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Das Glück reich zu sein

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Was aber dem Schornsteinfeger am meisten die Fassung benahm, war der Anblick seiner Frau, die sich scheinbar ganz kaltblütig gebahrte, aber doch einen festen durchdringenden Blick auf ihn heftete.

Baes Smet hatte sich vorgenommen, die Wahrheit dennoch zu gestehen; aber nunmehr, unter der Zaubermacht des durchbohrenden Blicks seiner Frau, sank ihm der Muth ganz und gar.

– »Nun antwortet mir,« sprach der Richter zu ihm: »woher habt ihr das Geld, das so urplötzlich in euren Besitz gekommen ist?«

– »Meine Frau . . . meine Frau hat es geerbt,« stammelte der Schornsteinfeger.

– »Von ihrer Tante in Holland, nicht wahr?«

– »Ich glaube . . . «

Frau Smet wurde blau vor der verbissenen Wuth, die sie bei dieser Antwort faßte. Sie suchte vergeblich, sich Gewalt anzuthun, um zu schweigen. Es war ihr unmöglich und mit heiserer Stimme fiel sie aus:

– »Schafskopf! Was schwatzest du da? . . . Meine Herren, es sieht bei ihm nicht ganz richtig aus im Kopfe; ein sechsjähriges Kind hat mehr Verstand als er. Es ist also verlorene Mühe einen so unschuldigen Tölpel ins Verhör zu nehmen.«

– »Gensdarm!« befahl der Richter, »nehmt die Frau beim Arm, und auf das geringste Wort oder Zeichen, führt sie hinaus!«

Frau Smet zitterte vor Zorn; aber doch wagte sie kein Sterbenswörtchen mehr . . . Wahrscheinlich ließ man sie mit wohlüberlegter Absicht im Zimmer bleiben, denn die Richter belauschten von der Seite jede Gemüthsbewegung, die sich auf ihren Gesichtszügen abspiegelte.

– »Ihr behauptet sonach,« begann der Richter wieder, »daß eure Frau das Geld von ihrer Tante in Holland geerbt habe?«

– »Ja . . . Nicht doch, von ihrem Vater selig,« lautete Smets schüchterne Antwort.

– »Ja und nein? Seid auf der Hut und spottet nicht mit der Justiz; es möchte euch gereuen. Sagt deutlich und ohne Umschweif, wie seid ihr zu dem Gelde gekommen?«

Smet antwortete nicht. Die Untersuchungsrichter hielten dieses Schweigen für berechnet, aber sie irrten sich. Der arme Mann war außer sich vor Angst und konnte kein Wort herausbringen.

– »Immerhin weiß man,« fuhr der Richter fort, »daß ihr bei den Nachbarn den Ursprung eures Geldes aufgeklärt habt, indem ihr aussprengtet, daß ihr es als Vorschuß auf eine erwartete Erbschaft empfangen hättet.«

– »Ach, lieber Herr,« seufzte Meister Smet, sich die Stirne reibend, »ich weiß es nicht, glaube aber, daß Sie Recht haben.«

Dem Richter spielte ein eigenthümliches Lächeln mitleidsvollen Scherzes um die Lippen.

– »Und die empfangene Summe belief sich gewiß ziemlich hoch? Doch wohl auf einige tausend Gulden?«

– »Nein, nein, auf ein paar hundert bloß.«

– »Keine Tausend?«

– »Gewiß weiß ich es freilich nicht.«

– »Sprecht die Wahrheit,« rief der Richter mit Nachdruck.

– »Wir wissen Alles. Eure Frau ist besser berathen als ihr. Sie versichert viele Tausende erhalten zu haben.«

Dem Schornsteinfeger schwindelte es aufs Neue im Kopfe.

– »Es ist möglich,« stotterte er; »denn ich weiß selbst nicht recht was ich sage. Ja, ja, in der That, es waren wohl einige Tausende . . . «

Der Richter hielt eine Weile inne, dann sagte er mit etwas sanfterem Tone:

– »Ihr seid nicht aufrichtig, Smet, und widersprecht euch bei jedem Wort. Ich will euch daher offen darlegen, wessen man euch beschuldigt; vielleicht mögt ihr dann begreifen, daß ihr bei der Verheimlichung der Wahrheit Nichts zu gewinnen habt. Es ist vor etwa zehn Tagen, an einem Freitag Nachts im Hause eines Wechslers dahier eine beträchtliche Summe an Gold und Silber gestohlen worden. Der Verdacht dieses Diebstahls hat sich auf euch geworfen und alle Umstände, selbst eure eigenen Aussagen zeugen gegen euch. Wollt ihr nun nicht sofort durch Gensdarmen ins Gefängniß abgeführt werden, so bekennt unumwunden die Quelle des Geldes, das die Leute in den Händen eurer Frau gesehen haben.«

Der Schornsteinfeger sah dem Richter wie betäubt in die Augen, worauf dieser ihn fragte:

– »Also ihr gesteht, daß ihr schuldig seid und den Diebstahl begangen habt?«

– »Nein, nein,« rief der verdutzte Mann, »gestohlen habe ich nicht! . . . «

– »Wie wollt ihr es dann erklären, daß ihr während derselben Nacht die Nachbarn durch den Hilferuf: Feuer, Feuer, aus ihrer Nachtruhe gestört habt? War es nicht, um sie glauben zu machen, daß ihr jene Nacht in eurem Hause zugebracht habet, und so allen Verdacht, jenen Einbruch beim Wechsler verübt zu haben, von euch abzuwälzen?«

– »Geträumt hatte ich,« seufzte der Schornsteinfeger mit kaum vernehmlicher Stimme, indem er ganz zerknirscht den Kopf auf die Brust hängen ließ.

– »Wir wissen genug,« sprach der Richter, indem er aufstand; »die Haussuchung wird uns weitere Beweise an die Hand geben.«

Auf seinen Befehl ergriffen die Gensdarmen Meister Smet und seine Frau beim Arme, und alle Anwesenden folgten dem Richter.

Bei der Haussuchung war das Ehepaar überall zugegen, wohin sich die Gerichtsdiener begaben; alles wurde zu unterst zu oberst geworfen und die kleinsten Winkel durchstöbert.

Frau Smet verlor die Fassung nicht und lächelte sogar zuweilen über die Fruchtlosigkeit der Nachforschungen. Sie schaute von Zeit zu Zeit ihrem Manne tief in die Augen und schien ihn zur Standhaftigkeit anzumahnen, dann aber auch wieder ihm mit feurigen Blicken zu drohen.

Auf dem Söller wurden die Dielen aufgerissen; denn die Pflaster, womit man die Ratzen-Löcher zugestopft hatte, kamen der Justiz verdächtig vor; aber es war rein vergebliche Mühe.

Welche Fragen der Richter auch über das Verschwinden des Geldes aufstellte, er konnte aus der Frau keine befriedigende Antwort herausbringen. Der Schornsteinfeger, der seiner Sinne kaum mächtig war, lehnte sich gegen die Wand und antwortete gar nicht mehr. Wie versteinert heftete er das Auge auf den Balken, in dessen Höhlung der Schatz versteckt lag.

Ärgerlich über die fruchtlosen Bemühungen, das Geld zu entdecken, das doch irgendwo sich befinden mußte, stellte der Richter die Haussuchung ein und stieg die Treppe hinunter.

Abermals wurden die beiden Gatten in die Hinterstube gebracht und dort legten auf ein gegebenes Zeichen die Gensdarmen ihre Stricke zurecht.

Sobald Meister Smet dieß bemerkte, schrie er laut auf und fiel halb ohnmächtig auf einen Stuhl.

Die Frau dagegen sah diese Zurichtungen mit verächtlichem Lächeln, als schiene sie darin nur eine verstellte Drohung zu erblicken.

– »Zum letzten mal!« sagte nun der Richter mit gehobenem Ton:

– »Ihr seht hier die Stricke, womit man euch die Hände auf den Rücken binden wird, denn macht euch gefaßt darauf, wie Verbrecher werdet ihr wischen Gensdarmen durch die Stadt ins Gefängniß geführt werden. Zum letzten male also bitte ich euch, zu eurem eigenen Besten bekennt die Wahrheit. Wie kamt ihr zu dem Gold?«

Der Schornsteinfeger war nur noch halb am Leben; der kalte Schweiß floß ihm die bleiche Stirn herunter und als hätte ihm der Schrecken die Sprache geraubt, er starrte bewußtlos zur Erde nieder.

– »Nun, wird’s bald? woher kommt das Geld?« wiederholte der Richter mit drohender Stimme.

In diesem Augenblick ertönte ein gellender Nothschrei aus dem Vorderzimmer herüber und ehe der Richter seine Frage endigen konnte, sprang ein Jüngling heulend ins Zimmer herein. Nach einem einzigen Blick, den er schnell wie der Blitz auf die versammelten Leute geworfen und als ob er die letzten Worte des Richters gehört hätte, fiel er vor Meister Smet auf die Knie und indem er flehentlich die Arme zu ihm aufhob, rief er mit jammervollem Tone:

– »Vater, um Gotteswillen sagt doch, woher das Geld kommt? Wie? ihr solltet wie ein gemeiner Gauner gestohlen haben? Gensdarmen! Stricke! Nein, nein, das ist nicht möglich: es ist das Alles nur ein Traum!«

Das todtenbleiche Gesicht des Jünglings, seine zu Berg stehenden Haare und die Gewalt seines bittenden Blickes rührten den Schornsteinfeger so tief, daß er in Thränen ausbrach und mit zitternder Stimme ausrief:

– »Ich hab’s verdient! Gott hat mich gestraft!«

– »Verdient, verdient!« schrie Pauw in der äußersten Verzweiflung.

Aber Baes Smet stand auf, wischte sich die Thränen aus den Augen, hob seinen Sohn von der Erde und drückte ihn mit fieberhafter Inbrunst an seine Brust, indem er freudigen Tones dazu sprach:

– »Nein, Kind, dein Vater hat gefehlt; aber noch ist er ein ehrlicher Mann; er wird jetzt alles heraussagen . . . «

Und sich zum Richter wendend, sprach er mit fester, entschlossener Stimme:

– »Herr Richter, ich will Ihnen den Schatz zeigen und dann sollen Sie endlich wissen, wie das Geld in unsere Hände gekommen ist.«

Frau Smet drohte mit der Faust und brüllte mit grimmigem Gesicht:

– »Ob du dich unterstehst, feiger Tropf!«

– »Gensdarmen, führt die Frau hinaus!« gebot der Richter.

– »Es bedarf dessen nicht,« sagte der Schornsteinfeger; »mein Entschluß ist gefaßt. Ich will Ihnen Alles aufklären, wie ich es gleich Anfangs hätte thun sollen. Ich habe nicht gestohlen, sondern ganz einfach einen Schatz gefunden.«

Bei diesen Worten fiel Pauw zur Erde und rief unter Thränen:

– »Gott, habe Dank für deine Barmherzigkeit!«

– »Seid ihr nun bereit, uns die letzte Aufklärung zu geben?« fragte der Richter.

– »Ja wohl,« war die Antwort; »aber ich habe vorerst eine Bitte an Sie. Wollen Sie mir dieselbe erfüllen?«

– »Wir werden sehen; wenn’s möglich ist.«

– »Sehen Sie, lieber Herr, dieses Geld ist der Grund des schweren Unglücks, das über mich gekommen; wie eine Pest hat es meinen häuslichen Frieden gestört. Haben Sie Mitleiden mit mir, erlösen Sie mich von der Plage und nehmen Sie es mit sich fort!«

Frau Smet begann nun laut zu schluchzen und zu jammern.

– »Nun so zeigt uns den Schatz!« befahl der Richter.

Der Schornsteinfeger führte die Diener des Gesetzes auf den Söller, wies ihnen, wie der große Querbalken in seinem untersten Theile ausgehöhlt sei, und sprach:

 

– »Da drinnen liegt das Geld. Vor zehn Tagen, es war an einem Freitag Abend, machten die Ratzen hier einen furchtbaren Lärm; da machte ich ihnen eine Jagd mit dem alten Säbel, der hinter meinem Bette steht. Zufällig schlug ich dabei auf den Balken, und da mir der hohle Klang, den er gab, etwas sonderbar vorkam, schlug ich ein zweites Mal zu, und da fiel mir ein viereckiges Brettchen und ein Sack voll Geld gerade vor die Füße. Sonst kann ich Ihnen Nichts sagen, meine Herren, als daß die Furcht vor den Dieben, so die Besorgniß, daß die Justiz uns dieses unerwartete Besitzthum streitig machen könnte, mich eine ganze Reihe unvernünftiger Handlungen begehen ließ. Hier haben Sie nun die einfältige nackte Wahrheit.«

Danach zog er das Brett vom Balken herunter und zeigte dem Richter die Höhlung.

Dieser bückte sich und zog den Geldsack daraus; ein ganzer Haufe Gold- und Silberstücke rollte über den Söllerboden hin, indem der vom Alter ganz mürbe gewordene Sack zum zweiten Mal gerissen hatte . . . Aber zu gleicher Zeit fiel auch etwas aus den Boden, das der Schornsteinfeger selbst noch nicht gesehen hatte, . . . nämlich ein verschlossenes Taschenbüchelchen mit schweinsledernem Umschlag.

In der Vermuthung, daß dieser Gegenstand die erhaltenen Aufklärungen bestätigen oder widerlegen könnte, beeilte sich der Richter ihn aufzuheben und durchblätterte das Buch mit ernstlicher Sorgfalt. Indem er sich zu Frau Smet wandte, fragte er sie:

– »Wie lautet der Name eures Vaters?«

– »Vandenberg, Peter Vandenberg,« antwortete jene noch immer schluchzend.

Ohne weitere Bemerkung riß der Richter den Sack noch mehr auf und raffte eine Anzahl Stücke daraus. Dann winkte er seinen Beamten, ging mit denselben in einen Winkel und sagte leise zu ihnen:

– »Dieser Mann sagt die Wahrheit und die Anklage fällt zunichte. Dieses Buch ist vom Vater der Frau geschrieben und enthält die Angabe der Summen, die er allmählig in den Balken niedergelegt hat. Zugleich steht darin geschrieben, daß er den Schatz seiner einzigen Tochter zum Erbe bestimme. uns ist es bekannt, daß dieser Vandenberg ein reicher Geizhals war, und da er plötzlich gestorben ist, hat er keine Zeit mehr gehabt, um das Vorhandensein es Geldes zu enthüllen. Uebrigens sehen Sie, es sind lauter alte Dukaten, französische Thaler und sogar brabantische Schillinge, und dergleichen Geldsorten sind beim Wechsler nicht gestohlen worden. Daraus folgt, daß wir hier nichts mehr zu verrichten haben.«

Die Uebrigen nickten beifällig zu, der Richter wandte sich zu Meister Smet und sprach:

– »Meister Smet, ihr habt euch ohne Grund viel Angst und Kummer bereitet. Das Geld war wirklich euer rechtmäßiges Besitzthum.«

– »Oh, nehmen Sie es nur mit sich fort!« bat Meister Smet.

– »Wie seid ihr doch so einfältig,« lächelte der Richter; »wir haben kein Recht dazu: denn hört, was im siebenhundert und sechzehnten Artikel des Bürgerlichen Gesetzbuches geschrieben steht: »Das Eigenthum eines Schatzes gehört demjenigen zu, der ihn auf seinem eigenen Erbe gefunden hat; ist der Schatz auf fremdem Erbe gefunden, so gehört die eine Hälfte dem Finder, die andre demjenigen, auf dessen Erbe er gefunden worden.« Dies Haus ist euer; folglich gehört der ganze Schatz euch zu eigen.«

– »So bleibt die Plage also doch in meinem Hause?« bemerkte verdrießlich der Schornsteinfeger.

Zur Baesin Smet, die mit freudiger Hast herzulief, sagte der Richter:

– »Frau, dieses Geld ist das Erbe eures Vaters; das Buch hier dürft ihr als sein Testament ansehen. Lebt nun wohl und sucht beide einen guten Gebrauch davon zu machen.«

Nachdem die Diener des Gesetzes den Söller verlassen, scharrte die Frau eiligst das Geld in ihren Schurz’ und lief damit hinunter, indem sie im Gehen ihrem Manne noch zuschnaubte:

– »Laffe, Schafskopf, ich werde dich schon kriegen.«

Als die Frau hinunter kam, warf sie das Geld in den Kasten, griff eine Handvoll Stücke daraus, und lief sofort, nachdem sie den Kasten geschlossen, auf die Straße, wo sie mit triumphierendem Hochmuth durch die versammelte Menge schritt, die ihr gaffend nach sah, bis sie aus der Gasse verschwunden war.

Fast außer sich vor Freude sprang Pauw hinüber zu Käthchen; – aber er begegnete dem Schuhmacher und seiner Tochter schon auf der Straße, gab ihnen die Hand und rief:

– »Komm, komm! Liebes Käthchen, es war alles nur Schein; Baes Dries, kommt mit: meinen Vater wird’s freuen, wenn ihr ihm Glück wünschet . . . «

Die harrende Menge kannte bereits den Ausgang der Haussuchung.

– »Pauw, Pauw; proficicat, Herr Pauw!« riefen die jungen Mädchen unter fröhlichem Händegeklatsch und mit aufrichtiger Theilnahme.

– »Sagt doch lieber Pauwken-Frohmuth, wie vormals!« bat der Jüngling, indem er mit dem Schuhmacher und dessen Tochter nach seinem Hause zuschritt.

– »Es lebe Pauwken-Frohmuth!« schallte es durch die Straße.

Kaum war Meister Smet den Schuhmacher ansichtig geworden, schossen ihm die Thränen aus den Augen, er sprang seinem alten Freund um den Hals und sagte mit gerührter Stimme:

– »Seht, Dries, ich feiere heute den glücklichsten Tag meines Lebens; kaum weiß ich mich auf den Beinen zu halten vor Freude. Denn was ich um das vermaledeite Geld habe ausstehen müssen, das vermag keine Feder zu schreiben!«

– »Nun, es ist doch Alles wohl vorüber?« fragte der Schuhmacher.

– »O freilich; wir hatten ja das Geld ganz einfach in unserem Hause gefunden; es war meiner Frau väterliches Erbe.«

– »Gott sei gepriesen, Jan. Ich habe um euch gezittert, als wäret ihr mein eigener Bruder.«

– »Nun, Dries, sind wir denn nicht zwei treue Freunde, und Freundschaft giebt Brüderschaft. Aber hört, wir müssen jetzt vor Allem darauf denken, unsere Kinder zu trauen.«

– »Aber ihr seid reich, und eure Frau? . . . « bemerkte zurückhaltend der Schuhmacher.

– »Was reich?« erwiderte fröhlich Baes Smet. »Ich bin Hans-Spaß, euer alter Freund. Diese Leier von Mynheer und Mevrouw ist ausgesungen. Nun ich nicht mehr eine Hand umdrehe für des Lumpengeld, will ich zeigen, daß ich der Herr im Hause bin.«

– »Je nun, mehr verlange ich nicht, als mein Kind glücklich zu wissen,« antwortete sein Freund. »An Geld ist mir auch nicht gelegen; aber es sind jetzt schon so viele Jahre her, daß sie sich ehrbar und tugendsam lieben; mein armes Käthchen, ich glaube wahrlich, daß es um sie gethan wäre, wenn . . . «

– »Haltet ein mit euren düsteren Ideen!« fiel ihm der Schornsteinfeger in die Rede. »Ans Werk laßt uns vielmehr schreiten; die Papiere in Ordnung gebracht, die Verlesung in der Kirche besorgt – und nach sieben Wochen die Hochzeit! Und was diese betrifft, so sollen die Leute sie nicht bald aus dem Gedächtnisse verlieren, Dries! Da soll wenigstens das Geld zu etwas dienen! Alle Nachbarn werden dazu eingeladen; – und wir fahren fünf oder sechs Kutschen hoch nach Dikke-Mê oder nach Jan-Stek.15 Musik wird mitgenommen, gewalzt, gesprungen, gejodelt . . . Das wird ein Leben, geben!«

Smet konnte vor der Gewalt seiner freudigen Gefühle nicht weiter reden; seine Stimme stockte.

– »Wie wird euch, Jan?« fragte der Schuhmacher verwundert.

– »Es ist nichts, Freund,« stammelte Smet; »die Freude schießt mir in die Kehle. Es läuft mir das Herz über. Hab’ auch in den letzten Tagen gar so viel auszustehen gehabt; und es ist mir, als wäre ich dem Rachen der Hölle entkommen! . . . «

– »Nun aber, um wieder auf Ernstes zurückzukommen,es bleibt ausgemacht, unsere Kinder heirathen sobald als thunlich und wir betreiben die Sache ohne einen Tag Aufschub.«

– »Das ist freilich etwas schnell.«

– »Gute Dinge sind nie zu schnell betrieben. Uebrigens könnte uns das verfluchte Geld noch einen Strich durch die Rechnung machen . . . Aber, Dries, eines muß ich noch bitten. Ihr seid ein bisschen kurz und barsch in eurem Wesen, und meine Frau, wie ihr wißt, etwas geneigt, ihrer Zunge freien auf zu lassen; das paßt nicht zusammen. Sie ist gar übel auf euch zu rechen, denn sie glaubt, ihr seid schuld, daß die Justiz gekommen ist. – Ihr macht schon jetzt ein saures Gesicht . . . So bitte ich euch, seid einmal gescheit und vernünftig und gebt ein bisschen nach. Meine Frau wird euch grob anfahren, aber laßt sie nur plappern. Ueber unsere Kinder bleiben wir doch Meister, und da wir nun unwiderruflich beschlossen haben: daß sie sich heiathen sollen, wer soll sie daran hindern können?«

– »Das ist wahr.«

– »Wollt ihr also wirklich einige rauhe Worte und saure Gesichter durch die Finger sehen?«

– »Ich will thun, als ob ich blind wäre.«

– »So laß ich mir’s gefallen-, das heißt weise gesprochen. Die Hand darauf, Dries; ein Mann, ein Wort!«

Dann kehrte sich Smet zu Pauw und Käthchen, welche Hand in Hand am Fenster standen und wohl Alles gehört hatten, denn ihr Gesicht strahlte vor Seelenfreude, trotz einiger Thränen, die hie und da von ihren Wangen herabrollten.

– »Komm, Käthchen,« rief Meister Smet, »flieg mir an den Hals. Noch sieben Wochen, und ich bin dein Vater!«

Das Mädchen gehorchte. Pauw seinerseits umarmte den Schuhmacher und alle vier schwelgten im Genusse überschwänglicher Freundschaft.

– »He, he, was geschieht hier in meinem Hause?« ertönte es plötzlich durch das Zimmer.

Unangenehm von dieser kreischenden Stimme überrascht, machten sich die Umschlungenen schnell von einander los und blickten nach der Thür, wo sie alsbald Baesin Smet, den Kopf trotzig in die Höhe gerichtet und Verachtung im Gesichte, gewahr wurden.

– »Nun, das wird von Tag zu Tag schöner!« rief sie. »Kaum habe ich den Rücken gekehrt, so sitzt mein Haus voller Schuhflicker.«

Nachbar Dries wurde bleich vor Zorn.

– »Ja, ja, ärgert euch so viel ihr wollt,« fuhr sie spottend weiter; »ich kümmere mich keinen Pfifferling darum. Hier bin ich Meister.«

– »Aber, Baesin Smet . . . « stammelte der Schuhmacher.

– »Baesin, Baesin? Ich bin keine Baesin,« brüllte sie ihm entgegen; »per Madame sollt ihr mich anreden.«

Pauw schaute ängstlich nach seinem Vater, den er vor Gram und Zorn fast erzittern sah.

Frau Smet wies mit dem Finger nach der Thüre und sprach befehlend zum Schuhmacher:

– »Marsch, zum Loch hinaus mit eurem schmucken Jüngferlein. Und daß mir noch einmal solcher Pöbel über die Schwelle kommt! Es ist Zeit, daß wir eine Wohnung auf dem Skt. Jakobsmarkte beziehen.«

Der Schuhmacher nahm seine Tochter bei der Hand und lief murmelnd zum Hause hinaus.

Dann brach aber auch das Gewitter in der aufgewühlten Seele des Schornsteinfegers los. Unter unverständlichen Scheltworten wollte er auf seine Frau losfahren, aber Pauw hatte sich ins Mittel gelegt und hielt ihn kräftig zurück.

– »Laß mich los, laß mich los,« brüllte er, »daß ich ihren hoffärtigen Kopf vom Leibe reiße!«

Pauw bat, flehte, weinte und rang so hartnäckig, daß sein Vater Zeit fand, sich zu besänftigen. Nach langem Schimpfen und Drohen sagte er, wie besiegt:

– »Komm, Pauw, wir wollen hinauf; sonst trifft mich hier noch der Schlag.«

Und in der That, dem Streit ein Ende zu machen, begab sich der Schornsteinfeger in seine Schlafkammer.

Den ganzen Tag über bis zum späten Abend herrschte Bitterkeit und Verdruß im Hause. Die Frau wollte von Käthchen kein Wort mehr hören und stieß allerlei Schmähreden gegen das unschuldige Mädchen und ihren Vater aus.

Denn das Madame spielen steckte ihr jetzt noch fester im Kopfe als je zuvor; sogar des Spezereihändlers Leokadie war ihr schon viel zu gemein geworden, um in ihrer Familie zugelassen zu werden.

Pauw hatte manche Thräne vergossen und sich früh nach seiner Kammer begeben, um in der Einsamkeit über sein unglückliches Schicksal zu trauern.

Endlich schlich sich auch der Schornsteinfeger nach der seinigen, indem er mit verbissenem Ärger vor sich hin murmelte:

– »Die Pest ist noch immer in meinem Hause, das sehe ich wohl! Ich wollte, das Geld sänke durch den Erdboden in die tiefste Hölle zu allen Teufeln, woher es gekommen ist!«

15Zwei von der Bürgerschaft Antwerpens an Sonntagen viel besuchte Vergnügungsorte.