Verbot, Verfolgung und Neubeginn

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Verbot, Verfolgung und Neubeginn
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Helmut Reinalter

Verbot, Verfolgung und Neubeginn

Reihe: Quellen und Darstellungen zur europäischen Freimaurerei

Hg. von Helmut Reinalter in Zusammenarbeit mit dem Institut für Ideengeschichte

Band 23

Helmut Reinalter

Verbot, Verfolgung und Neubeginn

Die Geschichte der

österreichischen Freimaurerei

im 19. und 20. Jahrhundert


„Es geht nicht darum, dem Zeitgeist nachzueifern,

sondern den Geist der Zeit zu entdecken,

zu hinterfragen und für die Zukunft nutzbar zu machen.“

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

I. Einleitung

Forschungsperspektiven

1. Die ältere masonische Geschichtsschreibung

2. Die Forschung in Österreich

3. Antimasonische Schriften

4. Der Neubeginn der Forschung

5. Die Entwicklung der freimaurerischen Geschichtsschreibung ab 1960 und die Gründung der Forschungsloge Quatuor Coronati Wien

6. Der Stand der neuesten Historiographie

7. Die Bedeutung der Geschichtswissenschaft für die spezifische Freimaurerforschung

8. Geschichtswissenschaft, ihre Theorien und Methoden

9. Richtungen, Schulen und Tendenzen der Geschichtsschreibung

10. Neuorientierung der Historiographie

II. Ein kurzer Rückblick. Die Geschichte der österreichischen Freimaurerei von 1795–1848/49

1. Das „Kriminalpatent“ von 1795

2. Die Jakobinerprozesse

3. Polizei und Spitzelwesen

III. Die Zeit der Restauration und des Vormärz

1. Der Geheimbund der Carbonari

2. Die politische Entwicklung in der Habsburgermonarchie nach 1815 und Metternich

3. Die Revolution 1848/49 und die Loge „Zum heiligen Joseph“

4. Die Freimaurerei in Österreich nach der Revolution und der Kulturkampf

IV. Die Grenzlogenzeit

1. Konfidententätigkeit in den Jahren 1868/69

2. Die Gründung der ersten Grenzlogen

3. Weitere Logengründungen

V. Die Bruderkette und der Erste Weltkrieg

1. Antimasonismus und Verschwörungstheorien

2. Freimaurerische Friedensbemühungen

3. Esoterisches Denken und Okkultismus in Wien um die Jahrhundertwende

4. Der Erste Weltkrieg

VI. Die Gründung der Großloge 1918

1. Die Vorbereitung der Konstituierung

2. Die Gründung und das Großbeamtenkollegium

VII. Die österreichische Freimaurerei in der Zwischenkriegszeit

1. Die Sozialprojekte, der Sozialstaat und das Fürsorgewesen

2. Weitere Friedensprojekte und Friedensaktivitäten

3. Allgemeine kulturpolitische Initiativen

4. Hermetik, Alchemie und Esoterik

5. Freimaurerei und Menschenrechte

6. Freimaurerei, österreichischer Ständestaat und Nationalsozialismus

7. Der Freimaurer, Journalist, Schriftsteller und spätere Nationalsozialist Kurt Reichl (1899–1956)

7.1 Das Leben Reichls

7.2 Reichl als Nationalsozialist und Gegner der Freimaurerei

7.3 Der Berner Prozess über die Protokolle der Weisen von Zion

7.4 Die „Deckung“ von Reichl

7.5 Reichls weitere Aktivitäten für den Nationalsozialismus und seine Ziele

7.6 Nochmals: Reichls weltanschaulich-politische Wende

7.7 Die Gespräche in Aachen

7.8 Der überzeugte Freimaurergegner im Dienste des Nationalsozialismus

7.9 Der Reichl-Nachlass in Moskau

8. Der Journalist, Schriftsteller und Hochgradfreimaurer Eugen Lennhoff (1891–1944)

8.1 Das Leben Lennhoffs

8.2 Lennhoff als Freimaurer

8.3 Das Werk von Eugen Lennhoff

9. Das Hochgradsystem des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus (AASR)

10. Die weitere Entwicklung und wichtige Aktivitäten der Großloge in der Zwischenkriegszeit

10.1 Gründung einer Forschungsvereinigung in Wien

10.2 Berichte von Wladimir Misař in der Wiener Freimaurer-Zeitung

11. Freimaurerei, Ständestaat und Austrofaschismus

11.1 Der Ständestaat

11.2 Das Ende der Großloge und der Einzellogen

VIII. Freimaurerei, Zweiter Weltkrieg und das Exil

1. Der Zweite Weltkrieg

2. Brüder im Exil

3. Wiener Kontakte zu den in der Welt verstreuten Brüdern

IX. Der schwierige Neubeginn 1945

1. Die Logenarbeiten und die Großloge

2. Die Wiedererweckung des „Schottischen Ritus“ (AASR)

3. Die Arbeitsgemeinschaft Geschichtsforschung und die Gründung der Forschungsloge Quatuor Coronati

4. Kontinuität, Kontaktausbau und Internationalität

5. Die Freimaurerei und die Europa-Idee

 

6. Verbesserung der Infrastruktur

7. Die Anerkennung der österreichischen Freimaurerei durch die Großloge von England

8. Die Gründung der Maurerei vom „Königlichen Bogen“ (Royal Arch)

9. Vorsichtige Öffentlichkeitsarbeit

10. Das Verhältnis zwischen Kirche und Freimaurerei

11. Die Gegner der Freimaurerei und die Verschwörungstheorien

X. Ausblick

1. Die Freimaurer-Akademie der Großloge von Österreich

2. Ziele, Werte und Haltungen der Freimaurerei

3. Menschenwürde, Menschenrechte und Menschenpflichten

4. Die „Königliche Kunst“

5. Die Globalisierung und gesellschaftlichen und politischen Veränderungen

6. Die Zukunftsaufgaben der Freimaurerei

Quellen- und Literaturverzeichnis

Quellen

Archive (ungedruckte Quellen)

Gedruckte Quellen

Literatur

Abkürzungsverzeichnis

Anhang

Konstitution der Großloge von Österreich der Alten, Freien und Angenommenen Maurer. Allgemeine freimaurerische Grundsätze

Die Pflichten eines Freimaurers

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten

Entwurf einer Allgemeinen Erklärung der Menschenpflichten. Vorbemerkungen

Über den Autor

Register

Vorwort

Das Forschungsprojekt „Die Geschichte der österreichischen Freimaurerei“ wurde schon vor 16 Jahren vom privaten Forschungsinstitut für Ideengeschichte unter der Leitung des Autors geplant. Der erste Band erschien 2017 unter dem Titel „Aufklärung, Humanität und Toleranz. Die Geschichte der österreichischen Freimaurerei im 18. Jahrhundert“ in der Reihe „Quellen und Darstellungen zur europäischen Freimaurerei“ als Band 18 im Studienverlag in Innsbruck. Nun legt der Verfasser den zweiten Teil der Forschungsreihe mit dem Titel „Verbot, Verfolgung und Neubeginn. Die Geschichte der österreichischen Freimaurerei im 19. und 20. Jahrhundert“ vor. Damit entsteht die erste wissenschaftlich umfassende Geschichte der Freimaurerei in Österreich, von den Anfängen bis in die 1970er Jahre des 20. Jahrhunderts. Die Geschichte konnte aus Deckungsgründen allerdings nicht bis zur aktuellen Gegenwart fortgeschrieben werden.

Auch der vorliegende Band strebt keine Geschichte der Einzellogen und keine Chronologie der Ereignisse an, sondern stützt sich strukturgeschichtlich auf wichtige Schwerpunkte und auf die Erklärung komplexer Zusammenhänge. Selbstverständlich spielen dabei auch freimaurerische Persönlichkeiten eine nicht zu unterschätzende Rolle. Das Buch beginnt mit einer Einleitung, die einen Überblick über den Stand der Forschung gibt und setzt dann mit einem kurzen Rückblick und mit der Zeit der Restauration und des Vormärz, mit den Grenzlogen, mit dem Ersten Weltkrieg, mit der Gründung der Großloge 1918, mit der österreichischen Freimaurerei in der Zwischenkriegszeit, dem Zweiten Weltkrieg und dem Exil fort. Der Abschluss behandelt den Neubeginn der Logenarbeiten nach 1945 und bietet zum Schluss einen Ausblick auf Ziele, Werte, Haltungen und Zukunftsaufgaben der österreichischen Freimaurerei. In den Fußnoten finden sich Kurzzitate, die Vollzitate der benutzten Literatur enthält das Schriftenverzeichnis.

Der Verfasser dankt zahlreichen wissenschaftlichen Einrichtungen und Personen für die archivarische Unterstützung bei der Ausarbeitung des vorliegenden Manuskripts: Erwähnt werden müssen hier vor allem das Deutsche Sonderarchiv in Moskau (heute Aufbewahrungszentrum der historisch-dokumentarischen Kollektionen) und Direktor Victor Nicolajewitsch Bondarew, der Präsident des Komitees für Archivangelegenheiten bei der Regierung der Russischen Föderation Rudolf Germanovich Pichoja, Tofik Islamov von der Russischen Akademie der Wissenschaften, der österreichische Botschafter Walter Siegl, Michail Dmitriev (Lomonossow-Universität Moskau), Brigitte Schagerl, die Leninbibliothek in Moskau, das Geheime Staatsarchiv, Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem (Direktor Jürgen Klosterhuis und Kornelia Lange), das Bundesarchiv Berlin, das ehemalige Zentrale Staatsarchiv der DDR, Historische Abteilung II Merseburg und Renate Endler, das Österreichische Staatsarchiv, Abteilung Haus-, Hof- und Staatsarchiv und Allgemeines Verwaltungsarchiv Wien, das Archiv und Bibliothek der Großloge von Wien, das Niederösterreichische Landesarchiv in St. Pölten, das Jesuitenarchiv in Wien, das Kärntner Landesarchiv Klagenfurt, die Bibliotheca Rosenthaliana Amsterdam, das Archiv der Quatuor Coronati Forschungsloge Wien, das Ungarische Staatsarchiv in Budapest, das Archiv Jugoslavije Beograd, die Biblioteka Klossiana in Den Haag und das Deutsche Freimaurermuseum Bayreuth.

Zu den hier erwähnten wissenschaftlichen Institutionen, Archiven und Bibliotheken kommen noch zahlreiche Personen, die dem Autor wichtige Hinweise gegeben haben: Zsuzsanna Ágnes Berényi, Erich Donnert (†), Helmut Keiler (†), Hans Kloser-Homma (†), Günter K. Kodek (†), Hans Koller, Michael Kraus, Hans Kummerer (†), Max Lotteraner (†), Reinhard Markner, Lorenz Mikoletzky, Frederik Mirdita (†), Marcus G. Patka, Manfred Pittioni, Attila Pók, Heinz Scheiderbauer (†), Nikolaus Schwaerzler, Eugen Semrau, Alfred Stalzer und Johannes Strodl.

Für organisatorische Hilfestellungen, Recherchen und zahlreiche Schreibarbeiten danke ich meinen Mitarbeiterinnen Jacqueline Lukovnjak und Sabine Robic. Dieser zweite Band der Geschichte der österreichischen Freimaurerei ist nicht im Auftrag der Großloge bzw. des Großbeamtenrats geschrieben worden, sondern im Rahmen eines wissenschaftlichen Projekts des Forschungsinstituts für Ideengeschichte in Innsbruck. Der Ausblick mit den Zukunftsproblemen und -aufgaben stellt die persönliche Meinung des Autors dar.


Innsbruck, im Sommer 2020 Helmut Reinalter

I. Einleitung
Forschungsperspektiven
1. Die ältere masonische Geschichtsschreibung

Es ist eine der vordringlichsten Aufgaben der freimaurerischen Forschung, sich über Tendenzen und Richtungen der profanen Wissenschaft mit ihren Methoden zu informieren und diese in ihre Forschungspraxis zu integrieren. Aus den neueren Untersuchungen über Freimaurerei, die auch von Nichtfreimaurern verfasst wurden, geht hervor, dass diese bei der Verbreitung der Aufklärung und im geistig-kulturellen und im politischen und gesellschaftlichen Entwicklungsprozess schon seit der Frühen Neuzeit und dann besonders im 18. und 19. Jahrhundert eine wichtige Rolle gespielt hat. Auch die sich neben der Freimaurerei entfaltenden Geheimgesellschaften, die auf vielschichtigen hermetisch-esoterischen Geistestraditionen aufbauen, sind durch neue Forschungen in vielen Details verständlicher geworden.1 Zwar wurde von der älteren Historiographie freimaurerische Geschichtsforschung oft unkritisch und dilettantisch betrieben, doch dürfen dabei die wirklich fundierten Arbeiten im 19., 20. und 21. Jahrhundert nicht übersehen werden.

Wichtig war neben verschiedenen Privatinitiativen im ausgehenden 19. Jahrhundert der Zusammenschluss freimaurerischer Historiker zur Forschungsloge „Quatuor Coronati“ in London (1884), die seit 1886 die Zeitschrift „Ars Quatuor Coronatorum“ herausbringt und bisher kein gleichwertiges Pendant gefunden hat. Thematisch ist dieses Periodikum nicht allein auf die britischen Inseln beschränkt, sondern bezieht auch die Geschichte der Freimaurerei im übrigen Europa und in Übersee mit ein.

In Deutschland und Österreich, wo gleichfalls Forschungslogen gegründet wurden (in Wien erst 1974), musste die freimaurerische Geschichtsschreibung 1945 von Neuem beginnen, während sie in Frankreich nach 1933 eine besondere Blüte erlangte. Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte sie an Bedeutung zugenommen und lief dann der deutschsprachigen Forschung den Rang ab. Aber auch die nach dem Zweiten Weltkrieg in England, Deutschland und Österreich erschienenen Bücher, Studien und Aufsätze weisen auf eine respektable Leistung hin und bilden wertvolle Grundlagen für weitere masonische Forschungen. Darüber hinaus hat sich die Freimauerforschung auch in anderen europäischen Ländern in den letzten Jahrzehnten positiv entwickelt, wie z.B. in Belgien, Holland, Spanien, Italien, Ungarn, Polen und Russland, sodass man heute bereits von einer überregionalen, europäischen und weltweiten Freimaurerforschung sprechen kann.

Dass gerade die französische Forschung nach 1933 so stark an Bedeutung zunahm, liegt neben der Tatsache, dass auch Nichtfreimaurer sich mit der kontroversen Problematik „Freimaurerei und Revolution“ auseinandersetzten, im Umstand, dass dort ideale Bedingungen zur Ausschöpfung der Quellen herrschen, zumal die Archive des Grand Orient und der Grand Lodge, der Bibliothéque Nationale in Paris und darüber hinaus zahlreiche Logenarchive in Frankreich der Forschung ohne weitgehende Einschränkungen zugänglich sind. Die neuere französische Historiographie befasst sich heute vor allem mit dem Thema „Freimaurerei und Geheimgesellschaften“ aus der Sicht der Religionswissenschaft, der Mentalitäts- und Kulturgeschichte, der Geistes- und Ideengeschichte, der Sozialwissenschaften und Sozialgeschichte und zieht auch deren Fragestellungen und Methoden stärker heran.

In England besteht dagegen immer noch eine gewisse Distanz zwischen Fachhistorie und freimaurerischer Geschichtsforschung, die jedoch sehr aktiv ist und trotzt starker Autarkie nach 1945 eine Reihe von grundlegenden Arbeiten herausbrachte, wobei in letzter Zeit vor allem Untersuchungen über Symbolik, Ritualistik und enzyklopädische Bemühungen im Vordergrund stehen. In der schon erwähnten Zeitschrift „Ars Quatuor Coronatorum“ wurden jüngst neben regionalen und nationalen Logenarbeiten auch allgemeine historische Fragen, Quellenprobleme und Fragen der Historiographie und Methoden stärker berücksichtigt. Die deutsche und österreichische Freimaurerforschung erfuhr starke Impulse und Anregungen von älteren maurerischen Standardwerken, die zum Teil unverändert nachgedruckt wurden.2

2. Die Forschung in Österreich

Standen in Deutschland zuerst noch para- und pseudomaurerische Geheimbünde und der Illuminatenorden im Mittelpunkt der fachhistorischen Interessen, so wendet sich die Historiographie nun schon seit einigen Jahrzehnten stärker den Aufklärungsgesellschaften, dem Verhältnis von Aufklärung, aufgeklärtem Absolutismus und Freimaurerei, dem Nationalsozialismus und den Verschwörungstheorien zu. Auch regionale Studien bzw. einzelne Logengeschichten, die in letzter Zeit stark zugenommen haben, bilden eine wichtige Voraussetzung für eine moderne Gesamtgeschichte der Freimaurerei in Deutschland. Dies trifft zum Teil auch auf Österreich zu. Hier ist von Helmut Reinalter bereits der erste Band einer modernen Geschichte der österreichischen Freimaurerei erschienen.3 In Österreich setzte die kritische Freimaurerforschung, die mit den mythischen Legenden aufgeräumt hatte, erst im 20. Jahrhundert ein.

 

Als älterer Autor wäre Ludwig Lewis zu nennen, der 1861 mit seiner „Geschichte der Freimaurerei in Österreich“ als erster Historiograph gilt.4 Das Buch besteht aus einer ca. 50 Seiten umfassenden Darstellung und rund 100 Seiten Dokumenten. Die Darstellung weist aber zahlreiche Fehler auf. Lewis bezeichnet vor allem die Freimaurerei als seriös und harmlos, als staatstragend und ungefährlich. Im Zeitraum von 1869–1871 kam eine Vielzahl von Kleinliteratur heraus. Bedeutsam ist aber die umfassende und umfangreiche Darstellung von Ludwig Abafi (Pseudonym für Ludwig Aigner) über die Geschichte der Freimaurerei in Österreich Ungarn.5 Nicht unwichtig für die Freimaurerforschung waren auch die Beiträge in masonischen Zeitschriften, hier vor allem in der „Latomia“ und in „Der Zirkel“, der 1871 herauskam und als Organ der Loge „Humanitas“ sowie später aller Grenzlogen fungierte. Im „Zirkel“ wurden immer wieder Beiträge zu historistischen Themen, Dokumente und Miszellen publiziert.6 Unter den Autoren fanden sich Freimaurerhistoriker, wie Gustav Brabbée und Ludwig Aigner. Der Wiener Vertreter von Ludwig Lewis, Franz Julius Schneeberger, veröffentlichte darin einen ersten Bericht über die Gründung der Grenzloge „Humanitas“. Der Bericht wurde 1883 nochmals publiziert.7 Als Quelle waren diese Beiträge allerdings ziemlich dürftig. Ähnliches gilt auch für historische Abhandlungen im „Zirkel“.8

Wichtiger sind die verschiedenen Logengeschichten, die aus Anlass runder Logenjubiläen geschrieben bzw. herausgegeben wurden.9 Nicht frei von apologetischen Argumenten war die Schrift von Julius Goldenberg „Staat, Kirche und Freimaurerei“.10 Diese Schrift war gegen kirchliche Angriffe gerichtet und vertrat die Auffassung, dass in der katholischen Kirche der Gegner der Freimaurerei zu suchen sei. Goldenberg war, wie man der Schrift entnehmen kann, ein kämpferischer Liberaler. Er wies auch auf den Fehler hin, der von der österreichischen Freimaurerei begangen wurde, die Öffentlichkeit nicht besser über die Bruderkette zu informieren. Er forderte ein offeneres Auftreten in der Öffentlichkeit.

Die wichtigsten freimaurerischen Historiker im 19. Jahrhundert waren zweifelsohne Gustav Brabbée und Ludwig Aigner-Abafi. Es ist bis heute nicht ganz geklärt, wie groß der Anteil Brabbées an Abafis Werk „Geschichte der Freimaurerei in Österreich-Ungarn“ war. Der Freimaurerhistoriker Hans Wagner vertrat die Meinung, dass Brabbée der eigentliche Verfasser gewesen sei.11 Beide Autoren, Brabbée und Aigner-Abafi, konnten die Quellen des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Freimaurerarchivs des Grafen Festetics in Dégh auswerten. Das Freimaurerarchiv enthielt ca. 10.000 Bögen. Da viele Quellen nicht mehr vorhanden sind, kann das Werk der beiden Autoren heute als wichtige Quelle bezeichnet werden. Das fünfbändige Werk über die österreichische Freimaurerei von den Anfängen bis 1885 war damals durch seinen Quellencharakter nicht nur die umfassendste Darstellung zu diesem Thema, sondern für die heutige Forschung auch zu einem Standard geworden. Zwei weitere Bände waren geplant, konnten aber nicht mehr realisiert werden.12

Die ungarische Historikerin Éva H. Balázs, die die freimaurerischen Archivbestände von Dégh betreute und darauf aufbauend eine große Veröffentlichung vorbereiten sollte, hatte für längere Zeit diesen Materialkorpus für sich sperren lassen, sodass er bis heute nicht zugänglich ist. Das geplante Projekt von Balázs wurde nicht zu Ende geführt. Die Wiener Forschungsloge Quatour Coronati hat das leider im Werk fehlende Register erfreulicherweise zusammengestellt. Aigner-Abafi hat das Quellenmaterial, das ihm zugänglich war, in sein Werk eingearbeitet, sodass ein nützliches Kompendium entstanden ist, das für die Freimaurerforschung unentbehrlich erscheint. Das Werk entspricht allerdings nicht modernen wissenschaftlichen Ansätzen und Methoden, sondern stellt eine ausschließliche Ereignisgeschichte dar. Die Entwicklungen von Großlogen und Logen stehen im Zentrum der Darstellung, die Charakterisierung bestimmter Zeitperioden streift es nur in Überblicken. Die wichtigen und ausführlichen Mitgliederlisten wurden von den beiden Autoren leider nicht strukturgeschichtlich ausgewertet bzw. politisch, sozial und ökonomisch zugeordnet. Hans Wagner hat diese Kritik gut zusammengefasst: „Leider hat Aigner – oder Brabbée – versucht, die Lücken dieses Archivs mit Spekulationen auszufüllen, die vor allem der älteren, unkritischen Literatur entnommen wurden“.13 Aigner-Abafi hat sich aber um eine weitgehend objektive Darstellung bemüht und auch die Probleme und Schattenseiten der Freimaurerei behandelt und kritisiert. Den Einfluss der Freimaurerei auf die Gesamtgeschichte überschätzt er nicht und blieb hier vorsichtig. Heute ist dieses Werk noch immer als Mate-rialsammlung bedeutend, in der Darstellung aber in Teilen überholt. Es enthält auch viele Irrtümer, Spekulationen und gilt methodisch als weitgehend überholt, trotzdem bedeutete dieses Werk vor dem Zeithintergrund einen Meilenstein der österreichisch-ungarischen Geschichtsforschung. Ludwig Aigner-Abafi beteiligte sich auch mit Beiträgen am „Allgemeinen Freimaurer Lexikon“, das 1900 bereits in dritter Auflage erschienen ist.14