Jack London – Gesammelte Werke

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Wäh­rend sie durch die Stra­ßen mit dem leb­haf­ten Sonn­tag­mor­gen­ver­kehr fuh­ren, war sei­ne Auf­merk­sam­keit be­stän­dig den Pfer­den zu­ge­wandt, und mit ei­nem plötz­li­chen Ruck warf er sie seit­wärts, um zwei klei­nen Kna­ben aus­zu­wei­chen, die mit ei­nem klei­nen Wa­gen über die Stra­ße fuh­ren. Sa­xon sah ihn von der Sei­te an. Es war, als of­fen­bar­te sich ihr die Tie­fe sei­ner See­le, als sähe sie ihre in­ten­si­ve Kraft sich ent­la­den, sähe Fun­ken sei­ner ru­hen­den Ge­walt­tä­tig­kei­ten, Bo­ten aus dunklen Ge­gen­den, kalt und fern wie Ster­ne, Wild­heit, rei­ßend wie die ei­nes Wol­fes und rein wie die ei­nes Hengs­tes, Zorn, un­ver­söhn­lich wie der des To­de­sen­gels, und Ju­gend, die Feu­er und Le­ben war und sich we­der vor Zeit noch Raum beug­te. So saß sie ent­rückt und be­zau­bert da, wäh­rend ihr weib­li­ches Seh­nen Ab­grün­de über­brück­te, be­reit, ihn mit ih­rem gan­zen We­sen zu lie­ben. »Du Lie­ber, du Lie­ber!« mur­mel­te jede ge­hei­me Fi­ber ih­rer See­le.

»Bei Gott, Sa­xon«, nahm er den Fa­den wie­der auf. »Es gab Au­gen­bli­cke, da ich sie hass­te, da ich Lust ge­habt hät­te, über das Seil zu sprin­gen – den gan­zen Hau­fen zu­sam­men­zu­schla­gen, sie her­aus­zu­zer­ren und ih­nen zu zei­gen, was kämp­fen heißt. Wie zum Bei­spiel an dem Abend mit Bil­ly Mur­phy. Bil­ly Mur­phy! – Ich weiß nicht, ob du ihn kennst. Mein Freund. Ein so auf­rech­ter, präch­ti­ger Bur­sche, wie er nur je im Ring ge­stan­den hat. Bil­ly Mur­phy und ich wa­ren zu­sam­men zur Schu­le ge­gan­gen. Wir wuch­sen mit­ein­an­der auf und wa­ren im­mer gute Ka­me­ra­den. Sein Kampf war mein Kampf. War ich in der Klem­me, so stand er mir zur Sei­te. Wir wur­den bei­de Bo­xer. Ein Match wur­de zwi­schen uns ar­ran­giert. Es war nicht das ers­te­mal. Zwei­mal hat­ten wir un­ent­schie­den ge­kämpft. Ein­mal sieg­te ich und ein­mal er. Es war un­ser fünf­ter Kampf. Zwei Män­ner, die Freun­de wa­ren, ja eben Freun­de. Er ist drei Jah­re äl­ter als ich. Er hat eine Frau und zwei oder drei Kin­der, die ich auch ken­ne. Und er ist mein Freund. Ver­stehst du?

Ich wie­ge zehn Pfund mehr als er, aber beim Schwer­ge­wicht hat das nichts zu sa­gen. In Zeit und Ab­stand ist er nicht so gut wie ich, und ich bin aus­dau­ern­der als er, aber er ist ge­wand­ter und schnel­ler als ich. Ich ken­ne sei­ne Schlä­ge und er mei­ne, und wir ha­ben ehr­li­chen Re­spekt vor­ein­an­der. Und wir stan­den gleich. Zwei­mal un­ent­schie­den und je­der einen Sieg. Aber nun der Kampf – du kannst es wohl er­tra­gen, da­von zu hö­ren?«

»Ja, ja«, rief sie. »Ich möch­te es gern hö­ren. Du bist so pracht­voll.«

Er be­ant­wor­te­te das Kom­pli­ment mit ei­nem of­fe­nen, fes­ten Blick. Dar­über hin­aus aber ver­riet er nicht, dass es ihm Freu­de mach­te.

»Wir kämp­fen sechs Run­den – sie­ben Run­den – acht Run­den. Wir ste­hen gleich. Ich hat­te mir das Tem­po in sei­nen An­grif­fen ge­merkt und ihn mit der Lin­ken be­ar­bei­tet und sei­ne Pa­ra­de mit ei­nem klei­nen nied­ri­gen Schlag durch­sto­ßen, und er hat­te mir einen Kinn­ha­ken ge­ge­ben, dass es mir vor den Ohren saus­te. Und das al­les als zwei gute Freun­de. Al­les deu­te­te auf einen un­ent­schie­de­nen Kampf. Zwan­zig Run­den sind das höchs­te, weißt du.

Aber da hat er Pech. Wir ran­gen ge­ra­de mit­ein­an­der. Es war das ers­te­mal, und er zielt kurz auf mein Kinn – mit der Lin­ken – eine Schlaf­pil­le von der rech­ten Art, wenn er trifft. Ich duck­te mich, aber nicht schnell ge­nug. Und er trifft mich, bums, ge­ra­de an den Kopf. Ich will nicht leug­nen, dass ich Ster­ne sah. Aber es tat nicht weh und hat­te nichts zu be­deu­ten, denn es war hier oben, wo der Kno­chen dick ist. Und ge­ra­de da­bei be­kommt er sel­ber eins ab; denn sein schlech­ter Dau­men, den ich kann­te, seit er ihn krieg­te, als wir uns als klei­ne Jun­gen im Sand bei Watts Trakt schlu­gen – den Dau­men ver­staucht er sich an mei­ner har­ten Bir­ne. Ich hat­te es mir gar nicht so ge­dacht! Ein dre­cki­ger Trick, einen Mann sich die Hand am Kopf zer­schla­gen zu las­sen, wenn es auch im Ring an sich ganz fair ist. Aber nicht un­ter Freun­den – ich wür­de es nicht für eine Mil­li­on Dol­lar mit Bill Mur­phy so ge­macht ha­ben. Es war Pech, weil ich so lang­sam bin, weil ich lang­sam ge­bo­ren bin.

Ob es weh tut? Ich will dir et­was sa­gen, Sa­xon. Du weißt erst, was weh tut, wenn du dir einen sol­chen al­ten Scha­den wie­der auf­ge­frischt hast. Was kann Bil­ly Mur­phy tun als auf­ge­ben? Er ist fer­tig; er hat nur noch die eine Hand zum Kämp­fen. Er weiß es, ich weiß es, der Rich­ter weiß es, aber sonst kei­ner. Er schwingt wei­ter sei­nen ar­men lin­ken Arm, als wäre al­les in schöns­ter Ord­nung. Aber das ist es nicht. Es tut so weh, als stä­che man ihn mit Mes­sern. Er wagt nicht ein ein­zi­ges Mal, mit sei­ner Lin­ken rich­tig zu­zu­sto­ßen. Aber weh tut es doch. Ob er nun stößt oder nicht, es tut weh. Und je­der klei­ne Schlag, den ich nicht ein­mal pa­rie­re, weil ich weiß, dass kei­ne Wucht da­hin­ter ist, je­der klei­ne Schlag mit dem Dau­men geht ihm di­rekt ans Herz und schmerzt schlim­mer als tau­send Beu­len und tau­send Hie­be.

Er muss vor­sich­tig kämp­fen, und ich for­zie­re es auch nicht. Ich habe ganz den Kopf ver­lo­ren. Ich weiß nicht, was tun. So las­se ich denn nach, und die Idio­ten be­gin­nen zu brül­len. ›Wa­rum schlägst du nicht?‹ heu­len sie. ›Schie­bung!‹ ›Schie­bung!‹ ›Ihr soll­tet euch lie­ber küs­sen!‹ ›Ist er dei­ne Liebs­te, Bill Ro­berts?‹ Und sol­chen Un­sinn mehr.

›Kämp­fe!‹ sagt der Rich­ter lei­se und wü­tend zu mir. ›Kämp­fe, oder ich dis­qua­li­fi­zie­re dich. Dich, Bill. Du bist es, den ich mei­ne.‹ Das sagt er zu mir und be­rührt mei­ne Schul­ter, so­dass ein Irr­tum un­mög­lich ist.

So et­was ist nicht schön. Es ist nicht recht. Um was, meinst du, kämp­fen wir? Um hun­dert blan­ke Dol­lar. Denk dir! Und un­se­re Pf­licht war, un­ser Äu­ßers­tes zu tun, um den an­de­ren Knock­out zu schla­gen, weil die Teu­fel auf uns ge­wet­tet ha­ben. Es war mein letz­ter Kampf. Nie wie­der, sage ich dir.

›Gib auf‹, sage ich zu Bil­ly Mur­phy in ei­nem Clinch. ›Um Got­tes­wil­len, Bill, gib auf.‹ Und er flüs­tert zu­rück: ›Ich kann nicht Bill, das weißt du ja gut.‹

Der Rich­ter reißt uns aus­ein­an­der, und die Teu­fel heu­len und brül­len.

›Zum Teu­fel, schlag zu, Bill Ro­berts, tu ihn ab‹, sagt der Rich­ter zu mir, und ich er­su­che ihn, sich zur Höl­le zu sche­ren, und Bill und ich ge­hen wie­der in Clinch, und kei­ner von uns schlägt, und Bill stößt sich wie­der den Dau­men, und ich sehe, wie sein Ge­sicht sich vor Schmerz ver­zerrt. Sport? Bill ist so mu­tig wie nur ei­ner. Aber ei­nem mu­ti­gen Mann ins Auge zu se­hen, wenn er vor Schmer­zen krank ist – ihn lieb zu ha­ben und in sei­nen Au­gen zu se­hen, dass er einen lieb hat, und ihm dann wei­ter Schmer­zen be­rei­ten – ist das Sport? Ich kann es nicht se­hen. Aber das Pub­li­kum hat sein Geld auf uns ge­setzt. Wir hat­ten nichts zu sa­gen. Wir hat­ten uns für hun­dert blan­ke Dol­lar ver­kauft, und wir hat­ten nur zu pa­rie­ren.

Ich sage dir, Sa­xon, bei Gott, es war ei­ner der Au­gen­bli­cke, da ich Lust ge­habt hät­te, über das Seil zu sprin­gen, auf die Teu­fel los­zu­schla­gen, die nach Blut brüll­ten, und ih­nen zu zei­gen, was Blut ist.

›Um Got­tes­wil­len, mach ein Ende, Bill‹, sagt Bill zu mir und sieht mir brü­der­lich in die Au­gen, als der Rich­ter uns end­lich aus­ein­an­der ge­bracht hat.

Und die Wöl­fe und Teu­fel heu­len: ›Schie­bung! Schie­bung! Schie­bung!‹ Im­mer­fort.

Schön, ich tat es. Es gab kei­ne an­de­re Mög­lich­keit. Ich tat es. Ich tat es. Ich muss­te es tun. Ich ma­che eine Fin­te, dass er mit der Lin­ken aus­langt, du­cke mich ru­hig, so­dass er mir über die Schul­ter fährt, und dann hat er mei­ne Rech­te auf sei­nem Kinn. Und er kennt den Trick. Tau­send­mal hat er mich an­ge­führt, in­dem er den Stoß mit der Schul­ter emp­fing. Dies­mal aber tut er es nicht.

Ab­sicht­lich gibt er sich eine Blö­ße. Bums! Es trifft. Er ist so­fort er­le­digt und fällt seit­wärts um, das Ge­sicht zu Bo­den und bleibt ganz still lie­gen, den Kopf nach un­ten, so­dass es aus­sieht, als hät­te er sich den Hals ge­bro­chen. Das tat ich für hun­dert Dol­lar und um eine gan­ze Pö­bel­ban­de zu amü­sie­ren, die ich nicht mit der Feu­er­zan­ge an­rüh­ren möch­te. Und dann hob ich Bill in mei­ne Arme, trug ihn in sei­ne Ecke und half, ihn wie­der zum Be­wusst­sein zu brin­gen. Schön, sie sind zu­frie­den. Sie be­zahl­ten ihr Geld und krie­gen das Blut, das sie ha­ben wol­len, und einen ent­schie­de­nen Kampf. Und auf der Mat­te liegt ein bes­se­rer Mann als je­der von ih­nen – ein Mann, den ich lie­be, liegt da wie tot mit zer­schun­de­nem Ge­sicht.«

Eine Wei­le sah er schwei­gend über die Pfer­de hin­weg, mit ei­nem har­ten und zor­ni­gen Ge­sichts­aus­druck. Dann seufz­te er, sah Sa­xon an und lä­chel­te.

»Ich box­te nicht wie­der. Und Bil­ly Mur­phy lach­te mich des­halb aus. Er blieb da­bei – so als Ne­ben­ge­schäft, weißt du, denn er hat eine gute Stel­lung. Aber hin und wie­der ein­mal, wenn das Haus ge­stri­chen und die Dok­tor­rech­nung be­zahlt wer­den soll oder das äl­tes­te von den Kin­dern ein Fahr­rad ha­ben will, dann geht er für fünf­zig oder hun­dert Dol­lar in ei­nem Klub in den Ring. Ich möch­te, du lern­test ihn ein­mal ken­nen. Ein gan­zer Mann, ver­si­che­re ich dir. Aber an dem Abend war mir scheuß­lich elend zu­mu­te.«

Sein Ge­sicht war wie­der fins­ter und zor­nig ge­wor­den, und Sa­xon er­tapp­te sich da­bei, dass sie un­will­kür­lich et­was tun woll­te, was Frau­en, die hö­her auf der so­zia­len Ranglei­ter ste­hen, zu­wei­len of­fen und be­wusst tun. Mit ei­ner im­pul­si­ven Be­we­gung streck­te sie die Hand aus, leg­te sie auf die sei­ne, die die Zü­gel hielt und ließ sie dort einen Au­gen­blick mit ei­nem schnel­len, fes­ten Druck ru­hen. Ihr Lohn war ein Lä­cheln mit Lip­pen und Au­gen, und er wand­te ihr das Ge­sicht zu.

 

»Ko­misch«, sag­te er. »Ich habe nie mit ei­nem an­de­ren über so et­was ge­spro­chen. Ich pfle­ge sonst mei­ne Ge­dan­ken für mich zu be­hal­ten. Aber was auch der Grund sein mag, so habe ich je­den­falls das Ge­fühl, dass wir gute Freun­de wer­den müs­sen – ja, ist das nicht ko­misch? Und des­halb er­zäh­le ich dir mei­ne Ge­dan­ken. Tan­zen kann je­der.«

Der Weg ging auf­wärts, am Rat­haus und an den Wol­ken­krat­zern der vier­zehn­ten Stra­ße vor­bei, den Broad­way ent­lang, in der Rich­tung der Ber­ge. Am Kirch­hof bo­gen sie rechts ab, fuh­ren über die Pied­mont-Ber­ge nach dem Blair-Park und tauch­ten in den grü­nen küh­len Jack-Heyes-Ca­ny­on. Sa­xon ver­moch­te ihre Über­ra­schung und Freu­de über die Schnel­lig­keit, mit der sie vor­wärts ka­men, nicht zu ver­ber­gen.

»Wie schön sie sind!« sag­te sie. »Ich habe mir nie träu­men las­sen, dass ich je mit sol­chen Pfer­den fah­ren wür­de. Ich fürch­te, gleich auf­zu­wa­chen und zu mer­ken, dass es ein Traum ist. Weißt du, dass ich im­mer von Pfer­den träu­me! Ich weiß nicht, was ich tun wür­de, um ein­mal ei­nes zu be­sit­zen.«

»Das ist auch ko­misch«, ant­wor­te­te Bil­ly. »Aber ich lie­be Pfer­de ge­nau wie du. Mein Chef sagt, ich sei Pfer­de­ken­ner. Und ich weiß, dass er selbst ein Esel ist. Er ver­steht nichts da­von. Und da­bei hat er doch zwei­hun­dert große, schwe­re Ar­beits­pfer­de au­ßer den zwei leich­ten Kutsch­p­fer­den, und ich habe nicht ein ein­zi­ges. Ist das nicht zum Toll­wer­den?«

»Ja, das ist es«, lach­te Sa­xon ver­ständ­nis­voll. »Wenn es et­was gibt, das ich lie­be, so sind es fei­ne Blu­sen, und ich ver­brin­ge mei­ne Tage da­mit, die schöns­ten Blu­sen von der Welt zu plät­ten. Das ist schwer, und es ist nicht, wie es sein soll­te.«

Bil­ly knirsch­te in ei­nem neu­en Wu­t­an­fall mit den Zäh­nen.

»Es macht mich krank, wenn ich dar­an den­ke, dass du sie plät­test. Es wäre eine ver­fluch­te Welt, wenn Män­ner und Frau­en nicht hin und wie­der ein­mal dar­über re­den könn­ten.« Es klang wie eine hal­be Ent­schul­di­gung, und doch war ein ge­wis­ser selbst­si­che­rer Trotz dar­in zu hö­ren. »Ich rede nicht mit an­de­ren Mäd­chen dar­über. Die wür­den nur glau­ben, dass ich Hin­ter­ge­dan­ken da­bei hät­te. Ihre Angst, dass man im­mer Hin­ter­ge­dan­ken hat, kann einen krank ma­chen. Aber du bist nicht so. Mit dir kann ich re­den. Du bist wie Bil­ly Mur­phy oder sonst ir­gend­ein Mann, mit dem man re­den kann.«

Sie seufz­te glück­se­lig und sah ihn, ohne es zu wis­sen, mit Au­gen an, die vor Ver­liebt­heit strahl­ten.

»Mir geht es eben­so«, sag­te sie. »Mit den jun­gen Leu­ten, mit de­nen ich spa­zie­ren­ging, wag­te ich nie, über so et­was zu re­den aus lau­ter Angst, dass sie es miss­brau­chen wür­den. Ja, ei­gent­lich habe ich im­mer, wenn ich mit ih­nen zu­sam­men war, das Ge­fühl ge­habt, dass wir uns narr­ten und an­lo­gen und Ko­mö­die spiel­ten, als wäre man auf ei­nem Mas­ken­ball.« Sie schwieg, wie um sich zu be­den­ken, und fuhr dann mit selt­sam lei­ser Stim­me fort: »Ich bin nicht schla­fend durch die Welt ge­gan­gen – ich habe ge­se­hen und ge­hört. Ich habe mei­ne Chan­cen ge­habt, und ich bin des Plät­tens so müde ge­we­sen, dass ich al­les hät­te tun kön­nen. Ich hät­te die fei­nen Blu­sen ha­ben kön­nen – und al­les an­de­re – und Pferd und Wa­gen dazu, wer weiß? Da war ein Bank­kas­sie­rer – ein ver­hei­ra­te­ter Mann noch dazu, warum nicht? Er re­de­te ganz of­fen mit mir. Mit mir wur­de nicht ge­rech­net, ver­stehst du? Ich war kein jun­ges Mäd­chen mit den Ge­füh­len ei­nes jun­gen Mäd­chens. Ich war eine Null. Es war eine rei­ne Ge­schäftssa­che. Er –«

Ihre Stim­me senk­te sich wie in Kum­mer, und in dem ein­ge­tre­te­nen Schwei­gen konn­te sie hö­ren, wie Bil­ly mit den Zäh­nen knirsch­te.

»Du brauchst mir nichts wei­ter zu er­zäh­len«, rief er. »Ich ken­ne das. Es ist eine dre­cki­ge Welt, eine ge­mei­ne, lau­si­ge Welt. Ich ver­ste­he sie nicht. Es gibt kei­ne Ge­rech­tig­keit in ihr. Die Frau wird wie ein Pferd ge­kauft und ver­kauft, mit dem Bes­ten, das in ihr ist. Ich ver­ste­he die Frau­en nicht. Ich ver­ste­he die Män­ner nicht. Mei­ner An­sicht nach muss ein Mann be­tro­gen wer­den, wenn er so kauft. Wie zum Bei­spiel mein Chef und sei­ne Pfer­de. Er hat auch Frau­en. Er hät­te dich mit­ha­ben kön­nen, nur weil er reich ist. Und du, Sa­xon, du bist für fei­ne Blu­sen und der­glei­chen ge­schaf­fen. Aber bei Gott, ich wür­de es nicht er­tra­gen, dass du den Preis da­für be­zahl­test. Das wäre ein Ver­bre­chen –«

Er schwieg plötz­lich und straff­te die Zü­gel. Bei ei­ner schar­fen Bie­gung kam ih­nen ein Au­to­mo­bil ge­ra­de ent­ge­gen­ges­aust. Es brems­te krei­schend und hielt an, wäh­rend die Ge­sich­ter der In­sas­sen sich plötz­lich beim An­blick der bei­den jun­gen Men­schen in dem leich­ten Fuhr­werk, das ih­nen den Weg ver­sperr­te, be­leb­ten. Bil­ly hob die Hand.

»Fah­ren Sie an den We­grand«, sag­te er zum Chauf­feur.

»Nicht zu ma­chen, Freund­chen«, ant­wor­te­te der Chauf­feur und maß mit sach­ver­stän­di­gem Blick den lo­cke­ren Rand des We­ges und die Tie­fe des Ab­grunds. »Dann hal­ten wir«, er­klär­te Bil­ly freund­lich. »Ich ken­ne die Re­geln der Stra­ße. Die­se Tie­re sind ein biss­chen au­to­mo­bil­scheu. Wenn Sie glau­ben, dass ich sie hier auf dem Hü­gel ängst­lich ge­macht ha­ben will, dann ir­ren Sie sich.«

Ein wir­res Sum­men ge­kränk­ter pro­tes­tie­ren­der Stim­men er­klang aus dem Wa­gen.

»Sie brau­chen nicht gleich als Land­stra­ßen­räu­ber auf­zu­tre­ten, weil Sie ein Bau­ern­lüm­mel sind«, sag­te der Chauf­feur. »Wir wol­len Ihren Pfer­den nichts tun. Wei­chen Sie aus, dass wir vor­bei­kom­men. Wenn nicht – –«

»Wei­chen Sie sel­ber aus«, er­tön­te Bil­lys Ant­wort. »So kön­nen Sie nicht mit mir re­den. Ich ken­ne Sie. Ma­chen Sie, dass Sie weg­kom­men. Fah­ren Sie rück­wärts den Hang hin­auf und hal­ten Sie sich bei der ers­ten Stel­le, wo Platz ge­nug zum Aus­wei­chen ist, ganz rechts.«

Nach ei­ner furcht­sa­men Be­ra­tung mit den an­de­ren In­sas­sen des Au­to­mo­bils ge­horch­te der Chauf­feur. Das Au­to­mo­bil fuhr rück­wärts die An­hö­he hin­auf und ver­schwand hin­ter der Weg­bie­gung.

»So ein Pack«, sag­te Bil­ly är­ger­lich zu Sa­xon. »Wenn sie ein paar Li­ter Ben­zin ha­ben und sich einen Wa­gen leis­ten kön­nen, glau­ben sie gleich, dass die Wege, die dei­ne und mei­ne El­tern ge­macht ha­ben, ih­nen al­lein ge­hö­ren.«

»Sol­len wir hier die gan­ze Nacht war­ten?« er­tön­te die Stim­me des Chauf­feurs hin­ter der Weg­bie­gung. »Ma­chen Sie, dass Sie wei­ter­kom­men. Die Pas­sa­ge ist frei.«

»Hal­ten Sie den Mund«, ant­wor­te­te Bil­ly ver­ächt­lich. »Ich kom­me, wann ich kom­me, und wenn Sie nicht Platz ge­nug ma­chen, fah­re ich glatt über Sie und Ihre La­dung Hüh­ner hin­weg.«

Er ließ den un­ru­hi­gen Tie­ren ein ganz klein we­nig die Zü­gel, und ohne dass er die Peit­sche ge­brau­chen muss­te, zo­gen sie den leich­ten Wa­gen bergan und pas­sier­ten ängst­lich und scheu die lär­men­de Ma­schi­ne.

»Wo wa­ren wir ste­hen ge­blie­ben?« frag­te Bil­ly, als sie wie­der freie Bahn hat­ten. »Ja, bei mei­nem Chef. Wa­rum soll er zwei­hun­dert Pfer­de und Frau­en und al­les Mög­li­che ha­ben und du und ich nichts?«

»Du hast dei­ne Sei­de, Bil­ly«, sag­te sie sanft.

»Und du dei­ne. Aber wir ver­kau­fen sie an an­de­re, wie man Stof­fe an der The­ke für so und so viel die Elle ver­kauft. Du weißt selbst am bes­ten, was ein paar Jah­re in der Plät­te­rei für dich be­deu­ten. Und ich sel­ber! Ich ver­kau­fe mei­ne Sei­de je­den Tag, wenn ich ar­bei­te. Sieh den klei­nen Fin­ger hier.« Er nahm die Zü­gel in die eine Hand und hob die an­de­re, die jetzt frei war, hoch, so­dass sie sie se­hen konn­te. »Ich kann ihn nicht wie die an­de­ren aus­stre­cken, und das wird im­mer schlim­mer. Das kommt vom Fah­ren. Hast du je die Hän­de ei­nes al­ten Kut­schers ge­se­hen? Sie glei­chen Kral­len, so krumm und ver­krüp­pelt sind sie.«

»In den Ta­gen, als un­se­re Vä­ter über die Prä­rie gin­gen, sah das Le­ben an­ders aus«, ant­wor­te­te sie. »Sie be­ka­men auch krum­me Fin­ger, aber was es an Pfer­den und der­glei­chen gab, ge­hör­te ih­nen.«

»Eben. Sie ar­bei­te­ten für sich. Sie mach­ten sich die Fin­ger für sich sel­ber krumm. Aber ich ma­che mir die Fin­ger für mei­nen Chef krumm. Kannst du dir den­ken, Sa­xon, dass sei­ne Hän­de so weich sind wie die ei­ner Frau, die nie et­was ge­tan hat. Und doch ge­hö­ren Pfer­de und Stäl­le ihm, ob­wohl er nie ein ehr­li­ches Stück Ar­beit ver­rich­tet hat, wäh­rend ich mich ab­schin­de, um Es­sen und Klei­der zu ver­die­nen. Al­les geht den falschen Weg. Und wer hat Schuld dar­an? Sieh, das möch­te ich gern wis­sen. Die Zei­ten sind an­ders ge­wor­den. Wer hat sie ver­än­dert?«

»Nicht Gott.«

»Nein, dar­auf kannst du dei­nen Kopf set­zen, nicht er. Und das ist auch eine der Fra­gen, die ich stel­le. Wer ist al­les in al­lem Gott? Falls er die Din­ge ord­net – und wenn er es nicht tut, wozu ist er dann da? – warum lässt er dann mei­nen Chef und Män­ner wie den Bank­kas­sie­rer, von dem du sprachst, warum lässt er die dann Pfer­de be­sit­zen und Frau­en, an­stän­di­ge klei­ne Mäd­chen kau­fen, die gern ihre ei­ge­nen Män­ner lie­ben und Kin­der, de­ren sie sich nicht zu schä­men brauch­ten, be­kom­men und auf ihre Art glück­lich sein möch­ten?«

*

Die Pfer­de, die häu­fig ras­ten durf­ten und von der An­stren­gung schäum­ten, hat­ten den stei­len Weg nach dem Mora­ga­tal er­klom­men, und dort, wo es auf der einen Sei­te zu den Con­tra-Cos­ta-Hö­hen hin­auf­ging, senk­te sich der Weg plötz­lich in die grü­ne, son­nen­be­schie­ne­ne Stil­le des Rie­sen­tan­nen-Ca­ny­ons.

»Sag, ist das nicht herr­lich?« frag­te Bil­ly, in­dem er eine Hand­be­wa­gung mach­te, die die Bäu­me, das rie­seln­de Geräusch des Was­sers, das man nicht sah, und das som­mer­li­che Sum­men der Bie­nen um­fass­te.

»Herr­lich«, gab Sa­xon zu. »Da möch­te ich schon auf dem Lan­de woh­nen, was ich noch nie ge­tan habe.«

»Ich auch nicht, Sa­xon. Ich habe nie in mei­nem Le­ben auf dem Lan­de ge­wohnt, ob­wohl mei­ne Fa­mi­lie von dort stammt.«

»Da­mals gab es noch kei­ne Städ­te, alle wohn­ten auf dem Lan­de.«

»Da hast du si­cher recht«, nick­te er. »Sie muss­ten auf dem Lan­de woh­nen.«

Das leich­te Fuhr­werk hat­te kei­ne Brem­se, und Bil­lys Auf­merk­sam­keit wur­de jetzt ganz da­von in An­spruch ge­nom­men, die Pfer­de den stei­len, ge­wun­de­nen Weg hin­ab­zu­len­ken. Sa­xon lehn­te sich zu­rück und schloss mit ei­nem Ge­fühl un­sag­ba­ren Wohl­be­ha­gens die Au­gen.

»Was gibt es?« frag­te Bil­ly schließ­lich nach ei­nem Weil­chen un­ru­hig. »Dir ist doch nicht schlecht?«

»Es ist so herr­lich, dass ich mich fürch­te, es an­zu­se­hen. Es ist so stolz, dass es schmerzt.«

»Stolz? Das klingt doch merk­wür­dig.«

»Vi­el­leicht. Aber so füh­le ich es. Es ist stolz. We­der die Häu­ser noch die Stra­ßen oder sonst et­was von der Stadt ist stolz. Aber dies hier ist es. Ich weiß nicht, warum. Aber es ist so.«

»Ich glau­be fast, du hast recht«, rief er. »Jetzt, da du es sagst, fällt es mir auf. Dies hier ist we­der Sport noch Streik, we­der Schie­bung noch Lüge. Die Bäu­me hier ste­hen auf­recht, na­tür­lich und red­lich wie jun­ge Ker­le da, die zum ers­ten Mal im Ring sind, ehe sie ler­nen, zu schie­ben und dem Sport­teu­fel und an­derm fau­len Zau­ber zu op­fern. Ja, es ist stolz. Weißt du, Sa­xon, du kannst wirk­lich se­hen.« Er schwieg bei­na­he de­mü­tig, be­trach­te­te sie aber mit ei­nem so zärt­li­chen Blick, dass ein ver­rä­te­risches Zit­tern ih­ren gan­zen Kör­per durch­flog. »Weißt du, ich möch­te, dass du mich ein­mal bo­xen sä­hest. In ei­nem rich­ti­gen Kampf, wo im­mer­zu et­was ge­schä­he. Ich wäre mäch­tig stolz dar­auf, wenn du zu­sä­hest. Ich wür­de ge­win­nen, glau­be ich, wenn du zu­sä­hest und al­les ver­stän­dest. Das soll­te ein Kampf wer­den, glau­be mir. Und merk­wür­dig, ich habe noch nie in mei­nem Le­ben ge­wünscht, dass eine Frau mich kämp­fen se­hen soll­te. Sie schrei­en und krei­schen und ver­ste­hen nichts da­von. Aber du wür­dest es ver­ste­hen. Si­cher, du wür­dest es ver­ste­hen.«

Als sie kurz dar­auf in die Tal­soh­le ein­bo­gen und durch die Ro­dung fuh­ren, wo die Bau­ern­hö­fe la­gen und das rei­fe Ge­trei­de gol­den im Son­nen­schein stand, wand­te Bil­ly sich wie­der zu Sa­xon.

»Sag mal, du bist na­tür­lich oft ver­liebt ge­we­sen. Wie ist es da­mit?«

 

Sie schüt­tel­te den Kopf.

»Ich bil­de­te mir nur ein, ver­liebt zu sein, und nicht oft!«

»Doch, oft!« rief er.

»Nie im Ernst«, ver­si­cher­te sie, wäh­rend sie sich im stil­len über die Ei­fer­sucht freu­te, die er, ohne es zu wis­sen, ver­riet. »Ich bin nie im Ernst ver­liebt ge­we­sen. Wäre ich es, dann wür­de ich jetzt ver­hei­ra­tet sein. Denn wenn ich in einen Mann ver­liebt wäre, was soll­te ich an­ders tun, als ihn hei­ra­ten?«

»Aber ge­setzt, er wäre nicht in dich ver­liebt?«

»Ach, ich weiß nicht.« Sie lä­chel­te, aber nicht ohne ein ge­wis­ses Selbst­ge­fühl. »Ich glau­be fast, ich müss­te ihn dazu brin­gen kön­nen, sich in mich zu ver­lie­ben.«

»Ja, das glau­be ich auch«, er­klär­te Bil­ly be­geis­tert.

»Aber lei­der«, fuhr sie fort, »mach­te ich mir nie et­was aus den Män­nern, die in mich ver­liebt wa­ren. – Ach, sieh!«

Ein Ka­nin­chen war über den Weg ge­lau­fen und hin­ter­ließ eine dün­ne Staub­wol­ke, die wie ein Rauch­strei­fen den Weg sei­ner Flucht be­zeich­ne­te. Bei der nächs­ten Bie­gung ex­plo­dier­te ein Volk Reb­hüh­ner ge­ra­de vor der Nase der Pfer­de. Bil­ly und Sa­xon bra­chen in lau­ten Ju­bel aus.

»Gro­ßer Gott«, sag­te er, »ich wünsch­te förm­lich, dass ich Bau­er ge­wor­den wäre. Wir Men­schen sind nicht dazu ge­schaf­fen, in Städ­ten zu le­ben.«

»Je­den­falls nicht Men­schen wie wir«, räum­te sie ein. Und nach ei­ner kur­z­en Pau­se füg­te sie mit ei­nem tie­fen Seuf­zer hin­zu: »Al­les ist hier so schön. Es müss­te wie ein Traum sein, sein gan­zes Le­ben hier zu le­ben. Ich wünsch­te manch­mal, ich wäre eine In­dia­ne­rin.«

Bil­ly woll­te ein paar­mal et­was sa­gen, be­zwang sich aber im­mer wie­der im letz­ten Au­gen­blick. End­lich kam es.

»Aber die­se Bur­schen, die in dich ver­liebt wa­ren. Von de­nen hast du mir nichts er­zählt.«

»Möch­test du das so gern wis­sen«, frag­te sie. »Es hat gar kei­ne Be­deu­tung.«

»Selbst­ver­ständ­lich möch­te ich es gern wis­sen. Los! Er­zäh­le.«

»Schön. Zu­erst war da Al St­an­ley –«

»Was war der?« frag­te Bil­ly halb ge­bie­te­risch.

»Er war Spie­ler.«

Bil­lys Ge­sicht ver­zog sich, und sie konn­te se­hen, wie sich der Zwei­fel in dem schnel­len Blick, den er ihr sand­te, sam­mel­te.

»Ja, es ist wahr«, lach­te sie. »Ich war erst acht Jah­re alt. Du siehst, dass ich mit dem An­fang be­gin­ne. Nach dem Tode mei­ner Mut­ter nahm Cady mich zu sich. Er hat­te ein Ho­tel und eine Wirt­schaft. Es war in Los An­ge­les, ein ganz klei­nes Ho­tel, wo die Ei­sen­bahn­ar­bei­ter und der­glei­chen Leu­te ver­kehr­ten. Und ich glau­be, dass Al St­an­ley von ih­rem Lohn leb­te. Er war so hübsch und so ru­hig und hat­te eine so wei­che Stim­me. Und sehr schö­ne Au­gen hat­te er und die weichs­ten, wei­ßes­ten Hän­de. Ich sehe sie noch vor mir. Er spiel­te manch­mal nach­mit­tags mit mir, gab mir Bon­bons und klei­ne Ge­schen­ke. In der Re­gel ver­schlief er den größ­ten Teil des Ta­ges. Da­mals wuss­te ich nicht, wes­halb. Ich glaub­te, er wäre et­was wie ein ver­klei­de­ter Prinz. Und dann wur­de er in der Schank­stu­be ge­tö­tet. Aber vor­her tö­te­te er den Mann, der ihn tö­te­te. So en­de­te die­se Lie­bes­ge­schich­te.

Der nächs­te kam, als ich das Asyl ver­las­sen hat­te – ich war da­mals drei­zehn Jah­re alt und wohn­te bei mei­nem Bru­der – wir ha­ben seit­dem im­mer zu­sam­men ge­wohnt. Es war ein Jun­ge, der einen Bäcker­wa­gen fuhr. Ich traf ihn fast je­den Mor­gen auf dem Schul­weg. Er kam zu der Zeit durch die Wood Street und bog in die Zwölf­te ein. Vi­el­leicht war es der Um­stand, dass er mit ei­nem Pferd fuhr, was mich an­zog. Was es auch war, je­den­falls war ich ein paar Mo­na­te lang in ihn ver­liebt. Dann ver­lor er sei­ne Stel­lung oder was sonst ge­sch­ah –, je­den­falls fuhr von jetzt an ein an­de­rer Jun­ge den Bäcker­wa­gen. Und wir ge­lang­ten nicht ein­mal so weit, dass wir mit­ein­an­der spra­chen.

Der drit­te kam, als ich sech­zehn Jah­re alt war, er war Buch­hal­ter. Es scheint fast, dass ich zu Buch­hal­tern pas­se. Der, den Char­ley Long über­fiel, war auch Buch­hal­ter. Die­sen traf ich, als ich in Hick­meyers Fa­brik ar­bei­te­te. Er hat­te auch wei­che Hän­de. Aber ich hat­te bald ge­nug von ihm. Er war – nun ja, er war so wie dein Chef. Und of­fen ge­stan­den, Bil­ly, ich war nie ernst­haft in ihn ver­liebt. Ich fühl­te von An­fang an, dass er nicht war, wie er sein soll­te. Und als ich in der Kar­to­na­gen­fa­brik ar­bei­te­te, glaub­te ich eine Wei­le, in einen Kom­mis aus Kahns Wa­ren­haus, du weißt, in der Elf­ten Ave­nue, ver­liebt zu sein. Er war un­ge­heu­er kor­rekt. Das eben war das Lang­wei­li­ge an ihm. Er war zu kor­rekt – gar kein rich­ti­ger Mann. Aber er woll­te mich zur Frau ha­ben. Das war mir noch nicht ein­mal auf­ge­gan­gen. Das be­weist, dass ich nicht in ihn ver­liebt war. Er war schmal­brüs­tig und ma­ger, und sei­ne Hän­de wa­ren im­mer kalt und feucht. Aber du großer Gott, wie er ge­klei­det ging! Wie aus ei­nem Mo­de­jour­nal aus­ge­schnit­ten. Er sag­te, er wol­le ins Was­ser ge­hen und der­glei­chen, aber ich mach­te doch Schluss.

Und da­nach … ja, da­nach gibt es nichts mehr. Ich war viel­leicht et­was an­spruchs­voll ge­wor­den, aber ich traf kei­nen, in den ich mich hät­te ver­lie­ben kön­nen. Mit den Män­nern, de­nen ich be­geg­ne­te, war es eher eine Art Spiel oder Kampf. Und kei­ner von uns kämpf­te ganz ehr­lich. Char­ley Long, der war al­ler­dings ehr­lich, und der Bank­kas­sie­rer üb­ri­gens auch. Aber die lie­ßen mich nur de­sto stär­ker füh­len, wie schwer der Kampf war. Und alle lehr­ten mich, selbst auf mich zu ach­ten. Sie ta­ten es nicht. Das ist si­cher.«

Sie hielt inne und be­trach­te­te auf­merk­sam sein rei­nes Pro­fil, wäh­rend er auf die Pfer­de ach­te­te. Plötz­lich sah er sie for­schend an, und sie lä­chel­te ihn schläf­rig an, wäh­rend sie die Arme reck­te.

»Ja, das ist al­les«, schloss sie. »Ich habe dir al­les er­zählt, was ich noch nie ei­nem Men­schen er­zählt habe. Und jetzt bist du an der Rei­he.«

»Da ist nicht viel zu er­zäh­len, Sa­xon. Ich habe mir nie et­was aus Mäd­chen ge­macht – ich mei­ne, nicht so, dass ich sie hät­te hei­ra­ten mö­gen. Ich habe mir im­mer mehr aus Män­nern ge­macht – aus sol­chen wie Bil­ly Mur­phy. Au­ßer­dem hat­te ich zu viel mit Trai­nie­ren und Bo­xen zu tun, als dass ich Zeit ge­habt hät­te, mich um Mäd­chen zu küm­mern. So si­cher ich nicht ganz ge­we­sen bin, wie ich hät­te sein sol­len – du ver­stehst, was ich mei­ne – so si­cher habe ich noch zu kei­nem Mäd­chen von Lie­be ge­spro­chen.«

»Aber die Mäd­chen sind doch in dich ver­liebt ge­we­sen«, neck­te sie ihn, wäh­rend ihr Herz vor ver­wun­der­ter Freu­de über sein keu­sches Ge­ständ­nis schwoll.

»Nun ja, da­für konn­te ich nichts«, sag­te er nach­denk­lich. »Du weißt nicht, Sa­xon, wie sie ei­nem Bo­xer nach­lau­fen. Aber der Mann, der sich so von ih­nen in die Ta­sche ste­cken lässt, ist ein gu­ter Dumm­kopf.«

»Vi­el­leicht bist du ein Mensch, der sich gar nicht ver­lie­ben kann«, mein­te sie her­aus­for­dernd.

»Kann sein«, lau­te­te sei­ne we­nig er­mu­ti­gen­de Ant­wort. »Je­den­falls kann ich es mir nicht gut den­ken, mich in ein Mäd­chen, das es dar­auf an­legt, zu ver­lie­ben.«

»Mei­ne Mut­ter sag­te stets, Lie­be sei die größ­te Macht in der Welt«, sag­te Sa­xon. »Sie schrieb auch Ge­dich­te dar­über. Ei­ni­ge da­von wur­den im ›San José Mer­cu­ry‹ ver­öf­fent­licht.«