Käpten Rumbuddel und Pietje

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Käpten Rumbuddel und Pietje
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INHALT

Der Käpten stellt sich vor

Das kommt vom Schmökern

Ein Teufelskerl, dieser Pietje

Der Ritt auf dem Rumfass

Rum ist gut gegen – Haie

Pietjes rettender Einfall

An der Nase herumgeführt

Flaschenpost von Enterbilly

Pietje überlistet Kaperconny

Eine verzwickte Geschichte

Harte Nüsse und harte Bräuche

Pietjes Trick mit dem Tau

Tschüs! und ahoi!

Impressum

Käpten Rumbuddel und Pietje

Helmut Höfling

Copyright: © 2013 Helmut Höfling

published by: epubli GmbH, Berlin www.epubli.de

ISBN 978-3-8442-6087-8

Der Käpten stellt sich vor

Tja, meine lieben Freunde, bevor wir gemeinsam in See stechen, um die verwegensten Abenteuer aller Zeiten zu erleben, möchte ich mich euch erst einmal vorstellen. Also macht zunächst mal die Augen fest zu. So, und was seht ihr jetzt? Richtig – mich! Ja, genau! Was da vor euch steht, sozusagen vor eurem geistigen Auge, das bin ich – euer Käpten Rumbuddel: das runde Gesicht mit der Kapitänsmütze obendrauf. Und das, was ihr vielleicht für Sauerkraut haltet, ist mein Bart. Wenn ihr scharf hinschaut, erkennt ihr mittendrin auch noch eine dicke Knolle: meine Nase.

Manche Leute behaupten, sie sei so rot, weil ich sie zu oft und zu tief in ein Glas Rum hineinstecke. Deshalb haben sie mir auch den Spitznamen „Käpten Rumbuddel“ gegeben.

Aber die Wahrheit ist: Ich habe mir mein Leben lang den Wind der drei Weltmeere um die Nase wehen lassen, wie sich das für einen waschechten Seebären gehört. Da ist es kein Wunder, dass sie manchmal wie ein Lampion glüht.

Und Abenteuer habe er erlebt…!

Es gibt wohl auf allen Meeren keinen Käpten, der so viele haarsträubende Dinge gesehen hat wie ich. Und was das Erstaunlichste dabei ist: Meine Geschichten sind alle wahr, wenn sie für die Ohren von Landratten manchmal auch noch so unglaublich klingen.

Wer aber wie ich sein Leben lang zur See gefahren ist, der weiß, dass ein Seemann oft die unwahrscheinlichsten Abenteuer erlebt. Landratten erzählt er davon nur ungern, weil sie nämlich denken, er spinne Seemannsgarn. Nur wenn ein Seemann seine Nase ausnahmsweise mal ein bisschen zu tief ins Rumglas gesteckt hat, wird er hin und wieder gesprächig. Oder er vergreift sich sogar an Feder und Papier und schreibt seine Erinnerungen für die Nachwelt nieder – so wie ich hier.

Aber nun wollen wir nicht länger vor Anker liegen, sondern gleich in See stechen.

Halt! Ich hab noch vergessen, euch zu sagen, wie unser Kahn heißt: Fliegende Möwe. Es ist ein stolzes Segelschiff mit drei Masten. Ich habe es deshalb so getauft, weil es so schnell auf den Wogen dahingleitet wie eine Möwe durch die Luft.

Das kommt vom Schmökern

Wir segelten also eines Tages wieder auf hoher See. Niemand von uns ahnte, dass wir schon bald eines der tollsten Abenteuer erleben sollten – auch nicht Smutje, unser dicker Koch, und nicht der Schiffsjunge Pietje, der gerade in die Kombüse trat.

„Was gibt’s denn heute Mittag zu essen, Smutje?“, fragte der Schiffsjunge.

„Fisch und Kartoffeln“, brummte der Koch.

Der Junge rümpfte die Nase und meinte: „Jeden Tag das gleiche. Wenn Sie wenigstens mal den Fisch anders machten, statt ihn immer nur zu braten. Auf die Dauer hängt einem der Bratfisch zum Hals raus.“

„Umso besser! Dann sparen wir heute eine Portion.“

„Wieso?“

„Deine!“

Pietje zog ein schiefes Gesicht, als er sah, dass der Koch ihn schadenfroh auslachte.

„Hunger hab ich trotzdem!“, knurrte der Junge. „Ich meine bloß, wenn Sie mich mal den Fisch kochen ließen. So was Leckeres haben Sie noch nie gegessen!“

„Eigentlich müsste ich dir je eine runterhauen“, antwortete der Koch, „weil du so frech bist und mir altem Seebären Vorschriften machen willst. Aber von mir aus koch, was du willst! Ich habe heute sowieso noch genug Arbeit im Laderaum.“

Damit hatte Smutje zweifellos Recht. So groß ist die Fliegende Möwe nun gerade nicht, dass ein Koch voll beschäftigt wäre. Unser Smutje kochte, wenn es Zeit dazu war, und in den übrigen Stunden arbeitete er an Deck oder im Laderaum. Da er an jenem Tag sowieso keine große Lust zum Kochen hatte, kam ihm Pietjes Angebot sehr gelegen.

„Ich werde ein Essen auf den Tisch zaubern, das sich sehen lassen kann!“, brüstete sich der reichlich vorwitzige Schiffsjunge.

Smutje griente und meinte: „Ich lasse mich überraschen. Und wenn’s nach sauren Heringsschwänzen schmeckt, kann ich dir ja immer noch die Hose stramm ziehen.“

Tja, so fing die Sache an mit Smutje und Pietje.

Kaum hatte der Koch die Kombüse verlassen, da machte sich der Junge auch schon mit wahrem Feuereifer an die Arbeit. Er schuppte die Fische schön sauber und nahm sie aus. Dann legte er sie in einen Topf mit wenig Wasser, schnitt Möhren, Zwiebeln und Sellerie dazu und ließ alles auf dem Herd dünsten. In einen zweiten Topf schüttete er Kartoffeln, und da es Pellkartoffeln werden sollten, brauchte er sie nicht erst noch zu schälen.

Nun dauert ja alles seine Zeit, bis es gar ist. Und Pietje wurde es zu langweilig, immer vor dem Herd zu stehen und zu warten. Deshalb nahm er sich einen Indianerschmöker, hockte sich in eine Ecke und begann zu lesen. Es muss ein verflixt spannendes Buch gewesen sein! Jedenfalls hatte unser Pietje nur noch Augen und Ohren für den Schmöker.

Und seine Nase…?

Tja, die klebte so fest an der Indianerfährte, dass Pietje nicht roch, was in der Kombüse stank: die Fische nämlich und die Kartoffeln. Sie waren so angebrannt, dass sie schwarz wie Kohlen aussahen! Erst als Smutje die Tür aufriss und mit einem Donnerwetter in die Kombüse reinplatzte, merkte der Junge, was los war.

„Du Satansbraten, nennst du das kochen? Aus der Kombüse kommt ein Qualm, als stände das Schiff in Flammen! Ich hab’s sogar unten im Laderaum gerochen.“

Erschrocken sprang Pietje auf und starrte den Koch verdattert an. „Ich – ich -“, stammelte er. „Es können nur die Kartoffeln sein.“

Da hob der Koch den Deckel vom Topf ab, in dem die Fische waren, und rief:

„So, und was ist hier mit den Fischen? Von denen ist auch nicht mehr übrig als schwarzer Dreck.“

„Die können gerade erst angebrannt sein. Ich hab die ganze Zeit dabeigesessen“, entschuldigte sich Pietje. „Sonst hätte ich doch was riechen müssen.“

„Wahrscheinlich hast du dir seit Jahren die Nase nicht mehr geputzt.“

Der Junge wollte aufbrausen. Aber er schluckte seine Antwort hinunter, als er den lauernden Blick des Kochs bemerkte, der etwas entdeckt zu haben schien.

„Sag mal, du Lausejunge, was hältst du denn da dauernd hinterm Rücken versteckt?“

„Ich…?“, fragte Pietje mit dem unschuldigsten Gesicht von der Welt. „Ich – eh -“

„Also, was ist das?“

„Das – das ist nichts, Smutje. Wirklich rein gar nichts!“

Mit einem Satz sprang der Koch auf den Jungen zu und entriss ihm das Indianerbuch. Er hielt es Pietje dicht unter die Nase und schimpfte:

„Nichts, sagst du? Das sieht aber verdammt nach’ nem Schmöker aus! Darin hast du wohl die ganze Zeit gelesen?“

„Nur ’n bisschen, Smutje.“

„Und wir sollen jetzt das angebrannte Zeug runterwürgen, wie?“

Zerknirscht stand der Junge da. Er war sich seiner Schuld bewusst, und da er die Scharte gern auswetzen wollte, schlug er Smutje rasch vor:

„Ich kann ja sofort was anderes kochen.“

„Dazu hast du leider keine Zeit mehr, mein Junge“, erklärte der Koch mit einem unheilvollen Grollen in der Stimme. “Denn zunächst werde ich dir das Schmökern in der Kombüse ein für alle Mal gründlich versalzen.“

Ohne lange zu fackeln, packte er den Schiffsjungen mit seinen groben Fäusten und legte ihn übers Knie.

„Au…! Au…! Au…!“, jammerte Pietje. Um Smutje davon abzuhalten, noch fester zuzuschlagen, schrie er lauter, als es nötig war.

Ein Teufelskerl, dieser Pietje

Tja, während also Smutje dem Schiffsjungen den Hosenboden ordentlich stramm zog, stand ich neben dem Steuermann auf Deck und schaute besorgt aufs Meer. Der Wind pfiff mir um die Nase, und manchmal schlug ein Brecher gegen die Bordwand und bespritzte uns. Dann ächzte das Schiff in sämtlichen Fugen.

Der Steuermann, den so leicht nichts aus seiner Walrossruhe brachte, schob den Priem von der linken Backe zur rechten hinüber. Er zog die Augenbrauen zusammen, als er auf die See hinausblickte, und brummte:

„Mir gefällt das Wetter nicht, Käpten.“

„Mir auch nicht, Steuermann“, antwortete ich. „Der Nebel wird immer dichter und die See unruhiger.“

„Und ausgerechnet jetzt segeln wir hier auf der Höhe der Hölleninseln!“

„Nach dem Kompass hier – ja…! Aber irgendwie wird das Schiff nach Luv gezogen. Dabei müssten wir doch mit dem Wind eigentlich nach Lee abgetrieben werden“, antwortete der Steuermann.

Ich warf einen Blick auf die Kompassnadel und brummte:

„Das ist nur Einbildung. Wenn der Kompass stimmt, dann haben wir auch den richtigen Kurs.“

„Im Allgemeinen ja, Käpten. Aber wie Sie wissen, spukt es hier bei den Hölleninseln.“

Es sah so aus, als zöge der Steuermann vor Angst den Kopf in die Schultern, als er das sagte. So kannte ich ihn gar nicht, und um seine Wahnvorstellungen zu zerstreuen, erklärte ich leichthin:

„Ich bin schon mehr als zwanzigmal hier vorbeigesegelt, ohne auch nur den geringsten Spuk bemerkt zu haben.“

 

„Dann haben Sie Glück gehabt, Käpten“, erwiderte er noch beunruhigter als zuvor. „Denn hier zwischen den Hölleninseln haust doch das gefährlichste Ungeheuer. Teufelsrachen heißt es, weil es ein solches Riesenmaul hat, dass es ein Schiff mit Mann und Maus verschlingen kann!“

Er schien vor Angst in sich selbst hineinkriechen zu wollen, als er nach Luv blickte, wo er den Teufelsrachen vermutete. Ich peilte ihn beiseite an und polterte los:

„Glaubst du wirklich an solche Märchen, Steuermann?“

„Das ist kein Märchen, Käpten, das können Sie mir glauben. Ein Freund von mir, der auch Steuermann ist, hat den Teufelsrachen sogar schon mal gesehen – mit eigenen Augen!“

„Und das Ungeheuer hat ihn nicht mit Haut und Haar verschlungen?“

„Nur mit größter Not ist er damals dem Tod entronnen.“

„Dann hat der Teufelsrachen vielleicht gerade keinen Hunger gehabt. Oder dein Freund ist so klapperdürr, dass sich das Ungeheuer gar nicht erst die Mühe gemacht hat, das Maul aufzusperren.“

„Das ist keine Sache zum Scherzen, Käpten!“, knurrte der Steuermann. „Wenn das der Teufelsrachen hört, wird er wütend. Und wenn er wütend wird, dann sind wir verloren!“

„Pass lieber auf dein Ruder auf! Unser Schiff dreht ja ganz nach Luv ab.“

„Das ist genau die Richtung, wo das Ungeheuer haust. Mit seinen Fangarmen zieht es uns auf sich zu!“

„Unsinn, Mann!“, rief ich ihm zu. „Du hast nur aus Angst vor dem Teufelsrachen nicht mehr die Kraft, das Steuerrad festzuhalten. Lass mich mal ran!“

Mit all meiner Kraft versuchte ich, das Steuer nach links hinüberzuwerfen – doch vergebens!

„Verdammt!“, ächzte ich. „Das Ruder muss gebrochen sein, oder es klemmt irgendwo.“

„Das Ruder ist in Ordnung, Käpten!“, schrie mir der Steuermann zu. „Der Teufelsrachen hat uns schon mit seinen Fangarmen gepackt!“

„Blödsinn, Steuermann, ruf lieber die anderen her! Ich kann das Ruder nicht allein halten.“

Da legte der Steuermann die Hände an den Mund und brüllte wie am Spieß:

„Alle Mann an Deck…! Höchste Gefahr…! Alarm…! Alarm…!“

Mit seinem ganzen Gewicht warf sich dann der Steuermann gleichfalls in die Speichen des Ruders. Aber obwohl wir uns aus Leibeskräften bemühten, gelang es uns nicht, das Rad nach backbord herumzureißen. Stattdessen trieben wir unaufhaltsam nach steuerbord hinüber wie in einem Wasserfall. Schon stürmte die Besatzung an Deck.

„Was ist los, Käpten?“, rief Smutje. „Warum drehen wir so stark ab?“

„Das Steuer klemmt. Stemm dich gegen die Speichen, Smutje, damit wir wieder geraden Kurs kriegen!“, befahl ich.

„Ich helfe auch mit!“, schrie Pietje. „Ein Mann mehr kann nichts schaden.“

„Pass nur auf, dass der Wind dich nicht wegbläst, du Dreikäsehoch!“, frotzelte ihn der Koch.

Aber wir waren doch froh, dass der Schiffsjunge keine Furcht zeigte und mit anpackte. Wir konnten jetzt jeden Mann brauchen – auch wenn er nur eine halbe Portion war.

Die übrigen Männer meiner „Fliegenden Möwe“ versuchten gleichfalls, eine Speiche des Steuerrads zu erwischen, um ihre ganze Kraft daran auszulassen. Und wer nicht mehr ans Ruder kam, warf sich über die Kameraden und drückte, schob und drehte mit. Das war ein Wirrwarr von Armen und Beinen! Keiner wusste mehr, was zu wem in dieser Traube von Menschenleibern gehörte.

Aber alle Mühe war vergebens! Unser Schiff lief aus dem Ruder. Wie von einem unheimlichen Sog angezogen, raste die Fliegende Möwe nach steuerbord.

In diesem Augenblick höchster Gefahr rief der Steuermann mit bebender Stimme:

„Der Teufelsrachen…! Vor uns der Teufelsrachen…!“

„Bist du verrückt, Kerl?“, tobte ich. „Du siehst ja Gespenster im Nebel!“

„Nein, Käpten, das ist wirklich das Ungeheuer!“

Bis jetzt hatte ich der Mannschaft nichts vom Teufelsrachen gesagt – aus gutem Grund! Wenn die Kerle auch sonst Tod und Teufel nicht fürchteten – vor einem Seeungeheuer rutschte ihnen doch das Herz in die Hose. Und da ich das wusste, hatte ich geschwiegen. Aber dieses Riesenwalross von einem Steuermann musste natürlich losbrüllen und der Mannschaft einen Schreck einjagen.

Entsetzt starrten die Leute in die Richtung, in die der Steuermann zeigte.

„Du hast Recht, Steuermann“, bestätigte ihm Smutje. „Oh, welch grässliches Biest!“

„Seht nur das Riesenmaul!“, fiel der Schiffsjunge ein.

„Wir sind verloren…!“

„Rette sich, wer kann…!“

So schrien die Matrosen durcheinander und flüchteten in wilder Hast aufs Achterdeck, als könnten sie so dem Unheil entrinnen.

„Haltet das Ruder fest, Leute!“, donnerte ich sie an. „Wir müssen dran vorbeikommen!“

Aber ich hatte in den Wind gesprochen. Sie waren schon Hals über Kopf davongestürzt bis auf den Steuermann, den Koch und den Schiffsjungen.

Der Steuermann allerdings war der Länge nach über dem Ruder zusammengeknickt und lag darauf wie ein Sack Mehl.

Smutje hielt mit beiden Händen seine weiße Mütze fest, damit der Sturm sie ihm nicht vom Kopf wehte. Das war ihm wichtiger als das Ruder, denn mit seiner Kochmütze hätte er auch seine ganze Würde verloren. Das bildete er sich jedenfalls ein.

Und Pietje…? Der Satansbraten konnte mal wieder nicht nahe genug dabei sein! Er war an die äußerste Bugspitze gelaufen und beugte sich über die Reling, um möglichst tief in das Riesenmaul des Teufelsrachens blicken zu können.

So war ich noch der Einzige, der sich gegen das Schicksal stemmte. Genauer gesagt: gegen die Speichen des Ruders, um die Fliegende Möwe doch noch vor dem Teufelsrachen zu bewahren.

Da erschütterte ein fürchterliches Fauchen die Luft! Der Steuermann riss für einen Augenblick den Kopf hoch, so dass er geradewegs in den Rachen des Ungeheuers starrte.

„Es verschlingt uns mitsamt dem Schiff!“, stöhnte er.

„Na warte, dem Biest werd ich’s geben!“, rief Pietje und lief über das Deck.

„Wo rennst du denn hin, Pietje?“, wollte der Koch wissen.

„In die Kombüse, die Kartoffeln und Fische holen!“

„Heiliger Klabautermann!“, brummte ich. „Der Junge ist verrückt geworden. Was sollen jetzt noch Kartoffeln und Fische nützen?“

Beschwörend hob Smutje die Arme. „Und noch dazu angebrannte…!“, jammerte er.

Ich hatte schon tausend Gefahren getrotzt und alle mutig bestanden. Aber ich muss gestehen, dass auch ich jetzt das letzte Stündlein für uns alle gekommen hielt.

Ein solch grässliches Ungeheuer wie den Teufelsrachen hatte ich noch nie gesehen! Erst schien es mir nur aus einem einzigen Riesenschlund zu bestehen, mit scharfen Zähnen darin wie Sägen von einem Dutzend Sägewerke. Aber dann erkannte ich, dass dieses Ungeheuer auch noch unzählige Fangarme hatte, mit denen es meilenweit alles umschlingen und in sein Riesenmaul hineinschieben konnte. Für ein solches Riesenmaul war unsere Fliegende Möwe nicht mehr als ein Heringshappen!

Nach menschlichem Ermessen waren wir verloren. Trotzdem stemmte ich mich mit dem Mut der Verzweiflung weiter gegen das Ruder. Ich wollte mich nicht wie eine Maus verkriechen, sondern aufrecht der Gefahr ins Auge sehen.

Und wieder fauchte der Teufelsrachen. Er spie sogar Feuer aus seinem Schlund wie ein Drache.

„Wir müssen das Steuer halten!“, brüllte ich mit überschnappender Stimme, um das Tosen des Meeres und das Fauchen des wütenden Ungetüms zu übertönen.

„Das ist zwecklos, Käpten, wir schaffen es nicht!“, rief mir Smutje zu.

Bei dem fürchterlichen Fauchen des Teufelsrachens hatte er einen Augenblick lang erschrocken die Hände vors Gesicht gehalten – und im Nu war ihm die weiße Küchenhaube davongeweht. Jetzt stand er da, innerlich geknickt und mit herabhängenden Armen. Es war schwer zu sagen, was ihn mehr lähmte: die Angst vor dem Teufelsrachen oder der Verlust seiner Mütze.

Als ich dann zur Seite blickte, sah ich plötzlich Pietje auftauchen. Todesmutig beugte sich der Lausebengel über die Reling. Er hielt einen großen Kessel im linken Arm, langte mit der rechten Hand hinein und holte eine angebrannte Kartoffel heraus.

„Der Junge ist verrückt!“, krächzte der Koch. „Jetzt füttert er das Ungeheuer auch noch!“

Pietje holte zum Wurf aus und schleuderte dem Teufelsrachen die Kartoffel mitten ins Riesenmaul. Und, o Wunder, der Teufelsrachen klappte sein Maul zu, um die Kartoffel runterzuschlucken!

„Pietje, du bist ein Goldjunge!“, schrie ich außer mir vor Freude.

Während der Teufelsrachen sein Maul schloss, bekam der Steuermann vor Staunen die Maulsperre. Plötzlich rief er:

„Jetzt sperrt das Biest sein Riesenmaul wieder auf!“

Pietje feixte und sagte ganz ruhig: „Dann werfe ich wieder eine Kartoffel rein – und noch ’nen Fisch dazu.“

Das tat er dann auch – und wieder machte der Teufelsrachen sein Maul zu, um die Leckerbissen zu schlucken. Vor lauter Begeisterung ließ ich das Ruder los und machte einen Freudensprung.

„Nur weiter so, Junge!“, jubelte ich. „Vielleicht kommen wir doch noch mit heiler Haut davon. Und ihr, Leute, reißt das Steuer rum!“

Das brauchte ich nicht zweimal zu sagen. Denn plötzlich war wieder Leben in die Besatzung gekommen. Der Steuermann, Smutje und die halbe Mannschaft stürzten sich mit Feuereifer aufs Ruder.

Aber noch war die Gefahr nicht gebannt! Die Fliegende Möwe schlingerte und legte sich scharf backbord, ohne jedoch vom Kurs auf den Teufelsrachen abzukommen. Das Ungeheuer fauchte unbändig, als verlange es noch mehr zu fressen. Deshalb rief ich dem Schiffsjungen zu:

„Pietje, füttere das Biest weiter!“

„Keine Bange, Käpten!“, erwiderte der Bengel. „Ich hab noch genug angebrannte Kartoffeln und Fische. Besser der Teufelsrachen frisst sie, als dass ich sie nachher zur Strafe selbst verdrücken muss.“

Eine Kartoffel und einen Fisch nach dem anderen warf der Teufelskerl dem Teufelsrachen ins gefräßige Maul, so dass das Ungeheuer dauernd schlucken musste und gar nicht dazu kam, seine Fressgier an uns zu stillen.

Während der Teufelsrachen derart beschäftigt war, gelang es uns, den Bug des Schiffes haarscharf an ihm vorbeizusteuern. Die Rahen knarrten, und die Spitze des Großmastes durchpflügte die kochende See: So scharf lag unsere Fliegende Möwe auf der Seite! Aber besser auf der Seite als im Bauch des Teufelsrachens liegen!

„Nur noch ein kleines Stück, Leute“, feuerte ich die Mannschaft am Ruder an, „dann haben wir’s geschafft.“

Es waren aufregende Sekunden. Das Herz schlug uns bis zum Hals. Wir alle schielten zu Pietje hinüber und wünschten uns, sein Kessel mit den angebrannten Kartoffeln und Fischen möge nie leer werden – wenigstens nicht, solange wir uns noch im Sog des Teufelsrachens befanden. Unermüdlich feuerte der Bengel unser Mittagessen ins Riesenmaul des Ungeheuers, bis wir mit unserem Schiff endlich an ihm vorbei waren.

„Wir sind gerettet!“, jubelte der Steuermann.

Ein vielstimmiges Geschrei brandete über das Deck. Die Männer lagen sich in den Armen und tanzten vor Freude. Zum letzten Mal griff Pietje in den Kessel, und da er ihn leer fand, schleuderte er ihn übermütig dem überlisteten Teufelsrachen ins Maul.

Ich stürzte auf den Schiffsjungen zu und drückte ihn an meine breite Kapitänsbrust. „Pietje, du Teufelskerl, wie bist du nur auf den Einfall gekommen?“

Der Bengel lachte lausbübisch und meinte: „Ich bin ja nicht auf den Kopf gefallen, Käpten. Vorhin hat mich doch Smutje durchgehauen.“

„Weil er unser Essen hat anbrennen lassen“, erklärte der Koch.

„Und zur Strafe sollte ich den Fraß allein runterschlingen“, fuhr Pietje fort. „Als das Ungeheuer auftauchte, da dachte ich mir: Jetzt weg mit dem Zeug, dann brauchst du es nicht mehr selbst zu essen!“

„Und weil das Ungeheuer jeden Happen hinunterschlucken musste, fand es keine Zeit mehr, uns mitsamt dem Schiff zu verschlingen“, fiel ich lachend ein.

„Tja, Pietje“, sagte Smutje gerührt und schlug dem Jungen auf die Schulter, dass er in die Knie sank. „So hast du uns allen das Leben gerettet! Tut mir leid, Pietje, dass ich dich vorhin so verbimst habe.“

Da griff der Junge mit beiden Händen nach seinen Pobacken und sagte schmollend:

„Die Prügel kann man ja leider nicht zurücknehmen.“

„Die schreib ich dir dann gut bis zum nächsten Mal, wenn du mal wieder was ausgefressen hast“, meinte der Koch lachend, und wir alle stimmten in das Gelächter mit ein.

Als kleinen Ausgleich für die Prügel bot Smutje dem Schiffsjungen die Brüderschaft an. Dazu tranken sie ein Gläschen oder auch zwei – natürlich Rum, den ich stiften musste. Und seit der Stunde duzten sich der Kleine und der Dicke.

 
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