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Das adelige Nest

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Zweites Kapitel

Inzwischen brach der Abend an und Maria Dmitriewna äußerte den Wunsch, nach Hause zurückzukehren. Mit Mühe konnte man die kleinen Mädchen vom Teiche abziehen, und reisefertig machen. Lawretzky sagte, er würde seine Gäste die Hälfte des Weges begleiten und ließ sich ein Pferd satteln.

Als er Maria Dmitriewna in die Kalesche setzte, sah er sich nach Lemm um, der Alte war nirgends zu finden, er war gleich nach dem Angeln verschwunden. Mit einer, für seine Jahre bewunderungswürdigen Kraft schlug Anton die Wagenthür zu und schrie finster dem Kutscher zu: »Fort!«

Der Wagen fuhr ab; auf dem Rücksitz saß Maria Dmitriewna und Liese; auf dem Vordersitz die beiden kleinen Mädchen und das Kammermädchen. Der Abend war warm und still und die Wagenfenster waren von beiden Seiten offen.

Lawretzky ritt im Trabe neben der Kalesche auf der Seite wo Liese saß hin, und seine Hand war auf die Thür der Kalesche gelehnt. Er hatte die Zügel auf den Hals des gleichmäßig dahin trabenden Pferdes geworfen, und wechselte, aber äußerst selten, zwei drei Worte mit dem jungen Mädchen. Die Abendröthe war entschwunden; die Nacht war angebrochen, die Luft aber sogar schwüler geworden. Maria Dmitriewna schlummerte bald ein; die Kinder und das Kammermädchen versanken auch bald in Schlaf. Schnell und gleichmäßig rollte der Wagen dahin; Liese hatte sich vorwärts gebeugt; der eben aufgegangene Mond beschien ihr Gesicht, ein dichter Nachtwind umwehte ihre Augen und Wangen. Sie fühlte sich so wohl! Ihre Hand lag auf der Wagenthür neben Lawretzkys Hand. Er auch, er fühlte sich so wohl; er ritt in der stillen und warmen Nacht dahin, sein Auge von dem gutmüthigen, jungen Gesicht nicht abwendend und die junge, leise klingende Stimme anhörend, die von einfachen, schönen Dingen sprach; er hatte es nicht bemerkt, daß der halbe Weg schon zurückgelegt war. Er wollte Maria Dmitriewna nicht wecken, drückte Liese leise die Hand und sagte: »Nicht wahr jetzt sind wir Freunde?« Sie nickte mit dem Kopfe, er hielt sein Pferd an. Leise sich schaukelnd rollte der Wagen weiter, Lawretzky ritt im Schritt nach Hause. Der Zauber der Nacht erfaßte ihn; Alles rings umher schien so unerwartet-sonderbar und zugleich so lange schon und so süß bekannt, nah und fern, – denn das Auge konnte weithin schauen, obgleich es vieles nicht unterscheiden konnte; Alles ruhte, ein junges, aufblühendes Leben sprach sich in dieser Ruhe aus.

Rüstig trabte Lawretzky‘s Pferd, gleichmäßig sich nach rechts und links schaukelnd; sein langer schwarzer Schatten lief mit ihm parallel; es war etwas geheimnißvoll Angenehmes im tactmäßigen Schlage seiner Hufschläge, etwas Fröhliches und reizend Schönes im Gesange der Wachteln. Die Sterne hatten sich in eine Art von hellem Rauche getaucht, des Mondes Licht war fest und kraftvoll. Als blauer Strom ergoß es sich über das Himmelszelt und fiel als goldene Streifen, auf die ihm nahe vorbeieilenden, kleinen Wölkchen. Die nächtliche Frische lockte auf die Augen eine leichte Feuchtigkeit, umfing freundlich den ganzen Körper und ergoß sich als freie Woge auf die Brust. Lawretzky genoß, und freute sich seines Genusses.

Nun! wir werden noch leben, dachte er; noch nicht ganz hat uns getödtet . . . Er sagte nicht wer und was. Dann dachte er an Liese, daran, daß sie schwerlich Panschin liebe; daß wenn er sie unter andern Verhältnissen getroffen hätte, – Gott weiß, was hätte geschehen können; daß er Liese verstehe, obgleich sie nicht »eigene« Worte habe. Ja, und auch das ist nicht wahr: sie hat eigene Worte . . . »Sprechen Sie davon nicht so leichtsinnig,« auch dieser Worte erinnerte er sich. Lange ritt er mit gebücktem Kopfe dahin, dann richtete er sich gerade und sagte langsam und gedehnt: »Und ich verbrannte Alles, was ich hab vergöttert, und knie jetzt vor dem, was früher ich verbrannt . . . Doch schlug er denselben Augenblick das Pferd mit der Reitgerte und ritt bis zu seinem Hause in gestrecktem Galopp.

Als er vom Pferde stieg, blickte er sich noch einmal um und ein unwillkürliches dankbares Lächeln ,spielte auf seinen Lippen. Nacht, schweigsame freundliche Nacht breitete sich über Hügel und Thäler. Aus der Ferne, aus ihrer duftenden Tiefe, Gott weiß, woher – ob vom Himmel oder von der Erde, wehte leise sanfte Wärme. Lawretzky schickte einen letzten Gruß an Liese – und eilte die Treppe hinauf.

Der folgende Tag verging ziemlich langweilig; vom Morgen an regnete es; Lawretzky blickte finster und preßte fester und fester die Zähne zusammen, als hätte er sich den Schwur gegeben, dieselben niemals wieder zu öffnen. Beim Schlafengehen nahm Lawretzky mit sich aufs Bett einen ganzen Haufen französischer Zeitungen, die mehr denn zwei Wochen bei ihm aus den Tisch lagen, ohne daß er sich die Mühe genommen hätte, sie zu öffnen. Gleichgültig zerriß er die Couverts und durchblickte die Zeitungsspalten, die aber übrigens nichts Neues enthielten. Schon wollte er sie unter den Tisch werfen, als er mit einem Male aufsprang, als hätte ihn eine Schlange gebissen. Im Feuilleton einer der Zeitungen theilte der uns schon bekannte Mr. Jules folgende »traurige Nachricht« mit: Die reizende, bezaubernde Moskauerin, schrieb er, – eine der Königinnen der Mode, der Schmuck der pariser Salon‘s Madame von Lawretzky ist eines fast augenblicklichen Todes gestorben, – diese, leider nur zu wahre Nachricht sei an ihn, Herrn Jules soeben gelangt. Er sei, fuhr er fort, so zu sagen, der Freund der Verstorbenen gewesen . . .

Lawretzky kleidete sich an, ging in den Garten hinab und spazierte bis Tagesanbruch in derselben Allee hin und her.

Drittes Kapitel

Den nächsten Morgen bat Lemm, beim Thee, Lawretzky um Pferde, um in die Stadt zurückzukehren. »Ich muß mich wieder an die Arbeit machen,« bemerkte der Alte, »hier verliere ich umsonst meine Zeit.« Nicht gleich, gab ihm Lawretzky Antwort: er schien zerstreut zu sein. »Gut» sagte er endlich, »ich selbst will mit Ihnen fahren.« Ohne die Hilfe eines Dieners in Anspruch zu nehmen, krächzend und sich ärgernd, packte Lemm seinen kleinen Koffer, zerriß und verbrannte einige Bogen Notenpapier. Der Wagen fuhr vor. Aus seinem Cabinet tretend, steckte Lawretzky die gestrige Zeitungsnummer in seine Tasche.

Unterwegs sprachen Lemm und Lawretzky wenig mit einander; Jeden beschäftigten seine eigenen Gedanken und Jeder war froh, daß der Andere ihn nicht störte. Sie trennten sich ziemlich kalt, was übrigens in Rußland bei Freunden häufig vorkommt. Lawretzky brachte den Alten bis an sein Haus und jener stieg aus dem Wagen, holte seinen Koffer hervor und ohne seinem Freunde die Hand zu reichen (er hielt den Koffer mit beiden Händen), ohne ihn selbst anzusehen, sagte er ihm Adieu. —

»Adieu!« wiederholte Lawretzky und befahl seinem Kutscher, in seine Wohnung zu fahren, – er hatte sich in O. ein Absteigequartier gemiethet. Hier schrieb er einige Briefe, nahm ein leichtes Mittagsessen zu sich und fuhr zu den Kalitins. Er fand bei ihnen im Saale nur Panschin, welcher ihm sagte, Marie Dmitriewna würde gleich kommen und mit der zuvorkommendsten Liebenswürdigkeit mit ihm eine Unterhaltung begann. Bis zum heutigen Tage war Panschins Benehmen gegen Lawretzky – wenn auch nicht stolz, doch herablassend gewesen; Liese aber, Panschin ihre gestrige kleine Reise erzählend, hatte geäußert: Lawretzky sei ein ausgezeichneter und kluger Mann. Das war genug; es mußte die Eroberung des ausgezeichneten Mannes gemacht werden.

Panschin fing mit Complimenten an, mit der Beschreibung des Entzückens, womit sich, seinen Worten nach, die ganze Familie Marie Dmitriewna‘s über Wasiliewskoie geäußert hätte, und dann, seiner Gewohnheit nach, geschickt auf sich selbst übergehend, sprach er von seinen Beschäftigungen, von seinen Ansichten über Leben, Welt und Staatsdienst; sprach ein paar Worte über Rußlands Zukunft, davon, wie man den Gouverneuren die Zügel strammer halten müsse; witzelte etwas über sich selbst, und fügte hinzu: man hätte ihn unter Andern in Petersburg beauftragt: – »de populariser l‘idée du cadastre.« Er sprach ziemlich lange, mit nachlässigem Selbstvertrauen alle Schwierigkeiten lösend, und mit den wichtigsten administrativen und politischen Fragen spielend, wie ein Taschenkünstler mit Kugeln spielt. Fortwährend waren aus seiner Zunge Ausdrücke der Art wie: »So würde ich handeln, wenn ich die Regierung wäre,« oder »Sie werden als kluger Mann mir Recht geben müssen.«

Kalt hörte Lawretzky dem Redeflusse Panschin‘s zu; ihm mißfiel dieser hübsche, kluge« ungezwungen feine junge Mann mit frohem Lächeln, artiger Stimme und forschenden Augen. Panschin errieth bald mit dem ihm eigenen schnellen Verstehen fremder Gefühle, daß er seinem Gesellschafter kein besonderes Vergnügen mache, und verschwand unter einem guten Vorwande. Er hatte entschieden, es sei wohl möglich, daß Lawretzky ein vortrefflicher Mann sei, doch sei er nicht sympathetisch, sei »aigri« und »en somme« etwas komisch.

Marie Dmitriewna erschien in Begleitung Gedeonowsky’s, dann kam Martha Timotheewna mit Liese, ihnen folgten alle andern Hausgenossen; dann kam auch die Musikfreundin, Madame Belenitzin, eine kleine magere Dame, mit fast kindlichem, abgespanntem und hübschem Gesicht, in einem rauschenden schwarzen Kleide, einen bunten Fächer in der Hand haltend und die Arme mit dicken goldenen Armbändern geschmückt; auch ihr Mann kam, ein pausbackiger dicker Herr mit großen Füßen und Händen, weißen Augenbrauen und einem unbeweglichen Lächeln auf den dicken Lippen; vor Leuten sprach seine Frau niemals mit ihm, zu Hause aber nannte sie ihn in Augenblicken der Zärtlichkeit ihr »Ferkelchen.« Auch Panschin kam zurück, und in den Zimmern wurde es sehr belebt und geräuschvoll.

Lawretzky liebte ein solches Gedränge nicht, besonders ärgerte ihn Madame Belenitzin, die ihre Lorgnette fortwährend auf ihn gerichtet hatte. Er wäre sofort weggegangen. wenn Liese nicht dagewesen wäre. Er wollte ihr einige Worte allein sagen, doch fand sich kein günstiger Augenblick und er begnügte sich damit, sie in geheimer Freude mit den Augen zu verfolgen. Niemals hatte ihm ihr Gesicht edler und hübscher geschienen, auch gewann sie viel durch den Vergleich mit Madame Belenitzin. Diese konnte keinen Augenblick ruhig sitzen, bewegte fortwährend ihre engen Schultern, lachte mit einem, zärtlich klingen sollenden Lachen, kniff bald die Augen zusammen, bald öffnete sie dieselben weit.

 

Liese saß ruhig, blickte gerade vor sich hin und blieb ernst.

Marie Dmitriewna setzte sich mit Martha Timotheewna, den Belenitzins und Gedeonowsky, welcher sehr bedächtig spielte, mit den Augen ununterbrochen blinzelte und alle Augenblicke sich den Schweiß vom Gesichte trocknete, an den Kartentisch.

Panschin machte ein melancholisches Gesicht, sprach gebrochen, bedeutungsvoll und traurig, mit einem Worte, er spielte den unbegriffenen Künstler, doch trotz aller Bitten der Madame Belenitzin, welche mit ihm sehr kokettirte, wollte er seine Romanze nicht singen, er genirte sich vor Lawretzky. Auch Feodor Iwanitsch sprach wenig; der besondere Ausdruck seines Gesichtes war Liese in dem Augenblicke aufgefallen, als er ins Zimmer trat; ein dunkles Gefühl sagte ihr gleich, er hätte ihr etwas mitzutheilen, doch fürchtete sie, selbst nicht wissend warum, ihn darauf anzureden. Endlich, als sie in den Saal ging, um Thee zu bereiten, drehte sie unwillkürlich den Kopf nach seiner Seite; er ging ihr sofort nach.

»Was haben Sie nur?« sagte sie, die Theekanne auf den Samowar setzend.

»Haben Sie denn etwas bemerkt?« fragte er.

»Sie sind heute nicht so, wie ich Sie bis jetzt zu sehen gewöhnt war.

Lawretzky bückte sich über den Tisch.

»Ich wollte,« begann er, »Ihnen eine Nachricht mittheilen, jetzt ist es aber unmöglich. Uebrigens, lesen Sie das, was in diesem Feuilleton mit Bleistift unterstrichen ist,« fügte er hinzu, ihr das mitgenommene Zeitungsblatt reichend. »Ich bitte Sie, für jetzt zu schweigen; morgen früh werde ich wieder vorkommen.«

Liese war verwundert, Panschin zeigte sich auf der Thürschwelle und sie steckte das Zeitungsblatt in die Tasche.

»Haben Sie Obermann gelesen, Lisawetha Michailowna?« fragte sie Panuschin gedankenvoll.

Liese erwiderte ihm einige Worte und ging dann aus dem Saale hinauf in ihr Zimmer. Lawretzky kehrte in den Saal zurück und trat an den Spieltisch. Martha Timotheewna, mit losgebundenen Haubenbändern und rothgewordenem Gesichte klagte sehr über ihren Partner, der keinen einzigen Gang zu machen verstünde. »Kartenspielen ist,« sagte sie, »wir es scheint, schwieriger, als Klatschereien zu erfinden.«

Jener fuhr fort zu blinzeln und sich die Stirn zu trocknen. Liese kehrte in den Saal zurück und setzte sich in einen Winkel; sie blickten einander an und Beide fühlten sich unbehaglich. Er las auf ihrem Gesichte Erstaunen und einen geheimen Vorwurf. Gern hätte er mit ihr geredet und konnte es nicht. Allein mit ihr im gleichen Zimmer zu bleiben, ein Gast in der Zahl anderer Gäste, war ihm schwer, – er beschloß, sich zu entfernen. Beim Abschiede gelang es ihm noch, ihr zuzuraunen, daß er morgen kommen würde und fest auf ihre Freundschaft baue. »Kommen Sie,« antwortete sie und auf ihrem Gesichte war noch immer dasselbe Erstaunen zu lesen.

Nach Lawretzky‘s Entfernung fand Panschin seine Lebhaftigkeit wieder; er gab Gedeonowsky Rathschläge, machte der Madame Belenitzin spöttisch die Cour und sang zuletzt seine Romanze. Mit Liese aber sprach er und betrachtete sie wie vorher: bedeutungsvoll und etwas traurig.

Wieder schlief Lawretzky die ganze Nacht nicht. Er war nicht traurig, war nicht aufgeregt, war ruhig geworden und konnte doch nicht schlafen. Er gedachte sogar nicht der vergangenen Zeiten; er blickte einfach auf sein Leben, schwer und einförmig schlug sein Herz, die Stunden enteilten – und doch dachte er nicht an Schlaf. Von Zeit zu Zeit stieg in seinem Kopfe der Gedanke auf: dies ist ja aber Alles nicht wahr, ist Alles nur Unsinn, – und er hielt inne, senkte den Kopf und blickte wieder auf sein Leben.

Viertes Kapitel

Marie Dmitriewna empfing Lawretzky nicht sehr freundlich, als er am folgenden Tage ihr feinen Besuch abstattete. »Er kommt ja furchtbar oft!« dachte sie. Auch ihr selbst gefiel er nicht sehr; und Panschin, unter dessen Einflusse sie stand, hatte ihm den Tag vorher sehr heimische und nachlässige Lobsprüche gespendet. Da sie ihn nicht als Gast betrachtete, und einen Verwandten, fast einen Hausgenossen, nicht unterhalten zu brauchen meinte, so verging auch nicht eine halbe Stunde, als er schon im Garten in der Allee mit Liese auf und ab ging. Lenchen und Schurotschka liefen einige Schritte von ihnen umher.

Liese war ruhig, wie immer, doch blasser, als gewöhnlich. Sie nahm aus ihrer Tasche das gefaltete Zeitungsblatt und reichte es Lawretzky.

»Es ist schrecklich,« sagte sie«

Lawretzky gab keine Antwort.

»Vielleicht ist es aber auch nicht wahr!« fügte Liese hinzu.

»Deswegen bat ich Sie auch, Niemandem etwas davon zu sagen.«

Liese ging schweigend einige Schritte.

»Aber sagen Sie,« begann sie wieder: – »Sie sind nicht betrübt? Ganz und gar nicht?«

»Ich kann mir selbst keine Rechenschaft von dem geben, was ich fühle.«

»Sie haben sie aber doch früher geliebt?«

»Ja.«

»Und sehr?«

»Sehr!«

»Und sind jetzt nicht über ihren Tod betrübt?«

»Nicht jetzt ist sie für mich gestorben!«

»Es ist aber sündhaft, was Sie da reden; – Sie müssen mir nicht gram sein. Sie haben mich Ihre Freundin genannt, und eine Freundin kann Alles sagen. – Mich überläuft ein kalter Schauder; gestern hatte Ihr Gesicht keinen guten Ausdruck. Erinnern Sie sich, neulich, als Sie über sie klagten . . . schon damals gehörte sie vielleicht nicht dieser Welt mehr an. Es ist entsetzlich. Es ist ganz so, als ob es Ihnen zur Strafe geschickt worden wäre.«

Lawretzky lächelte bitter.

»Sie meinen? Jetzt bin ich aber wenigstens frei.«

Liese fuhr etwas zusammen.

»O! sprechen Sie doch nicht so! Wozu nützt Ihnen die Freiheit jetzt? Nicht an Freiheit, an Vergebung müssen Sie jetzt denken . . . «

»Ich habe ihr längst vergeben!« unterbrach sie Lawretzky und winkte mit der Hand.

»Nein – es ist nicht das,« entgegnete Liese und wurde roth. »Sie haben mich nicht recht verstanden. – Sie müssen selbst Vergebung suchen.«

»Wer soll mir vergeben?«

»Wer? – Gott!l Wer anders als Gott kann Ihnen vergeben?«

Lawretzky ergriff ihre Hand.

»Ach Lisawetha Michailowna, glauben Sie mir,« rief er, »auch so bin ich bestraft genug. Ich habe Alles gesühnt, glauben Sie mir.«

»Das können Sie nicht wissen,« sagte Liese halblaut. – »Sie haben vergessen, daß noch neulich,. . . nun, als Sie mit mir sprachen, . . . Sie ihr nicht vergeben wollten.«

Beide gingen schweigend bis zum Ende der Allee.

»Und was macht Ihre Tochter?« fragte mit einem Male Liese und blieb stehen.

»O, beunruhigen Sie sich nicht, ich habe überall hin schon Briefe geschickt; das Schicksal meiner Tochter, wie Sie sie . . . wie Sie sich ausdrücken, ist gesichert, beunruhigen Sie sich nicht.«

Liese lächelte traurig.

»Sie haben aber Recht,« fuhr Lawretzky fort.

»Wozu dient mir die Freiheit jetzt? Wozu kann ich sie brauchen?«

»Und wann haben Sie die Zeitungen bekommen?«

»Den Tag nach Ihrem Besuche.«

»Und es ist möglich . . . es ist möglich, daß Sie nicht geweint haben!«

»Nein. Ich war wie vom Blitz getroffen; woher sollten aber auch die Thränen kommen? Sollte ich um die Vergangenheit weinen? – Sie ist ja aus meinem Herzen ausgerottet. Ihr Fehltritt selbst hat mein Glück nicht gebrochen, nein, er hat mir nur bewiesen, daß mein Glück niemals dagewesen ist. Warum sollte ich aber auch weinen?« Uebrigens, wer weiß, – vielleicht wäre ich auch mehr betrübt gewesen. wenn ich die Nachricht zwei Wochen früher erhalten hätte . . .«

»Zwei Wochen?« erwiderte Liese. »Was ist denn aber in diesen zwei Wochen geschehen?«

Lawretzky gab keine Antwort, Liese aber erröthete plötzlich noch mehr.

»Ja, ja, Sie haben es errathen!« rief Lawretzky . . . »In diesen zwei Wochen habe ich kennen gelernt, was ein reines Frauenherz ist, und meine Vergangenheit ist noch weiter von mir gewichen.«

Liese wurde verlegen, und ging in den Blumengarten zu Lenchen und Schurotschka.

»Und ich bin froh, daß ich Ihnen dieses Zeitungsblatt gezeigt habe,« sagte Lawretzky, ihr folgend. »Ich bin schon gewöhnt, nichts vor Ihnen zu verbergen und hoffe von Ihnen ein gleiches Vertrauen.«

»Sie meinen?« sagte Liese und blieb stehen. »In diesem Falle wüßte ich . . . aber nein, das ist unmöglich.«

»Was? Reden Sie, reden Sie nur!«

»Wirklich, mir scheint’s, ich wüßte nicht . . . aber übrigens,« fügte Liese hinzu und wandte sich lächelnd zu Lawretzky, »warum ein halbes Vertrauen? Wissen Sie? Ich habe heute einen Brief erhalten.«

»Von Panuschin?«

»Ja, von ihm . . . Woher wissen Sie das?«

»Er hält um Ihre Hand an?«

»Ja,« sagte Liese und blickte Lawretzky fest und ernst in die Augen.

Auch Lawretzky blickte Liese ernst an.

»Nun, und was haben Sie ihm geantwortet?« sagte er endlich.

»Ich weiß nicht, was ich antworten soll,« entgegnete Liese, und ließ die gefalteten Hände sinken.

»Wie? Sie lieben ihn?«

»Ja, er gefällt mir; er scheint ein guter Mensch zu sein.«

»Dasselbe und in denselben Ausdrücken haben Sie mir vor drei Tagen gesagt. – Ich möchte wissen, ob Sie ihn mit jenem heftigen, leidenschaftlichen Gefühle lieben, das wir Liebe zu nennen gewohnt sind.«

»Wie Sie es verstehen – nein.«

»Sind Sie in ihn verliebt?«

»Nein. – Ist dies denn töricht?«

»Wie?«

»Er gefällt meiner Mutter,« fuhr Liese fort. »Er ist gut. – Ich habe nichts gegen ihn.«

»Aber Sie zaudern?«

»Ja . . . Und vielleicht sind Sie, – vielleicht sind Ihre Worte daran schuld. Erinnern Sie sich, was Sie vorgestern sagten? Doch ist dies eine Schwachheit . . . « .

»O, mein Kind!« rief plötzlich Lawretzky, und seine Stimme zitterte: – »o, urtheilen Sie nicht zu weise, nennen Sie nicht Schwachheit den Schrei Ihres Herzens, das sich nicht ohne Liebe hingeben will. Nehmen Sie nicht eine so schreckliche Verantwortlichkeit auf sich vor dem Manne, den Sie nicht lieben und dem Sie doch gehören wollen . . .«

»Ich gehorche, ich nehme keine Verantwortlichkeit auf mich,« sagte Liese.

»Lauschen Sie der Stimme Ihres Herzens; dies allein wird Ihnen die Wahrheit reden,« unterbrach sie Lawretzky. »Erfahrung, Vernunft, dies Alles ist nur Staub und Nichtigkeit! Rauben Sie sich nicht das schönste, das einzige Glück auf Erden. . . «

»Und das sagen Sie, Feodor Iwanitsch? Sie selbst haben aus Liebe geheirathet, und waren Sie glücklich?«

Lawretzky schlug die Hände zusammen.

»Ach, reden Sie nicht von mir! Sie können es nicht begreifen, was ein junger, unerfahrener, auf eine wahnsinnige Art erzogener Knabe für Liebe halten kann! Und auch endlich, warum sich selbst belügen? – Ich sagte Ihnen eben, ich hätte niemals Glück gekannt . . . nein! ich war glücklich!«

»Mir scheint es, Feodor Iwanitsch,« sagte Liese mit gedämpfter Stimme – wenn sie mit Jemandem nicht einverstanden war, sank ihre Stimme stets, und sie war dann in großer Aufregung – »das Glück auf Erden hängt nicht von uns ab.«

»Von uns, von uns, glauben Sie es mir . . . er ergriff ihre beiden Hände, – Liese erblaßte und blickte ihn halb erschrocken, aber aufmerksam an – »nur müssen wir uns selbst das Leben nicht verbittern. Es giebt Leute, für welche eine Heirath aus Liebe ein Unglück sein kann; doch nicht für Sie, mit Ihrem ruhigen Character, mit Ihrer reinen Seele! Ich flehe Sie an, heirathen Sie nicht ohne Liebe, aus Pflichtgefühl, Entsagung, was weiß ich! – Das ist derselbe Unglaube, dieselbe kalte Berechnung und – noch viel schlimmer. – Glauben Sie mir, ich habe ein Recht, so zu sprechen, ich habe dieses Recht theuer bezahlt. Und wenn Ihr Gott . . .«

In diesem Augenblicke bemerkte Lawretzky, daß Lenchen und Schurotschka neben Liese standen und ihn mit stummen Erstaunen anstarrten. – Er ließ Liesens Hände los, murmelte eilig: »Verzeihen Sie mir, ich bitte,« – und wandte sich dem Hause zu.

»Um Eins nur bitte ich Sie,« sagte er, zu Liese zurückkehrend, »entschließen Sie sich nicht gleich, warten Sie, bedenken Sie das, was ich Ihnen gesagt habe. Und wenn Sie mir selbst nicht glauben, wenn Sie sich zu einer Vernunftehe entschlossen haben, – auch in dem Falle heirathen Sie Panuschin nicht. Er kann Ihr Mann nicht werden. Nicht wahr, Sie versprechen mir, nicht zu eilen?«

 

Liese wollte Lawretzky antworten – dennoch sagte sie kein Wort. Nicht weil sie sich entschlossen hatte, »zu eilen,« sondern weil ihr Herz zu laut schlug, und ein Gefühl, daß der Furcht ähnlich war, ihr die Brust zusammenpreßte.