Auf zum Nullarbor

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SÜDAUSTRALIEN


14.01.2013: Nullarbor – Ceduna (Road Train): 0 km

Morgens wache ich von einem Pfiff auf und klettere hinunter. Ich blicke um mich. Wir stehen auf einem Halteplatz im platten und baumfreien Nullarbor (in der Taiga). Mir wird gesagt, dass ich mir eine Toilette suchen soll. Das bedeutet, mich hinter niedrige Büsche zu verkriechen. Wir befinden uns schon in Südostaustralien. Die Grenze passierten wir in der Nacht.

Die beiden Road Train Fahrer befinden sich im mittleren Alter. Der erste ist verheiratet, der zweite nicht. Der zweite fährt in seiner Freizeit mit seinem großen Motorrad samt Trailer durch die Gegend, stellt dann dort sein Zelt auf und geniesst seine Freizeit. Er besitzt auch noch viele Schafe und Kühe. Die versorgen sich auf dem Feld allein. Um sie hin und wieder zu kontrollieren, fährt er nicht mit einem Quad, sondern reitet dabei auf seinem Pferd.

Wir unterhalten uns über Kornanbau in Australien. Ich erzähle, dass bei uns die Bauern – hier Farmer – den Dung und die Gylle der Kühe im Frühjahr aufs Feld bringen, damit das Korn dann besser und schneller wächst. Da meint er, dass seine Kühe nicht im Stall stehen, sondern alle draußen frei herum laufen. Wenn sie noch klein sind, werden ihre Hörner abgeschnitten. Die Kühe werden nie gemolken. Die Kälber bleiben ein halbes Jahr bei der Mutterkuh und säugen die Milch aus dem Euter. Dann werden sie von ihr getrennt und mit ihresgleichen auf eine andere Weide getrieben. Die Kühe werden hier ganz allein für Steaks gezüchtet.

Dieser Road Train-Fahrer will mal nach Schleswig-Holstein kommen und sich von mir die Stätten zeigen lassen, wo ich gelebt habe, zum Beispiel die Insel Amrum.

Die Sonne scheint vom blauen Himmel. Es wird bestimmt wieder heiß werden. Wir fahren weiter. In Ceduna steige ich aus; denn erst dort ist das Nullarbor zu Ende. Und der Road Train muss betankt, gewaschen und mit Öl versorgt werden. Bei diesen zwei ganz edlen Männern bedanke ich mich.

Der Caravan Park befindet sich in der Nähe. Noch ein weiteres Foto, ein Winken – dann verlasse ich dieses für mich gemütliche Übergangsheim. Es kommt mir so vor wie der Abschied eines ganzen Lebensabschnittes: vom Himmel wieder zurück auf den Boden der Tatsachen.

Mein Zelt, das ich vorhin mit total müdem Kopf bei starkem Wüstensturm aufstellte, legt sich trotz der darin befindlichen schweren Packtaschen auf die Seite. Ich selbst sitze darin und bin damit beschäftigt, meine kleine Dose „Baked Beanes“ (gebackene Bohnen) auszulöffeln. Ich nichts wie flott aus dem Zelt, alle Zeltpflöcke rausgezogen und wundere mich, weshalb mein Zelt trotz der schweren Gegenstände darin sich nicht nur auf die Seite legt, sondern sich auch in eine andere Richtung dreht. Also muss ich es mit dem spitzen Hinterteil gegen den Sturm aufstellen. Also leere ich das Zelt. Aber gleichzeitig trete ich mit dem einen Fuß auf die Unterlage, damit diese nicht ganz wegfliegt; denn sie liegt ganz lose darunter.

Während ich nun mit der linken Hand meine Packtaschen zur Seite schiebe, halte ich das Zelt mit der rechten Hand oben fest. Aber wie soll ich es außerdem noch mit einem Zeltpflock befestigen? Eine dritte Hand besitze ich nicht. Da kommt mir ein mich strahlend anlächelnder Mann entgegen, der mir seine Hilfe anbietet. Er gehört zu dem Caravan, der vor kurzem in einiger Entfernung von mir aufgestellt und campingtüchtig hergerichtet wurde. Er und seine Frau hatten mich gleich winkend und lächelnd begrüßt, als sie ankamen. Der freundliche Mann holt gleich seinen Hammer, um die Zeltpflöcke in die harte Erde klopfen zu können. Nun endlich steht es, wird aber noch immer etwas vom Sturm zur Seite gedrückt. Das muss halten. So verteile ich die Packtaschen wieder in einer Reihe nebeneinander an der inneren linken Seite, hole mir meine gebackenen Bohnen in der schon geöffneten Dose samt Löffel hervor und futtere den Inhalt nun ganz auf. Endlich funktioniert auch wieder mein Gehirn.

Aber das Zelt biegt sich im starken und sehr warmen Wind noch immer. Mit meinen Packtaschen und später mir selbst wird es schon nicht wegfliegen.

15.01.2013: Ceduna – Quorn (Rad und Pickup): 66 km

In der Nacht wecken mich Autos, die vom Platz fahren. An Einschlafen ist nicht mehr zu denken. Gegen 5.00 Uhr packe ich meine Waschsachen und gehe in die sanitären Anlagen. Die Familie mit den acht kleinen Kindern sitzt schon beim Frühstück. Alle lächeln mich an und grüßen zurück. Nun geht es ans Packen. Mit meinem müden Kopf läuft es nicht so schnell. Aber um 7.30 Uhr rolle ich bei 23°C vom Platz. Natürlich habe ich noch meine Zinksalbe auf Nase und Wangen verteilt.

Es radelt sich gut. Leider entwickelt sich in ganz kurzer Zeit die Wärme in Hitze. Heiße Luft schlägt mir entgegen. Trotz meiner guten und dünnen Garderobe wird es immer unangenehmer. Ich trinke wie ein Loch. Die Straße ist wellig, aber in einem sehr guten Zustand. Es fahren nur sehr wenige Autos. Die meisten Verkehrsteilnehmer bestehen aus riesigen Road Trains. Diese machen aber alle einen großen Bogen um mich. Und dann ist mir, als schlüge mir Gluthitze entgegen. Mein Tacho gibt seinen Geist in dieser Hitze auf. Brauche demnächst einen neuen.

So stelle ich mein Rad in immer kürzeren Abständen bei fälligen Erholungspausen neben dem Highway ab und mich selbst unter einen löcherigen Baum in dessen ebenso löcherigen Schatten.

Und als ich so ungefähr 20 km vor Wirrula bin, stelle ich mal wieder mein Rad ab und mich in den Schatten eines Baumes. Der heiße Wüstensturm reisst mein Rad mitsamt den schweren Packtaschen um. Ich habe Mühe, sie vom Rad zu lösen und daneben zu legen. Flehentlich gucke ich die vorbeifahrenden Autofahrer an. Aber alle winken nur und fahren weiter. Und als aus meiner Richtung ein Wagen weit hinten in der Kurve auftaucht, halte ich ungläubig meinen Daumen hoch. Und tatsächlich hält der Wagen und kommt zu mir rückwärts auf meiner Fahrbahn Richtung Wirrula zurück. Der Mann erkundigt sich bei mir, ob ich gestürzt sei. Aus lauter Verzweiflung, er könne weiterfahren, wenn ich ihm die Wahrheit sage, bestätige ich es. Gemeinsam laden wir die Packtaschen und das Rad hinten auf den Wagen. Ich darf vorn neben ihm Platz nehmen und erhalte eine eiskalte Cola. Welch herrliches Getränk für eine fast Verdurstete! Endlich kühle ich auch innerlich im und um den Magen herum ab.

In seinem Auto befindet sich ein Satelliten-Telefon, das er mir sehr ans Herz legt, mir hier auch eins anzuschaffen, wer weiß, wer weiß? Auch befindet sich links hinter mir oben neben der Tür eine Alarmanlage, falls er mit seinem Auto im Outback in Schwierigkeiten kommen sollte. Er hat für alles vorgesorgt.

Da er selbst als Geschäftsmann nach Port Augusta unterwegs ist, um morgen seine Arbeit mit Geschäftsleuten und Arbeitern im Outback zu beginnen, fragt er mich ganz sachlich, ob er mich bis dorthin mitnehmen kann; denn die Strecke von hier bis dorthin kann ich aufgrund der großen Hitze nicht per Fahrrad zurücklegen. Ich sage zu.

Vor Port Augusta hält er bei einem Roadhouse und lädt mich zu einem kalten Getränk und einem Sandwich nach meinem Geschmack ein. Danach funktioniert mein Gehirn auch wieder besser. Und als er sich nach meiner Reiseroute ab Port Augusta informiert und ich ihm erzähle, dass ich über Wilmington nach Renmark an den Murray-River fahren möchte, entschliesst er sich sofort, mich bis kurz vor Wilmington auf einen Caravan-Park zu bringen.

So fahren wir aus Port Augusta und sehen auf einer Eisenbahntrasse einen 3 km langen Güterzug. Am Anfang und Ende befinden sich je vier Lokomotiven, um ihn vorwärts zu ziehen. Hiermit wird abgebaute Kohle zum Brennen nach Port Augusta gebracht. So habe ich es jedenfalls verstanden.

Während der Fahrt erklärt mir mein männlicher Engel die Schafzucht und die Landschaft, durch die wir gerade fahren. Was das anbelangt, bestehe ich auf diesem Gebiet aus einer einzigen Bildungslücke. Er selbst besitzt 5.000 Schafe, um die er sich nicht zu kümmern braucht. Seine Schafe werden alle zwei Monate geschoren. Die kurze Wolle wird zur Klimadämmung in Haus- und Dachkonstruktionen verwendet. Die Lämmer werden von den Müttern nach sechs Monaten getrennt. Die Schafe fressen das trockene Gras, haben aber morgens und abends Wasser zum Trinken. Hier wachsen kleine salzhaltige Büsche, Saltbush genannt, die sie sehr gern fressen. Die Schafe werden als Fleischlieferanten gezüchtet. Diese Schafe, die die salzhaltigen Büsche und Bluebush fressen, liefern ein besonders gut schmeckendes Fleisch. Wenn schwarze Lämmer geboren werden, sind sie nicht zu gebrauchen. Schwarze Wolle ist nicht erwünscht. Es handelt sich bei den meisten Schafen um Merino-Schafe. Diese Wolle muss immer weiß sein.

Es ist schwer, die Schafe immer gesund zu erhalten. Eine große Krankheitsquelle befindet sich unter dem Schwanz. Hier werden sie besonders behandelt. Wenn es den Schafen zu heiß wird und genügend Büsche zur Verfügung stehen, kriechen sie darunter, auf jeden Fall die Lämmer. Wenn es über Tag sehr heiß ist und in der Nacht Frost herrscht, sterben leider Lämmer. Es gibt Schafherden bis zu 5.000 Tieren eines einzigen Besitzers. Für so viele Tiere kann niemand einen Sonnenschutz bauen.

Wir fahren in die Flinders Range, ein landschaftlich sehr schönes, bergiges Gebiet. Er hält kurz in Quorn an und zeigt mir, wie ich von hieraus weiter nach 48 km bis Wilmington gelange, ohne über hohe Berge radeln zu müssen. Dann dreht er wieder um und fährt zum Caravan-Park in Quorn zurück, wo er alle Leute kennt und diese ihn auch. Quorn ist eine wunderschöne kleine Ortschaft mit zwei Kirchen, Hotels, einem Bahnhof und vielen Häusern aus der Gründerzeit. Ich bin begeistert und nehme mir vor, morgen einen Besichtigungstag einzulegen.

 

Australien ist ein Schafland. Jeden Sonntag ist es hier üblich, als Festessen eine Schafkeule zu braten, die mit Kartoffeln und Gemüse aufgetischt wird.

In den Flinders Ranges ist es bergig mit hügeligen Gras-Busch-Ländereien dazwischen. Hier weiden die Schafe. Auch Kängurus kommen und trinken aus den Tränken der Schafe. Sehe es selbst. Dieses sind ganz dunkle Tiere, die oben auf den daneben stehenden hohen Bergen leben. Weil es dort in der Nacht viel kälter ist, tragen sie auch ein dichteres und längeres Haarkleid. Ihre Ohren sind rund, nicht spitz wie die der roten und grauen Kängurus.

Dieser Geschäftsmann, mein männlicher Engel, besitzt eine Fabrik, in der Steinblöcke aus den Bergen in verschieden große bzw. kleine Steinchen für den Straßenbau zerbrochen werden.

Er erzählt mir ganz stolz, dass er beim letzten Pferderennen $600 Reingewinn gemacht hat. Er hat auf das Pferd Nummer 3 gesetzt und gewonnen.

Von der Anmeldung des hiesigen Caravan Parks aus bringt er mich mit all meinem Habe zu meinem – schaurigen – trockenen und sandigen Platz, wo ich mein Zelt aufstellen soll. Er schreibt mir noch seine Adresse samt Telefonnummer auf, falls Probleme auftreten. Dann soll ich ihn anrufen. Er wird mir helfen. Dann bedanke ich mich. Und er fährt zu seinem Hotel.

Während ich mein Zelt aufbaue, schweben sehr, sehr lange Zeit Gallahs, die rosafarbenen Kakadus, um die hohen und uralten Bäume, die mein Retter „Sugar-Gum-Trees“ nennt. Die normalen, halbhohen Bäume haben überall Dolden von Blättern am Ende ihrer Äste. Das sind Mallee-Trees. Sie spenden etwas Schatten.

Heute ist es nun schon spät geworden. Ich sitze im Raum für Mütter mit Kindern, in dem vorhandene Spiele gespielt und in den Büchern gelesen werden kann. Leider ist es hier drin auch sehr heiß. Ich wage aber nicht, die Tür nach draußen zu öffnen, weil sonst Ungeziefer hereinkommt.

Da mein Tacho seinen Geist nach 34,5 km aufgab, ich aber beim Autofahren an einem Schild sehe, wie weit es noch bis Wirrula ist, fuhr ich 66 km.

16.01.2013: Ruhetag in Quorn: 0 km

In der Nacht kühlt es etwas ab. Über mir in der Luft höre ich die unzähligen Gallahs rufen und fliegen.

An meinem heutigen Ruhetag lasse ich es ruhig angehen. Meine Wäsche ist auf dem hier üblichen Hills Hoyst – einem sich allein im Wind drehenden quadratischen Wäscheständer - schnell trocken. Als Frühstück esse ich die letzten Müslikörner mit Wasser und einigen Nüssen. In meiner roten, dünnen, langen Hose und Kornblumen-Bluse mit langen Ärmeln gehe ich spazieren. Die Sonne knallt schon um 9.00 Uhr mit großer Hitze vom Himmel.

Mein Wasser ist alle. Brauche neues Trinkwasser, auch neues Essen für abends. Deshalb nehme ich meine leeren Wasserflaschen mit, um sie zuerst bei der Anmeldung an irgendeinem Wasserhahn aufzufüllen. Aber die Anmeldung ist dicht. Und die nette Frau herausklingeln? Nein, das tue ich ihr nicht an. Vielleicht ist sie ja wieder anwesend, wenn ich vom Einkaufen zurückkomme.

So wandere ich in diesen kleinen, alten und hübschen Ort. Im Supermarkt kaufe ich ein. Ein junger Polizist steht bei der Kasse neben mir. Ich erkundige mich bei ihm, in welchem Gebiet von Australien es im Moment kühl ist. Da lächelt er und meint, dass es überall heiß ist. - Also weiterradeln!

Auf dem Rückweg liegt der Bahnhof zwischen mir und dem Caravan-Park. Vielleicht kann ich mich während der Bullenhitze dort aufhalten. Und tatsächlich! Hier ist es wunderbar kühl. Auch gibt es einen Tisch, einen Bürostuhl und eine freie Steckdose. Ein weiches Sofa steht außerdem zur freien Verfügung. Darauf nehme ich Platz, esse meine Banane auf und trinke. Dabei denke ich an meinen Mann Klaus-Otto, der mir jeden Morgen zu Hause eine Banane mit einem Liebesbrief beschreibt. Diesen Liebesbrief denke ich mir nun einfach darauf. Gleich schmeckt sie mir noch besser.

Aus meinem Zelt, das in der glühenden Sonne brät, hole ich meinen Laptop hervor, stelle mein gekauftes Essen ins Zelt und nehme die Plastiktüte mit den leeren Trinkflaschen mit. Gerade möchte eine Frau, die hier beschäftigt ist, vom Platz fahren. Ich frage sie nach einem Wasserhahn mit Trinkwasser. Nein, meint sie. So etwas gibt es hier nicht. Ich könne aber in der Anmeldung fragen, ob ich von dem aufgefangenen Regenwasser meine Trinkflaschen füllen darf.

Als ich das höre, bekomme ich ein richtig schlechtes Gewissen. Nein, das kostbar aufgefangene Regenwasser möchte ich ihnen nicht wegnehmen. Denn hier regnet es ja nur selten. Deshalb nehme ich meine Trinkflaschen mit zum Bahnhof, um hinterher im Supermarkt große Wasserflaschen zu kaufen und meine mit diesem Wasser aufzufüllen.

Im Bahnhof unterhalte ich mich mit einer Frau, die vor 23 Jahren mit ihrem Mann aus England hierher ausgewandert war, nachdem er in Rente gekommen war. Sie fühlen sich hier sehr wohl und haben nicht die Probleme wie die deutschen Emigranten: anderes Geld, andere Sprache, andere Maße und andere Verkehrsrichtung.

Während ich mit der zweiten Frau spreche, die hinter dem Tresen steht, zeigt mir diese die Reklame für den „Pichi Richi-Zug“, eine Oldtimer Eisenbahn, die im Herbst hier die vielen Touristen durch die Flinders Range fährt. Von meinem gestrigen Engel wusste ich, dass diese Eisenbahnfahrt auch ein Anziehungspunkt ist, weil auf der Hälfte der Fahrt Essen ausgeteilt wird. Und als sie hört, dass ich über meine Fahrradtour ein Buch schreiben werde, bestellt sie sich schon gleich ein Exemplar vor. Sie erzählt mir, wie sie es macht, wenn sie in dieser Bullenhitze in ihrem Garten arbeiten muss: ein feuchtes, dünnes Fleece-Handtuch vor Mund und Nase und eins ins Genick binden. Dann soll ich so viel trinken, dass ich dauernd zur Toilette muss. Aber sooo viel kann ich gar nicht während des Fahrradfahrens trinken. Dann kann ich mich nicht mehr tief genug beim Fahrradfahren auf meinen Rennlenker beugen.

An meinen Verwandten, Hans in Melbourne, schreibe ich per Email: „Hans, ich weile im Moment in Quorn. Und da ich aufgrund der Bullenhitze nachts nicht radeln will und auch davor gewarnt wurde, weil dann die heimischen Tiere auf der Straße herumlaufen oder diese sie überqueren, möchte ich dich fragen, wo es im Moment in Australien nicht so höllisch heiß ist.“

Daraufhin erhalte ich per Email diese Antwort: „Hier in Victoria haben wir nur 22°C. Die Tiere wären keine Gefahr für dich. Alle freundlich – Kangaroos, Echidnas, Wombats. Nur für die Autos sind sie gefährlich. Hans“ „Wenn du hier ankommst, ist es auch wieder heiß. 40+ morgen. Hans“

Dann kann ich also getrost morgen schon früher losradeln. Hoffentlich springt mir kein Känguru oder Emu ins Laufrad.

Es ist jetzt 15.40 Uhr und ich habe schon wieder Hunger. Außerdem möchte ich packen, um morgen sehr früh starten zu können. Hoffentlich höre ich meinen Wecker. Als ich wieder auf mein in der Sonne bratendes Zelt zugehe, kommt mir ein Gedankenblitz, den ich sofort in Angriff nehme: In meiner Nähe steht ein Häuschen für Eltern mit Kindern. Darin zu sitzen, erhielt ich bei der Anmeldung die Erlaubnis. Nun räume ich mein ganzes Zelt aus und trage meine Sachen dort hinein. Danach hole ich mein auch in der Sonne schmorendes Rad vor das Häuschen in den Schatten und schliesse es an. Dabei fällt mir das Gespräch mit der ersten Frau am Bahnhof ein, die mir erzählte, dass sie heute früh in ihrer Wohnung eine giftige Spinne entdeckte und tötete. Die giftigen sind oben auf dem Rücken rot. So suche ich die Stube nach eventuellen Spinnen ab. Und tatsächlich sitzt eine im Knick des Türrahmens. Na, die versetze ich gleich ins Reich der ewigen Träume. Auch das lange Sofa aus Kunststoff, das aus großen auf der Erde liegenden Teilen besteht, rücke ich von der Wand etwas ab. Es sieht so aus, als würden da hinten in der Falte zwischen Steinfußboden und Steinwand irgendwelche dunklen Sachen kleben. Habe kurzentschlossen einfach das große Sofa wieder fest darangeschoben. Da kommt über Nacht bestimmt nichts raus. Auf diesem Sofa möchte ich schlafen und stelle meinen Wecker. Mir fallen vor Müdigkeit dauernd die Augen zu.

17.01. 2013: Quorn – Wilmington: 41 km

Als mein Wecker um 4.20 Uhr klingelt, stehe ich auf. Draußen ist es noch stockfinster. Ich wundere mich, weshalb das Geräusch der Wasserspülung in der Toilette wie ein Echo von draußen wieder zurückschallt. Da fällt mir mein Engel von gestern ein, der mir erzählte, dass die rosa Gallahs Geräusche nachahmen. Sie sind sehr gelehrig und können in Gefangenschaft bei richtiger Behandlung bald sprechen. Und draußen sitzen sie massenweise in den hohen Bäumen. Vielleicht saß einer auf dem Dach dieser sanitären Anlage? Warum nicht? Denn ich befinde mich allein auf dem Campingplatz.

Eigentlich wollte ich in der Dunkelheit starten. Meine Packtaschen stehen abreisebereit in der Stube. Aber ein Blick an die Glastür läßt mich diesen Wunsch gleich wieder vergessen. Im Zimmer brennt das Licht. Draußen ist es finster. Und was sehe ich an meiner Glastür? Daran schwirren viele große Flügeltiere herum, die gern herein möchten. Sie haben die Größe von Hornissen, sehen aber grau aus. Sie versuchen, sich gegenseitig mit ihrem Stachel des Hinterleibes zu stechen. Und da soll ich die Tür öffnen? Nein, das geht tatsächlich nicht. Die wären alle hereingekommen. So lege ich mich auf mein Sofa und warte die Zeit ab, bis es draußen hell ist. Und mit der Helligkeit verschwinden meine unerwünschten Zaungäste.

Wunderschön orange färbt sich der Himmel am Horizont. Mit dem fertig bepackten Rad starte ich um 6.30 Uhr in den ruhigen Morgen. Meine zu fahrende Straße kenne ich. So verlasse ich diesen freundlichen Ort und radle auf einer heilen Teerstraße Richtung Wilmington hinaus. Kurz darauf schiebt sich die Sonne über den Horizont und taucht alles in ihren strahlenden Schein. Vor mir breitet sich plattes und wild bewachsenes Gelände aus. Hinter mir lasse ich die Berge der Flinders Range zurück.

Rechts am Wegesrand liegt ein totes Känguru, muss in der Nacht angefahren worden sein. Ein männliches Tier ist es nicht. Vielleicht befindet sich im Beutel noch ein Junges? Das Tier liegt aber auf dem Bauch. Und ich mag es nicht umdrehen. Was soll ich mit einem jungen Känguru-Baby anfangen? Nein, das geht tatsächlich nicht.

So radle ich weiter. Die Luft ist mit 26°C angenehm kühl. Aber mit der Zeit beginnt die Sonne, mir ihre feurige Glut entgegen zu schleudern. Die heutige Strecke bis Wilmington soll nur 40 km betragen. Und auf dieser Entfernung möchte ich die Hitze unbedingt aushalten.

Von Zeit zu Zeit überquere ich eine kleine Vertiefung, die zu einem Fluss gehört, der aber nun in dieser Jahreszeit ausgetrocknet ist. In der Mitte der Vertiefung der Straße steht jeweils ein Wasserstandsanzeiger mit einem Pegelstand bis 2 m. Wenn ich nun nach rechts und links sehe, erblicke ich große und alte Bäume beidseitig des trockenen Flussbettes. Im Untergrund scheint weiterhin Wasser vorhanden zu sein, denn sonst wären diese urigen und knorrigen großen Bäume schon längst abgestorben. Ich radle weiter.

Schafherden grasen mal links, mal rechts. Eine Herde steht auf einem umgepflügten Acker. Was sie da fressen sollen und können, bleibt mir rätselhaft. Auch Pferde grasen auf einer anderen Weide.

So langsam nähere ich mich Wilmington. Vor mir hat sich eine weitere Gebirgskette aufgebaut. Davor muss mein gewünschtes Ziel liegen, kann es aber beim besten Willen nicht entdecken.

Ein Fuchs schnürt quer über die Straße. Auf der rechten Seite springt ein Känguru ins dichtere Gebüsch. Zum Fotografieren ist es einfach zu schnell weg.

Nun radle ich auf das nächste angefahrene und getötete Känguru zu. Dieses hat einen gehörigen Schlag abbekommen. Hierbei ist nicht auf den ersten Blick feststellen, ob es sich um ein weibliches oder männliches Tier handelt. Die Eingeweide liegen überall herum. Es sieht grauenvoll aus. Wer wird diese toten Tiere von der Straße nehmen oder auffressen?

Dann mache ich rechterhand voraus auf einem Feld ein einzelnes großes Tier aus. Ich vermute ein Känguru. Nein, es stellt sich heraus, dass es sich um einen Emu handelt. Den fotografiere ich und rolle weiter. Die Hitze ist noch auszuhalten. Bald muss ich doch ankommen!

Ja, die Kreuzung erscheint und mit ihr das Hinweisschild Wilmington. Meine Augen nach dem Schild für den Caravan-Park aufreißend, radle ich in den Ort hinein und folge dem Hinweisschild. Aber zuvor halte ich an einem kleinen Kaufmannsladen, um mich dort vielleicht ein wenig ausruhen zu können. Draußen herrschen schon 42°C. Drinnen ist es angenehm kühl. Meine Augen saugen sich an einem großen Stück einer Wassermelone fest. Die möchte ich haben und lasse sie mir samt Messer, Gabel und Löffel geben. Es befindet sich hinter der Eingangstür ein Bord, vor dem zwei Stühle stehen. Draußen las ich ja auch die Bezeichnung CAFE für dieses Geschäft. Also setze ich mich dort hin und labe mich an der herrlichen Frucht. Ein einziges Gedicht!

 

Mir gehen die beiden toten Kängurus nicht aus dem Kopf und frage den Kaufmann: „Wer holt sie von der Straße, oder werden sie dort stinkend vergammeln und austrocknen?“

„Nein“, sagt er. „Das erledigen in ganz kurzer Zeit unsere Vögel und der Fuchs.“

Die junge Verkäuferin empfiehlt mir den Beautiful Valley Caravan Park. Der andere liegt weiter im wilden Binnenland. Nein, dahin zu fahren, habe ich kein Interesse.

Es dauert nicht lange bis zu meinem Tagesziel. Der Besitzer weist mir freundlicherweise einen großen Aufenthaltsraum mit drei Tischtennistischen und einem Fernseher zu. Auch darf mein Rad mit hinein. So brauche ich kein Zelt aufzubauen. In dem wäre ich auch geröstet und alles in meinen Packtaschen durchgebacken worden. Und das Thermometer zeigt mir im Raum 38°C an.

In meinem Notebook erhalte ich zwischen meinen Emails einen Tipp, wie ich mich trotz der Bullenhitze abkühlen kann: meinen Kopf unters Wasser halten und die Nase dünn mit Vaseline von außen und innen bestreichen, dann von der Apotheke rehydriertes Wasser mit Salz und Nasal saline Spray für die Nasenschleimhäute kaufen.

Aber ich bin mal wieder von der Hitze – wenn auch fünf Grad weniger als draußen – wie erschlagen und lege mich auf das von dem Besitzer ausgeklappte Sofa. Als ich wieder aufwache, reiss ich mich zusammen, ziehe mich ausgehfertig an und habe vor, zur Apotheke zu gehen, um mir den Nasen-Spray zu kaufen. Da dieser Caravan-Park aber 1,5 km außerhalb des Ortes Wilmington liegt und ich zu faul bin, umsonst in den Ort zu gehen, betrete ich das Office und frage meinen Wirt, der ein weißes Pony als Freund hat, nach einer Apotheke.

„Nein, hier gibt es keine, aber morgen in Orroorroo. Machen sie ein Taschentuch nass und legen es sich um ihr Genick. Hier werden die kleinen Kinder schon zum Schutz vor der austrocknenden Hitze so erzogen: Die Eltern suchen sich kleine, runde Steinchen, kochen sie aus und geben jedem Kind eins davon in den Mund, wo es immer bleiben muss. Damit wird dafür gesorgt, dass immer wieder neuer Speichel gebildet wird und die Mundschleimhaut nicht austrocknet. Genial, nicht wahr?“

Wie ich diese Bullenhitze die ganzen Monate hier aushalten soll, ist mir schleierhaft. Außerdem kann ich auch keine so weiten Strecken am Tag zurücklegen, wie ich es mir vorgenommen hatte. Meine Fahrradtour wird ein Brief mit sieben Siegeln.

Es ist 16.00 Uhr. Hier im großen Aufenthaltsraum, in dem ich einquartiert bin, herrschen jetzt auch schon 40°C. Mal sehen, wie heiß es nun draußen ist. Draußen herrscht im Moment dieselbe Hitze, weil einige Wolken aufgezogen sind und die Sonne verdecken. Eigentlich ist es nicht zum Aushalten!!

Darum fasse ich mir ein Herz, gehe zu meinem Caravan-Wirt und frage ihn: „Gibt es für ihre Gäste keinen kühlen Aufenthaltsraum?“

„Nein, gibt es nicht.“

„In meinem großen Raum, wo ich schlafen darf, herrschen 45°C. Das ist nicht zum Aushalten. Gibt es hier im Ort ein Restaurant, in das ich mich bis zum Abend setzen darf?“

„Nein, ein Restaurant gibt es nicht, nur ein Hotel. Wollen sie da schlafen?“

„Nein, ich bin nicht reich. Ich werde in dem großen Raum schlafen, wenn es kühler geworden ist.“

„Kommen sie mit. Ich bringe sie in einen kühlen Raum.“

Und damit wandere ich hinter ihm her bis zu einem seiner kleinen Gästehäuser, in das er hineingeht und mich mitnimmt. Sofort stellt er die Aircondition an. Nach einer ganzen Zeit ist die Temperatur auf 33°C gefallen. Mein kleines WIFI funktioniert hier wieder. Der Akku lädt sich auf. Was für ein Glück.