sam­men­hal­ten, wir vier, wie in al­ten Ta­gen. Und sag ih­nen, dass sie Sonn­tag zum Mit­ta­ges­sen in die Pine Street 507 ein­ge­la­den sind – und Mary, wenn du Lust hast, schon Sonn­abend zu kom­men, so kannst du im Frem­den­zim­mer schla­fen.«

Bil­ly klatsch­te in die Hän­de. »Das hast du viel bes­ser ge­sagt, als ich es je ge­konnt hät­te. Du hast es pracht­voll ge­sagt, und ich glau­be nicht, dass noch viel hin­zu­zu­fü­gen wäre. Aber ei­ner­lei – ich will auch et­was sa­gen.«

Das Glas in der Hand, stand er auf. Sei­ne kla­ren blau­en Au­gen schie­nen tiefer als sonst un­ter den dunklen Brau­en und im Schat­ten der dunklen Wim­pern, die sein Haar und sei­ne Haut noch hel­ler aus­se­hen lie­ßen. Die run­den Ba­cken wa­ren ge­rötet, nicht vom Wein, denn es war erst sein zwei­tes Glas, son­dern von Ge­sund­heit und Freu­de. Sa­xon sah ihn an, und ihr Herz ju­bel­te vor Stolz. Er war so gut ge­klei­det, so stark, so schön, so rein, der große Jun­ge, der ihr Mann war. Und nicht we­ni­ger stolz war sie auf sich sel­ber, auf ih­ren weib­li­chen Wert, der ihr einen so herr­li­chen Mann ver­schafft hat­te.

»Schön, Bert und Mary, hier sitzt ihr also bei Sa­x­ons und mei­nem Hoch­zeits­schmaus. Wir wer­den uns all eure gu­ten Wün­sche ans Herz le­gen und euch das­sel­be wün­schen, und wenn wir das sa­gen, so mei­nen wir da­mit mehr, als ihr viel­leicht glaubt. Sa­xon und ich glau­ben dar­an: wie du mir, so ich dir. Des­halb wün­schen wir, dass der Tag bald kom­men möge, da der Tisch wie­der für vier ge­deckt ist, und da wir Gäs­te bei eu­erm Hoch­zeits­schmaus sind. Und wenn ihr dann Sonn­tags zum Es­sen kommt, dann könnt ihr bei­de die Nacht über in dem Zim­mer blei­ben, das wir üb­rig ha­ben. Ich glau­be, es war klug von mir, es zu mö­blie­ren. Nicht wahr?«

»Das hät­te ich nie von dir ge­dacht, Bil­ly!« rief Mary. »Du bist ge­nau so roh wie Bert. Aber ei­ner­lei.«

Ihre Au­gen wa­ren plötz­lich feucht ge­wor­den, und die Stim­me ver­sag­te ihr. Sie lä­chel­te ihm durch Trä­nen zu, dann wand­te sie sich um und sah Bert an, der den Arm um sie leg­te und sie auf sei­nen Schoß zog.

Als sie das Re­stau­rant ver­lie­ßen, gin­gen sie alle vier nach dem Broad­way, wo sie an der Stra­ßen­bahn halt­mach­ten. Bert und Bil­ly wa­ren ver­le­gen und schweig­sam, et­was merk­wür­dig Kal­tes und Frem­des war zwi­schen sie ge­tre­ten. Aber Mary um­arm­te Sa­xon zärt­lich.

Der Schaff­ner klin­gel­te, und die bei­den Paa­re trenn­ten sich in plötz­li­cher Ver­wir­rung.

»O du Mo­hi­ka­ner!« rief Bert ihm nach, als der Wa­gen ab­fuhr. »O du Min­ne­ha­ha!«

»Denk dar­an, was ich ge­sagt habe«, war das letz­te, was Sa­xon von Mary hör­te.

Der Wa­gen hielt an der Ecke der Pine Street, wo die End­sta­ti­on war. Es war nur ein kur­z­es Stück bis zum Hau­se. Vor der Tür zog Bil­ly den Schlüs­sel aus der Ta­sche.

»Ko­misch, nicht wahr?« sag­te er, als er den Schlüs­sel im Schloss um­dreh­te. »Du und ich. Nur du und ich.«

Wäh­rend er die Lam­pe im Wohn­zim­mer an­zün­de­te, nahm Sa­xon ih­ren Hut ab. Dann ging er ins Schlaf­zim­mer und zün­de­te die Lam­pe drin­nen an, kam aber wie­der zu­rück und blieb in der Tür ste­hen. Sa­xon, die sich un­be­greif­lich lan­ge mit ih­rer Hut­na­del zu schaf­fen mach­te, sah ihn ver­stoh­len an. Er brei­te­te sei­ne Arme aus.

»Komm«, sag­te er.

Sie kam zu ihm, und er fühl­te sie in sei­nen Ar­men be­ben.

*

1 schwe­res Misch­ge­we­be <<<

Zweites Buch

Am ers­ten Abend nach der Hoch­zeits­nacht traf Sa­xon Bil­ly in der Tür, als er ge­ra­de her­ein­woll­te. Als sie sich um­armt hat­ten, wan­der­ten sie Hand in Hand durch die Stu­be und in die Kü­che, und hier sog Bil­ly mit hör­ba­rem Wohl­be­ha­gen die Luft durch die Nase ein.

»Herr­gott, wie gut die­ses Haus riecht, Sa­xon! Es ist nicht der Kaf­fee – den rie­che ich auch! Es ist das gan­ze Haus. Es riecht wie, nun ja, es riecht gut, so­viel weiß ich.«

Er wusch sich am Aus­guss, und un­ter­des­sen setz­te sie die Brat­pfan­ne auf das vor­ders­te Herd­loch. Wäh­rend er sich die Hän­de trock­ne­te, wi­chen sei­ne Au­gen nicht von ihr, und er gab laut sei­nen Bei­fall zu er­ken­nen, als sie das Fleisch auf die Brat­pfan­ne leg­te.

»Wo hast du ge­lernt, Beefs­teak auf ei­ner tro­ckenen, hei­ßen Pfan­ne zu bra­ten? Das ist die ein­zig rich­ti­ge Art, aber es gibt ver­flucht we­nig Frau­en, die sie ken­nen.«

Als sie den De­ckel von ei­nem Topf nahm und be­gann, den duf­ten­den In­halt mit ei­nem Kü­chen­mes­ser um­zu­rüh­ren, stell­te er sich hin­ter sie, leg­te ihr die Arme in die Ach­sel­höh­len, so­dass sei­ne Hän­de auf ih­rer Brust ruh­ten, und beug­te den Kopf über ihre Schul­ter, bis sei­ne Wan­ge die ihre be­rühr­te.

»Oh – um-um-m-m! Brat­kar­tof­feln mit Zwie­beln, wie Mut­ter sie zu ma­chen pfleg­te. Das ist et­was für mich. Das riecht gut. Um-um-m-m-m!«

Sei­ne Hän­de lie­ßen sie los, und sei­ne Wan­ge glitt lieb­ko­send an der ih­ren her­ab; dann um­schlos­sen sei­ne Hän­de sie wie­der. Sie fühl­te sei­ne Lip­pen auf ih­rem Haar und hör­te ihn tief und zu­frie­den at­men.

»Um-um-m-m-m! Und du riechst auch gut. Ich habe nie ver­stan­den, was man mein­te, wenn man sag­te, ein Mäd­chen sei süß. Aber jetzt weiß ich es. Und du bist die sü­ßes­te, die ich je ge­kannt habe.«

Sei­ne Freu­de war gren­zen­los. Als er sich im Schlaf­zim­mer ge­kämmt hat­te und sich ihr ge­gen­über an den Tisch setz­te, hielt er inne, Mes­ser und Ga­bel in der Hand.

»Weißt du, ver­hei­ra­tet sein ist wahr­haf­tig nicht we­nig mehr, als man glau­ben soll­te, wenn man ver­hei­ra­te­te Leu­te re­den hört. Weiß Gott, Sa­xon, wir kön­nen ih­nen et­was zei­gen, wir bei­de! Nur ei­nes är­gert mich.«

Die Furcht, die sich so­fort in ih­ren Au­gen zeig­te, ließ ihn vor La­chen gluck­sen.

»Und das ist, dass wir uns mit dem Hei­ra­ten nicht mehr be­eilt ha­ben. Eine gan­ze Wo­che habe ich ver­lo­ren.«

Ihre Au­gen strahl­ten vor Dank­bar­keit und Glück, und in der Tie­fe ih­res Her­zens ge­lob­te sie sich fei­er­lich, dass es, so­lan­ge sie leb­ten, nie an­ders wer­den soll­te.

Als sie ge­ges­sen hat­ten, räum­te sie ab und be­gann, die Tel­ler auf­zu­wa­schen. Als er Mie­ne mach­te, sie zu trock­nen, fass­te sie ihn am Rockaufschlag und stieß ihn rück­wärts in einen Stuhl.

 

»Jetzt rate ich dir, hübsch sit­zen­zu­blei­ben – und ver­giss nicht, was ich sage. Jetzt nimmst du dir eine Zi­ga­ret­te – nein, du sollst mich nicht an­se­hen. Ne­ben dir liegt die Mor­gen­zei­tung. Und wenn du dich nicht ein biss­chen be­eilst und sie liest, dann bin ich mit den Tel­lern fer­tig, ehe du an­ge­fan­gen hast.«

Ein paar Mi­nu­ten ver­gin­gen, dann leg­te Bil­ly die Zei­tung mit ei­nem Seuf­zer hin.

»Es hat kei­nen Zweck«, klag­te er. »Ich kann nicht le­sen.«

»Was ist los?« neck­te sie ihn. »Sind dei­ne Au­gen schlecht?«

»Ja«, ant­wor­te­te er. »Sie tun weh. Und nur ei­nes kann hel­fen, näm­lich, dass ich dich an­se­he.«

»Ja – ja, ar­mer klei­ner Bil­ly; ich bin gleich fer­tig.«

Die sal­zi­ge Küh­le in der Luft, die nach Son­nen­un­ter­gang der Se­gen al­ler Ha­fen­städ­te ist, drang zu ih­nen her­ein. Vom Bahn­hof her konn­ten sie das Schnau­fen der Ran­gier­ma­schi­nen und das Pol­tern der Lo­kal­bahn hö­ren, wenn sie lang­sam von der Mole nach dem West-Oa­k­lan­der Bahn­hof fuhr. Von der Stra­ße hör­te man den Lärm von Kin­dern, die im Som­mer­abend spiel­ten, und von den Trep­pen der Nach­bar­häu­ser die lei­se Un­ter­hal­tung der Haus­frau­en.

»Weißt du«, sag­te Bil­ly, »je­des Mal, wenn ich an mein mö­blier­tes Zim­mer zu sechs Dol­lar den­ke, wer­de ich krank vor Är­ger, weil ich mir so vie­les habe ent­ge­hen las­sen. Aber ei­nes trös­tet mich. Wenn ich die Ver­än­de­rung frü­her vor­ge­nom­men hät­te, wür­de ich dich jetzt nicht ha­ben. Vor ein paar Wo­chen wuss­te ich ja noch nicht ein­mal et­was von dei­ner Exis­tenz.«

Sei­ne Hand glitt über ih­ren Un­ter­arm und in den Är­mel am Ell­bo­gen.

»Dei­ne Haut ist so kühl. Nicht kalt, aber kühl. Sie fühlt sich so gut an.«

»Es dau­ert wohl nicht lan­ge, dann nennst du mich dei­nen klei­nen Kühl­ap­pa­rat«, lach­te sie.

»Und dei­ne Stim­me ist kühl«, be­harr­te er. »Sie gibt mir ge­nau das­sel­be Ge­fühl wie dei­ne Hand, wenn du sie auf mei­ne Stirn legst. Es ist et­was Merk­wür­di­ges, und ich kann es nicht er­klä­ren, aber dei­ne Stim­me geht gleich­sam durch mich hin­durch, kühl und fein. Sie ist wie eine schwa­che Bri­se. Wie die ers­te Bri­se vom Meer, wenn sie abends nach ei­nem bren­nend­hei­ßen Tage durch die Stadt streicht. Und zu­wei­len, wenn du lei­se sprichst, klingt es so rund und schön wie das Cel­lo im Mac­do­nough-Thea­ter. Ich den­ke mir, dass die En­gel im Him­mel, wenn es wel­che gibt, sol­che Stim­men ha­ben müs­sen.«

Ein paar Mi­nu­ten ver­gin­gen, in de­nen sie sich so un­sag­bar glück­lich fühl­te, dass sie im­mer nur ihre Hand durch sein Haar glei­ten ließ und sich an ihn schmieg­te, und dann be­gann er wie­der:

»Jetzt will ich dir sa­gen, wor­an du mich er­in­nerst. Hast du nie Voll­blut­stu­ten ge­se­hen, wenn sie im Stall ste­hen und glän­zen? Haar wie Sei­de, und eine Haut so dünn und weich, dass der ge­rings­te Schmitz mit der Peit­schen­schnur sich ab­zeich­net. Ner­ven durch und durch, fein und emp­find­sam. Und da­bei kön­nen sie an Aus­dau­er den stärks­ten Och­sen be­zwin­gen und kön­nen sich wie ein Blitz eine Seh­ne ver­zer­ren und er­frie­ren, wenn sie nur eine Nacht ohne De­cke ste­hen. Ich will dir nur sa­gen, dass man nicht viel in der Welt se­hen kann, was so schön ist. Sie sind so fein­füh­lend und emp­find­sam und zart. Du bist von an­de­ren Frau­en eben­so ver­schie­den wie eine sol­che Stu­te von ei­nem ge­wöhn­li­chen der­ben Ar­beits­pferd. Du bist ein Voll­blut. Du hast Li­nie, Geist und Fi­gur. Rede mir nicht von An­net­te Kel­ler­mann! Der bist du über. Sie ist Aus­tra­lie­rin, und du bist Ame­ri­ka­ne­rin, nur nicht nach dei­ner Fi­gur. Du bist an­ders, du bist rei­zend. Ich weiß nicht, wie ich es aus­drücken soll. An­de­re Frau­en sind nicht wie du ge­wach­sen. Du ge­hörst in ein an­de­res Land. Du bist fran­zö­sisch, das ist es. Du bist wie eine Fran­zö­sin ge­wach­sen, aber viel schö­ner – die Art, wie du dich be­wegst, wie du gehst, wie du sitzt, und wenn du nichts tust.«

Und er, der nie au­ßer­halb Ka­li­for­ni­ens, ja nicht ein­mal eine Nacht au­ßer­halb sei­ner Ge­burts­stadt Oa­k­land ge­we­sen war, hat­te recht in sei­nem Ur­teil. Sie war eine Blü­te der an­gel­säch­si­schen Ras­se, eine Sel­ten­heit mit ih­ren un­ge­wöhn­lich klei­nen Hän­den und Fü­ßen, mit der Fri­sche ih­rer Haut, mit ih­rer An­mut – sie war ein Rück­schlag in jene fer­nen Zei­ten, da die ver­hee­ren­den fran­zö­si­schen Nor­man­nen ihr Blut mit der kräf­ti­gen säch­si­schen Ras­se ver­misch­ten.

»Und wie du dei­ne Klei­der trägst! Sie sind mit dir ver­wach­sen. Sie sind gleich­sam ein Teil von dir, wie dei­ne Haut und die Küh­le dei­ner Stim­me. Sie sind im­mer, wie sie sein sol­len und könn­ten nicht an­ders sein. Und weißt du, ein Mann zeigt sich nun ein­mal gern mit ei­nem Mäd­chen wie du, de­ren Klei­der wie ein Traum an ihr sit­zen, und hört gern die an­de­ren Män­ner sa­gen: ›Wer ist Bil­lys neu­es Mä­del? Don­ner­wet­ter, ist die fesch! Die möcht ich gern mal zu fas­sen krie­gen!‹ Und der­glei­chen mehr.«

Und Sa­xon drück­te ihre Wan­ge ge­gen die sei­ne und fühl­te sich reich be­lohnt für die vie­len nächt­li­chen Stun­den, die sie mit Nä­hen ver­bracht, die vie­len qual­vol­len Stun­den, da sie schläf­rig über dem Näh­zeug ge­nickt hat­te, tod­mü­de nach der Ar­beit des Ta­ges, wäh­rend sie für ih­ren ei­ge­nen Be­darf die Ide­en neu schuf, wel­che sie von den ele­gan­ten Klei­dungs­stücken, die un­ter ih­rem flei­ßi­gen Ei­sen dampf­ten, ge­stoh­len hat­te.

»Wirst du mei­ner nie über­drüs­sig wer­den?« frag­te sie.

»Dei­ner über­drüs­sig? Weiß Gott, wir sind doch für ein­an­der ge­schaf­fen.«

»Ist es nicht wie ein Wun­der, Bil­ly, dass wir uns tref­fen soll­ten! Denk, wenn wir uns nie ge­trof­fen hät­ten. Es war doch der rei­ne Zu­fall.«

»Wir sind Glücks­kin­der«, er­klär­te er. »Das ist si­cher.«

»Vi­el­leicht ist es mehr als Zu­fall«, mein­te sie.

»Ge­wiss. Es ist Schick­sal. Nichts in der Welt hät­te uns von­ein­an­der fern­hal­ten kön­nen.«

Sie sa­ßen schwei­gend da, aber das Schwei­gen zit­ter­te von ei­ner Lie­be, die kei­ne Wor­te fand. Lang­sam zog er sie an sich, sei­ne Lip­pen zit­ter­ten an ih­rem Ohr, und sie hör­te ihn flüs­tern: »Was meinst du, wol­len wir zu Bett ge­hen?«

*

Vie­le Aben­de ver­brach­ten sie auf die­se Art. Zu­wei­len aber gin­gen sie aus und tanz­ten oder gin­gen ins Or­phe­um oder ins Bell-Thea­ter oder ins Kino und zu den Frei­tags­kon­zer­ten im City-Hall-Park. Sonn­tags pack­ten sie oft einen Früh­stücks­korb und fuh­ren mit Prin­ce und King, die Bil­lys Chef gern von ihm be­we­gen ließ, in die Ber­ge.

Je­den Mor­gen wur­de Sa­xon vom We­cker ge­weckt. Am ers­ten Mor­gen hat­te Bil­ly dar­auf be­stan­den, dass er mit ihr zu­sam­men auf­ste­hen und Feu­er im Herd ma­chen soll­te. Sie er­laub­te es ihm am ers­ten Mor­gen; aber spä­ter leg­te sie al­les abends zu­recht, so­dass sie am Mor­gen nichts zu tun hat­te, als ein Streich­holz an­zu­zün­den. Und dann zwang sie ihn, im Bett zu blei­ben und wei­ter­zu­schla­fen, bis sie ihn rief, wenn das Früh­stück fer­tig war. In den ers­ten Wo­chen gab sie ihm sein Es­sen mit. Dann kam eine Wo­che, in der er mit­tags nach Hau­se kam. Dann muss­te er wie­der Es­sen mit­neh­men. Es hing da­von ab, wie weit er zu fah­ren hat­te.

»Du machst es nicht rich­tig mit dei­nem Mann«, ver­si­cher­te Mary ihr. »Du be­dienst ihn zu sehr. Du ver­ziehst ihn ja di­rekt. Und er soll­te dich ver­zie­hen.«

»Er ist der Ver­sor­ger«, ant­wor­te­te Sa­xon. »Er ar­bei­tet schwe­rer als ich. Ich habe so viel Zeit üb­rig, dass ich nicht weiß, was ich da­mit ma­chen soll. Au­ßer­dem ver­zie­he ich ihn, weil ich ihn lie­be und weil … nun, weil ich es will.«