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Das adelige Nest

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Zwanzigstes Kapitel

Lawretzky stand ziemlich früh auf, plauderte mit dem Schulzen, besuchte die Tenne, befahl die Kette dem Hunde abzunehmen, dieser bellte nur ein wenig, aber entfernte sich sogar nicht von seinem Häuschen; und nach Hause zurückgekehrt, versank Feodor Iwanitsch in eine friedliche Erstarrung.

»So bin ich denn auf des Flusses tiefsten Grund jetzt versunken,« sagte er sich; er saß am Fenster ohne sich zu rühren und schien dem Laufe des Stilllebens, das ihn umgab« den seltenen Klängen der Dorfeinsamkeit zu lauschen. Hinter den Nesseln singt eine feine, feine Stimme; mit ihr scheint eine Mücke ein Duett zu singen. Die Stimme verstummte, die Mücke aber singt immer weiter. Durch das vereinte, frech klagende Sumsen der Fliegen klingt das dumpfe Sumsen einer dicken Hummel, – die ununterbrochen mit dem Kopf an die Decke schlägt; auf der Straße kräht ein Hahn, heiser die letzte Note dehnend, ein Karten rasselt vorbei, im Dorfe knarrt eine Pforte. »Was?« kreischt eine Frauenstimme. »O du mein Goldkind!« sagt Anton zu einem zweijährigen Mädchen, das er auf seinen Armen hält. »Bringe mir Etwas, wiederholt dieselbe Frauenstimme, – und wieder dieselbe Todtenruhe; kein Geräusch, nichts bewegt sich, nicht einmal ein leichter Wind säuselt durch die Blätter; geräuschlos streifen Schwalben, eine der andern folgend, die Erde und schwer wird es ihm um’s Herz bei ihrem schweigsamen Fluge.

»So bin ich denn jetzt auf des Flusses tiefstem Grunde!« wiederholte Lawretzky, »und zu jeder Zeit ist das Leben hier still und kennt keine Eile. Wer in dessen Zauberkreis kömmt, muß sich ihm unterwerfen. Wozu ist hier das Wogen, das Wallen. Hier hat nur derjenige Erfolg, der sich seinem Pfad ohne Eile bahnt, wie der Landmann die Furche mit dem Pfluge gräbt. Und welche Kraft ist rings umher, wie viel Gesundheit in dieser thatenlosen Stille! Hier unter dem Fenster dringt dickes Farrenkraut aus dem dichten Grase; der Liebstock streckt über ihn seinen saftreichen Stiel; Liebfrauenthränen erheben noch höher ihre rosigen Locken; weiter dort im Felde glänzt der Roggen, der Hafer geht schon in’s Stroh, und in seiner ganzen Breite dehnt sich jedes Blatt auf jedem Baume, jedes Gräschen auf seinem Halme aus. In Frauenliebe schwanden meine besten Jahre hin, fuhr Lawretzky zu denken fort; so mag denn über mich die Langeweile Nüchternheit bringen, mag sie mich beruhigen, mich dazu vorbereiten, daß ich ohne Eile arbeite. Und aufs Neue lauschte er erwartungslos der Stille, und doch schien er jeden Augenblick etwas zu erwarten. Die Stille umfängt ihn von allen Seiten; die Sonne zieht ruhig am Himmel dahin, und ruhig schwimmen am Himmel die Sterne: sie scheinen zu wissen, warum und wohin sie schwimmen. In denselben Augenblicken kochte und eilte und stürmte das Leben an andern Orten auf Erden; hier floß es aber so unhörbar, wie Wasser auf Sumpfgräsern; und bis zum Abend konnte Lawretzky sich nicht losreißen von der Betrachtung dieses entschwimmenden, fortziehenden Lebens; der Kummer um die Vergangenheit thaute wie Frühlingsschnee in seinem Herzen,—und, sonderbar! – niemals war in seinem Herzen das Gefühl der Heimath so tief und so stark.

Einundzwanzigstes Kapitel

Im Laufe von zwei Wochen brachte Feodor Iwanitsch das Haus Glaphira Petrowna’s in Ordnung und ließ den Hof und den Garten reinigen; aus Lawriky brachte man ihm comfortable Möbel, aus der Stadt Wein, Bücher, Journale; im Stalle standen Pferde; mit einem Worte: Feodor Iwanitsch umgab sich mit Allem, was nöthig war, und begann – halb als Gutsbesitzer, halb als Einsiedler zu leben. Seine Tage schwanden einförmig dahin; doch er langweilte sich nicht, obgleich er Niemanden sah; er beschäftigte sich fleißig mit der Landwirthschaft, ritt in der Umgegend umher, und las. Uebrigens las er wenig; er hörte lieber die Erzählungen des alten Anton mit an.

Gewöhnlich setzte sich Lawretzky mit der Pfeife und einer Tasse kalten Thee’s an’s Fenster, Anton stellte sich an die Thür, die Arme auf dem Rücken kreuzend, – und begann seine endlosen Erzählungen von jenen längst entschwundenen Zeiten, von jenen fabelhaften Zeiten, als Hafer und Roggen nicht nach dem Maaße, sondern nach großen Säcken verkauft wurde, und der Sack zwei bis drei Kopeken kostete; als nach allen Seiten hin, sogar bis zur Stadt undurchdringliche Wälder, von keinem Pflug berührte Steppen sich hinzogen. »Und jetzt,« klagte der Alte, der über achtzig Jahre alt war, – »jetzt hat man alle Wälder gefällt, alle Steppen gepflügt, so daß man sogar nirgends durchfahren kann.« Ebenso erzählte Anton viel von seiner gewesenen Herrin, Glaphira Petrowna: wie vernünftig und sparsam sie gewesen; wie ein Herr, ein junger Nachbar, sich an sie machen wollte, sie oft besuchte, – wie sie für ihn ihre Sonntagshaube mit messakafarbenen Bändern und ein gelbes Kleid aus Troutrou-Levantine anzog; wie aber dann der Herr Nachbar bei ihr für die unanständige Frage: »Sie müssen, gnädige Frau, sich doch ein hübsches Capital gespart haben,« in Ungnade fiel, wie sie befahl, ihn nicht mehr zu empfangen, und zugleich die Ordre gab, Alles, bis auf den kleinsten Lappen nach ihrem Tode an Feodor Iwanitsch zu übergeben. Und wirklich, Lawretzky fand seiner Tante sämmtliches Hab’ und Gut treulich aufbewahrt vor, selbst die Sonntagshaube mit den Massakabändern und das gelbe Kleid aus trou-trou-levantine.

Alte Papiere und bemerkenswerthe Documente, auf welche Lawretzky rechnete, fand er nicht, außer einem alten zerrissenen Buche, in welches sein Großvater die Tagesgeschichte einschrieb – bald: »Feier in der Stadt St. Petersburg, des mit dem türkischen Kaiserreiche vom Fürsten Alexandrowitsch Prosorowsky geschlossenen Friedens;« bald das Rezept eines  D e c o c t s   gegen Brustkrankheiten mit der Bemerkung: »dieses Recept ist der Generalin Praskowia Feodorowna Saltikowa vom Protopresbyter der Heiligen-Geist-Kirche Feodor Awrentiewitsch gegeben worden;« bald irgend eine politische Nachricht von dieser Art, »man hört ja nichts von den Tigern, den Franzosen« – und daneben: »in der moskauer Zeitung steht, es sei ein Herr Premier-Major Michail Petrowitsch Kolytscheff gestorben. Ist es nicht der Sohn von Peter Wassiliewitsch Kolytscheff?« Lawretzky fand ebenfalls einige alte Kalender, Traumbücher und das mysteriöse Werk des Herrn Ambodiks. So manche Erinnerungen erweckten in ihm die längst vergessenen aber bekannten »Symbole und Embleme;« im Toilettentischchen Glaphira Petrowna’s fand Lawretzky ein, mit einem schwarzen Bande zugebundenes, mit schwarzem Siegellack versiegeltes, und im hintersten Winkel der Schublade verstecktes Packet. In diesem Packete lagen, Gesicht gegen Gesicht gekehrt, das Pastellbild seines Vaters in dessen Jugend, mit weichen, auf die Stirn herabhängenden Haaren, mit großen, schmachtenden Augen und halbgeöffnetem Munde, und das halbverwischte Bild seiner Mutter, einer blassen Frau in einem weißen Kleide, mit einer weißen Rose in der Hand, Glaphira Petrowna hatte sich selbst niemals malen lassen.

»Obgleich ich damals noch nicht die herrschaftlichen Gemächer bewohnte,« erzählte Anton weiter, »so erinnere ich mich sehr wohl Ihres Urgroßvaters Andrei Afanassitsch; – wie sollte ich es auch nicht? Ich trat, als er starb, mein achtzehntes Jahr an. Einst begegnete ich ihm im Garten, – sogar mein Herz im Leibe erzitterte; – er that mir aber nichts, fragte mich nur, wie ich heiße, und schickte mich in seine Gemächer, sein Schnupftuch zu holen. Er war ein Bojar von echtem Schrot und Korn, das muß man gestehen, über sich erkannte er Niemanden an; denn Ihr Urgroßvater, wie ich Ihnen sagen muß, besaß ein wunderbares Weihrauchkissen, das ihm ein Mönch vom Berge Athos mit den Worten geschenkt hatte: »ich schenke Dir, Bojar, dies Weihrauchkissen für Deine Gastfreundschaft; trage es auf Deiner Brust, und Du brauchst keine Richter zu fürchten.« Nun, es waren aber auch damals, wie Sie wissen, die Zeiten darnach; – was ein Bojar wollte, das that er auch. Wenn zuweilen selbst irgend einer der benachbarten Edelleute ihm zu widersprechen wagte, so blickte er ihn nur scharf an und sagte: »Du schwimmst auf seichtem Wasser.« Das war eine Lieblingsredensart von ihm. Er lebte, – Ihr Urgroßvater, Gott habe ihn selig, – in einem kleinen hölzernen Hause; was hat er aber für einen Reichthum hinterlassen! Wie viel Gold und Silber! – Alle Keller waren voll von Hab und Gut. Und was war das für ein Wirth! Jene kleine Karaffe, welche Ihnen gefällt, hat ihm gehört; er bewahrte darin seinen Schnaps auf. Ihr Großvater dagegen hat freilich ein steinernes Haus gebaut, Vermögen aber nicht erworben; bei ihm ging Alles drunter und drüber; er lebte schlechter, als Ihr Vater, erlaubte sich kein einziges Vergnügen, – und doch ging ihm all’ sein Geld durch die Finger, so daß nach seinem Tode sich nicht ein einziger Pfennig vorfand; nicht einen silbernen Löffel hinterließ er, – und wenn etwas hinterblieben ist, so ist dieses den Sorgen Glaphira Petrowna’s zu verdanken.

»Ist es wahr,« unterbrach ihn Lawretzky, »daß man sie den »alten Geizhals« nannte?«

»Wer nannte sie so!« rief Anton unwillig . . .«

»Was macht aber unsere Herrin,« entschloß sich einst der Alte zu fragen, »wo befindet sie sich jetzt?«

»Ich habe mich von meiner Frau geschieden,« erwiderte Lawretzky mit Anstrengung, »ich bitte Dich, frage mich nicht nach ihr!«

»Wie Sie befehlen,« erwiderte treuherzig der Alte.

Drei Wochen waren vergangen, als einst Lawretzky nach O. zu den Kalitins ritt und bei ihnen den Abend verbrachte. Lemm war auch dort und er gefiel Lawretzky ausnehmend. Obgleich Lawretzky, Dank seinem Vater, kein einziges Instrument spielte, liebte er die Musik, d. h. Ernste, classische Musik, leidenschaftlich. Panschin war diesen Abend nicht bei den Kalitins, er hatte auf einige Zeit die Stadt, in Aufträgen des Gouverneurs, verlassen. Liese spielte allein und spielte mit großer Fertigkeit; Lemm verlor seine Apathie, wurde ganz Leben, rollte einen Bogen Papier zusammen und dirigirte. Anfangs lachte Marie Dmitriewna, dann ging sie schlafen. Beethovens Musik erregte, wie sie sagte, zu sehr ihre Nerven. Um Mitternacht begleitete Lawretzky Lemm in dessen Wohnung und blieb bei ihm bis um drei Uhr Morgens.

 

Lemm sprach viel, seine gebückte Gestalt richtete sich empor, seine Augen wurden groß und blitzte, selbst die auf die Stirn herabhängenden Haare richteten sich in die Höhe. Schon lange hatte ihm Niemand Theilnahme bezeigt, Lawretzky interessirte sich sichtbar für ihn, er fragte ihn aufmerksam und theilnehmend aus. Dies erschütterte den Alten; er endigte damit, daß er seinem Gaste seine Musik zeigte, ihm vorspielte und sogar mit einer Todtenstimme einige Bruchstücke aus seinen Compositionen, unter andern die von ihm in Musik gesetzte Ballade »Fridolin« vorsang. Lawretzky lobte ihn, ließ ihn Einiges wiederholen und lud ihn, als er wegfuhr, ein, einige Tage bei ihm auf seinem Gute zu verbringen.

Lemm, der Lawretzky bis auf die Straße begleitete, willigte sofort ein und drückte ihm fest die Hand; doch allein in der frischen und kühlen Luft, bei kaum sich zeigendem Morgenroth, geblieben, blickte er um sich, kniff seine Augen zusammen, nahm seine gewohnte gebückte Haltung wieder an und schlich, wie ein Verbrechen wieder in sein Zimmer.

»Ich bin wohl nicht bei Sinnen!« murmelte er, sich auf sein hartes und kurzes Bett legend. Er versuchte sich krank zu melden, als nach einigen Tagen Lawretzky ihn in einer Kalesche abholen kam; Feodor Iwanitsch aber ging in sein Zimmer und überredete ihn. Am stärksten aber wirkte auf Lemm der Umstand, daß Lawretzky eigens für ihn ein Clavier aus der Stadt hatte kommen lassen. Sie fuhren Beide zu Kalitins und verbrachten bei denselben den Abend, aber nicht mehr so angenehm, wie das letzte Mal. Panschin war dort, erzählte von der Reise, die er gemacht hatte, carrikirte und copirte auf eine sehr komische Weise die Landedelleute, welche er neulich gesehen hatte; Lawretzky lachte, Lemm jedoch schwieg und verließ seinen Winkel nicht, wie bei einer Spinne bewegten sich alle seine Glieder, er blickte finster und stumm vor sich hin und wurde nur dann wieder lebendig, als Lawretzky Abschied zu nehmen begann. Aber selbst als er im Wagen saß, blieb der Alte scheu und gekrümmt; die stille und warme Luft, der leichte Wind, die flüchtigen Schatten, der Duft des Grases, der Birkenknospen, der friedliche Glanz des mondlosen, sternbedeckten Himmels, das tactmäßige Stampfen und Schnauben der Pferde, alle Zauber der Reise, des Frühlings und der Nacht drangen in das Herz des armen Deutschen, und er begann zuerst mit Lawretzky zu sprechen.

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Er sprach von Musik, von Liese und dann wieder von Musik, er sprach gleichsam langsamer, wenn er von Liese sprach. Lawretzky lenkte die Unterhaltung auf seine Compositionen und schlug ihm, halb im Spaße vor, für ihn ein Libretto zu schreiben.

»Hm, ein Libretto,« entgegnete Lemm, »nein, das paßt mir nicht; mir fehlt jene Lebhaftigkeit, jenes Phantasienspiel, die für eine Oper unumgänglich sind; wenn ich aber im Stande wäre, etwas zu componiren, so würde ich mich mit einer Romanze begnügen; freilich würde ich ein gutes Gedicht dazu wünschen.«

Er schwieg und saß lange unbeweglich, die Augen gen Himmel gerichtet.

»Zum Beispiel,« sagte er endlich, etwas in dieser Art: »Ihr, Sterne o ihr reinen Sterne!«

Lawretzky wandte sich zu ihm und sah ihn fest an.

»Ihr Sterne, reine Sterne,« wiederholte Lemm . . . »Ihr blicket auf Gerechte wie auf Schuldige; doch die Einen sind schuldlos im Herzen«, oder etwas in dieser Art . . . »Sie verstehen Euch,« das heißt, nein, »sie lieben Euch.« Uebrigens bin ich kein Dichter, was soll ich da? Etwas Erhabenes, aber in dieser Art!

Lemm rückte den Hut auf den Scheitel; im leichten Halbdunkel der hellen Nacht schien sein Gesicht bleicher und jünger.

»Und auch Ihr,« fuhr er mit nach und nach ersterbender Stimme fort, »Ihr wißt es, wer da liebt und wer zu lieben versteht, denn Ihr, die Reinen, Ihr allein könnet trösten . . . « nein, nein, das ist es alles nicht, was ich eigentlich meine, ich bin kein Dichter,« sagte er, »aber etwas in der Art.«

»Mir thut es leid, daß ich kein Dichter bin,« erwiderte Lawretzky.

»Leere Träume,« entgegnete Lemm, und drückte sich in eine Ecke der Kalesche. Er schloß die Augen, als ob er einschlafen wollte. Einige Augenblicke vergingen, Lawretzky horchte . . . »Sterne, reine Sterne, Liebe« – murmelte der Alte.

»Liebe,« wiederholte Lawretzky leise, versank in Gedanken und schwer ward ihm um’s Herz.

»Sie haben eine schöne Musik zum Fridolin geschrieben, Christophor Fedorowitsch; was meinen Sie aber,« sagte er laut« »dieser Fridolin ist, als der Graf ihn zu seiner Frau brachte, gleich ihr Liebhaber geworden, – was?«

»Das denken Sie,« meinte Lemm, »weil, wahrscheinlich, die Erfahrung . . . « Er schwieg plötzlich und wandte sich verwirrt ab.

Lawretzky lachte gezwungen, drehte sich auch um und sah auf den Weg.

Schon begannen die Sterne zu erbleichen und der Himmel wurde grau, als die Kalesche an der Treppe des kleinen Häuschens in Wassiliewsky hielt. Lawretzky begleitete seinen Gast in das, für ihn bestimmte Zimmer, kehrte in sein Cabinet zurück und setzte sich an’s Fenster. Im Garten sang eine Nachtigall ihr letztes Lied vor Morgenanbruch. Lawretzky erinnerte sich, daß auch bei den Kalitins eine Nachtigall gesungen hatte, er erinnerte sich ebenfalls der leisen Bewegung der Augen Liesens, als sie sich bei deren ersten Tönen zum Fenster wandten. Er begann, an sie zu denken, und in seinem Herzen wurde Ruhe. »Reines Mädchen,« sagte, er halblaut, »reine Sterne!« fügte er lächelnd hinzu und legte sich ruhig schlafen.

Auch Lemm saß lange auf seinem Bette, ein Notenheft auf den Knieen haltend. Eine nie dagewesene, süße Melodie schien ihn besuchen zu wollen. Schon brannte er, schon war er in reizbarer Aufregung, schon fühlte er die Ermattung und die Süße ihres Nahens, doch wartete er sie nicht ab. »Weder Dichter noch Musiker!« lispelte er endlich vor sich hin.

Und schwer sank sein müdes Haupt auf das Kissen.

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Am folgenden Tage tranken der Wirth und sein Gast Thee im Garten unter einer alten Linde.

»Meister» sagte unter anderem Lawretzky, – »bald werden Sie eine Festcantate componiren müssen!«

»Und wozu das?«

»Zu der Hochzeit des Herrn Panschin mit, Liese. Haben Sie bemerkt, wie er ihr gestern die Cour machte? Alles scheint schon unter ihnen abgemacht.«

»Das kamt nicht sein!« rief Lemm aus.

»Und warum nicht?«

»Weil es unmöglich ist! . . . Uebrigens, fügte er nach einigen Augenblicken hinzu, »auf der Welt ist Alles möglich, besonders hier bei Ihnen in Rußland.«

»Rußland wollen wir für jetzt in Ruhe lassen; was finden Sie aber Schlechtes in dieser Ehe?«

»Alles ist schlecht, Alles. Lisawetha Michailowna ist ein ernstes, rechtliches Fräulein, hat erhabene Gefühle, – und er . . . er ist ein Di-let-ant, in einem Worte.«

»Sie liebt ihn aber?«

Lemm stand von der Bank auf.

»Nein« sie liebt ihn nicht, das heißt, sie hat noch ein reines Herz und weiß selbst nicht, was Liebe heißt. Frau von Kalitin sagt ihr, er sei ein guter junger Mann und sie glaubt ihr denn sie ist noch ein Kind, obgleich sie neunzehn Jahre alt ist. Sie betet des Morgens, sie betet des Abends – und das ist sehr lobenswerth; doch sie liebt ihn nicht. Sie kann nur das Schöne lieben, und er ist nicht schön, das heißt seine Seele ist nicht schön.«

Lemm sprach diese Rede fließend und mit Feuer, mit kurzen Schritten vor dem Theetische hin und her schreitend, und seine Augen irrten auf der Erde umher.

»Theuerster Maëstro!« rief plötzlich Lawretzky aus, »mir scheint es, Sie selbst sind in meine Cousine verliebt!«

Lemm hielt plötzlich inne.

»Ich bitte,« sagte er mit unsicherer Stimme, »spaßen Sie mit mir nicht, ich blicke-ins Grab und nicht auf eine rosige Zukunft.«

Der Alte that Lawretzky leid und er bat ihn um Vergebung. Nach dem Thee spielte Lemm ihm jene Cantate vor und bei Tisch, von Lawretzky selbst auf dies Thema gebracht, sprach er wieder viel von Liese. Lawretzky hörte ihm aufmerksam und neugierig zu.

»Was meinen Sie wohl, Christophor Fedorowitsch,« sagte er endlich, »hier ist, scheint es mir, jetzt Alles in Ordnung; der Garten steht in voller Blüthe, soll ich sie nicht mit ihrer Mutter und meiner alten Tante auf einen Tag hierher einladen? Was? Das wird Ihnen angenehm sein?«

Lemm bückte sich über seinen Teller. »Laden Sie ein,« murmelte er vor sich hin.

»Und Panschin soll nicht dabei sein?«

»Nein!« sagte der Alte mit einem fast kindischen Lächeln.

Zwei Tage später fuhr Feodor Iwanitsch in die Stadt zu den Kalitins.

Vierundzwanzigstes Kapitel

Er fand Alle zu Hause, doch sagte er nicht gleich, warum er gekommen war. Erst wollte er allein mit Liese reden. Der Zufall kam ihm zu Hilfe; man ließ sie Beide allein im Saal. Sie plauderten zusammen, Liese hatte schon Zeit gehabt, sich an ihn zu gewöhnen, – überhaupt fürchtete sie auch Niemanden. Er hörte sie an, blickte ihr in’s Gesicht und wiederholte in seinen Gedanken die Worte Lemm’s, er gab ihm in Allem recht.

Zuweilen geschieht es, daß zwei schon bekannte, aber sich nicht nahe stehende Leute plötzlich und schnell, in einigen Augenblicken sich aneinander anschließen, – und das Gefühl dieser Annäherung drückt sich in ihren Blicken, in ihrem freundlichen und sanften Lächeln, selbst in ihren Bewegungen aus. Aehnliches fand mit Lawretzky und Liese statt. »Also so ist er,« dachte sie, ihn freundlich ansehend. »Also so bist Du,« dachte auch er, und deswegen war er nicht im Geringsten verwundert, als sie, ohne die kleinste Spur von Verlegenheit zu zeigen, zu ihm sagte: es läge ihr schon seit lange auf dem Herzen ihn, um etwas zu fragen, doch fürchte sie, ihn zu ärgern.

»Fürchten Sie sich nicht, sprechen Sie immer zu, sagte er und blieb vor ihr stehen.

Liese heftete auf ihn ihre klaren Augen.

»Sie sind so gut!« begann sie und dachte zu gleicher Zeit: »ja, in der That, er ist gut. . . « – »Sie werden mich entschuldigen, denn eigentlich sollte ich mit Ihnen, darüber nicht sprechen . . . Wie konnten Sie?. . .Warum haben Sie sich von Ihrer Frau getrennt?«

Lawretzky fuhr zusammen, blickte auf Liese und setzte sich zu ihr.

»Kind!« begann er, »rühren Sie diese Wunde nicht an; Sie haben zwar zarte Hände, doch wird die Wunde auch bei Ihrer Berührung schmerzen.«

»Ich weiß es,« fuhr Liese fort, als ob sie nicht gehört hätte, was er sagte, – »ich weiß es, daß sie vor Ihnen schuldig dasteht, ich will sie nicht rechtfertigen; wie kann man aber das trennen, was Gott vereint hat?«

»Unsere Begriffe darüber sind zu verschieden,« sagte Lawretzky, »wir werden einander nicht verstehen.«

Liese erblaßte; ihr ganzer Körper erzitterte, doch sie schwieg nicht.

»Sie müssen verzeihen,« fuhr sie fort, »wenn Ihnen verziehen werden soll.«

»Verzeihen!l« rief Lawretzky. – »Erst müssen Sie wissen, für wen Sie bitten. Diesem Weibe verzeihen, sie wieder in mein Haus aufnehmen, sie, dieses eitle, herzlose Geschöpf! Wer hat Ihnen auch gesagt, daß sie zu mir zurückkehren wolle? Sie ist ja mit ihrem Schicksal vollkommen zufrieden. Was ist da viel zu reden? Ihr Name darf von Ihnen nicht ausgesprochen werden. Sie sind zu rein, Sie können solch ein Geschöpf nicht verstehen.«

»Warum beleidigen?« sagte Liese und das Zittern ihrer Hände wurde immer bemerkbarer. »Sie selbst haben sie verlassen, Feodor Iwanitsch!«

»Ich sage es Ihnen aber,« rief Lawretzky, sich unwillkürlich von seiner Ungeduld hinreißen lassend, »Sie wissen nicht, was das für ein Geschöpf ist.«

»Warum haben Sie sie aber denn geheirathet?« lispelte Liese und senkte die Augen.

Lawretzky sprang von seinem Stuhle auf.

»Warum ich sie geheirathet habe? Ich war damals jung und unerfahren; ich habe mich geirrt, habe mich vom schönen Aeußern hinreißen lassen. Ich kannte das Weib nicht, kannte die Welt nicht. Ich bete zu Gott, daß Sie eine glücklichere Ehe schließen; doch, glauben Sie mir, im Voraus kann man auf nichts schwören.

»Auch ich kann unglücklich werden,« lispelte Liese und ihre Stimme wurde unsicher; – »doch werde ich mich dann in mein Schicksal zu ergeben wissen . . . Ich kann mich nicht gut ausdrücken, doch wenn wir uns nicht in unser Schicksal ergeben . . . «

Lawretzky drückte krampfhaft die Hände zusammen und stampfte mit dem Fuße.

»Aergern Sie sich nicht, verzeihen Sie mir!« beeilte sich Liese zu sagen.

In diesem Augenblicke trat Marie Dmitriewna in’s Zimmer. Liese stand auf und wollte sich entfernen.

 

»Warten Sie,« rief ihr Lawretzky unerwartet nach. »Ich habe eine große Bitte an Sie und an Ihre Mutter: besuchen Sie mich in meiner neuen Wohnung. Sie wissen, ich habe jetzt ein Clavier, Lemm ist bei mir auf Besuch; der Hollunder blüht jetzt, Sie werden die Landluft genießen und können denselben Tag nach Hause zurückkehren, – sind Sie damit einverstanden?«

Liese blickte auf ihre Mutter, Marie Dmitriewna machte eine kränkliche Miene; Lawretzky ließ ihr aber nicht Zeit, den Mund zu öffnen und küßte ihr beide Hände. Marie Dmitriewna, die keiner Schmeichelei zu widerstehen wußte und eine solche Liebeuswürdigkeit vom »Bären« gar nicht erwartet halte, thaute auf und gab ihre Einwilligung. Während sie darüber nachdachte, welchen Tag sie bestimmen solle, ging Lawretzky zu Liese und immer noch aufgeregt, raunte er ihr leise zu: »Ich danke, ich bin schuld . . . Sie sind ein gutes Mädchen,« und ihr bleiches Gesicht erröthete von einem frohen und züchtigen Lächeln. Auch ihre Augen lächelten, – bis zu diesem Augenblicke hatte sie gefürchtet, ihn beleidigt zu haben.

»Kann Wladimir Nikolaitsch uns begleiten?« fragte Marie Dmitriewna. – »Freilich,« erwiderte Lawretzky, – »wäre es aber nicht besser, wenn wir im Familienkreise blieben?«

»Doch glaube ich. . . « begann Marie Dmitriewna, »übrigens wie Sie wollen!« fügte sie hinzu.

Man beschloß, Lenchen und Schurotschka mitzunehmen. Martha Timotheewna weigerte sich, mitzufahren.

»Es fällt mir schwer, mein Lieber,« sagte sie, »meine alten Knochen rütteln zu lassen; uns auf die Nacht zu beherbergen, hast Du keinen Platz. Uebrigens liebe ich auch nicht, in fremden Betten zu schlafen; mag die Jugend allein zu Dir fahren.«

Lawretzky fand keine Gelegenheit mehr, mit Liese allein zu bleiben, doch er sah sie so an, daß es ihr wohl um’s Herz wurde, daß sie sich etwas schämte und er ihr leid that. Als er von ihr Abschied nahm, drückte er ihr fest die Hand, und sie versank in Gedanken, als sie allein geblieben war.