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Das Glück reich zu sein

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IV

Am Morgen nach jenem nächtlichen Vorfall war Baesin Smet in aller Frühe schon auf den Beinen, um in dem Krämerladen drüben von ihrer Tante in Holland und der in Aussicht stehenden Erbschaft zu schwatzen und zu prahlen; – und da die Spezereihändlerin es wagte, die Wahrhaftigkeit ihrer Aussage in Zweifel zu ziehen, ließ Frau Smet eine Handvoll Goldstücke auf den Waarentisch klirren, worauf die vier oder fünf Weiber, die sich gerade im Laden befanden, die Arme übereinander schlugen, als wären ihnen sämmtliche Schätze Kaliforniens vor die Augen getreten.

Eine halbe Stunde später war Niemand mehr in der Nachbarschaft, der nicht zu reden hatte von Hans Spaß, dem Schlotfeger, der drei Tönnchen Gold geerbt habe. Da nun Jedermann gewohntermaßen noch etwas mehr hinzufügte, so war wohl gar endlich die Sprache von hundert Häusern und so etwas wie zwanzig Schiffen zur See.

Während Frau Smet in der Stadt herumlief, um die vorzüglichsten Modeläden zu besuchen und sich schleunigst bei einem berühmten Kleidermacher das Maß nehmen zu lassen, war Pauw ihrer Bitte gemäß zu Hause geblieben, um abzuwarten, bis ihr Mann, der sich noch immer unwohl fühlte, herunter käme.

Nun war sie schon etwa seit einer Viertelstunde zurück, stand vor dem Spiegel in voller Verzückung über das Geflimmer der großen goldenen Ohrringe, die sie sich angesteckt hatte.

Pauw kam eben vom oberen Stock herab und berichtete der Mutter auf deren Frage über das Befinden des Vaters:

– »Der Vater ist ziemlich wohl: er fühlt sich nur noch etwas aufgeregt und abgemattet von den seltsamen Begegnissen dieser Nacht; und in einer kleinen Stunde wird er wohl herunter kommen.«

»Gut, Pauw; aber jetzt schaue mich einmal recht an,« rief sie im besten Humor ihrem Sohne zu. »Was sagst du zu diesen Ohrringen? Stehen sie mir nicht ganz vortrefflich?«

Der Jüngling betrachtete seine Mutter mit Aufmerksamkeit; doch mußte der Eindruck, den der Anblick der Juwelen auf ihn machte, nicht sonderlich günstig gewesen sein, denn zur Antwort zuckte er die Achseln und sagte:

– »Ich weiß nicht, Mutter, aber die Ohrringe unter eurer Faltenhaube machen ein Gesicht, als ob sie sich nicht recht heimisch fühlten.«

– »Nur Geduld, das wird sich Alles machen,« sagte die Frau. »Noch einige Tage, und deine Mutter wird der Welt zeigen, ob ein Unterschied sei zwischen ihr und einer Dante vom Meirplatz.11 Einen Federhut wird sie tragen, dazu eine samtene Pelerine, ein purpurseidnes Kleid und kaffeefarbige Stiefelchen. Dann sollst du mich mit einem Parasol durch die Straßen einherschreiten sehen, in solchem Staat und mit solchem Anstande, daß Jedermann erkennen muß, welch guter Abkunft ich mich rühmen darf.«

– »Wenn dem nun einmal nicht abzuhelfen ist,« seufzte Pauw, bedenklich den Kopf schüttelnd, »so zieht doch um Gottes Willen in ein anderes Haus, denn eine so hoch aufgeputzte Dame in einer schwarzen Kaminfegersbaracke, das wär’ doch ein gar zu schreiender Kontrast. Meinestheils bin ich ganz und gar nicht Willens, mich deßhalb mein Lebenlang mit den Fingern deuten und von Jedermann auslachen zu lassen.«

– »Immer nur Geduld,« antwortete fröhlich die überselige Frau. »Deinem Vater will das Ausziehen vor der Hand noch nicht in den Kopf; und dazu hat er wohl seine Gründe . . . aber warte nur, bis das Erbe einmal wirklich eingetroffen ist ich habe mir schon längst ein Haus ausersehen . . . mit einem großen Hofthor auf dem Skt. Jakobsmarkt.«

– »Wißt ihr was ich glaube, Mutter!« bemerkte der Bursche mit etwas traurigem Scherze. »Ich glaube, daß wir alle drei nahe daran sind, den Rappel zu bekommen. Und was das Erben betrifft, so muß ich sagen, daß, wenn ich zehn Gulden in der Tasche hätte, ich sie nicht für die ungelegten Eier hergeben würde!«

– »Keine zehn Gulden würdest du darum geben?« rief die Mutter. »Da, hast du noch mehr Beweise davon, daß es mit dem Erben seine Richtigkeit hat, ungläubiger Thomas!«

Pauw sprang verdutzt zurück, als ihm die Mutter mit triumphierendem Lächeln eine Handvoll Goldstücke, die sie aus der Tasche hervorgeholt, unter die Augen hielt.

– »Nun, was denkst du jetzt von der Sache?« fragte sie. »Hast du je in deinem Leben so viel Geld beisammen gesehen? Sind das Alles noch immer leere Luftgebilde und Hirngespinste, wie dein Vater zu sagen pflegt?«

Der Jüngling wandte die Augen nicht ab von dem Haufen Gold und schwieg.

– »Hast du die Zunge verloren?« scherzte die Mutter. »Du stehst da, als ob dir, der Verstand still stände, und glotzest verblüfft auf das Geld, als ob du Angst davor hättest!«

– »Glaub’s wohl!« flüsterte Pauw, »wenn man einem so unerwartet einen solchen Schlag auf die Stirne versetzt!«

– »Und diese Handvoll Gold ist nur ein Sandkorn gegen das, was wir noch einzuziehen haben.«

– »Nun, Mutter, da sind wir am Ende doch in Wirklichkeit reicht?«

– »Steinreich, guter Junge!«

– »Gott, das wird eine Lust sein. Käthchen, das theure Käthchen, wie wird der ums Herz sein, wenn sie das Alles erfährt. Daß sie nur nicht verrückt davon wird!«

Diese heiteren Aussichten versetzten den Jüngling in die ausgelassenste Stimmung; er hüpfte vor Freude und sang aus voller Kehle sein Leiblied:

 
»Schlotfeger sein von der A. B. Zunft . . . «
 

Aber die Mutter hielt ihm die Hand vor den Mund und sprach im Tone ernster Rüge:

– »Pfui, Pauw, laß doch ab von diesem gemeinen Handwerksburschenliede und benimm dich einmal, wie es einem jungen Menschen aus guter Familie geziemt.«

– »Ihr habt Recht, Mutter,« erwiderte der Jüngling ganz unterthänig. »Ich will mir ein anderes Liedchen ausdenken . . . «

– »Nein, nein; es hat jetzt ein Ende mit dem Singen und Springen. Ein reicher Mensch muß ein ernstes Gesicht machen.«

Pauw schien über diese Aeußerung verwundert.

– »Dann darf ich also nicht mehr lustig sein?« fragte er.

– »O doch, aber nur mäßig, und wenn du allein bist; und solltest du dann auch zu einer guten Flasche Wein greifen, wofern nur keine fremden Augen dich umlauern und die Nachbarn nichts davon wissen. So machen es die reichen Leute.«

– »Wenn ich allein bin! Meint ihr denn, Mutter, daß, wenn ich Bier trinke, ich’s des Biers wegen thue? Wenn die Freunde nicht dabei sind, da trinke ich lieber Wasser.«

– »Bier, Bier? Reiche Leute trinken kein Bier, die genießen nur Wein.«

– »Der ist mir aber zuwider.«

– »Er wird dir mit der Zeit schon schmecken. Das erste jedoch, was du dir abzugewöhnen hast, das ist dein leichtes Wesen auf der Straße und besonders eine losen Scherze.«

– »Aber sagt mir denn, soll ich am Ende das Lachen ganz aufgeben!«

– »Auf der Straße, ja. Da mußt du den Kopf gerade halten, gravitätisch austreten und ein saures Gesicht machen.«

– »Als ob ich also nichts als Verdruß hätte?«

– »Nein, sondern als ob du verstimmt wärest. Denn, siehst du, es ist nichts so gemein als lachen und lustig sein.«

– »Das muß ich gestehen, das klingt mir sonderbar zu Ohren. Es wäre recht der Mühe werth reich zu sein, wenn man sich für sein Geld jedes Vergnügen verbieten müßte!«

Frau Smet setzte sich nun an den Tisch, als schickte sie sich an, ihrem Sohne eine wichtige Mitteilung zu machen.

– »Pauw,« sprach sie, »setz’ dich nieder; ich habe dir etwas zu sagen, und du wirst Verstand genug besitzen, um mich zu begreifen. Rang sucht Rang, leich und gleich gesellt sich gern . . . «

– »Ja, drum lief der Teufel mit dem Kaminfeger davon . . . wenigstens dem Sprichwort zufolge.«

– »Scherz bei Seite, Pauw, und merke auf meine Worte . . . Rang sucht Rang, sag’ ich. Wie würde es dir selber vorkommen, wenn du den Sohn eines Barons mit der Tochter aus dem Stockfischhause getraut werden sähest?«

– »Nun, es würde mir etwas possig vorkommen.«

– »Meinst du nun etwa, Pauw, daß die Leute jetzt, da wir schatzreich geworden, es nicht als ebenso unstatthaft bekritteln würden, wenn du ein Armes Mädchen zur Frau nähmst?«

Der Jüngling ward betroffen.

– »Himmel, Mutter, wo wollt ihr hinaus mit diesen Reden?« rief er ängstlich.

– »Siehst du, Pauw, Schuhmachers Käthchen ist wohl ein gutes, sittsames Mädchen; daran läßt sich nicht das Geringste aussetzen. Und wären wir geringe Leute geblieben, würdest du, glaube – mir, noch vor Jahresschluß mit ihr Hochzeit gehalten haben; – aber jetzt? die ganze Stadt würde uns auslachen!«

– »Ei was, laßt sie nur lachen!« rief Pauw voll Besorgniß. »Ich bin noch lieber Kaminfeger mit Käthchen, als Baron mit einer andern; – und seht, Mutter, an dem Schnürchen müßt ihr nicht ziehen, sonst laufe ich euch gleich in die Quere.«

Da gab die Mutter ihrem Gesicht einen schlau-freundlichen Ausdruck und sagte:

– »Denkst du nicht, Pauw, daß Leokadie aus dem Laden drüben eine stattliche Figur macht? Das wäre so was für dich! Schwarze Augen, schlanke Taille, und wie nett sie sich zu kleiden versteht! und so feine, anständige, ungenierte Manieren . . . Und dabei giebt’s . . . drüben im Laden, was nicht zu verachten, hübsch klingende Metallscheibchen, Pauw. Dahin solltest du ein bisschen die Augen drehen!«

– »Jesus, Maria!« rief der Jüngling. »Leokadie? dies zimperliche bleiche Mamsellchen mit den hübschen Bändern und den schmachtenden Haarlocken diese hochmüthige Zierpuppe mit ihrem französischen Gewäsche, die möchte ich nicht zur Frau und wenn sie Prinzessin hieße. Vor Allem, Mutter, achte ich gar sehr darauf, daß meine Frau auch wirklich meine Frau sei.«

 

– »Wie?« rief die Mutter unwillig, »du schämst dich nicht, Leute, die vier Häuser zu eigen besitzen, um ihren guten Ruf zu bringen?«

– »Das thue ich nicht, Mutter; ich sage ganz einfach, daß ich von dieser Kokette nichts hören will.«

– »Nun, magst du für Leokadie eingenommen sein oder nicht; das Käthchen wirst du auf keinen Fall zur Frau bekommen!«

– »Auf keinen Fall?«

– »Auf keinen Fall.«

– »Gut, dann bitte ich höflichst um die Erlaubniß, nicht reich sein zu dürfen.«

– »Warte nur, bis wir förmlich in den Besitz unseres Reichthums getreten, dann wird sich schon das eine oder andere Fräulein . . . «

– »Fräulein? Ich wäre ja nicht einmal im Stande, sie anzusprechen. Nein, ich will keine andere als Käthe! Uebrigens hat mir der Vater noch vorhin gesagt, daß er sich meine Heirath mit ihr angelegen sein lassen wolle, und sogar hinzugesetzt, daß es auf der Hochzeit flott und fröhlich hergehen müsse.«

– »Das wird dem Vater schon noch aus dem Kopf schwinden, wenn er das Reichsein etwas besser gewohnt ist. Du mußt dein Käthchen vergessen, Junge, so sage ich.«

– »Ich kann sie nicht vergessen, mag sie nicht vergessen und werde sie nicht vergessen. Ein so gutes Kind, das für ihren Pauw, wenn’s sein müßte, durchs Feuer liefe, sollte ich jetzt aufgeben und verachten, weil wir einiges Geld mehr besitzen? Wenn ich mich zu einer solchen nichtswürdigen Handlung fähig wüßte, würde ich mir selber den Kopf an der Mauer zerschmettern!«

– »Ich gestatte dir nicht, sie je wieder zu sehen!« rief die Mutter.

– »Der Vater hat ganz anders gesprochen, der hat mir anbefohlen, sie noch diesen Morgen aufzusuchen, damit sie die Nachricht von unserer Erbschaft von Niemand Anderem erfahre, als von mir.«

– »O da kömmst du jedenfalls viel zu spät; die halbe Stadt weiß schon davon.«

– »Aber, Mutter,« sagte Pauw mit sanft bittendem Tone, »ihr habt doch wohl selber auch ein Herz. So denkt doch daran, daß ihr schon fünf bis sechs Jahre her Käthchen als eure Tochter betrachtet, wie euer eigenes Kind gepflegt und aufgenommen habt. Sie selbst, liebte sie euch nicht so inniglich, daß wir oft darüber beinahe lachen mußten, und ließ sie nicht fast bei jedem Worte die süße Anrede »liebes Mütterchen« fallen? ja der Boden schien ihr, so zu sagen, nicht gut genug, auf dem eure Füße dahin schritten. Wenn sie hierher kam, um Euch Gesellschaft zu leisten, ging keine Thüre auf, ohne daß Käthe gleich bei er Hand war sie wieder zuzuschließen, damit euch ja keine Erkältung zustoße; ja jeden Wunsch merkte sie euch an den Augen ab . . . Und es ist nicht zu verwundern . . . das arme Kind hatte selbst keine Mutter mehr! – Als ihr vor einigen Monaten krank wurdet, hat sie wohl drei Tage ohne Unterlaß geweint. Jeden Morgen ging sie zur Kirche, um für euch zu beten; ganze Nächte wachte sie an eurem Bette, und als am Ende euer Zustand immer gefährlicher geworden, hat sie so reichliche Thränen vergossen, sich vor Schmerz so abgezehrt, daß die Nachbarn nicht wußten, mit wem sie mehr Mitleiden haben sollten, mit euch oder mit Käthchen. – Längst schon hing mein Herz ihr; aber erst nachdem ich erfahren, wie sie ihr Leben für die Erhaltung meiner Mutter aufgeopfert haben würde, hat sich diese Vorliebe zu einem weit mächtigeren Gefühle umgewandelt. Ja, ich verehre sie, und alle Mamsellen und Fräulein der Stadt sind mein Käthchen nicht werth! . . . Ach, ich bitte euch, straft sie doch nicht für ihre Güte, für ihre musterhafte Hingabe und Aufopferung. Leicht könnte sie krank darüber werden, und ihr selbst, Mutter, würdet Sie zum Dank für ihre Liebe in den Sarg gebracht haben!«

Dem Jüngling entquollen die Thränen bei diesem zarten Aufrufe an seine Mutter. Auch diese fühlte sich von seiner Rede innig betroffen und senkte den Kopf, um ihre Rührung zu verbergen. Indem sie sich die Wangen abwischte, sagte sie:

– »Pauw, lieber Junge, laß mich; denn wahrhaftig, du vermöchtest wohl einen Stein zu erweichen. Wo holst du nur alle deine Worte her? Allerdings, du hast Recht, das arme Kind möchte leicht davon die Auszehrung kriegen, und doch haben wir von ihr nur die reinste Herzensgüte und Freundschaft erfahren. Es ist recht ärgerlich, daß es gerade so fällt. Zwar ist sie kein Mädchen für deinen Stand, aber reich oder nicht reich, vor Allem sind wir immerhin Menschen. So setze denn eben in Gottes Namen dein Verhältniß zu Kätchen fort: ich will mich damit trösten, daß die schönen Kleider dazu helfen sollen, den Abstand zwischen dir und ihr auszugleichen und sie etwas anständiger vor den Leuten erscheinen zu lassen. Die guten Manieren werde ich ihr nachträglich schon noch beizubringen wissen.«

– »Dank, liebe Mutter, herzlichen Dank!« rief Pauw voll seliger Empfindung »Jetzt befehlt über mich ganz nach Gutdünken; sollte ich eine Brille und gelbe Handschuhe tragen müssen und mich von Jedermann auslachen lassen, in Alles will ich mich bereitwillig fügen – wofern nur Käthchen kein Leid geschieht.«

Er war aufgestanden und wollte das Haus verlassen, als die Mutter ihm noch zurief:

– »Pauw, setz’ deinen Hut auf. Ein reicher Mann trägt keine Kappe! . . . Und hier hast du eine roth und blau gestreifte Atlaskravatte. Komm vor den Spiegel; ich will sie dir umbinden.«

So verdrießlich auch der junge Kaminfegerbursche die schreienden Farben des Atlasses besah, ließ er sich folgsam und geduldig das prächtige Halstuch von der Mutter anlegen.

Alsbald flog er fröhlich zur Thüre hinaus; mußte aber wiederum die Mutter sich nachrufen hören:

– »Pauw, Pauw, keine Sprünge; benimm dich doch gesetzt und anständig, wie es deinem Stande geziemt!«

Da das frische Frühlingswetter anhielt, war die Straße wie gestern auf beiden Seiten mit jungen Stickermädchen und wohl auch mitunter mit älteren Frauen besetzt, die an der freien Luft die Kleider ihrer Kinder zu sticken beschäftigt waren.

Pauw hatte der Mutter zu lieb seinem Gang etwas mehr Langsamkeit verliehen und hielt den Kopf mit einer gewissen Vornehmheit aufrecht.

Bei seinem Erscheinen richteten die meisten Mädchen den Kopf in die Höhe und sahen mit aufgesperrten Augen den Jüngling mit ernst bedächtiger Miene herannahen, ihn, den man früher nie in solcher Haltung bemerkt hatte. Welches Wunder mochte so plötzlich diese Umwandlung bewirkt haben?

Dem armen Pauw aber fiel es lästig, sich von allen Seiten wie ein merkwürdiges Thier beguckt zu wissen, und eine leise Schamröthe überflog sein Gesicht. Es war ihm, als ob ihm die Haut von tausend Stecknadeln geprickelt würde. Doch that er sich Gewalt an, um seine Verlegenheit zu verbergen, näherte sich den Mädchen, die vor des Schuhmachers Thüre saßen, und mit erkünstelt leichtfertigem Tone redete er eine derselben an:

– »Aber, Annamariechen, was sperrst du so deine Augen auf? Bin ich denn ein Wallfisch oder ein Elephant?«

– »He, dort hinten! Giebt es eine Beguine zu geißeln, daß ihr mich anglotzt?« rief er sodann einem Haufen Frauen zu, die etwas weiter davon mit gestrecktem Hals nach ihm schauten.

Niemand lachte und es verging eine Weile, ehe Annamarie mit achtungsvollem Tone ihm antwortete:

– »Herr Pauw, ich wünsche Ihnen Glück, obgleich es mir leid thut . . . «

– »Warum leid?«

–«Ach, weil’s jetzt wieder ganz traurig werden wird in der Straße, seit der spaßige Pauw ein reicher Herr geworden ist und auf dem Meirplatze wohnt.«

– »Bitte, laß dein Herr Pauw fahren; heißt mich fortan wie zuvor Pauwken-Frohmuth.«

– Jetzt kam ein alter, von den Jahren gebückter Mann auf Pauw zugelaufen, zog seine Mühe ab, entblößte die silberweißen Haare und sagte mit bittendem Lächeln:

– »Herr Smet, erlauben Sie mir, ein Wörtchen mit Ihnen zu sprechen? Nehmen Sie es mir aber ja nicht für ungut, daß ich mir diese Freiheit nehme.«

Der Jüngling erröthete bis unter das Haar und gab ihm mit Ungeduld zur Antwort:

– Hört, Vater Mieris, treibt keine Kurzweile mit mir! Gebt mir vielmehr die Hand. Wie gehts’ mit der Gesundheit?«

Der Greis lachte dankbar für die freundliche Begrüßung.

– »Große Ehre, Herr Smet,« erwiderte er. »Aber lassen Sie mich doch eine Bitte an Sie richten. Meine Tochter Susanne, Sie kennen sie doch wohl?«

– »Ob ich sie kenne? Ein gar gutes, sauberes Mädchen.

– »Sie ist Plätterin, Herr Pauw, und versteht ihr Geschäft; ganz vorzüglich; so erlaube ich mir denn, Sie zu ersuchen, bei Ihrer Frau Mutter gefälligst ein Wörtchen einlegen zu wollen, daß sie uns nicht vergessen und von Zeit zu Zeit einen Stüber verdienen lassen möge, denn die Zeiten sind schlimm und das Brod ist gar so . . . «

Dem Pauw wurde bei diesem unterwürfigen Wesen ganz schwindelig zu Muthe.

– »Schon gut,« fiel er dem Alten ins Wort, »ich werde es thun. Laßt mich aber nur in Ruhe mit eurer Frau Mutter und eurem lieber Herr. Bald wird, dünkt mir, das ganze Viertel noch den Verstand verlieren.«

Von diesem Ausfall eingeschüchtert, wandte sich der Alte weg und entfernte sich mit traurigem Gemüthe.

– »Käthchen ist wohl beim Schuhbordiren?« fragte Pauw die Mädchen.

– »Ach ja, das Käthchen,« antwortete Annamarie mit einem Ausdruck herzlichen Mitleids, »die ist noch am meisten zu beklagen. Wenn sie sich von dem Schlage erholt, soll es mich sehr Wunder nehmen.«

Der Jüngling erblaßte bei dieser Bemerkung und schritt ohne weitere Erwiederung nach des Schuhmachers Thüre zu.

Er fand das Mädchen am Fenster sitzend und laut schluchzend. Pauw griff ihr tief erschüttert die Hand. Aber Käthchen, in ihrem Schmerze, zog ihre Hand zurück und verbarg ihr Gesicht noch mehr, indem sie Mühe hatte die Seufzer zurückzuhalten, die ihrer beklemmten Brust entstiegen.

– »Käthe, Käthe,« rief der Jüngling mit Verzweiflung, »woher dieses Geseufze und Herzeleid? Was ist dir denn begegnet? Um Gottes Willen, rede doch!«

Das Mädchen enthüllte nun ihr Gesicht, hob ihre rothgeweinten Augen mit hingebender Ruhe zu ihrem Freunde und sagte bittend:

– »Lieber Pauw, gräme dich nicht ab über den Schmerz, der mich erfüllt; wohl weiß ich, daß es deine Schuld nicht ist; denn du würdest die Grausamkeit nicht gehabt haben, dem armen Käthchen diesen Todesstoß zu versetzen . . . «

– »Aber, ich flehe dich an, sprich doch, was ist denn geschehen?« schrie der Jüngling.

– »Ich werde mich in mein bitteres Geschick fügen und müßte ich vor Leid und stillem Grame dahinschwinden, dich, Pauw, werde ich niemals deßhalb beschuldigen . . . Vielmehr wird mein Gebet zu Gott aufsteigen, daß er dir eine Frau gebe, die dich so treulich lieben möge als ich!«

– »Ach, diese Furcht ist es, die dich quält?« rief beruhigt der Jüngling. »Sei ohne Sorge, Käthchen; über uns schwebt keine Gefahr; du machst dir vergeblichen Kummer.«

Die Jungfrau betrachtete ihn süßlächelnd und sagte:

– »Siehst du, Pauw, ich bin ein viel zu geringes Mädchen, um meine Augen noch ferner nach dir richten zu dürfen – du bist von allzu hoher Familie, als aß die Tochter eines armen Handwerkers . . . «

Ungeduldig unterbrach sie der Jüngling und sprach mit verdrießlichem Tone:

– »Wie kommst du nur auf solche Gedanken? haben die bösen Zungen der Nachbarn auch auf dich eine Gewalt geübt? Wie, du merkst auf alle diese tollen Klatschereien des erbärmlichsten Neides?«

– »Nein, das nicht,« seufzte das Mädchen; »aber deine Mutter hat uns im Laden drüben ganz unverblümt mit Spottreden überhäuft und gesagt, daß eine Schuhflickerstochter niemals in ihre Familie eintreten würde. Du bist deiner Mutter den Gehorsam schuldig. Also laß mich nur immer trauern, Pauw; die Zeit wird hoffentlich meinen Kummer etwas mildern . . . «

Die Thränen drangen ihr abermals hervor, als sie hinzufügte:

– »Wenn ich dann auf dem Kirchhof liege . . . und dich deine Spaziergänge zuweilen nach den Bäumen des Stuivenberg12 führen, dann denke an unsere Freundschaft zurück und sage dir: dort liegt Käthe, die so früh gestorben ist, weil sie mich zu innig liebte!«

Pauw hielt sich die Hand vor die Augen und konnte sich kaum fassen vor Rührung.

– »Käthe,« rief er alsdann mit schmerzvollem Ausdruck, »du zerreißest mir mit Unrecht das Herz. Und würde mein Vater zum König erhoben, du allein wirst meine Frau! Selbst meine Mutter ist damit einverstanden.«

– »Und doch hat sie uns so schnöde behandelt?«

– »Mag sein; aber du weißt wohl, der Reichthum kann einen . . . für einen Augenblick . . . blenden. Und so glaube mir; meine Mutter selber ist es, die mich zu dir geschickt hat und mit der alten Liebe für dich hat sie vor zehn Minuten die Aeußerung gethan: Reich oder nicht reich, Käthchen soll meine Tochter werden.«

 

Die Augen der Jungfrau begannen freudig zu erglänzen und mit wogender Brust rief sie:

»Gott im Himmel, was sagst du; Frau Smet soll wirklich noch meine Mutter werden; der Tod, der mir schon vor der Seele schwebte, soll wieder verschwinden und es stehen mir noch glückliche Tage auf dieser Erde bevor! Pauw, Pauw, du betrügst mich doch nicht?«

In diesem Augenblick trat der Schuhmacher ins Zimmer: er war von seiner Arbeit im Nebenzimmer aufgestanden und noch hielt er den Spannriemen in der Hand.

Mit strengem Blick sah er den Jüngling an und sagte:

– »Herr Smet, es nimmt mich Wunder, daß Sie noch mein Haus zu betreten wagen. Wir sind zwar arme und geringe Leute; aber dabei ehrlich und wie Sie wissen, ist jeder der König in seinem Hause. Vielleicht liegt die Schuld nicht an Ihnen, aber das thut Nichts zur Sache. Ich muß Sie also bitten, fortzugehen und zu vergessen, wo wir wohnen – sonst zwängen Sie mich . . . «

– »Lieber Vater, ereifert euch nicht!« rief seine Tochter. »Es ist nicht so, wie ihr denkt.«

– »Ihre Eltern übrigens handeln ganz nach Recht und Vernunft,« spöttelte der Schuhmacher. »Als wir noch Handwerksgenossen waren, da ging es wohl ganz aber nun sie einige Tonnen Goldes zu erben haben, wäre es doch eine große Schande, Herr Pauw, wenn Sie ein Mädchen heiratheten, die Nichts sitzt, die Tochter eines armen Schuhflickers! Aber merken Sie wohl, dieser Schuhflicker hat seinerseits auch ein Herz im Leibe; und er darf nicht leiden, da Sie noch fernerhin ein Auge auf sein Kind werfen. Wenden Sie sich lieber nach den vornehmen Straßen, und suchen Sie sich dort ein Fräulein, das Ihrem Stande gewachsen sei!«

– »Baes Dries!« stammelte tiefbetrübt der Jüngling. »Ihr seid grausam und ungerecht. Meine Mutter sendet mich eben her, sie bei euch einiger Ausdrücke wegen zu entschuldigen, die sie beim Spezereihändler hat fallen lassen. Es war nicht böse gemeint, und sie bittet euch, das Geschehene zu vergessen.«

– »Nein, nein!« antwortete der Schuhmacher, »das geht so nicht. Sie hat sich öffentlich in verächtlicher Weise über uns verlauten lassen. Also, Pauw, bleiben Sie aus unserem Hause weg. Wir sind nicht reich; aber doch soll nicht von uns gesagt werden, daß wir uns auf den Kopf treten lassen.«

– »Und wenn meine Mutter selber herkäme und euch versicherte, daß sie es nicht gemeint hat, wie ihr es auffaßt?«

– »Das würde schon etwas ausmachen,« murmelte nachdenklich Baes Dries.

– »Nun, sie soll kommen; ich gehe sofort, sie dazu aufzufordern.«

– »Eben habe ich sie ausgehen sehen,« bemerkte der Schuhmacher.

– »So will ich ihre Rückkehr abwarten und sie dann sogleich hierher zu kommen bitten.«

– »Nein, auch so nicht, Pauw; Sie dürfen schlechterdings nicht hier bleiben und auch nicht wiederkommen, wenn Ihre Mutter nicht dabei ist. Die Nachbarn stehen ja haufenweise vor der Thüre. Wenn es sich wirklich so erhält, wie Sie sagen, so wird Alles von selber gut ablaufen. Also lassen Sie ich rathen und gehen Sie nach Haus!«

Pauw folgte dieser Aufforderung, aber im Hinausgehen sagte er zum Mädchen:

– »Käthchen, kümmere dich nicht weiter; sei vielmehr fröhlich und guter Dinge; es wird sich Alles herrlich machen und bald bin ich wieder hier mit einer Mutter.«

Als Pauw nach Hause kam, fand er seinen Vater am Tische sitzen. Der geängstigte Mann war bleich und schien noch sehr angegriffen von dem nächtlichen Begegniß. Vom Wachen ermüdet hatten seine Augen ein fahles und irres Aussehen.

– »Pauw, was bist du so roth im Gesicht,« fragte er mit Befremden den Hereintretenden.

– »Ach Vater,« war die Antwort, »ich komme eben von Käthchen; schluchzend und in Thränen zerflossen habe ich das gute Kind auf ihrem Stuhle sitzend gefunden, daß mir fast das Herz dabei gebrochen ist. Dazu wollte mir der Schuhmacher gar noch die Thüre weisen, aber die Sache ist beigelegt . . . Fühlt ihr euch noch unpäßlich, Vater? Ihr seht bleich und elend aus; soll ich nicht nach dem Doktor rufen?«

– »Nein, nein, es geht besser; es war nur eine Nervenerschütterung . . . Aber sage mir, was war denn der Grund von Kätchens Verdruß und weßhalb wollte dich der Schuhmacher vor die Thüre setzen?«

– »So genau weiß ich es selbst nicht, aber es hat, scheint’s, die Mutter im Laden geäußert, daß Käthchen für unsere Familie zu gering sei . . . das ist, wie ihr leicht denken könnt, dem Schuhmacher zu Kopf gestiegen. Nun, die Sache ist wieder in Ordnung und sobald die Mutter zurückkommt, werde ich mit ihr zum Schuhmacher gehen, um ihn vollends zu besänftigen.«

– »Deine Mutter, deine Mutter,« seufzte schmerzlich der Schlotfeger, »die wird noch unser Verderben. Unfähig ihren Hochmuth zu bemeistern, pocht und prahlt sie, als hätten wir viele Tausende von Gulden zu erwarten.«

– »Drei Tönnchen voll, Vater. Denn als ich vorhin vom Schuhmacher herkam, fragte mich Annamarie vom Gemüseladen drüben, ob es wahr sei, aß wir außer den Tönnchen Gold, noch ich weiß nicht, wie viele Häuser und Schiffe zu erben hätten.«

– »Himmel, Himmel!« klagte der Vater, »es ist ein rechtes Elend! Dieses unbändige Geschnatter deiner Mutter wird uns um unsere Ruhe, um unseren Schlaf bringen. Alle Diebe und Gauner der Stadt werden es auf unser Geld absehen. Wer weiß wie viele Komplotte schon besprochen sind, um bei der Ersten besten Gelegenheit in unser Haus einzubrechen und uns zu bestehlen . . . Wenn nicht gar zu ermorden.«

– »Könnte wohl sein. Denn die ganze Stadt scheint in Aufruhr zu sein über das prachtvolle Erbe, das uns zugefallen.«

– »Prachtvolles Erbe?« wiederholte der Vater mit bedenklicher Gebärde. »Es ist dieses Erbe lange nicht so beträchtlich, merke dir’s, Pauw, als die Leute sagen und glauben.«

– »Nun so übel ist es denn gerade auch nicht,« antwortete Pauw lachend, »drei Tönnchen Gold!«

– »Ich glaube, die Nachbarschaft ist von Sinnen!«

– »Nun, Vater, nimm an, es sei nur ein einziges Tönnchen.«

– »Nichts weiter ist’s, Sohn, als ein anständiges Bürgervermögen, um bei weiser Sparsamkeit sorglos davon leben zu können.«

– »Wem soll ich nun glauben? die Mutter spricht von einem großen Haus mit einer Einfahrt auf dem Skt. Jakobsmarkt, von Hüten mit Federn, von Bedienten und Mägden . . . und von so viel anderem Zeuge, daß ich wirklich dachte, sie habe des Fortunatus Börse gefunden und wir würden fortan in einem goldenen Berge wohnen.«

– »Deine Mutter bringt uns aufs Stroh!« rief Meister Smet mit bitterer Aufwallung. »Aber warte nur, ich will nunmehr anfangen zu zeigen, daß ich Herr im Haus bin! Und wenn ich einmal in Harnisch gerathe, so zertrete ich ihre Hüte, zerreiße ihre seidenen Kleider, und will sie sich nicht benehmen, ehe ich’s geziemt, werf’ ich sie selbst zum Haus hinaus; ja, ja, brauchst mich nicht so anzusehen, ich werfe sie zum Haus hinaus! – Und du auch, was hast du da um den Hals, Verschwender?«

– »Ach, ich dachte selber nicht mehr daran,« antwortete Pauw schüchtern, indem er seine Atlaskravatte von sich riß. »Die Mutter hat sie mir mit Gewalt angelegt; denn mir ist es um so lieber, je weniger mir solcher farbigen Lumpen am Leibe hängen.«

Der Jüngling war etwas rückwärts getreten und hielt nun bedenklich verwundert das Auge auf seinen Vater gerichtet, der wieder schwermüthig, wie zuvor, in düsteres Schweigen versunken am Tische saß.

Nach einer Weile sagte Pauw ärgerlich:

– »Ich wollte das Erbe stecke ich weiß nicht wo! Wir sind dazu ganz und gar nicht geboren und es bringt uns nur Kummer und Sorge . . . Glaubt mir Vater, ich will lieber arm bleiben, als in dieser Weise mein Leben verbringen.«

– »Kind, es ist nicht nöthig, dir darum Armuth anzuwünschen,« antwortete Smet; »wenn deine Mutter nicht verständiger wird, wird diese Armuth sich zeitig genug einstellen; vielleicht steht sie jetzt schon drohend vor der Thüre.«

Seines Vaters Stimme klang dem Jüngling so seltsam wehmüthig und trocken in die Ohren, daß er mit ängstlichem Blicke ihn anschaute und fragte:

– »Vater, ihr seid krank, sehr krank!«

– »Mir fehlt nichts; ich fühle mich etwas müde, das ist Alles!« war seine leise gesprochene Antwort.

– »Wie ist das möglich? Sollte euch das Geld in solchem Grade umgewandelt haben. Eure Augen sind matt, das Gesicht bleich, die Stimme ganz anders als früher. Alles ist so träge, so schlurrig an euch, der ihr sonst so lebendig und fröhlicher Laune wart. Sonst sangt ihr vom frühen Morgen bis um Abend; jedes Wort aus eurem Mund war ein Witz, der Lachen erregte. Ach, ich sehe schon, das Geld und die Fröhlichkeit weichen einander aus, denn ich fühle selber manchmal etwas in mir, was mir den Kopf schwer macht und am Herzen nagt.«

11Der Meir in Antwerpen ist der Name eines der angesehensten, meist von reichen Leuten bewohnten Platzes.
12Ein Begräbnißplatz vor der Stadt.