Tödliche Gier

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Tödliche Gier
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Holger Thomas Lang

Tödliche Gier

- Du Gehörst Mir

Imprint

Tödliche Gier - Du Gehörst Mir

Holger Thomes Lang

published by: epubli GmbH, Berlin,

www.epubli.de

Copyright: © 2014 Holger Thomas Lang

ISBN 978-3-8442-8018-0

Prolog, 27.05.1970

Als Inspektor der hiesigen Polizei war ich natürlich an den Anblick von Toten gewöhnt. Falls wir von der Tatsache ausgehen, dass man sich jemals wirklich daran gewöhnen kann.

„Wie sieht’s aus, Doc?“, fragte ich den Polizeiarzt, Doktor Jan Koehler. Er strich sich eine seiner grauen Haarsträhnen aus der Stirn.

„Mit einem Gürtel erwürgt, würde ich sagen. Und dann einfach hier in der Garage abgestellt.“

Die wollen das ja nicht mal ansatzweise als Selbstmord durchgehen lassen, dachte ich mürrisch. Das konnte ja heiter werden.

„Tja, Herr Oberinspektor Kühn. Das wird ein harter Brocken für Dich, mein Junge“, sagte der Arzt mit einer nonchalanten Vertraulichkeit, die meinen bereits angespannten Geduldsfaden einer ziemlichen Zerreißprobe unterzog. „Den Bericht kriegst Du später. Ich weiß noch nicht genau, wann ich ...“

„Schon gut, Jan“, unterbrach ich ihn kurz angebunden. Wir waren vor die Garage getreten. „Jetzt sind erst mal die Herrschaften von der Spurensicherung dran.“

Entnervt zündete ich mir eine Zigarette an und zog den tröstlich beißenden Rauch ein. Es war einfach nicht mein Tag.

„Naja, so wie ich die feinfühligen Herren kenne, werden die den Wagen auseinandernehmen bis auf die letzte Mutter. Und dabei ein so schöner BMW. Können wir uns nicht leisten, was?“

„Ach was, Jan. ‘n bisschen was auf die hohe Kante, aber ... lassen wir das. Sonst hast Du nichts feststellen können?“

„Wart erst mal auf den Bericht, Du Sklaventreiber.“

Mit diesen Worten wandte er sich ab. Ich betrat wieder die Garage. Inzwischen war die Tote, deren Identität unbekannt war - wie man mir mitteilte - aus dem Wagen geholt worden.

„Habt ihr sie gründlich durchsucht?“, fragte ich.

„Ja, sicher. Keine Papiere. Weder Ausweis, Pass ...“

„Gut, OK.“

Vor der Garage kündigten scharf quietschende Bremsen den Wagen meines

Vorgesetzten an, Kommissar Neureiter. Der korrekt in einen schwarzen Anzug gekleidete Mann, der dem grünen Mercedes entstieg, sah trotz der frühen Morgenstunde unverschämt munter aus.

„Morgen, Randy“, sagte er. „Was ist hier passiert?“

„Eine Tote in diesem Wagen dort. Keine Papiere, also Identität unbekannt. Die Hausbesitzerin bemerkte, dass das Garagentor offenstand. Nachdem sie Licht gemacht hatte, entdeckte sie den Wagen dort. ...“

„OK, OK. Wo steckt die Frau jetzt?“, winkte der Kommissar ab. Die Details schienen ihn nicht zu interessieren, er war mit seinen Gedanken bereits einen Schritt weiter.

„Sie wird gerade vernommen. In der Küche. Sollen wir reingehen?“

„Du und ich, wir beide, ja“, nickte er.

„Also eins können Sie mir glauben, Herr Kommissar. So was habe ich noch nie erlebt, und ich wohne schon lange hier. Mein Mann, der vor vier Jahren verstorben ist, hat das Haus gebaut. Noch nie, ... das ist ja ungeheuerlich, stimmt doch, oder? ... Und noch dazu gehört mir der Wagen nicht mal. Und auch keinem der Mieter im ersten oder zweiten Stock. Ich kann mir das Ganze nicht erklären. So eine Unverschämtheit, einfach seinen Wagen in meiner Garage ...“

„Frau Korn. ... Schildern Sie uns bitte noch mal, was Sie beobachtet haben“, unterbrach sie mein Vorgesetzter.

Die alte Dame schüttelte verwundert den Kopf.

„Nein, so was. Das hab ich doch schon Ihren Kollegen erklärt.“

„Naja, nun, dann erzählen Sie’s mir eben noch mal“, befand der Kommissar mit künstlicher Freundlichkeit.

„Wie Sie meinen. Also: ... Ich bin, wie übrigens jeden Tag, um 04.00 Uhr aufgestanden. Dafür brauche ich keinen Wecker. Meine innere Uhr, Sie verstehen? Ich kann nicht gut schlafen, deshalb bin ich schon so früh auf den Beinen. Mein Arzt hat mir zwar Schlaftabletten verschrieben, aber ...“

„Frau Korn“, unterbrach sie der Kommissar fast ungeduldig. „Wann haben Sie das Haus verlassen?“

„Wie bitte? Sie haben doch gesagt, ich soll Ihnen noch mal erzählen, was passiert ist.“

Himmel, dachte ich. Das kann ja heiter werden.

Neureiter verzog keine Miene. Ich musste seine Geduld bewundern.

„Beantworten Sie meine Frage, Frau Korn“, ermahnte er die alte Dame freundlich.

„Also, ... ich bin so gegen halb fünf raus, um die Zeitung zu holen. Und dabei ist mir dann aufgefallen, ... nein, ich darf gar nicht daran denken. Wenn das mein Mann noch erlebt hätte. Nicht mal in seinem Haus ist man sicher vor so was. Das darf doch wohl nicht wahr sein. ...“

„Was ist Ihnen aufgefallen?“, fragte Neureiter mit einem geduldigen Nicken.

„Das offene Garagentor. Ich hab sofort Licht gemacht, um nachzusehen, ob alle Wagen auf ihrem Stellplatz stehen. Es ist zwar eigentlich noch nie vorgekommen, dass einer der Mieter quasi vergessen hat, das Tor zu schließen, aber ...“, sie unterbrach sich für einen Moment, „man weiß ja nie, stimmt doch, oder? Tja, und dann hab ich diesen Wagen da drin gesehen. Geärgert hab ich mich zuerst. Ich hab zwar die Garagenstellplätze vermietet, aber Besucher meiner Mieter sollen gefälligst ihre Wagen draußen abstellen! Ich bin also rein, um mir den Wagen anzusehen.“

„Weshalb das, Frau Korn?“, wollte er weiter wissen.

„Naja, um die Mieter heute Abend, wenn sie von der Arbeit kommen, danach zu fragen“, antwortete sie ungeduldig. Ihre faltigen Hände machten fahrige Bewegungen. „Denen werde ich was erzählen, dachte ich noch. Und dann hab ich die ... Frau entdeckt. Sie saß auf dem Fahrersitz und hatte diesen Gürtel um den Hals.“

„Und dann? Was haben Sie dann gemacht?“

„Ich habe Sie sofort verständigt, ... äh ... die Polizei ...“

Einige Sekunden herrschte Schweigen.

„Nun, Frau Korn, Sie haben eben erwähnt, dass Sie die anderen Wohnungen vermietet haben. Ist doch richtig so, ja?“, half Neureiter ihr weiter. Ich zog es vor zu schweigen.

„Richtig. Aber von denen hat keiner einen solchen Wagen. Ich kenn’ die Wagen doch alle.“ Sie schüttelte verbissen den Kopf. „An der Farbe wenigstens. Tja, wie gesagt, denen gehört der Wagen nicht.“

„Und wäre es nicht doch möglich, dass einer Ihrer Mieter Besuch erhalten hat ...?“, stellte Neureiter eine Vermutung in den Raum.

„Ich hab’ Ihnen doch grade erklärt, dass ich meinen Mietern strengstens untersagt habe, dass ihre Besucher meine Garage als Stellplatz für ihre Autos verwenden. Da hat man ja dann überhaupt keinen Überblick mehr!“

„Sie haben nichts Ungewöhnliches gehört oder bemerkt?“, wechselte Bernd Neureiter abrupt das Thema.

„Wie kommen Sie darauf?“

„Weil Sie doch an Schlafstörungen leiden, Frau Korn. Haben Sie selbst ausgesagt“, erinnerte er sie.

„Also das ist doch die Höhe! Stehe ich jetzt unter Anklage, nur weil ich Schlafstörungen habe?!“, empörte sich die alte Dame. „Das kann ja wohl nicht wahr sein! Da wird auf eigenem Grund und Boden ein Mord verübt ...“

„Woher wollen Sie eigentlich wissen, dass es ein Mord war?“, fragte ich ungerührt. „Es wäre ja auch möglich, dass sich die Frau selbst erdrosselt hat.“

Eine Vermutung, die zwar grundsätzlich nicht auszuschließen, aber im Moment ohne Grundlage war. Ja, die Leiche hatte einen Gürtel um den Hals getragen, aber warum sollte jemand in einer fremden Garage Selbstmord begehen? So einfach war es nicht. Doch der Einwand verfehlte sowieso seine Wirkung. Frau Korns Augen flackerten erst unsicher und dann trotzig.

„Also, ... brauche ich jetzt einen Rechtsbeistand?“ Das war das Einzige, was sie zu interessieren schien – ihre eigene Haut zu schützen.

So kommen wir hier nicht weiter, dachte ich. Aus dem Gesichtsausdruck meines Chefs entnahm ich, dass er ganz ähnliche Gedanken wälzte.

„Wir verdächtigen Sie nicht, Frau Korn. ...“, versuchte ich sie zu beschwichtigen. „Geben Sie uns die Namen Ihrer Mieter. Wir werden sie heute Abend persönlich zu dieser Sache befragen. Das wär’s eigentlich.“

Die Befragung der Mieter wurde noch am selben Abend vorgenommen, führte jedoch zu keinen weiteren Erkenntnissen. Die Identität der Toten blieb fürs Erste ungeklärt. Keine der aktuellen Vermisstenmeldungen passten auf die Frau. Sie war weder unter Fingerabdrücken noch in den Registern der Zahnabdrücke zu finden. Es hieß die Frau war nie auffällig geworden und hatte offensichtlich den Zahnarzt gemieden wie der Teufel das Weihwasser – von klein an.

Doch zwei Tage später erschien mein Vorgesetzter mit einem Foto in meinem Büro. Er knallte es mir auf den Schreibtisch.

„Anna Krüger, 29 Jahre, keine lebenden Verwandten, ledig ...“

„Und der Wagen?“

„Ist auf ihren Namen zugelassen. Ich hab’ so das Gefühl, der Fall landet bei den unaufgeklärten Fällen.“

Bernd Neureiter sollte Recht behalten. Der Fall wanderte tatsächlich nach einigen Wochen ins Archiv. Kein Glanzstück an Wertarbeit.

1. Kapitel

Albert Krümmer war mit sich und der Welt zufrieden. Mit seinen 18 Jahren hatte er schon ein solches Prachtexemplar. Ein erstklassiger Wagen! So richtig schön blau und das war etwas Besonderes. Normalerweise gab es dieses Modell nur in Orange und Weiß. Wie viel Geld und Aufwand in diese tief glänzende Lackierung gewandert sein mussten, konnte er nur erahnen. Doch wer immer diese Mühen auf sich genommen hatte, er hatte seinen Dank. Er konnte seine Augen kaum von den schnittigen Linien der Karosserie des BMW 2002 abwenden und da war er nicht allein.

 

„Hey, Krümmer! Ist das Dein Wagen?“

„Ja, stell Dir das mal vor, Ernst. Meiner. Hab ihn ‘nem Gebrauchtwagenhändler abgekauft. War auch ganz günstig. Drei Jahre alt, das Ding, aber fährt wie ein Einser!“, schwärmte er.

„Soso. Naja, dann kannst Du mich ja nach Hause fahren“, grinste Ernst.

Albert Krümmer klemmte sich hinter das Lenkrad des blauen BMW. Sein Freund, Ernst Baumeister, setzte sich auf den Beifahrersitz. Die Wagentüren schlugen mit einem satten Laut zu.

„Gib ordentlich Gummi, ja?“

Das ließ sich der stolze Fahrer nicht zweimal sagen. Mit kreischenden Reifen fuhr er vom Schulparkplatz.

„Was hat das Ding eigentlich gekostet? Mensch, mit dem wirst Du noch ein richtiger Aufreißer werden, Albert. Was glaubst Du, wie die Mädels

drauf reagieren werden? Die werden Dir die Bude einrennen.“

„Worauf Du Dich verlassen kannst“, feixte Krümmer. Seinen Besitzerstolz konnte er nicht verbergen. Eine rote Ampel zwang ihn, zu bremsen. Er kuppelte aus. „Willst Du gleich nach Hause oder fahren wir noch ein Stück aus der Stadt raus? Ich will den Wagen mal so richtig auf Touren bringen.“ Es juckte ihn in den Fingern. Allein die Vorfreude reichte, um seinen Puls steigen zu lassen.

„Ich muss auf jeden Fall vorher nach Hause. Muss immerhin prüfen, ob die letzte Rate für die Lebensversicherung abgebucht worden ist“, scherzte Ernst.

„Scherzkeks.“

Die Beiden fuhren noch ein Stück aus der Stadt hinaus.

„Liegt glänzend in der Kurve, was?“ Albert bekam nicht genug von dem Wagen, doch Ernst schien seinen Enthusiasmus nicht mehr zu teilen.

„Ja, der fährt wirklich gut“, antwortete er halbherzig. Er schien verunsichert.

Wo war Baumeisters gute Laune geblieben? War er etwa eifersüchtig? Nein, nicht Ernst.

„Hey, Ernst. Was ist los?“, fragte Albert besorgt. Er konnte immer nur für ein paar Sekunden zu seinem Freund rüber sehen, sonst hätte er die Straße aus den Augen verloren.

„N-nichts“, wich Ernst aus. Für ‚Nichts’ kam ihm das Wort allerdings zu schwer über die Lippen.

„Aber?“, wollte Albert wissen.

„Ich weiß nicht. Ich hab’ irgendwie ein komisches Gefühl. Ich glaub mir geht’s nicht gut. Ich hör ständig so ein Rauschen …“ Nach einer Weile Schweigen sagte er gepresst. „Fahr mich nach Hause! Ich glaube, ich hab genug für einen Tag.“

Albert Krümmer setzte seinen Freund gegen 17.15 Uhr zu Hause ab. Da er nichts Besseres zu tun hatte, fuhr er zu sich nach Hause und verbrachte ein wenig Zeit in seinem Zimmer. Aber um ehrlich zu sein, fiel es ihm schwer seine Gedanken von dem BMW zu lösen, der glänzend und einladend vor dem Haus stand. Sein BMW.

Er schaltete das Radio neben seinem Bett ein.

„... unterzeichneten die USA und Nordvietnam ein Waffenstillstandsabkommen ...“ Nachrichten! Politik! Krümmer stellte auf einen Rocksender um und drehte die Lautstärke auf. Sein Telefon klingelte. Hastig stellte er die Musik leise und griff nach dem Apparat.

„Ja?“ Er klemmte sich den Hörer zwischen Schulter und Ohr.

„Ich bin’s, Al.“

Eine Stimme, die ihn sofort unter Strom setzte.

„Alex!“ Albert Krümmers Herz begann zu rasen. Alexandra Meisner war ein Mädchen, das er fast vergötterte. Bisher hatte sie ihn noch nie angesprochen.

„Woher hast Du denn meine Nummer?“, fragte er dümmlich. Er verwünschte sich sofort für die Frage, denn im Grunde spielte es keine Rolle, aber jetzt war sie draußen.

„Von Ron. Wieso, stört Dich das?“, schoss sie regelrecht arrogant zurück. Sie

gehörte zu den Mädchen, die es sich leisten konnten, arrogant aufzutreten.

„N-nein, sorry. Ich war nur etwas ... überrascht“, räusperte Albert sich.

„Ich wollte Dich eigentlich fragen, was Du heute Abend vorhast.“

„Bisher steht noch nichts auf meinem Terminkalender“, antwortete Krümmer schon etwas selbstsicherer, auch wenn er kaum fassen konnte, was hier passierte.

„Dann könnten wir doch eigentlich ... ich meine ...“ Sie schien nach Worten zu ringen.

„Wir könnten ins Kino gehen, oder so“, schlug Albert eifrig vor.

„Liebend gern“, ging das Mädchen sofort, und hörbar erleichtert, auf den Vorschlag ein.

War also doch nichts mit unserer dauernden Arroganz, wie? Krümmer musste schmunzeln.

„Ich hol’ Dich gegen acht ab, ja?“, schlug er vor und sie stimmte zu.

„Also, dann. Bis acht.“

„Ich freu’ mich schon drauf“, antwortete sie.

Da war ein unausgesprochenes Versprechen in ihrer Stimme, das Albert Krümmer nicht so recht zu deuten wusste. Er hoffte, dass es was mit Verlangen oder gar mehr zu tun hatte. Vielleicht spielte ihm da aber auch sein eigenes Wunschdenken einen üblen Streich. Trotzdem war er glücklich. Sie hatte seine Blicke also nicht übersehen, die er ihr auf dem Schulhof zugeworfen hatte! Erst jetzt fiel ihm auf, dass er seinen Telefonhörer immer noch in der Hand hielt. Überschwänglich legte er auf. Viel besser konnte es kaum noch werden. Alles schien bergauf zu gehen, seit er den Wagen gekauft hatte. Da er immer noch viel Zeit hatte und er kaum stillhalten konnte, schwang er sich noch mal hinter das Lenkrad des BMW. Er fuhr ziellos durch die Stadt. Von diesem Wagen konnte er einfach nicht genug bekommen.

„Al-bert?“

Er schrak zusammen. Was war das?

„Al-bert Krümmer?“

Woher kam diese Stimme, die ihn da beim Namen rief?

Ein erschrockener Blick in den Rückspiegel verriet ihm, dass die Rücksitze leer waren. Was zum Teufel war das?

„Sieh Dich vor, Krümmer. Du wirst beobachtet.“

Albert wurde blass. Die Stimme war dunkel, tief und bedrohlich. Sie klang menschlich, aber auf eine verzerrte und unnatürliche Weise, die ihm die Nackenhaare aufstellte.

„Wer ... wer spricht da?“

Ein blubberndes Lachen ertönte. Es war kalt und herzlos … und schien von allen Seiten zu kommen. Woran erinnerte ihn dieses Lachen? Es schüttelte Albert.

„Versuch das lieber nicht rauszukriegen, Krümmer. Sonst wirst Du sterben. S-t-er-b-e-n, Krümmer. So bleibst Du, vielleicht, am Leben … kein schlechter Deal, wenn Du mich fragst.“

„Vi-vielleicht?“, stotterte Albert. Er musste sich das Ganze einbilden. Ja, bestimmt. Das konnte einfach nicht sein! Albert spürte, wie seine Unterlippe zitterte.

„Ja.“ Wieder dieses wahnsinnige Lachen. „Also, hör gut zu, Krümmer. Es wäre besser für Dich, Du würdest den Wagen verkaufen.“

„Meinen Wagen?“

Warum antwortete er überhaupt? Vielleicht verschwand die Stimme, wenn er still blieb.

„In diesem Wagen ist vor drei Jahren ein Mord geschehen. Eine Frau wurde damals ermordet. Erwürgt. In diesem prachtvollen Wagen, Krümmer.“ Die Stimme legte eine bedeutungsschwangere Pause ein. „Was sagst Du nun? Gefällt Dir der Wagen immer noch?“

Albert stand unter Schock. Woher kam diese tiefe Stimme, die einem Horrorfilm entsprungen hätte sein können? Egal wie sehr seine Augen hin und her huschten, er konnte keine Quelle ausmachen.

„Ich bin nicht abergläubisch“, sagte er tonlos.

„Wirklich nicht?“, fragte die Stimme höhnisch. „Vielleicht solltest Du lieber damit anfangen.“

Plötzlich ertönte der gequälte Schrei einer Frau. Er endete mit einem Röcheln. Krümmer hätte beinahe das Lenkrad verrissen. Er bremste so scharf ab, dass der VW hinter ihm seinen Kofferraum beinahe zu einem kompakten Paket geschrumpft hätte. Mit wildem Hupen - und ziemlich sicher auch unter heftigen Schimpftiraden - zog der Wagen zu ihm gleichauf. Albert lenkte den BMW an die Seite und umklammerte zitternd das kühle Leder des Lenkrads.

Er stieß die Fahrertür auf.

„Sagen Sie mal, sind Sie wahnsinnig? ... Steigt da voll in die Eisen! Hast sie wohl nicht mehr alle, Jungchen! Lern gefälligst zu fahren!“, wetterte der Fahrer ihn durch die geöffnete Fahrertür an. Er war halb ausgestiegen. Erst jetzt schien der Fahrer des anderen Wagens das kreidebleiche Gesicht von Albert Krümmer zu bemerken.

„Mensch, Junge. Alles in Ordnung?“

„Es ... es geht schon. Mir ist nur plötzlich ... schlecht ...“

Mit wackligen Knien lehnte Albert sich an den Kotflügel seines Wagens. Am liebsten wäre er in sich zusammengesackt.

„Brauchst Du einen Arzt?“, fragte ihn der Fahrer besorgt.

„Nein … nein, ich denke nicht“, wehrte Albert ab. Was sollte er auch sagen? Hey, wahlweise ich drehe gerade durch oder jemand spielt mir einen ganz urkomischen Scherz, haha.

„Ich würde Dir dringend empfehlen, nach Hause zu fahren. Du siehst wirklich nicht gut aus.“ Der Mann warf ihm einen mitleidigen Blick zu. Mit diesen Worten stieg der Mann zurück in den VW und zog die Fahrertür zu.

Auch Albert stieg wieder in seinen Wagen. Er startete den Motor mit unruhigen Fingern. Er hatte Mühe, sich auf den Verkehr zu konzentrieren. Woher war diese Stimme gekommen? Hatte er sie sich nur eingebildet?

„Da siehst Du mal, wie leicht ein Unfall passieren kann, Albert … das wäre doch traurig, wenn Dein Gesicht als breiige Masse an Deiner Windschutzscheibe endet.“ Es klang nicht so, als wäre die Stimme auch nur im Geringsten traurig über diesen Gedanken. Sie wurde sogar noch dunkler.

„Es ist wirklich besser, Du verkaufst den Wagen.“

Ich halte das nicht mehr aus. Die Angst in ihm wurde so groß, dass er beschloss, den Wagen tatsächlich zu verkaufen. Das war es nicht wert …

Sein Blick ging auf seine Uhr: Es war gerade 18.30 Uhr. Wenn er Glück hatte, war Armin Kreuzer noch in seinem Laden. Er fuhr sofort hin.

„Das ist die richtige Richtung, Krümmer. Wer hätte es gedacht … bist wohl klüger als Du aussiehst.“

Mit laufendem Motor blieb Albert auf dem Parkplatz des Gebrauchtwagenhändlers stehen. Seine Gedanken rasten. Es musste eine rationale Erklärung für die Stimme geben.

Das war doch albern! Er würde der Sache auf den Grund gehen und den Wagen - bevor er irgendwas machte - zusammen mit seinem Freund Baumeister gründlich untersuchen. Vielleicht hatte sich irgendjemand einen Scherz mit ihm erlaubt. Es gab genug Idioten da draußen, die so was witzig fanden. Seine Hände hörten auf zu zittern. Entschlossen lenkte er den Wagen wieder vom Parkplatz der Gebrauchtwagenhandlung.

„Dumm von Dir, Krümmer.“ Blanker Hass sprang Albert entgegen. „Das wird schwere Folgen haben. Du wirst Dir noch wünschen, Du hättest Deine Chance ergriffen … Du wirst leiden, bis zur letzten Sekunde. Dafür werde ich Sorgen.“ Es war ein Versprechen.

Die Stimme verstummte. Ein eisiger Schauer lief Alberts Rücken hinab.

Er fuhr auf direktem Weg nach Hause und parkte vor dem Haus. Als er ausstieg, konnte er dem Anblick des BMW, der in der Abendsonne leuchtete, nicht mehr ganz so viel Freude abgewinnen, wie noch wenige Stunden zuvor.

Seine Eltern waren zu Hause.

„Du siehst mir nicht gut aus, Al. Was ist los?“, fragte seine Mutter besorgt.

„Alles in Ordnung. Mir war vorhin nicht gut“, flüchtete er sich in eine Ausrede. Er wollte mit seinen Eltern nicht über diese Sache reden. Am Ende lachten sie ihn noch aus.

„Und? Hast Du Dir Deinen fahrbaren Untersatz gekauft?“, fragte sein Vater aus der Küche.

„Ja, hab ich. Aber er ist noch nicht voll funktionstüchtig. Die Bremsen müssen erst noch repariert werden. Deshalb ... wollte ich euch eigentlich bitten, ob ich heute Abend den Ford haben kann. Ich will mit Alex ins Kino.“ Es war die erstbeste Ausrede, die ihm einfiel, um nicht den BMW benutzen zu müssen.

„Alex?“

„Ja, ... äh ... Alexandra ...“ Wenn er nur halb so rot wurde, wie er klang, musste er gerade leuchten wie eine Lampe. Sein Vater lachte.

„Tja, wenn eine Hand die andere wäscht, ist es doch was sehr Schönes. Was, Al? Und deshalb kannst Du mir am Samstag ja zum Ausgleich im Garten helfen. Ist das ein Angebot?“

„Der Schinder soll Dich ...“, begann Albert, doch die Wahrheit war … er brauchte den Ford. Er gab nach. „OK, gut, Papa. Mach’ ich.“

„Gut, ist doch ein idealer Deal.“ Sein Vater zog ihn ohne Zweifel auf, aber Albert entschied, nicht darauf einzugehen.

„Danke“, sagte er nur.

 

Er ging ins Badezimmer und wusch sich das Gesicht mit einer Handvoll kalten Wassers. Den BMW wollte er auf keinen Fall fahren, jedenfalls nicht heute Abend.

Sie beugte sich zu ihm hinüber, um ihn zu küssen.

„War doch ein genialer Film, hm?“

Er erwiderte ihren Kuss.

„Ja, ... ich hab’ aber nicht allzu viel davon mitgekriegt“, gestand er mit einem Lachen. Dank ihr. Albert startete den Motor des Fords. Am Steuer des Wagens seiner Eltern fühlte er sich wohl.

„Wann legst Du Dir einen eigenen Wagen zu?“, fragte Alex, die den Kopf an seine Schulter gekuschelt hatte. Ihr Haar floss über seine Schulter.

„Ich hab’ schon einen. Aber da müssen die Bremsen noch mal überprüft werden.“ Er entschied dieselbe Geschichte zu verwenden, die er auch seinen Eltern erzählt hatte. „Die funktionieren nicht richtig. Ich fahre ihn Morgen nach der Berufsschule gleich zu Kreuzer. Der soll ihn sich noch mal genau ansehen.“

„Darf ich mir den Wagen mal ansehen?“, fragte Alex neugierig.

„Wann?“ Albert warf ihr einen kurzen Blick zu. Um ehrlich zu sein, hätte er ihr jeden Wunsch erfüllt. Der Geruch ihres Parfums stieg in seine Nase und es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren.

„Heute. Mich würde, so als Deine Freundin, schon interessieren, was für ‘nen Wagen mein Freund fährt.“

Röte stieg Krümmer ins Gesicht. Freundin, seine Freundin. Sein Herz schlug hart.

„Also gut, wenn Du drauf bestehst ...“, versuchte er cool zu klingen. Sie fuhren zu Albert nach Hause. Er ging ins Haus, um die Schlüssel zu holen, während Alex den BMW umrundete. Plötzlich hallte ein Schrei durch die Nacht.

„Aaaaaaal!“

Mit wachsbleichem Gesicht stürzte Alex ins Haus.

„Was ist denn los?“

Er fing sie in seinen Armen auf. Zuerst brachte sie kein Wort heraus. „Al! .. Da war jemand hinter dem Lenkrad. Ein ... Toter. Ein ...“, schluchzte sie.

„Beruhige Dich.“ Sofort kamen ihm die Erlebnisse des Nachmittags in den Sinn.

„Komm mit. Wir sehen gemeinsam nach.“

Die beiden verließen das Haus.

Albert schloss den Wagen auf. Er öffnete die Fahrertür mit einem mulmigen Gefühl, Licht fiel auf die Sitze. Der Wagen war leer.

„Bist Du sicher, dass Du Dich nicht getäuscht hast?“, fragte Albert vorsichtig. Vielleicht ein Schatten oder ein Lichtspiel … doch er wagte es nicht auszusprechen, als er ihr Gesicht sah.

„Absolut.“ Alex wurde wütend. „Denkst Du, ich erzähl’ hier irgendwelche Geschichten?!“

„Nein, natürlich nicht“ Versuchte er sie zu beruhigen. „Also gut. Vielleicht hast Du einfach noch unter dem Eindruck des Films gestanden.“ Es schien eine gute Erklärung für den Moment.

Ihr Zorn verrauchte.

„Da hab’ ich mich doch voll auf Dich konzentriert“, erinnerte sie ihn. Ihre Arme legten sich um seinen Nacken. „Darf ich heute Nacht bei Dir bleiben? Du hast wahrscheinlich recht. Ich hab die letzten Tage nicht allzu gut geschlafen“, flüsterte sie in sein Ohr. Der Vorfall mit dem Wagen war plötzlich vergessen.

Sie gingen ins Haus zurück.

Keiner der Beiden hatte bemerkt, dass eine dunkle Gestalt sie aus dem Schatten eines nahegelegenen Gebüschs beobachtete.