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Eine verworrene Geschichte

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»Sieh, Vater, nun bist Du wieder in die Heftigkeit hineingerathen,« sagte Urban den Arm um seine Schultern legend. »Du regst Dich auf, das schadet Deiner Gesundheit.«

»Mir scheint Ihr seid Beide unvernünftig,« mischte jetzt Frau Coutermann sich ein. »Die Sache ist ganz einfach; geht zum Drosten und verklagt den Markus, wozu halte haben wir denn eine Gerichtsbarkeit wenn sie die Ruhe der Leute nicht sichert?«

»Der Rath wäre so übel nicht,« antwortete der Pächter, »wenn der Baron im Schlosse sich aufhielte und wir an ihn selbst unsere Klage richten könnten. Der Droste würde uns einfach an den Amtmann weisen und dieser sich an unserm Verdruß weiden, weil er uns haßt, unter dem Vorwande, daß wir seinen Neffen unglücklich machen.«

»Ich habe aber im Dorfe gehört, daß der Baron alle Tage zurückerwartet wird; er hat seine bevorstehende Heimkehr bereits angemeldet.«

»Ja, so heißt es schon seit drei Wochen. Die Stadt Wien liegt weit von hier, und außerdem neigt der Sommer sich seinem Ende; es ist nicht wahrscheinlich, daß der Herr Baron dieses Jahr noch herkommen wird.«

»Wie dem auch sei, ich bin in arger Verlegenheit« sagte Cilia. »Zu Haus sitzt die Näherin und hat keine Arbeit, meine Mutter hatte mich nach Plattenstein geschickt um dort von der Base das Brautkleid zu leihen; kehre ich nun ohne dasselbe zurück, so wird mir, fürchte ich, ein ganz altmodischer Anzug gemacht, in dem ich mich schämen müßte, zur Kirche zu gehn, und dem Urban wäre das doch auch nicht lieb. Mein Vater ist nach Alsegheim und allein getraue ich mich nicht wieder nach Plattenstein.«

»Ist das Deine ganze Sorge Cilia? Ich begleite Dich!« rief Urban.

»Nein, Du nicht, ich bringe Cilia nach Plattenstein,« sagte der Pächter.

»Aber Vater, Du behandelst mich wie ein kleines Kind,« beschwerte sich der junge Mann. »Wenn Markus auch nach so stark ist, ich fürchte ihn doch nicht.«

»Meister, laßt mich mit Urban gehn,« sagte der Knecht, der bis dahin schweigend an der Thür gestanden hatte.

»Ja, Du wärest gerade der Rechte,« versetzte der Pächter; »bei dem geringsten Anlaß ergreifst Du das Hasenpanier. Ich mache Dir Deine Furchtsamkeit nicht

zum Vorwurf, denn Du bist schwach und gebrechlich, aber hier brauchen wir einen Mann der muthig und zugleich ruhig ist. Kurz und gut, ich werde Cilia begleiten.«

»Aber warum darf ich mich dann nicht wenigstens anschIießen?« fragte Urban, durch ein Zeichen seiner Mutter ermuthigt. »Zu Zweien sind mir doch stärker als allein und Markus würde es nicht wagen uns Beide anzugreifen

oder zu verhöhnen, wenn mir ihm begegnen sollten.«

»Freilich. aber ich fürchte Deine Heftigkeit; Versprichst Du mir, gelassen zu bleiben, was immer geschehen mag?«

»Ja Vater.«

»Wäre es nicht bester, Ihr gingt über Zickendriesch, Thomas?« bemerkte Frau Coutermann. »Der Umweg, ist nicht groß und dort wäret Ihr sicher, dem Markus nicht zu begegnen.«

»Da hast Du recht, Frau, ein vernünftiger Mann vermeidet die Gefahr, wenn es angeht. Komm Cilia; und Du Urban nimm Deinen Stock und vergiß Dein

Versprechen nicht.«

Während der Pächter mit dem Mädchen zur hinausging, hielt Frau Coutermann ihren Sohn noch einen Augenblick zurück.«

»Achte auf den Vater, Urban,« flüsterte sie ihm in’s Ohr, »er selbst ist noch aufbrausender als Du und wenn Ihr den Markus aus der Ferne sein, so kehrt lieber Beide um, als daß Ihr Euch mit dem Trunkenbold einlaßt. Kann ich mich darauf verlassen?«

»Gewiß Mutter, sei unbesorgt.«

Und er beeilte sich, dem Vater zu folgen.

III

Es war Sonntag; die Thurmuhr hatte soeben Eins geschlagen.

Der Müller und seine Tochter, Baas Coutermann und sein Sohn sammt Blasius dem Knechte erstiegen den Hügel, an dessen steilen Abhang die Landstraße nach Beersel sich in die Höhe windet.

Das schöne Wetter und die Erwartung der bevorstehenden Kirchweihfreuden brachte eine äußerst heitere Stimmung hervor und von Weitem schon konnte man die Wanderer fröhlich lachen und plaudern hören.

Sie hatten alle ihre besten Kleider angelegt nicht allein dem Sonntag zu Ehren, sondern weil Urban zum ersten Mal als Verlobter Cilias sich ihren Verwandten zu Beersel präsentieren sollte.

Der junge Coutermann trug einen dreieckigen Filzhut auf seinem kurzen krausen Haar, eine lange geblümte Weste und darüber eine blaue Tuchjacke mit großen glänzenden Knöpfen, ferner Kniehosen und enganschließende Strümpfe. Auch die Schuhe waren von feinem Schnitt und in den blanken Silberschnallen spiegelte sich die Sonne.

Die beiden alten Bauern waren ähnlich gekleidet, nur mit dem Unterschied, daß sie lang herabhängendes Haar trugen und daß die Farbe ihrer Anzüge dunkler war. Alle Drei führten leichte Wanderstäbe auf denen ein silberner Apfel angebracht war, welcher eher eine Zierde als eine Waffe zu sein schien.

Cilia’s Anzug war einfacher und weniger gewählt als der der Männer. Sie trug ein Kleid aus grünem Stoff mit rothen Blumen und ein Mieder das vorn über die Brust geschnürt war. Ihre Arme waren entblößt bis zu den Ellenbogen, auf ihrem Haar saß eine kleine Spitzenhaube mit fliegenden Bändern.

Die fröhliche Gesellschaft hatte Bagynenbusch erreicht und immer noch ging es bergan, ja der Abhang wurde selbst noch steiler, während sie, lachend und keuchend, unter den hohen schattigen Buchen dahingingen.

Endlich erreichten sie die Hochebene; der Weg wurde hier breiter und besser.

Der Müller ging jetzt neben dem alten Coutermann und begann, bei mancher Priese Schnupftabak ein Gespräch mit ihm über die Zukunft: Urban und Cilia blieben ein wenig zurück, der Knecht hielt sich zwischen beiden Paaren, jedoch in größerer Nähe zu seinem alten Herrn.

Zunächst kam wieder auf Markus die Rede; die beiden Alten drückten ihre Genugthuung darüber aus, daß er nun das Dorf für immer verlassen hätte. Es hatte nämlich im »goldenen Apfel« ein so heftiger Auftritt stattgefunden, daß der durch die Wittwe herbeigerufene Droste eingeschritten war; man würde ihn sicher hinter Schloß und Riegel gebracht haben, wenn nicht der Amtmann Fürsprache für ihn eingelegt hätte.

Wüthend war Markus darauf fortgerannt und hatte geschworen, daß er Soldat werden wolle; seine Mutter sollte ihn niemals wiedersehn. Und wirklich waren vier Tage seither vergangen und kein Mensch aus dem Ort und der Umgegend wußte, was aus ihm geworden war.

Sie waren nun gänzlich von der Furcht befreit, Markus mochte in einem Anfall von Raserei und Trunkenheit, über Urban herfallen und ihn beschimpfen und mißhandeln.

Was Urban und Cilia betrifft, so dachten sie nicht im Entferntesten an den Ruhestörer; Hand in Hand gingen sie ihres Weges und sprachen leise von dem sie erwartenden Glück.

Endlich erreichten sie ziemlich ermüdet, dass Ziel ihrer Wanderung, den Pachthof Wilhelm Roosens zu Beersel. Hier fanden sie Niemanden mehr als die geputzte Pächterin, welche, nach der ersten Begrüßung ihren sagte, daß der Schulze ihren Mann hätte rufen lassen, damit er beim Empfange der auswärtigen Schützen anwesend sei. Die meisten Familienglieder wollten sich selbst an dem Preisschießen betheiligen. »Es wurde also beschlossen, daß man vorläufig keinen Kaffee trinken, sondern um sechs Uhr gemeinschaftlich auf dem Gute das Abendmahl einnehmen wolle. Jetzt hieß es nun, schnell nach dem Markt des Ortes zu gehn, um womöglich dem Auszug der Schützen beizuwohnen.

Dem Rathe der Pächterin folgend begaben sich Alle zu der bezeichneten Stelle.

Hier-, neben der kleinen Kirche und vor der Thür des Gasthofes »zum Schwan,« ordnete sich eben der Zug.

Voran ging der Fahnenträger mit dem großen Banner, auf dem der h. Sebastianus von vielen Pfeilen durchbohrt, abgebildet war. Ihm folgte der Narr, der die Schellen seiner Kappe tüchtig klingeln ließ und durch allerlei Sprünge, Gebärden und Fratzen die Zuschauer zum Lachen zu bringen suchte. Dann kam die Musik: Zwei Trommler und ein Pfeifer, hinter ihnen der König der Gilde behangen mit silbernen Denkmünzen, Löffeln, Gabeln und Zuckerzangen, lauter Preisen, welche die Gilde bei früheren Gelegenheiten gewonnen hatte.

Hieran reihten sich über hundert eingeschriebene Schützen, stattliche Männer mit großen Bogen in der Hand.

Auf ein von dem Könige gegebenes Zeichen begannen die Trommler einen muntern Marsch zu schlagen, welchen der Pfeifer mit den scharfen Tönen seiner Flöte begleitete, und der ganze Zug, sammt den umstehenden Dorfbewohnern setzte sich in Bewegung, durch einen Hohlweg der Gemeindewiese zu, wo eine hohe Stange aufgerichtet war.

In der Nähe hatte man viele Bänke und Tische angebracht, ja der Wirth aus dem Schwan hatte selbst ein Zelt gezimmert, in dem er Bier verzapfte und Schinken und Brod verkaufte.

Coutermann und seine Begleiter nahmen in ausreichender Entfernung Platz um nicht von den herunterfallenden Pfeilen belästigt zu werden und erquickten sich dann an einem Glase Bier. Blasius der Knecht, saß neben seinem Herrn und starrte, Alles um sich vergessend mit offenem Munde die schönen Vogel an, die auf der Spitze Stange und an deren Querhölzern ihre rothen Federn im Winde wiegten.

Die Neuigkeit von Cilias und Urbans Verlobung war seit einer Weibe auch in Beersel verbreitet und es kamen viele Freunde und Bekannte um ihre Glückwünsche darzubringen und mit ihnen anzustoßen.

Vor Allen zeichnete sich Karl der Sohn des Küsters aus Dworg, durch seine aufrichtige Theilnahme an ihrem Glücke aus. Seine Freundschaft für Urban gab ihm Worte ein, die Cilia tief bewegten und ihr Herz vor Freude höher schlagen ließen.

Auch die beiden Vater ergötzten sich an den Beweisen der Zuneigung, die von allen Seiten sich kundgaben. Aus Urbans Augen sprach ein unverhohlener Stolz; seine Blicke schienen Jedem zuzurufen:

»Dies Herz habe ich gewonnen: das schönste Mädchen von Dworg wird meine Frau!«

 

Cilia lauschte mit stillem Behagen den freundlichen, schmeichelhaften Worten, welche an sie gerichtet wurden. Alle fühlten sich glücklich es war ein heller schöner Tag in ihrem Leben.

Endlich waren die Glückwünsche erschöpft, und nun konnten sie, gleich den übrigen Zuschauern in ungestörter Aufmerksamkeit den Pfeilen folgen, die unaufhörlich oft fünfzig Fuß über den höchsten Vogel durch die Luft schwirrten.

Ein lebhaftes, bewegtes Bild war es, dass sich dem Auge darbot. In Reihe und Glied, den Bogen in der Hand standen die Schützen da, erwartend, daß an sie die Reihe käme; Knaben mit breitrandigen Hüten liefen umher, die Pfeile aufzuraffen. Traf ein Geschoß die eiserne Stange oder einen der hölzernen Vogel, ohne ihn herunter zu bringen so entstand unter Schützen und Zuschauern ein verdrießliches Gemurmel; taumelte aber ein Vogel auf die Wiese nieder, so wurde mit Händeklatschen und lautem Jubel sein Fall begrüßt.

Der Wettstreit hatte bereits zwei Stunden gedauert, und immer noch stack der höchste Vogel auf der Spitze der Stange, seine rothen und blauen Federn bewegten sich hin und her, als wollten sie die Schützen necken. Auch einer der Seitenvögel war noch nicht gefallen.

Urban, der eine Weile gespannt die Stange hinauf geschaut hatte, richtete nun wieder den Blick auf seine Braut und gewahrte zu seinem nicht geringen Schrecken, daß sie plötzlich erbleichte.

»Cilia, was gibt’s? Fühlst Du Dich unwohl?« fragte er.

»Ach, es überläuft mich kalt,« versetzte sie, »ich glaube, ich habe Markus gesehn.«

»Markus? Wo?«

»Zwischen den Bäumen, dort, hinter dem Zelt, doch jetzt ist er in dem Hohlweg verschwunden.«

»Wie wäre das möglich?« murmelte der junge Mann; »Markus ist ja Soldat; Du hast Dich ganz gewiß geirrt, es wird Jemand gewesen sein, der ihm ähnlich sieht.«

»Möglicher Weise war es eine Täuschung, Urban, ich glaube es fast selbst, denn Markus würde doch nicht die Flucht genommen haben, er, der vor nichts zurückscheut, meinst Du nicht auch?«

»Natürlich, darum vergiß den vorübergehenden Eindruck . . . Sieh nur, sieh, da kommt der Seitenvogel herunter!«

Eine Wolke des Trübsinns lagerte von diesem Augenblick auf des Mädchens Stirn, und was Urban während der nächsten Viertelstunde auch sagen mochte, sie zu vertreiben, es war vergebens.

Plötzlich rief Cilia mit gedämpfter Stimme:

»Ach da ist er! Ich hatte mich dennoch nicht getäuscht!«

»Also wirklich?« gab Urban zurück, und ballte krampfhaft die Faust.

Es war wie Cilia sagte. Der Sohn aus dem »goldenen Apfel« trat auf die Wiese von etwa zehn Gefährten begleitet; es waren sogar einige Bauernknechte aus Dworg darunter, die ihm nachliefen, um ohne Bezahlung trinken zu können.

Mit einem Steinkruge klopfte er so gewaltig auf einen der Tische, daß es über die ganze Ebene wiederhallte, und schrie:

»Schnell Baas, schnell vier Krüge Bier; bevor es Abend wird, leeren wir noch ein ganzes Faß! Wir wollen gründlich Kirmes feiern!«

»Markus soll leben!« riefen seine Begleiter, während er ihnen einschenkte und sie ermuthigte, ihm wacker Bescheid zu thun. Von Zeit zu Zeit warf er Urban einen flammenden Blick zu und grinste ihn an mit zusammengebissenen Zähnen, als wollte er sagen:

»Warte nur, wir haben noch ein Hühnchen mit einander zu pflücken!«

Cilia schlug die Augen nieder und zitterte in heimlicher Angst.

Unruhig bewegte sich Urban auf seinem Platze hin und her; es drängte ihn den Unverschämten zur Rechenschaft zu ziehn. Sein Vater aber, der ihn beobachtet hatte flüsterte ihm zu:

»Um Gotteswillen, Urban, nimm Dich zusammen, Dein Lebensglück hängt vielleicht an Deiner Ruhe und Kaltblütigkeit. Markus ist ein gefährlicher Feind in seinem Haß, und sein einziges Mittel, Deine Hochzeit zu verhindern, ist, daß er Händel mit Dir sucht; er kann nichts, dabei verlieren.«

»Darum thu’, als ob Du taub und blind wärst. Uebersteigt seine Vermessenheit alle Grenzen, so las; mich nur machen: ich weiß schon mit ihm fertig zu werden.«

»Du, Vater? Ach er würde Dich verhöhnen, vielleicht gar schlagen! Und was würde die Mutter sagen, wenn ich feige genug wäre, Dich unbeschützt an meiner Stelle mißhandeln zu lassen?«

»Einerlei; ich will, daß Du Dich ruhig verhältst und Deine Heftigkeit zügelst. Ein Ungehorsam Deinerseits würde mich tief betrüben.«

»Wohlan Vater, ich will thun was in meinen Kräften steht, aber eins sage ich Dir, sobald Du auffährst und den Gleichmut verlierst, nehme ich meine ganze Freiheit zurück und thue, was mein erbittertes Herz mir eingibt.«

»Ein Gottes Namen, Urban; nun wir wollen sehen, wer von uns Beiden der Stärkste ist.«

Was den Müller betrifft, so war dieser so friedlicher Natur, daß es ihm unmöglich war, sich zu erhitzen, und er jedem Streite aus dem Wege ging.

»Jetzt gib acht auf Dich selbst, Urban,« sagte der Pächter leise, »da kommt der Trunkenbold.«

In der That näherte sich Markus, einen Bierkrug in der Hand, und sagte zu dem Mädchen, mit einein herausfordernden Blick auf Urban:

»Wenn auch nicht auf Dein zweifelhaftes Glück, so kann ich doch auf Deine Gesundheit trinken, Cilia. Dies gilt Dir!«

Cilia schmieg; Alle saßen bewegungslos da.

»Komm, stoß mit mir an! Ich will es!«

»Thu’ es nur, Kind,« sagte der Müller begütigend; Cilia aber blickte zu ihrem Verlobten auf und dieser schüttelte verneinend den Kopf.

»Wie, Du willst sie abhalten, mir Bescheid zu thun?« grollte Markus zähneknirschend. »Glaubst Du Vielleicht, Ihr wäret schon verheirathet? Hoho, es lauft in einem Tage viel Wasser durch die Zenne! Wir wollen doch

sehn!«

»Cilia Roosen ist meine Braut, Du hast nichts mit ihr zu schaffen,« versetzte Urban mit mühsam unterdrückter Wuth. »Geh, Deiner Wege und trinke Dich todt, wenn Du Lust hast, aber laß anständige Leute ungeschoren.«

»Sie soll mit mir trinken!« polterte Markus.

»Das soll sie nicht!« erwiderte der junge Coutermann.

Ein gräßlicher Fluch ertönte, und drohend erhob Markus den steinernen Krug über dem Kopfe seines Gegners; plötzlich aber fiel er hinterrücks zu Boden und der Krug entglitt seiner Hand. Eben so rasch sprang er wieder auf

und bemerkte mit Scham und Entrüstung daß es Blasius der Knecht war, der ihn an den Beinen ergriffen und zum Fall gebracht hatte. Seine Faust um den Hals des armen Krüppels krallend, hob er ihn vom Boden auf und schleuderte ihn einige Schritte weit über die Wiese.

Blasius stieß ein entsetzliches Geheul aus und Alle meinten, er müsse mindestens ein Glied gebrochen haben.

Mit Blitzesschnelle war dies Alles geschehn, und jetzt erst liefen die Umstehenden und selbst die Schützen von allen Seiten herzu. Die Stärksten umringten Markus und wie er auch rang, sich ihren Händen zu entwinden und auf Urban einzudringen, er wurde gezwungen sich ruhig zu verhalten. Sein Zorn entbrannte hauptsächlich gegen Karl, den Sohn des Küsters, der mit eisernem Griff seinen Leib umklammerte, und er stieß gegen diesen Freund Urbans die furchtbarsten Drohungen aus.

Dass Schreien des Knechtes führte auch den Schulzen auf den Kampfplatz. Er erschien von einem Feldwächter begleitet und gebot dem Markus still zu sein und auf seine Fragen zu antworten. Der rasende Markus fluchte aber so schrecklich, daß der Schulze dem Feldwächter befahl, ihm die Hände auf den Rücken zu binden und ihn in den Keller des Schlosses zu bringen.

Während man hiermit noch beschäftigt war, und den Ruhestörer bereits an die äußerste Grenze der Wiese transportiert hatte kam der Amtmann von Dworg hinzu, der im Gasthof »zum Schwan« von dem Vorgefallenen in Kenntniß gesetzt war.

Er schien großen Einfluß auf seinen Neffen zu haben, denn nach einigen ernsten Worten, die er an ihn richtete, versprach dieser sich ruhig zu verhalten und alle Gewaltthätigkeiten zu vermeiden.

Der Amtmann legte hierauf ein gutes Wort für seinen Neffen ein und verpflichtete sich, ihn nach Dworg zurückzubegleiten, wo er den ganzen Tag unter seiner Aufsicht bleiben solle.

Da Blasius, der Knecht, der eben vorüberging, keine erhebliche Verletzung davon getragen hatte, gab der Schulze den Bitten des Amtmanns nach und dieser verließ Beersel mit seinem Neffen, eine Strecke weit von vielen Dorfbewohnern gefolgt.

Das Preisschießen war durch die eben erzählten Vorgänge in unliebsamer Weise unterbrochen worden und es herrschte ein großes Durcheinander auf der Gemeindewiese. Roosens und Coutermanns Freunde und Bekannte drängten sich an diese heran und suchten sie zu beruhigen durch die Versicherung, daß sie nichts mehr zu fürchten hätten. Wenn der betrunkene Markus, aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz, sich noch einmal heranwagen sollte, so wollten sie alle gemeinschaftlich gegen ihn einschreiten und ihm die Lust Händel zu suchen gründlich austreiben.

Die Trommler versammelten die Schützen durch einen kräftigen Wirbel wieder unter der Stange und der friedliche Kampf wurde fortgesetzt.

Cilia war noch immer sehr erregt und konnte sich der Furcht, Markus möchte zurückkehren nicht erwehren, bis endlich Karl, der Sohn des Küsters zu ihr trat mit der Meldung:

»Freue Dich, für heute wenigstens sind wir den Flegel los, sein Ohm, der Amtmann hat ihn mit nach Dworg genommen. Markus darf sich während der nächsten drei Tage, so lange die Kirmeß dauert, in Beersel nicht sehen lassen, sonst läßt der Schulze ihn ohne weiteres in’s Loch werfen. Du kannst Dich fest darauf verlassen, daß er fort ist, ich habe ihn sammt seinem Ohm mit eignen Augen auf dem Wege nach Dworg verschwinden sehn.«

Diese gute Nachricht vertrieb bei Cilia alle Sorgen.

»Aber wo ist nur unser armer Blasius?« fragte das Mädchen, »er wird doch wohl nicht verwundet sein?«

»Nein; er gilt immer für schwach, ist aber ein ganz zäher Kerl,« sagte der Sohn des Küsters. »Ich begegnete ihm zuerst beim »Schwan« und sah ihn dann in der Nähe des Pachthofes Deines Onkels. Als ich ihn fragte, ob er nicht mit zurückginge zur Gemeindewiese, antwortete nicht er lächelnd, daß er ein Bedürfniß sich zu bewegen fühle und etwas Waldluft schöpfen wolle. Es fehlt ihm nichts, ich glaube im Gegentheil, daß er stolz ist auf seine Heldenthat, denn er war es ja doch, der den starken Markus zu Boden warf.«

»Der gute Junge hat Urban vor einem argen Schlag bewahrt,« sagte Cilia.

»Ja gewiss,« bestätigte dieser, und wir schulden ihm großen Dank für seine Anhänglichkeit.

Ein lautes Jubelgeschrei tönte plötzlich über die Wiese dahin; der höchste Vogel war so derb getroffen worden, daß er auf seiner Spitze hin und her wankte. Dies feuerte die Schützen zu verdoppeltem Eifer an, und dennoch thronte der Vogel, wenn auch oft getroffen, noch eine ganze Stunde hindurch wie zum Spott und Hohn auf seinem hohen Platze.

Die Sonne neigte sich dem Westen zu, die Schlitten wurden ungeduldig und behaupteten, der Vogel sei in fest genagelt, da endlich traf ihn ein Pfeil so gewaltig, daß er taumelnd auf den Rasen fiel.

Schützen und Zuschauer, alle durcheinander umringten den glücklichen Sieger, um ihm Zuzujubeln und zu seinem glücklichen Schuß zu gratulieren.

Das Fest war damit beendet; die Mehrzahl der Leute schickte sich an, die Wiese zu verlassen.

Auch Cilia’s Oheim benachrichtigte seine Gäste, daß die zum Abendessen bestimmte Stunde bereits verstrichen sei und bat sie, ihm ohne Verweilen nach seinem Hofe zu folgen.

Baas Coutermann, welcher voraussah, daß es wohl etwas spät werden konnte, schickte einen Boten nach Dworg an seine Frau mit der Bestellung, sie möchte sich nicht beunruhigen, wenn er mit Urban nicht zur gewöhnlichen zeit heimkehre; um zehn Uhr wäre er aber jedenfalls wieder zurück.

Auf dem Wege von der Wiese zum Dorf begegnete sie Blasius; er erntete Lob und Dank für den Muth, den er bewiesen hatte, doch antwortete er kaum darauf, er schien trübe gestimmt, wiewohl er wiederholt versicherte, nicht verletzt zu sein.

»Du bist gewiß hungrig,« sagte Cilia’s Oheim zu ihm, »thu Dir heute einmal gründlich etwas zu Gute, Du hast es wohl verdient. Ich will schon sorgen, daß es Dir an nichts fehlt und das; Du so viel Bier bekommst, als Du trinken magst. Geh in die Küche zu meinen Leuten und feire Kirmes nach Herzenslust.«

Auf dem Hofe waren bereits verschiedene Gäste versammelt und bald saßen Alle, etwa zwanzig an der Zahl, rund um den großen Tisch.

An köstlichen Speisen war kein Mangel; es wurden Würste, mächtige Schinken und Reiskuchen aufgetragen, dazu starkes Bier und sogar rother und weißer Wein.

So lange dass Essen dauerte, sagten die hungrigen Gäste nicht viel und die in den großen Schüsseln aufgehäuften Gerichte verschwanden wie durch Zauberei. Dann aber, als abgespeist war und man der Flasche mehr zuzusprechen begann, wurde die Unterhaltung immer lebhafter.

 

Jeder wollte auf die Gesundheit des Brautpaares trinken.

Markus war vergessen, als ob er niemals gelebt hätte; herrschte doch auch eine so heitere herzliche Stimmung in dieser fröhlichen Gesellschaft, nachdem der Wein einmal die Zungen gelöst’, daß kein Mißton störend einwirken konnte. Cilias Herz schlug höher in freudigem Stolz, denn Alles, was hier gethan und gesagt wurde galt ja ihr und ihrem lieben Urban.

Auch die alten Leute schienen durch die Kraft des Weines sich zu verjüngen, sie dachten vergangener Tage und frischten die alten Witze wieder auf, über die sie in ihrer Jugendzeit gelacht hatten.

Baas Coutermann begann gleichwohl von Zeit zu Zeit nach der Uhr zu sehn und sich zu erinnern, daß er bald die Gesellschaft verlassen müsse: er hatte ja seiner Frau versprochen, vor zehn Uhr zu Haus zu sein und nun war es bereits neun!

Nach altem Brauch sollte Cilia die drei Kirmeßtage bei dem Ohm in Beersel bleiben, es lag ihr daran, ihren Schatz so lange als möglich zurückzuhalten, denn war er fort, so hatte die Freude für sie ein Ende.

Der Müller, der wohl etwas zu tief ins Glas geschaut haben mochte, suchte gleichfalls seinen alten Freund zu längerem Bleiben zu bereden, und als dieser endlich aufstand und erklärte, nichts in der Welt könne ihn noch in Beersel halten, sagte er:

»Gut, so geh’ in Gottes Namen; ich finde es hier einstweilen noch viel zu angenehm. Meine Frau ist gewiß noch auf, sag’ ihr doch im Vorbeigehn, ich würde heute Nacht bei meinem Bruder übernachten; morgen mit Tagesanbruch kehre ich heim. Sie wird wohl ein wenig brummen, aber was schadet’s? Ich bin ja auch bisher nicht davon gestorben.«

Baas Coutermann und sein Sohn verabschiedeten sich inzwischen von den Anwesenden; Cilia versäumte nicht Urban zu mahnen, am andern Tage recht zeitig wiederzukommen.

In der Küche riefen sie nach dem Knecht, doch da hieß es, Blasius sei vor mehr als einer Stunde schon fortgegangen, um im »Schwan« noch ein Gläschen zu trinken.

Das war ein unangenehmer Zwischenfall; Urban bezeugte Lust, in das Zimmer zurückzukehren um dort auf Blasius zu warten, aber sein Vater, ohnehin schon unzufrieden, daß es so spät geworden war, hielt es für besser, im Wirthshause aufzusuchen.

Kaum hatten sie sich indessen wenige Schritte vom Hofe entfernt, als sie den Knecht erblickten, wie er einem Diebe gleich durch das Gehölz schlich.

»Was thust Du denn hier? Woher kommst Du?« fragte der Pächter erstaunt.

»Ich habe mich noch nicht ganz erholt von dem Vorfall auf der Gemeindewiese, Baas, und brauche frische Luft, darum machte ich einen Spaziergang in’s freie Feld. Es ist ja Mondschein,« lautete die Antwort.

»Aber es fehlt Dir doch nichts, Blasius?« fragte Urban vorsorglich, »sonst mußt Du es sagen. Hast Du ordentlich gegessen und getrunken?«

»Ganz gehörig, beinah ein ganzes Huhn außer Kalbsbraten und Wurst; es geht mir ganz vortrefflich.«

»Nun voran, daß wir nach Hause kommen,« unterbrach Baas Coutermann die Fortsetzung der Unterhaltung. »Dort unten über Loth ziehn schwarze Gewitterwolken auf; trotz des Mondenschein’s können wir noch Regen bekommen, . . . auf unsere besten Kleider!«

Und er eilte so raschen Schrittes dahin, daß seine Begleiter ihm kaum folgen konnten und Urban seine Lust, noch etwas zu plaudern, hintansetzen mußte, weil ihm der Athem ausging.

»Aber Vater, warum läufst Du denn so?« fragte er nachdem sie eine halbe Stunde in dieser Weise fortgeschritten waren, auf fünf Minuten kommt es doch nicht an. Der arme Blasius kann kaum noch weiter, und was mich angeht, ich finde das schweigsame Wandern, wenn man das Herz so voll hat, auch nicht leicht . . . «

»An mich müßt Ihr Euch nicht stören,« warf der Knecht ein, »ich bin nicht müde.«

»Ich glaube Du träumst, Urban,« versetzte sein Vater, »siehst Du denn nicht, daß das schwarze Gewölk schon beinah den ganzen Himmel überzogen hat? Verlaß Dich darauf, es gibt Regen; und was wird die Mutter sagen, wenn wir durchnäßt nach Haus kommen?«

So beschleunigten sie denn ihre Schritte und Urban sollte bald genug erfahren, daß der Vater Recht hatte, denn der Mond verbarg sich hinter den Wolken, einzelne schwere Tropfen fielen nieder und es wurde allmählich so dunkel, daß man nicht Hand vor Augen sehn konnte.

Sie näherten sich dem Bagynenbusch und waren noch eine gute Viertelstunde von ihrem Hofe entfernt als sie, in einen tiefen Hohlweg betretend, ein seltsames Geräusch in dem Gestrüpp zu vernehmen glaubten; es war als streifte ein Mensch oder ein wildes Thier durch das Laub.

Ueberrascht blieben sie stehn.

»Was mag das sein?« flüsterte der Pächter, »steh’ einmal still, Urban, und horche.

Ein vernehmliches Zischeln neben und hinter ihnen wurde laut.

Blasius wollte voran gehn, doch auch aus dieser Richtung klang es ihnen entgegen.

»O mein Gott, Diebe, Mörder!« seufzte der Knecht, hinter seinen Herren Schutz suchend, »sie wollen uns tödten!«

»Hier gilt es wirklich unser Leben, Urban,« sagte der Greis, »stelle Dich hinter mich, ich habe mein Messer offen in der Hand.

»Ich auch Vater,« versetzte Urban, »laß mich vor Dich treten, so lange ich lebe, soll Niemand Dir zu nahe kommen.«

Aus der Mitte des Gebüsches tönte jetzt eine Stimme hervor, welche rief:

»Leute, sie sind es! Fallt über sie her! Schlagt sie todt!«

»Großer Gott, es ist Markus, es ist mein Feind!« rief Urban, »wenn Einer von uns Beiden fallen muß . . . «

»So soll es der elende Raufbold sein,« murmelte der Pächter, »mein Messer . . . «

Das Wort war noch auf seinen Lippen als sie durch die Finsternis; einige dunkle Gestalten auf sich zukommen sahn.

»Zurück, zurück!« rief der Alte kräftig, »den Ersten, der näher kommt, steche ich nieder!«

Man hörte einen furchtbaren Schlag fallen . . . Knecht stieß einen lauten Schrei aus . . . In demselben Augenblicke aber stürzte der Angreifer hinterrücks zu Boden, mit dem Ruf:

»Weh, weh! sie haben mir das Herz durchbohrt! Ich sterbe!«

Und als ob dieser Aufschrei den Muth der Uebrigen gelähmt hätte, flohen die Meisten, Hilfe und Mord rufend, von dannen, während nur einige Wenige ihren verwundeten Gefährten aufzurichten suchten. Sie schüttelten ihn und riefen ihn beim Namen, in der Hoffnung, daß er ihnen antworten könnte.

Der Pächter und sein Sohn waren nicht minder erschreckt, sie hatten ihre Messer fallen lassen und standen einen Augenblick stumm und wie vernichtet da.

»Komm, komm, Vater, fliehen wir diesen entsetzlichen Ort,« sagte dann Urban, indem er den Greis an der Hand fortzog, doch waren sie noch nicht fünfzig Schritte weit gegangen als sechs der Gefährten des Markus hinter ihnen dreingelaufen kamen und sie aufhielten. Einer von ihnen fuhr sie an:

»Ihr seid feige Mörder, Ihr habt den armen Markus mit Euren Messern durchbohrt, er ist todt! Eigentlich sollten wir Euch nun den Schädel einschlagen aber die Strafe wäre zu gering; an Galgen und Rad müßt Ihr sterben! Jetzt in’s Gefängniß mit Euch.«

Coutermann und Urban ließen sich fortreißen, schieben und stoßen, ohne etwas anders zu sagen als daß sie nur ihr bedrohtes Leben vertheidigt hätten. Markus Gesellen behaupteten, dieser habe nur die Absicht gehabt, Streit zu suchen und Urban durchzuprügeln, mithin seien sie Mörder, da sie mit den Messern um sich gestochen hatten.

Nach diesem kurzen Wortgefecht sagten Beide nichts mehr, ohne Zweifel war ihnen das Bedenkliche ihres Zustandes klar, denn von Zeit zu Zeit hörte man sie seufzen:

»Armer Vater . . . O, mein unglücklicher Sohn!«

Beim Schlosse angekommen wurden sie über die Brücke, und zu einem der großen Thürme geführt. Der herbeigeeilte Gefängnißwärter wies auf zwei schwarze Thüren.

»Der Pächter hier, der Sohn dort!« sagte er. »Der Herr Droste will nicht, daß zwei Angeklagte in demselben Kerker sitzen.«

Da fielen die beiden Gefangenen einander um den Hals und in Thränen ausbrechend riefen sie abwechselnd:

»Vater, Vater, fasse Muth; Gott wird Dich nicht verlassen . . . Verzage nicht mein armer Urban, wir haben nur unser Leben vertheidigt, das Schöffengericht wird gerecht sein . . . Die Mutter wird doch nicht sterben, wenn sie dieses Unglück erfährt? . . . Wären wir nur bei ihr, um sie zu trösten, aber Blasius wird jetzt schon zu Haus sein. Er ist so unvorsichtig; o meine gute Frau, Du hast einen herben Schlag bereits empfangen! Gott wolle Dich stärken!«