Free

Das Glück reich zu sein

Text
iOSAndroidWindows Phone
Where should the link to the app be sent?
Do not close this window until you have entered the code on your mobile device
RetryLink sent

At the request of the copyright holder, this book is not available to be downloaded as a file.

However, you can read it in our mobile apps (even offline) and online on the LitRes website

Mark as finished
Font:Smaller АаLarger Aa

– »Es ist wohl etwas Wahres an dem, was du sagst,« sagte der Vater; »aber immerhin ist reich sein ein großer und nicht zu verachtender Vortheil.«

– »Schöner Vortheil!« spottete Pauw. »Seitdem von diesem verwünschten Erbtheil die Rede ist, hab’ ich noch nichts anderes gehört als knurren und lagen und bald fürchte ich werden uns die Leute umtaufen, und dich Jan-Sorge und mich Pauwken-Aergerlich heißen.«

– »Daran ist allein deine Mutter schuld; ihre Verschwendungssucht ist es, die mich peinigt. Denke dir, Pauw, da ist sie eben wieder fortgelaufen, um ein Dienstmädchen zu suchen . . . und zwar will sie von keiner andern etwas hören, als von einer, die schon bei einer Dame von Stande gedient hat! Zwar habe ich mich streng dagegen verwahrt, aber wer weiß, ob sie ihren Kopf hoch nicht durchsetzt. Fremde Menschen in meinem Haus? Da schlafe ich ganz gewiß mein Lebenlang nicht mehr!«

– »Aber, sagt mir doch, Vater, warum seid ihr denn auf einmal so furchtsam geworden. Wenn wir bereits das Erbe gefaßt hätten und hier ein großer Haufen Gold läge, dann ließe sich’s noch erklären, aber so . . . ?«

Die Erscheinung einer Person, die eben die Hausthüre öffnete, verhinderte Pauw’s weitere Rede.

Es war ein junger Herrschaftsbedienter mit goldener Tresse am Hute und einem altmodischen Livreefrack, der ihm schwer wie ein Sack am Leibe hing und dessen Schöße bis an die Knöchel herabreichten. Rothes Haar und ein aufgedunsenes Gesicht ließen überdem bei dem Kerl noch auf eine hübsche Portion Dummheit schließen.

Beim Eintreten stierte er verdutzt im Zimmer herum und murmelte ziemlich laut vor sich hin:

– »Die Stadtleute, die wissen aber auch nichts anderes als einen zu foppen! Ich bin hier nicht recht, wie ich sehe; doch ich will immer fragen . . . «

– »Nun, was wollt ihr?« rief Pauw.

– »Ich sehe, junger Herr,« antwortete der Bediente, »daß ich . . . (hier sah er sich nochmals um) nicht am rechten Orte bin. Die Mädchen unten auf der Straße haben mich verkehrt gewiesen. Ich wollte zu der Kaminfegersfrau gehen, die auf einmal so viele Tönnchen Gold und Schiffe zur See geerbt hat.«

– »So? dann seid ihr doch da, wo ihr sein wolltet,« bemerkte Pauw.

– »Hier, in diesem Haus . . . eine reiche Frau?« stotterte jener, »das ist nicht möglich.«

– »Wenn ihr’s nicht glauben wollt, so macht, daß ihr fort kommt und laßt uns in Frieden.«

Der Schornsteinfeger schüttelte bekümmert den Kopf, sprach aber kein Wort; mit bitterem verächtlichen Lächeln schaute er starr auf den Tisch hin.

– »Wenn es wirklich hier ist,« sprach der verkleidete Bauernbursche zu Pauw, »so will ich eben vorbringen, weßhalb ich gekommen. Ihr müßt wissen, ich wohne bei der Frau van Steen. Die hat mich von der Kuh weggeholt, indem sie mir sagte, daß ich ein Herrenleben haben würde; aber Sie können ich keinen Begriff davon machen, wie diese Frau mich behandelt hat. Nichts als Ohrfeigen oder Rippenstöße! Von jenem Augenblicke, wo ich das Unglück habt habe, ihrem dürren Hunde den Schwanz zwischen die Thüre zu kommen und die Fenster-Vorhänge in Brand zu stecken, darf ich ihr nicht wie er unter die Augen kommen. Kaum habe ich mich gerührt, so regnet es Schimpfwörter, als Esel, Schafskopf, Bauernvieh, Lümmel und noch andere solche Ausdrücke, wie sie die reichen Leute in Hülle und Fülle besitzen. Es ist mir nun gesagt worden, daß hier die Frau vom Hause nach einem Bedienten such hinten auf der Kutsche zu stehen und ihr den Muff und das Meßbuch nachzutragen, und so komm’ ich mich anzubieten. Ueberdieß verstehe ich mich auf Alles; auch weiß ich mit Pferden umzugehen. – Ihr seid wahrscheinlich der Stallknecht, und der dort der Kutscher der gnädigen Frau. So bitte Euch euch recht schön, daß ihr beide ein gutes Wort bei ihr für mich einlegt; wir werden uns einander schon vertragen und ein gutes Leben zusammen führen . . . «

Pauw schaute seinen Vater an, von dem Vorfalle nicht wenig belustigt; dieser aber gerieth in Zorn, fuhr auf den Bedienten los und schüttelte ihn beim Kragen, mit den Worten:

– »Mach, daß du hinauskommst, Spitzbube; sonst schmeiß’ ich dich mitten in die Straße!«

Als der Bursche aus des Alten Gebärde schließen mußte, es dürfte mit der Ausführung dieser Drohung nicht lange anstehen, drückte er sich ungesäumt fort, indem er noch nachrief:

– »Beißt doch nicht so; hab’ ja nichts gethan! Die Herren von der Stadt sind, scheint’s, Alle von einem Mühlenflügel getroffen worden!«

Kurz nach seinem Weggang that sich die Hausthüre wieder auf. Es war Frau Smet, die mit drohendem Blicke ihre Augen auf Vater und Sohn heftete.

– »Pauw,« murrte, bleich vor Zorn, der Schornsteinfeger zu seinem Sohne, »ich gehe hinauf; denn ich sehe schon, es könnte hier einen unangenehmen Auftritt geben und an meiner Frau will ich mich doch nicht vergreifen.«

Hiermit stieg er ins obere Stockwerk.

– »Was geht hier schon wieder vor?« fragte die Frau mit gebieterischem Tone.

– »Nichts, Mutter,« antwortete Pauw. »Es ist nämlich vorhin ein Bauernlümmel hergekommen, um als Bediente bei uns einzutreten, und dem haben wir etwas ernstlich die Thüre gewiesen. Denn wenn ihr durchaus einen Lakaien dingen wollt, werdet ihr doch hoffentlich einen nehmen, der etwas vorstellt?«

– »Und das war Alles?« fragte die Frau weiter. »Nach deines Vaters Gesicht zu urtheilen, glaubte ich, es müßten hier schreckliche Dinge vorgefallen sein.«

Pauw griff ihr die Hand und fragte bittend:

– »Mutter, wollt ihr mir einen Gefallen erweisen, ehe ihr den Mantel ablegt?«

– »Gewiß, was es auch sei.«

– »Nun, Mutter, ich bin vorhin bei Käthchen gewesen, und wenn ihr’s gesehen hättet, ihr würdet Thränen vergossen haben. Das arme Schaf war Sterbensbetrübt und untröstlich. Sie läßt euch bitten, zu ihr zu kommen, um ihr zu beweisen, daß ihr nicht böse auf sie seid . . . und ich, der ich euer gutes Herz kenne, Mutter, habe ihr versprochen, daß ihr’s thun würdet. Also kommt, Mutter; gehen wir, das gute Mädchen zu trösten.«

– »Du, Schmeichelkatze!« lachte die Mutter, »wie sollte ich dir etwas verweigern können!«

Auf der Stiege rief Pauw nach oben:

– »Vater, ich gehe mit der Mutter hier neben zum Schuhmacher; wir sind sogleich wieder zurück!«

Und fröhlichen Sinnes zog er seine Mutter zum Hause hinaus.

V

Als Ob der gefundene Schatz nichts als ein neidischer Teufel gewesen, der in dieser Gestalt den Schornsteinfeger zu quälen sich vorgenommen, – das einst so fröhliche Häuschen wurde auf einmal in eine Hölle von Verdruß und Zänkerei umgewandelt.

Madame13 Smet – denn so ließ sie sich fortan von den Nachbarn anreden – hatte nach einigen Tagen ihre neuen Kleider und ihren ersehnten seidenen Hut empfangen. Von Kopf bis zu Fuß war sie in Sammt und Atlas gehüllt, goldnes Geschmeide funkelte ihr an Ohren, Hals, Brust und beiden Händen.

Also aufgeputzt und zugestutzt schritt sie majestätisch vornehm über die Straße und kehrte sich nicht im Geringsten daran, wenn sie sah, wie Jedermann, wenn sie vorüberging, verwundert oder spottend stehen blieb oder mit den Fingern nach ihr deutete.

Ja, diese allgemeine Aufmerksamkeit that ihr gar wohl und schmeichelte ihrem Hochmuth; sie glaubte die Leute zu hören, wie sie sich zuflüsterten: da kommt die Frau des Kaminfegers, die auf einmal so reich geworden ist. Und diese Bemerkung schien ihr durchaus nichts Tadelndes zu enthalten, denn sie bildete sich dabei ein, daß die Vorübergehenden auch ihren würdevollen Gang und ihre stattliche Haltung bewunderten. Dann las sie in den Augen derselben die Worte: Seht da Madame Smet: wie gravitätisch! welcher Anstand! Man erkennt es doch gleich an ihrem ganzen Wesen, daß sie von guter Familie abstammen muß!

Und in der That, wäre die Geschichte von ihrem Erbe nicht in der ganzen Stadt ruchtbar geworden, man würde zwischen ihr und einer Dame von Stande kaum einen Unterschied wahrgenommen haben – es sei denn, daß die reich gewordene Schornsteinfegerin durch Kleider und Geschmeide den Figuren eines Modejournals ziemlich gleich kam, den Kopf steif hielt oder ihn langsam und bedächtig nach allen Seiten drehte, als ruhte er auf einer Spindel; daß sie große Plattfüße wie ein Mann sehen ließ, daß sie roth im Gesicht war und jeder sich die Frage zu stellen schien: Nun, was denkt ihr davon! Sagt noch, daß Madame Smet nicht von guter Familie herkommt!

Am allermeisten traf man sie in der Gegend der Meirburg und des Eiermarktes, wo die prächtigsten Auslagen von Modewaaren sie herbeilockten. Dort kaufte sie verschiedene kleine Gegenstände, und plauderte dabei stundenlang mit der Frau vom Hause und den Ladenjungfern über ihre holländische Tante und ihre Pläne hinsichtlich ihrer künftigen Hauseinrichtung, die sie trotz einem Edelmanne vornehmen wolle.

Täglich und bei Jedermann holte sie Rath und Erkundigung ein über Hausjungfern, Köchinnen, Kutscher, Stallknechte und Bedienten, über die Farben, die sie bei ihren Pferdekäufen besonders berücksichtigen müsse, und äußerte wohl auch mitunter, daß es ihr doch auf dem Meirplatz ungesund zu wohnen scheine, weil eine Kloake unter demselben hinlaufe. Darum habe sie Lust lieber aus dem Skt. Jakobsmarkt ein Haus mit einer Einfahrt zu beziehen und wenn es ihr die Besitzer nicht käuflich ablassen wollten, würde sie es eben, bis sie etwas Besseres finde, in Miethe nehmen.

Wenn sie sich durch solches Hin- und Herlaufen, durch solch einfältiges Dickthun in der ganzen Stadt zum Besten gegeben, kehrte sie nach Hause; dabei richtete sie es immer so ein, daß sie nie zweimal hintereinander von derselben Seite in ihre Straße gelangte. Auf diese Weise konnten sie alle Nachbarn beschauen und bewundern.

 

Auf jeden ihrer Bekannten warf sie ein gefälliges Lächeln des Wohlwollens, nannte hie und da eine Frau bei Namen, versicherte sie alle ihres Schutzes und ihrer Geneigtheit, und das that sie mit so vieler Würde, daß die Leute, betten diese Gewogenheit gelten sollte, sich die Galle überfließen fühlten vor der hochmüthigen Standesschwester.

Der Schornsteinfeger indessen war der unglücklichste Mann von der Welt. Wohl wußte er, daß der gefundene Schatz nicht unerschöpflich sei, und knurrte von früh bis in die Nacht von der Vergeudungssucht seiner Frau. Diese speiste ihn dafür mit den lieblichsten Scheltwörtern ab: Geizhals, Knicker, Haarspalter und ließ dazu immer die bissige Bemerkung fallen, daß er recht deutlich zu verstehen gebe, von welch geringer Herkunft er sei.

Das Geld sei ja ihr Geld und nicht seines, fügte sie hinzu, und sie könne damit anfangen, was ihr beliebe. Es komme ihr nicht in den Sinn, künftighin zu leben, wie einer der auf einen Gulden zu achten braucht, und wenn es ihm Vergnügen mache, einen Pfennig in vier Stücke zu zerbeißen und sich vor Geiz abzuzehren, so wolle sie ihrerseits zeigen, daß sie sich darauf verstehe, das Geld zu verwenden.

Dann brauste Meister Smet natürlich auf und wollte mit Gewalt den Schlüssel heraus haben; aber Madame, die Würde ihres Standes plötzlich vergessend, stemmte die beiden Arme gegen die Hüften und überschüttete ihren armen Mann mit einer solchen Fluth von Schmähworten und Drohungen, daß dieser mit Thränen im Auge murrend die Treppe hinauf kroch.

Zuweilen ging es noch ärger zu; und einmal sogar kam es bis zu Thätlichkeiten. Der Mann nämlich hatte, der langen Herausforderungen müde, endlich die Faust etwas unsanft auf die Frau seiner hochmüthigen Ehehälfte gesetzt, welche ihrerseits in Wuth darüber auffuhr und nach Katzenart ihrem Mann tüchtig die Backen zerkratzte. —

Dabei war es zwar geblieben; aber die beiden Eheleute besaßen darüber eine solche gegenseitige Abneigung, daß jede Versöhnung unmöglich schien. Ganze Tage vergingen, ohne daß sie ein Wort zusammen sprachen, und wenn es je zu einem vorübergehenden Zwiegespräch zwischen ihnen kam, so war es nur um sich zu zanken und anzuschnauzen.

Baesin Smet bestand darauf, das große Haus auf dem Skt. Jakobsmarkt zu miethen; ihr Mann beteuerte kräftiglich, daß er nicht auszuziehen gesonnen sei. Aus diesem Zwiespalt entspannen sich heftige und endlose Wortwechsel und schon hatte die Frau mit Advokaten gedroht, die die Sache dem Gerichtshof zur Entscheidung überantworten sollten.

Pauw, dem fröhlichen Jungen, war der Muth gänzlich geschwunden. Das beständige Gezänke seiner Eltern that ihm tief in der Seele weh; denn bei all seinem spaßigen, losen Wesen, hatte er doch ein gar empfindsames, liebendes Herz.

Der alte Mutterwitz sing an zu versiegen, und wenn er auch hie und da etwas Artiges zu sagen versuchte, so lag immer etwas Bitteres und Trauriges im Tone seiner Stimme.

Wenn er mit seinem Vater allein war, bot er Alles auf ihn zu trösten und seine Betrübniß zu mildern; – war er hingegen mit der Mutter, so suchte er ihr durch süße Worte begreiflich zu machen, daß sein Vater vielleicht etwas allzu empfindlich und aufbrausend sei, daß aber sein sorglich sparsames Wesen wenigstens wohl entschuldigt zu werden verdiente.

Des guten Jünglings Mühe jedoch blieb fruchtlos. Sobald die Eltern wieder beisammen waren, standen sich alsbald der Geiz des einen und die Vergeudung des andern aufs Neue gegenüber und das Keifen begann lauter als zuvor.

Aber es floß für ihn noch eine andere Quelle der Angst und des Verdrusses. Zwar hatte seine Mutter den Gedanken ihn von Käthchen abzubringen aufgegeben, aber dafür nicht ermangeln lassen, bei jeder Gelegenheit das arme Kind zu erniedrigen und dem Selbstgefühl des Schuhmachers tiefe Wunden zu schlagen.

War Käthchen bei ihr, so wollte sie ihr weisen, wie man stehen und gehen, wie man sprechen und grüßen, wie matt den Kopf halten und wie man mit dem Fuß auftreten müsse. Folgsam und gutwillig gab sich die Jungfrau, die in ihrer Liebe reichlichen Ersatz dafür fand, gerne zum Spielzeuge für die verrückten Einfälle ihrer künftigen Mutter her; ja sie schien es sogar mit Dank hin zu nehmen, wenn Baesin Smet es sie fühlen ließ, welche Gnade man ihr erweise, indem man sie in eine so gute Familie auszunehmen Willens sei.

Beim Spezereihändler und in der ganzen Nachbarschaft prahlte Frau Smet mit ihrer Großmuth und stellte als hauptsächlichsten Beweis dafür hin ihre Einwilligung in die Verbindung ihres Sohnes mit der Tochter . . . eines Schuhmachers, die sie aus lauterer Seelengüte nicht habe verweigern wollen. Selbst Käthchens Vater hatte sie schon ins Gesicht gesagt, daß es eine große Ehre für ihn sei, Glied einer so achtbaren Familie zu werden.

Diese demüthigenden Aeußerungen der Frau Smet verdrossen den Schuhmacher immer mehr und dieser verhehlte seinen Unmuth nicht vor Pauw, dem er seine Bedenken über die Heirath unverblümt ausdrückte, indem er dabei erklärte, daß er selbst sich ihr entgegensetzen würde, wenn Frau Smet so fortführe, seine Tochter als eine zu Gnaden gekommene Bettlerin zu behandeln.

Obgleich ein schlichter Handwerksmann, hatte auch der Schuhmacher seinen Stolz und nur den besänftigenden Reden und den Bitten Pauw’s und seines Vaters verdankte es der erstere, daß ihm nicht längst schon der Zutritt in das Haus seiner Geliebten verboten worden. Wohl ließ sich Baes Dries erweichen und schob diesen Entschluß immer noch auf, aber die Bitterkeit seines Herzens nahm nicht ab und er sah den guten Pauw mit keinen freundlichen Augen mehr an.

Diese schlimmen Verhältnisse flößten den beiden jungen Leuten natürlich gar ernste Besorgniß ein – oftmals befeuchteten Thränen ihre Wangen, wenn sie traulich beisammen saßen.

Acht Tage waren schon seit der Findung des Schatzes verstrichen, und der Schornsteinfeger war noch nicht aus dem Hause gekommen, mit Ausnahme des Sonntags, wo er zur Kirche gegangen war.

Jetzt war es Montag und der Abend eben hereingebrochen.

Abermals war es wieder zum Wortwechsel gekommen . . . mit dem . Unterschiede jedoch, daß dießmal eine Versöhnung daraus erfolgte.

Diese günstigere Stimmung benutzte Frau Smet, um ihrem Manne begreiflich zu machen, daß dieses beständige Zuhausesitzen seiner Gesundheit und seinem Geiste nachtheilig sei und es viel besser für ihn wäre, wieder unter die Leute zu kommen.

Pauw versprach seinem Vater, der ihn darum gebeten, das Haus während seiner Abwesenheit nicht verlassen zu wollen, und so ließ sich Meister Smet bereden auszugehen, um einen Krug Bier mit seinen Freunden zu trinken.

Seine Frau hatte sich viel Mühe gegeben, um ihn zu veranlassen, nicht in eine Schenke, sondern in ein Kaffeehaus aus dem grünen Platze oder auf dem Meir zu gehen und Wein statt des Biers zu trinken. Doch da sie gerade guter Laune war, gab sie am Ende zu, daß er seiner früheren Gewohnheit gemäß vor die Stadt nach dem Damm einen Spaziergang machte.

Als der Kaminfegermeister auf dem Damme wieder unter seine alten Freunde trat, verging eine gute Weile unter Beglückwünschungen aller Art; doch sobald man sich um den Tisch gesetzt, um ein Kartenspiel zu thun, hörten die Bemerkungen von selber auf und Meister Smet fand sich wieder im Kreise seiner Freunde so behaglich und gemüthlich als vor dem Besitze seines Schatzes. Wie süß klang ihm die Stimme der Freunde! Was lag doch für Wohlwollen und Herzlichkeit in allen ihren Worten! Wie schmeckte ihm das gesellige Gerstenbier so angenehm und erwärmend! Wie köstlich schmauchte sich’s und wie lieblich kräuselten sich über dem Tische die Rauchwolken seiner Pfeife! . . .

Baes Smet fühlte sich wie in einer fremden Welt und er vergaß aus einige Stunden seinen Schatz; aber freilich auch seine Frau. – Er fand wieder einige seiner sprudelndsten Witze und entlockte gar oft den Genossen ein fröhliches Lachen.

Zehn Uhr schlug es aus der Uhr und der Schornsteinfeger, verwundert über den schnellen Verlauf der Zeit, schickte sich an, den Rückweg nach Hause anzutreten. Da suchte man ihn zurückzuhalten. Es war nämlich in einer andern Schenke zwischen zwei Drechslern ein Wettkampf im Gange begriffen, wer von ihnen die meisten hartgesottenen Eier essen würde und diesen Ausschlag wollte man noch abwarten.

Baes Smet, der seine Stunde schon weit überschritten hatte, drückte jedoch seinen Freunden die Hand, indem er ihnen versprach, daß er wie zuvor mehr als einmal in der Woche ihnen Gesellschaft halten werde.

Um vom Damm nach dem Borgerhout’scheu Thore zu kommen, braucht man wohl eine halbe Stunde und der Weg dahin ist sehr einsam.

Es war stockfinstre Nacht; doch aus langer Gewohnheit lief der Kaminfeger sicheren Schrittes dahin.

Es war ihm so wohl zu Muthe, die Freunde gesehen zu haben; das Herz klopfte ihm leichter und es umspielte ihm ein süßes Lächeln die Lippen, als er so dahinwandelnd überdachte, wie manchen genußreichen Abend er in diesem Frühjahre noch mit seinen Freunden verleben würde. Jetzt befand er sich auf den Wällen, ziemlich weit von jedem Wohnhause, und schritt arglos unter den hohen Bäumen fort.

Auf einmal entfährt ihm ein erstickter Angstschrei. – Ein Kerl springt hinter einem Baume hervor und hält dem zitternden Kaminfeger einen Dolch vor die Brust.

– »Schrei oder rufe und du bist des Todes!« brüllt ihm der Mörder entgegen.

– »Was, was wollt ihr von mir?« stammelte der Mann halb todt vor Schrecken.

– »Euer Geld oder euer Leben!« drohte jener.

– »Da habt ihr alles, was ich habe: ein Fünffrankenstück und einige Centen . . . «

– »Ihr lügt; denn ihr habt geerbt; Gold will ich haben oder ich stoße zu,« ruft der Dieb, indem er dabei einen Pfiff that, als ob er seinen Spießgesellen ein Zeichen geben wollte.

Aus der Tiefe der Wallgräben sprangen wirklich noch zwei Kerle herauf; der eine stopfte dem Kaminfeger ein Schnupftuch in den Mund; der zweite streckte ihn nieder auf das Gras.

Man störte in allen seinen Taschen, nahm ihm seine silberne Uhr, zerriß ihm den Rock und drückte ihn gewaltig mit Knieen und Füßen.

Der arme Mann konnte keinen Schrei thun und fühlte sich ersticken, während er um sich herum die schauderhaften Worte vernehmen mußte:

– »Mordet ihn, den Schelm! Er hat uns bestohlen, der Dieb!«

Sei es das Geräusch herannahender Menschen, oder die Ueberzeugung, daß aus ihrem Opfer nichts weiter zu ziehen sei, schlugen die Gauner den Schornsteinfeger einige Male recht derb mit den Fäusten, stampften ihm tüchtig auf die Lenden und warfen ihn sodann in den Stadtgraben, worauf sie eiligst in der Dunkelheit verschwanden.

Baes Smet blieb eine Weile halb ohnmächtig da liegen. Doch da er nicht gefährlich verwundet war, kam er bald wieder zur Besinnung, richtete sich auf und lief über Hals und Kopf nach dem Thore zu.

Er dachte in einem der ersten Häuser Hilfe anzurufen, damit den Dieben nachgesetzt würde; er sah jedoch bald die Nutzlosigkeit dieses Versuches wohl ein, und wurde noch von der Besorgniß davon abgehalten, daß in Folge dessen die ganze Stadt und besonders der Polizeikommissär, sich mit der Geschichte abgeben würde.

Als echter Geizhals, der er nun geworden war, verschlang er lieber in sich selber den bitteren Unfall, der ihm eben zugestoßen, als daß er die Aufmerksamkeit des Publikums und vielleicht noch gar den Verdacht der Polizei auf seinen Schatz gezogen hätte.

So schritt er denn klopfenden Herzens und in der höchsten Aufregung durch das Stadtthor, um nach seiner Wohnung zu kommen. Dann vertiefte er sich in bittere Betrachtungen über die Vortheile des Reichthums und verfluchte mehr als einmal den Schatz, der ihm so viel Ungemach, so viel Streit und Verdruß, so viel Leid und Gefahr auf den Hals geladen hatte. – Er sehnte sich lebhaft nach seinem früheren Leben, seiner Armuth und seiner Heiterkeit zurück, und hie und da tauchte die Frage in ihm auf, ob es nicht geradezu besser für ihn wäre, den Schatz unter die Nothleidenden der Nachbarschaft zu vertheilen. Aber alle derlei Gedanken mußten schnell zurückweichen vor der Gewalt des Geldteufels, der sich seiner bemächtigt hatte, und sein herumgezauster Geist klammerte sich immer wieder mit feuriger Gier an das Geld.

Also getheilt zwischen Verzweiflung, Geiz und Schrecken erreichte er seine Wohnung, wo er sich alsbald mit einem tiefen Seufzer auf einen Stuhl fallen ließ.

Seine Frau und sein Sohn pflegten ihn auf das Sorgfältigste und horchten tiefgerührt auf die Erzählung dessen, was er eben erlebt hatte.

 

Diese Nacht konnte Meister Smet abermals kein Auge zuthun. Sobald der Schlummer ihn beschlich, weckten ihn Schreckbilder von Dieben und Mördern wieder auf; dazu fühlte er noch die körperlichen Schmerzen der Hiebe, welche er bei dem nächtlichen Anfall an Haupt und Schultern erhalten hatte.

13Der vlämische Gegensatz zwischen den Wörtern Baesin und Mevrouw entspricht vollkommen dem im bürgerlichen Leben Deutschlands vorkommenden zwischen Frau und Madame.