Pamela, oder die belohnte Tugend

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Pamela, oder die belohnte Tugend
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Samuel Richardson, Horst Tran

Pamela, oder die belohnte Tugend

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Briefe I - XX

Briefe XXI - XXXI

Einschub des Verfassers

Brief XXXII

Das Tagebuch bis zum Fluchtversuch

Der Fluchtversuch

Das Tagebuch bis zur Abreise

Die Rückkehr

Impressum neobooks

Briefe I - XX

Brief I

Lieber Vater und liebe Mutter,

ich habe Euch sehr Betrübliches, aber auch Tröstliches, mitzuteilen. Das Betrübliche ist, dass meine gute Herrin an der Krankheit gestorben ist, von der ich Euch geschrieben habe, und uns alle in großer Trauer über ihren Verlust zurückgelassen hat; denn sie war eine gute Herrin und freundlich zu uns Bediensteten. Ich befürchtete, weil ich meiner Herrin als Zofe gedient habe, nun ganz mittellos dazustehen und gezwungen zu sein, zu Euch und meiner armen Mutter zurückzukehren, die ihr genug damit zu tun habt, Euch selbst zu ernähren. Und weil meine Herrin in ihrer Güte mich zu schreiben und Konten zu saldieren gelehrt und mich zu einer kleinen Expertin mit meiner Nadel gemacht und mich auch auf andere Weise über meinen Rang hinaus ausgebildet hat, hätte Eure arme Pamela nicht in jeder Familie einen passenden Platz finden können. Gott aber, dessen Gnade wir so oft in der Not erfahren haben, legte es, nur eine Stunde vor ihrem Hinscheiden auf dem Sterbebett, in das Herz meiner Herrin, meinem jungen Herrn all ihre Diener zu empfehlen, einen nach dem anderen; und als ich an der Reihe war, um empfohlen zu werden (denn ich saß schluchzend und wei­nend an ihrem Kissen), da konnte sie nur sagen: "Mein lieber Sohn!" und brach für einige Momente ab; und als sie wieder Kraft schöpfte:

„Denke an meine arme Pamela."

Und das gehörte zu ihren letzten Worten! Ach, wie meine Augen tränen! Wundert Euch nicht über die Flecken auf dem Papier.

Nun, Gottes Wille muss getan werden! Und so komme ich zu dem Tröstlichen, dass ich nicht gezwungen sein werde, zu meinen lieben Eltern zurückzukehren, um ihnen zur Last zu fallen. Denn mein Herr hat gesagt:

"Ich will mich um Euch alle kümmern, meine guten Mägde. Und für Euch, Pamela," (und er nahm mich bei der Hand, ja, vor aller Augen nahm er meine Hand), "will ich, meiner guten Mutter zuliebe, ein Freund sein. Ihr werdet Euch um meine Wäsche kümmern."

Gott segne ihn! Und betet mit mir, mein lieber Vater und meine liebe Mutter, um Segen für ihn, denn er hat allen Bediensteten meiner Herrin Trauerkleidung und den Lohn eines Jahres geschenkt. Mir aber, die ich noch keinen Lohn erhalten hatte, weil meine Herrin mich nach meinen Verdiensten belohnen wollte, gab die Hausdame auf seine Anordnung hin Trauerkleidung wie den anderen. Dann schenkte er mir mit eigener Hand vier goldene Guineen und einige Silberstücke, die im Beutel meiner alten Herrin waren, als sie starb, und sagte, dass er, seiner Mutter zuliebe, mir ein Freund sein würde, wenn ich ein braves und treues und fleißiges Mädchen wäre. Und so sende ich Euch diese vier Guineen, um Euch zu trösten, denn die Vorsehung wird mich nicht leiden lassen. Ihr könnt einen Teil davon verwenden, um Schulden zu bezahlen, und den Rest, um Euer Leben erträglicher zu machen. Wenn ich mehr erhalte, werde ich in Pflicht und Liebe für Euch sorgen, dessen könnt Ihr sicher sein, denn Ihr habt in Liebe für mich gesorgt, als ich nichts für mich tun konnte. Ich übersende sie Euch durch John, unseren Boten, dessen Weg bei Euch vorbeiführt. Er weiß aber nicht, was er mit sich trägt, denn ich habe sie in eine der kleinen Pillenschachteln meiner Herrin gelegt und in Papier gewickelt, damit sie nicht klimpern. Und achtet darauf, sie nicht vor seinen Augen zu öffnen.

Ich weiß, liebe Eltern, dass ich Euch Kummer und Freude zugleich bereite. Und so will ich nur sagen: Betet für Eure Pamela,

Eure auf immer gehorsamste Tochter

Ich habe mich furchtbar erschreckt, denn gerade als ich diesen Brief in der Kammer meiner heimgegangenen Herrin zusammenfaltete, kommt mein junger Herr herein! Du lieber Himmel! Welche Angst ich hatte! Ich versteckte den Brief in meinem Busen. Als er mein Zittern sah, sagte er mit einem Lächeln:

"An wen habt Ihr geschrieben, Pamela?"

In meiner Verwirrung sagte ich:

"Mögt Ihr mir verzeihen! Nur an meine Eltern."

"Lasst mich doch sehen, wie weit Ihr im Schreiben vorangekommen seid!"

Ach, wie ich mich schämte! Zu meinem Schrecken nahm er schweigend den Brief, las ihn ganz durch und gab ihn mir zurück.

"Mögt Ihr mir verzeihen!", sagte ich.

Warum aber, weiß ich nicht, denn er war gegenüber seinen Eltern immer pflichteifrig gewesen. Warum sollte er nun wütend sein, wenn ich dies zu meinen Eltern ebenso war? Und tatsächlich war er nicht wütend, sondern nahm mich bei der Hand und sagte:

"Es ist anständig von Euch, Pamela, Euren alten Eltern so viel Güte zu erweisen. Ich nehme Euch nichts übel, denn ihr schreibst nur unschuldige Dinge. Dennoch solltet Ihr darauf achten, was Ihr über mein Haus nach außen mitteilt. Seid treu und fleißig und haltet Euch an Eure Pflichten, dann werde ich Euch umso mehr schätzen."

Und er fuhr fort:

"Pamela, Ihr schreibt sehr geschickt und habt auch eine annehmbare Orthographie. Die Mühe meiner Mutter um Eure Ausbildung war nicht vertan. Sie sagte immer, dass Ihr gerne Bücher lest. So nehmt Euch nach Belieben ihre Bücher zur Lektüre, um Euch fortzubilden."

Natürlich habe ich mich bei seinen Worten nur verneigt und geweint und war ganz verwirrt über seine Güte. Er ist wirklich der edelste aller Herren, denke ich! Doch ich bin im Begriff, einen weiteren langen Brief zu schreiben. So will ich nur noch hinzufügen, dass ich auf immer Eure gehorsame Tochter bleibe.

Pamela Andrews

Brief II

(In Antwort auf den vorigen)

Liebe Pamela,

in der Tat hat dein Brief mich und deine arme Mutter sehr betrübt, aber auch getröstet. Wir sind natürlich sehr erschüttert über den Tod deiner guten Herrin, die sich so sehr um dich und deine Ausbildung gekümmert hat und die dir in den vergangenen drei oder vier Jahren immer Kleidung und Wäsche und all das gab, welches zu tragen auch eine Dame sich nicht schämen muss. Doch unsere größte Sorge ist, und sie ist wahrhaft groß, dass du, auf diese Weise über deinen Stand erhoben, dazu verleitet werden könntest, etwas Ehrloses oder Verruchtes zu tun. Alle Leute berichten, wie gut du dich entwickelt hast und was für ein kultiviertes Mädchen du geworden bist, und einige sagen, du seiest sehr hübsch. In der Tat hätte auch ich, wenn du nicht unser Kind wärest, diesen Gedanken gehabt, als ich dich vor sechs Monaten zuletzt sah. Aber was nützt das alles, wenn du entehrt und verloren bist! In der Tat, meine liebe Pamela, wir beginnen uns sehr um dich zu ängstigen, denn was bedeuten alle Reichtümer dieser Welt, wenn man ein unreines Gewissen hat und sich unredlich benimmt! Wir sind, das ist wahr, sehr arm und haben Mühe, unser Leben zu bestreiten, auch wenn wir, wie du weißt, schon bessere Tage hatten. Doch wir würden viel lieber von Wasser und von der Erde der Gräben leben, die ich in Gleichmut aushebe, als ein besseres Leben zu führen um den Preis der Entehrung meines Kindes.

Ich hoffe, dass der gute Edelmann keine Absichten hegt, wenn er dir so viel Geld gibt und so freundlich zu dir spricht und deine Fortschritte lobt. Und, ach! dieses schlimme Wort!, dass er noch freundlicher zu dir wäre, wenn du dich angemessen verhältst, das erfüllt uns mit fast unerträglicher Furcht.

Ich habe darüber mit der alten Witwe Mumford gesprochen, die, wie du weißt, früher in guten Familien gelebt hat. Ihre Worte gaben uns etwas Trost, denn sie sagte, es sei nichts Ungewöhnliches, dass das Geld einer verstorbenen Herrin, welches sie bei sich hat, ihrer Kammerzofe gegeben würde oder jemandem, der sich um die Kranke gekümmert hat. Warum aber betrachtet er dich mit solcher Freundlichkeit? Warum nimmt er ein so armes Mädchen wie dich bei der Hand, wie er es nach deinen Worten zwei Mal tat? Warum lässt er sich dazu herab, deinen Brief an uns zu lesen, und kommentiert deine Schreibweise und Rechtschreibung? Und warum sollte er dir die Bücher seiner Mutter zum Lesen überlassen? Wahrlich, mein liebes Kind, unsere Herzen sind voller Angst, du aber scheinst voller Freude über seine Güte und eingenommen durch seine freundlichen Worte zu sein (die, in der Tat, eine große Gunst bezeugen, wenn er es gut meint), so dass wir fürchten – ja, mein liebes Kind, fürchten – dass du dich als zu dankbar erweisen und ihn mit jenem Schatz, nämlich deiner Tugend, belohnen wirst, der durch keine Reichtümer oder andere Dinge dieser Welt aufzuwiegen ist.

Mein Brief ist gleichfalls lang geworden, aber eines will ich noch hinzufügen: Inmitten unserer Armut und unseres Missgeschicks haben wir in Gottes Güte vertraut und sind immer rechtschaffen gewesen, und wir zweifeln nicht daran, nach diesem Leben selig zu werden, wenn wir in unserer Rechtschaffenheit fortfahren, auch wenn in diesem Leben unser Los hart ist. Der Verlust der Tugend unseres lieben Kindes aber würde uns einen unerträglichen Kummer verursachen und unsere grauen Haare im Nu zu Grabe bringen.

 

Wenn du uns also liebst und wenn du nach Gottes Segen verlangst und nach deinem zukünftigen Glück, so fordern wir von dir, auf der Hut zu sein. Bemerkst du den geringsten Versuch, dir deine Tugend zu nehmen, dann lasse alles zurück und komme zu uns; denn wir sehen dich lieber in Lumpen gekleidet oder zu Grabe getragen, als sagen zu müssen, dass eines unserer Kinder die irdischen Annehmlichkeiten über die Tugend gestellt hat.

Wir nehmen dein pflichtschuldiges Geschenk gerne an, können davon aber, solange wir uns um dich sorgen, keinen Gebrauch machen, da wir sonst fürchten, aus der Schande unserer armen Tochter Nutzen zu ziehen. Deshalb haben wir es vorläufig in ein Tuch gewickelt und in das Stroh über dem Fenster gelegt, damit es uns nicht gestohlen wird. Mit unserem Segen und unseren herzlichen Gebeten für dich sind wir

Deine besorgten, aber dich liebenden Eltern

John and Elizabeth Andrews

Brief III

Lieber Vater,

ich bekenne, dass mich Euer Brief sehr beunruhigt, denn er hat mein Herz, das von Dankbarkeit für die Güte meines Herrn überfloss, argwöhnisch und furchtsam gemacht. Und doch hoffe ich, dass ich ihn niemals in einer Weise erleben werde, die seiner unwürdig wäre, denn was könnte er davon haben, ein armes junges Geschöpf wie mich zugrunde zu richten? Am meisten Sorge bereitet mir aber, dass Ihr der Ehrbarkeit eures Kindes zu misstrauen scheint. Nein, mein lieber Vater und meine liebe Mutter, seid versichert, dass ich mit Gottes Gnade niemals etwas tun werde, das Eure grauen Haare jammervoll zu Grabe bringt. Lieber würde ich tausend Tode sterben als in Unehre zu leben, gleich in welcher Weise. Dessen könnt Ihr sicher sein und Euer Herz beruhigen; denn obgleich ich in der Vergangenheit für einige Zeit über meinem Stand lebte, kann ich mich auch mit Lumpen und Armut und Brot und Wasser abfinden und würde sie in Freuden annehmen, statt meinen guten Ruf zu verlieren, gleich wer derjenige sei, der mich versucht. So bewahrt also die Ruhe und habt eine höhere Meinung von Eurer bis zum Tod gehorsamen Tochter.

Eure bis ans Lebensende gehorsame Tochter

Mein Herr ist weiterhin sehr wohlwollend zu mir. Bisher sehe ich keinen Grund, etwas zu befürchten. Mrs. Jervis, die Hausdame, ist zu mir ebenfalls sehr anständig. Alle im Haus sind mir gegenüber voller Liebe. Sie können doch nicht alle etwas im Schilde führen, bei dieser Höflichkeit! Ich hoffe, mich immer so zu verhalten, dass mich jedermann achtet, und dass niemand mir mehr Schmerz zufügt als ich irgendjemand dies antun würde. Unser John geht so häufig in Eure Nähe, dass ich ihn bitten werde, jedes Mal bei Euch vorbeizuschauen, damit Ihr von mir hört, entweder schriftlich (denn so verbessert sich meine Schreibart) oder mündlich.

Brief IV

Liebe Mutter,

weil der letzte Brief eine Antwort an meinen Vater war, will ich nun an Euch schreiben, auch wenn ich nichts zu berichten habe als Dinge, die mich noch mehr als ein eitles Luder erscheinen lassen. Ich hoffe dennoch, niemals so hochmütig zu werden, dass ich mich selbst vergesse. Es bereitet aber ein heimliches Vergnügen, sich von anderen gelobt zu hören. Ihr müsst also wissen, dass Lady Davers, die, wie ich Euch nicht zu sagen brauche, die Schwester meines Herrn ist, einen Monat lang in unserem Haus weilte und mir große Beachtung geschenkt hat und mir den Rat gab, die Gesellschaft anderer zu meiden. Sie sagte mir, ich sei ein schönes Mädchen, und dass alle mein gutes Wesen lobten und mich liebten, und bat mich, von Männern Abstand zu halten, und sagte auch, dass ich dafür noch mehr geehrt sein würde, sogar von diesen selbst.

Was mich aber am meisten freute, ist dieses: Laut Mrs. Jervis sagte die Lady in einem Gespräch mit meinem Herrn, dass ich das schönste Mädchen sei, dass sie in ihrem ganzen Leben gesehen habe, und dass ich zu schön sei, um im Haus eines Junggesellen zu leben. Denn keine Dame, die er einmal heiraten würde, würde mich als Dienstmagd behalten wollen. Er sagte daraufhin, ich hätte enorme Fortschritte gemacht und besäße ein höheres Maß an Klugheit und Einsicht, als es meinen Jahren zukäme, und dass es schade wäre, wenn mir das, was mich auszeichnet, zum Unglück gereiche.

"Nein", sagte die gute Lady, "ich denke, Pamela soll mit mir kommen und bei mir leben."

Er antwortete:

"Von Herzen gern."

Und er wäre erfreut, dass für mich so gut gesorgt sei.

"Gut", sagte sie, "ich werde mich mit meinem Lord darüber beraten."

Sie fragte, wie alt ich sei.

"Seit dem letzten Februar fünfzehn Jahre", sagte Mrs. Jervis.

"Oh! Wenn das Mädchen an sich arbeitet, wird sie es noch viel weiter bringen, körperlich wie geistig."

Nun, meine lieben Eltern, obgleich es eitel erscheinen mag, wenn ich das wiederhole: Freut es Euch nicht so ebenso wie mich, dass mein Herr nichts dagegen einzuwenden hat, dass ich sein Haus verlasse? Das zeigt doch, dass er nichts Übles im Sinn hat. Aber John ist im Begriff zu gehen, so bleibt mir nur zu sagen, dass ich für immer sein werde

Eure ehrbare und gehorsame Tochter

Ich bitte Euch, von dem Geld Gebrauch zu machen. Ihr könnt dies nun ohne Bedenken tun.

Brief V

Lieber Vater und liebe Mutter,

da Johns Weg wieder bei Euch vorbeiführt, möchte ich Euch gerne schreiben, denn er dient mir gerne als Bote. Er sagt, es bereite ihm Freude, Euch zu sehen und Euch reden zu hören, und dass ihr beide derart verständig und tugendhaft seid, dass er jedes Mal von Euch etwas lernt. Es sei ungemein schade, sagt er, dass solch ehrbare Herzen nicht mehr Glück im Leben haben, und fragt sich, warum Ihr, mein Vater, der so gut zu lehren versteht und so gut zu schreiben weiß, keinen größeren Erfolg mit der Schule hattet, die einzurichten Ihr versucht habt, sondern für Euren Lebensunterhalt zu harter Arbeit gezwungen wart. Aber es macht mich stolzer, von solch ehrbaren Eltern zu stammen, als wenn ich als Edeldame geboren wäre.

Ich habe noch nichts davon gehört, dass ich zu Lady Davers gehe. Im Augenblick fühle ich mich hier sehr wohl. Mrs. Jervis behandelt mich wie ihre eigene Tochter, sie ist eine sehr gute Frau und tut alles nach dem Interesse meines Herrn, als wäre es ihr eigenes. Jederzeit gibt sie mir guten Rat, und ich liebe sie, gleich nach Euch beiden, von allen Menschen am meisten, glaube ich. Sie hält das Haus gut in Ordnung und ist hoch geachtet von uns allen. Mit Vergnügen lauscht sie, wenn ich ihr vorlese, am liebsten aus guten Büchern, wann immer wir allein sind. Ich denke dann, bei Euch zuhause zu sein. Sie hörte einen von unseren Bediensteten, Harry, der nicht der Anständigste ist, freizügig mit mir reden. Ich glaube, er nannte mich seine hübsche Pamela, und fasste mich so an, als wolle er mich küssen. Darüber war ich, seid dessen versichert, sehr wütend. Von der verärgerten Mrs. Jervis aber wurde er zurechtgewiesen. Sie sagte mir, sie sei hoch erfreut über meinen Anstand und meine Bescheidenheit und darüber, dass ich Abstand zu den Burschen hielte. In der Tat bin ich mir sicher, ohne Hochmut zu sein und mich anständig zu allen zu verhalten. Und doch, will mir scheinen, kann ich es nicht ertragen, von diesen Bediensteten angestarrt zu werden, denn es ist, als würden sie durch mich hindurchsehen. Da ich für gewöhnlich mit Mrs. Jervis frühstücke und zu Mittag und zu Abend esse (so gut ist sie zu mir), ist es mir ganz recht, mit ihnen so wenig sprechen zu müssen. Weil sie merken, wie sehr Mrs. Jervis mich mag, sind sie im Ganzen aber sehr höflich zu mir. Sie haben großen Respekt vor Mrs. Jervis, weil sie eine geborene Edeldame ist, der im Leben einiges Missgeschick widerfuhr.

Ich bin wieder dabei, einen langen Brief zu schreiben, denn ich liebe das Schreiben, doch es mag Euch ermüden. Zu Beginn wollte ich nur sagen, dass ich nun völlig ohne Angst bin. Und wirklich kann ich mich jetzt nur über mich wundern (obgleich Eure Warnung an mich von Eurer sorgsamen Liebe kommt), dass ich in so närrischer Weise beunruhigt war. Denn ich bin mir sicher, dass mein Herr sich nicht dazu erniedrigen würde, einem so armen Mädchen wie mir Schaden zuzufügen. So etwas würde, wie Ihr wisst, sein Ansehen ruinieren, wie auch meines. Denn ganz gewiss hat er gute Aussichten auf eine der angesehensten Damen in diesem Lande. Damit aber genug für dieses Mal, ich bin

Eure auf immer gehorsame Tochter

Brief VI

Lieber Vater und liebe Mutter,

mein Herr ist seit dem letzten Mal sehr gütig zu mir gewesen. Er hat mir einige Kleider meiner Herrin und ein halbes Dutzend von ihren Hemden geschenkt, sowie sechs Taschentücher, drei von ihren Leinenschürzen und vier aus Halbleinen. Die Kleider sind aus feiner Seide und ganz sicher zu prächtig und zu gut für mich. Ich wünschte, es würde ihn nicht beleidigen, wenn ich sie verkaufen und Euch das Geld senden würde, was mir viel lieber wäre.

Ihr werdet nun wieder in Furcht sein, dass man gegen mich Absichten hegt. Lasst Euch aber gesagt sein, dass Mrs. Jervis zugegen war, als er sie mir gab, und dass er ihr ebenfalls viele schöne Kleider schenkte und sie bat, diese in Erinnerung an ihre gute Freundin, meine Herrin und seine Mutter, zu tragen. Als er mir die feinen Sachen gab, sprach er:

"Das ist für Euch, Pamela. Lasst sie Euch anpassen, wenn Euer Trauerkleid abgelegt ist, und tragt sie zu Ehren Eurer Herrin. Mrs. Jervis hat Euch sehr gelobt. Ich möchte, dass Ihr Euch weiterhin so klug verhaltet wie bisher, dann wird Euch jeder liebhaben."

Ich war so überrascht über seine Güte, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Endlich verneigte ich mich vor ihm und auch vor Mrs. Jervis wegen ihres Lobs und sagte, ich wünschte, seiner Gunst und ihres Wohlwollens würdig und ohne jeden Fehl zu sein, nach meinem besten Wissen.

Ach, wie schön ist es doch, Gutes zu tun! Das ist das einzige, worum ich die hohen Leute beneide.

Ich habe meinen jungen Herrn immer für einen Ehrenmann gehalten, als welchen ihn auch alle bezeichnen. Doch er gab uns beiden diese schönen Sachen mit einer Anmut, dass ich meinte, einen Engel zu sehen.

Mrs. Jervis sagte, er hätte sie gefragt, ob ich die Männer auf Abstand halte. Denn, so sagte er, ich sei sehr hübsch, und es könne mein Ruin sein, wenn ich mich auf einen von ihnen einlasse, und würde mich frühzeitig ins Unglück stürzen. Sie ist immer bereit, mich zu loben, und nutzte die Gelegenheit, um in Hochachtung über mich zu sprechen. Ich hoffe aber, dass sie nicht mehr gesagt hat, als es meine Bemühungen rechtfertigen, denn ich bin noch nicht so weit. Sicher werde ich sie immer lieben, gleich nach Euch und meiner lieben Mutter. So bleibe ich

Eure immer gehorsame Tochter

Brief VII

Lieber Vater,

seit meinem letzten Brief hat mir mein Herr noch mehr schöne Sachen geschenkt. Er rief mich hinauf in die Kleiderkammer meiner dahingeschiedenen Herrin, zog die Schubladen auf und gab mir zwei Kopftücher aus flandrischen Spitzen, drei Paar Schuhe aus feiner Seide, davon zwei kaum getragen und genau für mich passend (denn meine Herrin hatte sehr kleine Füße), und das andere mit gehämmerten Silberschnallen, sowie einige Bänder und Hauben in allen Farben, vier Paar Strümpfe aus feiner weißer Baumwolle und drei Paar aus feiner Seide, als auch zwei Paar wunderschöne Schnürbrüste. Ich war ganz entgeistert und konnte für einige Zeit kein Wort herausbringen. Doch innerlich schämte ich mich, die Strümpfe anzunehmen, denn Mrs. Jervis war nicht zugegen. Im anderen Fall hätte es mir nichts ausgemacht. Ich nahm sie, glaube ich, sehr ungeschickt an mich, denn er lächelte darüber und sagte:

"Ihr braucht nicht zu erröten, Pamela. Denkt Ihr, ich wüsste nicht, dass es sich für hübsche Mädchen ziemt, Schuhe und Strümpfe zu tragen?"

Ich war über diese Worte so verwirrt, dass mich ein Windhauch hätte umblasen können. Wie Ihr Euch denken könnt, gab es darauf keine Antwort. So war ich wie eine Närrin nahe daran zu weinen und entfernte ich mich mit Verneigungen und rot bis zu den Ohren. Denn obgleich seine Worte ohne Arg waren, wusste ich doch nicht, wie damit umzugehen ist. Ich ging zu Mrs. Jervis und erzählte ihr alles. Sie sagte, dass Gott hat es ihm ins Herz gelegt hat, mir Gutes erweisen und dass ich meinen Eifer verdoppeln müsse. Es käme ihr vor, als würde er mich auf diese Art für meine Stelle als Kammerzofe bei Lady Davers ausstatten.

 

Eure gütigen väterlichen Warnungen kamen mir wieder in den Sinn und nahmen diesen Geschenken den Wert, den sie sonst für mich gehabt hätten. Und doch hoffe ich, dass es dafür keinen Grund gibt. Denn warum sollte er einem so einfachen Mädchen wie mir schaden wollen? Abgesehen davon würde ihn wohl keine Dame mehr in Betracht ziehen, wenn er sich so entwürdigt. Ich will mich also wieder beruhigen und wäre auch nie in Sorge gewesen, hättet Ihr sie mir nicht in den Kopf gesetzt. Ich weiß sehr wohl, dass Ihr dies zu meinem Besten tatet. Vielleicht würde ich, wenn die Sorge nicht die Wohltaten verdüsterte, zu sehr in Stolz schwelgen — So will ich damit schließen, dass all das zu unserem Besten geschieht. Möge Gott Euch segnen, meine lieben Eltern. Ich weiß, dass auch Ihr stets um Segen für mich betet, die für immer ist

Eure gehorsame Tochter

Brief VIII

Liebe Pamela,

ich kann meine Warnungen vor der Güte deines Herrn und seinen ungenierten Worten über die Strümpfe nur erneuern. Es hat vielleicht, und ich hoffe es, nichts zu bedeuten. Doch wenn ich mir überlege, dass es etwas bedeuten könnte und dass, falls es so ist, davon nicht weniger abhängt als das Glück meines Kindes in dieser und in der nächsten Welt, dann ist das genug Grund, sich um dich zu ängstigen. Wappne dich, mein Kind, für das Schlimmste; und entscheide dich dafür, lieber das Leben als deine Tugend zu verlieren. Was für einen Unterschied macht es, dass die Zweifel, die ich in dir geweckt habe, die Freude an der Güte deines Herrn mindern? Hat denn das Vergnügen an ein paar armseligen schönen Kleidern im Vergleich zu einem reinen Gewissen überhaupt eine Bedeutung?

Es sind wahrlich sehr große Wohltaten, mit denen er dich überhäuft, doch umso mehr erregen sie Verdacht. Und wenn du sagst, dass er liebenswert und wie ein Engel aussieht, dann befürchte ich, dass seine Gaben auf dich einen allzu großen Eindruck machen könnten! Denn, obgleich du mit Vernunft und Klugheit über deine Jahre hinaus gesegnet bist, zittere ich doch bei dem Gedanken, welcher Gefahr ein armes Mädchen von kaum mehr als fünfzehn Jahren ausgesetzt ist angesichts der Versuchungen dieser Welt und eines Pläne schmiedenden jungen Edelmanns, der, falls er sich als solcher erweisen sollte, als dein Herr die Macht und das Recht hat, Befehle zu erteilen.

Ich verlange von dir, mein liebes Kind, wenn du den Segen deiner armen Eltern willst, auf der Hut zu sein. Dass Mrs. Jervis eine so anständige Dame und so freundlich zu dir ist, beruhigt mich und auch deine Mutter ganz beträchtlich. Wir hoffen, dass du vor ihr nichts verbirgst und stets ihren Rat einholst. Mit unserem Segen und unseren Gebeten für dich mehr als für uns selbst sind wir

Deine dich liebenden Eltern

Lass dir nicht von den Leuten sagen, wie schön du bist, damit du nicht eitel wirst. Denn du hast deinen Leib nicht selbst gemacht und daher kein Lob dafür verdient. Tugend und Güte allein machen die wahre Schönheit aus. Vergiss dies nicht, Pamela.

Brief IX

Lieber Vater und liebe Mutter,

es tut mir leid, Euch mitteilen zu müssen, dass meine Hoffnung, als Zofe zu Lady Davers gehen zu können, sich zerschlagen hat. Die Lady hätte mich gerne gehabt, doch mein Herr hat dem, wie ich hörte, nicht zugestimmt. Er sagte, dass ihr Neffe sich vielleicht in mich verlieben würde, und dass ich ihn oder er mich verführen könne, und war der Meinung, da seine Mutter mich liebte und mich seiner Sorge anvertraute, dass ich bei ihm bleiben solle und dass Mrs. Jervis wie eine Mutter für mich sein würde. Von dieser weiß ich, dass die Lady den Kopf geschüttelt und gesagt hat:

"Ach, Bruder!"

Und das war alles. Weil Ihr mich durch Eure Warnungen bange gemacht habt, kommen mir immer wieder böse Ahnungen. Bis jetzt habe ich Mrs. Jervis nichts von Eurer Warnung oder meinem eigenen Unbehagen gesagt, nicht weil ich ihr misstraue, sondern weil ich befürchte, dass sie mich für überheblich, aufgeblasen und eitel hält, wenn ich mir trotz des großen Abstandes zwischen einem Edelmann und einem armen Mädchen solche Sorgen mache. Allerdings hat es den Anschein, dass Mrs. Jervis einige Schlüsse aus Lady Davers´ Kopfschütteln zieht und daraus, dass sie nicht mehr sagte als: Ach Bruder!. So hoffe ich, dass Gott Gnade mit mir hat. Ich werde mir daher, wenn ich vermag, darüber nicht allzu sehr den Kopf zerbrechen, denn es gibt dafür hoffentlich keinen Anlass. Ich werde Euch aber über jede Kleinigkeit, die mir widerfährt, in Kenntnis setzen, damit Ihr mir weiterhin guten Rat erteilen und beten könnt für

Eure traurige Pamela

Brief X

Liebe Mutter,

ihr und mein guter Vater wundert Euch vielleicht, warum ihr seit so vielen Wochen keinen Brief von mir erhalten habt. Der Grund dafür war eine sehr, sehr traurige Begebenheit. Denn es ist nun allzu offensichtlich, dass Eure Warnungen wohl begründet waren. Ach, liebe Mutter! Es geht mir elend, wirklich elend! Habt dennoch keine Angst, ich bewahre die Tugend! Gott in seiner Güte erhalte mich darin!

Ach, dieser engelhafte Herr! Dieser feine Edelmann! Dieser liebreizende Wohltäter Eurer armen Pamela!, der sich nach dem Wunsch seiner sterbenden Mutter um mich kümmern sollte. Der so in Sorge um mich war, dass Lady Davers´ Neffe mich verführen würde, dass er mich nicht zu ihr gehen ließ. Genau dieser Edelmann (ja, ich muss ihn so nennen, obwohl er diesen Titel nicht mehr verdient) ist so tief gesunken, dass er sich seiner Dienerin gegenüber eigenmächtige Freiheiten herausnahm. Er hat nun sein wahres Gesicht gezeigt, und nichts erscheint mir finsterer und schrecklicher.

Ich bin nicht müßig gewesen, sondern habe von Zeit zu Zeit aufgeschrieben, mit welch verschlagener Niedertracht er nach und nach seine verderbten Gedanken offenlegte. Doch jemand stahl meinen Brief, und ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Er war sehr lang. Ich fürchte, dass mein Herr, der gemein genug ist, um in einer Hinsicht Übles zu tun, dies auch in anderer getan hat. Wie auch immer, mehr als die eigene Beschämung kann er dadurch nicht erlangt haben, wozu ich selbst aber keinen Grund habe, denn er wird sehen, dass ich an meiner Tugend festhalte und mich glücklich schätze, arme, aber ehrbare Eltern zu haben.

Ich berichte Euch über alles bei der nächsten Gelegenheit, denn ich werde sehr genau beobachtet. So sagte er zu Mrs. Jervis:

"Dieses Mädchen ist ständig am Kritzeln. Ich denke, man könnte ihr Besseres zu tun geben."

Ich arbeite aber den ganzen Tag mit meiner Nadel und kümmere ich um seine Wäsche und die Wäsche des Hauses, und ich sticke ihm nebenbei eine Weste. Aber, ach!, mein Herz will gleich zerbrechen, denn was ich als Lohn erhalte, ist Scham, Schimpf, Schande und schlechte Behandlung! Ich werde Euch alles in Bälde berichten und hoffe, meinen langen Brief zu finden.

Eure höchst betrübte Tochter

Vielleicht übertreibe ich es mit all dem Er und Ihm. Das ist aber seine Schuld. Denn warum hat er sich mir gegenüber so entwürdigt?

Brief XI

Liebe Mutter,

ich kann meinen Brief nicht wiederfinden und versuche also, alles zu erinnern und mich möglichst kurz zu fassen. Eine Zeitlang liefen die Dinge nach meinem vorletzten Brief ganz gut. Schließlich aber kam mir manches verdächtig vor, denn wann immer er mich sah, blickte er mich auf eine Weise an, die nichts Gutes verheißt. Eines Tages kam er zu mir, als ich im Gartenhaus mit meiner Nadel arbeitete und Mrs. Jervis mich gerade verlassen hatte. Ich wollte hinausgehen, doch er sagte:

"Nein, geht nicht, Pamela. Ich muss mit Euch sprechen. Immer flieht ihr vor mir, wenn ich in Eure Nähe komme, als hättet Ihr Furcht vor mir."

Ich war sehr verstört, wie Ihr Euch denken könnt, sagte aber endlich:

"Es kommt Eurer Dienerin nicht zu, in Eurer Nähe zu weilen, Sir, wenn es Eure Angelegenheiten nicht erfordern. Und ich hoffe, immer meinen rechten Platz zu kennen."

"Nun", sagte er, "meine Angelegenheiten erfordern es manchmal, und ich finde, dass Ihr bleiben solltet, um zu hören, was ich Euch zu sagen habe."

Ich stand immer noch verwirrt da und begann zu zittern, und zitterte noch mehr, als er mich bei der Hand fasste, denn keine Menschenseele war in der Nähe.

"Meine Schwester Davers" (er schien ebenso verlegen um Worte zu sein wie ich) "wollte Euch bei sich haben. Aber sie würde nicht das für Euch tun, was ich zu tun entschlossen bin, wenn ihr weiterhin treu und ergeben seid. Was sagst Du, mein Mädchen?"