Independent Living

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Manuel Eisele, Philipp Osl,

Hubert Österle, Mark Schleicher

Independent Living

2017

Independent Living

Leben mit haushaltsnahen Dienstleistungen

Manuel Eisele, Philipp Osl, Hubert Österle, Mark Schleicher


Impressum

Texte: © Copyright by Manuel Eisele, Philipp Osl, Hubert Österle, Mark Schleicher

Umschlag: © Copyright by Andreas Karré

Verlag: Mark Schleicher

Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen

Müller-Friedberg-Strasse 8

CH-9000 St. Gallen

mark.schleicher@amiona.com

Druck: epubli ein Service der neopubli GmbH, Berlin

ISBN 978-3-****-***-*

Printed in Germany

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1 Independent Living 10

1.1 Die demographische Herausforderung 10

1.2 Ambient Assisted Living 11

1.3 Dienstleistungsassistent 11

2 Dienstleistungsmarktplatz Amiona und das digitale Dorf 13

2.1 Ein erster Versuch mit nativen Apps (Amiona V1) 14

2.1.1 Piloteinsätze und Lessons Learned 16

2.1.1.1 LebensQualität Weil der Stadt 16

2.2 Webanwendung und erste Schritte in Richtung Standardlösung (Amiona V2) 17

2.2.1 Piloteinsätze und Lessons Learned 19

2.2.1.1 LebensQualität Weil der Stadt 19

2.2.1.2 Haus Durachtal 20

2.2.1.3 AmbientConcierge (AmCo) 22

2.3 Ein Versuch zur Viralität (Amiona V3) 24

2.3.1 Piloteinsätze und Lessons Learned 24

2.3.1.1 Das digitale Dorf – Amiona St. Gallen 24

2.3.1.2 LebensQualität Weil der Stadt 32

2.3.1.3 GeTVivid – Let’s Do Things Together 32

2.4 Usability und Funktionalität (Amiona V3.5) 34

2.4.1 Piloteinsätze und Lessons Learned 34

2.4.1.1 Das digitale Dorf – Amiona St. Gallen 34

2.4.1.2 Haus Durachtal 36

2.5 Funktionale Erweiterungen für spezielle Anwendungsbereiche (Amiona V3AGG) 37

2.5.1 Piloteinsätze und Lessons Learned 37

2.5.1.1 Lebendige Nachbarschaft Rungestrasse, Hamburg 37

2.5.1.2 LebensQualität Weil der Stadt 39

2.5.2 Integrierende Gate-Anwendung 41

2.6 Zusammenfassende Erkenntnisse aus den Pilotierungen 43

3 Lebensassistenz: Stand und Ausblick 47

3.1 Digitale Dienste in allen Lebensbereichen 47

3.1.1 Information und Kommunikation 48

3.1.2 Unterhaltung 49

3.1.3 Einkauf von Produkten und Dienstleistungen 50

3.1.4 Wohnung 51

3.1.5 Gesundheit 52

3.1.6 Mobilität 53

3.1.7 Beruf 53

3.1.8 Administration 54

3.1.9 Informationstechnik 55

3.1.10 Lebensassistent 56

3.2 Technische Vision 57

3.3 Lebensassistenz für Senioren 60

3.3.1 Information und Kommunikation 60

3.3.2 Unterhaltung 61

3.3.3 Einkauf von Produkten und Dienstleistungen 61

3.3.4 Wohnung 62

3.3.5 Gesundheit 62

3.3.6 Mobilität 62

3.3.7 Beruf 63

3.3.8 Administration 63

3.3.9 Informationstechnik 63

3.4 Wege zum digitalen Lebensassistenten 64

3.4.1 Einzelapplikation oder Integration in die Megaportale 64

3.4.2 Soziotechnische Lösung 65

3.4.3 Konsequenzen für den Konsumentenmarkt 66

3.5 Forschung und Entwicklung zum Independent Living 67

4 Anhang 69

4.1 Verwandte Forschungsinitiativen 69

4.2 Verwandte Lösungen 73

4.3 Publikationen CC IL 78

5 Abkürzungsverzeichnis 79

6 Literaturverzeichnis 79

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1.1: Übersicht von Dienstleistungen für einen elektronischen Dienstleistungsmarktplatz 13

Abbildung 2.1: Übersicht über die Komponenten der ersten Version des elektronischen Dienstleistungsmarktplatzes 15

Abbildung 2.2: Serviceaufträge in der IL Plattform bei SAP Business ByDesign 15

Abbildung 2.3: Amiona V2 – Ansicht des Dienstleistungskatalogs am PC (am Beispiel von LebensQualität Weil der Stadt) 18

Abbildung 2.4: Amiona V2 – Ansicht des Dienstleistungskatalogs am Smartphone (am Beispiel von LebensQualität Weil der Stadt) 19

Abbildung 2.5: Startseite für das Haus Durachtal auf Basis von Amiona V2 21

Abbildung 2.6: AmCo-Cockpit 23

Abbildung 2.7: Entwicklung der Nutzerzahlen im „digitalen Dorf“ St. Gallen 25

Abbildung 2.8: Transaktionszahlen je Woche im „digitalen Dorf“ St. Gallen 25

Abbildung 2.9: Unterschiedliche Suchresultate für Garagen 27

Abbildung 2.10: Startseite des Markplatzes für das digitale Dorf in St. Gallen 28

 

Abbildung 2.11: Amiona-Anfragebutton auf einer Dienstleister-Webseite 30

Abbildung 2.12: Ansicht von Amiona V3 für LebensQualität Weil der Stadt 32

Abbildung 2.13: Ansicht aus der HbbTV-Anwendung von GeTVivid 33

Abbildung 2.14: Startseite von Amiona St. Gallen 35

Abbildung 2.15: Von einem Anbieter angebotene kurzfristige Termine zur direkten Buchung inklusive eines Rabatts 36

Abbildung 2.16: Angepasstes Anfrageformular für den Fahrdienst im Haus Durachtal 37

Abbildung 2.17: Katalogeinträge mit farblich unterschiedenen Angeboten und Bedarfen 38

Abbildung 2.18: Formular (Ausschnitt) zur Erfassung eines Gesuchs 39

Abbildung 2.19: Exemplarischer Verfügbarkeitskalender aus der Instanz für «LebensQualität Weil der Stadt» 40

Abbildung 2.20: Angepasstes Anfrageformular mit Einbindung des persönlichen Kunden-Adressbuchs («Termine im Auftrag anderer») 40

Abbildung 2.21: Screen-Design der Startseite für die integrierende Gate-Anwendung für die Pilotierung in Hamburg 42

Abbildung 2.22: Übersicht über die Pilotierungen 46

Abbildung 4.1: Besucherzahlen (eigene Darstellung, Quelle: Similarweb.com) 78

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1.1: Teilnehmende Organisationen im Independent Living Netzwerk St. Gallen 9

Tabelle 1.2: Projektförderungen im Rahmen des Competence Centers «Independent Living» 10

Tabelle 1.3: Mitarbeitende am CC IL 10

Tabelle 4.1: Forschungsinitiativen 70

Tabelle 4.2: AAL-Projekte und AAL-Testregionen 72

Tabelle 4.3: Independent Living und Smart Home von kommerziellen Anbietern 73

Tabelle 4.4: Verticals 74

Tabelle 4.5: Marktplätze für Freiwilligenarbeit, Nachbarschaftshilfe und informelle Anbieter 74

Tabelle 4.6: Marktplätze für professionelle und informelle Dienstleistungen 75

Tabelle 4.7: Apps in China: “Online-to-Offline-Services” 76

Tabelle 4.8: Angebote zur Online-Terminbuchung 77

Das Competence Center “Independent Living” war ein Forschungsbereich des Instituts für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen, finanziert aus Forschungsmitteln der Europäischen Union, der Schweiz, der Ernst Göhner Stiftung, der Gebert Rüf Stiftung sowie aus Mitteln des Instituts selbst (s. Tabelle 1.2). Die Forschung fand in einem Netzwerk von Organisationen rund um das Thema Lebensqualität für Senioren, dem Independent Living Netzwerk St. Gallen{1} (s. Tabelle 1.1){2}, statt. Das Competence Center startete 2006 und wurde zum Ende des Jahres 2016 abgeschlossen.

Folgende Organisationen wirkten im Rahmen des Independent Living Netzwerks mit:


Adhoco Lekker Leven
Age Stiftung Locate Solution GmbH
Atlas Stiftung Lohmann & Birkner Mobile Services
AXA Winterthur mia-TeleDialogServiceGesellschaft mbH
Bonacasa (Bracher & Partner) Nestor
Credit Suisse Phonak
Curena AG pom+Consulting AG
Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband Bitburg-Prüm Raiffeisen Schweiz
DE-WO Deine Wohnung Robert Bosch Healthcare
DGS Deutsche Gesellschaft für Seniorenberatung Rummelsberger Diakonie
Diakonie Neuendettelsau Sanitas
DOGEWO Dortmunder Gesellschaft für Wohnen mbH SAP
Dussmann AG & Co. KGaA Schweizerische Post
Entwicklungszentrum Gut altwerden Schweizerisches Rotes Kreuz
Evangelische Heimstiftung Senevita
Evangelische Stiftung Alsterdorf Seniorenverband Nordwestschweiz
FACO Immobilien Siemens IT Solutions and Services AG
Finanz-Informatik Swisscom
Georg Thieme Verlag KG Terra Consulting Partners GmbH
Home Instead Schweiz AG terzStiftung
Immologis TICO
Implenia Vincenz von Paul gGmbH
Intel GmbH VOLKSWOHNUNG GmbH
Interboden / Institut für Lebenswelten Wincasa
Itartis AG / Alterswelt Lebenswert Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg
Kaba AG World Demographic & Ageing Forum
Kunesto GmbH Zydacron Austria GmbH

Tabelle 1.1: Teilnehmende Organisationen im Independent Living Netzwerk St. Gallen

Die Arbeit im Competence Center „Independent Living“ war nur durch die Unterstützung von Fördergebern möglich:


Quelle Projekt Fördersumme / Beitrag in CHF
AAL Joint Programme Call 2 FamConnector: Activity Based Intergenerational Interactions 310'660
AAL Joint Programme Call 3 AmCo – Ambient Concierge 271'465
AAL Joint Programme Call 4 DOSSy - Digital Outdoor and Safety System 187'204
AAL Joint Programme Call 5 GeTVivid – Let’s Do Things Together 256'230
Ernst Göhner Stiftung Independent Living, Das digitale Dorf 30'000
Gebert Rüf Stiftung Das Virale Digitale Dorf - Services für Bürgerinnen und Bürger 327'000
Mitglieder des Independent Living Netzwerks Independent Living Netzwerk St. Gallen + Einzelprojekte 526'569
Summe 1'909'128

Tabelle 1.2: Projektförderungen im Rahmen des Competence Centers «Independent Living»

Mitarbeitende des Competence Center „Independent Living“ waren:


Name Von - bis
Dr. Alain Benz 03/2009 – 03/2013
Dr. Sebastian Bosse 04/2008 – 01/2009
Nina Kroll 04/2011 – 07/2011
Manuel Eisele 06/2013 – 12/2016
Omid Molavi 03/2012 – 09/2012
Prof. em. Dr. Dr. h.c. Hubert Österle 02/2006 – 12/2016
Dr. Philipp Osl 02/2006 – 08/2009 und 08/2010 – 12/2016
Dr. Ernst Sassen 12/2006 – 05/2010
Dr. Peter Schenkel 10/2010 – 03/2014
Mark Schleicher 01/2015 – 12/2016
Agata Sroka 09/2011 – 02/2013
Pascal Tuppi 03/2013 – 11/2014
Christine Wetli 12/2009 – 09/2010

Tabelle 1.3: Mitarbeitende am CC IL

 

1 Independent Living

Das Ziel des Competence Centers “Independent Living” (CC IL) war es zu erforschen, wie ältere Menschen möglichst lange eine hohe Lebensqualität bewahren können. Diese sollten ihr gewohntes Leben in den eigenen vier Wänden solange wie möglich unabhängig und selbstbestimmt beibehalten.

1.1 Die demographische Herausforderung

Vier Aspekte prägen die Ausgangssituation der Forschung auf diesem Gebiet (Osl, 2010):

 Der Rückgang an Geburten und das längere Leben bewirken, dass im Jahre 2030 52 Alte (über 65) auf 100 Personen im Erwerbsalter kommen, während es im Jahre 1991 noch 24 Personen waren. Das ist eine Herausforderung für die Pensionssysteme, aber auch für die personellen Ressourcen. “Die Bertelsmann Stiftung geht davon aus, dass bei Fortschreibung der bestehenden Strukturen der Altenhilfe sich die Zahl der stationären Pflegeplätze bis 2050 mehr als verdoppeln müsste ...” (Osl, 2010, S. 1).

 Die neue Generation der alten Menschen hat andere Wertvorstellungen und ein anderes Konsumverhalten als frühere Generationen. Sie legen mehr Wert auf Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung (Gawande, 2014).

 Die Informationstechnik kann die Lebensqualität bei gleichbleibenden finanziellen Restriktionen verbessern.

 Die Versorgung der Alten mit Produkten und Dienstleistungen hat das Potential für einen rasch wachsenden Wirtschaftszweig mit Exportchancen in die ganze Welt.

1.2 Ambient Assisted Living

Die EU, Deutschland, die Schweiz und viele andere Staaten haben mit Blick auf die Demographie im Zeitraum 2008 – 2013 EUR 317,5 Millionen in die Forschung und Entwicklung von IT-basierten Hilfen für Senioren im Rahmen des Ambient Assisted Living (AAL) Joint Programme investiert (EC, 2013, S. 27). Aufgrund des Erfolgs des ersten Förderprogramms wurde das Programm verlängert und 2014 in „Active and Assistive Living Programme“ umbenannt. Dieses ist mit EUR 700 Millionen finanziert, wovon mit EUR 350 Millionen die Hälfte aus öffentlichen Mitteln besteht und die übrige Finanzierung von den partizipierenden Unternehmen getragen wird; EUR 175 Millionen werden dabei von der EU im Rahmen des Förderprogramms „Horizon 2020“ und EUR 175 Millionen von den teilnehmenden Ländern getragen (AAL, 2016). Die Zahl der Senioren, insbesondere der Betreuungs- und Pflegebedürftigen, überfordert in der Zukunft die finanziellen und die personellen Ressourcen. Die am Programm beteiligten Staaten wollen den Aufwand der Altenbetreuung und -pflege begrenzen und gleichzeitig die Lebensqualität der Alten verbessern.

Der erste Ansatz des Competence Center IL verfolgte wie viele AAL-Projekte das Ziel, mit intelligenten Geräten im Haushalt die Sicherheit der Senioren zu erhöhen und die Unterstützungsleistungen durch Betreuer zu reduzieren. Automatische Pill Dispenser sollten für eine regelmässige und korrekte Medikation sorgen, Bewegungssensoren für die Früherkennung von Sturzgefahren und das Erkennen von ungewöhnlich langen Ruhezeiten, Notrufuhren für die Alarmierung von Angehörigen und Temperatursensoren für das Abschalten von vergessenen Herdplatten. Türsensoren sollten beim Verlassen der Wohnung elektrische Geräte aus- und die Einbruchsicherung einschalten, elektrische Türschlösser den Rettungskräften im Alarmfall über einen Code die Tür öffnen. Von Robotern erwartete man eine Unterstützung in der Pflege. Sprachkommunikation sollte die Bedienung von Haushaltsgeräten und -diensten vereinfachen und Videophonie mit Freunden die Vereinsamung vermeiden.

Aus den vielen Forschungs- und Entwicklungsprojekten zu intelligenten Geräten spezifisch für Senioren haben es bis heute wenige Ideen aus Musterwohnungen hinaus in den Alltagsbetrieb geschafft. In den privaten Haushalten sind vor allem Notrufsysteme (Armbänder, Uhren, Anhänger) und in Krankenhäusern vereinzelt Fussmatten zur Überwachung von Demenzpatienten im Einsatz. Einige Pflegeheime verwenden in der Therapie den Roboter Paro, der eine Sattelrobbe darstellt und auf Streicheln mit Bewegungen und tierähnlichen Tönen reagiert. Ein wichtiger Grund für den mangelnden Erfolg ist der bis heute zu hohe Aufwand zur Einrichtung und zur Benutzung der Geräte. Darüber hinaus fürchten die Senioren die Stigmatisierung durch Seniorenprodukte. Sie kaufen eher ein Motorrad als eine Notrufuhr.